Erntetag am Ebersberg 24 uNTerHALTuNG, WISSeN Seniorenkurier Oktober bis Dezember 2012 Gerhard Nerz
Freundschaft zwischen Hund und Igel eines Morgens war er plötzlich da. er tippelte mit seinen dünnen Beinen durch die Katzenklappe der Haustüre in den Flur, legte sich zu purzel, dem Spitz, auf das Schaffell, rollte sich zu einer Kugel zusammen und schlief ein. purzel machte „wuff, wuff“, legte seine Schnauze auf die Vorderpfoten und beäugte den seltsamen Gast. Magda, purzels Besitzerin, war sichtlich erstaunt. Sie stellte neben purzels Fressnapf noch einen zweiten und taufte den neuen Gast Felix. Von nun an waren purzel, der Hund, und Felix, der Igel, dicke Freunde. Abends, wenn purzel schlafen wollte, zog er energisch an einer ecke seines Schaffells und Felix verschwand durch die Katzenklappe hinaus in die Dunkelheit. Jeden Morgen kehrte Felix, der brave Schädlingsvertilger, nach seiner nächtlichen Jagd auf sein Lager zurück, das der Hund so schön vorgewärmt hatte. So ging es den ganzen Sommer lang. Im Winter blieb er ganz da. Dann rumorte er nachts oft im Flur herum, so dass purzel manchmal wütend knurrte. Lange wäre es wohl so weitergegangen, aber purzel wurde krank und starb. Magda hätte sich gefreut, wenn der kleine zutrauliche Igel auch weiterhin den Weg durch die Katzenklappe gefunden hätte, doch Felix bezog still eine neue Wohnung. er suchte sich eine ecke in der alten Scheune zwischen Stroh und Gerümpel. Alles Locken mit freundlichen Worten und guten Bissen half nichts, er nahm die Speise nur, wenn Magda sie in den Garten stellte. einige Wochen führte er ein geruhsames, ungestörtes einsiedlerleben, bis sich das wieder änderte. eines Tages kam in die verträumte Stille, dem Haus mit seinem wettermüden Dach, eine junge Schäferhündin. Sie hatte viel Temperament. Alles an ihr war beweglich, spitz, scharf. Nichts entging ihren blitzenden Augen und – den Zähnen. Von Magda wurde sie wieder purzel genannt. Abends kam, wie jeden Tag, Felix aus der Scheune, um sich in den Garten zu begeben. So leise er auch war und so gut ihn seine graue Farbe tarnte, die Augen des Hundes hatten ihn schon längst erspäht. Der Igel, obwohl er sonst so zahm und zutraulich war und im Hund bisher nicht den Feind kennen gelernt hatte, ahnte die Gefahr und rollte sich zusammen. In rasendem Tempo kam der neue purzel angerannt, um das sich bewegende etwas mit seinen wundervollen Zähnen zu zermalmen. Aufjaulend, Blut und Geifer speiend, wich er im selben Augenblick zurück. Von da an waren purzel und Felix erbitterte Feinde. Abends, wenn der Igel in den Garten wollte, lauerte purzel vor dem Scheunentor. Dann ließ Felix sein zorniges Schnaufen hören und es klang wie eine kleine Lokomotive. Wenn dem Igel das Warten zu lange dauerte, lief er quer durch die Scheune nach hinten, wo er einen zweiten Ausgang hatte. purzel bemerkte die List und versperrte ihm auch dort den Weg. Hatte er es erst einmal nach draußen geschafft, war Waffenruhe. purzel wagte sich nicht mehr an ihn heran. Die Zeit verging. es wurde Frühling. Hinterm Haus blühten die Schneeglöckchen. Die Stare sangen in den Birken. purzel wurde Mutter, aber die fünf Jungen waren nicht lebensfähig. einer nach dem anderen starb. purzel war in Trauer erstarrt. Sie verweigerte tagelang das Futter, auch der Igel war ihr egal geworden. Das nutzte Felix sofort aus. er wagte sich immer näher und ohne Angst an die Trauernde heran. Magda freute sich, als sie eines Tages sah, wie beide aus einer Schale fraßen. Mittlerweile blühten schon die rosen, da fiel ihr auf, dass purzel oft und lange verschwunden war und erst nach längerem rufen auftauchte. Magda saß auf der Bank und blickte in die untergehende Abendsonne. Sie rief nach purzel und diesmal kam sie sofort um die Entnommen dem Kurzgeschichten-Forum im Internet Scheunenecke. Freudig bewegt trug sie etwas zwischen den Zähnen. Vorsichtig legte sie einen kleinen Gegenstand behutsam in Magdas Schoß. es war eine winzige, weißrosa Kugel mit kleinen Stoppeln übersät. Mitten in der Kugel kam ein kleines Schnäuzchen zum Vorschein und ein herzhaftes Gähnen folgte. „Aber purzel,“ sagte Magda, „wo hast du das denn her?“ purzel schaute sie mit glänzenden Augen an, packte die kleine Kugel vorsichtig, lief um die Scheune herum, blickte aber immer wieder zurück, um sich zu vergewissern, dass ihr Frauchen auch folgte. und dann lagen beide, Magda und der Hund bäuchlings vor den aufgestapelten Holzstämmen und schauten in die Kinderstube, die sich Felix eingerichtet hatte. Mit ihren schönen Augen schaute die Hündin Magda an, und die Sprache dieser Augen war deutlich. „Siehst du“, sagten die Augen, „auch wir leiden, auch wir lieben, auch wir können Feindschaften vergessen im stärksten Gefühl aller Zeiten, der Mutterliebe.“ Behutsam erhob sich Magda und ließ die Tiere allein. Oktober bis Dezember 2012 Seniorenkurier uNTerHALTuNG, WISSeN 25