Elisabet Ney konstruiert ihr Künstlerimage in ... - Wienand Verlag
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Seite 1-109 14.01.2008 15:03 Uhr Seite 48<br />
Staaten, wo sie mit Freunden e<strong>in</strong>e „utopische Kolonie“ gründen<br />
wollten. Bald erwarben sie Land und ließen sich e<strong>in</strong><br />
Gebäude im Stil e<strong>in</strong>es Schweizer Hauses errichten. Unverständlich<br />
für die Ortsansässigen waren die unbearbeiteten<br />
Holzstämme, die als Baumaterial für die Fassade Verwendung<br />
fanden. <strong>Ney</strong> und Montgomery bevorzugten jedoch e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>fachen<br />
ländlichen Baustil.<br />
Im Sommer 1871 unternahmen die Eheleute e<strong>in</strong>e ausgedehnte<br />
Reise <strong>in</strong> den Norden, auf der <strong>ihr</strong> erster Sohn zur Welt<br />
kam. Sie gaben ihm den Namen Arthur zum Angedenken an<br />
den Philosophen Schopenhauer. Ihre Reise führte weiter <strong>in</strong> den<br />
mittleren Westen bis nach Wiscons<strong>in</strong> und <strong>in</strong> den Norden bis<br />
nach Ma<strong>in</strong>e. Erst bei <strong>ihr</strong>er Rückkehr erfuhren sie, dass <strong>in</strong><br />
Georgia <strong>in</strong> der Zwischenzeit e<strong>in</strong>e Malaria-Epidemie ausgebrochen<br />
war, an der viele starben. Auch <strong>ihr</strong> Freund Stralendorff<br />
wurde krank und g<strong>in</strong>g zurück <strong>in</strong> die Heimat. Das heiße und<br />
schwüle Wetter während der Sommermonate sowie Misserfolge<br />
<strong>in</strong> der Landwirtschaft brachten dieses Experiment zum<br />
Ende. An e<strong>in</strong>e Rückkehr konnte <strong>Ney</strong> jedoch nicht denken. Sie<br />
konnte dieses Fiasko gegenüber <strong>ihr</strong>en Freunden <strong>in</strong> Deutschland<br />
nicht zugeben, zumal sie vor diesem Abenteuer gewarnt<br />
worden war.<br />
Das neue Leben <strong>in</strong> Texas: Die Familie<br />
<strong>Ney</strong>-Montgomery auf der Plantage Liendo<br />
Die Zeitungen waren zu der Zeit voll mit verheißungsvollen<br />
Nachrichten aus Texas, wo reichlich fruchtbares Land zu günstigen<br />
Preisen angeboten wurde. Entschlossen, <strong>ihr</strong> Glück zu<br />
versuchen, machte sich <strong>Ney</strong> alle<strong>in</strong> auf den Weg nach Texas<br />
(vgl. Beitrag Lerg <strong>in</strong> diesem Band). Es war e<strong>in</strong>e weite Reise, die<br />
sie von New Orleans mit dem Schiff bis Galveston führte.<br />
Nördlich von der Hafenstadt am Golf von Mexiko wurde <strong>ihr</strong><br />
<strong>in</strong> Hempstead die weitläufige ehemalige Baumwollplantage<br />
Liendo mit e<strong>in</strong>em imposanten Herrenhaus zum Kauf angeboten.<br />
<strong>Ney</strong> war von dem Landsitz und dem herrlichen Haus<br />
ganz begeistert (Abb. 8). Montgomery folgte bald se<strong>in</strong>er Frau<br />
zusammen mit der Haushälter<strong>in</strong> Cencie und dem kle<strong>in</strong>en Arthur<br />
und erwarb die Plantage. E<strong>in</strong> zweiter Sohn, Lorne, wurde<br />
1872 <strong>in</strong> Texas geboren.<br />
Als der kle<strong>in</strong>e Arthur im Frühjahr 1873 an Diphterie<br />
starb, war <strong>Ney</strong> völlig verzweifelt. Montgomery vertiefte sich <strong>in</strong><br />
se<strong>in</strong>e Forschungsarbeiten und überließ <strong>Ney</strong> die Leitung der<br />
Farm. Den Haushalt und die Betreuung des kle<strong>in</strong>en Sohnes<br />
versah <strong>ihr</strong>e Haushälter<strong>in</strong>. Sie sollte <strong>Ney</strong> und Montgomery e<strong>in</strong><br />
Leben lang treu ergeben bleiben.<br />
Auch <strong>in</strong> Texas war <strong>Ney</strong> ke<strong>in</strong> Erfolg <strong>in</strong> der Landwirtschaft<br />
beschieden. Unendliche Schwierigkeiten, Farmarbeiter zu f<strong>in</strong>den,<br />
bescherten den wirtschaftlichen Ru<strong>in</strong> der Plantage. Nach<br />
der Sklavenbefreiung war es so gut wie unmöglich, gew<strong>in</strong>nbr<strong>in</strong>gend<br />
zu wirtschaften. Montgomery war gezwungen, sich<br />
zu verschulden, um auch bei Missernten die Farmarbeiter<br />
ernähren zu können. Trotzdem war <strong>Elisabet</strong> unermüdlich be-<br />
48<br />
Abb. 8 <strong>Elisabet</strong> <strong>Ney</strong> mit Diener auf Liendo,<br />
Fotografie Ende 19. Jahrhundert<br />
müht, doch noch zu reüssieren. Um die Arbeit auf der Plantage<br />
zu vere<strong>in</strong>fachen, hatte sie e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>spurbahn mit dazugehörigem<br />
Wagen erfunden (Abb. 9). Am 2. April 1879 erhielt <strong>Ney</strong><br />
das Patent Nr. 128 420 des französischen M<strong>in</strong>isters für Landwirtschaft<br />
und Handel <strong>in</strong> Paris für <strong>ihr</strong>e Erf<strong>in</strong>dung zuerkannt.<br />
Da <strong>ihr</strong> großes Landgut an die „Houston & Texas“ Eisenbahnl<strong>in</strong>ie<br />
angrenzte, konnte sie mit Hilfe der kle<strong>in</strong>en Feldbahn<br />
<strong>ihr</strong>e Farmerzeugnisse, wie zum Beispiel Melonen, direkt verfrachten.<br />
<strong>Ney</strong> war e<strong>in</strong>e begeisterte Mutter und wollte Lorne zu e<strong>in</strong>em<br />
kle<strong>in</strong>en englischen Gentleman erziehen. Sie kleidete ihn<br />
<strong>in</strong> Samtanzüge mit Spitzenkragen und untersagte ihm den<br />
Umgang mit den Dorfk<strong>in</strong>dern. Sehr enttäuscht war <strong>Elisabet</strong>,<br />
als der Sohn im Alter von 14 Jahren gegen die Erziehungsmethoden<br />
se<strong>in</strong>er Mutter rebellierte. Montgomery, der se<strong>in</strong>e Frau<br />
hatte gewähren lassen, griff nun e<strong>in</strong>, <strong>in</strong>dem er vorschlug, den<br />
Jungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Internatsschule an der Ostküste der Vere<strong>in</strong>igten<br />
Staaten, <strong>in</strong> Baltimore, unterzubr<strong>in</strong>gen und ihn auch persönlich<br />
<strong>in</strong> den Norden zu begleiten. Für <strong>Ney</strong> versank der Boden<br />
unter den Füßen, was sie sehr e<strong>in</strong>drucksvoll <strong>in</strong> <strong>ihr</strong>em Brief<br />
an Joseph Joachim am 11. Januar 1887 aus Texas schildert.<br />
„Life has become <strong>in</strong>tolerable here […] The proud head is now<br />
bent, though not <strong>in</strong> utter despair, but <strong>in</strong> deep sadness […]“<br />
(Anm. d. Autor<strong>in</strong>: Das Leben hier ist unerträglich geworden<br />
[…] Das stolze Haupt ist jetzt gebeugt, wenn auch nicht <strong>in</strong><br />
voller Verzweiflung so doch <strong>in</strong> tiefer Traurigkeit) (SIM PK<br />
Berl<strong>in</strong>, Doc. orig. <strong>Elisabet</strong> <strong>Ney</strong> 8, 11. Januar 1887). Im selben<br />
Brief bittet sie <strong>ihr</strong>en alten Freund an anderer Stelle um die e<strong>in</strong>malige<br />
Unterstützung durch 700 bis 800 Dollar. Diese Sum-<br />
Abb. 9 Joe Huck (Aust<strong>in</strong>), Computer-Animation des Wagens der kle<strong>in</strong>en<br />
Feldbahn, <strong>Elisabet</strong> <strong>Ney</strong> erhielt 1879 dafür e<strong>in</strong> französisches Patent<br />
me sollte <strong>ihr</strong> zu e<strong>in</strong>em Neuanfang verhelfen. Von Joachim ist<br />
ke<strong>in</strong>e Antwort auf dieses Schreiben erhalten. Sie meldete sich<br />
noch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em zweiten Brief am 17. März 1887 aus Liendo, <strong>in</strong><br />
dem sie mitteilt, dass e<strong>in</strong>e Rückkehr für sie unmöglich wäre.<br />
<strong>Ney</strong> will nun <strong>in</strong> Texas trotz aller negativen Erfahrungen durchhalten.<br />
Der Sohn war <strong>ihr</strong> genommen, die Plantage kostete<br />
mehr Geld, als sie e<strong>in</strong>brachte. Von dieser Krise tief erschüttert,<br />
bes<strong>in</strong>nt sich <strong>Elisabet</strong> wieder auf <strong>ihr</strong>e Kunst, mit der <strong>ihr</strong> <strong>in</strong><br />
Deutschland Anerkennung und Erfolg zuteil geworden waren.<br />
Es war nicht e<strong>in</strong>fach, <strong>in</strong> Texas e<strong>in</strong>e zweite Karriere als Bildhauer<strong>in</strong><br />
anzustreben.<br />
Die zweite Karriere <strong>in</strong> Aust<strong>in</strong><br />
Als erstes meldete sie sich bei dem mit <strong>ihr</strong> befreundeten deutschen<br />
Konsul Julius Runge und se<strong>in</strong>er Gatt<strong>in</strong> Johanna <strong>in</strong> Gal-<br />
Abb. 10 <strong>Elisabet</strong> <strong>Ney</strong>, Bildnisbüste<br />
Benedette Tob<strong>in</strong>, 1892,<br />
Harry Ransom Humanities<br />
Research Center, The University<br />
of Texas at Aust<strong>in</strong>/<strong>Elisabet</strong> <strong>Ney</strong><br />
Museum, Aust<strong>in</strong><br />
veston an, um Porträtbüsten des Ehepaares zu modellieren<br />
(vgl. Kat. Nr. 50 und 51 <strong>in</strong> diesem Band). Wie üblich sollten<br />
die Büsten ohne Kosten für die Modelle entstehen. <strong>Ney</strong><br />
hoffte dadurch <strong>in</strong> der damals sehr wohlhabenden Küstenstadt<br />
bekannt zu werden. Auch <strong>in</strong> Aust<strong>in</strong>, der Hauptstadt von Texas,<br />
knüpfte sie an frühere Kontakte an. Der ehemalige Gouverneur<br />
von Texas, Oran Roberts (1815–1898), dessen Büste<br />
<strong>Ney</strong> im Jahre 1882 modelliert hatte, war nun Professor für<br />
Rechtswissenschaft an der Universität <strong>in</strong> Aust<strong>in</strong>. Durch die<br />
Empfehlung <strong>ihr</strong>es Freundes Roberts wurde Benedette Tob<strong>in</strong>,<br />
die e<strong>in</strong>em Frauenclub vorstand, auf <strong>Elisabet</strong> aufmerksam. Sie<br />
machte <strong>Ney</strong> den Vorschlag, lebensgroße Statuen von Sam<br />
Houston (1793–1863) und Stephen F. Aust<strong>in</strong> (1793–<br />
1836) für die Weltausstellung <strong>in</strong> Chicago 1893 auszuführen<br />
(Abb. 10).<br />
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