Holz-Pellets - Das Hohe Grobgünstige Narrengericht zu Stocken
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18 die Jahre 1949 und 1950<br />
die titelgeschichte 19<br />
vater Happle stellte empört fest, dass bei den teilnehmenden 18 Zünften<br />
keinerlei närrische Kopfbedeckung vorhanden gewesen sei. Wie, wenn<br />
nicht so, sollte man denn sonst auf den Charakter der Versammlung<br />
schließen können. Es gab auch andere, weniger wahrgenommene Anpassungsschwierigkeiten.<br />
Sprach doch einer der Versammelten tatsächlich<br />
von der „Pflege des Ahnenerbes“, ein anderer vom „ewigen Heimatboden“.<br />
Den Stockachern waren solche Ausrutscher egal. Ihnen war<br />
viel wichtiger, dass sie das bald kommende Jubiläumsjahr 1951 „600<br />
Jahre Stockacher Fasnacht“ ankündigen konnten und den Anspruch auf<br />
das <strong>zu</strong>gehörige Narrentreffen anmeldeten. <strong>Das</strong> gelang.<br />
Neu in Stockach war seit 1949 auch, dass zwischen Dreikönig und<br />
Lätare der profane Titel einer „Stadtkapelle“ abgeschafft war. Richtig<br />
hieß es jetzt „Narrenkapelle“. Der Archivar Gustav Hotz lieferte<br />
„humoristische Einlagen“ in den verschiedenen Versammlungen. Wie<br />
humoristisch die Anfrage der nunmehrigen Narrenkapelle wegen eines<br />
Kosten<strong>zu</strong>schusses verstanden wurde, bleibt im Dunkel. Zu mehr als einer<br />
„Tellersammlung“ ließ sich das Kollegium nicht hinreißen.<br />
Ganz hinreißend hingegen muss ein anderes Ereignis gewirkt haben,<br />
brachte es doch die Säulen der Tradition ins Wanken. Am 22. Januar<br />
1949 wagten die Gattinnen der Gerichtsnarren anlässlich eines „Gerichtsnarren-Frauenabends“,<br />
an einer Sit<strong>zu</strong>ng im Paradies teil<strong>zu</strong>nehmen<br />
und dies nicht erst ab 11 Uhr, wie man es <strong>zu</strong>vor doch den <strong>Holz</strong>knechten<br />
abgefordert hatte, sondern gleich „ab 8“. Der Verlauf des Abends gibt<br />
<strong>zu</strong> allerlei Vermutungen Anlass. In einem Kurzprotokoll ist etwas holprig<br />
aber kenntnisreich formuliert, „dass es allen gut gefallen möge und<br />
befriedigt nach Hause gehen. <strong>Das</strong> Gebotene war sehr reichlich und gut<br />
in Wort, Bild und Tat“. So muss wohl ein Abend mit Damen sein, <strong>zu</strong>mal<br />
„ein (!) Polonaise, angeführt von GN. Kabus morgens vier Uhr den<br />
wohlgelungenen Abend beschloss“. Man wird wohl nie erfahren, welche<br />
Worte, Bilder und Taten <strong>zu</strong>r allseitigen Befriedigung beigetragen hatten.<br />
Die Fasnacht 1949 war von einer Vielzahl von Sit<strong>zu</strong>ngen geprägt. Er-<br />
stens galt es viele Ämter neu <strong>zu</strong> besetzen, wie z. B. das des „Oberhänsele“,<br />
das ab 24. Januar 1949 von Fritz Lippert übernommen wurde.<br />
Zweitens war Stockach mit einer Unzahl von Gastwirtschaften gesegnet<br />
und die wollten natürlich alle, vom „Dörfle“ bis hinunter <strong>zu</strong>r „Heimat“,<br />
mit dem Besuch des Kollegiums geehrt werden. Sodann musste für das<br />
erstmals wieder erscheinende Narrenblättle ein gewiefter Schreiber gefunden<br />
werden. Nun bewährte sich die geschickte und vorausschauende<br />
Auswahl des Redakteurs Redelsberger <strong>zu</strong>m Laufnarren. Er konnte<br />
das Amt beim besten Willen nicht ablehnen. Wenn es denn schon so<br />
hervorragend wieder vorwärts ging, schlug der Gerichtsnarr Kabusreuter<br />
aber doch über die Stränge. Nicht nur, dass er für das Jahr 1950<br />
erstmals wieder einen „Bunten Abend“ forderte. Er erklärte sich auch<br />
bereit, persönlich „bis <strong>zu</strong> 60 Prozent bestreiten <strong>zu</strong> wollen“. Man sorgte<br />
im Kollegium für Beruhigung, indem man „das vorgelegte Programm<br />
im Großen und Ganzen für gut“ befand. Alles andere werde man dann<br />
schon sehen.<br />
<strong>Das</strong> Narrenbaumsetzen am Donnerstag erfolgte im Beisein des Rundfunks.<br />
Man war wieder wer im Lande. Nachdem das Kollegium <strong>zu</strong>vor<br />
<strong>zu</strong> einer großangelegten „Mehlsammlung“ aufgerufen hatte, gelang es<br />
am Fasnachtsdienstag, 1200 Brötchen bei den Bäckern backen <strong>zu</strong> lassen<br />
und diese samt Fleischkäse an ewig hungrige Cowboys, Indianer<br />
und Prinzessinnen <strong>zu</strong> verteilen.<br />
Am Aschermittwoch kam es nochmals <strong>zu</strong> einer Sit<strong>zu</strong>ng mit Manöverkritik.<br />
Nachdem jeder jeden persönlich oder pauschal gelobt hatte,<br />
bekamen die örtlichen Wirte ihr Fett weg. Sie hätten viel <strong>zu</strong> viele Kappenabende<br />
und „Kaffeekränzchen“ veranstaltet. Künftig müssten sie<br />
ihre Angebote <strong>zu</strong>r Fasnachtszeit besser absprechen bzw. einschränken.<br />
Es sei schier unmöglich, überall <strong>zu</strong> „schnurren und <strong>zu</strong> festen“. Gute<br />
alte Zeit!<br />
Den Abschluss des Jahres 1949 machte Säckelmeister Friedrich Dandler.<br />
Er gab einen Rechenschaftsbericht, dessen positives Ergebnis schon<br />
allein daran ab<strong>zu</strong>lesen war, dass man großzügig auf Einnahmen aus<br />
„Geschäftsreklame“ im Narrenblättle verzichten wollte. „Er ist selbst<br />
sehr befriedigt über das Resultat“, fasste das Protokoll am 2. März 1949<br />
<strong>zu</strong>sammen. Was für die Kasse galt, galt wohl für die gesamte Fasnacht<br />
des Jahres 1949.<br />
Schon im April traf sich das Kollegium erneut, um den Jahresausflug<br />
<strong>zu</strong>r Insel Mainau – schon wieder mit Damen – <strong>zu</strong> organisieren. Dann<br />
traf man sich wieder im Juni und stritt über ein „Sommernachtsfest“.<br />
<strong>Das</strong> sei viel <strong>zu</strong> teuer, hieß es. Dennoch einigte man sich mit den Zimmerern,<br />
die Sache gemeinsam an<strong>zu</strong>gehen und am 31. Juli ein „Volksfest“<br />
im Stadtgarten <strong>zu</strong> veranstalten.<br />
Hermann Muffler entsagte unterdessen <strong>zu</strong>m zweiten Mal der Würde<br />
eines Laufnarrenvaters. In der Sit<strong>zu</strong>ng des Kollegiums am 4. Juli übernahm<br />
Laufnarrenvater Happle kommissarisch diese Aufgabe. Friedrich<br />
Dandler lehnte die Übernahme des Amtes ab, da „er viel <strong>zu</strong> sachlich<br />
und <strong>zu</strong> ernst sei“. Der Gedanke, August Rettich doch noch einmal <strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>holen,<br />
wurde zwar diskutiert, aber rasch wieder verworfen.<br />
<strong>Das</strong> folgende erfolgreiche „Volksfest“, so<strong>zu</strong>sagen ein Vorlauf des später<br />
wieder aufgenommenen „Schweizer Feiertags“, gab Grund <strong>zu</strong> neuen<br />
Auseinanderset<strong>zu</strong>ngen mit den Zimmerern. Säckelmeister Dandler<br />
lieferte einen Überblick <strong>zu</strong> Einnahmen und Ausgaben für den Festtag.<br />
Dabei kam es <strong>zu</strong> einem Streit, weil die Zimmerer <strong>zu</strong>erst in ihrer eigenen<br />
Abrechnung nachträglich einen „Fehlbetrag“ meldeten und dann auch<br />
noch 80 DM für die „Ausrüstung in Leder“ verlangten. Der Verbleib<br />
des Fehlbetrags blieb unerklärlich. Laufnarrenvater Happle stellte fest,<br />
„dass man nun auf einem sehr heiklen Punkt angelangt ist und verlangt<br />
da wir eine Vereinigung sind, dass über alles genaue Rechenschaft über<br />
Ausgaben u. Einnahmen verlangt wird, dass man über unlautere Vorkommnisse<br />
<strong>zu</strong>r Rechenschaft gezogen wird“. Nach offenbar hitziger<br />
Diskussion schälte sich heraus, dass es überhaupt keinen Fehlbetrag<br />
gab. Die Zimmerer gedachten lediglich, dem Kollegium einen posi-<br />
Fasnetverkünden in der guten alten Zeit Auf dem Bittgang <strong>zu</strong>m französischen Kommandanten<br />
tiven Kassenstand vor<strong>zu</strong>enthalten. Es ging schlicht und einfach um die<br />
Frage, ob die Zimmerer überhaupt eine eigene Kasse haben dürften,<br />
oder ob nicht der Säckelmeister des Kollegiums prinzipiell über alle<br />
Ausgaben und Einnahmen <strong>zu</strong> wachen habe. 10 Biere später lautete der<br />
Kompromiss, dass die Zimmerer künftig nicht mehr als 150 DM in ihrer<br />
Kasse haben dürften und der Säckelmeister jederzeit Einblick in alle<br />
Kassenbewegungen der <strong>Holz</strong>knechte haben müsse. Mit Wischenheber<br />
Zimmermann wurde ein geeigneter Kandidat für das zeitweise doch<br />
sehr notwendige Amt eines „Vermittlers“ gefunden.<br />
Eigentlich gab es größere Aufgaben <strong>zu</strong> bewältigen, denn am Horizont<br />
erhob sich immer mehr das Jubiläumsjahr 1951. Man hatte sich bei der<br />
VSAN ja schon erfolgreich für das große Narrentreffen in Stockach beworben,<br />
aber nun wich die erste Euphorie. Stattdessen stieg der Drohcharakter<br />
des Treffens gewaltig. Im Oktober 1949 meldete Säckelmeister<br />
Dandler Bedenken an. Man wisse nicht, ob das Fest organisatorisch<br />
überhaupt <strong>zu</strong> bewältigen wäre, <strong>zu</strong>mal das Kollegium ja immer noch<br />
führungslos sei. Von den möglichen Kosten wolle er erst gar nicht sprechen.<br />
Kollege Wamsler schlug vor, eine „Bürgerversammlung“ ein<strong>zu</strong>berufen,<br />
und je mehr nun diskutiert wurde, desto unklarer wurden die<br />
Bedürfnisse. Die Diskussion spiegelt die wirtschaftlichen, sozialen und<br />
kommunalpolitischen Verhältnisse wieder. Die junge Demokratie tat<br />
auch vor Ort ihre ersten unsicheren Schritte, die Schwierigkeiten des<br />
enormen Zu<strong>zu</strong>ges der Flüchtlinge waren bei weitem nicht gelöst, und<br />
wirtschaftlich betrachtet wusste auch noch niemand so recht, wie es<br />
weitergehen würde. Die Firma Fahr hatte 300 neue Arbeitskräfte eingestellt,<br />
die Metallwarenfabrik hatte endlich die Krisenzeit der Demontage<br />
überstanden. Aber Laufnarrenvater Happle blieb bei seiner pessimistischen<br />
Einschät<strong>zu</strong>ng, „dass bis <strong>zu</strong>m Frühjahr eine noch schlechtere<br />
Allgemeinlage vorhanden sein wird“. <strong>Das</strong> mögliche Damoklesschwert<br />
eines Jubiläumsjahr 1951 blieb also weiterhin – in welcher Fallhöhe<br />
auch immer – über den Köpfen hängen.