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Elisabet Ney konstruiert ihr Künstlerimage in ... - Wienand Verlag

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Seite 110-185 14.01.2008 15:09 Uhr Seite 128<br />

Abb. 11 Samthut von <strong>Elisabet</strong> <strong>Ney</strong>, Harry Ransom Humanities<br />

Research Center, The University of Texas at Aust<strong>in</strong>/<strong>Elisabet</strong> <strong>Ney</strong><br />

Museum, Aust<strong>in</strong><br />

Arbeit aus schwarzem Flanell, weißem Flanell, Miladay Le<strong>in</strong>en,<br />

schwarzem Samt) (HRC Aust<strong>in</strong> Notebook 1, S. 24f.)<br />

genäht war, und hochgeknöpften Gamaschen. Auf e<strong>in</strong>em<br />

der späten, ebenfalls traditionell formulierten Porträtfotos<br />

betrachtet <strong>Elisabet</strong> <strong>Ney</strong> e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Statuette, die sie mit <strong>ihr</strong>er<br />

rechten Hand emporhält, das berufsspezifische Werkzeug <strong>in</strong><br />

der anderen (Abb. 10). Als „Modelleur<strong>in</strong>“ führt die Künstler<strong>in</strong><br />

hier <strong>ihr</strong>e gestaltgebende Schöpferkraft deutlich vor Augen.<br />

Bei aller Demonstration, „mehr“ zu se<strong>in</strong>, als Frauen geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong><br />

zugestanden wurde, betonte <strong>Elisabet</strong> <strong>Ney</strong> durchaus<br />

<strong>ihr</strong>e Weiblichkeit – etwa durch Samtstoffe, Spitzenkragen<br />

und -manschetten sowie Litzen, Borten und Schleifen und<br />

e<strong>in</strong>en etwas eigenwilligen, kle<strong>in</strong>en Samthut (Abb. 11).<br />

Die Bildhauer<strong>in</strong> begann früh, <strong>ihr</strong> künstlerisches Selbstbild<br />

unmittelbar am Körper vorzutragen. Dabei nutzte sie die<br />

Öffentlichkeit wie e<strong>in</strong>e Bühne und brachte <strong>ihr</strong>en Anspruch<br />

auf Anerkennung, Ruhm und Erfolg gewissermaßen zur<br />

Aufführung. Um die eigene berufliche Identität zu überhöhen<br />

und zu stabilisieren, entwickelte sie zusätzliche „Werbestrategien“.<br />

So zeigte sich die Künstler<strong>in</strong> im Garten <strong>ihr</strong>er<br />

Schwab<strong>in</strong>ger Villa beim Haarewaschen und Lockenbrennen,<br />

oder sie fuhr <strong>in</strong> antikisiertem Gewand und mit Blumen im<br />

Haar auf dem Kutschbock e<strong>in</strong>es Ponygespanns durch München.<br />

Auch <strong>in</strong> Texas erregte sie Aufsehen, etwa wenn sie im<br />

Herrensitz alle<strong>in</strong> durch die Gegend ritt. Unkonventionelles<br />

Auftreten und Handeln machte die Bildhauer<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er öffentlichen<br />

Person. <strong>Ney</strong>s exzentrischer Habitus entsprach auch<br />

dem traditionellen männlichen Künstlerbild: E<strong>in</strong> Künstler<br />

durfte, ja sollte e<strong>in</strong>e Ausnahmeersche<strong>in</strong>ung se<strong>in</strong>.<br />

Als erfolgsbedachte Künstler<strong>in</strong> arbeitete die Bildhauer<strong>in</strong><br />

ebenfalls an <strong>ihr</strong>em eigenen biographischen Mythos und sorgte<br />

für dessen Verbreitung <strong>in</strong> Gesprächen und Interviews.<br />

<strong>Elisabet</strong> <strong>Ney</strong> stilisierte Stationen und Ereignisse <strong>ihr</strong>er Karriere<br />

und überhöhte so <strong>ihr</strong>en Werdegang, um schließlich <strong>ihr</strong>er<br />

128<br />

Freund<strong>in</strong> Bride Neill Taylor (1858–1937) <strong>ihr</strong>e „korrigierte“<br />

Vita mehr oder m<strong>in</strong>der <strong>in</strong> die Feder zu diktieren. Dabei<br />

schrieb sich die Bildhauer<strong>in</strong> <strong>in</strong> traditionelle Erzählmuster literarischer<br />

Künstlermythen e<strong>in</strong>. Episoden wie <strong>ihr</strong> Hungerstreik<br />

und <strong>ihr</strong>e Zulassung zur Münchner Kunstakademie<br />

gegen alle Widerstände bzw. <strong>ihr</strong>e behauptete Rolle als Liebl<strong>in</strong>gsschüler<strong>in</strong><br />

Rauchs <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> wurden zu ablesbaren „Dokumenten“<br />

für <strong>ihr</strong> Talent und <strong>ihr</strong>e E<strong>in</strong>zigartigkeit. <strong>Elisabet</strong><br />

<strong>Ney</strong> wusste <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em hohen Maße Situationen für die Def<strong>in</strong>ition<br />

und Verbreitung <strong>ihr</strong>es Images zu <strong>in</strong>strumentalisieren.<br />

Als etwa die Journalist<strong>in</strong> Auguste Schiebe sie 1886 für e<strong>in</strong> Interview<br />

<strong>in</strong> der Augsburger Zeitung <strong>in</strong> Aust<strong>in</strong> aufsuchte, fand<br />

sie die Künstler<strong>in</strong> bei der Arbeit an dem Modell der Statue<br />

Ludwigs II. Sie berichtet, dass sie <strong>Elisabet</strong> <strong>Ney</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Schleppenkleid aus weißer Wolle angetroffen habe. So müsse<br />

man sich wohl Iphigenie vorstellen. Die Bildhauer<strong>in</strong> habe<br />

zudem stets Goethes „Iphigenie“ <strong>in</strong> <strong>ihr</strong>em Atelier, um jeden<br />

Tag e<strong>in</strong> paar Seiten dar<strong>in</strong> lesen zu können. <strong>Ney</strong> behauptete<br />

außerdem, sie habe – gekleidet <strong>in</strong> das Gewand e<strong>in</strong>er Iphigenie<br />

– Ludwig II. aus dieser Dichtung vorgetragen. Tatsächlich<br />

fiel diese Rolle dem königlichen Kab<strong>in</strong>ettchef zu.<br />

Gleichzeitig nutzte <strong>Elisabet</strong> <strong>Ney</strong> die zur Verfügung stehenden<br />

konventionellen Bildmuster zur weiteren visuellen<br />

Def<strong>in</strong>ition <strong>ihr</strong>es Images. Kaulbachs Porträt und viele der Fotografien<br />

spiegeln <strong>ihr</strong>e Vertrautheit mit den gängigen Porträttypen<br />

<strong>in</strong> Malerei und Fotografie. Ihr Selbstverständnis<br />

kulm<strong>in</strong>iert <strong>in</strong> <strong>ihr</strong>em Selbstbildnis (vgl. Kat. Nr. 36 Franke <strong>in</strong><br />

diesem Band), das sie wiederum <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em schlichten,<br />

fließenden Gewand und prononciert kürzeren Locken all’<br />

antica zeigt.<br />

Dass <strong>Elisabet</strong> <strong>Ney</strong> mit <strong>ihr</strong>en Strategien zum<strong>in</strong>dest zu<br />

Lebzeiten Erfolg hatte, dokumentiert e<strong>in</strong>e Charakterisierung<br />

der Bildhauer<strong>in</strong> auf der Höhe <strong>ihr</strong>es Ruhmes. E<strong>in</strong> Amerikaner,<br />

der <strong>Elisabet</strong> <strong>Ney</strong> kannte, berichtete laut Müller-<br />

Münster über <strong>ihr</strong>e Schönheit folgendes (Müller-Münster<br />

1931, S. 44): „Sehr groß und schlank, e<strong>in</strong>e klassisch schöne<br />

Bildfigur, wie sie selbst sie meißelte, – weiß, weiß wie Milch,<br />

<strong>ihr</strong> edles Haupt mit e<strong>in</strong>er Fülle kurz gehaltener dunkelbrauner<br />

Locken geschmückt. Meistens trug sie e<strong>in</strong> Spitzenkleid<br />

mit der ruhigen Haltung e<strong>in</strong>er König<strong>in</strong>, aber mit weit mehr<br />

Unabhängigkeit, als irgende<strong>in</strong>e König<strong>in</strong> jemals zur Schau<br />

tragen durfte; trotz alledem jedoch mit e<strong>in</strong>er löblichen Art<br />

und sanften Anmut, die die kriegerisch ges<strong>in</strong>nte Feder <strong>ihr</strong>er<br />

verschwiegenen Seele verbarg.“<br />

Archivalien: Harry Ransom Humanities Research Center Aust<strong>in</strong>/Texas,<br />

(HRC Aust<strong>in</strong>), Notebook 1, Box 3–15, S. 24f.<br />

Literatur: Ashelford 1996; Berger 1982; Bonus-Jeep 1948; Borchard 2000;<br />

Cutrer 1988; Kanzenbach 2007; Kat. Berl<strong>in</strong> 1992b; Kat. Berl<strong>in</strong> 2001;<br />

Müller-Münster 1931; Muysers 1999; Stetten-Jell<strong>in</strong>g 2003; Taylor 1938.<br />

Abb. 10 <strong>Elisabet</strong> <strong>Ney</strong> mit Statuette, Fotografie von 1902<br />

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