TK spezial Ausgabe 2 - Juni 2011 - Techniker Krankenkasse
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Patienten ohne Grenzen?<br />
EU erleichtert die medizinische<br />
Behandlung im Ausland<br />
Mit großer Mehrheit haben die Abgeordneten des Europaparlaments im Januar <strong>2011</strong><br />
eine Richtlinie verabschiedet, die die grenzüberschreitende Inanspruchnahme von<br />
Gesundheitsleistungen für viele Europäer deutlich erleichtern soll. Kernpunkt der<br />
neuen Regelung ist, dass ein EU-Bürger grundsätzlich die Kosten einer Behandlung<br />
erstattet bekommt, wenn diese Behandlung zu den Leistungen zählt, die auch im<br />
Heimatland gewährt werden. Gezahlt wird von den <strong>Krankenkasse</strong>n bis zu der Höhe,<br />
die die Behandlung im eigenen Land kosten würde. Eine Vorabgenehmigung von den<br />
<strong>Krankenkasse</strong>n im Heimatland braucht es zukünftig nur noch, wenn es um einen<br />
Krankenhausaufenthalt oder um eine besonders kostenintensive Leistung geht.<br />
Chancen für NRW<br />
Profitieren werden nicht nur Patienten, die in ihrem Land lange auf eine bestimmte<br />
Behandlung warten müssen oder dort keinen Arzt für ihre Erkrankung finden. Chancen<br />
eröffnen sich auch denjenigen Staaten, die – wie die Bundesrepublik – eine im<br />
europäischen Vergleich überdurchschnittliche medizinische Qualität anbieten können.<br />
Hier ist Nordrhein-Westfalen mit seinen sieben Universitätskliniken, <strong>spezial</strong>isierten<br />
Einrichtungen wie dem Herz- und Diabeteszentrum in Bad Oeynhausen und vielen<br />
Spezialabteilungen gut aufgestellt. Dazu kommt die gemeinsame Grenze mit Belgien<br />
und den Niederlanden. Schon vor Inkrafttreten der Richtlinie kam die Hälfe der<br />
ausländischen Patienten in NRW-Krankenhäusern aus diesen beiden Ländern. Will<br />
sich NRW als Gesundheitsregion im europäischen Gesundheitsmarkt etablieren,<br />
werden sich die Krankenhäuser aber nicht nur einem Qualitäts-, sondern auch einem<br />
Preiswettbewerb stellen müssen. Im Folgenden lesen Sie ein Interview mit Günter<br />
Danner, stellvertretender Direktor der Europavertretung der Deutschen Sozialversicherung<br />
in Brüssel und Europaexperte der <strong>Techniker</strong> <strong>Krankenkasse</strong>, zu den Auswirkungen<br />
der aktuellen Beschlüsse des Europaparlaments.<br />
„Die nationalen sozialen Gesundheitssysteme sind verschieden<br />
und werden es auch bleiben“<br />
<strong>TK</strong> <strong>spezial</strong>: Sind die jetzt beschlossenen Regelungen der endgültige Durchbruch in<br />
Richtung eines europäischen Gesundheitsmarktes?<br />
Danner: Ich würde hier nicht unbedingt von einem „Durchbruch“ sprechen wollen.<br />
Dank einer vorausschauenden Gesetzgebung der Bundesregierung bestand für<br />
Personen aus dem deutschen Rechtskreis schon lange Klarheit. Eigentlich ändert sich<br />
hier nicht so besonders viel. Wichtiger dürfte sein, dass Staaten mit Wartelistenversorgung<br />
künftig im Sinne des Kranken werden handeln müssen.<br />
<strong>TK</strong> <strong>spezial</strong>: Was wird sich für Patienten aus Deutschland konkret ändern, wenn die<br />
einzelnen Staaten die Regelungen umgesetzt haben?<br />
Danner: Viele ausländische Systeme sind völlig staatsgesteuert und infolge der<br />
Steuerfinanzierung abhängig von der öffentlichen Kassenlage. Auch aus diesem<br />
Grund gibt es die vielen Wartelisten wie in Skandinavien, in Großbritannien oder in den<br />
jetzt von Finanzmiseren heimgesuchten Staaten Griechenland, Portugal, Spanien oder<br />
Irland. Künftig wird es nicht mehr ohne Weiteres möglich sein, Kranke „nach Aktenlage“<br />
auf einen Termin warten zu lassen. Von dort erwarte ich eine zunehmende<br />
Auslandsnachfrage. Aus deutscher Sicht ist es schwer verständlich, warum sich ein<br />
Kranker ins Ausland begeben muss, wo die Systeme selten besser sind als unser<br />
eigenes Angebot. Die Umsetzung wird auch noch dauern – die Frist läuft für 30<br />
Monate nach Verabschiedung im Europäischen Rat. Spitzen sich die Krisenszenarios<br />
der Staatsfinanzen in den bekannten oder weiteren EU-Staaten zu, so erwarte ich dort<br />
einen Niedergang der Sozialsysteme. Auch dies könnte eine zusätzliche Auslandsnachfrage<br />
auslösen.<br />
Zur Person<br />
nordrheIn-Westfalen<br />
Günter Danner<br />
M. A., Ph. D.,<br />
Jahrgang<br />
1955. Studium<br />
der Ökonomie,<br />
Geschichte<br />
und<br />
International<br />
Relations<br />
in Großbritannien, Deutschland,<br />
Südafrika und den USA. Danner<br />
war Hilfsdozent an zwei Colleges<br />
in den USA und freier Journalist<br />
und ist seit 1982 bei der <strong>Techniker</strong><br />
<strong>Krankenkasse</strong>, heute dort als persönlicher<br />
Referent und Berater<br />
des Vorstandes in sozialökonomischen<br />
und sozialpolitischen<br />
Grundsatzfragen und dazu<br />
stellvertretender Direktor in der<br />
Europavertretung der deutschen<br />
Sozialversicherung in Brüssel.<br />
Regelmäßig nimmt er akademische<br />
Lehrverpflichtungen u. a. in<br />
Frankreich, Deutschland, Schweden<br />
und den USA wahr. Günter Danner<br />
berät mehrere Projekte in den<br />
EU-Kandidatenstaaten Mittel- und<br />
Osteuropas und Russland und nahm<br />
als Vortragender und Diskutant<br />
zu Fragen der Systemtechnik von<br />
EU-Gesundheitssystemen am<br />
Projekt „EU-China – Sozialschutz“<br />
teil. Neben zahlreichen Veröffentlichungen<br />
zu EU-relevanten und<br />
vergleichenden Fragen des<br />
Sozialschutzes ist er Autor des<br />
Buches „Die Europäische Union am<br />
Scheideweg – Wohlstandsprojekt,<br />
Wettlaufgesellschaft oder<br />
Wolkenkuckucksheim“.<br />
<strong>TK</strong> <strong>spezial</strong> 2 / <strong>2011</strong> 2