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Walter Aue<br />
5. Januar u. a.<br />
Wilhelm Gauger<br />
3. Oktober<br />
Burkhard Heim<br />
22. November<br />
Peter Hutchinson<br />
4. März<br />
Timo Kahlen<br />
30. Juni u. a.<br />
umgehen lernt, bald so verloren ist, wie Walter Benjamins<br />
Analphabet im 20. Jahrhundert, der keine Bilder lesen kann. /<br />
Dass Benjamins Prophezeiung erst heute im 21. Jahrhundert<br />
heftige Folgen hat, es gab noch nie so viele lebenswichtige<br />
Icons, Logos, Labels, Tastaturbefehle, macht seine Aussage<br />
umso vorausschauender. Der iconic turn hatte »begonnen«. /<br />
1987 habe ich Künstler- und Wissenschaftlerfreunde aus aller<br />
Welt angeschrieben und eingeladen, für das Telefon eine<br />
Aussage zum Thema Zeit zu machen: Einen Text, eine<br />
akustische Performance, ein Klangereignis, ein Musikstück,<br />
kurz, uns Ihr Verhältnis zu Zeit erleben zu lassen. Sie konnten<br />
natürlich alle Mittel und Wege benutzen, die über einen<br />
Anrufbeantworter erfahrbar sind: Künstlerische, wissenschaftliche,<br />
oder solche spiritueller oder psychisch medialer Erfahrung.<br />
Aus ihrer selbstkritischen, unkritischen oder ungetrübt<br />
kindlichen Wahrnehmung heraus formulieren. Das Medium<br />
Telefonklang formen. / Seit meinen eigenen Prozessarbeiten<br />
in der Mitte der 1960er Jahre, hatte ich deshalb auch Freude<br />
an Kunstwerken von Freunden, die auch intensiv mit und an<br />
der Zeit arbeiteten. An solchen wie Zbigniew Dlubak’s<br />
Fingerfotos Unsymbolische Gestikulationen (S. 56), an einem<br />
Interview mit Joseph Beuys über die Menschen als Götter,<br />
an einem Foto einer unzeitlichen Trance, einer Sufi Dhikr<br />
Ceremony von James Wentzy (S. 221), an salzkristallisierenden<br />
Fotos Salzsucht von Juris Boiko (S. 46), oder an einer<br />
Sommersonnenwende-Arbeit von Arthur Wicks (S. 224). /<br />
Ich wünschte mir von den Eingeladenen akustische Beiträge,<br />
einen für jeden Tag im folgenden Jahr 1988: 365 Zeit-An<br />
Sagen. Das Jahr war übrigens ein Schaltjahr – aber 366<br />
Zeit -An-Sagen hätte wohl verwirrend geklungen. / An jedem<br />
Tag wollte ich eine Kassette mit einem neuen Stück pünktlich<br />
morgens um neun Uhr in den Anrufbeantworter in der Ruine<br />
der Künste Berlin laden. Die sollte dann die folgenden vierundzwanzig<br />
Stunden über die eigens dafür eingerichtete<br />
Berliner Telefonnummer 83134 35 abrufbereit sein. / Am<br />
1. Januar 1988 startete das Projekt. Tag und Nacht kamen<br />
Anrufe, aus Buenos Aires oder Wladiwostok, aus Reykjavik<br />
oder Johannisburg, aus Buxtehude oder Berlin, die unsere<br />
aktuelle Zeit -An-Sage wie eine Tageslosung hören wollten.<br />
Manchmal musste ich beim morgendlichen Kassettenwechsel<br />
ankommende Anrufe unterbrechen und in allen erforderlichen<br />
Sprachen oder Ersatzsprachen um einen Moment<br />
Geduld bitten, um das neue Stück einzulegen. / Viele der<br />
Künstler, Wissenschaftler, Psychischen Medien oder Esoteriker,<br />
von Carl Andre über Joseph Beuys und Claudio Costa<br />
bis Emmett Williams oder Michele Zaza spielten gerne mit.<br />
Jeder konnte sich, wenn er wollte, auch noch ein bestimmtes<br />
Datum, seinen Tag, auswählen, seinen Geburtstag, seinen<br />
Glückstag oder auch einen gewürfelten – oder einfach mir<br />
überlassen, an welchem Tag ich den Beitrag einstellte. So<br />
füllte sich der Kalender langsam. Zu langsam. Künstler<br />
müssen oft einen Termindruck spüren, um zu agieren, also<br />
mussten noch Zitate von John Cage bis Leonardo da Vinci<br />
für eventuelle Lücken bereitliegen. Die brandneuen Zeit -An-<br />
Sagen der Lebenden kamen eben nicht in Wäschekörben per<br />
Post an, sondern trudelten langsam wie Sandkörner einer<br />
Sanduhr ein. Manche waren feinkörnig, die konnten reibungslos<br />
gesendet werden und andere so brockig, dass sie<br />
im Sanduhrhals der Audiotechnik stecken blieben: Das<br />
Spektrum reichte von Harald Szeemanns schlanker Ein-Wort-<br />
Aussage Zeitlos bis zu Keigo Yamamotos sperriger U-Matic-<br />
Videokassette, die wir bis heute nicht vollständig akustisch<br />
übersetzen konnten, selbst wenn wir wollten. Andere wurden<br />
vor den Mikrofonen vor Ort in der Ruine realisiert. / Natürlich<br />
waren auch viele neue Beiträge der Künstler der für die<br />
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