Gǎidào Sonderausgabe: Solidarische Ökonomie
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Gai Dào<br />
<strong>Sonderausgabe</strong> N°8: <strong>Solidarische</strong> <strong>Ökonomie</strong> Sommer 2015<br />
21<br />
Unterschiede zwischen Kollektiven und herkömmlichen<br />
Betrieben mit tieferer Analyse von<br />
Unterschieden<br />
Von: Rya<br />
Bei der Beschäftigung mit kollektiv organisierter Arbeit fällt auf, dass es<br />
Unterschiede vor allem im Erleben von Arbeit gibt. Es existiert eine<br />
höhere Identifikation mit der Tätigkeit und dem Arbeitsplatz. Das trägt<br />
aber auch die Gefahr der Bereitschaft in sich, gewerkschaftlich<br />
erkämpfte Errungenschaften zu unterlaufen (z.B. Bereitschaft zur Arbeit<br />
unter Mindestlohn oder zu unbezahlter Arbeit/Mehrarbeit). Dabei ist<br />
aber auch zu beachten, dass dies vorerst eine These ist und der Text<br />
keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben kann. Bei der<br />
Zusammenfassung der Interviews und der daraus gewonnenen<br />
Erkenntnissen handelt es sich schließlich um keinen repräsentativen<br />
Querschnitt. Trotzdem wiederholten sich diverse Aussagen zu<br />
unterschiedlichen Themen. Daraus lässt sich schließen, dass es<br />
zumindest ähnliche Ansichten in unterschiedlichen Betrieben gibt.<br />
Warum gründet man einen Kollektivbetrieb oder steigt bei einem<br />
ein?<br />
In den meisten Fällen entsteht ein Kollektivbetrieb aus dem Wunsch der<br />
Beteiligten, ohne Chef*in arbeiten zu wollen. Dies kann aus dem<br />
eigenen negativen Erleben von hierarchischen Strukturen in Betrieben<br />
erfolgen, aber auch aus dem Ideal einer insgesamt herrschaftsfreien<br />
Gesellschaft. Damit einhergehend sind oft weitere Ideale von flexibler<br />
Arbeitsgestaltung, Mitbestimmung, Arbeit im Team, Abkehr vom<br />
Leistungsprinzip und Konkurrenz bis hin zur Hoffnung auf<br />
Überwindung des Kapitalismus durch Schaffung paralleler Strukturen.<br />
Vorteil empfunden. Dies betrifft aber z.B. bei Betrieben der<br />
Gastronomie nur das Innenverhältnis. Den Umgang mit<br />
möglicherweise sexistischer oder anderweitig diskriminierender<br />
Sprache von Gästen muss man gesondert thematisieren. Das<br />
Aufbrechen von geschlechtertypischer Arbeit gelingt aber auch in<br />
gemischten Kollektiven in Abgrenzung zu normalen Betrieben.<br />
Herkömmliche Druckereien ermöglichen Frauen* z.B. seltener die<br />
Bedienung großer Maschinen.<br />
Letztendlich muss aber generell die Sensibilität für mögliche<br />
Hierarchien erlernt werden, da wir in unserer aktuellen Gesellschaft<br />
einschließlich dem Bildungssystem und der politischen Ordnung<br />
hierarchisch sozialisiert wurden. Kommunen, Kooperativen und<br />
Kollektivbetriebe bieten hierfür gute und realistische Lernorte eines<br />
anderen Umgangs, Arbeitens und Lebens an.<br />
Grundsätzlich wird in allen Interviews deutlich, dass die Arbeit im<br />
Kollektiv als befriedigender als vergleichbare Arbeit in herkömmlichen<br />
Unternehmen empfunden wird. Dies basiert unter anderem eben auf<br />
dem Gefühl, an allen Entscheidungen und Plänen beteiligt zu sein.<br />
Wohlfühlen, fairer, menschlicher, freundschaftlicher Umgang hat für<br />
alle Beteiligten einen höheren Wert als bei Jobs,die dem reinen<br />
Lohnerwerb dienen. Hierarchisch organisierte Arbeit wird nicht als<br />
derart befriedigend empfunden.<br />
Das Hinterfragen, Identifizieren und Reflektieren von (möglichen)<br />
Hierarchien und das Streben nach Vermeidung dieser vollzieht sich in<br />
unterschiedlichen Formen. Offensichtlichere gesellschaftliche<br />
Hierarchien wie patriarchale Strukturen werden entsprechend genauso<br />
erfasst wie weniger deutliche, die u.a. durch Informationen oder<br />
Wissen/Fähigkeiten entstehen. Durch den auch Kollektiven auferlegten<br />
Zwang zum effizienten Wirtschaften lässt sich das Ideal der rotierenden<br />
Verteilung von Arbeit jedoch kaum durchhalten. Diesem Manko wird<br />
mit Transparenz und Kommunikation begegnet. Auch werden<br />
zumindest alle Aufgaben so besetzt, dass mindestens zwei Personen<br />
einen Bereich abdecken können. Eine solche Aufteilung ist nicht nur für<br />
Urlaubs- und Krankheitszeiten sinnvoll, sondern beugt auch einem<br />
möglichen Wissensvorsprung vor, beispielsweise bei Menschen, die die<br />
Bücher führen und die Finanzen verwalten.<br />
Bei reinen Frauenkollektiven stellt sich die Frage nach<br />
geschlechtertypischen Arbeiten oder diskriminierenden<br />
Einstellungsverfahren nicht. In den jeweiligen Kollektiven wird dies als<br />
Die vorangegangenen Erläuterungen verdeutlichen, dass Arbeit im<br />
Kollektivbetrieb (oder auch Zusammenleben in Kommunen) auf<br />
Vertrauen und Sympathie basiert. Es ist daher nachvollziehbar, dass<br />
nahezu alle Kommunen und Kollektivbetriebe längere Probezeiten<br />
vereinbaren. Diese können natürlich auch als Machtstruktur oder<br />
-instrument empfunden werden. Leider ist es für ein langfristig<br />
funktionierendes System aber derzeit schwer, dies zu umgehen.<br />
Entscheidungsfindung in hierarchiearmen Strukturen<br />
Um dem Anspruch an Hierarchiefreiheit zu genügen oder zumindest<br />
nahe zu kommen, kommt Entscheidungsprozessen eine besondere<br />
Bedeutung zu. Als zumeist präferiertes System ist die Entscheidung im<br />
Konsens zu nennen. Meist wird dies kombiniert mit wöchentlichen<br />
Plenumssitzungen, die als Arbeitszeit angesehen werden und mehrere<br />
Stunden dauern können. Unterschieden wird in mehreren Kollektiven<br />
zwischen Arbeitsplena und wahlweise sozialen oder auch<br />
Perspektivplena. Mit zunehmender Größe der Strukturen ist eine<br />
Ausdifferenzierung der Entscheidungsprozesse zu beobachten, was