– 10 –Aber dann lassen Sie uns die Frage aufwerfen, die in diesem Kontextimmer sofort gestellt wird: Wie stehen Sie dazu?Wenn das so ist, müssen wir zuerst Luther abschaffen. Der hat ein nochviel schlimmeres Pamphlet gegen die Juden geschrieben. Dabei wollteer doch nur, dass die Juden endlich auch vernünftige Christen werden.Man hat bei diesem Thema eines vergessen: Wagners Pamphlet gegendie Juden ist ohne Wissen über den Holocaust geschrieben. Später hatman das einfach hochgerechnet und Wagner verurteilt, der Wegbereiterdes Holocaust zu sein. Wir als Deutsche haben mit diesem Thema einProblem – berechtigterweise. Aber ich finde, da hört es dann auf. Ichhabe das Gefühl, je genialer eine Figur ist, desto besser ist sie für ihreGegner zu missbrauchen. Mir ist Wagner mit seiner Familie privat mitder Zeit immer unsympathischer geworden. Aber die Faszination an derVision dieses Klangkünstlers, die ist geblieben. Das alles liegt natürlichauch an seiner Eitelkeit, alles, was er dachte, aufzuschreiben. Wenn ichalles aufgeschrieben hätte, was ich mir jemals ausgedacht habe, ichwäre längst erledigt.Ich war immer der Meinung, hinter dem Pamphlet stecken Neid undMissgunst. Eine Kollegengeschichte. Gegen Menschen, die für seine Begriffeschon immer bessere Voraussetzungen hatten: bessere Lehrer,bessere Verbindungen. Das kann man ihnen nicht vorwerfen. Aber wenndu selber so ein kleiner armer Hund bist, ohne gute Lehrer und ohnegute Beziehungen, wenn du betteln musst, wo du auch hinkommst,wenn du aber merkst, eigentlich bist du mindestens so gut wie Meyerbeerund Mendelssohn, eigentlich sogar besser, aber es nützt dirnichts ... Wenn du siehst, deine Kollegen haben Erfolg, Geld und Ressourcen,und du musst ihnen zuschauen …Kennen Sie das?Ich muss ganz ehrlich sagen: Ja. Ich bin selbst Künstler, ich weiß, wieschlimm das ist. Ich kenne auch meine eigenen Missgunst-Geschichten,die vollkommen unbegründet sind. Der Erfolg eines Künstlers ist für andereKünstler, die keinen Erfolg haben, eine Respektlosigkeit. Ein Eingriffin ihr Privatleben. Der hat Erfolg, wieso habe ich keinen? Ich bin dochauch gut! Ich bin sogar besser! Und das, finde ich, hat man zu wenigrelativiert. Man hat zu wenig auf menschliche Schwächen geachtet.Entschuldigt ist damit aber noch nichts.Man muss das nicht rechtfertigen. Es war damals so falsch, wie es heutefalsch wäre. Ich muss aber ein Geschichtsbewusstsein haben. Ich kannkeinen Menschen verurteilen für etwas, das ich nicht beurteilen kann.Wie lange haben wir jetzt unsere Demokratie? Seit 65 Jahren. Vorherhatten wir, wenn man die kurze Zeit der Weimarer Republik abzieht,Monarchie und Diktatur. Was bilden wir uns eigentlich ein?Hat diese Haltung gegen Wagner auch etwas mit der Lust zu tun,jedes Genie vom Sockel zu stoßen?Anscheinend erträgt man es heute nur schwer, wenn Menschen über einüberragendes Talent verfügen. Man sucht sofort nach Schwachstellen, manmöchte sie wieder in die Mittelmäßigkeit der Gesellschaft zurückholen.Das Problem ist aber ein anderes: Die meisten Menschen haben kein Geschichtsbewusstsein.Sie haben zu wenig in der Schule gelernt. Was passierteeigentlich 1848 bei der einzigen wichtigen Revolution in Deutschland?Und was bedeutet es, dass Wagner daran teilgenommen hat?Erklären Sie’s.Das zeigt mindestens, dass Wagner kein reiner Depp gewesen ist, wenner zur großen Schar intellektueller Menschen gehörte, die gemerkt haben:So geht’s nicht weiter. Der Hochadel hatte Mitteleuropa an denRand des Ruins gebracht, und das Bürgertum hat ein paar so geniale
Menschen wie Georg Büchner hervorgebracht, die gesehen haben, wieverkommen Europa war. All diese Motive hat man aber vergessen.Das rückt auch Wagners Größenwahn in ein anderes Licht. Erschreibt seine Werke ausdrücklich für die Zeit nach einem Umbruch,er sagt: Damit meine Kunst funktioniert, muss sich erst alles um sieherum ändern. So, wie es jetzt ist, hat es keinen Sinn.Die Menschen vergessen manchmal, welche Motive hinter künstlerischenÄußerungen stehen. Ein Ende der Kleinstaaterei, die Vision eines einigenDeutschlands, das ist alles verständlich. Und da wir heute selbstnoch sehr unvernünftig sind, weiß ich nicht, was wir jemandem vorwerfenwollen, der uns heute unvernünftig erscheint, auch wenn er‘s in dendamaligen Verhältnissen gar nicht war. Stellen Sie sich nur mal vor: Wirwerden regiert von einem Kretin wie Ludwig II. Dieser Mann, seelischund moralisch verkommen, ist Chef eines Landes, obwohl er eigentlichnicht regierungsfähig ist. Er hat die Verantwortung für die Menschen,für die Ressourcen, für viel Geld. Da kann man schon auf die Idee kommen,dass dieses System eigentlich nicht tragbar ist. Das lag damals inder Luft. Es ging nicht mehr.Bei all dem darf man aber einen zweiten Faktor nicht vergessen.Wagner als größenwahnsinniges Genie, Wagner als Judenhasser – indieser Zuspitzung klingt das alles sehr schick, es ist wunderbareinfach und passt gut in Schlagzeilen. Kann man Geschichte undMusik so überhaupt gerecht werden?Wenn man es miteinander vermischt, dann nicht. Und vor allem dannnicht, wenn man von Musik keine Ahnung hat. Aber wenn man von Musiketwas versteht und feststellt, dass Wagner von seinem 27. Lebensjahr annur noch intelligente Musik geschrieben hat – und zwar die intelligentestezu dieser Zeit, die ja die Zeit vieler großer Musiker war: Dann muss mandie Worte verlieren. Dazu muss man ihn aber einschätzen können. WennSie natürlich der Meinung sind, Picasso war ein Idiot, Ihre Kinder könnenbesser malen als er: Dann ist das eben so, aber mit dieser Einstellung zuKultur katapultieren wir uns zurück ins Mittelalter.Es ist eben manchmal schwer zu akzeptieren, dass nicht messbare,nicht zählbare Dinge trotzdem schwer wiegen.Das Problem ist, dass es zu wenige Menschen gibt, die sich inhaltlichmit diesen Dingen auseinandersetzen. Die Leute lassen sich zu viel erklären.Man müsste ja erst einmal fragen: Was ist eigentlich Antisemitismusund wie kann man ihn differenzieren? Wie kommt es zu diesergeschichtlichen Konsistenz von Gedanken, dass Juden in Mitteleuropaimmer die Sündenböcke gewesen sind? Dass das blöd ist und nicht inOrdnung, das wissen wir doch. Und genau deshalb hätte ich da gern maleine bessere Aufarbeitung, als dass wir uns jetzt alle auf Herrn Wagnerstürzen und ihn für dieses Übel schuldig sprechen. Das ist mir ein bisschenzu kurz geschlossen. Und dann müssen wir uns fragen: Wollen wirpolitische, geschichtsbewusste Menschen sein, oder wollen wir uns nurunsere Vorurteile auf eine bestimmte Art und Weise kredenzen, so, wiewir’s gerade brauchen, mal in die eine Richtung und mal in die andere.Wie sind Sie biografisch mit dem Thema Wagner in Verbindung gekommen?Ich habe, als ich 30 war, die Biografie von M<strong>art</strong>in Gregor-Dellin überWagner gelesen, damit begann es. Musik ist mir nicht fremd, ich sehemich da als Dilettanten mit gesteigertem Interesse.Was ich bei Wagner so interessant finde, ist die Verstrickung und Verflechtungvon Kommunikation und Bild-Information. Das ist das gleicheKonzept, mit dem auch Hollywood Musik benutzt. Es gibt ja diese berühmteSzene in „Apocalypse now“ von Francis Ford Coppola, der Angriffder Hubschrauber auf ein vietnamesisches Dorf zum Walkürenritt. Eine– 11 –
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