Apostel
Zeitschrift der Arnsteiner Patres
Zeitschrift der Arnsteiner Patres
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titelthema<br />
Solch ein verändertes Verständnis davon, wie die<br />
Botschaft und die Praxis Jesu in einem bestimmten<br />
kulturellen und gesellschaftlichen Umfeld anzuwenden<br />
sind, gab es während der ganzen Kirchengeschichte<br />
immer wieder. Jede Generation von Christinnen<br />
und Christen hat die Aufgabe, das Evangelium<br />
mit Blick auf ihre jeweils konkrete Lebenswirklichkeit<br />
hin zu lesen und zu verstehen. Dafür haben<br />
wir von Jesus die Zusage des Geistes, der uns »alles<br />
lehren wird«.<br />
Peter Hofacker,<br />
priesterlicher<br />
Mitarbeiter in einer<br />
Pfarrei im Westerwald,<br />
kennt die<br />
Arnsteiner Patres<br />
seit seiner Schulzeit<br />
in Lahnstein<br />
peter hofacker: Die Realität des Lebens<br />
Jesu ist entscheidend – aber<br />
nicht für jede mögliche Situation bereits<br />
von ihm entschieden. Das müssen<br />
wir schon selbst tun. Und da<br />
fängt das Problem an. In der Nachfolge<br />
Jesu in dieser Welt – in der je eigen<br />
erlebten Wirklichkeit – müssen wir<br />
Entscheidungen treffen. Entscheidungen<br />
der Nächstenliebe.<br />
Barmherzigkeit darf nicht zum moralischen<br />
Postulat des einzelnen Gläubigen<br />
verkommen, Barmherzigkeit<br />
muss Maßstab allen kirchlichen Handelns<br />
bleiben und wieder werden.<br />
Die Kirche hat nicht die Wahrheit,<br />
sondern Jesus ist die Wahrheit. Und<br />
wer Jesus erkennt, der lebt in der<br />
Wahrheit. Da auch diese Kirche sündig<br />
und fehlerhaft ist, stünde es den Verantwortlichen<br />
und allen Gläubigen gut zu Gesicht, Jesu Sicht<br />
der Dinge miteinander zu bedenken und ins Gebet<br />
zu nehmen, um dann im Dialog die richtige Entscheidung<br />
zu treffen. Miteinander reden – miteinander<br />
beten – miteinander streiten. Das ist für mich der<br />
Weg zur Erkenntnis der offenbarten Wahrheit. Und<br />
die wird niemals gegen die Barmherzigkeit stehen.<br />
Die Barmherzigkeit darf keine Beliebigkeit bedeuten,<br />
sondern soll aufrichten und eine Erneuerung ermöglichen<br />
oder wegweisend sein. Es kann nicht darum<br />
gehen, Falsches nicht anzumerken.<br />
Durch die Offenbarung des menschgewordenen<br />
Gottessohnes und seiner Unterweisung der <strong>Apostel</strong><br />
und Jünger und das Wirken des Heiligen Geistes in<br />
der Kirche dürfen wir glauben, dass die Kirche »Gottes<br />
Gesetz« richtig zu kennen weiß.<br />
dr. hadwig müller: Vorrang hat<br />
weder das allgemeine Gesetz noch<br />
eine je besondere Ethik, Vorrang hat<br />
immer der konkrete Mensch. Vorrang<br />
hat die Nähe, die zu diesem<br />
konkreten Menschen herzustellen<br />
ist. Dafür geben die Evangelien Beispiele<br />
aus dem Leben Jesu.<br />
Dr. Hadwig Müller,<br />
Theologin, war bis<br />
zur Rente<br />
Referentin des<br />
Missionswissenschaftlichen<br />
Instituts Missio<br />
In der Beziehung zu einem konkreten<br />
Menschen kommen nun durchaus<br />
allgemeine Gesetze zur Geltung.<br />
Aber sie anzuwenden, heißt immer,<br />
sie in Hinblick auf konkrete Menschen<br />
anzuwenden und dabei zu<br />
verändern. Es gibt keine Anwendung<br />
von Gesetzen ohne Veränderung,<br />
und zwar eine wechselseitige:<br />
Der konkrete Mensch, dem gegenüber<br />
das Gesetz zur Anwendung kommt, verändert<br />
sich – und das Gesetz erfährt eine Veränderung, weil<br />
die Person, die es anwendet, sich dabei verändert.<br />
Das zeigen die Evangelien mit den vielen Erzählungen<br />
von Kranken, die Jesus von Nazareth am Sabbat<br />
Arne Kirseboom<br />
SSCC ist Pfarrer in<br />
Asker und Baerum<br />
(Norwegen) und<br />
Oberer der<br />
dortigen<br />
SSCC-Kommunität<br />
arne kirseboom sscc: Weder das allgemeine<br />
Gesetz noch der barmherzige<br />
Umgang mit dem je konkreten<br />
Menschen sollten vorrangig sein, beides<br />
muss aufrechterhalten bleiben.<br />
Als Seelsorger muss ich auf der einen<br />
Seite die kirchliche Lehre immer vor<br />
Augen haben, auf der anderen Seite<br />
den Menschen in ihren Nöten begegnen.<br />
Das Ideal sollte sein, dass die<br />
kirchliche Lehre und das individuelle<br />
Leben in eins zusammenfallen<br />
können. Wenn<br />
nicht, muss man den<br />
Menschen dazu verhelfen,<br />
dem möglichst nahezukommen.<br />
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apostel 4/2014 2/2015