dräum | ausgabe 3 | 09/2015
dräum ist ein periodikum von andreas leonhard hilzensauer – dräum is a periodical by andreas leonhard hilzensauer
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RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
begann er, was, wenn du dich getäuscht hast?, wie meinen?,<br />
RAUSCH<br />
na, wenn deine Enklave der Vernunft nur vermeintlich unerreichbar<br />
für den Wahnsinn ist?, wenn er längst hier angekom-<br />
RAUSCH<br />
men ist?, vielleicht in Form eines kleinen, weinenden Jungen,<br />
der die Angst vorschützt, um vom Sturm der Mahren abzu-<br />
RAUSCH<br />
lenken, hast du dir das schon einmal durch den Kopf gehen<br />
RAUSCH<br />
lassen? Es klopft an der Tür, man geht hin und macht auf, Tante<br />
Emma, Hallo!, hast du was vergessen?, in der Tat, mein Junge,<br />
ich glaub, mein Werkzeug liegt noch bei dir im Bad, welches<br />
Werkzeug?, na, Werkzeug halt, ich müsste schnell rauf und es<br />
An der Grenze zum Wahnsinn sitzt ein kleiner Junge voller holen; Oookay, ich kann’s ja holen, wie sieht’s denn aus?; Nein<br />
Tränen, ein Totengräber kommt vorbei, fragt, was los sei, Angst nein, ist schon in Ordnung, ich lauf schnell rauf und hol es mir;<br />
habe er, merkte der Kleine an, so fürchterliche Angst vor den Ach Tante, ist doch viel zu umständlich, Schuhe aufschnüren,<br />
Kreaturen da drüben, Angst musst du nicht vor den Kreaturen ausziehen, nach oben, wieder runter, Schuhe wieder an, ich<br />
haben, Angst musst du vor dem Abgrund haben, vor der Kluft, hol’s dir, warte hier, wie sieht’s denn aus?; ach was, anstrengend,<br />
Schuhe sind schon aus, siehst du?, und so alt bin ich<br />
in die hineinzufallen bloß zu leicht ist, komm, geh mit mir, dort<br />
vorne habe ich mein Haus gebaut, direkt an der Grenze, von auch nicht, dass ich die paar Treppen nicht noch schaff – so lief<br />
dort hast du einen guten Ausblick auf das dunkle Tal und die sie, doppelt Stufen nehmend, in den ersten Stock in Richtung<br />
andere Seite, ich wohne schon seit langem hier und noch hat Bad, ihr nach der Neffe stark verwundert, ständig fragend, was<br />
sich keines dieser Wesen hierher verirrt; so trocknete der Junge für Werkzeug denn; die Badezimmertür war zu, verschlossen,<br />
seinen Tränenfluss und folgte schweigend dem dürren Männlein;<br />
dort angekommen, ließen sie sich auf der Küchenbank fen kam; und da ward die Antwort schnell gefunden, welches<br />
erst der Schlosser konnt’ sie öffnen, da kein Pieps aufs Klop-<br />
bei Kakao und einem Bierchen nieder, der Totengräber zeigte Werkzeug Emma meinte: klein Joseph lag da, die Nadel noch<br />
aus dem Fenster auf die brockenhaften Wanderer, die dunklen im Arm. HullaHupp-Reifen drehen ihre Runden im verlass’nen<br />
Stelzenläufer am Horizont, das sind die sieben Süchtigen des Supermarkt; wo keiner da ist, ist man frei; am Sonntag, wenn<br />
Verführers, merkte er an, außerdem zeigte er ihm die Feuerameisen,<br />
wie sie loderten im Zwielicht, die doppelten Gesich-<br />
Lebensmittel feiern Erntedank; an der Kassa sitzt der Schnell-<br />
kein Schlüssel sperrt, da hat das Spielzeug Kirtag und die<br />
ter, die sich gegenseitig aßen, die aus dampfendem Teer geformten<br />
Kinderschaukeln, die Sandgrube der Glassplitter, das Kopfsalat wird flügge und die Zwiebeln ziehen sich aus bis auf<br />
kochtopf und pfeift im Takt der herumeilenden Nudeln, der<br />
Schloss des grauenvollen Lachens, das bis hier rüber hallte, die nackte Haut. Jetzt neu und noch besser als je zuvor – kaufen<br />
Sie in wenig kleinen Raten die Lösung all Ihrer Probleme;<br />
und so ließen sie die Augen durch die Wildnis schweifen, bis<br />
der Junge sich zurück zum Tisch wandte und den Totengräber mit dem besten aller je verkauften Produkte werden Sie nicht<br />
ansah – warum wohnst du hier?, der Aussicht wegen; hast du nur glücklicher, nein, auch ihr soziales Ansehen steigt ins Unermessliche<br />
– wer sich das entgehen lässt, hat echt nicht alle<br />
keine Angst?, anfangs, als ich auf meinen Reisen hierher gelangte,<br />
ja, da hatte ich fürchterliche Angst, Sterbensangst, aber Schüsseln im Geschirrspüler – nutzen Sie dieses einmalige<br />
die Faszination aß schnell die Furcht, und so baute ich mein Angebot und Sie erhalten beim Kauf des ersten auch ein zweites<br />
noch dazu, vollkommen kostenlos!, und weil es das beste<br />
Haus hier hin – schließlich kam die Einsicht schnell, dass die<br />
da drüben bleiben, die haben kein Interesse, ihr Reich zu verlassen;<br />
nickend blickte der Kleine in seinen Kakao, und was, aller Angebote präsentieren dürfen, gibt es – exklusiv für<br />
Produkt der Welt ist und wir Ihnen hier und heute das beste<br />
Sie<br />
und nur heute – zum geschenkten zweiten besten Produkt<br />
aller Zeiten ein drittes bestes Produkt aller Zeiten gratis dazu!,<br />
Sie erhalten also nicht nur ein bestes Produkt aller Zeiten, sondern<br />
Sie erhalten zwei beste Produkte aller Zeiten zum ersten<br />
besten Produkt aller Zeiten geschenkt dazu, vollkommen gratis<br />
und kostenlos!, alles, was Sie dafür tun müssen, ist Ihr Telefon<br />
in die Hand nehmen, sich damit den Schädel einschlagen<br />
und uns ein Video von der Aktion schicken – und wenn Sie<br />
die ganze Zeit im Video so manisch grinsen wie Mary, kriegen<br />
Sie zu den zwei geschenkten besten Produkten aller Zeiten<br />
das ultimative Bonus-Extra-Spezial-Exklusiv-Geschenk dazu:<br />
dann erhalten Sie zu ihren drei besten Produkten aller Zeiten<br />
ein weiteres bestes Produkt aller Zeiten noch gratis dazu!, wer<br />
diese Chance nicht sofort ergreift, muss ein Riesen-Hornochse<br />
sein, was meinst du Mary? Genau John, genau hier hat mich<br />
der Bastard gestern mit seiner Nudel überrascht, einfach den<br />
Mantel aufgemacht, und mir sein Dralli entgegengehalten,<br />
ekelhaft, was kann man dagegen bloß machen?, ich habe<br />
Albträume von seinem stupiden Grinsen, immer wieder presst<br />
er durch die zusammengekniffenen Zähne: mal ziehen?, mal<br />
ziehen?, mal ziehen? – hier, nimm den Pfefferspray, wenn so<br />
was noch einmal passiert, voll drauf halten, das brennt denen<br />
ein, wem sie ihre Nudel zu zeigen haben, abscheuliche Pasta-Köche!<br />
Neuerdings sperrt Müller immer doppelt zu, bei<br />
allen Nachbar ist schon eingebrochen worden, jetzt ist er ein<br />
klein wenig paranoid, lieber doppelt zusperren, bevor auch<br />
mir einer auf den Esstisch kackt. Ein Flugzeug verschwand<br />
ohne Spur vom Himmel, niemand hat es seither wieder gesehen,<br />
nicht die Flugaufsichtsbehörde, nicht die Airline und auch<br />
nicht der Flughafen, den es eigentlich ansteuern hätte sollen<br />
– 239 Menschen irgendwo über dem Atlantik verschollen und<br />
jetzt allerorten Rätselraten – tatsächlich war es ja so, dass das<br />
Flugzeug, vom Fliegen müde, nach reiflich Überlegungen beschlossen<br />
hatte, von nun an Erdmännchen zu sein und unter<br />
der Erde zu leben; und so tauchte die Schnauze unter großem<br />
Gekreisch und Stoßgebet in ein Feld und verschwand elegant<br />
wie ein Regenwurm im dunklen Erdreich – lange wird es dort<br />
aber nicht mehr bleiben, denn einerseits geht der Proviant<br />
zu Ende, 239 Menschen halten nicht allzu lange bei dieser<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
RAUSCH<br />
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RAUSCH<br />
RAUSCH TEIL 9<br />
RAUSCH<br />
Körpergröße, und zweitens kommen dem Flugzeug langsam<br />
Zweifel, ob es untertage doch so kuschlig ist – und plötzlich<br />
ist die Boeing doch tatsächlich wieder am Radar – zu blöd<br />
nur, dass das Fliegen nicht wie Fahrradfahren ist, da stürzt das<br />
Ding trotz aller Übung in ein Haus und stirbt; blöde Terroristen,<br />
sagen wieder alle Leut, erst klauen sie ein Flugzeug, melden<br />
sich monatelange nicht, und dann jagen sie uns wieder so ein<br />
Haus in’d Luft – da muss man wirklich mal was dagegen unternehmen,<br />
gegen die Schufte.<br />
Im Nebel liegt ein See, darauf ein Schiff mit einem<br />
Segel, darunter ein schlangenhaftes Wesen, das Mythen<br />
prägt; im Boot der Angler, an der Angel ein Köder: Eingeweide<br />
vom jungen Kalb, mit Safran noch verfeinert, gilt doch das<br />
Ungetüm als großer Gaumen feiner Küche; das lange Warten<br />
bis zum Biss verkürzet man sich am besten durch ein Selbstgespräch,<br />
da geht es um die Inflation, die audiophilen Genüsse<br />
des aktuellsten Denon, das richtige Führen und Pflegen eines<br />
Kalenders, über das schnelle Querlesen und das ausführliche<br />
Genusslesen, die gestrigen Zickereien bei der Wahl zur Aprikosen-Königin<br />
und die eigentümlichen, neidvollen Blicke von<br />
denen, die durch die Finger schauten, da wurde von batteriebetriebenen<br />
Spitzern gesprochen, von der Waschleistung<br />
günstiger und teurer Spülmaschinentabs, vom langsamen<br />
Aussterben der Schuster und vom kommenden Revival, denn<br />
Wegwerfschuhe werden den Menschen immer mehr zuwider,<br />
die Wichtigkeit der lateinischen Sprache für die Welt, das Umstrukturieren<br />
der Garage, den Hagelschaden bei den Kolterfingers,<br />
den rätselhaften Verbleib der kleinen Anneliese, die kombinierten<br />
CO 2<br />
-Emissionen des neuen BMW im Vergleich zum<br />
neuen Mercedes und so weiter und so fort; als das Thema<br />
auf die hautfreundlichste Methode zur Haarentfernung kam,<br />
konnte das Untier sich nicht länger zurückhalten, es streckte<br />
seinen Schädel aus dem Wasser und schrie dem Angler<br />
ins Gesicht, dass das doch niemand aushielte, da bekomme<br />
man doch Migräne von dem ganzen Geschwafel, wenn er<br />
weiter so viel Scheiße reden würde, dann solle er ihm gleich<br />
das Messer in den Kopf rammen, denn länger hielte man das<br />
nicht mehr aus – also, alter Angler, pack dein Zeug und hau ab<br />
von meinem Dach, oder du bist einen Kopf kürzer!