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Themenheft zum Reformationstag - Evangelische Kirche in ...

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14 | PRedigtentwuRf<br />

PRedigtentwuRf | 15<br />

Wie konnte der 1483 geborene, zeitlebens mit e<strong>in</strong>em Be<strong>in</strong><br />

im ängstlichen Mittelalter verbleibende Bruder Mart<strong>in</strong> die<br />

Angst überspr<strong>in</strong>gen?<br />

War es die Bewahrung vor dem Blitzschlag,<br />

die er auf dem Weg zwischen Mansfeld und Erfurt erlebte?<br />

War es se<strong>in</strong> R<strong>in</strong>gen um die Gewissheit,<br />

dass Gott uns ansieht als Liebender, als Gekreuzigter,<br />

als der Auferstandene?<br />

Es war die Furcht und das Zittern vor dem, der Wollen<br />

und Vollbr<strong>in</strong>gen wirkt.<br />

Ohne Furcht und Zittern ist die Gottesbeziehung leblos.<br />

Wer zittert, spürt den Körper, und Gottesfurcht ist nicht<br />

Angst.<br />

Wer zittert, schläft nicht, sondern lauscht auf das kle<strong>in</strong>e<br />

Geräusch, auf die Veränderung.<br />

Wer se<strong>in</strong> Heil mit Gottesfurcht und heiligem Zittern<br />

zu erarbeiten sucht,<br />

arbeitet gegen die Angst an, die <strong>in</strong> der Welt ist.<br />

Schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern.<br />

Denn Gott ist es, der beides <strong>in</strong> euch wirkt: das Wollen<br />

und das Vollbr<strong>in</strong>gen, nach se<strong>in</strong>em Wohlgefallen.<br />

Arbeiten am Heil? Ist das nicht grundfalsch?<br />

Stehen nicht die vier Eckpfeiler fest seit 500 Jahren?<br />

Christus alle<strong>in</strong>, Gnade alle<strong>in</strong>, Bibel alle<strong>in</strong>, Glaube alle<strong>in</strong>?<br />

Wo wir schaffen, dass wir selig werden,<br />

wo Sünden vergeben werden, die Entfremdung von<br />

Gott aufgehoben wird,<br />

da schaffen wir nicht.<br />

Im Abendmahl empfangen wir.<br />

Lassen uns zusagen den Bund, den Gott <strong>in</strong> Christus mit<br />

uns geschlossen hat.<br />

Das Abendmahl – der Moment höchster Inaktivität ist<br />

der Moment höchster Aktivität<br />

<strong>in</strong> Bezug auf das Heil.<br />

Im Abendmahl berühren wir, ahnen wir den biblischen<br />

Schalom, den Frieden,<br />

wie er geme<strong>in</strong>t war.<br />

Von diesem Punkt gehen Versöhnung und Gerechtigkeit aus.<br />

Deswegen war es so wichtig,<br />

allen Glaubenden Anteil zu geben an diesem Bund,<br />

nichts sollte vorenthalten werden –<br />

Abendmahl <strong>in</strong> beiderlei Gestalt – <strong>in</strong> Brot, aber auch <strong>in</strong> We<strong>in</strong>.<br />

Deshalb war es so wichtig,<br />

auf Deutsch zu wiederholen, was Christus zugesagt hat.<br />

Der Volksmund hatte die E<strong>in</strong>setzungsworte längst<br />

verballhornt:<br />

Hokuspokus statt hoc est corpus meum – das ist me<strong>in</strong> Leib.<br />

Da liegt das Geheimnis für die Kraft <strong>zum</strong> NEIN,<br />

für die Überw<strong>in</strong>dung der Angst.<br />

Das passive Empfangen wandelt sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong> aktives.<br />

Und die Gottesfurcht ist das S<strong>in</strong>nesorgan,<br />

mit dem wir die Ströme der Liebe wahrnehmen,<br />

das S<strong>in</strong>nesorgan, das verh<strong>in</strong>dert, dass wir uns <strong>in</strong> der Angst<br />

verheddern.<br />

Die Arbeit am Heil, unerhört und unlutherisch,<br />

ist anders als alle andere Arbeit:<br />

Wir schaffen etwas, weil wir nichts schaffen können,<br />

denn Gott ist, der beides gibt – das Wollen und das<br />

Vollbr<strong>in</strong>gen, nach se<strong>in</strong>em Wohlgefallen.<br />

Erstaunlich –<br />

Furcht br<strong>in</strong>gt Stärke,<br />

Zittern besiegt die Angst.<br />

Die Kraft <strong>zum</strong> NEIN gegen e<strong>in</strong> „Weiter so“ schöpft<br />

aus dramatisch schlichter, menschlicher Gottesfurcht,<br />

aus e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>nigen, <strong>in</strong>timen, persönlichen Verhältnis<br />

<strong>zum</strong> Schöpfer und Erlöser.<br />

Wäre es um die Organisation, die Strukturen, die Hierarchien<br />

gegangen –<br />

nie wäre die Reformation zu e<strong>in</strong>er europaweiten und<br />

später weltweiten Bewegung geworden.<br />

Nicht Profilierungssucht, nicht Reformeifer,<br />

nicht e<strong>in</strong>e medial perfekt <strong>in</strong>szenierte Bespaßung von<br />

Gläubigen<br />

wendet Weltgeschichte und <strong>Kirche</strong>ngeschichte,<br />

sondern dass wir uns an die Wurzeln der Er<strong>in</strong>nerung heften,<br />

dass wir Gott schmecken, sehen und fürchten,<br />

Gott, der unter uns ist und zugleich höher als unser<br />

Verstand,<br />

dass wir die Wärme Gottes, des „glühenden Backofens“<br />

<strong>in</strong> Lebensenergie wandeln –<br />

das verändert zuerst uns selbst und dann die <strong>Kirche</strong> und<br />

die Welt.<br />

Schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern.<br />

Denn Gott ist es, der beides <strong>in</strong> euch wirkt: das Wollen<br />

und das Vollbr<strong>in</strong>gen, nach se<strong>in</strong>em Wohlgefallen. Amen.<br />

Ellen Ueberschär

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