dräum | ausgabe 3 | 09/2015
dräum ist ein periodikum von andreas leonhard hilzensauer – dräum is a periodical by andreas leonhard hilzensauer
dräum ist ein periodikum von andreas leonhard hilzensauer – dräum is a periodical by andreas leonhard hilzensauer
- Keine Tags gefunden...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Aufrechte Menschen schleppen geknickte Menschen aus Trümmern eingestürzter Firmengebäude,<br />
der Vorstand nimmt die Gelder und entschädigt sich selbst für all den Stress in letzter Zeit.<br />
Man beginnt mit den Summen andernorts ein „völlig neues“ Leben, investiert ein paar Hunderter<br />
in frisch gestrichene Fabrikshallen, organisiert gebrauchte Geräte von aufgelösten und insolventen<br />
Konkurrenten, schreibt die freien Stellen in die Obdachlosen-Blätter und spielt das ganze Spiel von vorn.<br />
F<br />
PH<br />
RMEN<br />
LOSOPHIE<br />
Verträge auf Zeit und Geringfügigkeit hat man noch aus vergangenen Zeiten, die unbezahlten<br />
Überstunden sind wie eh und je ganz klar und ungeschrieben in den Vertrag mit eingewoben – mit einer<br />
Unterschrift hier und den Initialen dort übergibt man sich ins Firmeninventar, gehört ab sofort der Arbeit<br />
und sollte dafür lieber auch ganz saftig dankbar sein. Wer hinterfragt, fliegt raus – wer besser<br />
buckelt als die Andern, bekommt bald 'nen Schritt nach oben, auf Probe versteht sich, die ersten drei Monate,<br />
dann wird man überprüfen, ob die Erfüllung der neuen Pflichten auch ein wenig mehr Gehalt verdient.<br />
Da ist man plötzlich vorn dabei und schaut den einstmals „guten Freunden“ auf die grauslig braunen Würschtlfinger,<br />
man wird gemieden, wo's nur geht, und aus Gesprächen sukzessive ausgeschlossen. Es wird ja<br />
meistens eh nur harmlos rumgelästert, aber eben nun mal über die, zu denen man jetzt schließlich zählt. Also<br />
stellt man sich zwei Etagen höher und tut, als wüsst' man, worum es geht. Hauptsächlich versteht man Wörter wie<br />
Feierabend und Wochenende, aber Karibik und Co. hat man noch nicht gelernt. Das kommt schon noch, nimmt<br />
man sich vor – und träumt davon, eines Tages auch nur noch gelegentlich aus der Sonne ins Büro zu müssen.<br />
Weg vom stinkenden Gesindel, hin zur glänzenden Elite, die – den Medien zufolge – nur durch großes<br />
Glück und unvorhersehbaren Zufall gerade nicht in der Firma anzutreffen war, als wieder einmal alles<br />
ineinander brach, als das Gefängnis mit schickem Logo als tonnenschwerer Staub Zehntausende<br />
begrub. Voll Anteilnahme nimmt man dann erneut das Geld aus den kaum zerdellten Stahltresoren, schichtet<br />
es – völlig betroffen und zerknirscht – zur Versicherung im Kofferraum und kauft sich einfach andernorts<br />
ein andres Haus und füllt es wieder neu mit andrem Inventar – schließlich muss das Geld ja arbeiten.