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Elisabet Ney konstruiert ihr Künstlerimage in ... - Wienand Verlag

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Seite 1-109 14.01.2008 15:03 Uhr Seite 36<br />

zu lösen und se<strong>in</strong>e geistige Dimension durch den Bezug auf<br />

die Philosophenbildnisse hervorzuheben. <strong>Ney</strong> selbst war von<br />

der Geistesgröße Garibaldis <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em für sie perfekt wirkenden<br />

Körper fasz<strong>in</strong>iert.<br />

E<strong>in</strong>en Spaziergang und <strong>ihr</strong>e Erkenntnisse von der äußeren<br />

und <strong>in</strong>neren Gestalt der Persönlichkeit beschreibt sie<br />

folgendermaßen: „I followed, for the benefit of my statuette<br />

observ<strong>in</strong>g the <strong>in</strong>terest<strong>in</strong>g, well made, light mov<strong>in</strong>g figure<br />

[Garibaldi]. I th<strong>in</strong>k I ever saw a torso made, as it appears<br />

through the soft wollen red shirt, so near to perfection. The<br />

shoulders are so little high, as the nek is unusual short, but<br />

the f<strong>in</strong>est of bones are covered & smoothed with brought,<br />

pla<strong>in</strong> mussels, which from the grandness and simpleness of<br />

shape, which one can alwise sees <strong>in</strong> the best works of antik<br />

sculpture & which one than th<strong>in</strong>ks idialised. – And how<br />

surpris<strong>in</strong>g it is to meet <strong>in</strong> nature this strait l<strong>in</strong>es of a classical<br />

shaped face & the brillancy of expression surpass<strong>in</strong>g that of<br />

the old heros <strong>in</strong> their statues“ (Anm. der Verf.: Ich folgte<br />

ihm zum Nutzen für me<strong>in</strong>e Statuette, beobachtete die <strong>in</strong>teressante,<br />

gut gebaute, sich leicht bewegende Figur. Ich denke,<br />

ich sah niemals zuvor e<strong>in</strong>en Torso, so wie er durch das weiche<br />

rote Wollshirt erschien, so nah an der Perfektion. Die<br />

Schultern s<strong>in</strong>d so wenig hoch wie der Hals ungewöhnlich<br />

kurz ist, aber die fe<strong>in</strong>sten Knochen s<strong>in</strong>d bedeckt und geglättet<br />

mit klarer Muskulatur, welche von e<strong>in</strong>er Größe und E<strong>in</strong>fachheit<br />

<strong>in</strong> der Gestalt s<strong>in</strong>d, welche man bei den besten Arbeiten<br />

der antiken Skulptur sehen kann und welche man<br />

sich nur idealisiert denken kann. – Und wie überraschend<br />

ist es, bei e<strong>in</strong>er lebenden Person solche klaren L<strong>in</strong>ien e<strong>in</strong>es<br />

klassisch geschnittenen Gesichtes und der Brillanz des Ausdrucks<br />

anzutreffen, noch die alten Helden <strong>in</strong> <strong>ihr</strong>en Statuen<br />

übertreffend).<br />

Die E<strong>in</strong>tragungen <strong>Ney</strong>s lassen die Neugierde nach der<br />

Statuette Garibaldis wach werden, doch leider muss diese<br />

heute als verschollen gelten. Die Studie nach e<strong>in</strong>em spätklassischen<br />

Torso (vgl. Beitrag Kammerer-Grothaus <strong>in</strong> diesem<br />

Band, Abb. 5 und 6), der sich im <strong>Elisabet</strong> <strong>Ney</strong> Museum<br />

erhalten hat, kann vielleicht das erläuterte Idealbild e<strong>in</strong>es<br />

männlichen Körpers repräsentieren.<br />

Die zeitgenössische Kritik an <strong>Ney</strong>s Standbildern<br />

von Stephen F. Aust<strong>in</strong> und Sam Houston<br />

Der <strong>in</strong>tensiven Ause<strong>in</strong>andersetzung mit dem Äußeren und<br />

dem Charakter des Porträtierten blieb <strong>Elisabet</strong> <strong>Ney</strong> <strong>in</strong> <strong>ihr</strong>em<br />

Schaffen <strong>ihr</strong> Leben lang treu, ohne jedoch starr an e<strong>in</strong>em<br />

Muster festzuhalten. Dies wird <strong>in</strong>sbesondere deutlich bei den<br />

„Staatsporträts“ von Sam Houston (1793–1863) und Stephen<br />

F. Aust<strong>in</strong> (1793–1836), die <strong>in</strong> <strong>ihr</strong>er Proportion und <strong>in</strong><br />

<strong>ihr</strong>en Gesichtszügen menschlich bleiben. Zahlreiche Briefe<br />

von <strong>Elisabet</strong> <strong>Ney</strong> bezeugen, dass die Künstler<strong>in</strong> auf der Suche<br />

nach Zeitzeugen war, die die beiden Staatsmänner von Texas<br />

noch lebend gekannt haben (Rutland 1977, S. 22ff.). Sie<br />

Abb. 12 <strong>Elisabet</strong> <strong>Ney</strong>, Statue Stephen F. Aust<strong>in</strong>, Detail, Texas Capitol<br />

<strong>in</strong> Aust<strong>in</strong>/Texas<br />

sammelte Porträts und Nachrichten und befasste sich sehr<br />

ausgiebig mit Charakter, Taten und Aussehen der beiden Politiker.<br />

Ihre klare Kunstauffassung stellt den Menschen <strong>in</strong><br />

den Mittelpunkt und versteht das menschliche Antlitz auch<br />

als Ausdruck der Taten und des Charakters des Dargestellten,<br />

aber nicht im engen S<strong>in</strong>n von Johann Caspar Lavaters<br />

(1741–1801) Physiognomik. Es werden nicht nur schnell<br />

Ideen zu e<strong>in</strong>em Menschen skizziert, sondern langwierige<br />

Prozesse auf sich genommen, um sich e<strong>in</strong> Bild und damit e<strong>in</strong><br />

Bildwerk des Menschen zu schaffen. Dies ist sicherlich im<br />

Kontrast zu der allgeme<strong>in</strong>en Kunstentwicklung <strong>in</strong>sbesondere<br />

am Ende des 19. Jahrhunderts zu sehen.<br />

In e<strong>in</strong>em offenen Brief an Senator Davidson, De Witt<br />

County/Texas, kritisierte der Jurist und ehemalige Senator<br />

John H. Reagans im Januar 1903 die Statue von Sam Houston<br />

im Kapitol <strong>in</strong> Aust<strong>in</strong>/Texas; dieser wurde <strong>in</strong> zahlreichen<br />

Zeitungen im ganzen Staat publiziert. Mit dem offenen<br />

Brief versuchte Reagens zu verh<strong>in</strong>dern, dass im Kapitol zu<br />

Wash<strong>in</strong>gton die Skulpturen <strong>Ney</strong>s Aufstellung fanden. Er<br />

lehnte <strong>in</strong>sbesondere <strong>Ney</strong>s detailreiche Wiedergabe der zeitgenössischen<br />

Trapperkleidung ab, da er diese für unangemessen<br />

für e<strong>in</strong>en solch bedeutenden Staatsmann wie Sam<br />

Houston hielt und er so m<strong>in</strong>derwertig neben den Großen<br />

Amerikas wirken würde.<br />

Vor dem H<strong>in</strong>tergrund der Ästhetik <strong>Elisabet</strong> <strong>Ney</strong>s ist<br />

dann auch die zeitgenössische Kritik an den beiden Standbildern<br />

von Sam Houston und Stephen F. Aust<strong>in</strong> klarer e<strong>in</strong>zuordnen.<br />

Noch heute hat man den E<strong>in</strong>druck, dass die lebensgroßen<br />

Bildnisse der beiden Texaner <strong>in</strong> der National<br />

Statuary Hall im Kapitol zu Wash<strong>in</strong>gton wie verkle<strong>in</strong>ert<br />

wirken, denn sie s<strong>in</strong>d umgeben von überlebensgroßen Bild-<br />

werken, die mit großen Gesten und Pathos ausgestattet s<strong>in</strong>d:<br />

Dies war sicherlich nie <strong>Ney</strong>s Stärke, denn die Bildhauer<strong>in</strong><br />

bleibt dem menschlichen Individuum und se<strong>in</strong>en Proportionen<br />

verpflichtet. Die <strong>in</strong>tensive Beschäftigung mit dem<br />

Leben und dem Wirken der Staatsmänner führte <strong>in</strong> diesem<br />

Fall dazu, dass auch Details wie beispielsweise die Trapperkleidung<br />

oder das Gewehr möglichst historisch genau recherchiert<br />

und wiedergegeben werden (Abb. 12). Von Sam<br />

Houston arbeitete sie sowohl e<strong>in</strong>e Büste, die den Texaner als<br />

jungen, als auch e<strong>in</strong>e, die ihn als alten Mann zeigt (vgl.<br />

Kat. Nr. 54 <strong>in</strong> diesem Band), denn ebenso wie beim früh<br />

verstorbenen Aust<strong>in</strong> war der junge Staatsgründer die Aufgabe<br />

für das Standbild gewesen. Um auch der Er<strong>in</strong>nerung der<br />

noch Lebenden zu genügen, schuf sie e<strong>in</strong> Bildnis, das den<br />

alten Gouverneur zeigt. Wie schon bei der Statue König<br />

Ludwigs II. ist die Grundlage für das Standbild e<strong>in</strong>e aufwändig<br />

ausgeführte Büste. Und so fand <strong>Ney</strong> mit den Skulpturen<br />

der beiden Staatsmänner Beifall bei den Menschen,<br />

die diese noch gekannt hatten, während teilweise harte Kritik<br />

von anderer Seite kam, da <strong>ihr</strong>e Kunst zu weit vom Pathos<br />

der Zeit entfernt war. Obwohl <strong>Elisabet</strong> <strong>Ney</strong>s Kunst bei den<br />

Porträts von historischen Persönlichkeiten sche<strong>in</strong>bar e<strong>in</strong> historistischer<br />

Zug <strong>in</strong>newohnt, kann man etwa ke<strong>in</strong>e Stilentwicklung<br />

h<strong>in</strong> zum Neubarock erkennen. Vielmehr bemühte<br />

sie sich aus Interesse für die Lebensumstände der verstorbenen<br />

Person um historische Detailtreue, doch <strong>ihr</strong>en strengen,<br />

der menschlichen Proportion und dem menschlichen Gesicht<br />

verpflichtenden Stil behielt sie bei. Es ist nicht so, dass<br />

stilistische E<strong>in</strong>flüsse <strong>ihr</strong>er Zeit <strong>ihr</strong> Werk unberührt gelassen<br />

hätten, doch betreffen diese Veränderungen andere Aspekte.<br />

So erhält <strong>ihr</strong> 1903 vollendetes, retrospektives Selbstbildnis<br />

e<strong>in</strong>en gelblichen, geschwungenen Marmorsockel, der mit<br />

se<strong>in</strong>er Schreibschriftgravur Jugendstilelemente aufnimmt.<br />

Der kle<strong>in</strong>e, traditionelle Fuß fehlt hier; vielleicht e<strong>in</strong> formaler<br />

H<strong>in</strong>weis auf die späte Entstehung des Selbstbildnisses der<br />

etwa 30-jährigen Künstler<strong>in</strong>. Bei <strong>ihr</strong>er Skulptur Lady Macbeth<br />

bleibt sie ebenfalls <strong>ihr</strong>en Idealen von menschlicher Dimension<br />

und Antlitz treu, doch erlaubt <strong>ihr</strong> das Genre der<br />

literarischen Figur e<strong>in</strong>e größere Freiheit als die Porträts. Hier<br />

versucht sie, die emotionalen Abgründe der Shakespeare-<br />

Figur auszuloten und für diese e<strong>in</strong> Bild zu f<strong>in</strong>den.<br />

Doch verfolgte <strong>Ney</strong> nicht nur <strong>ihr</strong>e eigenen künstlerischen<br />

Projekte mit großer Energie, sondern setze sich für die Ausbildung<br />

von Künstlern und die Gründung e<strong>in</strong>er Kunstakademie<br />

im Besonderen e<strong>in</strong>. <strong>Elisabet</strong> <strong>Ney</strong> hatte e<strong>in</strong> ausgeprägtes<br />

Sendungsbewusstse<strong>in</strong> als künstlerische Pionier<strong>in</strong> <strong>in</strong><br />

Texas. Zu diesem Zweck wurde die “Association of the Texas<br />

Academy of the Liberal Arts“ <strong>in</strong>s Leben gerufen, deren Präsident<strong>in</strong><br />

sie wurde. Sie scharte an Kunst <strong>in</strong>teressierte Menschen<br />

um sich und betätigte sich als Lobbyist<strong>in</strong> für den Ausbau<br />

e<strong>in</strong>er texanischen Kunstszene. In vielfältiger Weise sah<br />

sich <strong>Ney</strong> dazu verpflichtet, zum Ausbau des kulturellen Lebens<br />

<strong>in</strong> Texas beizutragen. Aus diesen Kreisen erwuchsen<br />

auch die Verehrer und Mäzene des Erbes von <strong>Elisabet</strong> <strong>Ney</strong>:<br />

Das Ehepaar Ella (gest. 1920) und Joseph B. Dibrell (1855–<br />

1934) kauften das Atelier <strong>Ney</strong>s und gründeten dort wohl<br />

das älteste Museum, das weltweit e<strong>in</strong>er Künstler<strong>in</strong> gewidmet<br />

ist.<br />

Archivalien: Center for American History, The University of Texas at<br />

Aust<strong>in</strong>/Texas (CAH Aust<strong>in</strong>), 2 F 163, <strong>Elisabet</strong> <strong>Ney</strong> an Guy Bryan,<br />

Hempstead, 20. Juli 1892 und August 1893, Guy Bryan an <strong>Elisabet</strong> <strong>Ney</strong><br />

24. September 1892 und 26. September 1892; Harry Ransom Humanities<br />

Research Center, The University of Texas at Aust<strong>in</strong>/Texas (HRC Aust<strong>in</strong>),<br />

Inv.: 67.78./6.3, Empfehlungsschreiben der Münchner Akademie<br />

für <strong>Elisabet</strong> <strong>Ney</strong>, München, 29. Juli 1854; Archiv der Akademie der<br />

Künste Berl<strong>in</strong> (Stiftung Archiv AdK Berl<strong>in</strong>), PrAdK Nr. 50 Senatssitzungsprotokolle,<br />

Fiche 1, Blatt 10, 27. Jan. 1855, 27. Januar 1855;<br />

Staatsbibliothek zu Berl<strong>in</strong> – Preußischer Kulturbesitz (SBB PK Berl<strong>in</strong>),<br />

Nachlass Lewald-Stahr, K. 16, <strong>Elisabet</strong> <strong>Ney</strong> an <strong>Elisabet</strong>h Lewald,<br />

25. März 1869, Nr. 45; Landesarchiv NRW Staatsarchiv Münster (LAV<br />

NRW StA Münster), Nachlass Giesbert von Romberg Nr. B 183, Angebot<br />

von Adam <strong>Ney</strong> für Nachbildung; LWL-Archivamt für Westfalen,<br />

Münster – Archiv LWL (Archiv LWL), Best. 101/50, fol. 211, Zahlungsberechnung<br />

und Quittung für <strong>Elisabet</strong> <strong>Ney</strong>; Baylor University<br />

Waco/Texas (Baylor Waco), The Texas Collection, <strong>Ney</strong> papers, unveröffentlichtes<br />

Journal „Our trip to Egypt“, unveröffentlichtes Journal „My<br />

time with General Garibaldi“.<br />

Literatur: Cutrer 1988; Hojer 1986; Kat. Berl<strong>in</strong> 2006; Kat. Gött<strong>in</strong>gen<br />

1994; Kat. Karlsruhe 1995; Kümmel/Maaz 2004; Lübke 1867; Müller-<br />

Münster 1931; Prokisch/Dimt 1995; Rutland 1977; Schulze 2006; Sieper<br />

1914; Simson 1996; Sonntags-Blatt 1852; Stetten-Jell<strong>in</strong>g 2003; Stighelen/Westen<br />

2002; Strunk 1931; United States Senate 2002; Vere<strong>in</strong><br />

Berl<strong>in</strong>er Künstler<strong>in</strong>nen/ Archiv Vere<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>er Künstler<strong>in</strong>nen 2003;<br />

Westfälischer Merkur 1850; Wicher o. J.<br />

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