<strong>Lenin</strong> 8Attentat und KrankheitenAm 30. August 1918 wur<strong>de</strong> <strong>Lenin</strong> bei einem Attentat durch zwei Schüsse verletzt. Die Projektile trafen ihn inSchulter und Hals. Als Attentäterin verhaftete man kurz darauf Fanny Kaplan, eine Anhängerin <strong>de</strong>rSozialrevolutionäre, die nach einem Verhör exekutiert wur<strong>de</strong>. Einige westliche Historiker hegen jedoch Zweifel an<strong>de</strong>r Täterschaft Kaplans. Von <strong>de</strong>n Folgen <strong>de</strong>s Attentats erholte sich <strong>Lenin</strong> Zeit seines Lebens nicht mehr.Erst 1922 wur<strong>de</strong> die Kugel im Hals operativ entfernt, nach<strong>de</strong>m ein <strong>de</strong>utscher Arzt urteilte, <strong>Lenin</strong>s Kopfschmerzenseien vom Blei verursacht, das das Gehirn vergifte. Bei <strong>de</strong>n Untersuchungen dieser Zeit wur<strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong> Lei<strong>de</strong>nfestgestellt: Augenprobleme, Magenbeschwer<strong>de</strong>n, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Wundrose,Durchblutungsstörungen im Gehirn. Einem Neuropathologen hatte <strong>Lenin</strong> zu<strong>de</strong>m berichtet, an – nicht nähererläuterten – Zwangsvorstellungen zu lei<strong>de</strong>n. [42]Einen Monat nach <strong>de</strong>r Operation erlitt <strong>Lenin</strong> am 25. Mai 1922 einen schweren Schlaganfall, nach mehrerenkleineren zuvor; zwei weitere schwere folgten noch. Der Schlaganfall lähmte <strong>Lenin</strong> rechtsseitig, erschwerte dasSprechen, verwirrte <strong>de</strong>n Geist und machte eine Genesung fraglich. Die Ärzte diskutierten mehrere Möglichkeiten fürdie Grundursache von <strong>Lenin</strong>s Beschwer<strong>de</strong>n, ohne Einigkeit zu erzielen: Syphilis, Neurasthenie, Arterienverkalkung(wie schon bei <strong>Lenin</strong>s Vater) o<strong>de</strong>r auch die Folgen <strong>de</strong>r Operation. <strong>Lenin</strong> dachte an Selbstmord und bat Stalin umGift. [43]Bürgerkrieg 1918 bis 1922<strong>Lenin</strong> war trotz vieler offen ausgetragener Meinungsunterschie<strong>de</strong> dieunumstrittene Führungspersönlichkeit <strong>de</strong>r Partei und <strong>de</strong>r Regierungund wur<strong>de</strong> als die höchste Autorität <strong>de</strong>r 1919 entstehen<strong>de</strong>n dritten„Kommunistischen Internationale“ (Komintern) angesehen. Bereitskurz nach <strong>de</strong>r Oktoberrevolution versuchte <strong>Lenin</strong>, die <strong>russisch</strong>eWirtschaft per Dekret in eine zentrale Planwirtschaft umzuwan<strong>de</strong>ln.Als erstes wur<strong>de</strong>n bis Anfang 1918 die Banken verstaatlicht. Gemäß<strong>de</strong>m Parteiprogramm <strong>de</strong>r Bolschewiki sollte das Geld alsZahlungsmittel komplett abgeschafft wer<strong>de</strong>n. Da das Geld nicht perDekret abgeschafft wer<strong>de</strong>n konnte, ließ die Regierung durchzusätzliches Gelddrucken bis 1922 eine Hyperinflation herbeiführen,die alle umlaufen<strong>de</strong>n Geldmittel entwertete. <strong>Lenin</strong> beauftragte 1918<strong>de</strong>n Journalisten Jurij Larin damit, eine zentrale Planungsinstanz fürdie Verstaatlichung <strong>de</strong>r Industrie zu schaffen. Hieraus ging <strong>de</strong>r ObersteWirtschaftsrat hervor, <strong>de</strong>r die Enteignung <strong>de</strong>r privaten Unternehmen<strong>Lenin</strong> und seine Frau (1919)umsetzte, <strong>de</strong>ren Eigentümer (wenn sie nicht bereits ins Ausland geflohen waren) in <strong>de</strong>r Regel ihre Betriebeentschädigungslos abtreten mussten. Das Firmenvermögen wur<strong>de</strong> vom Staat eingezogen.Neben diesem Umbau in <strong>de</strong>r Wirtschaft führte <strong>Lenin</strong> auch Reformen im Bildungswesen durch. Die Alphabetisierung<strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s wur<strong>de</strong> von ihm energisch vorangetrieben. Im Dezember 1919 schuf er per Dekret verpflichten<strong>de</strong>Unterrichtskurse für Analphabeten. Im Sommer 1920 wur<strong>de</strong> die Einrichtung eines Netzes von Kleinstbibliothekengeschaffen, das je<strong>de</strong>m <strong>de</strong>n Zugang zu Büchern sichern sollte. Diese Reformen zielten nicht nur auf die Hebung <strong>de</strong>sBildungsstandards ab, son<strong>de</strong>rn waren auch dazu gedacht, die Loyalität <strong>de</strong>r Menschen mit <strong>de</strong>m Regime zu för<strong>de</strong>rn.Auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r Hochschulbildung öffnete <strong>Lenin</strong>s Regierung <strong>de</strong>n Zugang für ärmere Bevölkerungsschichten undschaffte das mehrglie<strong>de</strong>rige Schulsystem ab. 1919 wur<strong>de</strong>n auch die Arbeiterfakultäten eingeführt, die auchErwachsenen, <strong>de</strong>nen ein Studium nicht möglich gewesen war, <strong>de</strong>n Zugang zu universitärer Bildung öffneten. [44]Gegen die bolschewistische Regierung formierte sich in vielen Lan<strong>de</strong>steilen Wi<strong>de</strong>rstand, vor allem jene Kräfte, dieihre verlorenen Privilegien wie<strong>de</strong>r herstellen wollten. Um ihre Macht zu sichern und <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rstand zu brechen,
<strong>Lenin</strong> 9setzte die Regierung die vom Volkskommissar für Kriegswesen Leo Trotzki im Jahre 1918 aufgestellte Rote Armeeein. So entwickelte sich ein Bürgerkrieg, in <strong>de</strong>n sich die USA, Großbritannien und zahlreiche an<strong>de</strong>re Staaten durchdie massive Unterstützung <strong>de</strong>r Weißen Truppen einmischten. Dieser Bürgerkrieg war durch große militärische Härte(s. dazu etwa Roter Terror, Weißer Terror) geprägt und dauerte bis zur Nie<strong>de</strong>rlage <strong>de</strong>r Weißen Truppen En<strong>de</strong> 1921an.<strong>Lenin</strong> selbst beschränkte sich während <strong>de</strong>s Bürgerkriegs weitgehend auf die politische Führung <strong>de</strong>s Sowjetstaates.Nach seiner eigenen Aussage war es für ihn zu spät, sich militärische Kenntnisse anzueignen. Er begnügte sichdamit, die grobe Strategie zu bestimmen, in die Planung <strong>de</strong>r militärischen Operationen mischte er sich dagegen kaumein. Auf Besuche an <strong>de</strong>r Front verzichtete er während <strong>de</strong>s gesamten Krieges. [45] Im Rahmen seinerWeisungsbefugnis als Staatschef regte er an, Geiseln unter Zivilisten und Angehörigen von Offiziersfamiliennehmen zu lassen, da er Hochverrat unter <strong>de</strong>n im alten Regime ausgebil<strong>de</strong>ten Offizieren fürchtete. [46] <strong>Lenin</strong> för<strong>de</strong>rteund verlangte als Staatschef <strong>de</strong>n Roten Terror im Bürgerkrieg. So ordnete er am 9. August 1918 in einem Schreibenan die Behör<strong>de</strong>n von Nischni-Nowgorod an: „Organisiert umgehend Massenterror, erschießt und <strong>de</strong>portiert dieHun<strong>de</strong>rtschaften von Prostituierten, die die Soldaten in Trunkenbol<strong>de</strong> verwan<strong>de</strong>ln, genauso wie frühere Offiziere,etc.“ [47] Am selben Tag ordnete er gegenüber <strong>de</strong>n Behör<strong>de</strong>n von Pensa die Einrichtung eines Konzentrationslagersan. [48] <strong>Lenin</strong> legitimierte <strong>de</strong>n Roten Terror als vorübergehend notwendige Maßnahme im Bürgerkrieg, er diene <strong>de</strong>rVerteidigung gegen <strong>de</strong>n Weißen Terror. So erklärte er bereits 1920: „Der Terror wur<strong>de</strong> uns durch <strong>de</strong>n Terrorismus<strong>de</strong>r Entente aufgezwungen, als die stärksten Mächte <strong>de</strong>r Welt, vor nichts zurückschreckend, mit ihren Hor<strong>de</strong>n überuns herfielen. Wir hätten uns keine zwei Tage halten können, wären wir diesen Versuchen <strong>de</strong>r Offiziere undWeißgardisten nicht ohne Erbarmen begegnet und das be<strong>de</strong>utet Terror … Wir erklärten, dass sich die Anwendungvon Gewalt aus <strong>de</strong>r Aufgabe ergibt, die Ausbeuter, die Gutsbesitzer und Kapitalisten zu unterdrücken; wenn diesgetan ist, verzichten wir auf alle außeror<strong>de</strong>ntlichen Maßnahmen.“ [49] <strong>Lenin</strong> sah aber keineswegs die Abschaffung <strong>de</strong>sTerrors vor: In einem Brief aus <strong>de</strong>m Jahre 1922 zur Reform <strong>de</strong>r Justiz äußerte er die Absicht, <strong>de</strong>n Terror rechtlichenKonventionen zu unterwerfen, die I<strong>de</strong>e ihn abzuschaffen bezeichnete er als Selbsttäuschung. [50]Im Sommer 1920 unternahm <strong>Lenin</strong> nach innerparteilichen Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen <strong>de</strong>n Versuch, <strong>de</strong>n Kommunismusim Ausland zu etablieren. Nach<strong>de</strong>m im April polnische Einheiten und ukrainische Nationalisten vergeblich versuchthatten, die Ukraine zu besetzen und aus <strong>de</strong>m sowjetischen Staatenbund zu lösen, ließ die Partei die Rote Armee inPolen einmarschieren (Polnisch-Sowjetischer Krieg). Die Hoffnung auf eine einsetzen<strong>de</strong> Revolution dort erfülltensich in<strong>de</strong>s nicht. Die Polen kämpften, unabhängig von ihrer Klassenzugehörigkeit, gegen <strong>de</strong>n <strong>russisch</strong>en Einmarsch.Die Rote Armee wur<strong>de</strong> von polnischen Truppen unter Marschall Józef Piłsudski mit französischer Unterstützungvernichtend geschlagen (Wun<strong>de</strong>r an <strong>de</strong>r Weichsel).Während <strong>de</strong>s Bürgerkrieges kam es zu einer Versorgungskrise. Ursächlich dafür war die Agrarpolitik <strong>de</strong>rBolschewiki. Gemäß <strong>de</strong>n Lehren <strong>de</strong>s Marxismus betrachteten sie die selbstständigen Bauern als einekleinbürgerliche Klasse ohne Zukunft. Im Zuge <strong>de</strong>r Zentralisierung <strong>de</strong>r Landwirtschaft sollten die Bauern ihreErträge zu niedrigen Festpreisen an die staatlichen Behör<strong>de</strong>n abgeben. Als die Bauern dies verweigerten, ließ <strong>Lenin</strong>die Erträge durch bewaffnete Kommandos aus <strong>de</strong>n Städten einsammeln. Dieses Vorgehen for<strong>de</strong>rte zahlreicheMenschenleben. Die Bauern reagierten auf die Zwangsmaßnahmen mit <strong>de</strong>r Verkleinerung <strong>de</strong>r Anbauflächen, waswie<strong>de</strong>rum zu noch geringeren Erträgen und vor allem in <strong>de</strong>n Städten zu Hungersnöten führte. Verschärft wur<strong>de</strong> dieErnährungslage durch <strong>de</strong>n andauern<strong>de</strong>n Bürgerkrieg. 1921 kam es zum Kronstädter Matrosenaufstand („Für Sowjetsohne Bolschewiki!“), <strong>de</strong>r jedoch blutig nie<strong>de</strong>rgeschlagen wur<strong>de</strong>. Die Bolschewiki richteten Lager für Regimegegnerein. Sie waren in ihrer Funktion aber nicht vergleichbar mit <strong>de</strong>n später von Stalin eingerichteten Arbeitslagern, dieauch als Gulag bezeichnet wer<strong>de</strong>n.Während <strong>de</strong>s Bürgerkrieges verfolgte <strong>Lenin</strong> gegenüber <strong>de</strong>r orthodoxen Kirche eine zurückhalten<strong>de</strong> Politik. Auf <strong>de</strong>mII. All<strong>russisch</strong>en Sowjetkongress im November 1918 sprach sich <strong>Lenin</strong> dafür aus, die Religion nur mit gewaltlosenMitteln <strong>de</strong>r Agitation zu bekämpfen. Kurz nach seiner Machtübernahme setzte er per Dekret die Trennung vonKirche und Staat durch. Ein Jahr nach <strong>de</strong>m Bürgerkrieg dirigierte <strong>Lenin</strong> eine groß angelegte Kampagne <strong>de</strong>s Staates