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Of things past - The Anton K. Formann Memorial Pages

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<strong>Of</strong> <strong>things</strong> <strong>past</strong><strong>Memorial</strong> Bookfor <strong>Anton</strong> K. <strong>Formann</strong> (1949-2010)Edited by Martin Voracek©2012, <strong>The</strong> AuthorsOnline version: May 31, 2012www.antonformann.at/memorialbook.htm1


– Mit 30 Beiträgen, von –Dankmar BöhningInes M. BreinbauerBirgit Brenner-WalterChristoph BurgerPantelis ChristodoulidesMartina EdlRosemarie Felder-PuigGerhard H. FischerGeorg GittlerBrigitta HoysErich KirchlerSabine KochKlaus D. KubingerMichael KundiClaus LammIngo W. NaderJakob PietschnigKarl PiswangerBrigitte RollettBarbara RuppAnne H. E. SchildMichael G. SchimekChristiane SpielStefan StiegerKarl Ralf SwazinaReinhard TopfUlrich S. TranMartin VoracekKarin WaldherrGermain Weber2


Meine Erinnerungen an <strong>Anton</strong> (Toni) <strong>Formann</strong>Dankmar BöhningMein erster Kontakt zum Namen <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> geht zuBeginn der 1980er Jahre zurück, als ich mich für Mischverteilungenzu interessieren begann, die für mich zunächst nur eine interessantemathematische Geometrie aufwiesen. Später, ja sehr viel spätererkannte ich erst ihre fundamentale Bedeutung für die Statistik.Dabei fiel mir eine besondere Klasse von Mischverteilungsmodellenauf, die latenten Klassenmodelle, mit der der Name <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong>ungebrochen verknüpft ist. In diese Zeit fielen auch eine Reihe vonKonferenzen, in denen diese und ähnliche Modelle tiefer diskutiertwurden. Hier traf man u.a. Cliff Clogg (1995 verstorben), JürgenRost, Rolf Langeheine, Gerhard Arminger, Heinz Holling und eben<strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong>. Eine Vielzahl von Besuchen am Wiener Institut inder Liebiggasse folgten, viele davon längere Zeit. Besonders gerneerinnere ich mich an die Gespräche mit Toni. Wir konntenzusammen so herrlich schimpfen, über die Zeitschriften, die uns dasLeben so schwer machten. Oder über die lieben Kollegen, die wiedereinmal mehr dazu beigetragen hatten, dass ein Forschungsantragscheiterte. Aber alle Gespräch waren immer geprägt von einergroßen menschlichen Wärme, die Toni ausstrahlte, und die, jetzt woich diesen Text schreibe, mir bewusst so fehlt. Trotz allenRäsonierens – oder vielleicht gerade deshalb – entstanden3


gemeinsame Arbeiten und wurden publiziert (<strong>Formann</strong> & Böhning,2008), viele Ideen wurden diskutiert und probiert. EinForschungsfreisemester in Reading (UK) war geplant, aber dasSchicksal hatte andere Pläne. Vieles hatte man sich vorgenommenund blieb unvollendet. Was sich jedoch immer mehr vollendete, wareine tiefe Freundschaft zu Toni, über die in der Öffentlichkeit nichtsweiter zu berichten ist.Literatur<strong>Formann</strong>, A. K., & Böhning, D. (2008). Re: Insights into latent classanalysis of diagnostic test performance. Biostatistics, 9, 777-778.4


Versäumnisse?Ines M. Breinbauer(Dekanin der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft,Universität Wien)Nein, wir haben leider nicht das interdisziplinäre Gesprächzwischen Psychologie und Bildungswissenschaft vorangetrieben,nicht einmal in punkto Methodenfragen, bei denen der Austauschund wechselseitige Befruchtung wahrlich angezeigt wäre. Dabeihätten wir die besten Voraussetzungen dafür mitgebracht, mitunserer vergleichbaren Grundausbildung und der bis in dieStudententage zurück reichenden Vertrautheit.Ich spreche von jenen Zeiten (1967-1972), als die Zahl derStudierenden der Psychologie mindestens in den fortgeschrittenenSemestern überschaubar war, und man jedenfalls jene genauerkannte, die das seltsame Vergnügen an der ProbabilistischenTesttheorie und die Freude an der Überwindung der Schwächen derKlassischen Testtheorie einte. (Mich hat seither erstaunt, dassletztere, dessen ungeachtet, in anderen Fächern noch Jahrzehntenachher konkurrenzlos im Zentrum der Einführungsvorlesungen indie Statistik gestanden hat.)Die Kolleginnen und Kollegen aus jener Zeit, deren ich micherinnere, hatte noch eine andere Gemeinsamkeit: Sie studierten allemehr als nur Psychologie, machten entweder ein Studium Irregulare5


oder ein Doppelstudium mit Statistik, Informatik, Mathematik,Wirtschaftswissenschaft, o.a. Nicht jeder hat diese breite Anlagevon Interessen so weit getrieben wie Toni, der nicht nur die Veniadocendi für Psychologie (1985), sondern auch noch jene fürAngewandte Statistik (1999) erworben hat. Musste denn das sein?Hätte nicht der an der Sheffield Hallam University (Sheffield, UK)1998 erworbene Grad des Master of Science in Applied Statisticsgenügt, um den Makel der Hausberufung, den er wie einige andereunserer Generation durch Mehrleistung wett machen musste, zutilgen? Es war offenbar die Mühe wert, um an der Heimatuniversitätunserem verehrten Lehrer Gerhard Fischer auf die Professur fürMethodenlehre folgen zu können!Wir haben das interdisziplinäre Gespräch nichtvorangetrieben, wie wir es vielleicht hätten tun können, denn in denZeiten des Bemühens um eine gute Basis für Anerkennung an dereigenen Universität haben wir uns aus den Augen verloren. Erstdanach haben wir uns gelegentlich zum Essen getroffen. Zu dieserZeit aber standen wir ganz im Banne der Transformation derUniversität, der veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen, dersichtbar werdenden organisatorischen Änderungen, der sichverändernden Führungsaufgaben. Engagement fürManagementaufgaben an dieser neuen Universität wurde gegendrängende Forschungsinteressen abgewogen. Und wofür auch dieEntscheidung ausfalle, so gelte es doch jedenfalls, die6


Herausforderungen an Massenstudienrichtungen zu bewältigen.Wie es denn um die Validität der Aufnahmsprüfung in derPsychologie bestellt sei? Wie in der Psychologie die Sorge um dieQualität angesichts der Quantität diskutiert – und bearbeitet –werde? Wie sich in der Psychologie die organisatorischenÄnderungen und der Altersumbruch auf die – nunmehr –Fakultätskultur auswirke?Wir haben das interdisziplinäre Gespräch nichtvorangetrieben, wie wir es vielleicht hätten tun können, denn wirverloren uns auch vielfach im Beklagen der Mühen vonMassenvorlesungen. Beide hatten wir Methodenvorlesungen zuhalten – mittlerweile in unterschiedlichen Fächern. AlsMethodenvorlesungen waren und sind sie gleichermaßen unbeliebtbei Studierenden, die um einer – wie auch immer verstandenen –„Praxis“ willen studieren. Ein ergiebiges, aber wenig erquickliches<strong>The</strong>ma!Ein willkommener Ausstieg konnte da nur sein, dasGespräch auf die Afrika-Reisen zu lenken. Es gab ein Leben des Toni<strong>Formann</strong> außerhalb der Universität, und ein sehr spannendes nochdazu, Interessen, die ich dem Toni nie zugetraut hätte! Und dakonnte er ins Erzählen kommen, und ich nur mehr staunendzuhören und nachfragen und … … … wieder blieb dasinterdisziplinäre Gespräch auf der Strecke!7


Die Möglichkeit, eine korrigierende Erfahrung zumachen: <strong>Anton</strong> K. <strong>Formann</strong> als Lehrender – aus Sichteiner ehemaligen StudentinBirgit Brenner-WalterIn der Zeit, als ich mein Psychologiestudium absolvierte,musste im 4. Semester die Übung Praktische Durchführungpsychologischer Experimente (das sog. „Planungspraktikum“) belegtwerden. Um der großen Anzahl an Studierenden Herr zu werden,wurden mehrere Parallelkurse angeboten, die vonunterschiedlichen LehrveranstaltungsleiterInnen durchgeführtwurden.Um die StudentInnen möglichst gleichmäßig auf dieParallelveranstaltungen aufteilen zu können, wurde einegemeinsame Vorbesprechung durchgeführt, in deren Rahmen dieEinteilung erfolgte. Einige der LehrveranstaltungsleiterInnenkannten wir bereits aus anderen Vorlesungen, anderen eilte eingewisser Ruf voraus, sodass es besonders beliebte Kurse, aber auchweniger begehrte Übungsplätze gab. Prof. <strong>Formann</strong> war uns allenaus den Pflichtvorlesungen Methodenlehre und Testtheorie undTestkonstruktion bekannt; er galt als streng und unnahbar und hatteden Ruf, seinen StudentInnen mehr abzuverlangen als die meistenanderen PrüferInnen. Damit zählte er zu jenen8


LehrveranstaltungsleiterInnen, bei denen es noch ausreichend freiePlätze gab, während andere Kurse längst ausgebucht waren.Nachdem die Anzahl der zur Verfügung stehenden Teilnahmeplätzeaber auf die Anzahl der Studierenden abgestimmt war, musstennatürlich auch die Plätze bei Prof. <strong>Formann</strong> belegt werden.Einige meiner KommilitonInnen hatten Glück undergatterten einen Platz in der von ihnen gewünschtenVeranstaltung; ich war – wie meistens bei solchen Anlässen –wieder einmal nicht schnell genug. Als es nun galt, dieStudentInnen, die noch keinen Platz in einem Planungspraktikumhatten, auf die noch verfügbaren Plätze aufzuteilen bzw. ggf. durchTausch eine Gleichverteilung zwischen den Kursen herzustellen, warich wirklich erstaunt, wie viele meiner KommilitonInnen plötzlich zuWerkstudentInnen avancierten, die just immer an jenemWochentag, an dem das Planungspraktikum bei Prof. <strong>Formann</strong>stattfinden würde, Dienst hatten oder gerade an jenen Tagenzeitlich unverschiebbar anderen wichtigen Verpflichtungennachkommen mussten.Ich konnte meine MitstudentInnen nur allzu gut verstehen –wollte ich mein Planungspraktikum doch selbst auch nicht bei Prof.<strong>Formann</strong> absolvieren. Allerdings beschränkten sich meine eigenenArbeitszeiten als Werkstudentin mit wenigen Ausnahmen auf dieWochenenden, und ich wollte mich nicht der Schmach aussetzen,als Lügnerin dazustehen, sollte eine Bestätigung für die9


vermeintliche Verhinderung für eine Teilnahme am Kurs von Prof.<strong>Formann</strong> verlangt werden. So kam es, wie es kommen musste – ichwurde der Lehrveranstaltung von Prof. <strong>Formann</strong> zugeteilt.Allerdings hatte ich Glück bei der <strong>The</strong>menvergabe und mirwurde – gemeinsam mit Eva-Maria Fretska, einer mir bis dahinunbekannten Kollegin – jenes <strong>The</strong>ma zugesprochen, das mich vonallen zur Verfügung stehenden am meisten interessierte: WelcheAuswirkungen hat Depressivität auf Testergebnisse bzw.Verhaltensdaten in unterschiedlichen Leistungstests?Eva-Maria und ich waren durch das <strong>The</strong>ma motiviert,wollten vor allem aber auch den hohen Ansprüchen von Prof.<strong>Formann</strong> genügen und stellten sogleich Überlegungen an, wie wiran eine ausreichend große Anzahl geeigneter PatientInnenherankommen könnten. So beschlossen wir, mit derUniversitätsklinik für Psychiatrie (AKH Wien) Kontakt aufzunehmen.Wieder hatten wir Glück, und Prof. Grünberger, der Leiter desBereichs für Klinische Psychodiagnostik, ermöglichte es uns, an dreiTagen in der Woche bei ihm mitzuarbeiten und unterstützte uns beider Auswahl der testdiagnostischen Verfahren.Wir waren stolz, dass uns so früh in unserem Studium dieMöglichkeit geboten wurde, praktische Erfahrungen sammeln undmit „echten PatientInnen“ arbeiten zu können. Wir waren auchfroh, in Prof. Grünberger und seinem Stellvertreter, Herrn Dr.Linzmayer, externe, d.h. nicht institutszugehörige, Betreuer10


gefunden zu haben, die es uns erst einmal ermöglichten, denKontakt zu Prof. <strong>Formann</strong> aufs Notwendigste zu reduzieren.Als wir dann aber langsam realisierten, dass das vorrangigeInteresse unserer Arbeitsstelle und unserer Betreuer am AKHnatürlich nicht in der Unterstützung unsererPlanungspraktikumsarbeit bestand, und wir befürchten mussten,die erforderlichen Daten nicht innerhalb der vorgegebenen Zeiterheben zu können, sahen wir uns doch gezwungen, uns an Prof.<strong>Formann</strong> zu wenden. Wir hatten Angst, nicht wirklich Unterstützungbei Prof. <strong>Formann</strong> zu finden, vielleicht sogar mit Vorwürfenkonfrontiert zu werden, warum wir erst so spät zu ihm kämen – undbefürchteten schon, unsere Arbeit nicht zeitgerecht abschließen zukönnen.Doch dann lernten wir eine uns bis dahin völlig unbekannteSeite von Prof. <strong>Formann</strong> kennen: Nicht nur, dass er uns zuhörte undsich wirklich Zeit für uns und unsere Probleme nahm, stellte er vonsich aus Kontakt zu Dr. Linzmayer her, besuchte uns an unsererArbeitsstelle am AKH, traf Vereinbarungen mit den dortigenVerantwortlichen und gab damit unserer Planungspraktikumsarbeitund der damit verbundenen Datenerhebung einen Stellenwert, deruns unserem Ziel bedeutend näherbrachte.Prof. <strong>Formann</strong> hatte scheinbar selbst besonderes Interessean unserer Arbeit gefunden – er äußerte einmal, dass er es nicht fürmöglich gehalten hätte, dass es StudentInnen im 4. Semester11


gelingen könnte, eine größere Stichprobe depressiver PatientInnenfür eine zeitlich so begrenzte Studie wie einePlanungspraktikumsarbeit zu rekrutieren – und ich glaube, erschätzte unseren persönlichen Einsatz. Und nachdem wir von Prof.<strong>Formann</strong> so viel (unerwartete) Unterstützung erfahren hatten,wollten wir nun wiederum ihn nicht enttäuschen und setzten seineimmer neuen Auswertungsvorschläge – wenn aufgrund deszusätzlichen Arbeitsaufwandes auch nicht immer mit absoluterBegeisterung, so doch offensichtlich zu seiner vollsten Zufriedenheit– auch verlässlich um.Als uns Prof. <strong>Formann</strong> bei Vorliegen der fertigen Arbeitschließlich eröffnete, dass er sie nicht nur als ausgesprochengelungen sondern sogar als publikationswürdig betrachte und siebei einer renommierten deutschsprachigen Fachzeitschrifteinreichen wolle, waren wir nicht nur überrascht, sondernüberglücklich und auch unglaublich stolz – es war uns durchausbewusst, dass dies etwas ganz Besonderes bedeutete!Nach all der Unterstützung, die wir durch Prof. <strong>Formann</strong>erfahren hatten, konnten wir uns bei der Einreichung unsererVeröffentlichung noch ein weiteres Mal davon überzeugen, welchgroßes Anliegen es ihm war, junge Menschen zu unterstützen undzu fördern: Eva-Maria und ich wollten selbstverständlich Prof.<strong>Formann</strong> als Erstautor angeben, was er aber strikt ablehnte – Prof.<strong>Formann</strong> wollte seinen Namen als letzten in der AutorInnenreihe12


sehen. Nachdem dies aber wiederum für uns keinesfalls in Fragegekommen wäre, legten wir als „Kompromiss“ schließlich einealphabetische Reihung der Autorennamen fest.Im Verlauf meines Studiums ist es zu keiner weiteren sointensiven Zusammenarbeit mit Prof. <strong>Formann</strong> mehr gekommen,aber ich habe KommilitonInnen oft und gerne von meinenErfahrungen beim Planungspraktikum erzählt – und dadurchvielleicht auch andere dazu bewogen, sich dieser ganz besonderenHerausforderung in ähnlicher Weise zu stellen.Ich selbst habe dem Umstand, damals einer Zuteilung zumPlanungspraktikum von Prof. <strong>Formann</strong> nicht entgangen zu sein,einiges zu verdanken: Zum einen die Möglichkeit, als noch rechtjunge Studentin klinische Erfahrungen in einer nicht unbedeutendenpsychodiagnostischen Einrichtung sammeln zu können (im Zuge derDatenerhebung habe ich auch noch Kontakt zurNiederösterreichischen Landesnervenklink Mauer aufgenommen,was mir später bei der Suche nach einer Pflichtpraktikumsstellezugutekommen sollte), zum anderen eine ebenfalls recht früh inmeiner beruflichen Laufbahn datierte Veröffentlichung in einerrenommierten Fachzeitschrift (Brenner, <strong>Formann</strong>, & Fretska, 1992),auf die ich bislang noch in jedem Bewerbungsgesprächangesprochen worden bin.Weiters stellte diese Arbeit den Anlass dafür dar, meinenMann Heimo näher kennen und lieben zu lernen: Anfang der 1990er13


Jahre gab es nur wenige Personen in meinem Bekanntenkreis, dieeinen PC besaßen – Heimo war einer davon, und er stellte mirdamals seinen PC für die elektronische Verarbeitung unserer Studiezur Verfügung. Und schließlich wurde mir dadurch ermöglicht,meine bisherige Wahrnehmung und Einstellung gegenüber einemganz besonderen Menschen in Frage zu stellen, Vorurteile zukorrigieren und eine wertvolle menschliche Erfahrung zu machen.LiteraturBrenner, B., <strong>Formann</strong>, A. K., & Fretska, E.-M. (1992). DieAuswirkungen von Depressivität auf Intelligenztestleistung,Konzentrationsfähigkeit und feinmotorische Geschicklichkeit.Zeitschrift für Differentielle und Diagnostische Psychologie, 13,191-206.14


<strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> aus der Sicht eines Studenten undStudienassistentenChristoph BurgerIch durfte <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> vornehmlich aus der Sicht einesStudenten und studentischen Mitarbeiters des ArbeitsbereichsMethodenlehre am Institut für PsychologischeGrundlagenforschung an der Universität Wien kennenlernen. Ganzgenau kann ich mich noch an meine erste Begegnung mit <strong>Anton</strong><strong>Formann</strong> erinnern – es war im Oktober 2003, als ich alsunerfahrener Studienanfänger des Lehramtsstudiums Englisch undPsychologie/Philosophie aus Interesse auch die für dasDiplomstudium gehaltene Ringvorlesung Psychologie alsWissenschaft besuchte. <strong>Formann</strong>s Ausführungen überunterschiedliche komplexe Versuchspläne und die Möglichkeit,dadurch Störvariablen ausschalten zu können, weckten in mir dieFaszination für die psychologische Forschung und trugenmaßgeblich dazu bei, dass ich mich im Jahr darauf entschied,zusätzlich zu meinem Lehramtsstudium auch das DiplomstudiumPsychologie zu inskribieren.Das zweite Mal traf ich <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> – noch immer in derRolle des passiv-zuhörenden Vorlesungsbesuchers – in denVorlesungen Psychologische Methodenlehre und Statistik I & II und15


Testtheorie und Testkonstruktion, wo es ihm ein besonderesAnliegen war, die für so manche/n Studierende/n schwererverständlichen Formeln anhand von praktischen Beispielenanzuwenden und damit leichter fassbar zu machen. Dies warnatürlich kein einfaches Unterfangen, hatte er doch gegenverschiedene nicht zu unterschätzende studentische Faktoren wieMathematikangst, mangelnde Wertschätzung der Statistik,Desinteresse, fehlende mathematische Grundkenntnisse, undFaulheit anzukämpfen. Auf Manifestationen der ersteren reagierteer meist auf seine typische ironische, schwarz-humorige Art undWeise (für Fachliches von ihm zu Humor, vgl. Stieger, <strong>Formann</strong>, &Burger, 2011). Für die letzteren zeigte er allerdings meist wenig bisgar kein Verständnis. Ich kann mich noch genau an eine Standpaukeerinnern, die <strong>Formann</strong> aus Verzweiflung heraus während einerStatistik-Vorlesung hielt, nachdem er gemerkt hatte, dass derGroßteil der Vorlesungsbesucher es verabsäumt hatte, dieVorlesungsmaterialien – wie von <strong>Formann</strong> ausdrücklich gewünscht –vor der Vorlesung durchzuarbeiten.Näher durfte ich <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> kennenlernen, als ich imWintersemester 2009/10 bei ihm das Fachliteraturseminar und dasDiplomandenseminar besuchte. Die Teilnahme an diesenprüfungsimmanenten interaktiven Kursen mit geringererTeilnehmerdichte ermöglichte es mir, aus der bisherigen eherpassiven Rolle des Vorlesungszuhörers herauszuschlüpfen und eine16


aktivere, interaktive Rolle zu übernehmen.Im Fachliteraturseminar traf dies sogar auf eine sehrintensive Art und Weise zu. Normalerweise für um die zwanzigTeilnehmer ausgelegt, waren es im Wintersemester 2009/10inklusive mir nur fünf Studierende, die an <strong>Formann</strong>s Kursteilnahmen. Diese überschaubare Teilnehmeranzahl erlaubte abernicht nur eine viel intensivere fachliche Auseinandersetzung (jederTeilnehmer musste zwei Präsentationen halten und mehrere Artikelaus statistischen Fachjournalen vorstellen), sondern auch <strong>Formann</strong>snüchtern-schwarzen Humor mit feiner Klinge aus nächster Nähe zuerfahren. Seine oft ironisch-sarkastischen Anmerkungen trafenmeist genau den Punkt, zeigten treffsicher Widersprüche auf undregten so gut wie immer zum selbstständigen kritischenNachdenken an.Im Gegensatz zum Fachliteraturseminar lag dieBesucherzahl im Diplomandenseminar immer im zweistelligenBereich. Es war so gestaltet, dass in jeder Einheit jeweils zweiDiplomanden ihr Forschungsvorhaben darstellten – entweder inForm eines Planungsreferats, Zwischenberichts oderAuswertungsreferats. <strong>Formann</strong> legte großen Wert auf einestrukturierte, gut durchdachte Vorgehensweise und machte sichwährend der Referate immer wieder Notizen. Nach dem Referatwaren dann zuerst immer die anderen Diplomanden an der Reihe,Fragen zu stellen, und mögliche Schwachpunkte des Vorhabens17


aufzudecken und gleichzeitig auch konstruktive Anmerkungen fürVerbesserungen vorzuschlagen. <strong>Formann</strong> selbst machte seineAnmerkungen und Kritikpunkte – wohl um nichts vorwegzunehmen– meist erst nach den Studierenden. Er bewertete zuerst immer dieRelevanz der Studierendenkommentare und offenbarte letztendlichauch, was ihm selbst am vorgestellten Forschungsvorhabenproblematisch erschien und wie man potentielle Problemeverhindern könnte. Dabei band er auch immer wieder dieMeinungen der anwesenden Studierenden ein und hob jene hervor,die seine Gedanken vorweggenommen hatten. Ich selbst war jedesMal sehr gespannt auf seine Einschätzungen und Kommentare.Seine Sichtweise der Dinge empfand ich immer als sehr profund undhöchst aufschlussreich. Er verstand es, Dinge aus unerwartetenPerspektiven zu betrachten, die sich nach näherer Betrachtungallerdings als höchst relevant herausstellten. Die von <strong>Formann</strong>gehaltenen Seminare waren daher für das weitere Ausbauen derkritischen Denkfähigkeit und einer hypothesengeleitetenHerangehensweise an ein Forschungsvorhaben für diestudentischen Teilnehmer höchst lehrreich und prägten auch michmit Sicherheit nachhaltig.Anfang des Jahres 2010 wurde ich darauf hingewiesen, dassim Arbeitsbereich Methodenlehre Studienassistentenstellen zubesetzen seien. Nach dem Übermitteln meinerBewerbungsunterlagen wurde ich zu einem Bewerbungsgespräch18


ei <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> und Martin Voracek eingeladen. Meine Freudewar groß, als mir schließlich mitgeteilt wurde, dass ich ab März 2010als Studienassistent am Arbeitsbereich Methodenlehre arbeitendurfte. <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> ließ uns Studienassistenten immer großeFreiheiten und Flexibilität in der Einteilung unserer Aufgaben. Wennwir etwas von ihm brauchten oder ein Anliegen hatten, war er stetsfür uns da. Das breite Spektrum seiner methodischen,naturwissenschaftlichen, aber auch sozialwissenschaftlichenKenntnisse ermöglichte es ihm immer, helfende Ratschläge zugeben und mitzudiskutieren, wenn man nicht mehr weiter wusste.Meine letzte Begegnung mit <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> fand bei derPosterausstellung der Jungwissenschaftler statt, die am 2.7.2010 ander Fakultät für Psychologie abgehalten wurde. Ich durfte dort einPoster (gemeinsam mit Stefan Stieger) über die implizite Erfassungvon Angst vorstellen und freute mich, auch <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> unterden interessierten Besuchern meines Posters vorzufinden. Ich waraußerordentlich stolz, dass er sich die Zeit nahm, sich über dieFrüchte meiner Arbeit zu informieren und empfand dies alsbesondere Anerkennung.<strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> war und wird für mich immer ein großesVorbild bleiben. Er besaß nicht nur enormes Fachwissen undExpertise in den Bereichen Psychologie, Statistik und Psychometrie,sondern seine Kompetenzen gingen weit über diese Bereichehinaus. Er war jedoch stets sehr bescheiden, obwohl er im Laufe19


seiner akademischen Karriere eine Vielzahl an komplexenProblemen, an denen bereits andere renommierte Forschergescheitert waren, auf innovative und unkonventionelle Weiseerfolgreich löste. Sein Tod ist nicht nur ein großer Verlust für alle,die ihn kannten, sondern sicherlich auch ein harter Schlag für dasgesamte Forschungsfeld. Mir wird, neben seiner fachlichenKompetenz und seinen wissenschaftlichen Errungenschaften, auchstets sein für ihn so charakteristischer nüchterner Humor inErinnerung bleiben.LiteraturStieger, S., <strong>Formann</strong>, A. K., & Burger, C. (2011). Humor styles andtheir relationship to explicit and implicit self-esteem.Personality and Individual Differences, 50, 747-750.20


Ein lustiges Erlebnis mit meinem ChefPantelis ChristodoulidesWährend meiner Zeit als Universitätsassistent (1999-2004)habe ich im Rahmen einer Publikation mit Prof. <strong>Formann</strong> intensiv ander richtigen Eingabe einer Effektmatrix bei einer LCA-Softwaregebastelt. Aus dem Softwaremanual war gar nicht einleuchtend,welche die richtige Position der „0“ and „1“ sein sollte – ich habelange alle für mich logischen Varianten durchprobiert, leider ohneErfolg und bin dann mit diesem Problem zu Prof. <strong>Formann</strong>gegangen; ich hatte eigentlich zu dem Zeitpunkt schon alleHoffnungen aufgegeben und war schon in Gedanken, den Autordieser Software zu kontaktieren und ihn um Hilfe zu bitten.Prof. <strong>Formann</strong> schaute die Matrix kurz an und schlug eineandere, völlig unterschiedliche Version vor, die zu meiner großenÜberraschung sofort funktionierte. Als ich ihn fragte, wieso erüberhaupt und so schnell auf die richtige Matrixaufstellung kam,sagte er wortwörtlich und lächelnd: Weil ich der Chef bin. LogischerGedankenaustausch war mit ihm ein Genuss, den man gar nicht oftfinden kann.21


Mein Büroalltag mit Professor <strong>Formann</strong>Martina EdlAls ich im Jänner 1998 am damaligen Institut für Psychologieim Arbeitsbereich Methodenlehre unter Prof. Gerhard Fischer zuarbeiten begann, waren meine Berührungspunkte mit Herrn Prof.<strong>Formann</strong> nur sehr sporadisch, und ich bekam ihn meist nur zuGesicht, wenn er – bereit für das Mittagessen mit Herrn Prof.Fischer – mit Hut und Jacke vor meiner Bürotür stand, um ihnabzuholen.Ganz überraschend kündigte Prof. Fischer kaum ein Jahrspäter seinen Ruhestand an und Prof. <strong>Formann</strong> musste dieinterimistische Leitung des Arbeitsbereichs übernehmen. Obwohlich kurz davor mein Studium abgeschlossen hatte, versprach ichmeinem neuen Chef, dass ich mich nicht gleich nach einem„adäquaten“ Job umsehen würde, sondern ihn noch eine Weile inseiner ungewohnten neuen Rolle unterstützen würde.Nach und nach näherten wir uns einander an (ich traue michzu sagen, dass wir ein sehr gutes Team wurden) und unseretäglichen – nicht nur fachlichen – Gespräche wurden immerausgedehnter. Üblicherweise kam ich vor ihm ins Büro und freutemich jeden Tag darauf, mit welchem Gesprächsthema er mich heuteüberraschen würde. Er hatte diese besondere Art von trockenemHumor, die mir sehr gefällt und die mir ganz besonders fehlt, seit er22


mich nicht mehr in meinem Büro „besuchen“ kann.Später (nachdem ich von meiner Karenz zurückgekehrt warund er Hundebesitzer wurde) drehten sich unsere Gespräche oft umHunde- bzw. Kindererziehung, und wir entdeckten nicht seltenunerwartete Parallelen. Die Nachbesetzung der vakanten Professurdauerte länger als erwartet, und ich blieb länger als erwartet, da ichdie Zusammenarbeit mit Prof. <strong>Formann</strong> sehr zu schätzen wusste. Erließ mich immer spüren, dass er mir vertraute, und dieses Gefühl istfür mich am Arbeitsplatz absolut wichtig. Als er sich zum Beispieleinmal für längere Zeit im Krankenstand befand, besuchte ich ihn zuHause, um ihn am Laufenden zu halten und auch, um wichtigeUnterschriften zu bekommen – er war ein sehr pflichtbewussterMann. Manchmal, wenn er seine Hündin Filia zur Arbeit mitnehmenmusste und zu einer Sitzung ging, durfte ich das „Hundesitting“übernehmen und Filia wartete sehnsüchtig auf ihn. Sie legte sichimmer zur Tür, um ja nicht die Rückkehr ihres geliebten Herrchenszu verpassen.Besonders nett fand ich immer, wenn viel Arbeit zuerledigen war und er mich noch mit zusätzlicher Arbeit beauftragenmusste, dass er sich immer dafür entschuldigte!Ich habe Herrn Prof. <strong>Formann</strong> sehr bewundert. Abgesehenvon seinem wunderbaren Humor hatte er eine seltene Kombinationvon mir wichtigen Eigenschaften in sich vereint: Er war ein sehrkluger Mann, der sein Wissen aber niemandem aufdrängte. Er war23


sehr ehrlich und sagte seine Meinung, auch wenn er wusste, dass ersich damit keine Freunde schaffen würde. Und er hatte noch soviele Pläne, die nun nicht mehr realisiert werden können.Manchmal, wenn ich Schritte am Gang höre, die seinenSchritten ähnlich sind, ertappe ich mich immer noch dabei, dass ichwartend zur Türe blicke. Ich vermisse ihn sehr!24


Erinnerungen an den akademischen Lehrer Prof. Dr.<strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong>Rosemarie Felder-PuigIch war gerade in Sommerurlaub, als mich die Nachrichtvom plötzlichen Ableben von Herrn Prof. <strong>Formann</strong> erreichte.Obwohl ich mir vorher nie so bewusst darüber war, erkannte ich zudiesem Zeitpunkt, dass ich meinen wichtigsten akademischenLehrer und Begleiter verloren hatte.Ich lernte Herrn Prof. <strong>Formann</strong> während desPsychologiestudiums, im Zuge des Planungspraktikums, kennen. Ichgenoss diese Stunden von Anfang an. Er brillierte nicht nur durchfachliche Kompetenz, sondern auch durch sein echtes Interesse anSachverhalten, mit denen er nicht so vertraut war, und seinenunvergleichlichen Humor. Er brachte mich oft zum Lachen, was michumso mehr motivierte, auch alles andere, was er sagte, begierigaufzunehmen.Nach dem Planungspraktikum war klar für mich, dass ichauch alle anderen Lehrveranstaltungen, die er anbot, besuchenwürde. Ich schrieb bei ihm eine Diplomarbeit zum <strong>The</strong>maLebensqualität von pädiatrischen Knochentumorpatient/inn/en(Felder-Puig, 1996) – ein klinisches <strong>The</strong>ma, mit dem er sich abertrotzdem voller Interesse und Hingabe beschäftigte.25


Nach Ende des Studiums und der Geburt meines erstenSohnes begann ich, für das St. Anna-Kinderspital wissenschaftlich zuarbeiten (Felder-Puig, <strong>Formann</strong>, Mildner, Bretschneider, Bucher,Windhager, Zoubek, Puig, Gadner, & Topf, 1997a, 1997b; Felder-Puig, <strong>Formann</strong>, Mildner, Bretschneider, Bucher, Windhager, Zoubek,Puig, & Topf, 1996, 1998). Wiederholt besuchte ich ihn in seinerSprechstunde, um mir Rat von ihm zu holen. Immer erhielt ich vonihm kompetente Antwort auf meine Fragen, und oft ergaben sichinteressante Gespräche, die er mit kritischen, aber humorvollenKommentaren würzte.Nachdem meine beiden Söhne das Schulalter erreichthatten und mir klar war, dass mich die Wissenschaft nicht mehr„loslassen“ würde, entschloss ich mich, eine Dissertationanzustreben. Natürlich war er meine „erste Adresse“ dafür. Da ichzu dem Zeitpunkt schon einige Publikationserfahrung hatte, war ichsehr dankbar dafür, dass er meine Bitte, eine kumulativeDissertation (Felder-Puig, 2009) verfassen zu dürfen, sofort annahm.Wir schafften drei Publikationen in sehr guten Fachjournalen(Felder-Puig, Baumgartner, Topf, Gadner, & <strong>Formann</strong>, 2008; Felder-Puig, Topf, Gadner, & <strong>Formann</strong>, 2008; Felder-Puig, Topf,Maderthaner, Gadner, & <strong>Formann</strong>, 2009). Der Weg zum Rigorosumwar trotzdem nicht einfach, aber er unterstützte mich bei derÜberwindung aller Probleme.Seit einiger Zeit bin ich eine Führungskraft in einem Ludwig26


Boltzmann-Institut, und ich muss sagen, es wäre schön, wenn ernoch da wäre, ich ihn noch ab und zu besuchen und mit ihmGespräche führen könnte. Ich vermisse ihn, so wie daswahrscheinlich viele andere Menschen auch tun.LiteraturFelder-Puig, R. (1996). Lebensqualität von jungen Patienten nach<strong>The</strong>rapie maligner Knochentumoren. UnpublizierteDiplomarbeit, Universität Wien.Felder-Puig, R. (2009). Lebensqualität von Wiener Volksschülern.Unpublizierte Dissertation, Universität Wien.Felder-Puig, R., Baumgartner, M., Topf, R., Gadner, H., & <strong>Formann</strong>,A. K. (2008). Health-related quality of life in Austrianelementary school children. Medical Care, 46, 432-439.Felder-Puig, R., <strong>Formann</strong>, A. K., Mildner, A., Bretschneider, W.,Bucher, B., Windhager, R., Zoubek, A., Puig, S., Gadner, H., &Topf, R. (1997a). Psychosozialer Status von jungen Patientennach <strong>The</strong>rapie maligner Knochentumoren [Abstract].Monatsschrift für Kinderheilkunde, 145, 165.Felder-Puig, R., <strong>Formann</strong>, A. K., Mildner, A., Bretschneider, W.,Bucher, B., Windhager, R., Zoubek, A., Puig, S., Gadner, H., &Topf, R. (1997b). Quality of life and psychosocial adjustment ofyoung patients after treatment of bone cancer [abstract].Quality of Life Research, 6, 643-644.27


Felder-Puig, R., <strong>Formann</strong>, A. K., Mildner, A., Bretschneider, W.,Bucher, B., Windhager, R., Zoubek, A., Puig, S., & Topf, R.(1996). Quality of life and psychosocial adjustment of youngpatients with malignant bone tumours after treatment end[abstract]. Medical and Pediatric Oncology, 27, 271.Felder-Puig, R., <strong>Formann</strong>, A. K., Mildner, A., Bretschneider, W.,Bucher, B., Windhager, R., Zoubek, A., Puig, S., & Topf, R.(1998). Quality of life and psychosocial adjustment of youngpatients after treatment of bone cancer. Cancer, 83, 69-75.Felder-Puig, R., Topf, R., Gadner, H., & <strong>Formann</strong>, A. K. (2008).Measuring health-related quality of life in children fromdifferent perspectives using the Pediatric Quality of LifeInventory (PedsQLTM) and teachers’ ratings. Journal of PublicHealth, 16, 317-325.Felder-Puig, R., Topf, R., Maderthaner, R., Gadner, H., & <strong>Formann</strong>, A.K. (2009). Konzept der „gesundheitsbezogenen Lebensqualität“in der Pädiatrie: Nutzen für dieGesundheitsfürsorge, -forschung und -planung. Monatsschriftfür Kinderheilkunde, 157, 675-682.28


Einige Reflexionen betreffend die historischen Wurzelndes Arbeitsschwerpunktes von <strong>Anton</strong> („Toni“) <strong>Formann</strong> 1Gerhard H. FischerAls im Jahre 1972 an der Abteilung für Methodik desdamaligen Psychologischen Instituts eine WissenschaftlicheHilfskraft 2 anzustellen war, fragte ich meine Mitarbeiter, ob sie mirjemanden aus dem Kreis unserer Studierenden vorschlagenkönnten. Man sagte mir, ein gewisser Herr <strong>Formann</strong> sei positivaufgefallen, der sich in den Lehrveranstaltungen zwar selten zuWort meldete, aber bei schwierigeren Fragen oft als einziger Hörerdie richtige Antwort wusste. Ich lud ihn zu einem persönlichenVorstellungsgespräch ein und stellte danach einen Antrag an diePhilosophische Fakultät 3 , mit etwa folgendem Wortlaut: Die hoheFakultät möge beschließen, Herrn <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong>, geb. am27.8.1949, österreichischer Staatsbürger, Studierender mitHauptfach Psychologie und Nebenfach Statistik an der UniversitätWien, auf die dem Psychologischen Institut, Abteilung für Methodik,gemäß Erlass BMU/… 4 , zur Verfügung gestellte halbe1 Vortrag gehalten anlässlich der Gedenkveranstaltung für <strong>Anton</strong> K. <strong>Formann</strong> an der Fakultät fürPsychologie am 16.1.2012. – Zahlreiche biografische Angaben in diesem Artikel sind Wikipedia oderanderen Internetquellen entnommen; die Richtigkeit kann daher nicht für alle angeführten Detailsgarantiert werden.2 Frühere Bezeichnung für Studienassistenten.3 Diese umfasste sowohl die Geistes- als auch die Formal- und Naturwissenschaften, somit also auch diePsychologie.4 Hier folgte die Aktenzahl des Erlasses des damals zuständigen Bundesministeriums für Unterricht (BMU).29


Assistentenstelle als wissenschaftliche Hilfskraft ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt anstellen zu wollen. Solche Anträge wurden inder Fakultät quasi automatisch in einem Umlaufverfahren währendlaufender Fakultätssitzung erledigt, soferne kein Fakultätsmitgliedeinen begründeten Einspruch erhob. Toni <strong>Formann</strong> konnte danntatsächlich an dem auf die Fakultätssitzung folgenden Monatserstenseinen Dienst antreten. 5Die spezifischen Begabungen von Toni <strong>Formann</strong> traten raschzutage. Wenngleich Schnelligkeit nicht seine hervorstechendsteEigenschaft war, erwies sich seine Arbeit aufgrundaußergewöhnlicher Genauigkeit und Fehlerfreiheit als durchauseffizient. Seine Präzision, seine abstrakte Intelligenz und dieentsprechende intrinsische Motivation prädestinierten ihn geradezufür die Computerprogrammierung, und somit wurde diewissenschaftliche Programmentwicklung von Anfang an einer seinerTätigkeitsschwerpunkte. Inhaltlich orientierte sich diese Arbeitnaturgemäß zunächst stark an meinen eigenenForschungsinteressen, die er als wissenschaftliche Hilfskraft, wiediese Bezeichnung ja ausdrückt, zu unterstützen hatte. So entstanderst einmal ein Computerprogramm für die bedingte MaximumLikelihood (ML)-Schätzung für das Lineare Logistische Testmodell(LLTM), an dessen Anwendungsmöglichkeiten wir damals besonders5 Heute würde man eine solche Abwicklung von Verwaltungsagenden mit Lean Management bezeichnen;diesen neudeutschen Ausdruck kannten wir damals allerdings noch nicht, wir hatten ja auch weder einScientific Advisory Board noch Managementberater zu unserer Unterstützung.30


interessiert waren (Fischer & <strong>Formann</strong>, 1972). Es beruhte zunächstnoch auf einem robusten, aber langsamen Gradientenverfahren,das später ebenfalls von Toni <strong>Formann</strong> durch den raschkonvergenten Newton-Raphson-Algorithmus ersetzt wurde(veröffentlicht in Fischer, 1974). Beide Programmversionen wurdenin den Folgejahren vielfach in Deutschland und den Niederlandensowie vereinzelt auch in den USA übernommen und verwendet. Wieuns bekannt wurde, nahmen in diesen Ländern etlichewissenschaftliche Karrieren von der Anwendung des LLTMs mittelsdieser Computerprogramme ihren Ausgangspunkt. Toni <strong>Formann</strong>verwendete es selbst auch in seiner empirischen Dissertation(<strong>Formann</strong>, 1973).Nach seiner Promotion 1973 fragte mich Toni <strong>Formann</strong>eines Tages, ob ich ihm ein <strong>The</strong>ma für seine weitere, eigenständigeArbeit raten könne. Ich schlug ihm vor, ein Computerprogramm fürdie ML-Schätzung in Lazarsfelds Latent Class Analysis (LCA;Lazarsfeld, 1950) zu entwickeln und anschließend dieVerwendbarkeit der LCA für psychologische Fragestellungen näherzu untersuchen. Die erforderlichen Schätzgleichungen waren zwarbereits in dem bekannten Buch von Lazarsfeld und Henry (1968)enthalten, doch erwähnten die Autoren, dass sich dieser Ansatz alswenig brauchbar erwiesen hatte, weil zumeist einzelneParameterschätzungen divergierten. (Übrigens hatte sich auch31


ereits Hartmann Scheiblechner 6 in Wien an demselben Problemerfolglos versucht. Es handelte sich also zweifellos nicht um eintriviales <strong>The</strong>ma.) Toni <strong>Formann</strong> nahm meine Anregung auf, und dieBeschäftigung mit Item-Response-<strong>The</strong>orie (IRT) in Verbindung mitder LCA zog sich schließlich wie ein roter Faden durch sein gesamteswissenschaftliches Werk.Um dem Titel meines Vortrages gerecht zu werden undaufzuzeigen, warum mich, und in der Folge ebenso Toni Forman,diese psychometrischen Problemstellungen besonders faszinierten,lade ich Sie nun ein, mit mir einen kurzen Rückblick auf einigehistorische Aspekte der Psychologie im deutschsprachigen Raumnach dem Zweiten Weltkrieg zu werfen.Der Exodus vieler Wissenschaftler während dernationalsozialistischen Ära, der Krieg und die Wirren der erstenNachkriegszeit hatten die deutschsprachige Psychologie umJahrzehnte zurückgeworfen. Als Ende der 1940er Jahre eineinigermaßen normaler universitärer Betrieb wieder aufgenommenwerden konnte, versuchte man vielerorts die früheredeutschsprachige, überwiegend geisteswissenschaftlich orientiertePsychologie der Zwischenkriegszeit quasi fortzuschreiben.Dementsprechend war noch bis etwa Anfang der 1960er Jahre der6 Er wurde Anfang 1969 mein allererster Assistent und trat bereits 1972 eine Professur im Fachbereich derPhilipps-Universität Marburg/Lahn an, die er bis 2004 innehatte. Seine hauptsächlichen Beiträge liegen aufdem Gebiet der nonparametrischen Item-Response-<strong>The</strong>orie (IRT). Bedauerlicherweise ist auch er im Jahre2010 verstorben.32


geisteswissenschaftliche Ansatz das vorherrschende Paradigma, 7was sich z.B. auch in den Kongressen der Deutschen Gesellschaft fürPsychologie (DGPs) manifestierte. Freilich gab es auchexperimentell-naturwissenschaftlich ausgerichtete Institute, wie z.B.unter den Professoren Hubert Rohracher 8 in Wien, Heinrich Düker 9in Marburg/Lahn, Kurt Gottschaldt 10 in Göttingen und FriedhardtKlix 11 an der Humboldt-Universität in Berlin. Um sich von derhermeneutischen Psychologie zu emanzipieren, richtete eine kleineGruppe von experimentell arbeitenden Psychologen unter Führungvon Heinrich Düker eigens eine jährliche, kleinere Tagung außerhalbder DGPs ein, wo sich die Experimentalpsychologen ungestörtaustauschen konnten. Diese Gruppe zumeist jüngerer Psychologen,welche insbesondere die US-amerikanische Literatur verstärktrezipierte, machte sich dann zunehmend auch auf den alle zweiJahre stattfindenden, großen Kongressen der DGPs bemerkbar undtrat in Konkurrenz zur dort etablierten Psychologie.Im Jahre 1962 fand der DGPs-Kongress in Würzburg statt, an7Das traf ebenso auch auf die deutschsprachige Pädagogik, Soziologie, Ökonomie und andereSozialwissenschaften zu.8 Vorstand des Wiener Psychologischen Instituts von 1945 bis zu seinem Tod im Jahre 1972. In seinerEinführung in die Psychologie (8. Aufl., 1971) ordnet er auf S. 11 die Psychologie eindeutig denNaturwissenschaften zu.9 1946-47 Oberbürgermeister von Göttingen, Professor in Marburg 1947-1967.10 1946-62 Professor an der Humbolt-Universität Berlin, 1962-70 in Göttingen.11Autor eines innovativen Lehrbuchs (Information und Verhalten), arbeitete interdisziplinär mitMathematikern, Ingenieuren, Physikern und Biologen zusammen, ab 1962 Professor an der Humboldt-Universität Berlin, 1980-84 Präsident der Internationalen Gesellschaft für Psychologie.33


dem zufällig Giselher Guttmann 12 und ich – beide damals nochwissenschaftliche Hilfskräfte am Wiener Psychologischen Institut –erstmals teilnehmen durften. Auf diesem Kongress hielt <strong>The</strong>odorScharmann 13 einen Plenarvortrag, in welchem er wortreich einestark geisteswissenschaftlich geprägte Psychologie vertrat. ImAnschluss daran ergab sich eine heftige Diskussion zwischenVertretern des geisteswissenschaftlich-verstehenden und desexperimentell-naturwissenschaftlichen Ansatzes der Psychologie.Wortführer der letzteren Gruppe war Peter Hofstätter 14 , welcherdie hin und her wogende Auseinandersetzung schließlich durch einetaktische Meisterleistung zugunsten des Positivismus entschied: Ererklomm das Podium, ergriff das Mikrofon und gab es nicht mehrher. – Von diesem Zeitpunkt an lieferten die Hermeneutiker auf denPsychologiekongressen in zunehmendem Maße nur nochRückzugsgefechte.Die 1960er Jahre sahen in Deutschland den Ausbau derbestehenden und die Gründung zahlreicher neuer Universitäten. Dieneuen, zumeist jüngeren Professoren für Psychologie und derenMitarbeiter waren in aller Regel der experimentellen Methodikverpflichtet. Im Enthusiasmus dieser neuen Zeit wurde kurzerhand12 1968-2002 Professor am Institut für Psychologie der Universität Wien, 2000 Gründungsrektor derUniversität für Humanwissenschaften in Liechtenstein, 2005 Gründungsdekan der Sigmund Freud-Privatuniversität in Wien.13 Wirtschafts- und Sozialpsychologe, damals Professor für Psychologie an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen-Nürnberg, 1966-77 Vorstand des Instituts für Psychologie an der Johannes Kepler-Universität Linz.14 Aus Österreich gebürtiger Sozialpsychologe, Inhaber des Lehrstuhls für Psychologie I an der UniversitätHamburg, Autor bekannter Standardwerke der Sozialpsychologie (Hofstätter, 1957, 1959).34


alles irgendwie empirisch beforscht, wenn auch oft ohneausreichende theoretische Reflexion. Vieles wurde von derangloamerikanischen Forschung unbekümmert übernommen.Aufgaben oder Fragen wurden leichthin zu „Skalen“zusammengefasst und diese als „operationale Definitionen“ einer zuquantifizierenden Eigenschaft angesehen. Ich erinnere mich z.B.noch ganz genau, was ich selbst etwa um 1960 als Hörer einerdamaligen Lehrveranstaltung über Testkonstruktion lernte: JedesItem in einem Persönlichkeitsfragebogen, das mit dem Gesamtscorekorreliert, ist informativ betreffend die zu messende Eigenschaft unddaher nützlich. Durch diesen Lehrsatz war man also gewissermaßenentschuldigt, wenn man keine theoretische Vorstellung über denlatenten Trait entwickelte.Sobald solche Verhaltensmerkmale miteinanderkorrelierten, wurde für sie schnell ein neues Konstrukt, eine sog.„Dimension“, postuliert. Besondere Unterstützung hierfür liefertedie Faktorenanalyse (FA), die weithin als die Methode der Wahlangesehen wurde, umso mehr als deren Berechnung durch diezunehmende Verfügbarkeit von Computern bald keinennennenswerten Aufwand mehr darstellte. Zwei oder drei Dutzendderartiger Variablen an einer Stichprobe von wenigen hundertPersonen zu erheben, stellte keine große Hürde dar, eine FA warschnell gerechnet, und das Ergebnis konnte schon „interpretiert“werden. Letzteres war ebenfalls nicht allzu schwierig, handelte es35


sich doch meist nur um unverbindliche verbale Umschreibungen;jedenfalls kam es wohl kaum vor, dass jemand die erhalteneFaktorenstruktur nicht hätte interpretieren können. So kam manjedenfalls relativ leicht zu einer publizierbaren Arbeit. Auch sonstwurden Korrelationen immer mehr zu einem Kernthema derempirischen Psychologie. Eine zweite Stoßrichtung warenGruppenvergleiche: Kombinierte man beliebige Variablen mit denunzähligen möglichen Untergruppen oder Teilpopulationen vonPersonen, ergab sich eine unerschöpfliche Menge möglicherstatistischer Vergleiche, von denen immer ein Teil signifikantausfallen musste. Wiederum war viel Raum für Interpretationen undPublikationen gegeben, umso mehr als die Wiederholung vonStudien damals zu widersprüchlichen Resultaten führte.Manche von uns beschlich allmählich ein Unbehagen. Ichjedenfalls war durch einen solchen Mangel an theoretischerFundierung zunehmend unbefriedigt und speziell auch gegenüberder Faktorenanalyse skeptisch, denn aus den Ergebnissen einergemeinsam mit Josef Roppert 15 durchgeführten frühenSimulationsstudie (Fischer & Roppert, 1965) war zu schließen, dassdie FA offensichtlich kein taugliches Modell für die Psychologie war(s. auch Fischer, 1968). Unabhängig davon gelangten auch andereAutoren zu einer ähnlich kritischen Sichtweise (z.B. Kalveram, 1965),15 Damals Assistent am Institut für Statistik und Leiter des EDV-Zentrums der Universität Wien, ab 1966Professor für Mathematik und Statistik an der Wirtschaftsuniversität Wien.36


wenngleich aufgrund anderer Argumente.Gerade in dieser Zeit war also der Boden dafür bereitet,dass es generell in Europa, und da ganz speziell in Wien, zu einem inhohem Maße befruchtenden Einfluss aus den amerikanischenSozialwissenschaften kam, die in ihrer Entwicklung dereuropäischen wesentlich voraus war: Im Jahre 1962 wurde aufInitiative der beiden berühmten, aus Österreich stammendenamerikanischen Sozialwissenschaftler Paul Lazarsfeld 16 und OskarMorgenstern 17 , und unter Einfluss von Slawtscho Sagoroff 18 , dasInstitut für Höhere Studien (IHS) in Wien gegründet, unterfinanzieller Beteiligung der amerikanischen Ford Foundation. DieserGründung lagen ideologische, politische und wirtschaftliche Motivezugrunde; man wollte hier die in ihren Methoden und Denkweisenveralteten bzw. hier teilweise garnicht betriebenenSozialwissenschaften fördern und erwartete sich davon einepositive Auswirkung auf die Gesellschaft im Ganzen.16 Er hatte in Wien Mathematik und Physik studiert, war einige Jahre lang als Gymnasiallehrer tätig und inden 1920er Jahren Mitarbeiter sowie Lektor für Statistik am Psychologischen Institut der Universität Wienunter Karl und Charlotte Bühler. Als einer der Autoren der weltberühmten, klassischen Studie DieArbeitslosen von Marienthal gilt er heute als Begründer der empirischen Sozialforschung und – nochallgemeiner – als einer der Väter der modernen Soziologie.17 1935-38 Professor für Ökonomie an der Universität Wien. Er wurde später in den USA gemeinsam mitJohn von Neumann, einem der vielseitigsten und genialsten Mathematiker des 20. Jahrhunderts, zumMitbegründer der Spieltheorie.18 Damals Professor für Statistik an der Universität Wien. Er war 1942-44 bulgarischer Gesandter in Berlingewesen und soll sich der Auslieferung bulgarischer Juden an Nazi-Deutschland widersetzt haben. NachAbbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Bulgarien im Jahre 1944 wurde er inBayern in einem KZ interniert und lernte dort viele andere politische Gefangene kennen. Diese Kontakteund jene, die er nach 1945 in den USA knüpfte, vermochte er später zugunsten der österreichischenWissenschaft zu nutzen. So gelang es ihm beispielsweise, 1961 eine gebrauchte EDV-Anlage aus den USAkostenlos an die Universität Wien zu bringen; er dürfte auch nicht unwesentlich dazu beigetragen haben,dass das IHS in Wien gegründet wurde, zu dessen erstem Direktor er ernannt wurde.37


Durch das IHS kamen ab 1962 zahlreiche bekannte SozialundFormalwissenschaftler als Gastvortragende nach Wien,darunter z.B. der Mathematiker Karl Menger 19 , der amerikanischeÖkonom Kenneth Arrow 20 , der aus Wien stammende StatistikerJohann Pfanzagl 21 , und natürlich Oskar Morgenstern und PaulLazarsfeld. Nicht alle Gastprofessoren freilich hatten einen soausgeprägten Schwerpunkt in der Anwendung mathematischerMethoden auf die Sozialwissenschaft, z.B. der aus Wien gebürtigePsychiater Friedrich Hacker 22 oder die Psychologin CharlotteBühler 23 , aber insgesamt wurde doch sehr viel Gewicht auf dieformalwissenschaftliche Fundierung der Sozialwissenschaft gelegt.Als Folge dessen gingen selbst schon in den ersten Jahren des IHSals Universitätsprofessoren die Ökonomen Helmut Frisch 24 und EgonMatzner 25 , die Statistiker Gerhart Bruckmann 26 , Josef Roppert (s.o.)19 Er war Mitglied des Wiener Kreises und 1928-36 Universitätsprofessor für Geometrie in Wien, ab 1937 anverschiedenen Universitäten in den USA; arbeitete u.a. über Fuzzy Set <strong>The</strong>ory.20 Er gilt als Begründer der Social Choice <strong>The</strong>ory, bewies in seiner Doktorarbeit das nach ihm benannteArrow-<strong>The</strong>orem und erhielt 1972 den Nobelpreis für Ökonomie.21 Damals Professor für Statistik an der Universität Köln; er hatte auch auf dem Gebiet der <strong>The</strong>orie desMessens wichtige Arbeiten veröffentlicht (Pfanzagl, 1971).22 Professor für Psychiatrie an diversen amerikanischen Universitäten, Gründer der Hacker Psychiatric Clinicsowie der Hacker Foundation in Beverly Hills, Kalifornien, sowie 1968 der Sigmund Freud-Gesellschaft inWien.23 1929-38 Professorin am Psychologischen Institut der Universität Wien, Begründerin einer Wiener Schuleder Kinderpsychologie, später in den USA Wegbereiterin der Gerontopsychologie und der HumanistischenPsychologie.24 1970 Hochschulprofessor in Linz, 1971 Professor an der Technischen Universität Wien, ab 1978Vorsitzender des Staatsschuldenausschusses.25 1972-98 Professor für Finanzwissenschaft an der Technischen Universität Wien, Wirtschafts- undFinanzberater des Bundeskanzlers Bruno Kreisky.26 1967 Professor für Statistik an der Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Linz, 1968-92Professor für Statistik an der Universität Wien, 1968-73 Direktor des Instituts für Höhere Studien in Wien,1986-94 und 1999-2002 Abgeordneter zum österreichischen Nationalrat.38


und Gerhard Derflinger 27 , der Soziologe Robert Reichardt 28 , derPsychologe und Kybernetiker Robert Trappl 29 , der PsychometrikerHartmann Scheiblechner (s.o.), und übrigens auch meine Wenigkeit,aus dieser Institution hervor (bis heute sind es angeblich ca. 100Universitätsprofessoren). Das gemeinsame Element dieserwissenschaftlichen Karrieren waren moderne, quantitativeForschungsansätze der Sozialwissenschaften und/oder dieAnwendung mathematischer Modelle, mit denen bis dahinungelöste Fragen angegangen werden konnten.Was die Psychologie im Besonderen anbelangt, ergab sich inden 1960er Jahren noch ein zweiter, vielleicht nicht minderbedeutsamer Einfluss durch die alle zwei Jahre von der NetherlandsUniversities Foundation for International Cooperation (NUFFIC) mitfinanzieller Unterstützung der NATO abgehaltenen Sommerkurse.Dort lehrten z.B. im Jahre 1966, in dem ich selbst teilnehmenkonnte, die Psychologie-Professoren R.J. Audley, bekannt vor allemdurch Arbeiten über mathematische Modellierung vonLernprozessen und Entscheidungen (Audley, 1960), Clyde H.Coombs, Autor einer bekannten Monografie über Datentheorie(Coombs, 1964), Lee J. Cronbach, allen Studierenden der27 1968 Professor an der damaligen Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Linz, 1970/71Rektor der Johannes Kepler-Universität Linz, 1972-2005 Professor für Statistik an der WirtschaftsuniversitätWien.28 1966 Professor für Soziologie an der Universität Wien, später Direktor des Instituts für SozioökonomischeEntwicklungsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.29 1977 Professor für Medizinische Kybernetik und Künstliche Intelligenz an der Medizinischen Fakultät derUniversität Wien, ab 1984 Leiter des Österreichischen Forschungsinstituts für Artificial Intelligence.39


Psychologie wohlbekannt durch die Reliabilitäts-Schranke„Cronbach Alpha“, Warren S. Torgerson, Autor eines verbreitetenLehrbuches der Skalierung (Torgerson, 1958), und – im heutigenRückblick wohl mit Abstand am bedeutendsten – der dänischeMathematiker und Statistiker Georg Rasch, Autor einesbahnbrechenden Buches über probabilistische Modelle fürIntelligenz- und Leistungstests (Rasch, 1960). Auch bei diesenVortragenden bestand das Gemeinsame im Einsatzformalwissenschaftlicher Methoden und Modelle, wenngleich diesez.T. recht unterschiedliche Entwicklungsstände der Erkenntnis undDurchdringung der folgenden zentralen Fragestellung markierten:Unter welchen Bedingungen und auf welchem Skalenniveau istMessung in der Psychologie möglich? Diese Analysen waren auf eineformale Grundlegung der Verhaltenswissenschaften ausgerichtetund standen in krassem Gegensatz zu der zuvor erwähntenUnbekümmertheit, mit der die meisten empirischen Psychologenihre sog. „Skalen“ oder „Leistungstests“ erstellten, verwendetenund interpretierten.Das Streben nach einer – deterministischen oder (besser)probabilistischen – Axiomatisierung des Messens in derVerhaltenswissenschaft war nun keinesfalls nur eine Spielwiese fürin Formalisierungen verliebte Freaks. Zieht man nämlich ins Kalkül,in welchem Umfang Ergebnisse der empirischen Forschung ausunfundierten Quantifizierungen resultierten und folglich jeglicher40


Metrik entbehrten, wie diese z.B. insbesondere für dieInterpretation von Differenzen, Veränderungen und Entwicklungenunabdingbar gewesen wäre, dann mussten unzählige publizierteErgebnisse als fragwürdig angesehen werden. Es erschien weitersdurchaus denkbar, dass die in der Psychologie notorischeUneinheitlichkeit, ja Widersprüchlichkeit von zu derselbenFragestellung gefundenen Ergebnissen zumindest zum Teil durchdas naive Herangehen bedingt war, Messung als eine intuitive Kunstzu betrachten, nämlich als the art of assigning numbers. Tatsächlichbedarf die Quantifizierung von Verhaltenseigenschaften einerAxiomatisierung, wobei den Axiomen empirische Prüfbarkeitzukommen muss. Nur auf einem solchen Fundament ist dieGeneralisierbarkeit empirischer Ergebnisse überhaupt denkbar,wenngleich diese selbst eine weitere empirische Fragestellungdarstellt. Jedenfalls sind die Probleme des Messens und jene derGeneralisierbarkeit von Ergebnissen auf das Engste verknüpft undstellten damals wie heute eine wesentliche Grundfrage für dieVerhaltenswissenschaft dar. Auf diesem Gebiete war der Fortschrittsowohl des Problembewusstseins als auch der Lösungsansätze inden 1960er und 1970er Jahren enorm. 3030 Nur der Ordnung halber sei hier am Rande erwähnt, dass ein ähnlicher Prozess des Umbruches und derraschen Innovation in den 1960er Jahren auch in den biologischen Grundlagen der Psychologie begann, derschließlich zur modernen Hirnforschung hinführte. Wie der aus Wien stammende Psychologe und ArztGustav Lienert, sehr bekannt durch sein Standardwerk Testaufbau und Testanalyse (Lienert, 1961) unddurch die von ihm entwickelte Konfigurationsfrequenzanalyse (Lienert & Krauth, 1973), einmal pointiertformuliert hat: Echten Fortschritt der Psychologie gibt es derzeit nur in zwei Gebieten, der Biologischen41


Genau auf diese Problemstellungen zielte die Forschung vonGeorg Rasch in erster Linie ab; sie musste folglich jeden faszinieren,der sich für die methodische Grundlegung der Psychologie alsVerhaltenswissenschaft interessierte, und dies traf eben auf Toni<strong>Formann</strong> genauso zu wie auf mich selbst. Daher auch unseregemeinsamen, frühen Arbeiten zu Detailfragen des Rasch-Modellsund zu seinen möglichen Verallgemeinerungen. Diese neuenAnsätze erlaubten es nun erstmals seit Beginn der Testpsychologie,die Frage empirisch zu prüfen, ob es z.B. in einem gegebenenIntelligenztest sinnvoll und zulässig ist, die Anzahl der gelöstenAufgaben als Maßzahl für die Testleistung zu verwenden, oder obdadurch im Antwortmuster enthaltene relevante Informationverlorenging und dadurch das Ergebnis verfälscht wurde. Weiterskonnte man nun endlich auf die uralte Frage, ob und auf welchemSkalenniveau mit psychologischen Tests überhaupt gemessenwerden kann, fundierte Antworten geben. Falls es in einemuntersuchten (Leistungs-)Bereich tatsächlich gelang, eine Fähigkeitoder einen Trait zumindest auf Intervallskalenniveau zu messen,dann folgte notwendig, dass Differenzen von SkalenwertenRationalskalenniveau aufwiesen, und man konnte prinzipiellAussagen folgender Art ins Auge fassen: Eine Maßnahme (Training,<strong>The</strong>rapie, experimentelle Bedingung) A, ist – angenommen –Psychologie und der Methodenlehre. Da die Erstere mit dem <strong>The</strong>ma des vorliegenden Beitrages nichts zutun hat, bleibt sie hier allerdings vollständig ausgeklammert.42


anderthalbmal so wirksam wie eine alternative Maßnahme B.Aufgrund solcher Überlegungen, die hier freilich nicht im Detaildargestellt werden können, und aus den skizzierten Motivationenheraus wurde die Veränderungsmessung zu einem der zentralen<strong>The</strong>men der Forschung an unserer Abteilung für Methodenlehre. Siefindet sich auch in Toni <strong>Formann</strong>s Publikationsliste wieder (z.B.Fischer & <strong>Formann</strong>, 1982).Vielleicht schien manchen von Ihnen, meine Damen undHerren, meine frühere Erwähnung internationaler Gastvortragenderam IHS aus den 1960er Jahren etwas weit hergeholt und ohneerkennbaren Zusammenhang mit der späteren Forschung an derAbteilung für Methodenlehre am Institut für Psychologie. Dem istaber nicht so. Genau genommen spannte sich ein nahtloser Bogenvon den Messproblemen in der Psychologie zu Kernfragen derÖkonomie, wie etwa der Nutzenmessung, der Entscheidungstheorieund der <strong>The</strong>orie ökonomischen Verhaltens in Märkten, sowieweiters der Spieltheorie, wie sie von Forschern wie OskarMorgenstern oder Kenneth Arrow in der einen oder anderen Formstudiert wurden. Es war nur notwendig, diese Zusammenhängeauch zu sehen. Umgekehrt hatte z.B. Johann Pfanzagl schon frühvom Standpunkt der Statistik aus die Wichtigkeit der Entwicklungeiner <strong>The</strong>orie des Messens für die Sozialwissenschaften erkannt undbetrachtete weiters in seiner späteren Forschung die IRT als einlohnendes Problemfeld für die <strong>The</strong>orie der statistischen43


Parameterschätzung (Pfanzagl, 1993, 1994a, 1994b).Insbesondere zwei Forscherpersönlichkeiten erlangtennachhaltigen Einfluss auf die Arbeit an unserer Abteilung fürMethodenlehre. Einer von ihnen war Georg Rasch, der 1960 eineMonografie über probabilistische Testmodelle veröffentlicht hatte,worin er einen radikalen Bruch mit jener Klassischen Testtheorievollzog, welche sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelt undkonkurrenzlos etabliert hatte (Rasch, 1960). Dieses Buch blieb einigeJahre ohne großen Widerhall, um dann umso intensiver aufgegriffenund diskutiert zu werden. Als man in der Psychologie und derErziehungswissenschaft die Bedeutung dieses radikal anderenAnsatzes zu begreifen begann, hatte sich Georg Raschs Interessebereits auf ein allgemeineres methodologisches, quasi„erkenntnistheoretisches“ Problem, das Prinzip der sog.„spezifischen Objektivität“ (SO) verlagert, welche im Rasch-Modell(RM) bereits exemplarisch verwirklicht war. Die Bezeichnung SO warvielleicht nicht ganz glücklich gewählt, denn gemeint war damit dieGeneralisierbarkeit von Vergleichsergebnissen innerhalb einesformal definierten Rahmens. Dieses Prinzip wurde leider oftmissverstanden, weil man sich zu sehr an die sprachlicheBezeichnung klammerte und dabei seine formale Definition außerAcht ließ.Georg Rasch erkannte die SO als ein zentralesMethodenprinzip für empirische Wissenschaften und widmete sich44


in seinen späteren Jahren ausschließlich diesem <strong>The</strong>ma (Rasch,1967, 1977). Hier lag eine Fülle von Fragestellungen, die derBearbeitung harrten. Aber selbst im Rahmen des „einfachen“ RMswaren wesentliche Fragen der Parameterschätzungen und ihrerSkaleneigenschaften noch nicht ausreichend geklärt und boten vielRaum für vertiefte Forschungen, von inhaltlich unterschiedlichenAnwendungsfeldern des RMs ganz abgesehen. Wie auch andereMitglieder unserer Abteilung wurde Toni <strong>Formann</strong> von derFaszination dieses Forschungsgebietes ergriffen, er trug zunächstvor allem wesentlich zur Programmentwicklung für das LLTM – alsVerallgemeinerung des RMs – und zu dessen Anwendung bei. SeinWiener Matrizentest (<strong>Formann</strong>, 1973; <strong>Formann</strong> & Piswanger, 1979;vgl. <strong>Formann</strong>, Waldherr, & Piswanger, 2011) war vermutlich dererste nonverbale Intelligenztest, welcher von Anfang an konsequentauf der Basis einer schlüssigen Modellvorstellung über die kognitiveKomplexität von Aufgaben konstruiert wurde. Hier erlangte diegängige Bezeichnung „Testkonstruktion“ erstmals Gültigkeit, denndie Items wurden aus elementaren Komponenten, den kognitivenOperationen oder Regeln, systematisch aufgebaut, analog zu einertechnischen Konstruktion. Weiters beteiligte sich Toni <strong>Formann</strong>auch teilweise an meinem Lieblingsprojekt, derVeränderungsmessung auf der Basis von RM und LLTM, woraus sichsowohl eigene als auch gemeinsame Publikationen ergaben (z.B.Fischer & <strong>Formann</strong>, 1982). Daneben widmete er sich praktisch45


elevanten Fragen der Itemselektion und der Bestimmung derDimensionalität von Items auf Grundlage des RMs (z.B. <strong>Formann</strong>,1981, 1983).Der zweite Forscher mit großem Einfluss auf Toni <strong>Formann</strong>sArbeit war Paul Lazarsfeld: Dieser war, genauso wie Georg Rasch,eine eindrucksvolle Persönlichkeit und ein brillanter Vortragender.Auch würzte er seinen Vortrag gerne mit Anekdoten, z.B. folgendeaus seiner wirtschaftspsychologischen Tätigkeit in Wien um 1930:Die einzige namhafte Wiener Wäscherei, Habsburg, steckte damalsin wirtschaftlichen Schwierigkeiten, weil die in Traditionenverhafteten Wiener Hausfrauen nicht leicht dazu überredet werdenkonnten, sich von einer professionellen Wäscherei Arbeit abnehmenzu lassen. Es gehörte zum Leitbild einer guten Hausfrau, die Wäscheselbst zu waschen. Lazarsfeld kam die originelle Idee, seineMitarbeiter in die Wiener Standesämter zu schicken und feststellenzu lassen, wo es gerade Geburten oder Todesfälle gab. Da diebetreffenden Familien in dieser Situation vermutlich einen erhöhtenBedarf an Unterstützung durch eine Wäscherei hatten, wurde ihnenein Werbebrief zugeschickt und die Dienste der Wäschereiangeboten. Die Werbekampagne erwies sich als durchschlagenderErfolg. Dieses Beispiel illustriert, dass Kreativität einePersönlichkeitseigenschaft ist, die sich nicht etwa nur inWissenschaft und Kunst manifestiert, sondern sich genauso auch imAlltag, sozusagen im „Kleinen“, zeigt. Ein anderes Beispiel für dieses46


Prinzip findet sich übrigens auch bei Toni <strong>Formann</strong>: Sein Hobby wardas Sammeln hochwertiger mechanischer Uhren. Solche Uhrenwerden normalerweise von Fachleuten nach bestimmten Regeln inverschiedenen räumlichen Lagen einreguliert (daher spricht manauch von Regulator-Uhren). Toni <strong>Formann</strong> allerdings regulierteseine Uhren selbst ein und fand dabei, dass sich das üblicheVerfahren durch ein wohlüberlegtes varianzanalytisches Designverbessern ließ. Diese Verbesserung der Methode wurde schließlichsogar von einer Uhrenfachzeitschrift zur Veröffentlichungangenommen.Toni <strong>Formann</strong> hat sowohl Georg Rasch als auch PaulLazarsfeld in zumindest je einem Vortrag persönlich gehört und warvon ihnen genauso beeindruckt wie ich. Als ich ihm, wie schon obenerwähnt, den Vorschlag machte, ein Verfahren zur ML-Schätzung fürdie LCA zu programmieren, nahm er diesen Vorschlag mit Freudeauf. Nach anfänglichen Schwierigkeiten – übrigens denselben, mitdenen sich schon Lazarsfeld und Henry (1968) und HartmannScheiblechner herumgeschlagen hatten – stellte sich dann doch eindurchschlagender Erfolg ein, sobald die Nebenbedingungen für dieParameter in adäquaterer Weise im Verfahren implementiertwaren. Damit erfolgte die erstmalige Veröffentlichung einesstatistisch einwandfreien Verfahrens zur Schätzung der LCA-Parameter erst etwa 25 Jahre, nachdem Lazarsfeld (1950, 1954,1959) bereits die Grundlagen der LCA publiziert hatte (<strong>Formann</strong>,47


1976a, 1976b, 1978a, 1978b). Diese Arbeit stellte das Fundamentfür seine Habilitation in Psychologie 1985 und darüber hinaus wohlauch einen der Eckpfeiler seiner späteren, zweiten Habilitation inStatistik 1999 dar.In der Rückschau betrachtet war es wohl ein Fehler derPsychometrie, sich nicht bzw. zu spät um die auf Lazarsfeldzurückgehenden methodischen Ansätze gekümmert zu haben.Meiner persönlichen Erinnerung nach pflegten die Psychologen inden 1960er Jahren gerne eine wenig von oben herab auf dieSoziologie zu blicken, weil sie die Lösung soziologischerProblemstellungen ohnehin in der Psychologie erwarteten.Jedenfalls wurde verkannt, dass Lazarsfeld in seinen Arbeiten schonin den 1940er Jahren wesentliche Grundideen der Item-Response-<strong>The</strong>orie vorweggenommen hatte 31 , etwa 10 Jahre vor Georg Rasch 32in Europa und vor Allan Birnbaum 33 in den USA. Ein Unterschiedscheint nur gewesen zu sein, dass Lazarsfelds Ideen auch in derSoziologie nicht ausreichend beachtet wurden, während jene vonRasch und Birnbaum in der Psychologie und derErziehungswissenschaft, wenn auch nach einer gewissen„Schrecksekunde“, schneller aufgegriffen, intensiver diskutiert und31 Die Ideen zur Latent Structure Analysis, einer Frühform der nonparametrischen IRT, entstanden imZusammenhang mit der umfassenden Studie <strong>The</strong> American Soldier, welche Mitte der 1940er Jahre imAuftrag der amerikanischen Regierung durchgeführt wurden.32 Die Grundstruktur des RM wurde von Georg Rasch im Zuge seiner Konsulententätigkeit für dasPædagogiske Institut in Kopenhagen um etwa 1955 entwickelt.33 Das sog. 3PL oder Birnbaum-Modell tauchte erstmals in den einseitigen Abstracts Birnbaum (1958a,1958b) auf.48


vielfältig weitergeführt wurden. 34 Für uns am Institut fürPsychologie waren primär grundsätzliche methodologischeFragestellungen der psychologischen Wissenschaftausschlaggebend, wir sahen aber natürlich auch die vielfältigenpraktischen Implikationen in verwandten Gebieten.Damit scheinen mir nun die wichtigsten Wurzeln derwissenschaftlichen Tätigkeit von Toni <strong>Formann</strong> aufgezeigt und dieMotive skizziert, aus denen heraus er sich jahrzehntelang derMethodenforschung gewidmet hat – jedenfalls wie ich diesemiterlebt habe. Ein wesentlicher Antrieb für dieMethodenforschung ist, dass in ihr eine große Hebelwirkung liegt:Gelingt es einem, die Entwicklung einer wirksamen neuen Methodevoranzutreiben, hat man damit vielleicht eine Vielzahl spätererempirischer Arbeiten anderer Forscher erst ermöglicht oderzumindest zu ihnen beigetragen. Darin liegt allemal eine großeFaszination.Betrachtet man Toni <strong>Formann</strong>s lange Liste vonVeröffentlichungen, dann sieht man, dass er auch über dieerwähnten <strong>The</strong>men hinaus zu einer großen Zahl von Problemen,Hypothesen und Detailfragen der Psychologie, sowie auch derStatistik, publiziert hat, und zwar oft in hochrangigen34 Die Erziehungswissenschaft war in den USA bereits damals eine primär empirische Disziplin, welche sichwesentlich von der europäischen Pädagogik unterschied. Außerdem spielte das Educational Testing, fürwelches die IRT und das darauf aufbauende Computerized Adaptive Testing geradezu ideal geeignet war,eine viel größere Rolle als in Europa.49


internationalen Fachzeitschriften. Auf die verschiedenen Inhaltedieser Artikel hier im Einzelnen einzugehen, ist zum Verständnisseines generellen wissenschaftlichen Anliegens nicht notwendig undverbietet sich auch aus Gründen des dafür nötigen Umfanges. Wasvielleicht nach dem Gesagten auffallen könnte, ist, dass er und ich inden späteren Jahren kaum mehr gemeinsam publiziert haben. Dieslag keineswegs daran, dass wir einander wissenschaftlich oderpersönlich nicht mehr gut verstanden hätten. Ganz im Gegenteil,wir sprachen viel miteinander über unsere jeweiligen Forschungen,und unsere persönliche Beziehung ging im Laufe der Jahre mehr undmehr in eine Freundschaft über. Die Grundlage dieser Freundschaftwar einerseits ein stets gewahrter, persönlicher Mindestabstandund Respekt voreinander, andererseits unsere unausgesprocheneÜbereinstimmung darin, allen Fragen möglichst unvoreingenommenund sachlich zu begegnen und sich nicht durch Ideologien,Gruppierungen oder Cliquen vereinnahmen zu lassen.In der wissenschaftlichen Arbeit gingen wir in den späterenJahren zunehmend verschiedene Wege. Aufgrund meines Alters undmeiner Position konnte ich es mir leisten, nur über jene Problemezu forschen, die mir ein persönliches Anliegen waren, unabhängigvon der Einschätzung durch Andere. Meine Präferenz lag dabei aufden theoretischen Grundlagen, vor allem auf dem Beweis diverser<strong>The</strong>oreme, welche die in der Literatur oft nur behaupteten undzumeist unpräzise formulierten Eigenschaften des RMs und50


verwandter Modelle präzisierten. Auch erwartete ich, dass die IRTaufgrund ihres hohen Formalisierungsgrades in Zukunft zur Gänzeim Fach Statistik aufgehen würde und dass daher nur einausreichendes Maß an formaler Exaktheit zur Akzeptanz derheutigen psychometrischen Literatur seitens der Statistiker führenkönne. Toni <strong>Formann</strong> hingegen, als der wesentlich Jüngere, hattenoch einen viel längeren beruflichen Weg im Institut bzw. derFakultät für Psychologie vor sich und musste auf dieses Umfeldmehr Rücksicht nehmen: Diversifikation der <strong>The</strong>men, derAnwendungen und der Publikationsorgane waren das Gebot einerZeit, in der Zitationsstatistiken, Impactfaktoren und die Länge derPublikationsliste oftmals wichtiger erschienen als Exaktheit derErkenntnis und Inhalt; kurz gesagt, publish or perish. Ganz glücklichschien mir Toni <strong>Formann</strong> mit dieser Entwicklung in letzter Zeit abernicht mehr. Vor etwa zwei Jahren meinte er einmal zu mirFolgendes, wobei ich den Eindruck hatte, dass ihm diesauszusprechen schwerfiel: Methodenentwicklung wie früher wird esan unserer Abteilung in Zukunft wohl nicht mehr geben. DieseAussage war natürlich auch vor dem Hintergrund schwindenderRessourcen der Abteilung für Methodenlehre und gleichzeitigzunehmender Verwaltungsagenden zu sehen.Und dazu kam noch ein zweiter, für Toni <strong>Formann</strong>vermutlich schmerzhafter Aspekt: Großes Verständnis undAnerkennung für die Arbeit an Methodenfragen bringen die51


empirisch arbeitenden KollegInnen erfahrungsgemäß nicht auf. AlsMethodologe ist man oft einsam, und dies umso mehr, jegrundlagenorientierter und theoretischer die bearbeitete<strong>The</strong>menstellung ist. Teamarbeit an einem abstrakten, formalenProblem ist besonders schwierig, einmal weil man über ein nochvage konturiertes Problem kaum kommunizieren und es daher auchschwer in Teilaufgaben zerlegen kann, andererseits weil man seltengleichqualifizierte und am gleichen <strong>The</strong>ma interessierte KollegInnenoder MitarbeiterInnen findet. Weiters kann es passieren, dass manan einem theoretischen Problem viele Monate intensiv arbeitet unddann nichts, aber auch garnichts, in der Hand hat. SolcheMisserfolge machen sich nicht gut für die Publikationsliste. 35 DieseSchwierigkeiten werden vielfach nicht gesehen. In diesemZusammenhang erzählte mir Toni <strong>Formann</strong> einmal, jemand aus derSchar jüngerer KollegInnen – sich für methodologisch kompetenthaltend – habe zu ihm gesagt: So eine methodische Arbeit ist haltdoch relativ rasch zu schreiben. Er habe darauf nichts entgegnenwollen, habe sich aber gedacht: Ja, das stimmt, aber nur, solangeman abschreibt. Neuland zu betreten ist etwas Anderes.Ich möchte nun meine Ausführungen mit einer schlichtenFeststellung beschließen: Toni <strong>Formann</strong> hat nach seinem viel zu35 Interessant zu lesen ist in diesem Zusammenhang das Buch Fermats letzter Satz von Singh (1998). Dortwird beschrieben, wie der britische Mathematiker Andrew Wiles etwa sieben Jahre lang – Ende der 1980erund Anfang der 1990er Jahre – einsam und geheim an einem Bewies für den seit 350 Jahren unbewiesenen„Großen Fermat“ arbeitete und dabei doch für sein akademisches Überleben zu sorgen wusste.52


frühen Tod ein eindrucksvolles Oeuvre hinterlassen, mit welchem erwesentlich zur internationalen Sichtbarkeit und Anerkennung derösterreichischen Forschung beigetragen hat; die Fakultät fürPsychologie kann stolz auf ihn sein.LiteraturAudley, R. J. (1960). A stochastic model for individual choicebehavior. Psychological Review, 67, 1-15.Birnbaum, A. (1958a). Statistical theory of some quantal responsemodels [abstract]. Annals of Mathematical Statistics, 29, 1284.Birnbaum, A. (1958b). Statistical theory of tests of a mental ability[abstract]. Annals of Mathematical Statistics, 29, 1285.Coombs, C. H. (1964). A theory of data. New York: Wiley.Cronbach, L. J., & Gleser, G. (1965). Psychological tests andpersonnel decisions. Urbana, IL: University of Illinois Press.Fischer, G. H. (1968). Kritik der klassischen Testtheorie. In G. H.Fischer (Hg.), Psychologische Testtheorie (S. 54-77). Bern:Huber.Fischer, G. H. (1974). Einführung in die <strong>The</strong>orie psychologischerTests. Bern: Huber.Fischer, G. H., & <strong>Formann</strong>, A. K. (1972). An algorithm and aFORTRAN program for estimating the item parameters of theLinear Logistic Test Model. Research Bulletin No. 11. Wien:Psychologisches Institut der Universität Wien.53


Fischer, G. H., & <strong>Formann</strong>, A. K. (1982). Veränderungsmessungmittels linear-logistischer Modelle. Zeitschrift für Differentielleund Diagnostische Psychologie, 3, 75-99.Fischer, G. H., & Roppert, J. (1965). Monte Carlo-Untersuchung aneinem Faktorenmodell. In J. Roppert & G. H. Fischer, LineareStrukturen in Mathematik und Statistik unter besondererBerücksichtigung der Faktoren- und Transformationsanalyse (S.31-42). Wien-Würzburg: Physica-Verlag.<strong>Formann</strong>, A. K. (1973). Die Konstruktion eines neuen Matrizentestsund die Untersuchung des Lösungsverhaltens mit Hilfe deslinearen logistischen Testmodells. Unpublizierte Dissertation,Universität Wien.<strong>Formann</strong>, A. K. (1976a). Schätzung der Parameter in LazarsfeldsLatent-Class-Analysis. Research Bulletin No. 18. Wien:Psychologisches Institut der Universität Wien.<strong>Formann</strong>, A. K. (1976b). Latent-Class-Analyse polytomer Daten.Research Bulletin No. 19. Wien: Psychologisches Institut derUniversität Wien.<strong>Formann</strong>, A. K. (1978a). A note on parameter estimation forLazarsfeld’s latent class analysis. Psychometrika, 43, 123-126.<strong>Formann</strong>, A. K. (1978b). <strong>The</strong> latent class analysis of polytomousdata. Biometrical Journal, 24, 755-771.<strong>Formann</strong>, A. K. (1981). Über die Verwendung von Items alsTeilungskriterium für Modellkontrollen im Modell von Rasch:54


Anmerkungen zu Stelzls „Ist der Modelltest des Rasch-Modellsgeeignet, Homogenitätshypothesen zu prüfen? Ein Bericht überSimulationsstudien mit inhomogenen Daten“. Zeitschrift fürExperimentelle und Angewandte Psychologie, 28, 541-560.<strong>Formann</strong>, A. K. (1983). Modelltest für das Rasch-Modell durchTeilgruppenbildung mittels Latent-Class-Analyse. Zeitschrift fürExperimentelle und Angewandte Psychologie, 30, 45-66.<strong>Formann</strong>, A. K., & Piswanger, K. (1979). WMT – WienerMatrizentest: Ein Rasch-skalierter sprachfreier Intelligenztest.Weinheim: Beltz.<strong>Formann</strong>, A. K., Waldherr, K., & Piswanger, K. (2011). WienerMatrizen-Test 2 (WMT-2): Ein Rasch-skalierter sprachfreierKurztest zur Erfassung der Intelligenz. Göttingen: Hogrefe.Hofstätter, P. R. (1957). Gruppendynamik. Reinbek: RowohltsDeutsche Enzyklopädie.Hofstätter, P. R. (1959). Einführung in die Sozialpsychologie.Stuttgart: Kröner.Kalveram, K. T. (1965). Veränderung der Faktorenstruktur durchsimultane Überlagerung. Archiv für die Gesamte Psychologie,117, 296-305.Lazarsfeld, P. F. (1950). <strong>The</strong> logical and mathematical foundations oflatent structure analysis. In S. A. Stouffer, L. Guttman, E. A.Suchman, P. F. Lazarsfeld, S. A. Star, & J. A. Clausen (Eds.),Studies in social psychology in World War II, vol. IV:55


Measurement and prediction (pp. 362-412). Princeton, NJ:Princeton University Press.Lazarsfeld, P. F. (1954). Recent developments in latent structureanalysis. Sociometry, 18, 391-403.Lazarsfeld, P. F. (1959). Latent structure analysis. In S. Koch (Ed.),Psychology: A study of a science, vol. 3: Formulation of theperson and the social context (pp. 476-543). New York:McGraw-Hill.Lazarsfeld, P. F., & Henry, N. W. (1968). Latent structure analysis.Boston: Houghton Mifflin.Lienert, G. A. (1961). Testaufbau und Testanalyse. Weinheim: Beltz.Lienert, G. A., & Krauth, J. (1973). Die Konfigurationsfrequenzanalyse(KFA) und ihre Anwendung in Psychologie und Medizin.Weinheim: Beltz.Pfanzagl, J. (1971). <strong>The</strong>ory of measurement (2nd, revised ed.).Würzburg: Physica-Verlag.Pfanzagl, J. (1993). A case of asymptotic equivalence betweenconditional and marginal likelihood estimators. Journal ofStatistical Planning and Inference, 35, 301-307.Pfanzagl, J. (1994a). On item parameter estimation in certain latenttrait models. In G. H. Fischer & D. Laming (Eds.), Contributionsto mathematical psychology, psychometrics, and methodology(pp. 249-263). New York: Springer.Pfanzagl, J. (1994b). On the identifiability of structural parameters in56


mixtures: Applications to psychological tests. Journal ofStatistical Planning and Inference, 38, 309-326.Rasch, G. (1960). Probabilistic models for some intelligence andattainment tests. Kopenhagen: Pædagogiske Institut.Rasch, G. (1967). An informal report on a theory of objectivity incomparisons. In L. J. T. van der Kamp & C. A. J. Vlek (Eds.),Psychological measurement theory: Proceedings of the NUFFICInternational Summer Session in Science at „Het Oude Hof“, <strong>The</strong>Hague, July 14-28, 1966. Leiden: University of Leyden.Rasch, G. (1977). On specific objectivity: An attempt at formalizingthe request for generality and validity of scientific statements.Danish Yearbook of Philosophy, 14, 58-94.Singh, S. (1998). Fermats letzter Satz. München: Hanser.Torgerson, W. S. (1958). <strong>The</strong>ory and methods of scaling. New York:Wiley.57


<strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong>: Lehrer – Kollege – FreundGeorg GittlerAls Du, Toni, am Freitag, dem 2. Juli 2010 abends in meinDienstzimmer kamst, um Dich in den Urlaub zu verabschieden, hastDu Dich sehr auf die bevorstehenden ruhigen und erholsamen Tageim Waldviertel gefreut. Uns war nicht bewusst, dass wir einanderdas letzte Mal gegenübersaßen. Und wie so oft wollten wir unsgegenseitig nicht aufhalten und haben dann doch länger, als es einNicht-Aufhalten vorsieht, miteinander gesprochen, Fachliches undPrivates. In solchen Gesprächen, die wir vielfach miteinanderführten – besonders in den Jahren, als wir gemeinsam mit DekaninDreher im Fakultätsleitungsteam waren – hast Du Dich alswunderbarer Zuhörer deklariert. Dafür bin ich Dir dankbar. Dusagtest, dass Du müde seist, wirktest auch so an jenem Abend,gabst aber die Schuld daran der vielen Arbeit der letzten Tage undWochen. Die Nachricht von Deinem Tod wenige Tage später warund ist erschütternd.Meine erste Begegnung mit Dir, die mir noch erinnerlich ist,fand im Herbst 1973 in meinem dritten Semester desPsychologiestudiums statt. Du leitetest als junger Assistent vonGerhard Fischer ein – wie wir verkürzt sagten –Versuchsplanungspraktikum. Dein großes fachliches Wissen hatmich damals schon beeindruckt und tut das auch heute. Dein58


Wortwitz hat mich damals schon erheitert und tut das noch heute,wenn ich gemeinsam mit Wissenden Dich, Toni, im „O-Ton“ zitiere.Deine direkte, manchmal kantige Art im Umgang mit anderen hatmich damals erstaunt, heute nicht, denn Du warst immer einunermüdlicher Kämpfer für das Grundsätzliche, besonders inWissenschaft und Forschung. Ich wurde Deiner Lehrveranstaltung,die eine von mehreren Parallelveranstaltungen war, zufälligzugeteilt. Und dieser Zufall war bestimmend für mein weiteresLeben. Wie Du mir später erzähltest, verdanke ich Deinem Vorschlagmeine erste Anstellung als wissenschaftliche Hilfskraft an derMethodenabteilung des Instituts für Psychologie.In den folgenden Jahren verbanden uns nicht nur zahlreicheberufliche Tätigkeiten, sondern auch private Aktivitäten.Tontaubenschießen in Haringsee dürfte ein Schlüsselerlebnisgewesen sein, das Dich später zu einem hervorragendenSportschützen werden ließ. Und unser Eifer, die Wünschelrute nurja nicht dort ausschlagen zu lassen, wo dies zu erwarten gewesenwäre, erheiterte uns noch lange danach und gab uns Gelegenheit,uns über Wissenschaftsverständnis und dahinterstehendeMenschenbilder auszutauschen, Freundschaft zu vertiefen.59


Du musstest gehen – vor Deiner Zeit. Berufliche Lücken, dieDu hinterlassen, werden ausgefüllt, nicht geschlossen. Mag sein,dass der Tod Erlösung bedeuten kann. Für Deine Familie undFreunde bleibt eine Wunde, die sich nur schwerlich heilen lassenwird.60


Vom Rechenkeller in den Ping-Pong-KellerBrigitta Hoys(Nach einem Interview, 16.1.2012, geführt von Martina Edl undMartin Voracek.)Wann sind Sie mit <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> in Kontakt gekommen?Ich war über 30 Jahre an der Universität Wien tätig, bis2009. <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> war zwar sehr unauffällig, aber kennengelernthabe ich ihn doch sehr früh, nämlich bereits im Rechenzentrum, alser selbst noch Student war.Mein Mann war damals im Rechenzentrum der Universitättätig; wir beide haben von 1972 bis 1977 gemeinsam im NeuenInstitutsgebäude (NIG) im Rechenraum gearbeitet. <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong>hat dort – damals natürlich noch mit den Lochkarten – seinestatistischen Auswertungen gerechnet. Ich selbst habe dort für dasRechenzentrum Daten auf Lochgeräten verarbeitet.Und hierher – ans damalige Psychologische Institut – sind Siewann gekommen?Die letzten 14 Jahre waren das, also 1995. Zunächst war ichin der Zeugnisverwaltung, Sekretariat, tätig, dann für Herbert Bauer.Was ist Ihnen bezüglich <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> noch erinnerlich ausder frühen Zeit? – Aus den 1970er Jahren, Rechenzentrum,Lochkarten…<strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> war wirklich jemand, der sehr viel Geduld61


hatte. Wenn sein Daten-Job nicht gleich gerechnet wurden ist, ist erauch nicht gleich „hysterisch“ geworden. Das Gerät damals hattenur 256 Kilobyte, und – man kann sich vorstellen – die Jobs sinddementsprechend „schnell“ verarbeitet worden.<strong>Formann</strong> war sehr hilfsbereit, wenn man etwas nicht wusste– wir hatten damals solche Trommeln, in denen die Lochkartenprogrammiert wurden. Und zum Duplizieren hat man nur auf eineTaste drücken müssen, und die Karte hat dann immer das gleichegeschrieben. Für diese Lochgeräte hat mir <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> damalsoft Programme geschrieben. Aber er war unauffällig, immer sehrruhig.Doch mir fällt ein: Im Rechenzentrum hatten wir damalseine Tischtennisrunde, wo er auch dabei war. Solche Abende sindvon Gerhard Fischer ausgegangen, von ihm organisiert worden. UndBowlingabende gab es auch, in der Stadthalle. Das war alles sozwischen 1973 und 1980.Wenn wir ein Tischtennis-Doppel gespielt haben, habe ichauch zusammen mit <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> gespielt, sehr wahrscheinlich.Leider aber kommen genaue Erinnerungen, wenn ich alte Fotos vondieser Zeit ausgrabe, von diesen Zusammenkünften, nur in Reaktionauf das Abgebildete, was und wen man auf diesen Erinnerungsfotossieht.Es haben diese Abende aber schon mit einer gewissenRegelmäßigkeit stattgefunden, sicher einmal im Monat, und es gab62


sogar auch so etwas wie „Meisterschaften“, nämlich zwischen demRechenzentrum und dem damaligen Psychologischen Institut.Herbert Bauer war da auch schon dabei, und auch Georg Gittler.Später, als ich in der Zeugnisverwaltung des Institutsarbeitete, gab es weniger Begegnungen. Meine Wahrnehmung waraber, dass <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> freundlich, hilfsbereit gewesen ist, unddas immer auch den Studierenden gegenüber. In meiner Gegenwartjedenfalls immer, da war eher ich die „Strenge“! Sonst – er ist jaimmer eher in seinem Zimmer gesessen – war diese Phase danneher „anekdotenfrei“.Vielen Dank für das Gespräch, für Ihre Erinnerungen!63


In Erinnerung an <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong>Erich KirchlerAn <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> erinnere ich mich aus meiner Studienzeitder Psychologie in Wien. Später arbeiteten wir gemeinsam alsKollegen in verschiedenen universitären Gremien undArbeitsgruppen.Seit den 1970er Jahren kenne ich <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> als Lehrer.Gemeinsam mit den Lehrenden an der Abteilung für Statistik undPsychologische Methodenlehre lehrte er uns Studienanfänger, dassdie wissenschaftliche Psychologie nicht auf die schillernden<strong>The</strong>orien der Tiefenpsychologie reduziert wird, sondern dieErforschung menschlichen Erlebens und Verhaltens auf der Logikder Mathematik und der Wahrscheinlichkeitsrechnung fußt. DieKlarheit seiner Lehre, die Unbestechlichkeit, wenn es darum ging,Annahmen und Hypothesen nach formalen Gesetzen streng zuprüfen, haben uns Studierende herausgefordert und unserenVerstand geschärft. Manche unreflektierte Meinung von uns,approximatives Raten und der Wunsch nach einer einfachenAntwort auf komplexe Fragen haben <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> manchmal zujenen legendären, scharfzüngigen und trocken-humorvollenBemerkungen hingerissen, für die er berühmt und von manchengefürchtet war. Er regte uns zum Denken an.Als Kollegen am Institut und später an der Fakultät für64


Psychologie habe ich <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> ab 1992 schätzen gelernt.<strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> war wie wenige bestrebt, die Auswirkungen neuerPläne, Ziele, Modelle und Systeme, Curricula, Bewertungsparameterund Reformideen auf die Forschung, Lehre und Verwaltung zuüberlegen und zu verstehen. Entscheidungen für oder widerVeränderungsvorschläge drängte er auf der Basis verlässlicher undausreichender Information zu fällen.Die gesellschaftlichen Ansprüche an Forschungs- undBildungsinstitutionen sind zu recht hoch. Die Bedingungen fürinnovative Wissenschaft und forschungsgeleitete Lehre waren imLaufe der Geschichte ständigem Wandel unterworfen. Folglichwaren Universitäten schon immer Baustellen eines permanentenUmbaus (Tetens, 2009).Seit der Jahrtausendwende werden Veränderungenbeschleunigt: Die Diversifizierung in der Bildungslandschaft, dieNotwendigkeit, die Organisationsstrukturen der Universitäteneffizienter zu gestalten, die Verwaltung weiter zuprofessionalisieren und die Universitäten generell nachbetriebswirtschaftlichen Prinzipien auszurichten, fordern alle an derUniversität. Universitäten sehen sich gezwungen, im nationalen undinternationalen Wettbewerb miteinander attraktive Curricula zuentwickeln und Forschungsleistungen vorzulegen, die nach denParametern schneller, aber simplifizierender quantitativerForschungsvermessung weltweit auf höchstem Niveau sind.65


Während die Ziele konkretisiert und höher gesetzt werden, wirdnach ökonomischen Organisationsmodellen und nachVerwaltungsoptimierung gesucht, um mit den knappen Mittelneffizienter zu wirtschaften, Arbeitsverträge werden neu- undumgestaltet, zielgerichtete Produktion wird extrinsisch belohnt undLehrpläne werden überarbeitet und neu entwickelt, noch bevor diebestehenden evaluiert wurden. Verschiedene Regeln, Richtlinienund Programme existieren nebeneinander. Orientierung ist oftschwer.Alle Entscheidungen im Kontext der universitärenVeränderungen und Anpassungen sind riskante Entscheidungen.Selten reichen Informationen aus, um den Wert von Optionen mitSicherheit zu bestimmen, allenfalls kann einigermaßen verlässlichprognostiziert werden, wie wahrscheinlich eine Alternative zu einerVerbesserung führt.<strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> befasste sich als Statistiker und Experte inpsychologischer Methodenlehre mit Wahrscheinlichkeiten. AlsForscher hat er Leistungen vorgelegt, welche die internationalewissenschaftliche Gemeinschaft als außergewöhnlich undeinflussreich lobt. Seine Arbeiten sind in hoch angesehenenPublikationsorganen veröffentlicht, von den Fachkollegen weithinrezipiert und zitiert.Die wissenschaftliche Beschäftigung mitWahrscheinlichkeiten hat <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> als Forscher berühmt66


gemacht. In der universitären Selbstverwaltung, in Arbeitsgruppenund Entscheidungsgremien war die Notwendigkeit, Entscheidungenauf der Basis vager Information unter Zeitdruck und im Kontext vondivergierenden Interessen zu treffen, für ihn oft eine Plage. DerWunsch nach Klarheit und nach verlässlicher Information, um VorundNachteile von Änderungsvorschlägen abwägen zu können undnicht vorschnell eine neue Realität zu schaffen, deren Entwicklungnicht bestmöglich antizipiert werden kann, zeichnen in Zeiten derBeschleunigung wenige aus; <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> umso mehr. Er ließ sichauch nicht von Plastikwörtern beeindrucken, die die Bildungsreformbegründen – Exzellenz, Kompetenz, Effizienz, Modularisierung – undmit den kritischen Worten von Beck (2010) zu einerMcDonaldisierung der Universität beitragen. Die Skepsis gegenüberintuitiv brauchbar erscheinenden Vorschlägen und dieHartnäckigkeit, Alternativen und deren Wert immer wieder zureflektieren, mögen manchem als zäh und zeitraubend erschienensein. Tatsächlich hält dieses Verhalten von gefühlsdominierten,fehlerhaften Kurzschlüssen ab, zwingt zu analytischem Denken undzur fundierten Auseinandersetzung mit Entwicklungen undverhindert, dass eine Reform die nächste jagt.<strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> hat mit überzeugender Neutralität,Unvoreingenommenheit, unparteiisch und unabhängig vonInteressensgruppen und Lobbyisten immer kritisch die vertretenenStandpunkte hinterfragt und nach der Wahrheit gesucht – die in der67


Realität so oft im Gewirr von Meinungen erst im Nachhinein unddann nur bei ungetrübter Rückschau auf die Ereignisse greifbarwird.Er hat nach der Wahrheit in der Wissenschaft gesucht unddabei weder sich noch andere mit Halbwahrheiten geschont. Auchwenn sein Forschungsschwerpunkt klar definiert war, interessierteer sich für Annahmen und Fragen aus verschiedenen Fachbereichen,auch aus der Wirtschaftspsychologie. Gemeinsam mit ihmdiskutierte ich lange über ein Phänomen – das Benford Law – dasihn faszinierte und bald intensiv beschäftigte. Auch wenn dieProblematik schwer zu durchdringen war, ließ er nicht los, bis er ineinem renommierten Journal die Antwort veröffentlicht hatte(<strong>Formann</strong>, 2010).LiteraturBeck, U. (2010). Welche Universität wollen wir? Berliner Zeitung,6./7.2.2010, S. 33.<strong>Formann</strong>, A. K. (2010). <strong>The</strong> Newcomb-Benford law in its relation tosome common distributions. PLoS ONE, 5, e10541.Tetens, H. (2009). Wissenschaft und Wissenschaftsmüdigkeit. NeueZürcher Zeitung, 28.11.2009, S. 30.68


Bitte ehebaldigstraschestsofort zu erledigenSabine KochDie Stelle im Sekretariat bei Prof. <strong>Formann</strong> habe ichwährend der Karenzzeit von Martina Edl im Jahr 2006 angetreten.Es war eine sehr angenehme Arbeitsatmosphäre. Die Lehre war gutorganisiert. Prof. <strong>Formann</strong> schrieb viele seiner zu publizierendenArtikel handschriftlich vor. Unter anderem war es meine Aufgabe,sie in das Programm LaTeX zu übertragen. Die Entwicklung undKorrektur dieser Texte und Formeln war sehr sorgfältig, mit genauangegebenen Korrekturzeichen, und es war eine interessanteAufgabe zu sehen, wie sich ein Artikel entwickelt.Am Ende der Woche gab es immer einen persönlichenAustausch und am folgenden Montag schloss sich ein kurzesGespräch an, wie das vergangene Wochenende verlaufen war.Er war auch Gesprächspartner für langjährige Studentenund Studentinnen, die einer besonderen Aufmerksamkeit bedurftenund die sich von ihm auch gut verstanden fühlten. Er nahm sich Zeitfür die statistisch interessierten Studierenden. Gespräche überstatistische Verfahren wurden viele geführt, und die Beteiligtenwaren über die Dauer des Austausches überrascht. Manchedringlichste E-Mail-Anfrage an Prof. <strong>Formann</strong> wurde von ihm mitder Bemerkung bitte ehebaldigstraschestsofort an mich zurErledigung weitergeleitet; ich mochte seine Wortfindungen und69


diese hatte ich mir auch notiert.Dann kam auch gelegentlich Filia, sein Hund mit. Filia teilteglücklich das Zimmer mit Prof. <strong>Formann</strong>.An den heißen Sommertagen stand oft „zufällig“ ein Teebereit, wenn Prof. <strong>Formann</strong> für die Unterschriften zu erwarten war.Manchmal erzählte er von seinen vergangenen Reisen und seinerbevorstehenden Reise nach Afrika. Ich bat ihn, mir ein Nilpferdmitzubringen. Er kam tatsächlich von der Reise mit einem Nilpferdzurück. Einmal ließ ich mich zu einem Hinweis über das Rauchenund Hunde hinreißen. Als die Fakultät die neuen Wegweiser-Schilder erhielt, war ein Schild mit einer durchgestrichenenZigarette und ein Schild mit einem durchgestrichenen Hundekopfdabei. Ich machte ihn scherzhaft darauf aufmerksam. Er erwidertein seinem bekannten Humor: Sie täuschen sich – es bedeutet:Rauchende Hunde sind verboten.Das kleine geschnitzte Nilpferd aus Afrika steht seither aufmeinem Schreibtisch und ich schaue es oft an. Ich vermisse dieangenehme ruhige Art und den Humor von Prof. <strong>Formann</strong>.70


Ein mathematisches Modell zur Fußball-Toto-Prognose(12er-Wette)Klaus D. KubingerVorbemerkungDie über 40-jährige Verbundenheit mit Toni (<strong>Anton</strong> K.<strong>Formann</strong>) – als Studienkollege, Mitarbeiterkollege an der AbteilungMethodenlehre, Professorenkollege, Freund – ließe ein ganzes Buchvon Anekdoten schreiben; eine davon sei im Folgenden geschildert.Ich habe sie gewählt, weil sie einen Zeitgeist wiedergibt, der heutenicht mehr en vogue ist: Forschen der eigenen Bewährung willen,weniger der Karriere und des Publizierens willen.AusgangspunktEs muss 1975/76 gewesen sein – Aufzeichnungen liegenkeine mehr vor. Wir beide waren junge Universitätsassistenten ander Abteilung „Methodenlehre“ des Instituts für Psychologie(Universität Wien), wenige Jahre nach der Promotion (1973).Grundsätzlich angestellt, um die Lehre im Fach zu besorgen, warenwir doch auch nebenbei fasziniert von dem wissenschaftlichen,methodischen Zugang zur Erklärung und Vorhersage komplexerPhänomene. Zentraler Ausgangspunkt dafür war natürlich dasRasch-Modell, verbunden vor allem mit dessen „revolutionärem“Streben nach spezifisch objektiven Vergleichen (Messungen). Unser71


damaliger Chef, Gerhard H. Fischer, wohl heute noch weltweitanerkannt als derjenige, der Georg Raschs Ideen und Modelle in derwissenschaftlichen Welt (damals nur der Psychologie, heute der sogenannten Psychometrie) etablierte (vgl. allein Fischer, 1974),arbeitete bald an Verallgemeinerungen des Rasch-Modells, was unslehrte, mittels partiellen Differenzierens Schätzgleichungen fürunbekannte Modellparameter herzuleiten und diese dann (inFORTRAN) zu programmieren. Auch Fischers erster Assistent,Hartmann H. Scheiblechner, leider ebenfalls 2010 verstorben,verfolgte früh die Idee, Modelle zu entwickeln, die spezifischobjektive Vergleiche ermöglichen, was vereinfacht gesagt bedeutet,stichprobenunabhängig zu messen. Eines seiner Modelle, daseinfache „Interaktionsmodell“ (Scheiblechner, 1971), warAusgangspunkt unseres Schaffens.Das ModellScheiblechners Modell bezieht sich auf die Situation, dassPerson w eine andere Person v, beide aus einer festen Gruppe G,hinsichtlich eines Items/Kriteriums i aus dem Itempool I „goutiert“bzw. „wählt“ („1“) oder nicht („0“). Um die Wahrscheinlichkeit fürdas entsprechende Ereignis bestimmen zu können (die Darstellungim Folgenden nach Kubinger, 1989), wird ein Parameter vi als„Attraktivität“ der Person v (hinsichtlich des Items/Kriteriums i)angenommen, ein Parameter wi als „Passivität“ der Person w(hinsichtlich des Items/Kriteriums i) und ein Parameter vw als72


kriteriumsunspezifische „Sympathie“ zwischen den Personen w undv. Die gesuchte Wahrscheinlichkeit ergibt sich dann alsvieP("1" | vi, wi,vw) =vi-1ewi vwwi vw(1)Die Gegenwahrscheinlichkeit beschreibt den Fall, dass keine Wahl(„0“) erfolgt. Das Modell impliziert also: Je größer die Attraktivitätder Person v (in Bezug auf das Item/Kriterium i) ist, umso größer istdie Wahrscheinlichkeit, dass die Person v gewählt wird; je größerdie Passivität, also die Zurückhaltung von Person w ist, überhauptandere zu wählen, umso kleiner wird die Wahrscheinlichkeit, dassdie Person v gewählt wird; und je größer die Sympathie zwischen wund v ist, umso größer ist wiederum die Wahrscheinlichkeit, dassdie Person v gewählt wird.Viel gemeinsam verbrachte Freizeit und meinimmerwährendes Interesse für Fußball brachten uns beide dazu, einModell zu entwickeln, mit welchem es möglich ist, das Resultat vonFußballspielen einer nationalen Meisterschaft zu prognostizieren;also die Wahrscheinlichkeit für einen Sieg der Heimmannschaft(Tipp 1), für eine Niederlage der Heimmannschaft (Tipp 2) und fürein Unentschieden (0, in Österreich X) eines bestimmten Spiels mitHilfe von Parametern auszurechnen, die auf Grund vorausgehenderSpiele dieser Meisterschaft geschätzt wurden. „Säkulares“ Ziel war73


es uns, damit beim Toto (systematisch) zu gewinnen. (In Österreichwird Toto als 12er-Wette, in Deutschland dagegen als 13er-Wettegespielt; für einen Gewinn im ersten Rang sind 12 bzw. 13 richtigeTipps betreffs der 12 bzw. 13 vorgegebenen Spiele vonnöten.)Dazu musste Scheiblechners Modell modifiziert werden; wieuns bald klar wurde, unter Verzicht auf spezifisch objektiveParameterschätzungen: Es ergibt sich der Spezialfall, dass nur ein einzigesItem/Kriterium gegeben ist, nämlich: „Meisterschaftsspiel“; derIndex i entfällt daher in Modellgleichung (1). Statt w kann w geschrieben werden, die „Spielstärke“ vonMannschaft w; v ergibt sich als Spielstärke von Mannschaft v – dasModell gewinnt dann Ähnlichkeit zum so genannten BTL-Modell. Der Parameter vw als Interaktionsparameter beiderMannschaften v und w gewinnt die Bedeutung von„Lieblingsgegner“, d.h., er erhöht für die Mannschaft v dieWahrscheinlichkeit eines Sieges; dies impliziert inhaltlich dieModellspezifikation vw = – wv . Das Modell muss von einem zweikategoriellen („1“ vs. „0“,d.i. Heimmannschaft siegt vs. verliert) auf ein dreikategorielles (fürzusätzlich „unentschieden“) verallgemeinert werden; dies impliziertParametervektoren statt Parameterskalare, also (h) v und (h) vw , h =1, 2, mit h = 1 für Unentschieden und h = 2 für Sieg derHeimmannschaft.74


Das Modell kann um mindestens zweiMannschaftsparameter erweitert werden, um die generelle„Heimstärke“ ( v ) und die generelle „Auswärtsschwäche“ ( w ) mit zuberücksichtigen. Der Zähler in Modellgleichung (1) verändert sichdann zu .( h)( h)( h)( h)( h)v w vw v wDie anfangs gehegte Befürchtung, die Parameterschätzungvon vw sei wegen der Beschränkung auf ein einziges Item/Kriteriumnicht möglich, erwies sich praktisch als unbegründet – undzwischenzeitlich als obsolet: Im Grunde handelt es sich um eineDatenmatrix wie in einer zweifachen Varianzanalyse mit jeweils nureiner Zellbesetzung, wofür unlängst, selbst für dichotome Daten,gezeigt werden konnte, wie die gesuchte Wechselwirkung zubestimmen ist (vgl. Rasch, Rusch, Šimečkova, Kubinger, Moder &Šimeček, 2009).Die AnwendungDie Herleitung der Parameterschätzer für mehrereModellvarianten nahm sehr viel Zeit in Anspruch, zumal wirvoneinander unabhängig ableiteten, um alle Ergebnisse zuvergleichen und so zu verifizieren. Die Programmierung der daraufaufbauenden Schätzalgorithmen übernahm Toni, ich schrieb dasUmgebungsprogramm zum Aufruf der Spieltag für Spieltag zuaktualisierenden Datenbank der Spielergebnisse mehrerer Ligen(österreichische 1. und 2. Liga, englische und italienische Liga) sowie75


zur Berechnung der gesuchten Wahrscheinlichkeiten für denkommenden Spieltag, wobei auch für variabel festzulegendeCut-off-Werte jeweils bestimmt wurde, ob für ein bestimmtes Spieleine „Bank“ (ein einziger Spielausgang wird getippt) oder ein„Zweierweg“ (zwei verschiedene Spielausgänge werden getippt, z.B.„1“ und „X/0“) oder gar ein „Dreierweg“ (alle drei möglichenSpielausgänge werden getippt) zu setzen ist.Das Computerprogramm war letztlich sehrbenutzerfreundlich, um Woche für Woche die wahrscheinlichstenSpielergebnisse tippen zu können.SchlussInsgesamt bewährte sich der gewählte Modellansatz. Obtatsächlich den Wettschein abgegeben oder nur virtuell gewettet,die Anzahl richtiger Tipps je gesetzter Tipp-Kolonne war deutlichhöher als nach dem Zufall zu erwarten. Letztere ergibt sich lautBinomialverteilung durchschnittlich als np = 121/3 = 4 von 12Spielen; wir hatten sehr oft eine sehr viel höhere Anzahl erzielt,häufig 8 oder 9 richtige Tipps, und erinnerungsmäßig innerhalb deretwa 10 gewetteten Wochen zweimal einen realen, sehrbescheidenen Gewinn für den dritten Rang (10 von 12 Tipps richtig).Es dauerte nach all der wissenschaftlich herausforderndenArbeit seine Zeit, bis wir realisierten, dass es wenig Wert hat, ausrelevanten Vorinformationen die wahrscheinlichsten Spielausgängezu prognostizieren: Zu annähernd denselben Prognosen kommen76


auch Fußballfachleute, die jahrelang die verschiedenen Ligenbeobachten. Vermag also unser Modell ziemlich gut und genau diekommenden Spielergebnisse aus den vorausgehendenSpielausgängen vorherzusagen, dann tippen auch viele Fachleutesehr ähnlich; selbst wenn unser Tipp in diesem Fall einen Gewinnbringt, ist dieser sehr gering, weil er pro Rang mit vielen anderen zuteilen ist. Zu schließen war daraus: Um eine Gewinnmaximierung zuerzielen, müsste man stets der Prognose zuwiderlaufend tippen,also gerade die unwahrscheinlichsten Spielausgänge. Zwar tretendiese kaum ein, wenn aber, liefern sie hohe Gewinne.Auf diese Strategie wollten wir uns aber dann doch nichtmehr einlassen. Von einem Tag auf den anderen beendeten wir dergewonnenen Einsicht zufolge unser Projekt.LiteraturFischer, G. H. (1974). Einführung in die <strong>The</strong>orie psychologischerTests. Bern: Huber.Kubinger, K. D. (1989). Aktueller Stand und kritische Würdigung derProbabilistischen Testtheorie. In K. D. Kubinger (Hg.), ModerneTesttheorie: Ein Abriß samt neuesten Beiträgen (2. Aufl., S. 19-83). München: Psychologie Verlags Union.Rasch, D., Rusch, T., Šimečkova, M., Kubinger, K. D., Moder, K., &Šimeček, P. (2009). Tests of additivity in mixed and fixed effecttwo-way ANOVA models with single sub-class numbers.77


Statistical Papers, 50, 905-916.Scheiblechner, H. (1971). <strong>The</strong> separation of individual- and systeminfluenceson behavior in social contexts. Acta Psychologica, 35,442-460.78


<strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> und die Wertschätzung nichtparametrischerVerfahrenMichael KundiIch kannte <strong>Anton</strong> (Toni) <strong>Formann</strong> seit fast 40 Jahren. Wirhaben einander 1972 am Rechenzentrum kennengelernt, dessenAllerheiligstes einen IBM-Computer beherbergte, groß wie einWandschrank, aber mit weit weniger Speicher als heute jedesHandy besitzt. Dieser Computer hat es aber für uns möglichgemacht, in wenigen Sekunden Berechnungen durchzuführen, fürdie man vorher mit der Hand und dem Rechenschieber Tagegebraucht hatte (elektronische Taschenrechner gab es auch nochnicht). Das mit den wenigen Sekunden war allerdings der Idealfall.<strong>Of</strong>t fand man seinen Computerausdruck statt mit den erhofftenErgebnissen mit der unerfreulichen Endnotiz Schluss damit in derAblage vor. Dann begann das Rätselraten, was den Abbruchverursacht habe. Und hier kommt Toni <strong>Formann</strong> ins Spiel. Er sah mirüber die Schulter, als ich so etwas wie das gibts doch nichtmurmelte und deutete auf eine Zeile: Du hast Continue mit Mgeschrieben! Tatsächlich habe ich das nicht gesehen. Das war Toni.Akribisch und ohne seine Wahrnehmung von Erwartungenverzerren zu lassen.Toni war damals wissenschaftliche Hilfskraft, kurz WiHi79


genannt, bei Gerhard Fischer und zunächst mit dem Schreiben undOptimieren der Software zum Rasch-Modell befasst. In dieser Zeithaben wir einander noch öfter mit Programmen geholfen und unsauch darüber hinaus mit Gott und der Welt befasst. Seit damalswaren wir einander freundschaftlich verbunden und haben auch,nachdem ich an die Medizinische Fakultät wechselte und ToniAssistent am Institut für Psychologie wurde, einander regelmäßiggetroffen.Obwohl wir einander so lange kannten und hinsichtlichGrundfragen der Wissenschaft sehr ähnliche Auffassungen hatten,war es uns nie geglückt, etwas gemeinsam zu publizieren. Und wiesich herausstellen sollte, wird das auch so bleiben. Denn das erstekonkrete Projekt nach so vielen Jahren scheiterte an Tonis allzufrühem Tod. Und wie viele seiner Projekte hätte auch dieses seinenAusgangspunkt dank einer seiner Eigenschaften genommen, die ichganz besonders schätzte. <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> war ein begnadeterNörgler, ein Nörgler im Sinne von Karl Kraus – ein produktiver, einkreativer Nörgler.Seine bedeutendsten Leistungen hatten ihren Anfang imNörgeln. Ich erinnere mich daran, dass Toni, als er dieSchätzmethoden zur Latent Class Analysis (LCA) studierte, sichdarüber aufregte, dass die Restriktionen für die Klassenparameterüberhaupt nicht oder durch unzulängliche Korrekturmethodenberücksichtigt wurden. Dieses Nörgeln hat dazu geführt, dass er das80


Problem des Schätzalgorithmus auf sehr einfache und eleganteWeise löste. Diese Lösung (die Restriktion bereits in derModellformulierung durch logistische Transformation zuberücksichtigen) ergab auch nahtlos Erweiterungen des LCA-Modells, die sich als fruchtbar erwiesen haben. Und bekanntlichkonnte er sich mit seinen Arbeiten dazu 1985 habilitieren (<strong>Formann</strong>,1984).Wie gesagt, <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> war ein Nörgler. Und als wireinander wieder einmal zu einem bescheidenen Mittagstisch ineinem kleinen Gasthaus in der Landesgerichtsstraße trafen, es warim Februar 2010, begann er bereits bei der Suppe in seinerunvergleichlichen Art sich darüber zu mokieren, dass mancheglauben, früher wären alle Deppen gewesen. Er hatte offenbar mitseinen Mitarbeitern und Studenten vorher über eine bereits 2004erschienene Arbeit (Rasch & Guiard, 2004) diskutiert, in der dieRobustheit parametrischer Methoden behandelt und die Meinungvertreten wurde, dass der t-Test so robust gegenüberAbweichungen von der Normalverteilung wäre, dass kein Grundbestünde, den Wilcoxon-Mann-Whitney-Test anzuwenden. Er wargar nicht dieser Meinung.Nach dem Essen, als er auf den Kaffee wartete, war er dannbereits so weit, die Frage zu stellen, ob diese Leute (inzwischenhatte er sein Nörgeln weit ausgedehnt) überhaupt in der Lagewären, die Student-t-Verteilung abzuleiten, wie es William S. Gosset81


vor mehr als 100 Jahren gelang (Student, 1907). Und nach ein paarSchlucken fügte er hinzu: Wer weiß, ob wir es können? Da ich das alssicher ansah, haben wir es auch versucht. Es hat kaum 10 Minutengedauert, bis wir die t-Verteilung aus den Voraussetzungen dert-Stichprobenstatistik abgeleitet hatten. Allerdings hatten wir denVorteil der Nachgeborenen, dass wir zwei schwierige Probleme, dieGosset noch vorher lösen musste, als bekannt voraussetzenkonnten: die stochastische Unabhängigkeit von Zähler und Nennerin der t-Statistik und die χ 2 -Verteilung als Verteilung der Varianz vonn identisch normalverteilten Zufallsvariablen.An dieser Stelle möchte ich eine andere Eigenschaft von<strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> erwähnen: seine Bescheidenheit. Und das wiedererinnert stark an William S. Gosset, der so bescheiden war, dass eres ablehnte, die Ableitung der t-Verteilung und damit dieMöglichkeit, zahlreiche Stichprobenstatistiken auf Signifikanz zuprüfen, als große Leistung anzusehen. Auch Toni hat seine Arbeitenals nicht besonders bedeutend angesehen. Aber ohne jetzt dieLeistungen von Gosset und <strong>Formann</strong> vergleichen zu wollen, kannman wohl behaupten, dass beide in ihrer Einschätzung der eigenenLeistung unrecht hatten.Zurück zum Problem der Robustheit des t-Tests und derFrage der Bedeutung nicht-parametrischer Verfahren. Wirbeschlossen an diesem Tag, endlich eine gemeinsame Publikation zuschreiben. Sie sollte die Frage behandeln, unter welchen82


Umständen der Wilcoxon-Mann-Whitney-Test (WMW) eineAlternative für den t-Test darstellt. Wir kamen überein, dass Tonidie Literatur dazu durchforstet und die theoretischen Erwägungenvorbereitet und ich die Simulationsstudien vornehme. Es stellte sichbald heraus, dass es dazu eine Vielzahl von Arbeiten gibt (z.B. Pratt,1964; Blair & Higgins, 1980; Sawilowsky & Blair, 1992; Lehmann &Romano, 2005; Cao, 2007), die bereits die meisten Fragenbeantworten. Während bereits lange bekannt ist, dass der t-Test beizwei unabhängigen aus einer Normalverteilung mit unbekannteraber gleicher Varianz stammenden Stichproben der mächtigste Testder Nullhypothese gleicher Erwartungswerte darstellt, habenLehmann und Romano (2005) gezeigt, dass der t-Test beiNormalverteilung auch asymptotisch der mächtigste Test unter derEntscheidungsregel: H o = {F,G: F=G; FNV}; H 1 = {F,G: F(x)=G(x+);0; FNV} ist. Es wurde auch gezeigt, dass der t-Test unter derVoraussetzung, dass F und G aus der gleichen Klasse vonVerteilungen stammen, deren Varianz größer als ein >0 ist, und dieendliche Momente bis zur 4. Ordnung besitzen, punktweiseasymptotisch valide ist. Andererseits fanden Blair und Higgins(1980), dass der WMW-Test bei sehr schiefen Verteilungenmächtiger als der t-Test ist.In einem Punkt haben Rasch und Guiard (2004) jedenfallsrecht: Der WMW-Test prüft zwei Verteilungen, aus denen diebeiden Stichproben stammen, auf stochastische Gleichheit. Damit83


man den WMW-Test als Lagetest anwenden kann, muss man dahervoraussetzen, dass die beiden Verteilungen bis auf ihre Lage gleichsind. Es würde also etwa das Vorliegen ungleicher Varianzen (Fisher-Behrens-Problem) die Anwendung des WMW-Tests als Lagetestausschließen. Diese Sachlage erkennt man bereits am Titel derPublikation von Mann und Whitney (1947): On a test of whether oneof two random variables is stochastically larger than the other.Henry Mann war ein Wiener, der bei Furtwängler an derUniversität Wien in Mathematik 1935 promoviert hatte und 1938,wie so viele andere jüdische Wissenschaftler, nach Amerikaemigrierte. Dort verschlug es ihn an die Ohio State University, wo ermit seinem ersten Doktoranden (Donald R. Whitney) die besagteArbeit publizierte. Das Prinzip des Tests, die Ableitung seinerasymptotischen Eigenschaften, etc., waren sehr fruchtbar undhaben zur Entwicklung weiterer nicht-parametrischer Verfahrenbeigetragen. Von der Idee des WMW-Tests, die Unordnung dergemeinsamen Rangfolge als Kriterium für die Abweichung von derAnnahme der stochastischen Gleichheit zu nutzen, ergibt sich, dassder WMW-Test sich besonders dann als Alternative zum t-Testeignet, wenn Ausreißer vorliegen. Daher wollten wir uns bei denSimulationsstudien besonders mit dem Fall schiefer Verteilungenund dem Vorliegen von Ausreißern befassen.84


Abbildung 1: Ergebnisse von je 10000 Monte Carlo-Experimenten zunormalverteilten Stichproben mit zwei Ausreißern in einer der beiden Stichproben,die mittels t-Test und Wilcoxon-Mann-Whitney-Test verglichen wurden. Dargestelltsind die Zahl der Tests, die ein auf dem 5%-Niveau signifikantes Ergebnis lieferten(blau: F-Test zum Vergleich der Varianzen; rot: t-Test; grün: WMW-U-Test) bein = 20 und n = 6 pro Stichprobe.Ohne hier auf die Ergebnisse im Detail einzugehen, möchteich ein Beispiel präsentieren. Abbildung 1 zeigt das Resultat von10000 unabhängigen simulierten Stichproben aus normalverteiltenGrundgesamtheiten mit einem Mittelwertsunterschied, dernominell einer Power von 80 % (bei einem Signifikanzniveau von 5%) entspricht. Es sind die Zahl der auf dem 5%-Niveau signifikantenErgebnisse des F-Tests auf Gleichheit der Varianzen, des t-Tests unddes WMW-Tests dargestellt, wobei zwei Stichprobengrößen (n = 20und n = 6) mit jeweils zwei Ausreißern in einer der Stichproben85


gewählt wurden. Überraschender Weise ergab sich eine starkeAnfälligkeit des F-Tests auf Abweichungen von der Normalverteilungoder Ausreißern, wie man das an den 52 % (bei n = 20) und 24 %(bei n = 6) signifikanten Ergebnissen (trotz gleicher Varianzen derPopulationen) erkennen kann. Es ist auch klar, dass der WMW-Testdem t-Test überlegen ist (WMW-Mächtigkeit: 88 % bzw. 81 %; imVergleich zu t-Test: 73 % und 79 %). Überraschend ist aber dennochdie Tatsache, dass der t-Test auch im Fall von Ausreißern eine hoheMächtigkeit besitzt. Allerdings gilt das nur in diesem Fall, bei demdie Ausreißer in der Richtung des wahren Mittelwertsunterschiedsauftraten, aber nicht für den umgekehrten Fall.Wir hatten uns für Mittwoch, 30. Juni 2010, verabredetgehabt, um diese Ergebnisse zu besprechen. Toni rief mich Montagoder Dienstag diese Woche an, um abzusagen, weil es ihm nicht gutging. Ich wollte ihn überreden, einen Arzt aufzusuchen, aber ermeinte, dass er am Wochenende ohnehin ins Waldviertel fahrenwürde und dann würde es ihm schon besser gehen. Daraus wurdedann leider nichts. Ob es ihm trotzdem nun besser geht? Ich weiß esnicht, aber ich hoffe es.LiteraturBlair, R. C., & Higgins, J. J. (1980). A comparison of the power ofWilcoxon’s rank-sum statistic to that of Student’s t statisticunder various nonnormal distributions. Journal of Educational86


Statistics, 5, 309-334.Cao, H. (2007). Moderate deviations for two sample t-statistics.ESAIM: Probability and Statistics, 11, 264-271.<strong>Formann</strong>, A. K. (1984). Die Latent-Class-Analyse: Einführung in<strong>The</strong>orie und Anwendung. Weinheim: Beltz.Lehmann, E. L., & Romano, J. P. (2005). Testing statisticalhypotheses (3rd ed.) New York: Springer.Mann, H. B., & Whitney, D. R. (1947). On a test of whether one oftwo random variables is stochastically larger than the other.Annals of Mathematical Statistics, 18, 50-60.Pratt, J. W. (1964). Robustness of some procedures for the twosamplelocation problem. Journal of the American StatisticalAssociation, 59, 665-680.Rasch, D., & Guiard, V. (2004). <strong>The</strong> robustness of parametricstatistical methods. Psychology Science, 46, 175-208.Sawilowsky, S. S., & Blair, R. C. (1992). A more realistic look at therobustness and type II error properties of the t test todepartures from population normality. Psychological Bulletin,111, 352-360.Student (1907). <strong>The</strong> probable error of a mean. Biometrika, 5, 351-360.87


Toni <strong>Formann</strong> und der HumorClaus LammIch war in den frühen 1990er Jahren Tutor von Toni<strong>Formann</strong>s Vorlesungen Methodenlehre und Testtheorie undTestkonstruktion. Später habe ich ihn dann in meiner Funktion alsUniversitätsassistent als wertvollen Kollegen am (damals noch)Institut für Psychologie erleben dürfen.Toni <strong>Formann</strong> war ein herzlicher und ganz besondererMensch, auch wenn das unter seiner manchmal scheinbar rauhenund leicht zynischen Schale nicht immer gleich offensichtlich wurde.Ich erinnere mich an eine Episode, in der eine Studentingegen Ende des Semesters (also kurz vor der Prüfung) all ihren Mutzusammennahm, um in der Vorlesung Methodenlehre, bei der ichTutor war, die Frage zu stellen, was denn zu tun sei, um bei derPrüfung „durchzukommen“. Man merkte Toni <strong>Formann</strong> die leichteIrritation ob der aus Sicht der Studentin zwar verständlichen, abervielleicht doch nicht ganz durchdachten Frage an. Frei nach demGrundsatz „Blöde Frage – blöde Antwort“ antwortete Toni <strong>Formann</strong>daher nach kurzem Nachdenken in etwa: Für einen Vierer muss manalle Rechenbeispiele, die im Skriptum gelistet sind, perfekt undauswendig reproduzieren, für einen Dreier noch alle Formeln dazu,für einen Zweier alle Formeln inklusive deren Ableitung, und ja, wereinen Einser will, der muss schon auch ein neues Testverfahren88


erfinden, die Formel dazu liefern, und deren Beweis!Stillschweigen im Hörsaal, alle waren perplex. Im Gegensatzzu Prof. Gerhard Fischer, der phasenweise einen ähnlich trockenenHumor an den Tag legen konnte, kam bei Toni <strong>Formann</strong> aber nichtder Nachsatz: Bitte, das war jetzt ein Scherz. Dementsprechend„lustig“ war für mich das im Anschluss an die Vorlesungstattfindende Tutorium, in dem ich denjenigen KollegInnen, die mitdieser speziellen Art von Humor noch nichts anfangen konnten, dieAngst vor der Prüfung nehmen musste. Genau so habe ich Toni<strong>Formann</strong> dann später auch immer wieder als Kollege an der Fakultätfür Psychologie erlebt: mit einem guten, ja geradezu köstlichenSpürsinn dafür, uns die allzu direkte Konfrontation mit der Realitätdadurch zu ersparen, dass man sie in eine (mehr oder wenigerweiche) Verpackung aus Zynismus und Sarkasmus einkleidet – undsich dabei aber dennoch treu bleibt.89


Eindrücke von Prof. <strong>Anton</strong> K. <strong>Formann</strong> aus der Sichteines Studenten und DoktorandenIngo W. NaderIm Rahmen meines Psychologie-Studiums kam ich sehr frühmit Prof. <strong>Anton</strong> K. <strong>Formann</strong> in Kontakt. Als motivierter Studentbesuchte ich sofort nach der Ringvorlesung seine Vorlesung derMethodenlehre und Statistik. Für diese Lehrveranstaltung stellte erseine Folien ins Netz, und wir Studierenden sollten uns vor derjeweiligen Einheit mit den Inhalten beschäftigen. Obwohl ich zujenen Menschen gehöre, die tatsächlich Freude an mathematischenHerleitungen haben, stellten mich diese Folien nicht selten vor einRätsel. Umso lebhafter ist mir in Erinnerung, wie es Prof. <strong>Formann</strong>gelang, durch einige wenige, aber gut gewählte Worte dieentsprechenden Herleitungen zu erklären und mir so zumVerständnis eben dieser, und damit auch der Statistik insgesamt zuverhelfen. Dies war mit ein Grund dafür, warum mir dieseVorlesungen als sehr kurzweilig in Erinnerung geblieben ist.Dazu ist allerdings zu bemerken, dass ich schüchtern genugwar, um nur äußerst selten eine Frage zu stellen. Dies wurde auchdadurch noch gefördert, dass die Ausführungen von Prof. <strong>Formann</strong>selbst zu sehr komplizierten Sachverhalten immer selbstverständlichund natürlich (nie aber hochtrabend oder herablassend) wirkten.90


Jene meiner Mitstudierenden, die lieber zuerst fragten (und erstspäter nachdachten), empfanden die Vorlesung wohl oft als wenigerkurzweilig, da sie angesichts der einen oder anderen unüberlegtenFrage Prof. <strong>Formann</strong>s scharfe Zunge kennenlernten. Auch das wareine Eigenschaft, die mir stark in Erinnerung geblieben ist undbleiben wird. Seine Antworten oder Kommentare auf solche Fragenwaren nämlich stets treffend und auf den Punkt, und sehr oft miteiner Prise Sarkasmus gewürzt, nie aber zynisch oder gar persönlichverletzend.Ich erlebte Prof. <strong>Formann</strong> also zu Anfang meinesPsychologie-Studiums als einen sehr kompetenten undrespekteinflößenden Methodiker mit einer recht scharfen Zunge.Dies gilt es zu bedenken, als ich von der Leiterin der Übungen zurPsychologischen Methodenlehre und Statistik, Dr. Karin Waldherr,dazu ermuntert wurde, mich als Studienassistent an der Abteilungfür Methodenlehre bei Prof. <strong>Formann</strong> zu bewerben. Als ich dannerstmals persönlich mit Prof. <strong>Formann</strong> in Kontakt trat, geschah dasmit sehr großem Respekt meinerseits und auch mit ein wenigFurcht, denn ich machte mich schon auf schwere statistischeGeschütze gefasst. Was mich statt dessen erwartete, war lediglichdie Frage, ob ich denn seine Vorlesung Methodenlehre und Statistikbeim ersten Antritt geschafft hätte. Keine Frage nach einer Note,keine Frage nach statistischen Inhalten, keine Frage, die meineFurcht auch nur im Entferntesten gerechtfertigt hätte. Dieses für91


mich sehr positive Erlebnis war der Beginn meiner Tätigkeit unterProf. <strong>Formann</strong>, in deren Zuge es noch viele weitere positiveErlebnisse geben sollte.Eine der wesentlichsten Erfahrungen für mich ist dabei wohlmeine Dissertation, die von Prof. <strong>Formann</strong> bis zu seinem verfrühtenTod betreut wurde (vgl. Nader, Tran, & <strong>Formann</strong>, 2011). Dabeierlebte ich ihn als einen Betreuer, der mir sehr viel Freiraum fürmeine Arbeit ließ, aber dennoch immer wertvolle Tipps parat hatteund interessante Anmerkungen machte. Insbesondere erinnere ichmich gerne an tiefgreifende inhaltliche Gespräche mit ihm. <strong>Of</strong>tbegannen diese Gespräche mit der Frage meinerseits, ob er dennein paar Minuten Zeit hätte, um mit mir ein Problem bei meinerArbeit zu besprechen. Diese Frage wurde meist mit Worten wieNein, im Moment ganz schlecht… Aber kommens kurz hereinbeantwortet, und das daran anschließende Gespräch dauerte oftmehr als eine Stunde und lieferte immer wichtige Einsichten oderneue Ansätze. Und es war immer ein Gespräch auf Augenhöhe, dassich wie eine Diskussion unter Gleichberechtigten anfühlte – unddadurch meinen tiefen Respekt noch verstärkte.LiteraturNader, I. W., Tran, U. S., & <strong>Formann</strong>, A. K. (2011). Sensitivity toinitial values in full non-parametric maximum-likelihoodestimation of the two-parameter logistic model. British Journal92


of Mathematical and Statistical Psychology, 64, 320-336.93


Erinnerungen eines Studenten und Dissertanten an<strong>Anton</strong> K. <strong>Formann</strong>Jakob PietschnigIch erinnere mich an meine erste Begegnung mit Professor<strong>Anton</strong> K. <strong>Formann</strong>, obwohl er sich diese Gelegenheit wohl nichtgemerkt haben wird, da sie für mich wie für die meisten meinerKollegInnen am Anfang meines Studiums als einer von zirka 700HörerInnen in der Hauptvorlesung für PsychologischeMethodenlehre und Statistik stattgefunden hat. Es war mir zu demZeitpunkt noch nicht klar, welchen hohen Stellenwert Professor<strong>Formann</strong> im Laufe der nächsten Jahre in meinem Werdegangeinnehmen würde.Je näher der Zeitpunkt rückte, meine eigene Diplomarbeit inAngriff nehmen zu müssen, desto mehr begeisterte ich mich für den<strong>The</strong>menbereich Methodenlehre, den <strong>Anton</strong> K. <strong>Formann</strong> in Wienrepräsentierte. Als ich die Möglichkeit bekam, eben dieseDiplomarbeit am Arbeitsbereich für Methodenlehre absolvieren zukönnen (betreut von Martin Voracek), nahm ich diese freudig wahr.Konkret ging es dabei um einen Methodenvergleich von Verfahrenzur Identifikation von Publikationsbias in Meta-Analysen (Rothstein,Sutton, & Borenstein, 2005; Song, Eastwood, Gilbody, Duley, &Sutton, 2000), ein <strong>The</strong>ma, das <strong>Anton</strong> K. <strong>Formann</strong> sehr zu94


interessieren schien, obwohl er sich bis zu diesem Zeitpunkt meinesWissens nach noch nicht intensiv damit beschäftigt hatte.Umso erstaunter war ich, als er mich Ende 2007, ein halbesJahr, nachdem ich das Konzept meiner Diplomarbeit im Rahmen desDiplomandInnen-Seminars vorgestellt hatte, darauf ansprach, ob esnicht interessant wäre, ein weiteres neues Verfahren an meinemohnehin schon vorhandenen Datensatz auszuprobieren, er habesich dazu selbst eine Kleinigkeit ausgedacht. Diese Kleinigkeitentpuppte sich als komplett neuer Ansatz zur Schätzung vonPublikationsbias, der mich dazu veranlasste, die Arbeit um einKapitel zu erweitern (vgl. Pietschnig, 2008; Pietschnig & Voracek,2011; Pietschnig, Voracek, & <strong>Formann</strong>, 2010a). Bereits ein Jahr nachdieser meiner Überraschung war dann auch bereits derMethodenkreis der Schätzverfahren für Publikationsbias in Meta-Analysen um eine publizierte Methode reicher (<strong>Formann</strong>, 2008). DerAusdruck Kleinigkeit war in diesem Zusammenhang von <strong>Anton</strong> K.<strong>Formann</strong> selbst gewählt und ist charakteristisch für dieBescheidenheit, mit der er auftrat.Zu seinen vielen bemerkenswerten Charakteristika zählteunter anderem auch seine unvergleichliche Art, einem in Momentengroßer Anspannung die Nervosität zu nehmen und eine gewisseSicherheit zu geben. Ein mir unvergessliches Beispiel dafür ist, als ermich, als wir einander unmittelbar vor meiner mündlichenDiplomprüfung, bei der er als Erstprüfer fungierte, am Gang des95


Institutsgebäudes trafen, mit einem verschmitzten Lächeln fragte:So elegant, Herr Kollege? Haben Sie heute noch etwas Besonderesvor?Ich bin ihm auch für seinen immer ermutigenden Zuspruchdankbar, der unter anderem dazu beigetragen hat, dass ich mich umeine Stelle als Mitarbeiter am Arbeitsbereich für Methodenlehrebeworben habe, um einige Monate nach der Diplomprüfung unterseiner Betreuung dortselbst als Dissertant (Pietschnig, 2012;Pietschnig, Voracek, & <strong>Formann</strong>, 2010b, 2011) undUniversitätsassistent meine Laufbahn zu beginnen.Diese Zeit, die ich als Mitarbeiter von <strong>Anton</strong> K. <strong>Formann</strong>verbringen durfte und die so tragisch verfrüht zu Ende ging, warauch gekennzeichnet durch einen überaus hohen Grad anfreundlicher Unterstützung. Trotz sämtlicher Verpflichtungen, die zuden Aufgaben des Lehrstuhlinhabers und stellvertretendenInstitutsvorstandes gehören, war es ihm immer wichtig undmöglich, einem mit seiner Expertise zur Seite zu stehen. Somarkierte eine kurze Konversation bei zufälligen Treffen in denGängen des Institutsgebäudes oft den Anfang zu einem Austauschetlicher neuer interessanter Ideen, die wegen ihrer plötzlichauftauchenden Vielfalt meist in das Arbeitszimmer von Professor<strong>Formann</strong> verlegt und in freundschaftlicher Atmosphäreausdiskutiert wurden.Ich blicke mit tiefer Dankbarkeit auf die Zeit zurück, in der96


ich mit ihm zusammenarbeiten und von ihm lernen durfte.Literatur<strong>Formann</strong>, A. K. (2008). Estimating the proportion of studies missingfor meta-analysis due to publication bias. Contemporary ClinicalTrials, 29, 732-739.Pietschnig, J. (2008). Statistische Tests für Publikations-Bias in Meta-Analysen: Ein Methodenvergleich am Beispiel des Mozart-Effekts. Unpublizierte Diplomarbeit, Universität Wien.Pietschnig, J. (2012). Der Lynn-Flynn-Effekt: Meta-analytische undmeta-theoretische Studien zu Ursachen, zeitlichem Verlauf undregionalen Unterschieden von IQ-Testnormverschiebungen.Unpublizierte Dissertation, Universität Wien.Pietschnig, J., & Voracek, M. (2011). Der Mozart-Effekt: Wie sichMythen hartnäckig halten. Skeptiker: Zeitschrift fürWissenschaft und kritisches Denken, 24, 176-181.Pietschnig, J., Voracek, M., & <strong>Formann</strong>, A. K. (2010a). Mozart effect––Shmozart effect: A meta-analysis. Intelligence, 38, 314-323.Pietschnig, J., Voracek, M., & <strong>Formann</strong>, A. K. (2010b). Pervasivenessof the IQ rise: A cross-temporal meta-analysis. PLoS ONE, 5,e14406.Pietschnig, J., Voracek, M., & <strong>Formann</strong>, A. K. (2011). Female Flynneffects: No sex differences in generational IQ gains. Personalityand Individual Differences, 50, 759-762.97


Rothstein, H. R., Sutton, A. J., & Borenstein, M. (Eds.) (2005).Publication bias in meta-analysis: Prevention, assessment andadjustments. Chichester, West Sussex: Wiley.Song, F., Eastwood, A. J., Gilbody, S., Duley, L., & Sutton, A. J. (2000).Publication and related biases. Health Technology Assessment,4(10) [whole issue].98


<strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong>s erstes MalKarl PiswangerIch hatte das Studium der Psychologie bis zurDissertantenprüfung abgeschlossen, ebenso Afrikanistik mit denNebenfächern Anthropologie und Soziologie. Jetzt galt es, die Fragezu beantworten, in welchem Fach und vor allem über welches<strong>The</strong>ma ich die Dissertation verfassen sollte. Zur Diskussion standenfür mich folgende Optionen, die mein Interesse erweckt hatten: dasin den beginnenden 1970er Jahren aktuelle <strong>The</strong>ma Glockenkurve –das besagte, dass der Intelligenzquotient Weißer höher lag als jenervon Afrikanern oder Afroamerikanern, ein sprachlich-ethnologisches<strong>The</strong>ma (Kabre in Togo) und ein Mischthema (Psychologie in Afrika).Durch Zufall lernte ich Dr. <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> kennen, mit demich das <strong>The</strong>ma kulturfreier Intelligenztest besprach. Als ich ihnfragte, ob er sich vorstellen könnte, meine Dissertation zu betreuen,war mir nicht bewusst, dass es nicht nur für mich die ersteDoktorarbeit war, sondern auch für ihn die erste, die er betreute.Ich arbeitete zu der Zeit bei Olivetti in der damaligen EDV-Branche,und hier schlug sofort die Begeisterung von <strong>Anton</strong> durch: EDV,Statistik, Intelligenztestung und natürlich sein von ihm in Grobformentwickelter Intelligenztest nach Raven (<strong>Formann</strong>, 1973). Mitriesiger Begeisterung redete er auf mich ein, dass ich angeblich alleVoraussetzungen mitbrächte, um dieses EDV-gestützte99


interkulturelle, statistisch aufwändige Tema erfolgreich umsetzen zukönnen. Er war mir sofort sehr sympathisch in seiner etwasschüchternen, aber begeisternden Art und Weise, die so gar nichtdominant war, wie ich es von Erzählungen anderer Dissertantenüber ihre Doktorväter und -mütter kannte. <strong>Anton</strong> betreute aufAugenhöhe, er ließ mich an seinem profunden Wissen teilhaben,ohne damit zu protzen.Im Gegensatz zu anderen Dissertanten hatte ichglücklicherweise kein Problem mit der Statistik, nur waren mir dieVerfahren von Georg Rasch weitgehend unbekannt. Außerdem warich damals und bin auch jetzt noch der Meinung, dass Menschen,Gruppen und Teams und deren Skills nicht tayloristisch in Zahlenallein zu erfassen sind. Mein Weltbild ist ein weitgehendhumanistisches.Mit nicht enden wollender Begeisterung brachte er mir denHintergrund und die Algorithmen des Rasch-Verfahrens nahe,soweit sie damals entwickelt waren. Nie vergessen werde ich jenenTag, an dem er mich mit sichtlicher Vorfreude in den Keller desneuen Institutsgebäudes führte, um mir die neuesten Computer zuzeigen, die mit Hollerith-Karten gespeist wurden. Mein inneresEntsetzen passte so gar nicht zu seinem Stolz über diese Anlage, ichsah mit Schrecken die aufwändige, relativ ereignislose – um nicht zusagen: stupide – Arbeit, die auf mich warten würde: etwa 2.500Testpersonen mit der <strong>Formann</strong>schen Raven-Variante zu testen, und100


das nach Möglichkeit in den Ländern Österreich, Togo, Benin undNigeria, die ich gut kannte und wo ich Kontaktpersonen hatte. AlleErgebnisse auf Hollerith-Lochkarten erfassen, endlos langeRechenvorgänge geduldig abzuwarten, Items zu bewerten undauszuscheiden, eine Kontrollgruppe zu testen, Literaturrecherchenanstellen, und so weiter und so fort.An meinem Dissertationsthema musste <strong>Formann</strong> sehr vielgelegen sein, denn er besuchte mich sogar um Mitternacht beimLochen der Hollerith-Karten im Keller des neuen Institutsgebäudes,der zwischenzeitlich mein zweithäufigster Aufenthaltsort nach demBüro geworden war. Er begeisterte sich an den wunderbar an der45-Grad-Linie angeschmiegten errechneten Zahlenwerten und warsichtlich angetan von der Diskriminierungsstärke des dann endgültigentwickelten Tests, der dann als Wiener Matrizentest im Beltz-Verlag veröffentlich wurde (<strong>Formann</strong> & Piswanger, 1979; vgl. auch<strong>Formann</strong>, Waldherr, & Piswanger, 2011) und dadurch erst rechtextreme Begeisterung bei <strong>Anton</strong> auslöste.Zum „Schrecken“ aller Psychologie-Statistik-Studentenwurde meine, respektive unsere, Arbeit (Piswanger, 1976) mitzahlreichen nachfolgenden Studenten durchgearbeitet, was mirauch heute noch unsere – bei Pendl & Piswanger arbeitendenPsychologie-StudentInnen – bestätigen.Fast jeder Dissertant wünscht sich einen Betreuer, derschon ausreichend Erfahrung in diesem Metier gesammelt hat. Ich101


kann nur jedem abraten, dies als wichtigstes Kriterium zu sehen. DieBegeisterungsfähigkeit von <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong>, den ich als angenehmintrovertierten, fleißigen und zielorientierten Menschenkennengelernt habe, seine Intelligenz und Einfühlungsvermögenwaren weitaus wichtiger und haben bewirkt, dass wir über all dieJahre, die seit meiner Dissertation vergangen waren, immer wiederin Kontakt waren.Was mich als vollzeitarbeitenden Menschen damalsbesonders begeisterte, waren seine Nachtschichten mit mir, seineexzellente fachliche und menschliche Unterstützung und nichtzuletzt die kurze Dauer meiner Dissertation von genau einem Jahr,was damals in der Psychologie extrem selten war. – Ein herzlichesDankeschön, lieber <strong>Anton</strong>, von Deinem ersten Dissertanten.Literatur<strong>Formann</strong>, A. K. (1973). Die Konstruktion eines neuen Matrizentestsund die Untersuchung des Lösungsverhaltens mit Hilfe deslinearen logistischen Testmodells. Unpublizierte Dissertation,Universtität Wien.<strong>Formann</strong>, A. K., & Piswanger, K. (1979). WMT – Wiener Matrizen-Test: Ein Rasch-skalierter sprachfreier Intelligenztest.Weinheim: Beltz.<strong>Formann</strong>, A. K., Waldherr, K., & Piswanger, K. (2011). WienerMatrizen-Test 2 (WMT-2): Ein Rasch-skalierter sprachfreier102


Kurztest zur Erfassung der Intelligenz. Göttingen: Hogrefe.Piswanger, K. (1976). Interkulturelle Vergleiche mit demMatrizentest von <strong>Formann</strong>. Unpublizierte Dissertation,Universität Wien.103


Erinnerungen an <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong>Brigitte RollettDer Anlass, die Erinnerungen an die gemeinsame Zeit amInstitut für Psychologie (heute Fakultät für Psychologie) mit <strong>Anton</strong><strong>Formann</strong> Revue passieren zu lassen, sollte, wenn alles denErwartungen entsprochen hätte, ein festlicher sein, jedenfalls keinAbschiednehmen für immer.Erste Begegnungen mit <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> hatte ich anlässlichvon Tagungen, bei denen er als Vorreiter einer neuen Art desUmgangs mit der psychologischen Datenwelt im Zentrum lebhafterDiskussion stand, die von strikter Ablehnung bis zuleidenschaftlicher Befürwortung reichte. Eindrucksvoll in diesemZusammenhang war immer seine bei allem Engagementzurückgenommene, auf Argumenten aufbauende Art, darauf inüberzeugender Weise einzugehen. Als ich im Wintersemester1979/80 den traditionsreichen Lehrstuhl Charlotte Bühlersübernahm, wurde rasch deutlich, dass das Renomée des WienerInstituts als Ausbildungsstätte so vieler späterer Lehrstuhlinhaberim deutschen Sprachraum (scherzhaft hatte man daher damitbegonnen, von der österreichischen Mafia zu sprechen), aufgrunddes krassen Missverhältnisses zwischen den personellen undräumlichen Ressourcen und den extrem hohen Studierendenzahlen,nur mit hohem persönlichem Einsatz aller Lehrenden erkauft wurde.104


Umso größere Bedeutung kam jenen Mitarbeitern des Instituts zu,die, wie <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong>, Entscheidendes dazu beitrugen, den hohenStandard in der Forschung und der forschungsbezogenen Lehre zusichern. Wie aus seiner Publikationsliste hervorgeht, kam ihm indieser Beziehung eine herausragende Position zu. (Da über <strong>Anton</strong><strong>Formann</strong>s wissenschaftliches Werk an anderen Stellen diesesBuches berichtet wird, soll hier nicht näher darauf eingegangenwerden.)Zu den Belastungen durch die großen Studierendenzahlenbei eingeschränkten Ressourcen kam in den 1980er und frühen1990er Jahren eine weitere Problematik dazu, die diewissenschaftliche Lehre im Fach Methodenlehre erschwerte: Diehochschulpolitische Situation war alles andere alsmethodenfreundlich. Die statistische Ausbildung wurde alsUnterdrückungsinstrument des Establishment abqualifiziert (eineTerminologie, mit der die heutige Studierendengeneration nichtsmehr anfangen kann) und ihre Exponenten heftig bekämpft. <strong>Anton</strong><strong>Formann</strong> ist es – nicht zuletzt aufgrund seines trockenen Humors –immer wieder gelungen, die hoch emotionalisierten Diskussionenauf eine sachliche Ebene zurück zu führen. Die letzten Ausläuferdieser Auseinandersetzungen fanden sich viel später anlässlich deranfangs der 2000er Jahre eingeführten regelmäßigenLehrveranstaltungsevaluationen wieder: Nicht ganz unerwartetspiegelten die damaligen Bewertungen der105


Methodenlehreveranstaltungen durch die Studierenden deren ehergeringe Begeisterung für die Statistik wider. Von Seiten des Leitersdes Teams des Rektorats, das die erste derartige Evaluationdurchgeführt hatte, wurde mir als Vorsitzende derStudienkommission Psychologie allen Ernstes vorgeschlagen, denbetreffenden Lehrenden als Sanktion im nächsten Semester keinenLehrauftrag zu erteilen. Als ich <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> lachend davonerzählte, meinte er, dass dies eine hervorragende Idee sei: Zwarwürde diese Maßnahme den Studierenden erhebliche Problemebeim zeitgerechten Abschluss ihres Studiums bereiten, alspersönlich Betroffener würde er aber dies nicht als Sanktion,sondern als Belohnung empfinden.<strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> hat es immer verstanden, Kritik in kreativeLösungsansätze umzusetzen. Zu den Glaubenssätzen derStudentenbewegung gehörte neben der Ablehnung derquantitativen Methoden die Befürwortung qualitativer Zugänge,natürlich ohne die methodischen Elaborierungen, die mittlerweile –nicht zuletzt auch durch die Arbeiten <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong>s – zumStandard geworden sind.Mit <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong>s Berufung 2004 auf denMethodenlehrstuhl der Fakultät für Psychologie begann eine neuekreative Schaffensperiode, die ihm Gelegenheit bot, sich einembreiteren Interessensspektrum zuzuwenden. Seit die Journalisten imZuge des Medienzeitalters entdeckt hatten, dass sich mit106


psychologischen <strong>The</strong>men Bücher und Sendezeiten füllen lassen, wares zu einem Boom populärer <strong>The</strong>men gekommen, was immerwieder Anlass zu Gesprächen im Kollegenkreis (vor allem in dendamals üblichen Treffen während der Pausen zwischen denDiplomprüfungen am „Snackbuffet“) gab. Vor allem der „Mozart-Effekt“ führte zu Diskussionen, an denen sich <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> inseiner humorvollen Art engagiert beteiligte. Es ist bezeichnend fürihn, dass er es nicht dabei bewenden ließ, sondern zusammen miteiner Gruppe Gleichgesinnter eine profunde und international vielbeachtete Meta-Analyse der Untersuchungen zum Mozart-Effektveröffentlichte (Pietschnig, 2008; Pietschnig, Voracek, & <strong>Formann</strong>,2010).Wir alle, die wir ihn durch viele Jahre hindurch gekannt undals Kollegen und Wissenschaftler geschätzt haben, waren vonseinem unerwarteten Hinscheiden tief betroffen. Er hinterlässt eineLücke, die nur schwer zu füllen sein wird.LiteraturPietschnig, J. (2008). Statistische Tests für Publikations-Bias in Meta-Analysen: Ein Methodenvergleich am Beispiel des Mozart-Effekts. Unpublizierte Diplomarbeit, Universität Wien.Pietschnig, J., Voracek, M., & <strong>Formann</strong>, A. K. (2010). Mozart effect––Shmozart effect: A meta-analysis. Intelligence, 38, 314-323.107


Erinnerungen an Prof. <strong>Formann</strong> aus Sicht einer seinerDiplomandinnenBarbara RuppAls die Einladung kam, als letzte Diplomandin/Absolventinvon Prof. <strong>Formann</strong> (Rupp, 2010) einen Beitrag zu schreiben, fühlteich mich einerseits geehrt und dankbar, andererseits aber auchüberfordert: Geehrt, die Möglichkeit zu erhalten, mich auf dieseWeise von meinem Diplomvater zu verabschieden und ihm auch einletztes Mal zu danken; überfordert, von der Überlegung, wie all diewunderbaren und lehrreichen Momente, welche sich aus derBegegnung mit Prof. <strong>Formann</strong> ergeben haben, in entsprechendeund ihm gerecht werdende Worte gefasst werden können. Es ist dievon großer Dankbarkeit geprägte Erinnerung, als Diplomandin derPsychologie mit diesem großen Wissenschaftler und Menschengearbeitet haben zu dürfen, die die nachfolgenden Erinnerungenbegleiten wird. Es sind Erinnerungen an unterschiedlicheBegegnungen, die meinen Weg durch das Studium und darüberhinaus beeinflusst haben.Als junge Studienanfängerin hatte ich große Ehrfurcht vordem angstbesetzten Gegenstand der Statistik, zumal ich noch wenigIdee davon hatte, welche Wichtigkeit diesem Fach innewohnt. Zudiesem Zeitpunkt leitete Prof. <strong>Formann</strong> die Hauptvorlesungen zu108


Statistik. Sein Ruf oder vielmehr das Gerücht, er sei ein strenger undzynischer Professor, eilte ihm voraus und bewirkte auch bei mirAngst vor dem Scheitern bei Prüfungen zu den entsprechendenVorlesungen. Verbunden mit dieser Angst ist jedoch auch dieErinnerung an meine erste Begegnung mit Herrn Prof. <strong>Formann</strong>:Wie so viele KollegInnen auch, wartete ich auf den Einlass zurPrüfung in Statistik I, der sich weit über den angesetztenPrüfungsbeginn hinaus verzögert hatte. Voll Ärger über dieVerzögerung bewegte ich mich in die ersten Reihen des Audimax,und verlieh meinem Unmut hörbar Ausdruck. Daraufhin wurde ichvon Prof. Forman mit einem Und Sie in dem rosaroten Pullover sindaber jetzt schnell still, sonst wird die Zeit von der Prüfung abgezogenbedacht. Nach diesem ersten Eindruck stand damals für mich trotzigfest, dass dies wohl nie mein Lieblingsfach sein würde, geschweigedenn mein Diplomfach unter Betreuung von Prof. <strong>Formann</strong>.Es ergab sich jedoch eine intensivere Auseinandersetzungmit diesem Fachgebiet. Im Zuge dessen veränderte sich einerseitsdie Einstellung zu Statistik und Methodenlehre, andererseits machteProf. <strong>Formann</strong>s Zugang zu StudentInnen und seine Art zu lehrengerade ihn durch eine weitere Begegnung zu dem Diplomvater fürmich schlechthin. Seine mitunter direkte, unverblümte,unverhohlene, wohl auch zynische Kritik in Hinsicht auf dieAlltagsrelevanz wissenschaftlicher Arbeiten hat eine kritischeReflexion über mein damals verfolgtes Forschungsgebiet bewirkt. Im109


Rahmen des DiplomandInnen-Seminars wollte ich eine damalsbegonnene Pilotstudie (vgl. zuvor: Voracek, Fisher, Rupp, Lucas, &Fessler, 2007) in einem Präplanungsreferat vorstellen und hatte fürdie von mir gewählte Formulierung scharfe Kritik geerntet – mitdem Hinweis, es gäbe nur ein Planungs- und einAuswertungsreferat. Die Kritik wirkte auf mich so direkt und harsch,dass ich das Gefühl hatte, mich für diese Bezeichnung im Anschlussan das Seminar entschuldigen zu müssen. Ich werde nie denverschmitzten Gesichtsausdruck vergessen mit dem er dieEntschuldigung mit einem Passt schon, Frau Kollegin. Nehmens dasnicht so wichtig kommentiert hat und mir gleichzeitig versichert hat,dass meine Leistung schon gut gewesen sei. Diese Begegnung hatfür mich verdeutlicht, dass Prof. <strong>Formann</strong> seine StudentInnen zueiner kritischen Betrachtungsweise dem eigenen Gegenstand undden eigenen Forschungsinteressen gegenüber herausfordern wollteund dabei auch unterschiedlichen Perspektiven große Akzeptanzentgegenbrachte. Ich glaube, dass ihm genau diese Form derDiskussion mit Studierenden viel Freude bereitete und er diese auchanregen wollte.Eine dieser Diskussionen, die mir noch sehr gut inErinnerung ist, führte zu einer intensiven Zusammenarbeit. Es gingdabei um nichts Geringeres als meine Diplomarbeit, vor allemdarum, dass ein klinischen Forschungsthema sehr wohl auch seinenPlatz auf dem Gebiet der Grundlagenforschung haben muss. So fand110


ich mich in einer Sprechstunde bei Prof. <strong>Formann</strong> ein und sah michmit allerlei Einwänden in Bezug auf methodische Probleme beiklinischen Studien und der damit verbundenen Zusammenarbeit mitKrankenanstalten konfrontiert. Auch diesmal war jeder seiner nochso grantigen Einwände von einem Schmunzeln begleitet. Fastmöchte ich unterstellen, dass Prof. <strong>Formann</strong> zu genau dieser Art derKonfrontation und Diskussion anregen wollte, die sich im Laufe derSprechstunde ergeben hat. Als ich jedem einzelnen der Einwändemit wohl überlegten Argumenten begegnete, war jeder scheinbareGroll großem Interesse an meinem Vorhaben gewichen.Dieses Treffen war der Beginn der engen Zusammenarbeitmit Prof. <strong>Formann</strong>. Es war eine Zeit, in der ich unglaublich viellernen durfte und mein <strong>The</strong>ma methodisch fundiert aufbereitenkonnte. Ich lernte aber auch einen bewundernswerten, zynischhumorvollen und sehr bescheidenen Menschen kennen. So standzum Beispiel während des Fachliteraturseminars dieAuseinandersetzung mit verschiedenen Artikeln zur Latent Class-Analyse an der Tagesordnung. Einer dieser Artikel führte in meinerArbeitsgruppe zu massiven Verständnisproblemen. Als ich das Prof.<strong>Formann</strong> gegenüber eingestand, kam anstatt der gefürchteten Kritiknur: Frau Kollegin, ich bin beruhigt, dass Sie den Artikel nichtverstanden haben, denn ich habe ihn selbst nie verstanden. Begleitetwar das ganze wieder von einem amüsierten Schmunzeln. Für michliegt in diesem Satz so viel Weisheit und beschreibt wohl sehr genau111


die Lehrqualität dieses Menschen. Prof. <strong>Formann</strong> verdanke ich dieErkenntnis, dass es wichtig ist, durch das Studium eineswissenschaftlichen <strong>The</strong>mas Fachliches selbst beurteilen zu lernenund auch eigene Erkenntnisgrenzen zu akzeptieren und zuverstehen, dass genau darin Wissen verborgen liegt.Jeder seiner Hinweise wie auch jede Diskussion waren stetsvon großem Wohlwollen und Interesse geprägt. Stets hat er mir dasGefühl der fachlichen und menschlichen Unterstützung vermittelt.Mit letzterer machte ich zu einem traurigen Anlass sehr tröstlicheBekanntschaft. Die letzte Besprechung meiner Diplomarbeit warvon einem Todesfall in meiner Familie überschattet. DieBesprechung meiner Arbeit wandelte sich zu einem sehr langen undtröstlichen Gespräch über persönliche Erfahrungen mit Sterben undTod. Noch heute bin ich Prof. <strong>Formann</strong> für dieses Gesprächaufrichtig dankbar. Damals wusste ich nicht, dass dies eine derletzten Begegnungen mit ihm bleiben sollte.Die letzte Begegnung mit Prof. <strong>Formann</strong> war der Tag meinerDiplomprüfung (Donnerstag, 24. Juni 2010). Viel zynischer Wortwitz,der von meinen beiden Prüfern Prof. <strong>Formann</strong> und Prof. Kubingerkam, wird mir in Erinnerung bleiben. Mit einem Lächeln denke ichdaran zurück, wie Prof. <strong>Formann</strong> mir mit einem Satz und dem ihmeigenen Schmunzeln in den Augen viel von meiner Nervositätgenommen hat: Warum sind Sie denn so nervös, Frau Kollegin, Siewerden sehen, wir schaffen das schon. Nach der Prüfung112


verabschiedete er mich mit der Aufforderung, dass ich ihn dochunbedingt besuchen möge, mit der Bitte, dies auch wirklich zu tun.Eine Bitte, der ich leider nicht nachkommen konnte, so gern ich esgewollt hätte: Denn eine Woche nach meiner Prüfung erhielt ichNachricht von der plötzlichen, schweren Erkrankung und kurz daraufjene vom Ableben Prof. <strong>Formann</strong>s.Für mich ist der Verlust Prof. <strong>Formann</strong>s aus menschlichenwie fachlichen Gründen groß. Was bleibt, ist die Erinnerung aneinen wunderbaren Wissenschaftler und Menschen, einenhumorvollen Zyniker, der StudentInnen und KollegInnen sehr vielWertschätzung und Respekt entgegengebracht hat. Ich empfindeviel Dankbarkeit für seine Geduld, die vielen lehrreichenDiskussionen und Anmerkungen, mit denen er mich stets zu einerkritischen Reflexion meiner Arbeits- und Denkweise angeregt hat.Nicht zuletzt dadurch wurde mein großes Interesse an der klinischenGrundlagenforschung unter Beachtung einer methodisch fundiertenArbeitsweise geprägt und vertieft. Dankbarkeit empfinde ich auchdafür, mit einem so großartigen und bewundernswerten Menschengearbeitet haben zu dürfen. Der Gedanke daran, dass er mit einemSchmunzeln in den Augen und tiefer Stimme wohl „nur“ Ach FrauKollegin, jetzt hören Sie doch auf. Das passt schon. Lassen Sie es gutsein! geantwortet hätte, lässt mich mit einem Lächeln an Prof.<strong>Formann</strong> denken.113


LiteraturRupp, B. (2010). IQ und kognitive Leistungen von pädiatrischenPatientInnen mit Medulloblastom. Unpublizierte Diplomarbeit,Universität Wien.Voracek, M., Fisher, M. L., Rupp, B., Lucas, D., & Fessler, D. M. T.(2007). Sex differences in relative foot length and perceivedattractiveness of female feet: Relationships amonganthropometry, physique, and preference ratings. Perceptualand Motor Skills, 104, 1123-1138.114


Großer BraunerAnne H. E. SchildMorgens um etwa halb 8 schwinge ich mich auf mein Radund fahre zur Arbeit. An der Fakultät angekommen, nehme ich denAufzug und fahre in den 3. Stock. Mein Büro ist gleich hinter derGlastür rechts, Raum 03-50. Ich durchquere den Vorraum, kaum vierSchritte, und trete durch die doppelte Flügeltür herein. Ich lege ab,stelle den Computer an, komme heraus und drehe dieKaffeemaschine auf. Die braucht morgens ein wenig zumAufwachen und während sie im Hintergrund krächzt und gurgelt,bleibe ich oft gedankenverloren vor den Büchern stehen, die dielinke Wand des Vorraums säumen. Ich betrachte, wie siefeinsäuberlich, alphabetisch geordnet in Reih und Glied stehen(www.antonformann.at/reference_library.htm).Ich kann mich nicht mehr erinnern, wo sie früher gestandenhaben. Ich glaube, dass es links im Büro, irgendwo da, wo jetzt meinArbeitsplatz ist, ein Bücherregal gegeben haben muss. Irgendwieglaube ich aber, dass sie da wohl anders gestanden haben müssen.Ich weiß nicht warum, aber irgendwie kann ich mir nicht vorstellen,dass sie so geordnet waren.Zurück zur Kaffeemaschine, die ihr morgendlichesAufwärmritual beendet hat. Dankbar drücke ich auf den Knopf, überdem eine große Kaffeetasse abgebildet ist. Ein Mahlen, Surren und115


Fauchen ertönt. Ich warte auf meinen großen Braunen. Mein Blickschweift zur rechten Seite des Raumes, wo jahrgangsweise Statistik-Journals geordnet sind. Immer gewundert habe ich mich über denbeachtlichen Stapel kleiner blauer Terminplaner, der darüber liegt.Allesamt sehen sie komplett gleich aus, Werbegeschenkeirgendeines Psychologenverbandes. Allesamt sind sie leer. Ich fragemich dann, warum er sie aufgehoben hat, benutzen wollte er sienicht, zum Wegwerfen zu schade, der Terminplaner von 1992. MeinKaffee ist lange fertig, meine Gedanken abgeschweift.Ich gehe zurück ins Büro, setze mich an meinen Arbeitsplatz.Martina Edl kommt herein, um uns eine neue Studienassistentinvorzustellen. Das erinnert mich, wie ich zum ersten Mal dieses Bürobetrat. Das muss im Mai oder Juni 2008 gewesen sein. Gerade hatteich eine Fakultätspraktikumsstelle bei Martin Voracek angetreten(vgl. Schild & Voracek, 2011) und er wollte mich im Arbeitsbereichvorstellen. Bis auf Stefan Stieger kannte ich damals nochniemanden. Gerade zuvor hatte ich bei ihm dasForschungspraktikum 1 besucht. Mein Studienkollege (und spätererStudienassistent am Arbeitsbereich) Christoph Burger und ichhatten große Freude an dem gemeinsamen Projekt und verfolgtenes gemeinsam mit Stefan Stieger weiter. Neben einerKongresspräsentation in Berlin (Burger, Schild, & Stieger, 2008), dieeinige Wochen später folgte, wurde diese Arbeit auch bald daraufpubliziert (Stieger, Burger, & Schild, 2008).116


Mit diesem ersten gemeinsamen Projekt sollte meine festeVerbandelung mit dem Arbeitsbereich Methodenlehre schon da ihreSchatten vorauswerfen. Am Anfang meines Praktikums jedoch wardaran noch lange nicht zu denken. Ich erinnere mich, dass ichnervös war ob der bevorstehenden Vorstellungsrunde. Natürlichkannte ich Prof. <strong>Formann</strong> zu diesem Zeitpunkt schon längst, jedochnur aus den Statistikvorlesungen.Diese waren in ihrer Art einmalig. Prof. <strong>Formann</strong> referiertemithilfe von säuberlich erstellten Overheadfolien, Zwischenschrittegenau gekennzeichnet, Ergebnisse doppelt unterstrichen. Die Folienüberdeckte er mit einem Blatt Papier und enthüllte diese Punkt fürPunkt, wobei er mit einem Stift anzuzeigen pflegte, wovon ergerade sprach. Irgendwann um die Hälfte der Vorlesung herumwürde sich dann jemand melden und eine Frage stellen. Diese Fragewäre eigentlich eher eine Aussage, die einfach lauten würde: Ichverstehe das nicht. Darauf würde Prof. <strong>Formann</strong> fragen, wo genaudas Problem läge. Eine Frage, die meist wieder nur vagebeantwortet würde, und so würde sich ein Spiel entwickeln, beidem Prof. <strong>Formann</strong> versuchen würde, den fragenden Studierendenzu einer konkreten Problemformulierung zu bewegen. Schließlichjedoch würde er meist ein wenig seufzen, das schützende Blattwieder nach oben schieben und den kompletten Schritt von neuemerläutern, exakt wie zuvor.117


Das war alles, was ich zu diesem Zeitpunkt von ihm wusste.Gemeinsam mit Martin Voracek auf dem Weg zu seinem Büro,dachte ich daran, wie Prof. <strong>Formann</strong> uns in der Vorlesung einmalsagte, dass die Studierenden früher noch viel mehr auf dieMethodenlehre gehalten hätten. Seinen großen Respekt habe manzur Schau gestellt, indem man stets eine kleinkopierteFormelsammlung in der Hemdtasche getragen habe, untermHerzen, wie er sagte.Tatsächlich brauchte ich einige Jahre, um zu verstehen, dassdas ein Witz war. Seinen besonderen Humor lernte ich erst späterkennen, denn nach meinem Praktikum verschlug es mich ersteinmal nach Strassburg, wo ich ein Jahr (2008/09) alsErasmusstudentin war. Als ich zurückkam, begann ich alsbald mitmeiner Diplomarbeit (Schild, 2010; Schild, Pietschnig, Tran, &Voracek, 2012), welche mich zurück in den Arbeitsbereich brachteund zum ersten Mal in Prof. <strong>Formann</strong>s Seminare. Unter seinerLeitung absolvierte ich das Forschungspraktikum 2 (Klassikerthema:Piagets Water-Level Tasks; vgl. <strong>Formann</strong>, 2003; Tran & <strong>Formann</strong>,2008), danach in geselliger kleiner Runde das Fachliteraturseminar(weiterer Klassiker: Latent Class-Analyse; von <strong>Formann</strong>, 1984, bis<strong>Formann</strong>, 2004). Danach besuchte ich während meinerDiplomarbeitsphase auch noch die DiplomandInnenseminare(Forschungsseminar für Fortgeschrittene 1 und 2) bei ihm.118


Geblieben von diesen Lehrveranstaltungen ist mir amdeutlichsten seine konstante Aufforderung zur genauenFragestellung. So wie er die Fragenden in der Statistikvorlesungimmer wieder aufforderte, sich präzise auszudrücken undSchwierigkeiten zu konkretisieren, so erwartete er in seinenSeminaren eine ebensolche und sehr bewusste Auseinandersetzungmit den Lehrinhalten. Es galt nicht, ein Paper vorzustellen, sondernes galt, dem Paper konkrete Fragen zu stellen, <strong>The</strong>orie in Praxisumzuwandeln und Probleme bedacht aus allen möglichenPerspektiven zu betrachten.Manchmal, wenn ich an meinem Schreibtisch sitze und übereinem Problem brüte (vgl. Schild & Voracek, 2012), versuche ichbewusst, diese Denkweise anzunehmen und das Problem vormeinem geistigen Auge zu rotieren. Dann sitze ich da, den Blick zumFenster gegenüber gewandt, meine beiden Kolleginnen kaumwahrnehmend.Als ich im Jänner 2011 mit meiner ersten Kollegin das Bürobezog, wusste ich gleich, dass ich den großen Braunen als meinenArbeitsplatz wollte. Es war ein komisches Gefühl, nun auf einmalselbst an diesem Tisch zu sitzen, an einem Platz, wo vor mir nichtnur Prof. <strong>Formann</strong>, sondern auch schon Prof. Fischer gesessenhatte. Ich öffnete die Laden. Außer ein paar alten Stiften und – zumeiner Verwunderung – einer Rasierklinge fand sich darin nichts.119


Als ich zum ersten Mal das Büro betrat, damals imFrühsommer 2008, stand der große braune Schreibtisch in der Mittedes Raumes auf einem dicken alten Teppich. Ich erinnere mich, dassich fand, dass der Raum eine besondere Präsenz hatte. Heute fühltsich das Büro ganz anders an, doch manchmal, wenn ich am großenBraunen sitze, glaube ich dieses Gefühl wieder heraufbeschwörenzu können. In solchen Momenten bin ich voller Optimismusbezüglich meiner wissenschaftlichen Zukunft, denn an diesemSchreibtisch scheinen mir Zweifel unmöglich.Die Rasierklinge habe ich übrigens aufgehoben. Ich habekeinerlei Ahnung, wozu ich sie einmal benutzen könnte, aber ichhabe das Gefühl, dass Prof. <strong>Formann</strong> schon wusste, warum er siedort hatte und dass ich es wahrscheinlich eines Tages unheimlichpraktisch finden werde, sie zu haben.LiteraturBurger, C., Schild, A., & Stieger, S. (2008). Lifetime prevalence andimpact of stalking: Epidemiological data from Eastern Austria.29th International Congress of Psychology and 46th BiennialConference of the German Psychological Association, July 20-25,2008, Berlin.<strong>Formann</strong>, A. K. (1984). Die Latent-Class-Analyse: Einführung in<strong>The</strong>orie und Anwendung. Weinheim: Beltz.120


<strong>Formann</strong>, A. K. (2003). Modeling data from water-level tasks: A testtheoretical analysis. Perceptual and Motor Skills, 96, 1153-1172.<strong>Formann</strong>, A. K. (2004). Die Latent-Class-Analyse zu Beginn des 21.Jahrhunderts: Ein Überblick. In E. H. Witte (Hg.),Methodologische, methodische und historische Entwicklungenin der Sozialpsychologie (S. 57-76). Lengerich: Pabst.Schild, A. (2010). Molecular genetic bases of suicidal behavior:Systematic review and domain-specific meta-analyses.Unpublished diploma thesis, University of Vienna.Schild, A. H. E., Pietschnig, J., Tran, U. S., & Voracek, M. (2012).Molecular genetic bases of suicidal behavior: A meta-analyticfield synopsis. 14th European Symposium of Suicide and SuicidalBehavior, September 3-6, 2012, Tel Aviv-Jaffa, Israel.Schild, A. H. E., & Voracek, M. (2011). <strong>The</strong> role of the serotonintransporter functional polymorphism on suicide: A crosscountryanalysis. 26th International Association for SuicidePrevention (IASP) World Congress, Sep 13-17, 2011, Beijing,China.Schild, A. H. E., & Voracek, M. (2012). Weniger ist weniger: Einsystematischer Review zur Nutzung von Grafiken in Meta-Analysen. 10. Wissenschaftliche Tagung der ÖsterreichischenGesellschaft für Psychologie, 12.-14.4.2012, Graz.121


Stieger, S., Burger, C., & Schild, A. (2008). Lifetime prevalence andimpact of stalking: Epidemiological data from Eastern Austria.European Journal of Psychiatry, 22, 235-241.Tran, U. S., & <strong>Formann</strong>, A. K. (2008). Piaget’s water-level tasks:Performance across the lifespan with emphasis on the elderly.Personality and Individual Differences, 45, 232-237.122


Persönliche Erinnerungen aus dreieinhalb Jahrzehntenan meinen Kollegen <strong>Anton</strong> K. <strong>Formann</strong>Michael G. SchimekMeine erste Begegnung mit <strong>Anton</strong> (Toni) K. <strong>Formann</strong>verdanke ich dem Umstand, so wie er ein Studium Irregulare an derUniversität Wien betrieben zu haben. Auch unsereFächerkombinationen waren ähnlich: seine Fächer warenPsychologie, Statistik, Anthropologie und Philosophie, meinePsychologie, Statistik, Mathematik, Wissenschaftstheorie undLogistik. Gleichzeitig belegte ich das Diplomstudium der Statistik ander Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät derUniversität Wien.Am damaligen Institut für Psychologie absolvierte ich allefür das Hauptfach erforderlichen Lehrveranstaltungen, darunter dassogenannte Versuchsplanungspraktikum bei <strong>Anton</strong> K. <strong>Formann</strong>,dem damals jungen Assistenten von Gerhard Fischer. Dort entstandim Sommersemester 1975 unser erster persönlicher Kontakt. Indiesem vierstündigen Praktikum hatten die Studierenden zu zweiteine experimentalpsychologische Studie auf der Basis vorgegebenerliteraturgestützter Aufgabenstellungen zu planen, durchzuführen,statistisch auszuwerten und zu interpretieren. Planungs- sowieAuswertungsreferate und ein Abschlussbericht als Teamarbeit123


waren zu liefern. Meine Kollegin dabei war Fräulein E.P., wie Tonisie damals noch politisch korrekt titulierte. Er hatte kurz davor densprachfreien, kulturunabhängigen Wiener Matrizentest entwickelt(<strong>Formann</strong>, 1973; vgl. <strong>Formann</strong> & Piswanger, 1979; <strong>Formann</strong>,Waldherr, & Piswanger, 2011), und nun sollten gerade wir zweidiesen unserer Studie zugrunde legen und modifizieren (dieAufgabenstellung war Beeinträchtigung im Denken durch dieAnschauung). Trotz großer Zweifel von E.P. – sie war damals mehram Turniertanz als an der Wissenschaft interessiert – stellten wiruns dieser Aufgabe zur Zufriedenheit von Toni und auch von mir.Statistisch war eine dreifache teilabhängige Varianzanalyse aufeinem wissenschaftlichen Taschenrechner auszuwerten. Ich hattemir dieses gerade noch erschwingliche Wunderding von der WienerFirma Kovac als Statistikstudent zugelegt, welches – es gab in dieserZeit noch keine Personal Computer – mit heute nicht mehrvorstellbarem Aufwand, weil nicht wirklich programmierbar, zubedienen war.Toni war nicht verborgen geblieben, dass ich auch dasStudium der Statistik betrieb, und er unterhielt sich diesbezüglichgerne mit mir. Bei einem Termin des besagten Praktikums brachteer mich dadurch in Verlegenheit, dass er plötzlich und für michgänzlich unerwartet verkündete, dass nun ich die Referate meinerKollegInnen kommentieren würde. Er hingegen setzte sich insAuditorium und beobachtete einfach das Geschehen, etwas, das er124


gerne und akribisch genau tat. Ich überstand diese „Prüfung“ undwar danach Tagesgespräch unter den Studierenden. E.P. und ichabsolvierten das Planungspraktikum mit der Bestnote, und abdiesem Zeitpunkt riss mein Kontakt mit Toni nicht mehr ab.Im Gegensatz zu uns kamen nicht alle mit Tonis Lehr- undKommunikationsstil gut zurecht. Er war stets leistungsorientiert undseine schroffe, nichts beschönigende, direkte Art sowie seinegeringe Bereitschaft sich mit „Dummheit und Dreistigkeit“auseinanderzusetzen, hatten zur Folge, dass sich die (in derMehrzahl weiblichen) Studierenden häufig vor ihm fürchteten.Meiner Erinnerung nach kam er bei den männlichen Kollegenvergleichsweise besser an (über seine gesamte Laufbahn habenunter seiner Betreuung auch deutlich mehr Männer als Frauendissertiert). Tonis britisch anmutender Humor wurde häufig mitZynismus verwechselt. Wer ihn jedoch besser kannte, wusste, dasser ein zurückhaltender, hilfsbereiter und fairer Universitätslehrerwar. Über seine akademischen Qualitäten hatte ich damals nochkeine Vorstellung. Doch das sollte sich bald ändern.Mein Studium Irregulare beendete ich mit einerinterdisziplinären Dissertation (Schimek, 1978, 1982) im Kontext derAphasieforschung an einer Vorläufereinrichtung des heutigenInstituts für Hirnforschung der Österreichischen Akademie derWissenschaften. Meine Betreuer waren die Professoren KarlGloning und Gerhard Fischer. Erstmals kam das Rasch-Modell in125


einer experimentellen Versuchsanordnung zum Einsatz, waserhebliche Probleme aufwarf. Toni stellte dafür – damals noch aufhunderten von Lochkarten – die erforderliche Software zurVerfügung. Ich verbrachte Monate im Keller des NeuenInstitutsgebäudes (NIG) der Universität Wien, wo sich dieBenutzerräume des Großrechners am Interfakultären EDV-Zentrumbefanden. So wurde ich Teil einer eingeschworenen Gemeinde vonComputerpionieren unterschiedlichster Fachgebiete, zu der auchToni gehörte. Seine damaligen Beiträge als Programmentwickler (inFORTRAN) zur Psychometrie können gar nicht hoch genug geschätztwerden.Gegen Ende meines Dissertationsprojekts wurde ich wegeneiner schwerwiegenden Erkrankung von Prof. Fischer, die ihnzwang, längere Zeit dem Institut fernzubleiben, von seinerAssistentin Ilse Rop betreut (vgl. <strong>Formann</strong> & Rop, 1987; Rop, 1972,1977; Rop, Raber, & Fischer, 1979). Schwierige Fragen wurden vonihr stets an Toni delegiert. So durfte ich seine intellektuellenFähigkeiten kennen und schätzen lernen. Die damalige Situation warfür alle Beteiligten schwierig und belastend. Ich musste meinRigorosum bei Prof. Fischer auf der Krankenstation ablegen. WenigeWochen danach verunglückte Prof. Gloning tödlich bei einer Tourauf dem Schneeberg. Prof. Gloning hatte noch den Abschlussmeines Studium Irregulare mit summa cum laude erleben dürfenund mir bei dieser Gelegenheit eine wissenschaftliche126


Mitarbeiterstelle mit Habilitationsmöglichkeit auf dem Gebiet derexperimentellen Neurowissenschaften angeboten. Nach seinem Todwurde diese Arbeitsgruppe jedoch aufgelöst. Daraufhin bewarb ichmich, leider erfolglos, beim Max-Planck-Institut für Psychiatrie inMünchen, um auf dem Gebiet meiner Dissertationweiterzuarbeiten.Sowohl Prof. Fischer, der inzwischen zur Freude aller wiedergenesen war, als auch Toni versuchten, mir in Gesprächen zu helfenund wieder Orientierung zu geben. Beide rieten mir mangels Stellendavon ab, mich auf Methodenlehre in der Psychologie zuspezialisieren. Das war enttäuschend. Doch wurde es von beiden sovorgebracht, dass ich es nicht als Zweifel an meiner Personinterpretierte. Leider gab es damals, das betraf auch die Karrierevon Toni, keine Postdoc-Stellen im heutigen Sinn und kaumMöglichkeiten, über Stipendienprogramme im Ausland Erfahrungenzu sammeln. Alles hing vom österreichischen und deutschenakademischen Stellenmarkt ab, und der war Anfang der 1980erJahre denkbar schlecht.Nachdem ich Wien verlassen hatte, um in diversenAnwendungsgebieten der Statistik und in der Demoskopie im InundAusland zu arbeiten, brach der Kontakt zu Toni ab – allerdingsnicht für lange. 1983 lud mich Prof. Fischer ein, alsUniversitätslektor nebenberuflich an seiner Abteilung fürMethodenlehre und Differentielle Psychologie tätig zu werden. Ich127


nahm dieses Angebot freudig an, auch wenn ich dafür eigens14-tägig nach Wien pendeln musste. In der Folge hielt ich ein viertelJahrhundert lang ohne Unterbrechung die unterschiedlichstenLehrveranstaltungen, am längsten von diesen das schon erwähnteVersuchsplanungspraktikum (später als Forschungspraktikum Ibezeichnet). Bezüglich letzterem verwies mich Prof. Fischer zwecks„Einschulung“ an Toni. Typisch für ihn gab es nicht nur verbaleInstruktionen, sondern zusätzlich die Übergabe eines penibelzusammengestellten Ordners mit allen Unterlagen zu dieserLehrveranstaltung ab Beginn seiner Tätigkeit als wissenschaftlicheHilfskraft (das war die frühere Bezeichnung für studentischeMitarbeiterInnen, StudienassistentInnen).Neben der besagten Lehre kobetreute ich viele Jahre, trotzmeiner thematisch anders orientierten Berufstätigkeit außerhalbWiens, ausgewählte Dissertationen, betrieb psychometrischeForschung, oft verknüpft mit meiner Lehr- und Betreuungstätigkeit(z.B. Schimek, 1994), und stand deshalb stets in Austausch mit demInstitut für Psychologie. So erfuhr ich auch vom tragisch frühen Todvon Ilse Rop, die mich während meiner eigenen Dissertation herzlichunterstützt hatte und der Toni freundschaftlich verbunden war.Mitte der 1980er Jahre konnte ich aufgrund derZuerkennung eines British Council Scholarships meine Studien derMathematik und Statistik an einer der besten technisch orientiertenUniversitäten Großbritanniens fortsetzen. Auch in dieser Zeit hielt128


ich Blockveranstaltungen an der Abteilung für Methodenlehre undDifferentielle Psychologie. Bei jeder Gelegenheit erkundigte sichToni bei mir über meinen Studienfortgang und die Details derweltweit anerkannten britischen Statistikausbildung. Seit jeher warer unzufrieden, keinen Hauptfachstudienabschluss in Statistikerworben zu haben. Mir blieb bei diesen Gesprächen aufgrundseiner zurückhaltenden Art verborgen, dass er selbst gerne inEngland studiert hätte. Eines Tages erwähnte ich beiläufig, dass ichdie zweite Hälfte meines Vollzeitstudiums an der University of Bathwegen meiner vorzeitigen Rückkehr nach Österreich in einTeilzeitstudium umwandeln würde. Er hörte mir interessiert zu, gabjedoch keinen Kommentar. Viele Jahre später erfuhr ich, dass er inEngland ein Teilzeit- bzw. Fernstudium der Statistik absolviert hatte(1998, M.Sc. in Applied Statistics, Sheffield Hallam University,Sheffield). Ob da wohl unser Gespräch einen Anstoß gegeben hatte?Im Jahr 1999 habilitierte sich Toni an der Sozial- undWirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien imFach Angewandter Statistik, nachdem er bereits 1985 die Venialegendi in Psychologie erlangt hatte. Das mag Außenstehendeverwundert haben, nicht jedoch mich. Er war mit seinen frühenwissenschaftlichen Beiträgen stets unzufrieden gewesen, weil sie instatistischen Fachkreisen keine Aufmerksamkeit gefunden hatten.Das lag vor allem an den <strong>The</strong>men und den Zeitschriften. SeinePublikationsstrategie änderte sich jedoch im folgenden Jahrzehnt129


adikal. Ich kann mich noch gut erinnern, wie er sich darüber freute,als ich ihm 1992 spontan zu seiner ersten Veröffentlichung imJournal of the American Statistical Association (<strong>Formann</strong>, 1992)gratulierte. Es wäre jedoch nicht er gewesen, hätte er nicht sofortseine Leistung relativiert. Er meinte zu mir, es sei vor allem Glückgewesen aufgrund der Popularität seines <strong>The</strong>mas in den USA zudieser Zeit. Seine erfolgreichen Publikationen in hochrangigenstatistischen Journalen der nachfolgenden Jahre (z.B. <strong>Formann</strong>,1993, 1994a, 1994b, 1995, 1997, 2000) haben sein Selbstvertrauensicher gestärkt. Schlussendlich in Statistik „richtig“ zu habilitieren,war eine für ihn logische Konsequenz.Wir sprachen damals oft – ich selbst erlangte 1992 an derKarl-Franzens-Universität Graz die Venia legendi in Statistik – überdie Schwierigkeiten, im österreichischen Universitätssystem unterhoher Lehrbelastung international konkurrenzfähig zu forschen undzu publizieren. Die neuen Buzzwords waren damalsDrittmittelaquisition, globaler wissenschaftlicher Wettbewerb,Forschungsevaluation, Impact-Faktoren und später auch nochakademische Exzellenz. Diese Begriffe gehörten nicht zu Tonis Welt.Tatsache ist, dass er die ständigen Reformen desUniversitätssystems kaum je als Fortschritt sondern eher alsEntmündigung der Universitätsangehörigen erlebte. Manche mögenbehaupten, er wäre ein Nörgler gewesen, ich würde eher sagen,dass er von Berufswegen Skeptiker war, der stets alle Aspekte eines130


Problems gegeneinander abzuwägen trachtete. Eine zentraleAufgabe des Faches Statistik ist es, Entscheidungsfindung unterUnsicherheit oder unvollständiger Information zu ermöglichen. Dienotwendige Vorsicht (d.h., Berücksichtigung der Unsicherheit) hatToni stets real gelebt. Er war sicher nicht gerade für seineEntscheidungsfreude bekannt, was unter anderem dazu führte, dassich meine Lehrtätigkeit an der Fakultät für Psychologie einzustellengezwungen war. Entscheidungsschwäche ist einer Führungsperson,die er, wohl gemerkt, nie sein wollte, immer abträglich.Nachdem Toni und ich Universitätsdozenten im Fach(Angewandte) Statistik geworden waren, prophezeite er mirwiederholt, dass wir nie auf eine Professur berufen werden würden.Manchmal beneidete er mich auch darum, dass ich an einerMedizinischen Universität beschäftigt und nicht dem Massenbetriebeiner Fakultät für Psychologie ausgesetzt war. Bis knapp vor seinerBerufung zum Professor für Psychologische Methodenlehre im Jahr2004 hatte er größte Zweifel, dass das langwierige Verfahren zuseinen Gunsten ausgehen würde. Doch auch seine Freude überdiesen persönlichen Erfolg ist aus meiner Sicht stets verhaltengeblieben und nicht selten getrübt gewesen. Leider konnte er nichtmehr an seine bisherigen publikatorischen Erfolge anschließen. Dasist für mich auch nicht weiters überraschend, weil er einenKompromiss zwischen seinen Forschungsambitionen einerseits undden Erwartungen hinsichtlich akademischer Dienstleistung und131


Selbstverwaltung andererseits finden musste. Ich habe seinewissenschaftlichen Beiträge als Fachkollege stets aufrichtiggeschätzt, überlasse es jedoch anderen, sie im Detail zu würdigen.Außer Streit steht, dass es äußerst wenige MethodikerInnen in derPsychologie aber auch in den Sozialwissenschaften gibt, diewiederholt wie Toni in Top-Journalen der Statistik, noch dazu alsEinzelautor, veröffentlicht haben (s. Literatur).Abschließend sei mir noch eine persönliche Anmerkunggestattet. In 35 Jahren bin ich mit ihm stets gut ausgekommen,ohne Höhen und Tiefen. Unsere Bekanntschaft war von der erstenBegegnung an getragen von gegenseitigem Respekt, Fairness undWertschätzung, persönlich wie fachlich. Ich denke, was Tonibesonders an mir schätzte, war, dass ich der in seiner Persönlichkeitangelegten zwischenmenschlichen Distanz stets Rechnung trug. Sostellten wir einander nie Fragen aus bloßer Neugierde. DieAntworten offenbarten sich manchmal ganz von selbst, wenn auchoft zeitverzögert.Zur Illustration soll folgende Anekdote dienen. Bei einemBesuch in Tonis Büro kurz nach seiner Berufung zumUniversitätsprofessor, also fast 30 Jahre nachdem ich bei ihm dieLehrveranstaltung Versuchsplanungspraktikum absolviert hatte,fragte er mich zu meiner Überraschung, ob ich wüsste, was ausmeiner Projektpartnerin von damals geworden war. Er erinnertesich nicht mehr an ihren Namen, konnte sie jedoch als große fesche132


Rothaarige beschreiben, ja er wusste sogar noch, dass die jungeDame auch bei anderen Lehrveranstaltungen zumeist neben mirgesessen hatte. Wie schon erwähnt, war er stets einausgezeichneter Beobachter, wie man sieht, auch mit ausgeprägtemLangzeitgedächtnis. <strong>Of</strong>fensichtlich war es ihm trotz unserer langenBekanntschaft nie leicht gefallen, derart persönliche Fragen zustellen. Mit Interesse lauschte er nun meinem Kurzbericht, dass siedie Tochter eines Schulfreundes meines Vaters und leider nie meineFreundin sondern nur meine Lernpartnerin in den erstenStudienjahren gewesen war. Toni meinte abschließend, dass er sichan sie erinnere, weil sie sich aufgrund ihres guten Auftretens undgepflegten Aussehens stark von anderen Studentinnen abgehobenhatte und er schon länger wissen wollte, ob wir auch später noch inKontakt geblieben waren.Literatur<strong>Formann</strong>, A. K. (1973). Die Konstruktion eines neuen Matrizentestsund die Untersuchung des Lösungsverhaltens mit Hilfe deslinearen logistischen Testmodells. Unpublizierte Dissertation,Universität Wien.<strong>Formann</strong>, A. K. (1992). Linear logistic latent class analysis forpolytomous data. Journal of the American StatisticalAssociation, 87, 476-486.<strong>Formann</strong>, A. K. (1993). Fixed-distance latent class models for the133


analysis of sets of two-way contingency tables. Biometrics, 49,511-521.<strong>Formann</strong>, A. K. (1994a). Measurement errors in caries diagnosis:Some further latent class models. Biometrics, 50, 865-871.<strong>Formann</strong>, A. K. (1994b). Measuring change in latent subgroups usingdichotomous data: Unconditional, conditional, andsemiparametric maximum likelihood estimation. Journal of theAmerican Statistical Association, 89, 1027-1034.<strong>Formann</strong>, A. K. (1995). Small-sample comparison of the exact andasymptotic upper tail probabilities of chi-squared goodness-offitstatistics: Pearson’s X 2 , likelihood ratio, and powerdivergencestatistic ( =2/3). Journal of Statistical Computationand Simulation, 51, 369-384.<strong>Formann</strong>, A. K. (1997). Small-sample comparison of the exact andasymptotic upper tail probabilities of chi-squared goodness-offitstatistics: <strong>The</strong> binomial and the mixture binomial. Journal ofStatistical Computation and Simulation, 56, 229-249.<strong>Formann</strong>, A. K. (2000). Rater agreement and the generalized Rudas-Clogg-Lindsay index of fit. Statistics in Medicine, 19, 1881-1888.<strong>Formann</strong>, A. K., & Piswanger, K. (1979). WMT – WienerMatrizentest: Ein Rasch-skalierter sprachfreier Intelligenztest.Weinheim: Beltz.134


<strong>Formann</strong>, A. K., & Rop, I. (1987). On the inhomogeneity of a testcompounded of two Rasch homogeneous subscales.Psychometrika, 52, 263-267.<strong>Formann</strong>, A. K., Waldherr, K., & Piswanger, K. (2011). WienerMatrizen-Test 2 (WMT-2): Ein Rasch-skalierter sprachfreierKurztest zur Erfassung der Intelligenz. Göttingen: Hogrefe.Rop, I. (1972). Die Auswirkungen „Kognitiver Frühförderung“ beifünfjährigen Kindergartenkindern. Unpublizierte Dissertation,Universität Wien.Rop, I. (1977). <strong>The</strong> application of a linear logistic model describingthe effects of pre-school curricula on cognitive growth. In H.Spada & W. F. Kempf (Eds.), Structural models of thinking andlearning (pp. 281-293). Bern: Huber.Rop, I., Raber, A., & Fischer, G. H. (1979). Study of the hearing lossesof industrial workers with occupational noise exposure, usingstatistical methods for the analysis of qualitative data.Audiology, 18, 181-196.Schimek, M. G. (1978). Eine experimentelle Untersuchung desklassischen zweisystemigen Gedächtnismodells im aktuellenkognitiven Forschungskontext. Unpublizierte Dissertation,Universität Wien.Schimek, M. G. (1982). Eine experimentelle Untersuchung desklassischen zweisystemigen Gedächtnismodells im aktuellenkognitiven Forschungskontext unter Berücksichtigung von135


Aspekten der differentiellen Psychologie. Zeitschrift fürDifferentielle und Diagnostische Psychologie, 3, 201-221.Schimek, M. G. (1994). Single case studies: <strong>The</strong> time series vs. thesmoothing regression approach. In G. H. Fischer & D. Laming(Eds.), Contributions to mathematical psychology,psychometrics, and methodology (pp. 345-357). New York:Springer.136


Toni <strong>Formann</strong> – jenseits von Pessimismus undPedanterieChristiane SpielToni <strong>Formann</strong> habe ich 1980 kennen gelernt, als ich alsUniversitätsassistentin ans Institut für Psychologie in die Abteilungvon Gerhard Fischer gekommen bin. Gerhard Fischer war Professorfür Statistik und hatte mir die Stelle aufgrund meinesMathematikstudiums (Psychologie hatte ich noch nichtabgeschlossen) angeboten. Die Situation der Psychologie an derUniversität Wien im Jahre 1980 war mit der heutigen (Ende 2011)nicht vergleichbar. Alles war viel kleiner und sehr überschaubar. Esgab drei Abteilungen (Allgemeine und Neuropsychologie: LeitungGiselher Guttmann; Entwicklungspsychologie und PädagogischePsychologie: Leitung Brigitte Rollett; und die Methodenabteilung).In der Methodenabteilung waren wir vier Mitarbeiter/innen. Dieanderen drei – Klaus Kubinger, <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> und Georg Gittler –hatten bereits als Studienassistenten bei Gerhard Fischer begonnen.Ich war damit eine doppelte Ausnahme (abgeschlossene Studien inMathematik und Geschichte inklusive ein paar Jahre Lehrerfahrungim Gymnasium UND Frau). In der Methodenabteilung ging alles sehrritualisiert von sich. Insbesondere die gemeinsamen Mittagesseninklusive der <strong>The</strong>men der Gespräche: Autos und diverse Rasch-137


Modelle. Neben Gerhard Fischer, der alles dominierte, war Toni<strong>Formann</strong> zweifellos (mit entsprechendem „Respektabstand“) dabeitonangebend.Aus den 30 Jahren, die ich Toni <strong>Formann</strong> gekannt habe, sindmeine dominantesten Eindrücke: hohes Methodenwisseninsbesondere bzgl. LCA (Latent Class Analysis; hier sicherlichunschlagbar), Pessimismus und Pedanterie. Standardantwort auf dieFrage, wie es ihm geht: Nicht einmal so gut! Zusätzlich die ständigenVersuche, alle zu überzeugen, dass nichts funktionieren wird. Ineiner Sitzung, wo Toni <strong>Formann</strong> anwesend war, konnte man sichersein, dass er sich mit folgenden einleitenden Worten melden wird:Ich sehe da ganz viele Probleme! Das hat manchmal ganz schöngenervt – nicht nur aus persönlicher Sicht, sondern auch auswissenschaftlicher Perspektive, da durch diese HaltungKooperationen oft bereits im Vorfeld verhindert wurden. SeinMisstrauen gegenüber anderen war so groß, dass er eigeneArbeiten entweder gar nicht auf Tagungen vorgestellt hat (à laTravnicek – Wozu brauch ich das?) oder erst, nachdem dieErgebnisse bereits publiziert waren. Damit ist er sich oft selbst imWeg gestanden. Zusätzlich war Toni <strong>Formann</strong> auch hoch pedantisch.So lagen z.B. sämtliche Utensilien auf seinem Schreibtisch an genaudem „richtigen“ Platz im rechten Winkel zu den Schreibtischkanten.Diese Eigenschaft hatte jedoch im Vergleich mit seinemPessimismus keine so starke Wirkung nach außen, sondern war138


mehr den „Insidern“ bekannt.Die Dominanz dieser Eindrücke verstellt jedoch den Blick aufeinen Toni <strong>Formann</strong>, der auch ganz anders sein konnte. So habenwir z.B. in den 1980er Jahren gemeinsam an einer Studie gearbeitetund auch einen Artikel geschrieben (erschienen im Journal AppliedPsychological Measurement: <strong>Formann</strong> & Spiel, 1989); dies höchstproduktiv, mit interessanten Diskussionen und – man staune – auchhöchst vergnüglich. Toni <strong>Formann</strong> hat auch ausgehalten, dass ichmich im Zuge heftiger (jedoch nicht destruktiver) Diskussionen aufseinen Schreibtisch gelehnt oder gesetzt und dadurch (nichtabsichtlich) die pedantische Ordnung zerstört habe. Dabei habe ichToni <strong>Formann</strong> von einer ganz anderen Seite kennen gelernt: diskursundhilfsbereit, fröhlich, ein lieber Kollege. Diese Seiten hat er u.a.auch bei unserem Schiausflug (das Jahr weiß ich nicht mehr genau –so um 1985) oder bei den gemeinsamen Schießausflügen gezeigt.Toni <strong>Formann</strong> war ein Waffennarr (er hatte so viele davon, dass eraus gesetzlichen Gründen einen Teil bei seiner Mutter lagernmusste, die dies gar nicht schätzte) und trainierte gerne seineSchießkünste. Mich hat er einige Male dazu (in Schießkeller)mitgenommen. Es waren jeweils sehr interessante und vergnüglicheAbende. So treffsicher wie er habe ich natürlich nicht geschossen.Ich weiß nicht, wie andere, vor allem jüngere Kolleginnenund Kollegen am Institut bzw. später an der Fakultät für PsychologieToni <strong>Formann</strong> wahrgenommen haben. Mir ist es nur wichtig, dass139


man zumindest weiß, dass er auch anders sein konnte. Leider hat erdiese konstruktiven Züge nach außen hin nicht sehr gepflegt. Manmusste selbst aktiv sein, sie zu entdecken.Literatur<strong>Formann</strong>, A. K., & Spiel, C. (1989). Measuring change by means of ahybrid variant of the linear logistic model with relaxedassumptions. Applied Psychological Measurement, 13, 91-103.140


<strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong>: Ein Leben für die WissenschaftStefan StiegerIch hatte die Gelegenheit, <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> im Zuge meinerstudentischen und beruflichen Laufbahn aus verschiedenstenPositionen heraus kennenzulernen. Als Studierender (1997-2002)besuchte ich seine Vorlesung zur Testtheorie und Testkonstruktionund sein Fachliteraturseminar, später als Mitarbeiter desVerwaltungsteams (2001-03) saß ich gemeinsam mit ihm in derInstitutskonferenz (IKO). Nach meiner Dissertation (Stieger, 2006)stellte <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> mich 2008 als Universitätsassistent an seinerAbteilung für Methodenlehre an.So wie ich <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> kennengelernt habe, hatte ereinerseits eine bestimmende Art, aber auch eine sehr humorvolle(vgl. dazu Fachliches: Stieger, <strong>Formann</strong>, & Burger, 2011), sehrpersönliche, fast väterliche Art, mit Menschen umzugehen. Icherinnere mich noch gerne an so manches Gespräch am Gang odermal so zwischen Tür und Angel, wo ich ihn auch als Person näherkennenlernen durfte. Eines wird mir aber sicher immer inErinnerung bleiben – sein Interesse an Forschung. Ein Interesse dasweit über seine Steckenpferde LCA und moderne Testtheoriehinausging (vgl. Stieger, Voracek, & <strong>Formann</strong>, 2012; Voracek,Gabler, Kreutzer, Stieger, Swami, & <strong>Formann</strong>, 2010). Er verblüfftemich immer wieder mit diesem Wissen, das mir auch zeigte, dass141


Wissenschaft per se seine wahre Leidenschaft war.Ich erinnere mich auch noch gut an eines meiner letztenGespräche mit ihm, nur Tage, bevor er verstarb. Darin äußerte erein tiefes Gefühl der Zufriedenheit darüber, wie die Abteilungaufgestellt ist und wie sich alles entwickelt hatte. Er hatte dasGefühl, ruhigen Gewissens sein Sabatical antreten zu können – waswir zu diesem Zeitpunkt jedoch alle noch nicht wussten, war, dasses eine andere Reise sein sollte, die für ihn bestimmt war.Im Alltag an der Fakultät, zwischen Forschung, Lehre undAdministration, ertappe ich mich jetzt noch manchmal dabei, wieich zu mir selber sage: Was würde <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> jetzt wohl dazusagen, wäre das so in seinem Sinne? Und ich denke, es ist gut so. Ichhoffe, ich kann seine Begeisterung für Wissenschaft in meinemberuflichen Leben weitertragen.LiteraturStieger, S. (2006). Testgütekriterien des Impliziten Assoziationstest(IAT) und des Single-Target Impliziten Assoziationstest (STIAT):Einflüsse auf den IAT-Effekt sowie die Retest-Reliabilität.Unpublizierte Dissertation, Universität Wien.Stieger, S., <strong>Formann</strong>, A. K., & Burger, C. (2011). Humor styles andtheir relationship to explicit and implicit self-esteem.Personality and Individual Differences, 50, 747-750.Stieger, S., Voracek, M., & <strong>Formann</strong>, A. K. (2012). How to administer142


the Initial Preference Task. European Journal of Personality, 26,63-78.Voracek, M., Gabler, D., Kreutzer, C., Stieger, S., Swami, V., &<strong>Formann</strong>, A. K. (2010). Multi-method personality assessment ofbutchers and hunters: Beliefs and reality. Personality andIndividual Differences, 49, 819-822.143


Univ.-Prof. Dr. <strong>Anton</strong> K. <strong>Formann</strong> als WetterprophetKarl Ralf Swazina(Studienassistent, 2002-09)Es ist kurz vor neun – Anfang Oktober 2003. Durch denherbstlichen Morgennebel erscheint das Universitätsgebäude wieaus einer längst vergangenen Zeit. Nach und nach erreichenStudierende über die komplex verwinkelten Gänge die großenTüren des Hörsaals 33. Zögerlich betreten die noch unerfahrenenStudenten und Studentinnen den Saal und suchen sich einen Platzauf den langen, knirschenden Holzbänken, welche sich über dieganze Breite des Raumes erstrecken. In ihrer dicken Winterkleidungrutschen die Studierenden die Bänke nach innen und legen dort erstMantel, Schal und Haube ab und blicken sodann neugierig im Saalumher. Eine gewisse Spannung ist zu spüren, kaum jemand sprichtund der Wind schlägt von beiden Seiten auf die Flügelfenster, die imvorderen Teil des Raumes bis an die etwa acht Meter hohe Deckereichen. Darüber hinaus wirkt speziell der hintere Bereich desHörsaals beengend und auch etwas bedrückend, da sich dortscheinbar unmittelbar über den Köpfen eine eingezogene Deckebefindet, welche die letzten Reihen in Dunkelheit hüllt. Direktdarüber befindet sich eine kleine Galerie, die jedoch durch keinendirekten Aufgang mit dem unteren Teil des Hörsaales verbunden ist.Einige wenige Studierende, welche sich scheinbar auf diese Galerie144


verirrt hatten, blicken ein wenig ratlos umher, da sie nicht ersehenkönnen, wie dieser Bereich nach unten zu verlassen ist. Die bislangimmer noch vorherrschende Stille wird nun durch die Fragedurchbrochen, wie man hinunter zu den Anderen gelangen könne.Durch die daraus resultierenden Zurufe und aufgrund dessen, dassimmer mehr Studenten und Studentinnen eintreffen, beginnt sicheine gewisse Geräuschkulisse zu entwickeln. Nun werdenbestehende Bekanntschaften aufgefrischt und neue Kontakteentstehen, wobei die Erwartungen über die aktuelle VorlesungTesttheorie und Testkonstruktion das zentrale Gesprächsthemadarstellt.Die Zeit ist inzwischen fortgeschritten und kurz vor viertelzehn erreicht der Lärmpegel seinen Höhepunkt, als Herr Univ.-Prof.Dr. <strong>Formann</strong>, mit einer braunen Aktentasche in der Hand, denHörsaal betritt und schnellen Schrittes auf das Podium steigt.Während der Professor hinter dem etwa fünf Meter langen Pultseine Unterlagen aus der Tasche nimmt und den Overheadprojektorvorbereitet, erscheint er in Gedanken vertieft und das Rumoren undGetuschel in den voll gefüllten Reihen kaum wahrzunehmen. Diemeisten Gespräche verstummen unmittelbar, nachdem HerrProfessor <strong>Formann</strong> durch seine Brille hindurch aufsieht und imRaum umherblickt. Jedoch kehrt selbst dann noch keine völlige Stilleein, als die Projektion der ersten Folie auf der Wand erscheint. KeinWort kommt über die Lippen des Professors und auch keine Mimik145


ist auf den ersten Blick zu erkennen, jedoch bei genauererBetrachtung ist hinter dem Vollbart ein kleines Lächeln zuentnehmen. Der erfahrene Professor mahnt nicht zurAufmerksamkeit, sondern wartet geduldig, wohl auch mit Erfolg,denn nach und nach verstummen nun auch noch die letztenGespräche. Im selben Moment wird ein deutliches Lächelnerkennbar und mit tiefer Stimme werden die Studierenden infreundlichen Worten begrüßt.Sodann verweist Herr Professor <strong>Formann</strong> auf die vorgelegteFolie mit der Überschrift Wahrscheinlichkeitsrechnungen und ihrepraktische Relevanz und stellt die Frage, was der Begriff derWahrscheinlichkeit denn überhaupt bedeute. Sichtlich überfordertsind die meisten der Studierenden nun bemüht, jeglichenBlickkontakt mit dem Professor zu vermeiden. Einige wenige wirkenimmerhin motiviert, als sie in ihren Skripten nach einer Lösungsuchen. Nachdem jedoch keinerlei Wortmeldungen folgen, wechseltHerr Professor <strong>Formann</strong> scheinbar das <strong>The</strong>ma und bittet nundarum, ihm das morgige Wetter zu verraten. Den Bezug nichtfassend, blicken einige der Studierenden nun ratlos umher: Ist diesStoff für die Prüfung? Das anfängliche Raunen im Hörsaal wird nunnoch lauter, als Professor <strong>Formann</strong> zudem meint, dass alleAnwesenden nach dieser Vorlesung das Wetter ohne jeglicheAuskünfte aus den diversen Medien prognostizieren werdenkönnen. Die Studenten und Studentinnen wirken ungläubig: Könne146


dieser Professor wirklich das morgige Wetter ohne großeAnstrengung vorhersagen? Welche Macht liegt wohl hinter diesennoch unbekannten statistischen Modellen? Das durch den regenAustausch unter den Studierenden entstehende Getöse erfüllt nunnach und nach den gesamten Raum. Herr Professor <strong>Formann</strong>beobachtet lächelnd das Geschehen, denn offensichtlich war das Eisgebrochen und das Interesse geweckt. Angeregt durch all dieseFragen und durch die aufgeheizte Stimmung im Hörsaal scheintkaum ein Studierender zu bemerken, dass sich der Professorinzwischen den Fenstern zuwendet und scheinbar nachdenklichhinausblickt. Aber auch die Aufmerksamsten unter ihnen schreibendiesem Verhalten kaum eine besondere Bedeutung zu, da siekeinerlei Verbindung zum aktuellen <strong>The</strong>ma erkennen können.Nach wenigen Momenten blickt Herr Professor <strong>Formann</strong>wieder in das Auditorium und fragt erneut: Also was vermuten Sie?Welches Wetter bekommen wir morgen? Immer noch hat keiner derStudierenden den Mut, seine Vermutungen kund zu geben, obgleichsicherlich die eine oder andere Annahme vorliegen dürfte.Schließlich wendet sich Herr Professor <strong>Formann</strong> ein weiteres Malder Fensterfront zu und dirigiert wie selbstverständlich diegesamten Blicke mit einer einzigen, dezenten Handbewegung in diegewünschte Richtung: Ich muss lediglich einen Blick in den Himmelwagen, um das Wetter von morgen vorhersagen zu können. Nun istkein Laut mehr zu vernehmen, nachdenklich und gebannt verfolgen147


die Studierenden jedes Wort und jede Geste des Professors.Schmunzelnd wendet sich dieser den Studenten und Studentinnenzu und erläutert weiter: Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird dasWetter morgen so aussehen wie jenes von heute. Dies ist nichtsicher, aber die Wahrscheinlichkeit dafür ist doch recht hoch. Einigeder Zuhörenden nicken zustimmend, andere lächeln ob derpraktischen Relevanz und dem überzeugenden Vorgehen, mit nurminimalen Informationen brauchbare Prognosen zu ermöglichen.… … … Wenn ich an Herrn Univ.-Prof. Dr. <strong>Anton</strong> K. <strong>Formann</strong>denke, erinnere ich mich gerne an so manch fachliches, aber auchpersönliches Gespräch in seinem Arbeitszimmer, seinekompetenten Ratschläge, seine oftmals verwendeten Aussagen, wieeine Formel sagt mehr als tausend Worte, aber auch an seinenunverwechselbaren Humor, der fast in jedem Satz mitgeschwungenist. Da jedoch das Wetter wahrlich allgegenwärtig scheint, ist esgerade die oben beschriebene Anekdote, an die ich nahezu täglicherinnert werde. Denn sobald dieses <strong>The</strong>ma aufkommt, sehe ichProfessor <strong>Formann</strong> vor meinem geistigen Auge auf dem Podeststehen, und lächelnd höre ich, wie er prophezeit: Es wird wohl sowie heute, mit hoher Wahrscheinlichkeit wird das morgige Wetter sowie heute.148


Erinnerungen an den wissenschaftlichen Ratgeber Prof.Dr. <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong>Reinhard Topf(Leiter Psychosoziale Abteilung, St. Anna-Kinderspital, Wien)Mit großer Betroffenheit haben wir vom Ableben HerrnProf. <strong>Formann</strong>s erfahren. Zu Ende ging damit eine erfolgreichewissenschaftliche Kooperation zum besseren Verständnis derseelischen Situation der schwerkranken Kinder und Jugendlichen.Diese lief über Jahre und war eine großartige Verbindung zumWohle unserer jungen Patienten. Herr Prof. <strong>Formann</strong> hat unswissenschaftlich wesentlich weitergeholfen (Felder-Puig,Baumgartner, Topf, Gadner, & <strong>Formann</strong>, 2008; Felder-Puig,<strong>Formann</strong>, Mildner, Bretschneider, Bucher, Windhager, Zoubek, Puig,Gadner, & Topf, 1997a, 1997b; Felder-Puig, <strong>Formann</strong>, Mildner,Bretschneider, Bucher, Windhager, Zoubek, Puig, & Topf, 1996,1998; Felder-Puig, Topf, Gadner, & <strong>Formann</strong>, 2008; Felder-Puig,Topf, Maderthaner, Gadner, & <strong>Formann</strong>, 2009). Er war mit seinemFachverstand, seiner Menschlichkeit und seinem trockenen Humoreine wunderbare Hilfe.Ungefähr ein Jahr vor seinem Tod durften wir ihn durchunser Spital führen und alle baulichen Neuigkeiten zeigen. Werhätte damals gedacht, dass dies unsere letzte persönliche149


Begegnung sein würde. Wir trösten uns mit dem Gedanken, dass erfür uns immer innerlich lebendig sein wird.LiteraturFelder-Puig, R., Baumgartner, M., Topf, R., Gadner, H., & <strong>Formann</strong>,A. K. (2008). Health-related quality of life in Austrianelementary school children. Medical Care, 46, 432-439.Felder-Puig, R., <strong>Formann</strong>, A. K., Mildner, A., Bretschneider, W.,Bucher, B., Windhager, R., Zoubek, A., Puig, S., Gadner, H., &Topf, R. (1997a). Psychosozialer Status von jungen Patientennach <strong>The</strong>rapie maligner Knochentumoren [Abstract].Monatsschrift für Kinderheilkunde, 145, 165.Felder-Puig, R., <strong>Formann</strong>, A. K., Mildner, A., Bretschneider, W.,Bucher, B., Windhager, R., Zoubek, A., Puig, S., Gadner, H., &Topf, R. (1997b). Quality of life and psychosocial adjustment ofyoung patients after treatment of bone cancer [abstract].Quality of Life Research, 6, 643-644.Felder-Puig, R., <strong>Formann</strong>, A. K., Mildner, A., Bretschneider, W.,Bucher, B., Windhager, R., Zoubek, A., Puig, S., & Topf, R.(1996). Quality of life and psychosocial adjustment of youngpatients with malignant bone tumours after treatment end[abstract]. Medical and Pediatric Oncology, 27, 271.Felder-Puig, R., <strong>Formann</strong>, A. K., Mildner, A., Bretschneider, W.,Bucher, B., Windhager, R., Zoubek, A., Puig, S., & Topf, R.150


(1998). Quality of life and psychosocial adjustment of youngpatients after treatment of bone cancer. Cancer, 83, 69-75.Felder-Puig, R., Topf, R., Gadner, H., & <strong>Formann</strong>, A. K. (2008).Measuring health-related quality of life in children fromdifferent perspectives using the Pediatric Quality of LifeInventory (PedsQLTM) and teachers’ ratings. Journal of PublicHealth, 16, 317-325.Felder-Puig, R., Topf, R., Maderthaner, R., Gadner, H., & <strong>Formann</strong>, A.K. (2009). Konzept der „gesundheitsbezogenen Lebensqualität“in der Pädiatrie: Nutzen für dieGesundheitsfürsorge, -forschung und -planung. Monatsschriftfür Kinderheilkunde, 157, 675-682.151


Persönliche EindrückeUlrich S. Tran<strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> hat mein Leben nachhaltig verändert.Meine erste Begegnung hatte ich mit ihm am Anfang meinesStudiums, als ich die Vorlesung Statistische Auswertungpsychologischer Experimente II besuchte. Gerhard Fischer war imSemester davor in den Ruhestand gegangen, und <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong>fiel die Aufgabe zu, den zweiten Teil seiner Vorlesung imSommersemester 1999 zu halten. Psychologische Methodenlehreund Statistik hatte wohl für die meisten Studierenden etwasEinschüchterndes – so auch für mich. Angesichts der Erwartungenvieler Studierender, was denn das Psychologiestudium für siebereithalten würde, erschien Methodenlehre wohl vielen alstrocken, vermeintlich wenig anwendungsorientiert und in ihrenInhalten geradezu arkan. Ich habe mich dennoch, wie viele andereauch, mehr oder weniger erfolgreich durchgewurschtelt und bin<strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> später in den Vorlesungen Methodenlehre undTesttheorie und Testkonstruktion wieder begegnet. Er hatte dort –mehr als einmal – mit Fundamentaleinwürfen einiger Studierenderzu kämpfen, wozu man denn das alles brauche und wieso wir uns alsPsychologen überhaupt mit solchen (für viele immer noch)schwierigen Dingen herumschlagen. Es war ein wenig ein Kampfgegen die Windmühlen. Aber einer, in dem man schon ganz152


eindeutig die Scharfsicht, Eloquenz, das Wohlwollen und den Humorvon <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> erkennen durfte. <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> tat mirdamals leid, die ewig gleichen Studierenden mit ihrer ewig gleichenKritik, die auch nicht an Substanz gewann, nervten auch mich baldgewaltig. Mein eigenes Verständnis von Statistik stieg jedoch sehr.Und auch wurde ein Interesse in mir geweckt, das mein weiteresLeben prägen sollte.Meine nächste Begegnung sollte erst viel später wiederstattfinden, am Ende meines Studiums. Mein Interesse anPsychotherapie hatte mich an die damalige Universitätsklinik fürTiefenpsychologie und Psychotherapie ins Wiener AKH geführt, woich von Elisabeth Jandl-Jager, die dort ein von mir besuchtesSeminar zur Psychotherapieforschung abhielt, an Martin Voracekverwiesen wurde. Martin Voracek, der heute den ArbeitsbereichForschungsmethoden leitet, arbeitete damals als Assistent anebendieser Klinik, war aber ebenso dem ArbeitsbereichMethodenlehre verbunden (dort externer Lehrbeauftragter). Esgäbe Daten, die im Rahmen einer Diplomarbeit untersucht werdenkönnten. Ich schrieb bei ihm meine Diplomarbeit (Pospisil [Tran],2003) mit diesen Daten und dockte so an den ArbeitsbereichMethodenlehre an, der wohl von vielen Studierenden damals mehroder weniger aktiv gemieden wurde. <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> wurde so wohlauch auf mich aufmerksam.Ein Jahr nach Abschluss meines Studiums bot er mir einen153


ersten externen Lehrauftrag an, weitere folgten. Im Jahr daraufdurfte ich zudem im Rahmen eines zweijährigen Projekts, das sichaus seinen Berufungsgeldern finanzierte, mit den Arbeiten anmeiner Dissertation beginnen, die ich auch in zwei Jahren fertigstellte (Tran, 2007). Ich hatte mit ihm während dieser Zeit einigeGelegenheit zu Gesprächen. Ich habe ihn in diesen Gesprächen alsjemanden kennengelernt, der nicht nur ein großes fachlichesWissen hatte, sondern überhaupt Scharfsicht. Er war interessiert anmeinem Fortkommen und unterstützte mich, wo es ihm möglichwar. Seine Betreuung half mir, im Rahmen meinesDissertationsvorhabens meine eigenen Gedanken stringenterumzusetzen und auch einen fachlichen Blick zu erlangen, der auchÜberblick bedeutete. Am meisten wird mir aber von ihm, wiewahrscheinlich anderen Weggefährten auch, sein Sinn für Humor inErinnerung bleiben. Es war ein feiner Humor, manchmal wohl auchein wenig schwarz. Aber immer ein Humor mit einem Funkeln inden Augen.Es war mir vergönnt, im Rahmen der Dissertation undnachfolgender Projekte, mit ihm gemeinsam an einer Reihe vonPublikationen zu arbeiten, die auch ihren Weg in die peer-reviewteVeröffentlichung gefunden haben (Nader, Tran, & <strong>Formann</strong>, 2011;Tran & <strong>Formann</strong>, 2008, 2009; Voracek, Tran, Fischer-Kern, <strong>Formann</strong>,& Springer-Kremser, 2010; Voracek, Tran, & <strong>Formann</strong>, 2008). Sobleibt wenigstens ein Teil meiner Zusammenarbeit mit ihm, die mir154


immer viel bedeutet hat, auch heute noch für andere sichtbar.Heute bin ich, nach einem Intermezzo im Fachbereich derKlinischen Psychologie, wieder in den „Hafen“ derForschungsmethoden zurückgekehrt. Ich sitze nun an einer Stelle,von wo aus ich insbesondere Studienanfängern versuche,Forschungsmethoden und Statistik in der Psychologie zu vermitteln,auch in Vorlesungen. Ich sitze hier, weil eine Anzahl an Menschenan mich im Verlauf meines beruflichen Werdegangs geglaubt undmir eine Chance gegeben haben. <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> war einer vonihnen und sicherlich nicht der geringste. Sein plötzlicher Tod war fürmich ein Schock, wie sicherlich für alle, die ihn gekannt haben.Vielleicht gelingt es mir aber heute, anderen ebenso solides Wissenzu Statistik und Empirie in der Psychologie zu vermitteln, wie es<strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> gelang. Und vielleicht gelingt es mir auch, andereebenso zu fördern und zu unterstützen, wie er es bei mir und vielenanderen getan hat. Mein Empfinden sagt mir, dass ich ihm undseinem Andenken nur auf diese Weise gerecht würde. Letztlich binich ihm bis heute für sein Vertrauen dankbar, das er in mich hatteund welches mein Leben verändert hat, wie nur wenig anderes.LiteraturNader, I. W., Tran, U. S., & <strong>Formann</strong>, A. K. (2011). Sensitivity toinitial values in full non-parametric maximum-likelihoodestimation of the two-parameter logistic model. British Journal155


of Mathematical and Statistical Psychology, 64, 320-336.Pospisil [Tran], U. S. (2003). Beurteilerübereinstimmung undsubjektive Krankheitstheorien: Eine Stellenkonkordanzanalysevon Interviewtranskripten psychosomatischer Patientinnen.Unpublizierte Diplomarbeit, Universität Wien.Tran, U. S. (2007). Eindimensionalität im Rasch-Modell und in derFaktorenanalyse. Unpublizierte Dissertation, Universität Wien.Tran, U. S., & <strong>Formann</strong>, A. K. (2008). Piaget’s water-level tasks:Performance across the lifespan with emphasis on the elderly.Personality and Individual Differences, 45, 232-237.Tran, U. S., & <strong>Formann</strong>, A. K. (2009). Performance of parallel analysisin retrieving unidimensionality in the presence of binary data.Educational and Psychological Measurement, 69, 50-61.Voracek, M., Tran, U. S., Fischer-Kern, M., <strong>Formann</strong>, A. K., &Springer-Kremser, M. (2010). Like father, like son? Familialaggregation of physicians among medical and psychologystudents in Austria. Higher Education, 59, 737-748.Voracek, M., Tran, U. S., & <strong>Formann</strong>, A. K. (2008). Birthday andbirthmate problems: Misconceptions of probability amongpsychology undergraduates and casino visitors and personnel.Perceptual and Motor Skills, 106, 91-103.156


Dresden, Jena, Berlin, Göttingen: Kongresstage mit AKFMartin VoracekEntrata<strong>Anton</strong> K. <strong>Formann</strong> (Univ.-Doz. damals noch) habe ichzunächst als Vortragenden kennengelernt. Ich: Erstsemestriger inPsychologie, Methodenlehre seine Vorlesung. Diese beinhalteteÜbungsanteile, daher unter Lehrveranstaltungstyp Übungfigurierend, im übrigen empfohlen für Drittsemestrige (vielleichtdaher auch nicht mit Note Sehr gut absolviert? ;) – zum 2.Prüfungstermin angetreten, März 1990, blättere ich aus derZeugnismappe). Zeit und Ort waren Wintersemester 1989/90, alsoab früh im Oktober, 2-stündig, jeweils Montag 9-11 Uhr, Hörsaal 50(anatomietheaterartig steiler Anstieg der Sitzreihen, Hauptgebäude,oberster Stock). Diese Rahmenangaben aus dem damals nochgedruckten Vorlesungszeichnis, herausgegeben von derUniversitätsdirektion der Universität Wien, Druck und VerlagFerdinand Berger & Söhne, Horn/Wien, wie die weiteren dieser Tage(und vor diesen) gelagert und zugänglich im Archiv der UniversitätWien, Postgasse 9, im 1. Wiener Bezirk.Ich ging immer hin. Und die Teilhabe an seinemAnekdotenhort und Wortwitz begann für mich dort. Feinstgekräuselt war sein Humor (übliche, cliché-repetitive Epitheta:bärbeißig, beißend, bissig, brummig, dunkel, englisch-steif, gallig,157


Lehrveranstaltungstyp Übung), 2-stündig, jeweils Montag 9-11 Uhr,Hs. 50. Aufs neue immer dort gewesen, gesteigerten Interesses,auch nun besser eingefunden offenbar: Note Sehr gut, bei Antrittzum zweiten Prüfungstermin, nach dem Sommer, im Oktober 1990,so mein Zeugnis. Fraglos war jene Vorlesung das pièce de résistanceseiner Lehre: gezählte 31mal hat er sie gehalten, vonWintersemester 1978/79 an bis zum letzten seines Lebens,Sommersemester 2010 (www.antonformann.at/teaching.htm).Leider befand er beide Konzeptionen, Methodenlehre undTesttheorie und Testkonstruktion, nie der Buchwerdung reif; alsSkripten unterschiedlicher Phasen und Überarbeitungsstadienvorliegend überdauern sie (<strong>Formann</strong>, 2003b; <strong>Formann</strong> & Pirkner,1990a, 1990b).Nach Besuch und Absolvierung dieser beiden Vorlesungenim ersten Studienjahr bin ich im weiteren Diplomstudium mit ihmdann aber nicht mehr in Berührung gekommen: die (damals noch 4-stündige) Übung Praktische Durchführung psychologischerExperimente anderswo absolviert, in der in diesen Jahren nochgehaltenen Übung Spezialprobleme der Differentiellen Psychologie(leider!) nicht gesessen, auch nicht in seinem Seminar fürFachliteratur, und letztlich auch die Diplomarbeit anderswogeschrieben, daher auch nicht in seinem Privatissimum fürDissertanten und Diplomanden.Nach meinem Studienabschluss 1993 folgten zunächst Jahre159


außeruniversitärer Tätigkeit, alles in Wien, mit den wesentlichenStationen Universitätsklinik für Psychiatrie (1993-94),Kriseninterventionszentrum (1994-95) und Chefarztbüro derPsychosozialen Dienste (1996-98). Eine gewisse, all diese Zeit weiterandauernde, Verbindung mit der damaligen AbteilungMethodenlehre und Differentielle Psychologie ergab sich durchmeine Tätigkeit als Tutor (nicht genaues heutiges Äquivalent wäre:Studienassistent) für eine der Übungen Praktische Durchführungpsychologischer Experimente (1994-96), bis Gerhard H. Fischer micherstmals (Sommersemester 1997) für eine solche Übung externlehrbeauftragte. Unter anderem dies bewog mich, mich in dieserPhase verstärkt auch universitär zu bewerben. Es glückte schließlicham früheren Studienort selbst: mit März 1998 konnte ich einebefristete Stelle, Karenzvertretung (mit damaliger BezeichnungVertragsassistent), am Arbeitsbereich antreten, als, wie sich spätererweisen sollte, letzter von Fischer eingestellter Assistent, dennjahrdrauf (März 1999, Fischer ging in den Ruhestand) war <strong>Formann</strong>nun (zunächst interimistischer) Abteilungsleiter.In dieser Phase von nicht ganz drei Semestern (1998/99) alsVertragsassistent, gut ein Jahrzehnt nach meinem erstenStudienjahr Psychologie, sollte sich es sich wieder fügen(Anrechenbares fürs Doktoratsstudium), Hörer <strong>Formann</strong>s zu sein,nunmehr aber als Mitarbeiter. Eigenen Reiz hatte dies und sporntemehr noch an. Das gedruckte Vorlesungsverzeichnis des160


Wintersemesters 1998/99 (zu der Zeit übrigens: Druck und VerlagAdolf Holzhausen’s Nachfolger, Buchdruckerei, Gesellschaft m.b.H.,Wien), enthält, rubriziert unter dem damaligen Fachfächer desDiplomstudiums zweitem Abschnitt, des Titels Systeme derPsychologie und ihre wissenschaftstheoretische und methodischeBedeutung, dies: VO Ausgewählte statistische Verfahren fürFortgeschrittene, 2std., Mo (pünktlich!) 15-16:30, Hs. d. Inst.; sowieUE Beispiele zu Ausgewählte statistische Verfahren fürFortgeschrittene, 1std., Mo (pünktlich!) 16:30-17:15, Hs. d. Inst. Ausletzterem (langgestreckt, grün laminierte, stufig ansteigendeBankreihen) wurden übrigens bald danach, mit Renovierung undUmbau des Hauses Liebiggasse 5, die heutigen Hörsäle E und F(linker Trakt, 1. Stock). Ao. Univ.-Prof. er, zu der Zeit. DieZeugnismappe erweist, dass die Vorlesung zum erstenPrüfungstermin, Ende Jänner 1999, absolviert und der TeilÜbungsaufgaben kurz darauf, auf Mitte Februar hin, abgegebenwurde. Beide Male Kalkül Sehr gut (am Rande: haben nicht alledamaligen MitarbeiterInnen geschafft ;).Diese beiden gekoppelten Lehrveranstaltungenvergegenwärtigen sich mir, mehr als ein Dutzendjahr später, wiederunmittelbar und sehr lebhaft sich herbeierinnernd im Durchblätterndes Konvoluts Overheadfolien und Notate, das in seinemwissenschaftlichen Nachlass erhalten geblieben ist. Leider ist dieseDoppel-Lehrveranstaltung, so vieles seines Credos im161


Methodenbezogenen sehr prägnant vermittelnd, Solitär geblieben:er (bzw. es) kam in Folge nicht mehr dazu, dass er sie hielt (woraufer in späteren Jahren bei mehr als einer Gelegenheit bedauerndzurückkam). Nur gehalten in diesem Wintersemester 1998/99, wardies an besonderer Schaltstelle seiner Karriere: im Semesternämlich nach seinem Distance Learning-Abschluss (M.Sc. AppliedStatistics) an der Sheffield Hallam University (Juni 1998) und vor derEinreichung seiner zweiten Wiener Habilitation (Jänner 1999, inAngewandter Statistik) und seiner Übernahme der interimistischenAbteilungsleiterfunktion (März 1999).Bald danach konnte ich von der kurzbefristeten(Karenzvertretungs-)Stelle auf eine Univ.-Ass.-Planstelle an diedamalige Medizinische Fakultät (AKH) wechseln, später aber (etwasmehr als 4 Jahre sollten es werden), ungeachtet erreichterVertragsverlängerung nach positiver Evaluierung der ersten 4 Jahredort, mich erfolgreich an den damaligen ArbeitsbereichMethodenlehre (seit 2012: Arbeitsbereich Forschungsmethoden)zurückbewerben. Kontinuierlich extern lehrbeauftragt, blieb derKontakt während der AKH-Jahre immer erhalten; erste Ideengemeinsamer Forschung konturierten sich, Datenerhebungensetzten ein, gemeinsame Kongressbeiträge wurden eingereicht.Meine Rückkehr (Jänner 2004) fiel zeitlich fast zusammen mit demBeginn seiner Professur als Nachfolger Fischers, und es solltengenau sechseinhalb Jahre werden, die ich dann sein Mitarbeiter162


(Postdoc, habilitiert 2009) sein sollte, täglichen Sehens undGesprächs. Nach einem gleichermaßen arbeitsintensiven wieerfolgreichen Sommersemester 2010 haben wir uns, gegen Abendwar es schon, am 2. Juli 2010, einem Freitag, verabschiedet und unsgegenseitig anlässlich unseres nach diesem Wochenende zeitgleichbeginnenden Sommerurlaubs alles Gute gewünscht (letzter Rat anmich, augenzwinkernd, wie so oft: Probierns amal nix arbeiten).Schmerzlicherweise, unfasslich, sollte dies unsere letzte Begegnunggewesen sein.In der Zeit als sein Mitarbeiter (2004-10) hat sich etliches anForschungsvorhaben ergeben, direkt gemeinsam entweder oderauch über Dritte. Mindestens nochmal so viel aber blieb – der Kürze,dem schnellen Zeitverstreichen, dem so jähen, unerwarteten Endevor der Zeit geschuldet – unerfüllt, Plan und Aussicht nur,Unerledigtes auf seiner und nun nur noch auf meiner to-do list.Dennoch: seine posthumen Publikationen mitgerechnet, jetzt,Anfang 2012, rund 15mal ich auf seiner Liste der Publikationen(www.antonformann.at/publicationconferences.htm), wie auchderzeit (damit sein häufigster Koautor) bei Autorensuche seinesNamens auf Web of Science, und rund drei dutzend Mal er(gemeinsame Kongressbeiträge inkludiert) in meinem CV.Die Liste gemeinsamer Arbeiten und Autorenschaften – vomMethodischen ausgehend, sie anwendend, problematisierend,hinterfragend – spannt dabei inhaltlich einen weiteren Bogen.163


Gleich die früheste Arbeit (Voracek, <strong>Formann</strong>, Fülöp, & Sonneck,2003) führt zwei der maßgeblichen Mentoren zusammen (<strong>Formann</strong>:späterer Habilitationsvater, 2009; Sonneck: späterer, dritterDoktorvater – nach Wendelin Schmidt-Dengler und Gerhard H.Fischer – für den Dr. scient. med., 2008). Die Liste enthält u.a.Populationsgenetisches (Voracek & <strong>Formann</strong>, 2004), Analysen vonSportergebnissen (Voracek & <strong>Formann</strong>, 2006), aus dermathematischen Kombinatorik uns interessierendeOkkupanzprobleme und deren Fehleinschätzungen im Alltag(Voracek, Tran, & <strong>Formann</strong>, 2008), wie auch eine Arbeit zumFamilienmuster der Berufswahl Psychologie oder Medizin (Voracek,Tran, Fischer-Kern, <strong>Formann</strong>, & Springer-Kremser, 2010).Zunehmend zuletzt (ein Erfolgsmodell), daher teils schon zu seinenposthumen Publikationen rechnend (deren vorläufig zwei last, butnot yet least: Amon, Putkonen, Weizmann-Henelius, Almiron,<strong>Formann</strong>, Voracek, Eronen, Yourstone, Friedrich, & Klier, 2012;Stieger, Voracek, & <strong>Formann</strong>, 2012), waren gemeinsameVeröffentlichungen auf Basis von Diplomarbeiten bzw.Dissertationen (Pietschnig, Voracek, & <strong>Formann</strong>, 2010a, 2010b,2011; Voracek, Gabler, Kreutzer, Stieger, Swami, & <strong>Formann</strong>, 2010).Gut, dass es in diesen Mitarbeiterjahren, von 2004 an,passender Gelegenheiten nicht mangelte, Dank abzustatten, füralles, was bis an diese (bzw. an der) Stelle war. Tröstlich ferner, dasssich Gelegenheit bot, dies auch zu verschriftlichen, an signifikanter164


Stelle, zu Einleitungsende der Habilitationsschrift: I am grateful to<strong>Anton</strong> K. <strong>Formann</strong>, my Head of Unit here at the Research MethodsUnit of the Department of Basic Psychological Research at theFaculty of Psychology, University of Vienna, for granting me thedevelopmental space to pursue this research, for encouragingcriticism, and for wise counsel (Voracek, 2009, p. 19).Längere Entrata – nun aber zum gewählten Fokus hier: Keinhäufiger Kongressreisender ist er gewesen, geschweige dennVortragsreisender. Immer noch im Ohr bleibend in solchenZusammenhängen sein etlichfaches Diktum: Auf einen Kongressweniger gefahren = ein Paper mehr geschrieben (eine Variantedavon: Fahrts lieber weniger herum, und schreibts dafür mehr).Während seiner 37jährigen akademischen Karriere (1973-2010) sindrund 30 Kongressbesuche im Zeitraum 1978 bis 2007 belegt, teilsdurch erhalten gebliebene Dienstfreistellungszettel (gut möglich fürdie frühen Jahre unvollständig). Historiometrisch-szientometrischeAnalyse (Nader, Pietschnig, & Voracek, 2012) seines (zunehmendsvon Gesundheitsbeschwerden geprägten) letzten Karrieredrittelsbelegt denn auch, wenig überraschend, signifikante Abnahme derfrequentierten Kongresse, selbst der Distanzen, Reisekilometer.Jedoch: gerade diese, rare Gelegenheiten, Kongresstage, verbrachtmit AKF, vier aufeinanderfolgende Stationen der (immer in geradenJahren abgehaltenen) Großveranstaltung (die Karawane, so er) desKongresses der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) –165


Dresden 1998, Jena 2000, Berlin 2002, Göttingen 2004 – ihrBesonderes in meiner Erinnerung mögen hier in Momentskizzennoch einmal aufleuchten.Dresden41. Kongress der DGPs, letzte Septemberwoche 1998, inDresden. DGPs-Kongresse zuvor hatte er nicht lückenlosfrequentiert (www.antonformann.at/publicationconferences.htm).Belegt sind Teilnahmen 1994 (Hamburg), 1990 (Kiel), 1984 (Wien)sowie, ganz früh, 1978 (Mannheim). Für mich, Vertragsassistent einpaar Monate erst, der erste große Kongress. Die Einreichfrist endetevor Aufnahme meiner Tätigkeit; also fuhr ich noch ohne eigenenBeitrag hin, stark rezipierend, mich orientierend. Ich erinnere michan gemeinsamen Besuch von Plenarvorträgen (etwa von Batchelder,1999; und Sixtl, 1999). Abends saßen wir im Restaurant(aquariumgleiche Glasfronten) des Hotels Newa (heute PullmanDresden Newa, damals stylish-russophil, Post-DDR-Chic): DresdnerSeevorstadt, eingangs Prager Straße, Nähe Hauptbahnhof, breiteFußgängerzone und Shopping-Boulevard, Blick auf diverseWasserspiele, Becken und Fontänen, der Pusteblumenbrunnen.Wasser überhaupt leitmotivisch an jenem Ort. Karten-Highlightdenn auch eine Auswahl Fischgerichte, unverkennbar schonosteuropäischer Zubereitungstradition (à la gefilte Fisch), was unsanzog und zur Bestellung bewog. Blick in Arrangements vonDünstgemüse; Zitterpfützchen Gelees, Grütze grün und rot. Der166


genius loci dort: all dies bot Anlass zu langem Austausch vonReiseerinnerungen. Das ursprüngliche fachliche <strong>The</strong>ma war baldverlassen.Jena42. DGPs-Kongress, Jena. Das Septemberende 2000 dortmuss mild gewesen sein. Wieder anregender gemeinsamer Besuchvon Mittagsvorlesungen (z.B. Bentler, 2001). Nach jener vonGerhard Fischer (Fischer, 2001; Ort: Sakralbau? Erinnerung anKirchbankreihen jedenfalls) in einem studentisch besuchtenStraßencafé. Im Gärtchen Austausch und Nachbesprechung, unternachsommerlicher Nachmittagssonne, zu hohen Schichttorten. Einanderes Bild aus diesen Tagen: er, ich, Fischer hinzukommend, inder Fauteuillandschaft am Grunde des vielstöckigen Atriums(Panoramafahrstühle) im Steigenberger Hotel Esplanade. KurioseKorrespondenz dabei: Inhalte des Fachgesprächs(Itemcharakteristiken) und Gestik dazu, mit der geschwungenenGeometrie der nach oben hin sichtbaren Etagenwandelgänge desAtriums.Berlin43. DGPs-Kongress, Berlin, Ende September 2002 (Beitrag:<strong>Formann</strong>, 2002; vgl. <strong>Formann</strong>, 2003a; Tran & <strong>Formann</strong>, 2008). VonWien kommend, waren wir alle zu leicht angezogen. Dennochgingen wir einen Gutteil des (damals noch nicht ganz so)Prachtboulevards Unter den Linden ab. Magisch zog dann der167


Bücherflohmarkt vor dem Bau der Humboldt-Universität an.Wetterentsprechender aber war eine Stippvisite derStaatsbibliothek zu Berlin, Stiftung PK (Preußischer Kulturbesitz).Dort nahm die <strong>The</strong>menkette eines Gesprächs den Ausgang (auchspäterhin ähnlich, in dieser Abfolge, Gedankenbewegungwiederkehrend) – vom Buchdruck vorzeiten und alten Büchernüberhaupt (sein Vater war Schriftsetzer), um dann über Reisenfrüher, Entdecker und Karten einst bis zur statistischen Grafik(beautiful graphs: Tukey, Tufte, Cleveland, etc.) hinzuziehen, bis wirbei Pearsons Biometrika und der Kunst des Formel- undTabellensatzes in ihren frühen Jahrgängen anlangten. Dies spannsich noch weiter fort im Unterschlupf (Nieselregen) eines kioskartigkleinen vietnamesischen Lokals direkt Unter den Linden –berlintypisch wohl, Lokal mit Ablaufdatum?, denn schon beimnächsten Aufenthalt habe ich es nicht mehr wiedergefunden. Beidiesem ersten Besuch kamen wir auf der Karte nicht überVorspeisenvariationen hinaus, sodass wir anderntags gleichnochmal dort waren (Hauptgerichte dann aber).Göttingen44. DGPs-Kongress, Göttingen, Ende September 2004, 100-Jahr-Jubiläumskongress der DGPs (Beitrag: <strong>Formann</strong>, 2004; vgl.<strong>Formann</strong>, 2000). Das Herbsteln dort muss noch entschiedendeutlicher gewesen sein; bildlich mir sind vor allem Indoor-Szenerien und Mäntel über Mäntel erinnerlich. Auch passte dazu,168


dass ich vom Altstadt-Flanieren gleich schon einen Adventskalender(Vorhangform und Türenformat: jeder Tag ein daran angenähtesBeutelchen) nach Wien mitnahm. Witterungsbedingt also, in derAltstadt, direkt am Gänseliesel, saßen wir wohlig, lang im AltenRathskeller (keine 10 Jahre später: Neuer Ratskeller RestaurantBullerjahn – mit Neupacht und forsch modernisiertem Interieurverstummte mehr als nur das altertümelnde Stumm-H): des AltenRathaus über 600jähriger Bauch (1344, bei urkundlicher Erwähnung,die Uni Wien gabs da noch nicht, noch der nyge wînkeller),holzdunkel und Kreuzgewölbe, Wildkarte schon (deftig deutsch).Gesprächsgang und <strong>The</strong>menkette Reprise von Berlin:Wiederaufnahme aber, nicht Wiederholung, Fülle neuer Details undstupende Lesefrüchte und unter vielem anderem nun mehr zuGalton als über Pearson.CodaRückblickend, wie auch aus damaliger (Aus-)Sichtgleichermaßen unerwartet, sollten die Tage in Göttingen, obwohlnoch in mein erstes Postdoc-Jahr als sein Mitarbeiter fallend, aberauch schon unsere letzten gemeinsamen DGPs-Kongresstagegewesen sein. Den nächsten (Nürnberg 2006; Beitrag: <strong>Formann</strong>,2006) konnte ich nicht wahrnehmen. Am darauf folgenden (2008,Berlin wiederum: da aber in dritter, sommerlicher Juliwoche) warwiederum er nicht (wenngleich durch mehrere Koautorenschaftenfür uns auch dort sehr präsent: Hofer, Voracek, & <strong>Formann</strong>, 2008;169


Pavlovic, Voracek, & <strong>Formann</strong>, 2008; Pietschnig, Voracek, &<strong>Formann</strong>, 2008). Und traurigerweise hat er den darauf folgenden(Bremen 2010; dort z.B.: Pietschnig, Voracek, & <strong>Formann</strong>, 2010c)nicht mehr erlebt – andernfalls (Ossia) hätte er sich davon wohl imnachhinein von uns erzählen lassen: es wäre dies zeitlich schon insein Sabbatical gefallen, das er für Wintersemester 2010/11 inAussicht genommen hatte, und er wäre in England gewesen.Die hier impressionistisch evozierten, bloß andeutungsweisekonturierten Begegnungen mit ihm andernorts, auf den DGPs-Kongressen, mit den vier Etappen Dresden, Jena, Berlin undGöttingen, werde ich daher in mir weiter lieb bleibender Erinnerungbehalten. Das Besondere, Gelöste daran mag wohl nicht zuletzteinem generellen Umstand solcher Ortswechsel zu verdanken sein:dass man zwar für sich aus Wien wegfuhr (in Autos, Zügen oder aufFlügen sind wir nie zu zweit gesessen), um sich dann aber kurzdarauf für eine zwar bemessene Reihe von Tagen fachlicherRahmenprägung, aber eben anderswo und arbeitsalltagsabseits,einzufinden. Diese besondere Atmosphäre wohl katalysiertepersönlichere Begegnungen als dienstlich daheim.All dem hier ließe vieles noch sich anschließen.LiteraturAmon, S., Putkonen, H., Weizmann-Henelius, G., Almiron, M. P.,<strong>Formann</strong>, A. K., Voracek, M., Eronen, M., Yourstone, J.,170


Friedrich, M., & Klier, C. M. (2012). Potential predictors inneonaticide: <strong>The</strong> impact of the circumstances of pregnancy.Archives of Women’s Mental Health, 15, 167-174.Batchelder, W. H. (1999). Multinomial processing tree models ofcognition. In W. Hacker & M. Rinck (Hg.), Zukunft gestalten:Bericht über den 41. Kongreß der Deutschen Gesellschaft fürPsychologie in Dresden 1998 (S. 65-73). Lengerich: PabstScience Publishers.Bentler, P. M. (2001). New approaches to structural equationmodels with missing data. In R. K. Silbereisen & M. Reitzle (Hg.),Psychologie 2000: Bericht über den 42. Kongreß der DeutschenGesellschaft für Psychologie in Jena 2000 (S. 65-74). Lengerich:Pabst Science Publishers.Fischer, G. H. (2001). Vierzig Jahre Item-Response-<strong>The</strong>orie:Überblick und Ausblick. In R. K. Silbereisen & M. Reitzle (Hg.),Psychologie 2000: Bericht über den 42. Kongreß der DeutschenGesellschaft für Psychologie in Jena 2000 (S. 99-113). Lengerich:Pabst Science Publishers.<strong>Formann</strong>, A. K. (2000). Rater agreement and the generalized Rudas-Clogg-Lindsay index of fit. Statistics in Medicine, 19, 1881-1888.<strong>Formann</strong>, A. K. (2002). Testtheoretische Analyse der Water-Level-Tasks. 43. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie,September 22-26, 2002, Berlin.<strong>Formann</strong>, A. K. (2003a). Modeling data from water-level tasks: A171


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Erinnerungen an den Hundeliebhaber <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong>Karin WaldherrWird man nach persönlichen Erinnerungen an einenZeitraum gefragt, der sich über mehr als zwei Jahrzehnte erstreckt,ist die erste Reaktion: Wo und womit soll ich bloß anfangen? Wiejedoch hinlänglich bekannt ist, sind retrospektive Datenerhebungenmit dem Problem von Erinnerungsfehlern und -lücken konfrontiert –worauf Prof. <strong>Formann</strong> seine Studierenden im Forschungsseminarimmer wieder aufmerksam machte. Daher muss man auch im„Selbstversuch“ sehr rasch feststellen, dass die Erinnerung an diemeisten konkreten Situationen nach so langer Zeit schon etwasverschwommen ist. An viele Erlebnisse hat man nur eine dunkleErinnerung. Einige Begebenheiten haben sich hingegen sehr genauim Gedächtnis eingeprägt. Eine davon, welche ein etwas wenigerbekanntes Gesicht von <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> zeigt, möchte ich bei dieserGelegenheit festhalten.Einige der Eigenschaften, die Prof. <strong>Formann</strong> besondersauszeichneten, waren seine akkurate Arbeitsweise und seineOrdnungsliebe. Seit ich Prof. <strong>Formann</strong> kannte, bewunderte ich, wieordentlich aufgeräumt sein Zimmer stets war. Alles war immer aufseinem Platz und sogar loses Papier war auf perfekten Stapelngeordnet. Weder auf seinem Schreibtisch noch in denBücherregalen war ein Körnchen Staub zu sehen.176


Wenn er mir Bücher oder andere Unterlagen borgte,bereitete mir das daher immer einigen Stress, da ich große Sorgehatte, dass mir irgendein Missgeschick damit passieren könnte.Besonders herausfordernd war beispielsweise, als er mir seinExemplar der Dissertation von Dr. Karl Piswanger, seinem erstenDissertanten, lieh (Piswanger, 1976; vgl. <strong>Formann</strong>, Waldherr, &Piswanger, 2011). Im Laufe der Zeit hatten sich die Seiten aus derKlebebindung gelöst, sodass die Dissertation nur mehr in Form loserBlätter vorlag. Damit noch nicht genug, hatte Prof. <strong>Formann</strong>zwischen die Blätter Lochkarten eingelegt (s. Abbildung 1). Diesewaren in den 1970er Jahren verwendet worden, um Daten in denGroßrechner der Universität Wien einzulesen. Prof. <strong>Formann</strong>, derals junger Assistent Nächte im Rechenzentrum verbracht hatte, umDaten einzulesen, hatte noch eine beträchtliche Menge dieserLochkarten aufbewahrt und benützte sie als Notizzettel undLesezeichen. Da die Dissertation insgesamt also eine sehr instabileKonstruktion darstellte, musste ich stets penibel darauf achten, dassweder die Seiten der Dissertation noch die Lochkarten verrutschtenoder gar ein Eselsohr bekämen. Somit wurde die Dissertation vonDr. Piswanger für einige Zeit zu meinem best behüteten Schatz.177


Abbildung 1: LochkarteIn Kenntnis der Ordnungsliebe von Prof. <strong>Formann</strong> kann mansich daher sicherlich mein verdutztes Gesicht vorstellen, als icheines Tages zu ihm ins Zimmer kam und nach dem Öffnen der Türfolgendes, vollkommen unerwartetes, Bild vor mir sah: Prof.<strong>Formann</strong> saß wie gewohnt an seinem Schreibtisch und arbeitete.Auf dem Fußboden vor mir lag jedoch ein unvorstellbar riesiger Bergvon zerknülltem und zerfetztem Papier. Während ich noch verblüfftim Türrahmen stand und alle möglichen Gedanken durch meinenKopf gingen, was hier wohl Schreckliches passiert sein könnte,tauchten aus der Tiefe des Papierhaufens blitzschnell zwei brauneOhren und ein entzückendes Hundegesicht auf. Des Rätsels Lösungfür dieses unerwartete Chaos in Prof. <strong>Formann</strong>s Zimmer war derHund, den seine Schwester aus dem Urlaub mit nach Hausegebracht hatte, und für den sie sich das Sorgerecht teilten.In all den Jahren war ich immer wieder davon beeindrucktgewesen, welch exzellenter Wissenschaftler <strong>Anton</strong> <strong>Formann</strong> war. In178


diesem Moment aber, als er aufstand, um seinen Hund zu herzen,offenbarte sich in eindrucksvoller Weise, welch warmherzigerMensch er war.Im Rückblick an den mehr als zwei Jahrzehnte andauerndengemeinsamen Arbeitsweg mit Prof. <strong>Formann</strong> bin ich sehr dankbar,dass ich das große Glück hatte, mit ihm arbeiten zu dürfen und soviele anregende Gespräche mit ihm führen zu können. Wenn ich aneinem schwierigen Problem arbeite, ertappe ich mich noch heutebei dem Gedanken: Was würde mir Prof. <strong>Formann</strong> jetzt wohl raten?In unseren unzähligen Gesprächen teilte er jedoch nicht nur seinprofundes Fachwissen, sondern unterhielt mich – schelmischlächelnd – auch aufs Köstlichste mit seinen ironischen Witzen undWortspielen. Und so werde ich ihn auch in Erinnerung behalten.Literatur<strong>Formann</strong>, A. K., Waldherr, K., & Piswanger, K. (2011). WienerMatrizen-Test 2 (WMT-2): Ein Rasch-skalierter sprachfreierKurztest zur Erfassung der Intelligenz. Göttingen: Hogrefe.Piswanger, K. (1976). Interkulturelle Vergleiche mit demMatrizentest von <strong>Formann</strong>. Unpublizierte Dissertation,Universität Wien.179


Eindrückliche BegegnungenGermain WeberWie so häufig, so auch am Freitag, dem 2. Juli 2010, liefenwir uns im Haus Liebiggasse 5, dritter Stock, gegenüber dem Aufzug,über den Weg. Es war mittlerer Nachmittag, Toni <strong>Formann</strong>, aufseinem Weg nach Hause, wünschte mir ein erholsamesWochenende und etwas ruhigere Tage.Die letzten Wochen des Sommersemesters waren diesesJahr, neben den üblichen Abschlussveranstaltungen des emsigenLehrveranstaltungsbetriebes an der Fakultät, noch durch dieArbeiten zur Fertigstellung des in der kurzen Geschichte der Fakultätfür Psychologie ersten Selbstevaluationsberichts geprägt, eineÜbung, die ab 2004 für alle Organisationseinheiten an derUniversität Wien verpflichtend eingeführt worden war. Der Genussdieser Übung stand 2010 auf der Agenda der Fakultät fürPsychologie. Neben entsprechenden systematischen Berichten ausden Instituten hatten in den vergangenen Wochen auch alleProfessorInnen ihre entsprechenden Beiträge geliefert. Auchdiskutierte die Fakultät in diesen ersten Juli-Tagen mit denMitgliedern des Scientific Advisory Boards der Fakultät diesenBericht, im Hinblick auf den für Oktober angesetzten Besuch derPeers.Diese bevorstehende erstmalige Evaluation des Faches180


Psychologie an der Universität hatte bei vielen Kollegen des Hauseszur nicht ganz unberechtigten Frage des „Wozu-ist-das-Gut“geführt. Und an diesem Spätnachmittag griff Toni <strong>Formann</strong>nochmals mit dem für ihn typischen kritischen Realismus diese<strong>The</strong>matik auf, meinte, dass diese Übung uns doch vor allem Zeitgekostet habe, die von der Besonderen Einrichtung fürQualitätssicherung definierte Methodik für eine fundierteEvaluation nicht wirklich passend sei, vor allem, da dieEvaluationsziele vorab nicht geklärt gewesen, die kritischenBereiche der Fakultät ja bestens bekannt seien, und diesevermutlich nach der Evaluation bestehen bleiben würden, da keineentscheidenden Maßnahmen zu erwarten wären und dieUniversität besser daran täte, den finanziellen Aufwand, der mitdieser Evaluation einhergeht, der Fakultät für Forschungszwecke zurVerfügung zu stellen.Gleichzeitig merkte Toni <strong>Formann</strong> an, nachdem er sich dafürbedankte, dass die Fakultätsleitung die mit dieser Übungverbundenen Arbeiten in Grenzen halten konnte, dass der mit derEvaluation verbundene Aufwand ihn doch mindestens die Zeit zurNiederschrift eines Fachartikels gekostet hätte. Also nochverträglich, wie er es in seiner Art zum Ausdruck brachte. Und inAnbetracht der nun vor uns liegenden vorlesungsfreien Zeit undseinem daran anschließenden, für das Wintersemestergenehmigten Sabbatical könne er nun die Zeit gut nutzen, um die181


durch die Evaluationsübung versäumte Publikation nachzuholenund seine weiteren sehr konkreten Forschungspläne dann ohne„Störaktionen der Universitätsleitung“ konsequent durchzuführen.Und vor allem würden mit dem beginnenden Wochenende nuneinige Erholungstage in den reizenden Landschaften desWaldviertels für ihn anstehen. Wir wünschten uns gegenseitig allesGute.Meine ersten Erinnerungen an Toni <strong>Formann</strong> stammen ausder Mitte der 1970er Jahre, der Periode, in der ich mein Studiumder Psychologie und Anthropologie an der Universität Wienabsolvierte. Auch in dieser Zeit war der überwiegende Teil dergroßen Psychologie-Vorlesungen, die im dunkelbraun holzgetäfeltenund eher düster beleuchteten Audimax abgehalten wurden, bis aufden letzten Platz gefüllt. Allerdings waren die Reihen im Auditoriumzu den Zeiten, in denen die Vorlesungen zu Statistik I und II und dendazu gehörenden Übungen stattfanden, deutlich lichter belegt, wasden Studierenden doch ein bequemeres Platzangebot ermöglichteund in den Statistik-Übungen für die Ausbreitung der Unterlagensehr nützlich war. Neben der Mitschrift benutzten wir eineFormelsammlung, das Heft mit den Übungsbeispielen sowieRechenschieber oder die moderner ausgerüsteten Studierendenbereits einen ersten kleinen elektronischen Tischrechner, der inseiner Premiumausführung Wurzel- und Logarithmus-Berechnungendurchführen konnte.182


Die Übungen, die Toni <strong>Formann</strong> abwechselnd mit KlausKubinger abhielt (beide zu dem Zeitpunkt Assistenten bei ProfessorGerhard Fischer), erlebte ich wegen ihres anwendungsorientiertenCharakters gleichzeitig als hoch anregend und spannend. Toni<strong>Formann</strong> gelang es, junge Psychologiestudierende, die keine Scheuvor mathematischen Denkübungen hatten, jenen kognitiven Genussnäher zu bringen, der sich über die Erläuterungen zu statistischenFunktionen und deren formal-mathematische Ableitungen undspannende Kurvendiskussionen erschließen ließ.Dieser Zugang war mir nicht fremd, hatte ich doch meineMatura in Luxemburg in der naturwissenschaftlichen Sektionabgelegt, was sich als gute Passung zur Ausrichtung des am Institutfür Psychologie vertretenen Fachverständnis erwies. In derDurchführung konkreter Übungsbeispiele war die Didaktik Toni<strong>Formann</strong>s durch eben diese formale Herangehensweise geprägt,eine Variante, mit der doch eine Reihe von Studierenden zukämpfen hatte. Allerdings wurden wir in den Übungen zu Statistikauch bereits mit jener Facette von Toni <strong>Formann</strong> vertraut, die wirüber all die Jahre auch an ihm schätzen durften. In so manchenpraktischen Übungsbeispielen sickerte, ohne Veränderungen inseiner Stimmlage, durch gezielte Bemerkungen der für ihn sotypische trockene Humor durch. Manche Studierende warenangetan, andere fanden dies nicht so witzig, zumal dann, wenndieser trockene Humor die studentischen Kompetenzen zum183


Gegenstand hatte.Für das Planungspraktikum, eine zentrale, daanwendungsorientierte Lehrveranstaltung im damaligenPsychologie-Curriculum, hatte ich mich auf Grund dieser erstenErfahrungen ein oder zwei Semester später erfolgreich bei Toni<strong>Formann</strong> einschreiben können. Wir waren eine Gruppe von ca. 20Studierenden, und beim ersten Lehrveranstaltungstermin wurdenwir gebeten, Zweier-Teams zu bilden. Da dies rasch ablaufen sollte,wurde in der Regel einer der zufällig neben einem sitzendenStudierenden kontaktiert, sofern man nicht bereits als Tandem oderKleingruppe im Studium organisiert war. So kam ich mit einem gut15 Jahre älteren Studierenden zusammen, der 1956 während desUngarischen Volksaufstands mit seinen Eltern nach Österreichgeflüchtet war.Nach dieser Gruppenbildung verlas Toni <strong>Formann</strong> jene<strong>The</strong>men, zu denen wir, mittels unserer bisherigen Kenntnisse ausStatistik, eine Verbindung zu theoretischen Modellen herstellensollten, also eine erste empirische Arbeit ausprobieren durften.Nach jeder <strong>The</strong>mennennung meldeten sich Interessierte, wobei Toni<strong>Formann</strong> kurz die Motive der sich Meldenden erfragte, um danneine Entscheidung zu treffen, die nicht kontestiert werden konnte.Mein aus Ungarn stammender neuer Partner meldete sich spontanbei dem <strong>The</strong>ma „Wohnzufriedenheit“ und begründete die Meldunggeschickt mit der Möglichkeit, die Befragung komparativ184


aufzubauen, also einen Vergleich hinsichtlich derWohnzufriedenheit zwischen einer ursprünglichen Wiener Gruppeund einer Gruppe von in Wien lebenden Ungarn zu erzielen.Wir hatten das <strong>The</strong>ma, weil, wie Toni <strong>Formann</strong> anmerkte,hier viele Aspekte zu berücksichtigen seien, und wir somit viellernen würden. Ein anderes <strong>The</strong>ma hatte die Wirkung vonProduktwerbung auf Kaufentscheidung zum Gegenstand. Esmeldeten sich mehrere Gruppen, die ihre Motive kurz skizzierten.Der Sprecher einer Gruppe führte an, dass er den Lehrgang fürWerbespsychologie an der damaligen Hochschule für Welthandel(heute Wirtschaftsuniversität) bereits belegt hätte und somit diehier angeeigneten Wissensstrukturen nützlich in dieser Übungeinbauen könne. Toni <strong>Formann</strong>s Antwort auf diese Motivdarstellungwar kurz und bündig, verstand er es doch, Studierende daran zuerinnern, dass Lernen auch etwas mit Erschließen von neuenInhalten zu tun hat. – Also wurde eine „naivere“ und lernwilligereGruppe mit der Bearbeitung des begehrten <strong>The</strong>mas betraut.Jahre später, selbst jetzt wissenschaftlicher Mitarbeiter amInstitut für Psychologie, erfahre ich das hohe Anspruchsniveau, dasToni <strong>Formann</strong> an seine wissenschaftliche Arbeiten setzt und dieAnstrengungen und Mühen, die er systematisch unternimmt, umdiesem Anspruch in seinen Arbeiten gerecht zu werden. Diese seinewissenschaftliche Karriere lebt er mit großer Bescheidenheit – jaetwas wie Demut gegenüber der Wissenschaft und ihren185


Erkenntnismöglichkeiten könnte bei ihm zum Ausdruck kommen.Allerdings, für wissenschaftlichen Ehrgeiz, der an einertheoretischen Oberfläche hängen bleibt, konnte man dieBegeisterung oder Zustimmung von Toni <strong>Formann</strong> kaum erwarten,und hat sich dieser Ehrgeiz dann noch mit statistisch-methodischenSchwächen gepaart, wurde Toni <strong>Formann</strong>s Kritik eindeutig, bliebdabei aber stets sachlich.Zur besonderen Kollegialität von Toni <strong>Formann</strong> folgendeErfahrungen aus zwei unterschiedlichen Ausgangssituationen.Während der Arbeiten zu meiner Habilitation bat ich Toni <strong>Formann</strong>um eine Aussprache hinsichtlich meiner Überlegungen zuForschungsdesign und Auswertungsplan der angedachtenempirischen Arbeiten, ein Ansinnen, das in der damaligenInstitutskultur nicht wirklich üblich war, allein schon deswegen, weilich von einer anderen Abteilung kam. Toni <strong>Formann</strong> reagierte aufdiese Anfrage durchaus verwundert – verwundert darüber, dass erals Experte gesehen wurde, er zur inhaltlichen <strong>The</strong>matik der Arbeitnichts beitragen, sich aber doch vorstellen könne, für ein Gesprächzur Verfügung zu stehen.Das Fachgespräch erwies sich dann als durchaus fruchtbar.Das Zuhören, das Nachfragen, das Mitüberlegen waren Stärken, wieich sie in dieser Art von Toni <strong>Formann</strong> noch nicht kannte. Eineblinde Begeisterung für das, was hier geplant wurde, bzw. wasmethodisch angedacht war, sollte es nicht sein. Eher nüchterne186


Analysen und Kommentare zu den Verhandlungspunkten, mit einerabschließenden Bemerkung, dass man so vorgehen könne. Für dieseRückmeldung war ich damals sehr dankbar, da für die eigeneZielsetzung ermutigend.Wieder Jahre später, Toni <strong>Formann</strong> hatte dann bereits dieProfessur erreicht, und ich selbst durfte die ehrenvolle Funktion desDekans ausführen, ergab sich meinerseits eine Anfrage in dieserFunktion an Toni <strong>Formann</strong>. Ich befragte ihn zu seinenVerwendungsplänen der ihm aus seiner Berufung zustehendenfinanziellen Mittel! Meine Frage enthielt gleichzeitig einenmöglichen Verwendungszweck für einen Teil seines Restgeldes, einedurchaus unübliche Art eines Dekans, sich Berufungsgeldern einesProfessors zu nähern. Nachdem er sich Zweck und Begründungangehört hatte, meinte er spontan, dass die Hälfte des Restgeldesgerne für diese Fakultätsaktivität genutzt werden könnte undkommentierte abschließend, dass für die Forschungsarbeiten, die erverfolgt, Ressourcen wie Bleistift und Schreibpapier von Relevanzseien. Großzügigkeit und Bescheidenheit, gepaart mit einerordentlichen Portion von Understatement, eine markante Facetteunseres gelehrten Kollegen <strong>Formann</strong>.Toni <strong>Formann</strong> konnte man zu vielen <strong>The</strong>men befragen undseine Analysen und Antworten waren substantiell und vomFeinsten. Als stellvertretender Institutsvorstand bzw. als Vizedekanübernahm Toni <strong>Formann</strong> Verantwortung zu <strong>The</strong>menbereichen, weit187


über sein direktes Forschungsfeld hinaus. Das Wort Veränderungwar ihm nie fremd. Allerdings rief das rasante Tempo, mit dem dieUniversitäten in den letzten Jahren auf den Weg zu anderenLandschaften geführt wurden, in ihm eine ordentliche Portion nichtnur an kritischem, sondern skeptischem Realismus hervor. Auch indiesen Kontexten waren seine scharfsinnigen, wie auchtiefgehenden Analysen wichtig und nützlich. Dabei ging es ihm nieum Macht. Er könnte diese Tätigkeit als ein lästiges, abernotwendiges Dienen für eine Gemeinschaft, jener der Fakultät,angesehen haben, und brachte hier seine besondere „Waffe“, jeneder scharf analysierenden Vorsicht, zur Anwendung. Wurde mal einWeg eingeschlagen, der doch konträr zu seiner Sicht war, versperrteer sich diesem Weg nicht, zog sich maximal mit einem leichtwienerischen Raunzen zurück, um bei einer nächsten <strong>The</strong>matikwieder mit dem ihn kennzeichnenden Engagement dabei zu sein.So manche wissenschaftliche Vorhaben sollten in Angriffgenommen werden, doch es sollte so nicht sein. Mit seinemabrupten und unerwarteten Ableben versetzte Toni <strong>Formann</strong> dieBelegschaft der Fakultät in einen kollektiven Schock, konfrontiertmit der terrorisierenden Erinnerungsbotschaft an die eigeneEndlichkeit. Viele KollegInnen versammelten sich dann auch am 30.Juli 2010 zum Abschiedsgeleit, und als sich der Trauerzug dann andiesem kühlen und regnerischen Sommertag über denZentralfriedhof zog, erklangen irgendwo im Hintergrund188


afrikanische Trommelklänge, an einem Friedhof eine eherunerwartete Klangwolke. Je näher wir zur Grabstätte gelangten,bestätigte sich dann die auf dem Weg aufkommende Vermutung,dass diese Klänge Toni <strong>Formann</strong> an seine letzte Ruhestätte begleitensollten. Viele entdeckten eine neue Facette von ihrem Kollegen undFreund, seine Liebe für afrikanische Kulturen und der damiteinhergehenden Faszination für das Ursprüngliche.189

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