S E N I O R E N K U R I E R - Stadt Backnang
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Hausbesuche: Kurzach, Winterlauter Straße 3<br />
Schwüle und Schweigsamkeit lagen<br />
über dem freien platz vor dem<br />
Dorfbrunnen des 15-Häuser-Weilers<br />
Kurzach. Zufällig, in jedem Fall<br />
neugierig, war ich an der KreuzungNassach-prevorst-Kleinaspach-Kurzach<br />
den einen Kilometer<br />
bergab in richtung Oberstenfeld<br />
gefahren. Noch nie war ich in Kurzach.<br />
Niemand war an diesem frühen<br />
Nachmittag unterwegs. Nur ein<br />
Berner Sennenhund lag an zentraler<br />
Stelle schläfrig, im wahrsten Sinne<br />
des Wortes „hundemüde“, angekettet<br />
vor seiner Hütte. Auch er nahm<br />
keine Notiz von mir.<br />
Bald fiel mein Blick auf den steil<br />
aufragenden Fachwerkgiebel, der<br />
optisch den Dorfplatz im Norden<br />
begrenzt. Der überdachte Treppenaufgang<br />
zum 1. Obergeschoss hatte<br />
etwas Altertümliches an sich. Mein<br />
mehrmaliges „Hallo“ vor dem Haus<br />
Nr. 3 an der Winterlauter Straße<br />
blieb unbeantwortet. Kein Zaun,<br />
keine fragenden Nachbarn störten<br />
mich bei meinem ersten zaghaften<br />
rundgang um das verträumte,<br />
fast idyllische Anwesen. Zwischen<br />
Wohnhaus, Scheune und dem danach<br />
steil aufsteigenden Berghang<br />
lag ein Hinterhof, den ein Maler<br />
in seiner natürlich schönen Wildheit<br />
nicht hätte besser entwerfen<br />
können. Interessante ecken, aufgestapeltes<br />
Holz, davor blühende<br />
Herbstblumen, Natursteinmauern,<br />
bemooste Steintreppen, Kürbisse<br />
und efeu, Beerensträucher und<br />
Obstbäume. erste reife Äpfel lagen<br />
im Gras. Nachdem ich das Haus<br />
mehrmals umrundet hatte, legte<br />
sich meine angespannte Aufmerksamkeit.<br />
Mit einigen Bildern und<br />
der Gewissheit, um eine schöne<br />
entdeckung reicher geworden zu<br />
sein, fuhr ich zufrieden wieder<br />
bergauf in richtung <strong>Backnang</strong>.<br />
ein Samstag im Januar, zwölf Zentimeter<br />
Neuschnee und Sonne: eine<br />
Winterchance, die sich vielleicht<br />
alle drei Jahre in unserer Gegend<br />
einstellt. Mein erstes Motiv: Kurzach,<br />
Winterlauter Straße 3. Die Küchentüre<br />
zur kleinen Veranda geht<br />
auf. Frau Schneider begrüßt mich:<br />
„Ja, wir freuen uns auch über das<br />
schöne Haus hier.“ So nimmt sie<br />
26 uNTerHALTuNG, WISSeN<br />
meinen Gesprächsfaden auf, als ich<br />
ihr erkläre, dass mich so vieles an<br />
ihrem Haus fasziniert. Frau Schneider<br />
erzählt: Dass dieses Haus eine<br />
lange Geschichte hat. Dass wahrscheinlich<br />
ein Schäfer, der in den<br />
Diensten der adeligen Chorfrauen<br />
von Oberstenfeld stand, den Grundstein<br />
für dieses Haus gelegt hat.<br />
Dass Teile des Kellers aus der Zeit<br />
des Dreißigjährigen Krieges stammen<br />
könnten. „Auf jeden Fall ist<br />
es das älteste Haus von Kurzach.<br />
und für unsere Familie ein wichtiger<br />
Ort,“ so erzählt Frau Schneider<br />
weiter. Trotz winterlichen Temperaturen.<br />
Gerne hätte ich noch einiges<br />
nachgefragt, aber als die ersten<br />
nassen Schneeplatten von den<br />
Bäumen fallen, sehe ich schon die<br />
ganze Winterpracht dahin schmelzen.<br />
Mit: „Ich komme bestimmt noch<br />
einmal vorbei, wenn Sie zu Hause<br />
sind,“ verabschiede ich mich. In<br />
Gedanken war ich längst bei meinen<br />
nächsten Wintermotiven: Der<br />
Winterlauter, mit ihren weit ausladenden<br />
Schleifen, den Höhen<br />
bei den Nassacher eichen mit dem<br />
Blick zum Juxkopf.<br />
ein Jahr später: Kein Schnee, aber<br />
eiskalt, eisblumen an den Fenstern.<br />
Meinen Hausbesuch habe ich angemeldet.<br />
Aus der Küche höre ich metallische<br />
Geräusche. Frau Schneider<br />
hantiert am holzbefeuerten<br />
Küchenherd; für den großen Topf<br />
muss sie zwei Herdringe entfernen.<br />
„Kommen Sie einfach herein!“ Von<br />
der großen Wärme laufen meine<br />
Brillengläser an. Als ich wieder klar<br />
sehen kann, staune ich: „Was für<br />
eine Küche!“ Das Schüsselbrett, der<br />
Terrazzo-Spülstein. Das Warmwasserschiff<br />
dampft, ab und zu kocht<br />
es über. Auf der Herdplatte gibt es<br />
zischende Geräusche. „Wie bei meiner<br />
Großmutter!“, sage ich. und<br />
plötzlich stehen die Großmütter<br />
im Mittelpunkt unseres Gesprächs.<br />
„Ferien in Kurzach, bei der Großmutter,<br />
waren immer etwas Besonderes,“<br />
so erzählt Frau Schneider.<br />
Sie erzählt auch, dass sie aus dem<br />
zerbombten Heilbronn mit ihren eltern<br />
und Geschwistern hier Zuflucht<br />
fanden und das Kriegsende hier erlebten.<br />
„Auch heute noch kommen<br />
mein Mann und ich gerne von Heilbronn<br />
hierher nach Kurzach.“<br />
Auch in der Wohnstube ist es sehr<br />
warm. eine schwarze Katze – „ein<br />
Heilbronner Feriengast“ – begrüßt<br />
und beschnuppert mich. Ich sehe<br />
mich um, staune und frage, entdecke<br />
und fotografiere. Die Freude<br />
am Gestalten und erhalten wird an<br />
jeder ecke sichtbar. ein sehr wohnliches<br />
und liebevoll gestaltetes<br />
Kleinod.<br />
„Sie müssen noch einmal kommen<br />
und das untergeschoss und den<br />
Keller ansehen. Den könnte mein<br />
Mann zeigen und die alte Bauweise<br />
erklären.“<br />
Gerne nehme ich Frau Schneiders<br />
einladung an und verspreche: „Ich<br />
komme bestimmt wieder.“<br />
Seniorenkurier Oktober bis Dezember 2012<br />
Gerhard Nerz