Gǎidào Sonderausgabe: Solidarische Ökonomie
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Gai Dào<br />
<strong>Sonderausgabe</strong> N°8: <strong>Solidarische</strong> <strong>Ökonomie</strong> Sommer 2015<br />
gelegentlich von Menschen als langsamer/träger bei Entscheidungen<br />
empfunden wird. Das in den geführten Interviews komplexeste System<br />
weist eine große Kommune auf (welche hier trotz des Fokusses auf<br />
Kollektivbetrieben erwähnt wird, weil sie unterschiedlichste<br />
Kollektivbetriebe integriert). Hier wird im wöchentlichen Plenum zwar<br />
mit Meinungsbildern etc. abgestimmt, Diskussionen werden aber<br />
ausgelagert in Kleingruppen. Eine zu treffende Entscheidung muss<br />
mindestens zwei Wochen an der Pinnwand angekündigt werden, so<br />
dass allen Kommunard*innen genügend Zeit bleibt sich mit dem<br />
Problem zu befassen. Es gibt dann unterschiedlichste Kategorien bei<br />
Café Morgenrot<br />
Branche: Gastronomie<br />
Stadt: Berlin<br />
Rechtsform: Eingetragener Verein mit wirtschaftlichem<br />
Betrieb<br />
existiert seit: 2002<br />
Kollektivist*innen: 11 (Juni 2014)<br />
Als das Café Morgenrot 2002 eröffnete, bestand das Publikum<br />
noch zu einem großen Teil aus Szene-Linken. Heute<br />
wird das Café im Prenzlauer Berg größtenteils von Tourist*innen<br />
und Mittelständlern aufgesucht.<br />
Die 11 Kollektivist*innen können auf einen größeren Pool<br />
an Aushilfen zurückgreifen und es wird immer wieder das<br />
Hierarchiegefälle zwischen den beiden Gruppen diskutiert,<br />
nicht zuletzt da ein Großteil der Aushilfen einen migrantischen<br />
Hintergrund hat. Der Stundenlohn jedoch ist für alle<br />
gleich.<br />
!<br />
einer Abstimmung, z.B. die Möglichkeit, den Fachkundigen die<br />
Entscheidung zuzutrauen und quasi zu delegieren. Aber auch<br />
abgestufte Varianten von Zustimmung und Ablehnung. Zusätzlich wird<br />
abgefragt, ob eine mögliche Entscheidung existentiell ist (also ob man<br />
aussteigen müsste, wenn diese Entscheidung so getroffen würde oder<br />
umgekehrt, ob man aussteigen müsste, wenn diese Entscheidung so<br />
nicht getroffen würde). Auffällig war hier darüber hinaus die sehr<br />
tiefgehende Reflexion von diversen nicht so offensichtlichen<br />
Hierarchien, wie z.B. durch Beliebtheit einzelner Personen innerhalb<br />
der Gemeinschaft. Solche nicht so direkt sichtbaren sozialen<br />
Dynamiken bekommen gerade in Strukturen, in denen es über<br />
gemeinsames Arbeiten hin zum gemeinsamen Gestalten des ganzen<br />
Lebens geht, noch eine größere Bedeutung als in reinen<br />
Kollektivbetrieben. Aber auch im Kollektivbetrieb bieten Differenzen<br />
im zwischenmenschlichen Bereich das größte Konfliktpotential. Die<br />
Bewältigungsstrategien sind dabei sehr unterschiedlich. Es kommt<br />
deshalb immer wieder zu personeller Umbesetzung aufgrund solcher<br />
Konflikte, die ein Kollektiv auch nachhaltig verändern können ins<br />
Positive, aber auch zum Scheitern führen können.<br />
Meinungsverschiedenheit alleine muss dabei keinen Konflikt auslösen,<br />
solange es keine verhärteten Fronten gegeneinander gibt und die<br />
Entscheidungen entsprechend jedes Mal mit neuen Allianzen getroffen<br />
werden können. In wirklich ernsten Konfliktfällen greifen mehrere<br />
Kollektive auf Hilfe von außen zurück in Form von Supervision oder<br />
Mediation. Dies unterscheidet Kollektive nicht notwendigerweise von<br />
normalen Unternehmen, jedoch ist der Wunsch, eine gemeinsame<br />
Lösung zu finden, eventuell höher aufgrund der stärkeren Identifikation<br />
mit dem Kollektiv und der schon anfangs erwähnten wichtigen<br />
Vertrauensbasis, die bei neuen Kollektivist*innen auch erst einmal<br />
aufgebaut werden müsste. Anders als in herkömmlichen Unternehmen<br />
fehlen aber eben Führungspersonen, die regulierend eingreifen könnten<br />
im Konfliktfall, was die Verantwortung auf jedes einzelne<br />
Kollektivmitglied überträgt, an der Konfliktlösung mitzuarbeiten und<br />
diese Lösung dann aber vermutlich auch stärker zu akzeptieren als bei<br />
einer von oben aufdiktierten Variante.<br />
Arbeitsorganisation und Entlohnung<br />
Es liegt aufgrund der geführten Interviews die Vermutung nahe, dass<br />
die Arbeit in Kollektivbetrieben Menschen zufriedener macht. Zwar<br />
lässt sich damit der Zwang zur Erwerbsarbeit nicht auflösen, jedoch<br />
empfinden viele Menschen bei der Arbeit im Kollektivbetrieb mehr<br />
Sinnhaftigkeit für ihr Tun. Das ist sicherlich zunächst positiv zu sehen,<br />
birgt aber auch die Gefahr der Bereitschaft unter tariflichen Standards<br />
zu arbeiten oder gar auf Lohn ganz zu verzichten aufgrund anderer<br />
Einkünfte. In den von uns besuchten Kollektivbetrieben wird Arbeit<br />
mehrheitlich in wöchentlichen Plena geplant und verteilt. Dies<br />
beinhaltet dementsprechend auch die unangenehmen Aufgaben oder<br />
die Aufgaben, bei denen eine klare Verantwortlichkeit fehlt. Spannend<br />
gestalten sich diese Diskussionen z.B. bei Kollektiven wie einem<br />
Praxiskollektiv, weil es Aufgaben gibt, welche nicht klar der Gruppe der<br />
Ärzt*innen oder Nicht- Ärzt*innen zugerechnet werden können. Hier<br />
bieten sich Möglichkeiten Hierarchien aufzubrechen.<br />
Problematisch bleibt die Frage, ob Kollektive Aushilfen beschäftigen