Themenheft zum Reformationstag - Evangelische Kirche in ...
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PRedigtentwuRf | 15<br />
Wie konnte der 1483 geborene, zeitlebens mit e<strong>in</strong>em Be<strong>in</strong><br />
im ängstlichen Mittelalter verbleibende Bruder Mart<strong>in</strong> die<br />
Angst überspr<strong>in</strong>gen?<br />
War es die Bewahrung vor dem Blitzschlag,<br />
die er auf dem Weg zwischen Mansfeld und Erfurt erlebte?<br />
War es se<strong>in</strong> R<strong>in</strong>gen um die Gewissheit,<br />
dass Gott uns ansieht als Liebender, als Gekreuzigter,<br />
als der Auferstandene?<br />
Es war die Furcht und das Zittern vor dem, der Wollen<br />
und Vollbr<strong>in</strong>gen wirkt.<br />
Ohne Furcht und Zittern ist die Gottesbeziehung leblos.<br />
Wer zittert, spürt den Körper, und Gottesfurcht ist nicht<br />
Angst.<br />
Wer zittert, schläft nicht, sondern lauscht auf das kle<strong>in</strong>e<br />
Geräusch, auf die Veränderung.<br />
Wer se<strong>in</strong> Heil mit Gottesfurcht und heiligem Zittern<br />
zu erarbeiten sucht,<br />
arbeitet gegen die Angst an, die <strong>in</strong> der Welt ist.<br />
Schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern.<br />
Denn Gott ist es, der beides <strong>in</strong> euch wirkt: das Wollen<br />
und das Vollbr<strong>in</strong>gen, nach se<strong>in</strong>em Wohlgefallen.<br />
Arbeiten am Heil? Ist das nicht grundfalsch?<br />
Stehen nicht die vier Eckpfeiler fest seit 500 Jahren?<br />
Christus alle<strong>in</strong>, Gnade alle<strong>in</strong>, Bibel alle<strong>in</strong>, Glaube alle<strong>in</strong>?<br />
Wo wir schaffen, dass wir selig werden,<br />
wo Sünden vergeben werden, die Entfremdung von<br />
Gott aufgehoben wird,<br />
da schaffen wir nicht.<br />
Im Abendmahl empfangen wir.<br />
Lassen uns zusagen den Bund, den Gott <strong>in</strong> Christus mit<br />
uns geschlossen hat.<br />
Das Abendmahl – der Moment höchster Inaktivität ist<br />
der Moment höchster Aktivität<br />
<strong>in</strong> Bezug auf das Heil.<br />
Im Abendmahl berühren wir, ahnen wir den biblischen<br />
Schalom, den Frieden,<br />
wie er geme<strong>in</strong>t war.<br />
Von diesem Punkt gehen Versöhnung und Gerechtigkeit aus.<br />
Deswegen war es so wichtig,<br />
allen Glaubenden Anteil zu geben an diesem Bund,<br />
nichts sollte vorenthalten werden –<br />
Abendmahl <strong>in</strong> beiderlei Gestalt – <strong>in</strong> Brot, aber auch <strong>in</strong> We<strong>in</strong>.<br />
Deshalb war es so wichtig,<br />
auf Deutsch zu wiederholen, was Christus zugesagt hat.<br />
Der Volksmund hatte die E<strong>in</strong>setzungsworte längst<br />
verballhornt:<br />
Hokuspokus statt hoc est corpus meum – das ist me<strong>in</strong> Leib.<br />
Da liegt das Geheimnis für die Kraft <strong>zum</strong> NEIN,<br />
für die Überw<strong>in</strong>dung der Angst.<br />
Das passive Empfangen wandelt sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong> aktives.<br />
Und die Gottesfurcht ist das S<strong>in</strong>nesorgan,<br />
mit dem wir die Ströme der Liebe wahrnehmen,<br />
das S<strong>in</strong>nesorgan, das verh<strong>in</strong>dert, dass wir uns <strong>in</strong> der Angst<br />
verheddern.<br />
Die Arbeit am Heil, unerhört und unlutherisch,<br />
ist anders als alle andere Arbeit:<br />
Wir schaffen etwas, weil wir nichts schaffen können,<br />
denn Gott ist, der beides gibt – das Wollen und das<br />
Vollbr<strong>in</strong>gen, nach se<strong>in</strong>em Wohlgefallen.<br />
Erstaunlich –<br />
Furcht br<strong>in</strong>gt Stärke,<br />
Zittern besiegt die Angst.<br />
Die Kraft <strong>zum</strong> NEIN gegen e<strong>in</strong> „Weiter so“ schöpft<br />
aus dramatisch schlichter, menschlicher Gottesfurcht,<br />
aus e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>nigen, <strong>in</strong>timen, persönlichen Verhältnis<br />
<strong>zum</strong> Schöpfer und Erlöser.<br />
Wäre es um die Organisation, die Strukturen, die Hierarchien<br />
gegangen –<br />
nie wäre die Reformation zu e<strong>in</strong>er europaweiten und<br />
später weltweiten Bewegung geworden.<br />
Nicht Profilierungssucht, nicht Reformeifer,<br />
nicht e<strong>in</strong>e medial perfekt <strong>in</strong>szenierte Bespaßung von<br />
Gläubigen<br />
wendet Weltgeschichte und <strong>Kirche</strong>ngeschichte,<br />
sondern dass wir uns an die Wurzeln der Er<strong>in</strong>nerung heften,<br />
dass wir Gott schmecken, sehen und fürchten,<br />
Gott, der unter uns ist und zugleich höher als unser<br />
Verstand,<br />
dass wir die Wärme Gottes, des „glühenden Backofens“<br />
<strong>in</strong> Lebensenergie wandeln –<br />
das verändert zuerst uns selbst und dann die <strong>Kirche</strong> und<br />
die Welt.<br />
Schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern.<br />
Denn Gott ist es, der beides <strong>in</strong> euch wirkt: das Wollen<br />
und das Vollbr<strong>in</strong>gen, nach se<strong>in</strong>em Wohlgefallen. Amen.<br />
Ellen Ueberschär