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Apostel

Zeitschrift der Arnsteiner Patres

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theologischer beitrag<br />

Kamel &<br />

Nadelöhr<br />

© Vadim Svirin – iStock, malerapaso – iStock<br />

Wie passt das größte Tier Palästinas in die kleinste<br />

Öffnung? – Eine von vielen Provokationen der Bibel.<br />

In der klassischen Übersetzung heißt es: »Eher geht<br />

ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher<br />

in das Reich Gottes gelangt« (Mt 19,24). Das Ideal<br />

und die Unmöglichkeit, es zu erfüllen.<br />

Die Schriftgelehrten haben versucht, beides zusammenzubringen.<br />

In der Stadtmauer von Jerusalem gebe<br />

es einen kleinen Durchlass, im Volksmund »Nadelöhr«<br />

genannt, durch den man zur Not ein kleines<br />

Kamel schieben könne. Und noch eine andere Erklärung:<br />

Es handle sich um zwei gleichlautende Wörter.<br />

Denn das griechische »kamilon« kann sowohl<br />

Kamel als auch dickes Seil oder Schiffstau bedeuten,<br />

sodass der Satz dann lautet: »Eher lässt sich ein dickes<br />

Seil in ein Nadelöhr einfädeln, als dass ein Reicher<br />

in Gottes neue Welt kommt.« Das Ideal wäre<br />

damit gerettet und nicht von Jesus als völlig unmöglich<br />

dargestellt.<br />

Schnell landen wir im Grundsätzlichen, wenn wir<br />

über ernste Fragen diskutieren, wenn es ums Eingemachte<br />

geht. Gerade auch wenn grundlegende Tugenden<br />

wie Treue und Erneuerung im Spiel sind, wie<br />

derzeit in unserer Kirche. Gilt in jedem Fall das Ideal,<br />

auch wenn man es nicht erreichen kann? Ist der<br />

Fanatiker im Recht, der ohne Rücksicht auf Verluste<br />

die Treue zum Grundsätzlichen fordert? Und dabei<br />

oft seinen Nächsten nicht mehr kennt.<br />

Was sagt die Bibel? Sind die oft genannten Sachzwänge<br />

nicht nur ein Vorwand, um leichter davonzukommen?<br />

Wie können wir Jesu Haltung erklären?<br />

Das Ideal – oft dargestellt in einer Heilung – erscheint<br />

nicht von Anfang an, sondern wird über verschiedene<br />

Stufen erreicht. Es ist eine Bewegung wie<br />

die Besteigung eines Berges.<br />

Ein sprechendes Beispiel dafür ist die Heilung eines<br />

Blinden (Mk 8,22). »Ich sehe Menschen – sagt er<br />

nach dem ersten Versuch –, denn ich sehe etwas, das<br />

wie Bäume aussieht und umhergeht.« Jesus legt ihm<br />

nochmals die Hände auf. »Nun sah der Mann deutlich.<br />

Er war geheilt und konnte alles genau sehen.«<br />

Das sich entwickelnde Ideal wird sichtbar bei der<br />

Entstehung des Menschen im Mutterleib. Psalm 139<br />

beschreibt sie fast wie ein wissenschaftlicher Film.<br />

»Als ich geformt wurde im Dunkeln, kunstvoll gewirkt<br />

in den Tiefen der Erde, waren meine Glieder<br />

dir nicht verborgen. Deine Augen sahen, wie alles<br />

entstand, in deinem Buch war schon alles verzeichnet.«<br />

Noch plastischer übersetzt Martin Buber aus<br />

dem hebräischen Original: »Mein Kern war dir nicht<br />

verhohlen, als ich wurde gemacht im Verborgenen,<br />

buntgewirkt im untersten Erdreich, meinen Knäuel<br />

sahn deine Augen, und in dein Buch waren all sie<br />

eingeschrieben die Tage, die einst würden gebildet.«<br />

Ein Knäuel sind wir, ein Knäuel, der entwirrt und in<br />

Form gebracht wird – unter SEINEM Blick und SEI­<br />

NER Anleitung.<br />

Und so geht es mit dem obersten aller Ideale, dem<br />

ersten Gebot. »Du sollst den Herrn deinen Gott lieben«<br />

und als Weg dahin die Liebe des Nächsten und<br />

seiner selbst. Zu diesem Ideal führen viele Wege.<br />

Ein kleiner Test kann helfen. Bei uns in Deutschland<br />

lässt sich die Situation an zwei Gruppen ablesen, die<br />

wie ein Fächer für die eine und die andere Seite stehen:<br />

»Forum Deutscher Katholiken« und »Wir sind<br />

Kirche«. Wer beide Adressen im Internet aufruft,<br />

kann sich nur wundern, was sich alles hinter diesen<br />

Portalen verbirgt. Papst Franziskus ist in beiden Lagern<br />

ein gern gesehener Gast. Viele »Realitäten« und<br />

die Hoffnung, das dicke Seil ins Nadelöhr zu bringen.<br />

Denn wir wissen aus der Bibel: Für IHN ist<br />

nichts unmöglich. n<br />

friedhelm geller sscc<br />

2/2015 apostel<br />

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