Ein spannender Moment: Aus den ersten Teilen, hergestellt mit den seriellen Werkzeugen und Gussformen, wurden die Modelle für die Testserie zusammengebaut.
Prävention von Rückenschmerzen sehen in der Einstellung zu und im Umgang mit dem Thema die eigentliche Ursache für die grassierende „Rückenschmerz-Epidemie“. Therapien, die auf Medikation, Schonung und passive Behandlungen ausgelegt sind, verlängern demnach die Rückenleiden, weil sie die körpereigenen Regelsysteme abschalten, anstatt sie zu aktivieren. Das erklärt, warum die „Prothesenphilosophie“ der klassischen Sitzergonomie in die Sackgasse führt: Der Anspruch, den Körper durch immer komplexere Einstellungen zu entlasten und ihm damit Bewegungsanreize zu nehmen, vergrößert das Problem eher, als dass er hilft! Damit haben die Studien wissenschaftlich untermauert, was Wilkhahn seit fast vier Jahrzehnten zur Grundlage seiner Bürostuhlentwicklung gemacht hat: die konsequente Bewegungsförderung als das A und O für gesundes Sitzen. Abschied von der ergonomischen Zwangshaltung – das Zentrum für Gesundheit an der Deutschen Sporthochschule Köln fordert neues Ergonomieverständnis Bei den Recherchen nach wissenschaftlich fundierten Bewegungsexpertisen stießen die Entwickler auf das Zentrum für Gesundheit an der international renommierten Deutschen Sport hochschule Köln. Neben seiner Lehrtätigkeit berät dessen Vorsitzender Prof. Dr. Ingo Froböse unter anderem den Deutschen Bundestag sowie zahlreiche Krankenkassen als Sachverständiger. Er gilt als Experte für Prävention und Rehabilitation und als engagierter Verfechter eines neuen Gesundheitsverständnisses. Statt Vermeidungs- und Krankheitsorientierung stellt Froböse die Aktivierung der natürlichen Körperkompe- Er gehört zu den profiliertesten Vertretern einer neuen Ergonomie: Prof. Dr. Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln. tenzen und das ganzheitliche, am Menschen orientierte Wohlbefinden in den Mittelpunkt. Weil sich Bewegung, Stoffwechsel und psychologische Faktoren wechselseitig beeinflussen, sei ein positiver, stimulierender Zugang gefragt. Erhobene Zeigefinger, ständige Warnungen und Vorschriften wirkten dagegen kontraproduktiv, weil sich die Menschen dann verkrampften. Die Forschungen der Hochschule und des Instituts belegen, dass fast alle „Zivilisationskrankheiten“ die Folgen dauerhafter körperlicher Unterforderung sind. Dabei ist jede Bewegung und jede Haltung, die der Körper schmerzfrei ausführen kann, richtig und wichtig. Froböse räumt deshalb auf mit den geläufigen Vorstellungen vom „richtigen“ oder „falschen“ Sitzen. Gefordert seien vielmehr möglichst häufige und vielfältige Bewegungen und Haltungswechsel, um die Stoffwechselrezeptoren zu aktivieren und dadurch Körper und Geist gleichermaßen zu stimulieren. Bewegungsmangel und statische Haltearbeit behindern dagegen den Stoffwechsel und gelten als Hauptursache für Ermüdung, Verspannungen, Kopf- und Rückenschmerzen und am Ende für Degenerationen des Skelettapparats. Vorstudie für Bewegungskonzept: Der „Stitz“ verbessert die Balancefähigkeit Dem Kennenlernen, in dem große Übereinstimmungen in den beiderseitigen Überzeugungen festgestellt wurden, folgte die wissenschaftliche Vorstudie für ein neues Bewegungskonzept: Wilkhahn wollte wissen, inwieweit das vor fast vierzig Jahren von Nick Roericht entwickelte Konzept der Stehhilfe Stitz sinnvoll ist, um die Bewegungsräume und muskulären Beanspruchungen auf einem Bürostuhl zu ergänzen. Bei den Versuchspersonen wurde über einen Zeitraum von acht Wochen der Büroarbeitsplatz durch einen Stitz ergänzt. Die Teilnehmer waren angehalten, immer wieder alternativ auch den Stitz als Sitzmittel zu nutzen und über diese Zeiten Buch zu führen. Das Ergebnis des Vergleichs der Vor- und der Nachuntersuchung der Probanden übertraf die Erwartungen: Das „Stitzen“ beanspruchte und aktivierte nicht nur weitaus mehr stabilisierende Muskelgruppen, sondern es verbesserte bei den Teilnehmern auch die koordinativen Fähigkeiten, etwa um die Körperbalance zu halten. Der Stitz wirkt demnach nicht nur präventiv, sondern er hilft, verlorene Körperkompetenzen zu stimulieren und zu reaktivieren. Durch die trainingsorientierte Beanspruchung der Muskulatur ist das „Stitzen“ die ideale Ergänzung zum Sitzen auf einem konventionellen Bürostuhl. Damit war die Kernidee für das neue Sitzkonzept geboren: die Integration der natürlichen dreidimensionalen Beweglichkeiten und Muskelstimulationen bei gleichzeitiger Abstützung und Entlastung, um Überforderung und Ermüdung zu vermeiden. Von der Ideenvielfalt zur tragenden Leitidee Bis zu diesem Zeitpunkt war eine solche Fülle faszinierender und innovativer Ideen entstanden, dass die Reduktion auf das Kernkonzept schwerfiel. Die Versuchung lag nahe, möglichst viele Innovationen in das neue Konzept hineinzupacken. Doch dann siegte die Einsicht, dass eine Überfrachtung der Neuentwicklung die angestrebten Kosten und damit die Zielpreise sprengen, aber auch von der tragenden Leitidee ablenken würde. Deshalb wurde vieles verworfen oder für zukünftige Projekte in die Schublade gelegt. 17 verschiedene Ansätze wurden systematisch bewertet. In Konfliktanalysen wurden Abhängigkeiten identifiziert und Vorkalkulationen erstellt, bis schließlich drei Konzepte für die engere Auswahl übrig blieben, in denen sechs Leitgedanken aus der Vorentwicklung verdichtet waren: Der neue Stuhl sollte deutlich mehr Freiheitsgrade für Haltung und Bewegung bieten, er sollte sich dem Nutzer selbsttätig anpassen, über eine körpersynchrone Kinematik verfügen (tailored kinematics), das Sitzen vom Körper aus steuern und nicht vom Kopf, eher Sessel- als Stuhlcharakter haben und durch seine Gestaltung „glücklich“ machen. Glücklich war auch Dr. Jochen Hahne. Denn die Ingenieure waren auf die geniale Idee gekommen, eine klassische Synchronmechanik „durchzuschneiden“ und damit die linke und die rechte Hälfte eines Sitzes separat beweglich zu machen! Für das Funktionsmuster wurde eine FS-Schale verwendet, weil sie so verwindungsfähig ist, dass sie den dreidimensionalen Bewegungen folgen kann. Das Probesitzen war überwältigend – und es wurde schnell klar, dass mit diesem Konzept das „Ei des Kolumbus“ für die neue Generation des Sitzens gefunden war. Die Trimension ® war geboren: eine dreidimensionale, synchron stützende Kinematik, bestehend aus einer neuartigen Mechanik mit zwei wie Oberschenkel getrennt beweglichen Schwenkarmen. Und bereits in diesem ersten Funktionsmuster wurde deutlich, dass die Positionen und die Funktionen der Drehpunkte analog zu den Knie- und Hüftgelenken zu völlig natürlichen und harmonischen Bewegungsverläufen führten. Vor allem aber: Der Körperschwerpunkt bleibt in jeder Bewegung und Haltung zwischen 13