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Tabu22 Ciao, Ciara 26 Gefährlich: Halbwissen 28 Zweiter Weltkrieg 29 Sprachliche Tabus 30 Fälschungen 32 Samenspende 34 Prüfung vermasseltPortraitCiao, CiaraZweiundzwanzig Jahre habe ich ihn als Ciara gekannt, heute steht Maikvor mir. Oder: Das Mädchen von damals ist Mann geworden.VON Barbara LussiEr war fünf, als er das erste Mal dachte, dass da was nichtstimmt. Beim Gartenplausch bei Freunden, auf der Plastik-Rutsche im Gras, im Sommer, in Badehosen. ‹Da ist irgendwaskomisch, da unten›, dachte er, als er zwischen quietschfidelenGleichaltrigen über den Boden schlitterte, die es sogar okfanden, Glücksbärchis, Barbie oder Blumenkitsch auf T-Shirts,Pullis und Unterhöschen zu tragen. Mich eingeschlossen. Damalswar Maik noch Ciara, und dass ‹da unten› irgendwas komischsei, meint nicht, dass die Badehose zwickte. Mit neundachte Maik zum ersten Mal, dass das irgendwie nicht richtigwar: ein Mädchen zu sein.Happy in Hose«Ciara, die ist doch ein halber Junge», hat sogar meine Mamagesagt. Ich kann von den vier Jahren Grundschule, die ich zusammenmit Ciara und siebzehn anderen Jungs und Mädchenverbrachte, nicht mehr viel wortwörtlich zitieren, aber derSatz ist genau so gefallen. Und irgendwie hatte Mama recht:Ciara stellte sich mit den Jungs auf den Fussballplatz, in denAngriff oder ins Tor, hat sich inder Pause geprügelt und irgendwiealles gemacht, bei dem mansich die Hosen zerreissen konnte.Ciara trug die Haare kurz. Siewar fünf, als sie sich die ein erstesMal abgeschnitten hatte, runter auf wenige Zentimeter,zwangsläufig, nach einem Wespennest-Unfall. Für die meistenkleinen Mädchen wär’s Weltuntergang gewesen, Ciaraaber mochte die Jungenfrisur, blieb dabei, kleidete sich baldwie einer. Sie trug alles ausser Kleidchen. Und eben: Badehosen,kein Badekleid. Mir war das egal, und wenn ich’s richtigin Erinnerung hab, war’s den anderen auch egal: Ciara hatteihren Platz aufm Fussballplatz, bei den Jungs, dann wiederspielte sie bei uns Mädchen mim Gummitwist mit, ohne, dasswir’s seltsam gefunden hätten. ‹Schittli Verbannis› fanden allegut, Jungs und Mädchen, wir haben’s als Klasse gespielt, nicht«Während der ersten und zweiten Klasse konnteich am freisten sein – auch wenn mich meineEltern als Mädchen wahrgenommen haben.»nach Geschlecht. Ich glaube, dass wir’s checkten. Acht Jungsund zehn Mädchen begriffen, dass Ciara anders tickte, aberes gibt ja tatsächlich die Jahre, in welchen Kinder so unbefangensind, wie Kinder sein können, und wir akzeptierten das:dass Ciara mehr Junge als Mädchen war, obwohl sie ein Mädchenwar. Voll ok. Jahre später wird Maik sagen, dass das seineglücklichsten Jahre waren, die erste und zweite Klasse. «Dakonnte ich am freisten sein – auch wenn meine Eltern michals Mädchen wahrgenommen haben.»Albtraum in PinkSelbst hat sich Ciara darüber, was Jungs und Mädchen sind,kaum Gedanken gemacht. Nur an einen Moment erinnert sichMaik, als Ciara auf dem Nachhauseweg dachte: ‹Eigentlichhaben’s Buben viel cooler.› Ich weiss nicht, wie vielen Mädchender Gedanke mal kommt, mir jedenfalls ist er nie gekommen.Mädchen zu sein hat sich für mich immer richtigangefühlt, stand dem in nichts nach: ein Junge zu sein. Ciaradagegen sah mit neun, zehn, je älter sie wurde, deutlicherund deutlicher, was ihr als Junge erspartgeblieben wäre. Maik erinnertsich an jene Situationen, die Ciaraerstmals eindeutig in die Mädchen-Rolle drückten – und den Zweifelam Mädchen-Sein festigten. Andas demütigende Gefühl, als ihre Mutter in der zweiten Primarsagte: «Jetzt wird’s Zeit nicht mehr nur Badehosen zutragen.» Vielleicht hätte das jede Mutter irgendwann gesagt,wenn ihre Tochter den dritten Sommer in Folge die Jungenabteilungdurchstöberte, vielleicht spielte da zum ersten Malder frei-evangelische Glaube rein, den Ciaras Familie lebte, dieSorge darum, dass Ciara nicht das Leben als Mädchen führte,zu dem Gott sie gemacht hatte. Maik erinnert sich daran, wiesich Ciara in einem knallpinken Kleidchen als Brautmädchendurch den Tag quälte. Für die meisten Mädchen wär’s Wahnsinngewesen, mich eingeschlossen (okay – nicht in Pink, aber22 Polykum Nº 4/13-14 Tabu

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