S E N I O R E N K U R I E R - Stadt Backnang

auch meine Freundin mit ihren
eltern vor der Tür gestanden, heulend,
rußverschmiert. Meine Mutter
hat sie liebevoll aufgenommen und
sechs Wochen in der großen Wohnung
beherbergt.
Meine Schrubbertuchgarderobe war
zwar kältegerecht, aber schier unmöglich
bei der sich im Oktober
noch mal einstellenden Hochsommerhitze.
Wie die Mensche damals reagierten,
besonders, wenn sie ähnliche Komplikationen
hatten durchstehen
müssen, zeigt das Beispiel eines
Am Ende die Rechnung
einmal wird uns gewiss
die rechnung präsentiert
für den Sonnenschein,
und das rauschen der Blätter,
die sanften Maiglöckchen,
und die dunklen Tannen,
für den Schnee und den Wind,
für den Vogelflug
und das Gras
und die Schmetterlinge,
für die Luft,
die wir geatmet haben,
und den Blick auf die Sterne
und für all die Tage,
die Abende und die Nächte.
einmal wird es Zeit,
dass wir aufbrechen
und bezahlen.
Bitte die rechnung.
Doch wir haben sie
ohne den Wirt gemacht:
Ich habe euch eingeladen,
sagt der und lacht,
soweit die erde reicht:
es war mir ein Vergnügen!
Lothar Zenetti
22 uNTerHALTuNG, WISSeN
Besuchs bei edith, die, wie ich, in
Zittau bei ruth Wohnung gefunden
hatten. Sie waren zu Fünft.
Journalistenfrauen. edith war, nach
dem plötzlichen „Verschwinden“
ihres Mannes an offiziell unbekannten
Ort, eines Nachts die Flucht mit
ihren drei Kindern nach Göttingen
gelungen. In drangvoll fürchterlicher
enge kampierten sie zu Fünft
nun auch bei irgendwem, wo ich
sie aufsuchte und meine Odyssee
erzählte.
Das genügte bei ihr für einen sofortigen
Griff in den Kleiderschrank
nach irgendetwas Sommerlichem,
das mir passen könnte, leihweise.
Ich passte zwar zweimal rein, edith
war älter und wesentlich größer.
Aber wer guckte schon 1947 danach.
und was war das in Zittau für eine
Wohngemeinschaft gewesen, ein
Miteinander, Füreinander!
Irgendwann wanderte das Türkisgrüne
zurück in ediths Kleiderschrank-
per post.
Marie Luise Sudermann
Foto: Gerhard Nerz
Seniorenkurier Oktober bis Dezember 2012