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Dokumentation des 6. MainzerMediendisputs - Bibliothek der ...

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WAS KÖNNEN POLITIK UND POLITIKBERATUNGÜBERHAUPT VON UNS JOURNALISTEN LERNEN?Stefan RaueÜber Hans-Dietrich Genscher werden zahlreiche Anekdoten verbreitet.Eine, die ich selbst erlebt habe, passt erfreulicherweise in unserenZusammenhang. Eine Zeit lang spielten sich die Begrüßungsdialogezwischen dem damaligen Außenminister und den um ein Gespräch bittendenJournalisten wie folgt ab:Der Redakteur:„ Herr Außenminister, mein Name ist Müller vomBuxtehu<strong>der</strong> Anzeiger, darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?“ Genscherpflegte darauf mit freundlich, -einladen<strong>der</strong> Miene zu sagen:„ Aber HerrMüller, ich kenne Sie doch! “Ein typischer Genscher, eine Unwahrheit und eine Wahrheit einträchtignebeneinan<strong>der</strong> in einem kurzen Satz. Natürlich hatte er den angstschlotterndenRedakteur namens Müller niemals in seinem Leben vorhergesehen, und er hatte auch nicht vor, sich <strong>des</strong>sen Namen undBestimmung zu merken. Gleichzeitig sagte Genscher die Wahrheit, besserals viele an<strong>der</strong>e hat er die Medien gekannt: Ein Berufsstand, über denschon Max Weber in „Politik als Beruf“ bemerkt hat: Es handelt sich beiden Journalisten um eine „Pariakaste, die in <strong>der</strong> Gesellschaft stets nachihren ethisch tiefststehenden Repräsentanten sozial eingeschätzt wird.“Ein Berufsstand, <strong>der</strong> einer vorbildlichen Charta unterworfen ist, <strong>des</strong>senAngehörige allerdings ein ganz eigenes charakterliches Profil entwickelthaben, das keine pathologische Verirrung, son<strong>der</strong>n die notwendigeVoraussetzung für eine erfolgreiche Ausübung <strong>des</strong> Berufs darstellt.Schauen wir uns also die fünf zentralen Eigenschaften <strong>der</strong> Journalistenan, sie sind ressortübergreifend, gelten für Print, Hörfunk und Fernsehenähnlich, und formen die mediale Wirklichkeit, mit <strong>der</strong> die politischenAkteure umzugehen haben.1) Die EitelkeitDer alte Fuchs Genscher hat in unserem Beispiel, ganz ohneKommunikationstrainer, den Nerv getroffen. Unser BeispielredakteurMüller hatte natürlich während <strong>des</strong> gesamten Interviews seine Gedankennicht bei NATO, KSZE o<strong>der</strong> Deutscher Einheit. „Woher kennt mich <strong>der</strong>Genscher, vielleicht aus dem Pressespiegel, vielleicht durch Empfehlung,vielleicht auf Hinweis durch den Pressesprecher?“Die schönsten Gefühle werden Müller in diesen Minuten übermannthaben, und das mit langer Nachwirkung.Die Methode ist bekanntlich nicht neu: Wahlkämpfer im alten Rom hieltensich sogenannte Nomenklatoren. Das waren Sklaven, die dem Politikerbeim Gang über das Forum möglichst schnell und diskret die Namen undpersönlichen Verhältnisse <strong>der</strong> Passanten und möglichen Wähler undSponsoren zuflüsterten. Es folgten dann Gruß mit Namen und denbesten Wünschen für den neugeborenen Sohn o<strong>der</strong> das jüngst erworbeneLandhaus.Dass es den Angesprochenen dabei scheint, dass <strong>der</strong> Glanz <strong>der</strong>Prominenz auch ihre Existenz erleuchtet, das wirkt wie eine Droge, dieeine immer größere Dosis for<strong>der</strong>t. Bei uns politischen Journalisten gibtes ein hoch komplexes System, Prominenz zu schaffen, zu erhalten undzu mehren. Da sind die berühmten Hintergrundkreise, in denen imVorfeld von Kampagnen und wichtigen Entscheidungen handverleseneJournalisten gebrieft werden. Das meint, die Medienvertreter werdenunter dem Siegel <strong>der</strong> Verschwiegenheit in das eingeweiht, was tatsächlicheAbsicht und Motivlage genannt wird.Nüchtern wird je<strong>der</strong> halbwegs professionelle Journalist schnell durchschauen,dass diese Annäherung nur dazu dient, ihn für die Kampagnezu instrumentalisieren. Aber Mächtige und Halbmächtige wirken in einemRadius von fünf Metern offensichtlich wie ein angenehmes Narkotikum,das die normalen Wahrnehmungsreflexe auf süße Weise lähmt.Die emotionale Steigerung bedeutet das Hintergrundgespräch beimAuslandsbesuch. Da gibt es meist keine Parteien mehr, da fühlen sichPolitiker und Medienvertreter als Angehörige einer nationalen Mission,die sich in jedem Land <strong>der</strong> Welt zu Kamingesprächen versammelt.In <strong>der</strong> Kohl- und Genscherära war das die Stunde <strong>der</strong> Strickjacken undoffen getragenen Pullun<strong>der</strong>, man machte es sich bequem und philosophierteüber die Welt.Erfahrene Kollegen sicherten sich frühzeitig die Plätze in Kaminnähe,unabhängig von Jahreszeit und Klimazone: In Augen- und Nickkontaktmit den Mächtigen.Eine weitere Steigerung bedeutet <strong>der</strong> sogenannte Chefredakteurstisch<strong>der</strong> Parteichefs bei den Presseempfängen vor den Parteitagen. InSichtweite <strong>des</strong> normalen Fußvolks parliert man da auf Augen- und Sitzhöhe,die Sitzordnung verrät einiges über die aktuellen Prioritäten und89

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