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Hinz&Kunzt 266 April 2015

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Das Hamburger Straßenmagazin<br />

N° <strong>266</strong> <strong>April</strong> <strong>2015</strong><br />

Moin,<br />

Chicas!<br />

Ein Mann, zwei<br />

Seiten: Mode-Ikone<br />

Jorge González hat<br />

für sein freies Leben<br />

hart gekämpft.<br />

Umstritten: Wie TTIP Hamburg verändern könnte.<br />

Unerträglich: Mindestens 800 Menschen werden wieder obdachlos.<br />

Unkaputtbar: In Hamburgs Plattenläden wird Vinyl gefeiert.<br />

1,90 EURO<br />

(davon 1 Euro für den Verkäufer/die Verkäuferin)


Die erneuerbaren Lesetage<br />

Lesen ohne Atomstrom<br />

22.–27. <strong>April</strong> <strong>2015</strong><br />

Dennis Meadows, Vandana Shiva, Bill McKibben, Ole von Uexküll<br />

22.4. Patriotische Gesellschaft<br />

Michael Otto, Wolfgang Huber, Mojib Latif<br />

23.4. Kulturkirche<br />

Andrea Maria Schenkel, Simone Buchholz<br />

23.4. Theatersalon 2te Heimat<br />

Christian Redl & Vlatko Kucan<br />

24.4. Völkerkundemuseum<br />

Deine Freunde<br />

25.4. Fischmarkt<br />

ˆ<br />

Marc Elsberg, Peter Schaar, Hubert Seipel, Wolfgang Nesković<br />

25.4. Zentralbibliothek<br />

Gregor Gysi, Jürgen Roth, Wigbert Löer, Oliver Schröm, Sascha Adamek, Rainer Burchardt<br />

26.4. Zentralbibliothek<br />

Nina Hagen, Günter Grass<br />

26.4. Ohnsorg-Theater<br />

Anna Thalbach, Natja Brunckhorst, Kai Hermann, Sonja Vukovic, Herbert Schalthoff u. v. a.<br />

27.4. Fabrik<br />

www.lesen-ohne-atomstrom.de<br />

Eintritt frei


Inhalt<br />

WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

FOTOS: KATRIN VIERKANT/JUNIUS VERLAG, DMITRIJ LELTSCHUK<br />

42<br />

Titel: Laufstegtrainer Jorge González – ein Mann<br />

geht mit BRAVOUR seinen Weg.<br />

TITELBILD: DANIEL CRAMER<br />

Stadtgespräch<br />

04 Voll bürgerlich!<br />

Die Patriotische Gesellschaft<br />

von 1765 wird 250 Jahre alt:<br />

ein Gang durch ihr Haus<br />

10 Zahlen des Monats<br />

Modekonzerne zahlen den<br />

Opfern des Fabrikeinsturzes<br />

in Bangladesch nicht genug<br />

Entschädigung<br />

12 Für Flaschensammler tut sich was<br />

Nach der Testphase darf auf dem<br />

Hamburger Flughafen wieder<br />

gesammelt werden<br />

14 Land in Sicht<br />

Hinz&Künztler Kasimir fand<br />

morgens Schiffchen aus Geld<br />

28<br />

16 TTIP – so nicht!<br />

Was sich durch das Handelsabkommen<br />

in Hamburg verändern kann<br />

26 Winternotprogramm in Deutschland<br />

Die Kältehilfe in großen Städten<br />

reicht oft nicht aus<br />

28 Läuft bei euch!<br />

Das neue Buch „Recorded“ feiert<br />

Hamburgs Plattenläden<br />

Lebenslinien<br />

34 Wild ist ihre Lieblingsfarbe<br />

Die Künstler Artur Dieckhoff und<br />

Klaus Raasch zeigen Arbeiten aus<br />

der Werkstatt „Schwarze Kunst“<br />

Freunde<br />

38 Bahn macht für Verkäufer mobil<br />

Von der Spende der Bahn kaufen<br />

wir Fahrkarten für Hinz&Künztler<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

42 Ich bin okay so<br />

Jorge González über sein Leben<br />

abseits des Laufstegs<br />

46 Hamburger Dokumentarfilmwoche<br />

Vier Empfehlungen nicht nur<br />

für Cineasten<br />

48 20 Tipps für den <strong>April</strong><br />

52 Ein Held aus Trotz<br />

Autor Frank Schulz hat mit Hartz-<br />

IV-Detektiv Onno Viets eine neue<br />

Romanfigur geschaffen<br />

54 Momentaufnahme<br />

Hinz&Künztler Rolf<br />

Rubriken<br />

24 Meldungen<br />

40 Buh&Beifall<br />

53 Rätsel, Impressum<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

jedes Jahr um diese Zeit das Gleiche:<br />

Das Winternotprogramm endet und<br />

mindestens 800 Obdachlose werden<br />

wieder auf die Straße entlassen (Seite<br />

26). Das Schlimmste: Die meisten Obdachlosen<br />

sind schon länger auf der<br />

Straße. Viele nutzen seit Jahren das<br />

Winternotprogramm, immer wieder.<br />

Und es gibt inzwischen nicht mal mehr<br />

Plätze in den Dauerunterkünften, von<br />

Wohnungen ganz zu schweigen. Und so<br />

bleibt vielen nichts anderes übrig, als bis<br />

zum nächsten November zu warten, bis<br />

das nächste Winternotprogramm wieder<br />

öffnet.<br />

Wenn einer doch mal eine Wohnung<br />

findet, dann ist das wie ein Sechser<br />

im Lotto. Rolf (Seite 54) hatte gerade<br />

dieses Glück. Der Mann, der immer der<br />

große Schweiger war, taut richtig auf.<br />

Noch eine schöne Geschichte: Wir<br />

waren wieder am Flughafen, um zu<br />

schauen, wie die Testphase mit den Flaschensammlern<br />

(Seite 12) läuft. Und<br />

wurden vom Management komplett<br />

überrascht. Im Terminal soll Flaschensammeln<br />

definitiv erlaubt sein, nur vor<br />

den Sicherheitsabsperrungen nicht:<br />

Dort sollen Flaschensammler fest angestellt<br />

werden, die regelmäßig die Flaschenkörbe<br />

leeren.<br />

Zäher läuft es mit der Stadtreinigung<br />

und den Pfandregalen in der Innenstadt.<br />

Dort müssen wir wieder mehr<br />

Gespräche führen. Eigentlich müsste<br />

das geschmeidiger laufen, schließlich<br />

hat der Senat sogar Geld bereitgestellt.<br />

Ihr Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Team<br />

04<br />

Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk<br />

3


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>266</strong>/ APRIL <strong>2015</strong><br />

Voll bürgerlich!<br />

Seit 250 Jahren gibt es in Hamburg die Patriotische Gesellschaft von 1765.<br />

Von Anfang an mischen die Mitglieder sich überall dort ein, wo es brennt<br />

in der Hansestadt – ganz überparteilich und überkonfessionell, denn sie fühlen<br />

sich nur dem Gemeinwohl der Stadt verpflichtet. Wir gratulieren!<br />

TEXT: MISHA LEUSCHEN<br />

FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK<br />

M<br />

itten im Herzen Hamburgs<br />

steht das Gebäude<br />

der Patriotischen Gesellschaft<br />

von 1765 wie eine<br />

Trutzburg an der Trostbrücke. Was hinter<br />

den dicken Mauern vor sich geht,<br />

darüber wissen die wenigsten Hamburger<br />

Bescheid. Das soll nun anders werden.<br />

„Exakt am 250. Gründungstag,<br />

dem 11. <strong>April</strong>, rollen wir den Bürgern<br />

am Tag der offenen Tür den roten Teppich<br />

aus“, erklärt Geschäftsführerin<br />

Wibke Kähler-Siemssen. Neben vielen<br />

Veranstaltungen wird dann zum ersten<br />

Mal auch das sanierte Haus präsentiert.<br />

„Wir wollen uns nicht selbst beweihräuchern,<br />

sondern wir wollen die richtigen<br />

Menschen als neue Mitglieder gewinnen.<br />

Menschen, die unsere Haltung mittragen,<br />

die aufgeklärt und überparteilich<br />

sind, überkonfessionell und dem<br />

Gemeinwohl verpflichtet.“<br />

In der Patriotischen Gesellschaft tun<br />

sich kluge Köpfe freiwillig zusammen,<br />

weil sie in der Stadt etwas bewegen wollen.<br />

So war es schon 1765, als sich die<br />

Honoratioren der Stadt im Sinne der<br />

Aufklärung zusammenfanden, um Gutes<br />

zu tun. Viel haben sie seither auf den<br />

Weg gebracht: Die erste Sparkasse in<br />

Europa hätte es ohne sie ebenso wenig<br />

gegeben wie die Hamburger Bücherhallen,<br />

das Berufsschulwesen, Hochschulen<br />

oder das Museum für Kunst<br />

und Gewerbe.<br />

Die Patriotische Gesellschaft vereinigt<br />

viele Interessen unter ihrem Dach. „Als<br />

ich hier anfing, lief ich wie ein Kind<br />

durch den Süßwarenladen und dachte:<br />

Das darf ich auch alles kennenlernen!“,<br />

erinnert sich Wibke Kähler-Siemssen.<br />

Die Mitglieder treffen sich in Arbeitskreisen<br />

und Projektgruppen, engagieren<br />

sich für Kultur und Bildung, für Stadtentwicklung<br />

oder interkulturelles Leben,<br />

„Wir wollen uns<br />

nicht selbst<br />

beweihräuchern.“<br />

WIBKE KÄHLER-SIEMSSEN<br />

für Denkmalschutz oder für Familien<br />

mit Kindern. Der Verein ist darüber hinaus<br />

als Förderin, Preisstifterin und Mitgesellschafterin<br />

– zum Beispiel bei<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> – aktiv.<br />

Dass der Verein noch immer einen<br />

elitären Ruf hat, ist der Geschäftsführerin<br />

bewusst. „Menschen suchen Exklusivität“,<br />

stellt sie fest. „Aber unsere Exklusivität<br />

ist Bereitschaft zur Mitarbeit.“<br />

Als Geschäftsführerin muss Wibke Kähler-Siemssen<br />

alle Fäden zusammenhalten,<br />

auch während der oft aufreibenden<br />

4<br />

Bautätigkeit. „Ich finde es spannend,<br />

wie hanseatisch es ist, dass man ein<br />

Haus für den Bürgersinn nicht nur für<br />

die Bürger gebaut hat“, sagt sie lachend.<br />

„Die Premiumlage war beim Bau natürlich<br />

für Geschäfte reserviert. Darüber<br />

durfte man gemeinnützig sein. Aber das<br />

Kapital, also das Haus, muss Geld verdienen“<br />

– bis heute. Wo früher Geschäfte<br />

waren, wird es ab Herbst ein verpachtetes<br />

Restaurant hinter bodentiefen<br />

Fenstern geben, mit Außenplätzen auf<br />

dem dann verbreiterten Trottoir.<br />

Es läuft also. Nur der Name bleibt<br />

sperrig. „Der Begriff des Patriotismus<br />

ist nicht per se positiv aufgeladen“,<br />

weiß sie, „er hat Widerhaken und ist<br />

unbequem.“ Auch deshalb wird eine<br />

Veranstaltungsreihe unter dem Titel<br />

„Was ist patriotisch?“ im Jubiläumsprogramm<br />

der heutigen Bedeutung von<br />

Patriotismus nachgehen. Sich von Pegida<br />

abzugrenzen war dem Vorstand so<br />

wichtig, dass er eine Stellungnahme abgab.<br />

Die Organisatoren seien „populistische<br />

Extremisten“, heißt es da. Man<br />

trete mit aller Entschiedenheit dem<br />

sprachlichen Betrug und dem ungenierten<br />

Missbrauch politischer und kultureller<br />

Traditionen entgegen, mit denen<br />

Enttäuschte, Orientierungslose<br />

und Verunsicherte irregeführt und zur<br />

Unterstützung nationalistischer, rassistischer<br />

und extremistischer Positionen<br />

instrumentalisiert würden.


Architekt Joachim Reinig hat die<br />

Herkulesaufgabe übernommen,<br />

das seit 1923 unter Denkmal-<br />

schutz stehende Gebäude zu<br />

SANIEREN. Eine Öffnung in<br />

die Stadt, Nachhaltigkeit und gute<br />

Vermietbarkeit der Räume stehen<br />

bei der baulichen Ausrichtung für<br />

die Zukunft im Vordergrund.<br />

5


Patin Bianca Mariß (links) ist stolz auf „ihre“<br />

DIESTERWEG-FAMILIE: Serdar, Mutter Serpin<br />

und Vater Ismail. Die Patin unternimmt ganz alltägliche<br />

Dinge mit Serdar, geht mit ihm mal ins Kino oder<br />

ins Planetarium. „So lernen wir uns besser kennen und<br />

entdecken die Lebenswelt des jeweils anderen.“<br />

Die Patriotische Gesellschaft steht<br />

… für Öffnung in die Stadt<br />

Dem Architekten Joachim Reinig haben<br />

es seine Vorgänger nicht leicht gemacht.<br />

Nach dem großen Brand von 1842 baute<br />

Theodor Bülau den heutigen Sitz der<br />

Patriotischen Gesellschaft im neugotischen<br />

Stil – dort, wo zuvor das alte,<br />

beim Brand zerstörte Rathaus stand. In<br />

den 20er-Jahren wurde das Gebäude<br />

um vier Geschosse aufgestockt.<br />

In den Feuerstürmen 1943 brannte<br />

das Gebäude aus. Der Wiederaufbau<br />

durch den Architekten Friedrich Ostermeyer<br />

dauerte zehn Jahre, 1957 wurde<br />

das Haus fertiggestellt. Auch diesmal<br />

war keine Öffnung zu spüren, man<br />

wollte wohl die Aussicht auf die zerstörte<br />

Stadt vermeiden, mutmaßt Reinig.<br />

„Einerseits habe ich das, was meine Vorgänger<br />

gegen den Geist der Aufklärung<br />

entwickelt haben, zu respektieren“, erklärt<br />

er seine Aufgabe. „Andererseits gilt<br />

es, das Gebäude für heutige Aufgaben<br />

zu öffnen.“ Aufwendige Umbau- und<br />

Sanierungsarbeiten schaffen nun eine<br />

Verbindung in die Stadt, lassen Licht<br />

hinein und erlauben Blicke ins Innere,<br />

das bisher verborgen war.<br />

„Führung und<br />

Menschlichkeit<br />

schließen sich<br />

nicht aus.“ STEFAN BÖTTGER<br />

… für Perspektivwechsel<br />

Bei seinem ersten Einsatz als Seiten-<br />

Wechlser ging’s für Stefan Böttger gleich<br />

raus aus der Komfortzone: An diesem<br />

eisigen Morgen im Februar 2012 fuhr<br />

der Leiter Vermögensberatung in der<br />

6<br />

Region Innenstadt der Haspa nicht mit<br />

dem geheizten Auto, sondern machte<br />

sich mit Bus, Hadag-Fähre und U-Bahn<br />

vom Eigenheim in Finkenwerder auf<br />

zum JesusCenter in der Schanze. „Vor<br />

der Tür standen ein paar Jungs, die eine<br />

Flasche Wodka köpften – morgens um<br />

neun“, sagt Böttger. „Die guckten und<br />

meinten: Du kommst hier noch nicht<br />

rein! Da wusste ich: Beim Dresscode<br />

hab ich alles richtig gemacht.“<br />

Das Jesuscenter ist Anlaufstelle für<br />

Menschen in Not, vor allem für Obdachlose<br />

– und Partner des Programms<br />

SeitenWechsel, einem Weiterbildungsangebot<br />

für Führungskräfte. Eine Woche<br />

lang kriegen Manager dabei eine<br />

kräftige Dosis Leben ab – als Praktikanten<br />

in Einrichtungen für Wohnungslose,<br />

für Behinderte oder Suchtkranke, im<br />

Gefängnis oder im Hospiz. SeitenWechsel<br />

entstand in der Schweiz. Seit 15 Jahren<br />

gibt es einen deutschen Ableger, der<br />

zur Patriotischen Gesellschaft gehört.


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Stadtgespräch<br />

Leiterin Doris Tito ist von Anfang an<br />

dabei. „Das Schwierigste ist, Personaler<br />

in Unternehmen für uns zu gewinnen“,<br />

weiß sie. Manche schicken erst mal<br />

‚Testpiloten‘, die den SeitenWechsel<br />

ausprobieren, so auch die Haspa. Seither<br />

nehmen regelmäßig Mitarbeiter der<br />

Sparkasse im Rahmen ihrer Fortbildung<br />

daran teil. So kam auch Stefan Böttger<br />

dazu. Sein Fazit: „Führung und<br />

Menschlichkeit schließen sich nicht<br />

aus.“ Beim Mitternachtsbus ist er dabeigeblieben,<br />

einmal im Monat fährt er<br />

mit. Und manchmal, so freut er sich,<br />

erkennt auch jemand den Praktikanten<br />

Stefan aus dem Jesuscenter wieder.<br />

Das Thema von Eckehard Herrmann und Thomas<br />

Klindt ist STADTENTWICKLUNG, weil es alle<br />

Bereiche tangiert. „Es geht darum, wie wir miteinander<br />

leben wollen.“ Darum wird im elfköpfigen Arbeitskreis,<br />

dem sie vorsitzen, ordentlich gerungen bei Themen wie<br />

Bürgerbeteiligung, Olympia, Stadtbahn oder Inklusion.<br />

... für einen guten Start<br />

Sechs Jahre ist es her, dass Serdar mit<br />

seinen Eltern und seiner zehn Jahre älteren<br />

Schwester von Russe in Bulgarien<br />

nach Hamburg gekommen ist. Familie<br />

Ramadan sah in ihrer Heimat an der<br />

Grenze zu Rumänien keine Perspektive.<br />

„Es gab keine Arbeit, wir haben alles<br />

verloren“, erzählt Vater Ismail. Für Serdar<br />

war der Umzug kein Problem. „Ich<br />

habe Deutsch gelernt, indem ich mit<br />

meinen Freunden draußen war. In drei<br />

Monaten habe ich Deutsch gesprochen“,<br />

erzählt der Zwölf-Jährige stolz.<br />

Für seine Mutter Serpin war es ohne<br />

deutsche Sprache schwer, sich zu integrieren.<br />

Doch sie fand schnell einen<br />

Job, heute arbeitet sie beim HVV. Ihr<br />

Mann, der in Bulgarien PC-Systeme gefertigt<br />

hatte, hat Arbeit bei einem Teppichhändler<br />

in der Speicherstadt gefunden.<br />

Für die Kinder stecken sie zurück.<br />

So konnten sie ihr Glück nicht fassen,<br />

als Serdar für das Diesterweg-Stipendium<br />

ausgewählt wurde.<br />

Die Patriotische Gesellschaft ist Träger<br />

für das erste Familienbildungsstipendium<br />

in Deutschland. Es unterstützt begabte<br />

Kinder aus sozial benachteiligten<br />

Stadtteilen beim Übergang auf die weiterführende<br />

Schule. Das Besondere: Das<br />

Stipendium ist keine Geldleistung, son-<br />

7


dern eine intensive Förderung für die<br />

Kinder und ihre Familien: die „Diesterweg-Familien“.<br />

Dazu gehören Exkursionen,<br />

Ferienkurse und Familienbildungsangebote,<br />

aber auch Beratungen, etwa<br />

bei der Wahl der weiterführenden Schule,<br />

und finanzielle Unterstützung bei der<br />

Anschaffung von Lernmitteln.<br />

„Mir gefällt die<br />

spezifische Art<br />

einer Toleranz von<br />

Individuen.“ MARLIS ROSS<br />

SeitenWechsel-Leiterin Doris Tito und SeitenWechsler<br />

Stefan Böttger. Der Haspa-Manager arbeitete als<br />

Praktikant im JesusCenter, er begleitete die Ärztin des<br />

Pik As und fuhr mit dem Mitternachtsbus. Was der<br />

SEITENWECHSEL für seinen Beruf gebracht hat?<br />

„Man kommt nicht zurück und macht alles anders.<br />

Aber es hat mir möglich gemacht, meine Verantwortung<br />

als Führungskraft bewusster zu sehen.“<br />

Auswahlkriterien für die Familien<br />

sind die drei großen Bs, erläutert Projektleiterin<br />

Christiane Mettlau: Begabung<br />

der Kinder, Bereitschaft der Eltern<br />

zur Mitarbeit, eine Benachteiligung<br />

ihrer Lebenslage. Den Familien wird<br />

gehörig auf den Zahn gefühlt, denn sie<br />

sollen sich für zwei Jahre auf ein umfangreiches<br />

Programm einlassen. Museen,<br />

Theater, Ausflüge gehören dazu, um<br />

den kulturellen Raum zu entdecken.<br />

Um den deutschen Alltag besser<br />

kennenzulernen, stehen den Familien<br />

Paten zur Seite. Bei den Ramadans ist es<br />

Bianca Mariß, eine junge, voll berufstätige<br />

Frau, die dem Beirat der Patriotischen<br />

Gesellschaft angehört. Die Chemie<br />

stimmt zwischen der Familie und<br />

der Patin, die sehr stolz auf Serdar ist.<br />

Der lebhafte Junge geht mittlerweile<br />

in die 6. Klasse des Hansa-Gymnasiums,<br />

das seine Familie zusammen mit<br />

seiner Patin für ihn ausgesucht hat.<br />

Auch hier ist er – wie schon in der<br />

Grundschule – Klassensprecher. Sein<br />

Berufswunsch? „Irgendwas mit Autos“,<br />

sagt der Sportwagenfan. Bei Marke, PS<br />

oder Baujahr macht ihm schon heute<br />

keiner was vor.<br />

8


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Stadtgespräch<br />

… für Freigeistigkeit<br />

Auf vielen Zetteln hat Marlis Roß notiert,<br />

was sie loswerden möchte im Gespräch.<br />

Bei ihren zahlreichen Ehrenämtern<br />

muss sie schon mal nachgucken,<br />

damit sie keines vergisst – trotz ihres<br />

exzellenten Gedächtnisses. Vier Jahre<br />

lang war sie im Beirat und im Vorstand,<br />

sie sitzt im Kuratorium des Holger-Cassens-Preises<br />

und der Dorothea-Wilhelm-Stiftung,<br />

ist im Stiftungsvorstand<br />

der Bücherhallen, Mitglied der Stolperstein-Gruppe<br />

und in der Projektgruppe<br />

Salon. „Das ist schon alles“, sagt sie<br />

ganz ohne Ironie.<br />

Sich für politisch verfolgte Menschen<br />

zu engagieren, das ist das große<br />

Lebensthema der 1937 geborenen<br />

Hamburgerin. 27 Jahre lang war sie<br />

Mitglied bei Amnesty International. Die<br />

klare Stellungnahme der Patriotischen<br />

Gesellschaft zu den ausländerfeindlichen<br />

Brandanschlägen in Mölln 1992<br />

und Solingen 1993 brachte Marlis Roß<br />

in Kontakt. 2001 wurde sie Mitglied.<br />

„Mir gefällt die spezifische Art einer Toleranz<br />

von Individuen und nicht von<br />

Gruppen“, sagt sie. „Diese selbstverständliche<br />

Akzeptanz, dass man zuhört<br />

und sich auseinandersetzt.“ Dem Gedanken<br />

der Aufklärung fühlt sie, die<br />

Philosophin, sich besonders verpflichtet.<br />

„Ich habe gelernt, dass ich keine Angst<br />

haben muss, meine Meinung zu sagen.“<br />

Dazu gehört auch, sich kritisch mit<br />

dem Begriff des Patriotismus auseinanderzusetzen.<br />

Zu den Motiven der selbst<br />

ernannten Patrioten von Pegida hat sie<br />

ihre ganz eigene Theorie: Sie seien<br />

sie nicht richtig informiert. „Und ich<br />

denke, das ist ein Problem der Vereinsamung<br />

vor und mit den Medien. Und<br />

Einsamkeit führt zu mangelndem<br />

Selbstbewusstsein.“ •<br />

Marlis Roß, MITGLIED der<br />

Patriotischen Gesellschaft, schrieb<br />

2007 ein Buch über den Ausschluss<br />

der jüdischen Mitglieder 1935.<br />

„Der damalige Vorstand wollte<br />

das zunächst nicht, förderte aber<br />

schließlich den Druck des Buches.“<br />

Johannes Jörn gehört zum<br />

VORSTAND, Wibke Kähler-<br />

Siemssen ist Geschäftsführerin<br />

der Patriotischen Gesellschaft.<br />

Mit sozialer Arbeit sichtbar zu<br />

sein, das ist Johannes Jörn bei<br />

seiner Mitgliedschaft wichtig.<br />

Der Verein ist neben der<br />

Diakonie zweiter Gesellschafter<br />

bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Jörn sitzt in<br />

der Gesellschafterversammlung.<br />

9


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Stadtgespräch<br />

Zahlen des Monats<br />

Modekonzerne stehlen sich<br />

aus der Verantwortung<br />

Zwei Jahre nach dem Einsturz einer Textilfabrik in<br />

Rana Plaza (Bangladesch) sind bei Weitem nicht alle Opfer entschädigt worden.<br />

8,5 Millionen Euro<br />

mindestens fehlen dafür laut der Hilfsorganisation Inkota. Ein Fonds soll sicherstellen,<br />

dass Hinterbliebene und Verletzte eine Entschädigung erhalten. Doch nicht alle Modehersteller,<br />

die in der Fabrik Kleidung produzieren ließen, haben einen Beitrag geleistet.<br />

Von den sechs deutschen Unternehmen, die in moralischer Verantwortung stehen,<br />

haben drei noch gar nicht in den Fonds eingezahlt und drei nach Einschätzung von Inkota<br />

zu wenig. Kik hat 875.300 Euro überwiesen, die Firma Güldenpfennig 437.650 Euro<br />

und die Norderstedter Firma Kappa 43.765 Euro. Die Unternehmen Adler Modemärkte,<br />

Kanz – Kids Fashion Group und NKD haben sich bislang um jede Zahlung gedrückt.<br />

Kanz – Kids Fashion Group und Güldenpfennig ließen wiederholte Nachfragen von<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> unbeantwortet. Kik ließ wissen, das Unternehmen habe „die Entwicklung<br />

des Rana Plaza Treuhandfonds von Anbeginn mitgestaltet“. Kappa verwies darauf,<br />

dass die Firma nur einen Auftrag „in einem begrenzten Zeitraum von wenigen Wochen<br />

in der durch den Einsturz betroffenen Fabrik … produzieren ließ“, der vor<br />

dem Unglück abgeschlossen worden sei. Die Zahlung begreift die Firma als „Spende“.<br />

Die Adler Modemärkte teilten mit, sie hätten „zu keinem Zeitpunkt Geschäftsverhältnisse<br />

mit Firmen aus dem Rana-Plaza-Komplex“ gehabt. Und NKD verwies auf eigene<br />

Untersuchungen vor Ort und erklärte: „NKD hat zum Unfallzeitpunkt bei keinem der in<br />

Rana Plaza ansässigen Unternehmen produzieren lassen.“<br />

Bislang haben erst 40 Prozent der Betroffenen Geld ausbezahlt bekommen.<br />

Deshalb fordern Hilfsorganisationen „klare Haftungspflichten für Unternehmen,<br />

damit diese für die Entschädigung der Opfer der vernachlässigten Sorgfaltspflicht<br />

aufkommen“. Die Fabrik in Rana Plaza war zum Zeitpunkt des Unglücks völlig überfüllt<br />

und marode. Solche Zustände sind in Billiglohnländern wie Bangladesch, in denen<br />

Modekonzerne wegen der niedrigen Kosten gerne produzieren lassen, weit verbreitet.<br />

Beim Einsturz der Textilfabrik im <strong>April</strong> 2013 waren 1138 Menschen<br />

ums Leben gekommen, weitere 2400 wurden verletzt. •<br />

TEXT: ULRICH JONAS; ILLUSTRATION: KÄTHE SCHÖNLE<br />

Mehr Infos unter www.saubere-kleidung.de und www.ranaplaza-arrangement.org<br />

11


Im Getümmel am<br />

FLUGHAFEN<br />

fallen die<br />

Pfandsammler<br />

kaum auf.<br />

Für Flaschensammler<br />

tut sich was<br />

Am Flughafen läuft es jetzt gut mit den Flaschensammlern: Probeweise dürfen sie wieder sammeln, die<br />

Verwaltung feilt an einem tragfähigen Konzept. In der Innenstadt sollen weitere Pfandregale aufgehängt werden.<br />

TEXT: BENJAMIN LAUFER<br />

FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

Treffen mit dem Flughafenmanagement<br />

im Hamburger Airport,<br />

Terminal 2. Seit sechs<br />

Wochen ist das Flaschensammeln zu<br />

diesem Zeitpunkt hier wieder erlaubt.<br />

Gefährden die Flaschensammler den<br />

„ungestörten Betrieb“ des Flughafens<br />

und den „angenehmen Aufenthalt“ der<br />

Passagiere? So hatte der Airport das<br />

Sammelverbot und die 97 Strafanzeigen<br />

gerechtfertigt. Erst der große Erfolg unserer<br />

Onlinepetition bewirkte, dass die<br />

Anzeigen im Februar zurückgenommen<br />

wurden und das Pfandsammeln probeweise<br />

wieder erlaubt ist.<br />

„Es gibt von ein paar Ausnahmen<br />

abgesehen eigentlich keine Probleme“,<br />

bewertet Johannes Scharnberg vom<br />

12<br />

Flughafenmanagement die ersten Wochen<br />

des Testlaufs. Puh! Bis Mitte Mai<br />

wollen sich die Betreiber auch Gedanken<br />

um ein langfristiges Konzept machen,<br />

wie mit dem Flaschensammeln am Airport<br />

sinnvoll umgegangen werden kann.<br />

Auch mit Pfandringen an den Mülleimern<br />

wollen sie experimentieren. Sogar<br />

einen richtigen Plan haben sie schon ent-


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Stadtgespräch<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Sozialarbeiter<br />

Stephan Karrenbauer (links) im<br />

GESPRÄCH mit Johannes<br />

Scharnberg von der Flughafenverwaltung.<br />

wickelt: Nur direkt vor den Sicherheitskontrollen<br />

soll das Sammeln nicht allen<br />

erlaubt werden – hier sind „professionelle<br />

Pfandsammler“ geplant, die die Behälter<br />

mit den Flaschen leeren. „Wir werden<br />

von dem Pfandgeld Menschen sozialversicherungspflichtig<br />

beschäftigen, die wir<br />

so aus der Arbeitslosigkeit oder aus prekären<br />

Verhältnissen rausholen“, erklärt<br />

Scharnberg. Beeindruckend!<br />

Wir wollen uns selbst ein Bild machen<br />

und schauen uns an zwei Vormittagen<br />

im März in und vor dem Flug hafen<br />

um. Zunächst treffen wir zwei Bundespolizisten,<br />

die ihre Runde durch den Terminal<br />

drehen. „Die Flaschensammler<br />

sind mir noch nie negativ aufgefallen“,<br />

sagt einer. Auch habe er nicht wahrgenommen,<br />

dass es mehr geworden seien,<br />

seit das Verbot aufgehoben wurde.<br />

Ein alter Mann in dunkelbrauner Jacke<br />

kommt durch die Drehtür und geht<br />

mit seiner Tasche durch das Flughafengebäude.<br />

Er könnte ein Tourist sein, so<br />

unauffällig ist er. Dabei ist er ein richtiges<br />

Flughafen-Urgestein! „Damals, als<br />

sie den Flughafen neu gebaut haben,<br />

war ich mit auf der Baustelle“, erzählt<br />

der 79-Jährige. „Ich hab die Rolltreppe<br />

gebaut!“ Auch heute kommt er zum<br />

Geldverdienen her, jeden Tag mit der<br />

S-Bahn aus Wedel. Weil die Rente nicht<br />

reicht, sammelt er hier Flaschen. Ärger<br />

mit dem Sicherheitspersonal habe er<br />

noch nicht gehabt.<br />

13<br />

Schließlich kommt noch ein junger<br />

Pole um die Ecke, der zum ersten Mal<br />

am Flug hafen Flaschen sammelt. Er<br />

sei obdachlos, erzählt er in gebrochenem<br />

Deutsch. „Jetzt habe ich Geld, vielleicht<br />

kann ich im Hostel schlafen. Was kostet<br />

das?“, fragt er. Dann fährt er die Rolltreppe<br />

hinunter, zwei Sicherheitsdienstmitarbeiter<br />

kommen ihm entgegen. Sie<br />

grüßen sich freundlich.<br />

Auch in der Innenstadt geht gerade<br />

eine Testphase zu Ende. Die Stadtreinigung<br />

hat seit dem vergangenen Sommer<br />

mit Pfandregalen an den neuartigen<br />

„Big Belly“-Mülleimern experimentiert,<br />

in die Pfandsammler nicht hineingreifen<br />

können. Nach einem Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Bericht<br />

darüber regte sich Protest im Internet.<br />

Der wurde schließlich so stark, dass<br />

das Unternehmen die heutigen Regale<br />

entwickelte.<br />

Die Sammler in der City sind unauffälliger<br />

geworden, seit sie nicht mehr im<br />

Müll wühlen. Im Vorbeigehen können<br />

sie die Flaschen aus den Regalen herausnehmen,<br />

lange bleibt dort keine stehen.<br />

Nur landet leider auch viel Müll in den<br />

Pfandregalen. „Gerade die Jugendlichen<br />

knallen da ihre Cola- oder Kaffeebecher<br />

rein“, sagt ein Flaschensammler. „Ich<br />

habe die schon oft genommen und in<br />

den Mülleimer geworfen, der ist ja<br />

daneben.“<br />

Für die Reinigung der Pfandregale<br />

wird vermutlich ein Großteil der jährlich<br />

50.000 Euro ausgegeben werden,<br />

die der Senat zur Anschaffung weiterer<br />

Regale bereitgestellt hat. Die Stadtentwicklungsbehörde<br />

prüft noch, wie viele<br />

sie an den Mülleimern anbringen wird.<br />

„Es ist absehbar, dass sich nicht jeder<br />

Standort eignen wird“, sagt ein Sprecher<br />

der Stadtreinigung, nicht mit ganz so<br />

viel Enthusiasmus, wie ihn die Flughafenbetreiber<br />

haben.<br />

Die Pfandregale hält der Flaschensammler<br />

für eine gute Idee. „Nur muss<br />

das auch genutzt werden!“, sagt er. „Es<br />

muss mehr publik gemacht werden,<br />

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dass der Pfand in das Regal gehört.“ •<br />

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Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>266</strong>/ APRIL <strong>2015</strong><br />

Einen kleinen GELDSEGEN wie diesen kann Kasimir gut gebrauchen. Nach einem<br />

Unfall konnte der Mann aus Masuren nicht mehr arbeiten, er fing an zu trinken<br />

und rutschte ab. Trotzdem ist er ein netter Typ geblieben, der anderen hilft und für sie<br />

dolmetscht, denn sein Deutsch ist nach mehr als 25 Jahren in Hamburg ziemlich gut.<br />

14


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Stadtgespräch<br />

Land in Sicht<br />

Irgendwann im Leben hat Kasimir Schiffbruch erlitten. Lange machte er Platte am Rathaus.<br />

Immer mal wieder landeten zu Schiffchen gefaltete Fünf-Euro-Scheine neben seinem Platz. Eines Tages<br />

löste sich das Rätsel um den Spender der Rettungsboote. Jetzt will sich Kasimir selbst retten.<br />

TEXT: JONAS FÜLLNER<br />

FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

Als Kasimir morgens aufwachte, lag neben ihm ein<br />

winziges Papierschiffchen, gefaltet aus einem<br />

Fünf-Euro-Schein. Viele Jahre machte der gebürtige<br />

Pole mit seiner Freundin Mariola „Platte“,<br />

nur wenige Meter vom Rathausmarkt entfernt. Die Rathaus-<br />

Polizisten grüßten höflich, auch sonst habe er viel Hilfe und<br />

Unterstützung erfahren. Aber so etwas? „Ich konnte das<br />

selber nicht glauben“, erzählt der 57-Jährige. Fünf Monate ist<br />

das inzwischen her. Wenige Tage später stellte der anonyme<br />

Spender weitere Fünf-Euro-Schiffchen für das Pärchen ab.<br />

Seinen Schatz präsentierte Kasimir bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Geschäftsführer<br />

Jens Ade war genauso perplex und fing an zu<br />

sammeln: Kasimir zahlte er den Gegenwert aus. Irgendwann<br />

lagen 27 Schiffchen im Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Tresor.<br />

„Das mit dem Schiffchen ist so eine Marotte von mir“, erklärt<br />

Wolfgang Schwieger. „Ich falte die auch, wenn ich in der<br />

Kirche spende.“ Schwieger leitet ein Marktforschungsunternehmen<br />

in der Innenstadt. Auf Spaziergängen zum Café<br />

Paris kam er mit dem Pärchen ins Gespräch. „Die haben mit<br />

dem Gaskocher abends gekocht und zum Essen Kerzen angezündet“,<br />

erinnert sich Schwieger. „Und mich hat beeindruckt,<br />

wie sie dieses ‚bürgerliche Leben‘ auf die Straße übertrugen.“<br />

Schwieger wollte helfen und schenkte ihnen Schlafsäcke.<br />

„Aber die haben sie wohl eher in die Landeswährung umgesetzt“,<br />

sagt er und schmunzelt. „Man denkt ja immer, man<br />

müsste die Menschen nach seinen Vorstellungen sozialisieren.<br />

Aber den Alkohol brauchen sie eh, davon kommen sie nicht<br />

so einfach weg.“ Deswegen fing er an, Geld zu spenden. In<br />

besonderer Form: auffällig und doch völlig zurückhaltend.<br />

Eines Tages wachte Kasimir auf, als Schwieger gerade ein<br />

Schiffchen abstellte. Das Geheimnis war gelüftet. Aber nicht<br />

deswegen landeten keine Fünf-Euro-Schiffchen mehr im Tresor.<br />

Der Grund ist, dass Kasimir, der seit fast einem Vierteljahrhundert<br />

in Hamburg lebt, keine Platte mehr macht. Er ist im<br />

Wohncontainer eines Bekannten in Jenfeld untergekommen.<br />

„Weit weg, aber ist besser so“, sagt er. „In der Stadt kennen<br />

mich alle und meine Kumpels wollen alle mit mir trinken.“<br />

Und zu Schnaps konnte Kasimir noch nie Nein sagen.<br />

Deswegen ist dieser Schlafplatz auch eine Art Hoffnungsschimmer.<br />

Hoffnung ist das, was Kasimir gerade braucht,<br />

denn die vergangenen Monate waren schwer. Im Dezember<br />

erlitt er einen Zusammenbruch und landete im Krankenhaus.<br />

Warum? „Das weiß ich selber nicht“, sagt Kasimir. Erinnern<br />

kann er sich nur noch, dass er zusammen mit Freunden trank.<br />

Erst im AK Altona kam er wieder zu sich. „Ich musste die<br />

Schwester fragen, wo ich war.“ Nach wenigen Tagen wurde er<br />

entlassen. „Aber meine Beine waren wie Gummi“, erinnert<br />

sich Kasimir. Mehrfach fiel er hin. Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Mitarbeiter<br />

brachten ihn zurück ins Krankenhaus. Wenige Tage später<br />

erreichte ihn die Nachricht vom Tod seiner Freundin. Sie<br />

starb auf der Straße, vermutlich an den Folgen jahrelangen<br />

Alkoholkonsums.<br />

Rückblickend sagt Kasimir: „Ich war sehr traurig. Aber<br />

der Mensch weiß nie, wann er stirbt. Das kann mit jedem passieren.“<br />

Lieber blickt er nach vorne. Geholfen hat ihm dabei<br />

seine Zeit in der Krankenstube. Dorthin vermittelte ihn<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Sozialarbeiterin Isabel Kohler nach seinem<br />

Krankenhausaufenthalt. Endlich fand er Ruhe. „Ich habe 15<br />

Kilo zugenommen und trinke weniger, viel weniger.“<br />

Tatsächlich zügelt sich Kasimir derzeit. Seit mehr als<br />

zehn Jahren hängt er an der Flasche. Einer der Auslöser: Der<br />

gelernte Bautechniker stürzte vom Gerüst eines Kirchturms<br />

in Rostock. An Arbeit war nicht mehr zu denken. Sein linker<br />

Arm fühlt sich bis heute taub und kalt an. „Nach dem Unfall<br />

habe ich alles verloren“, sagt er. Seine Arbeit, seine Wohnung.<br />

Er tröstete sich mit Alkohol und landete auf der Straße.<br />

Irgendwann begann er, mitten in der Innenstadt Platte zu<br />

machen. „Hier bin ich sicher“, das ist ein Grund für ihn. Ein<br />

anderer ist sicherlich, dass er sich gerne unter Menschen<br />

mischt. „Ja, am Rathausmarkt kennt mich jeder“, sagt Kasimir<br />

nicht ohne Stolz. Udo Lindenberg und Dieter Bohlen hat<br />

er schon Hinz&<strong>Kunzt</strong> verkauft. Aber nicht nur zu Menschen,<br />

auch zu den Schwänen neben seiner Platte hat er offenbar<br />

einen guten Draht. Einen der Schwäne dressierte er sogar.<br />

„Frankie war als Baby alleine, ich habe ihn mit Brot gefüttert,“<br />

sagt er. Es gibt ein Foto, auf dem der Schwan Kasimir<br />

ein Stück Brot aus dem Mund stibitzt. Gerne verteilt er das<br />

Bild an Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Käufer. Und er freut sich auf ein Wiedersehen<br />

mit Frankie. „Jetzt im Frühjahr gehe ich wieder mit ihm<br />

schwimmen.“ •<br />

15


Stadtgespräch<br />

TTIP<br />

So nicht!<br />

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will noch in diesem<br />

Jahr das Freihandels- und Investitionsabkommen<br />

TTIP zwischen Europa und den USA unterzeichnen.<br />

Gerade Hamburg soll profitieren. Aber stimmt das?<br />

ZUSAMMENSTELLUNG: BIRGIT MÜLLER<br />

ILLUSTRATIONEN: ESTHER CZAYA<br />

Wirtschaftswachstum,<br />

private Schieds gerichte,<br />

Angriff auf die<br />

Demokratie – und die<br />

Dove Elbe wird zur<br />

DOOFEN ELBE,<br />

weil durch Fracking<br />

die Wasserqualität<br />

leiden könnte … Was<br />

denn nun? Die Transatlantic<br />

Trade and<br />

Investment Partnership<br />

(TTIP) ist schwer<br />

umstritten.<br />

Ich glaube, der Sigmar Gabriel (SPD) mag mich nicht.<br />

Unser Vizekanzler findet mich „reich und hysterisch“.<br />

Nur weil ich zu den 60 Prozent der Deutschen gehöre,<br />

die das geplante Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen<br />

zwischen den USA und der EU (TTIP) skeptisch<br />

sehen. Ich soll alles wissen und gar nichts schlimm finden,<br />

obwohl ich mich nicht ausreichend informiert fühle. Und<br />

das, was durchsickert, ist nicht gerade vertrauensbildend.<br />

Dafür gibt es von allen Seiten Prognosen und Studien,<br />

dass einem schwindlig werden könnte. Das Chaos lichtet sich<br />

jetzt etwas – und inzwischen scheint klar, dass die Wirtschaft<br />

und die Zahl der Arbeitsplätze nicht in dem exorbitanten<br />

Maße wachsen, wie TTIP-Befürworter behauptet hatten.<br />

Etwa 0,5 Prozent und bis zu 100.000 Arbeitsplätze mehr in<br />

Deutschland könnte der Effekt sein – im Jahre 2027. Könnte,<br />

wenn alle „Handelshemmnisse“ fallen. Aber genau die zentralen<br />

„Handelshemmnisse“ sind es, die reiche Hysteriker wie<br />

ich nicht abbauen wollen.<br />

Weil wir nämlich eine Menge zu verlieren haben: unsere<br />

Sozial-, Arbeits- und Umweltstandards und womöglich unsere<br />

kommunale Selbstbestimmung. „Auf Kollisionskurs mit<br />

der Demokratie“ heißt deshalb auch die Studie von der Bürgerbewegung<br />

Campact. Untersucht werden die möglichen<br />

Folgen von TTIP und dem europäisch-kanadischen Pendant<br />

Ceta für Hamburg anhand ganz konkreter Beispiele. Zu lesen<br />

auf den folgenden Seiten! Außerdem: Brot für die Welt befürchtet<br />

verheerende Auswirkungen auf die jetzt schon armen<br />

Länder (Seite 21). Selbst Befürworter wie das Hamburgische-<br />

WeltWirtschaftsinstitut HWWI und die Berenberg Bank (Seite<br />

22) mahnen: „Wie können einerseits Marktzutrittsbarrieren<br />

und Marktmacht reduziert werden und berechtigte gesellschaftliche<br />

Präferenzen geschützt werden?“<br />

17


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>266</strong>/ APRIL <strong>2015</strong><br />

„Steuernde Eingriffe wie<br />

die Mietpreisbremse könnten<br />

beeinträchtigt werden.“<br />

THOMAS FRITZ (CAMPACT-STUDIE)<br />

Bist du nicht willig, verklag ich dich!<br />

Wenn es um TTIP und auch das europäisch-kanadische Pendant<br />

Ceta geht, kann man den Eindruck gewinnen: In Zukunft<br />

sollen Regierungen hauptsächlich die Gewinnerwartungen von<br />

internationalen Konzernen sicherstellen. Das liegt sicher auch<br />

daran, dass den Schiedsgerichten (ICSID) in Zukunft noch<br />

größere Bedeutung zukommen soll. Vor denen können Staaten<br />

Staaten verklagen, aber vor allem: Unternehmen können<br />

Staaten verklagen, wenn sie sich diskriminiert oder sonstwie<br />

benachteiligt fühlen. Vor diesen Schiedsgerichten verhandeln<br />

private Anwaltskanzleien den Fall, und zwar geheim und<br />

neben der normalen Justiz. Der Fall wird zu einer puren<br />

Wirtschaftsfrage erklärt. Der Beschluss ist bindend, Rechtsmittel<br />

können nicht eingelegt werden. Das kritisieren sogar<br />

Befürworter.<br />

Beweis es doch!<br />

In Deutschland gilt das sogenannte Vorsorgeprinzip: Ein Unternehmen<br />

muss beweisen, dass seine Produkte oder seine<br />

Verfahren nicht schädlich sind. Das hat sich mit TTIP und<br />

Ceta erledigt: Bedenken oder Befürchtungen wie etwa beim<br />

Fracking reichen nicht mehr aus. Ein Staat oder eine Kommune<br />

müssen dem Unternehmen beweisen, dass sein Verfahren<br />

schädlich ist. Sonst: Klage vor dem Schiedsgericht!<br />

Was die Wirtschaft so hemmt:<br />

Hamburger Beispiele aus der Campact-Studie<br />

In der Studie für die Bürgerbewegung Campact hat Thomas<br />

Fritz die Folgen für Hamburg aufgezeigt. Einige stellen wir<br />

hier – gekürzt und teilweise paraphrasiert – vor. Und: Die<br />

Zwischenüberschriften stammen von uns.<br />

Umweltauflagen nerven – Der Fall Moorburg<br />

Ein Hamburger Beispiel ist der Fall Moorburg: Vattenfall gegen<br />

Deutschland. Im Jahr 2009 klagte der schwedische Energiekonzern<br />

Vattenfall vor einem ICSID-Tribunal gegen<br />

Deutschland. Grund waren die Auflagen, die die Hamburger<br />

Umweltbehörde bei der Betriebsgenehmigung für das Kohlekraftwerk<br />

Moorburg machte. Sie zielten darauf ab, eine<br />

Beeinträchtigung der Wasserqualität der Elbe durch die geplante<br />

Entnahme von Kühlwasser und die Einleitung von Abflutwasser<br />

zu vermeiden. Vattenfall aber behauptete, durch<br />

die Auflagen würde die Investition unwirtschaftlich. Seine<br />

Klage stützte Vattenfall auf die von Deutschland unterzeichnete<br />

Energie-Charta, einen zwischenstaatlichen Vertrag, der<br />

den Gang vor internationale Schiedsgerichte ermöglicht. Von<br />

Deutschland forderten die Schweden eine Entschädigung<br />

über 1,4 Milliarden Euro. Der ICSID-Streitfall wurde im<br />

März 2011 mit einem Vergleich beigelegt, dem wiederum eine<br />

Vergleichsvereinbarung vor dem Oberverwaltungsgericht<br />

Hamburg zugrunde lag. Diese verpflichtete die Umweltbehörde<br />

dazu, Vattenfall eine „modifizierte wasserrechtliche<br />

Erlaubnis“ zu erteilen, das heißt die ursprünglichen Auflagen<br />

wurden zugunsten des Betreibers aufgeweicht.<br />

ExxonMobil könnte Fracking durchsetzen<br />

Einer der vielen US-Konzerne, die aufgrund ihrer kanadischen<br />

Niederlassungen bereits von dem Handels- und Investitionsabkommen<br />

zwischen der EU und Kanada (Ceta) profitieren<br />

könnten, ist ExxonMobil. Bis Ende <strong>2015</strong> darf<br />

ExxonMobil prüfen, ob die Kohlenwasserstoff-Vorkommen<br />

eine Förderung lohnen würden. Hierzu müsste die umweltschädliche<br />

Fracking-Methode angewandt werden, bei der mit<br />

hohem Druck und einer mit Chemikalien versetzten Flüssigkeit<br />

Risse ins Gestein gesprengt werden. Die Hamburger Umweltbehörde<br />

sprach sich gegen die Genehmigung aus. Sie hatte<br />

Bedenken, dass der Schutz des Grundwassers und somit auch<br />

des Trinkwassers nicht dauerhaft gewährleistet werden kann.<br />

Die federführende Wirtschaftsbehörde erteilte trotzdem die<br />

Genehmigung.<br />

Würde Hamburg jetzt eine Abbaubewilligung verweigern,<br />

wäre dies schon nach deutschem Recht problematisch.<br />

Aber mit TTIP und Ceta könnte ExxonMobil zusätzlich vor<br />

einem Schiedstribunal klagen – auf Entschädigung entgangener<br />

Gewinne. Das Erlaubnisfeld „Vierlande“ umfasst 150<br />

Quadratkilometer im Süden Hamburgs. Es erstreckt sich über<br />

die Bezirke Bergedorf, Mitte und Harburg.<br />

Tschüss Tarif- und Mindestlohn?!<br />

Das Hamburgische Vergabegesetz könnte ausgehebelt<br />

werden. Firmen mit US-amerikanischen oder kanadischen<br />

Niederlassungen wäre es unter anderem möglich, gegen die<br />

Kopplung der Auftragsvergabe an die Einhaltung tariflicher<br />

Mindestlöhne vorzugehen.<br />

18


Durch die Umweltauflagen<br />

würde der<br />

Betrieb des Kohlekraftwerks<br />

Moorburg<br />

UNREN TABEL, fand<br />

der schwedische Konzern<br />

Vattenfall und klagte gegen<br />

Deutschland – auf<br />

entgangenen Gewinn.


Nix mehr mit Rekommunalisierung!?<br />

Firmen mit US-amerikanischen oder kanadischen Niederlassungen<br />

können sich an den Bieterverfahren für die Vergabe<br />

der Konzessionen für das Gas- und Fernwärmenetz beteiligen.<br />

Kommt es dabei zur Privilegierung eines stadteigenen<br />

Mitbieters, könnte das in ein Schiedsverfahren münden.<br />

Mietpreisbremse? Pflegestandards? Nein danke!<br />

Steuernde Eingriffe der Stadt in den Wohnungsmarkt wie Sozialschutzverordnungen<br />

oder die Mietpreisbremse könnten<br />

beeinträchtigt werden. Gewöhnliche Vertragsstreitigkeiten bei<br />

Bauvorhaben, die Erhöhung von Hafengebühren, das Verbot<br />

von Online-Diensten wie Uber oder gesetzlich vorgeschriebene<br />

Personalschlüssel in der Pflege können zu internationalen<br />

Schiedsverfahren führen.<br />

Genmais – guten Appetit!<br />

Im Hafen ansässige Getreideimporteure wie ADM könnten<br />

die Zulassungs- und Kennzeichnungsverfahren für genmanipulierte<br />

Organismen in der EU aufbrechen. So ist der in Ceta<br />

enthaltene Kooperationsmechanismus zur Biotechnologie geeignet,<br />

das in der EU geltende Vorsorgeprinzip bei der Risikobewertung<br />

von genmanipulierten Lebens- und Futtermitteln<br />

auszuhebeln.<br />

20


Stadtgespräch<br />

Befürchtung: Im Hamburger Hafen ansässige<br />

Getreideimporteure könnten das Vorsorgeprinzip bei<br />

der Risikobewertung von GENMANIPULIERTEN<br />

Lebens- und Futtermitteln aushebeln.<br />

„Es würde immer auf<br />

amerikanischen<br />

Mais hinauslaufen!“<br />

CORNELIA FÜLLKRUG-WEITZEL (BROT FÜR DIE WELT)<br />

Keine Chancen für die armen Länder:<br />

Warum Brot für die Welt TTIP nicht will<br />

Nach TTIP wird es kein Handelsabkommen mehr geben, das<br />

den ärmeren Ländern mehr Chancengleichheit einräumt.<br />

Davon ist Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin von Brot für<br />

die Welt und der Diakonie Katastrophenhilfe, überzeugt.<br />

Sie sagt: „Diese Länder hatten bei den sogenannten<br />

Doha-Verhandlungen die Erwartung formuliert, etwas gerechtere<br />

Absatzchancen zu bekommen und dass die reichen<br />

Länder und internationalen Konzerne wenigstens an einigen<br />

Stellen nicht ständig begünstigt würden. TTIP und Ceta werden<br />

aber einen so großen Prozentsatz des Welthandels abde-<br />

cken, dass sie als Muster für jedes Handels- und Investitionsabkommen<br />

dienen werden. Es wird dann keine Vereinbarung<br />

im Rahmen von Doha zustande kommen – und somit auch<br />

keine Chancengleichheit für die ärmeren Länder.“<br />

Ein Beispiel aus Brasilien: „Eine Kommune macht zur<br />

Armutsbekämpfung ein Schulspeisungsprogramm, verwendet<br />

dabei Produkte von Bauern aus der Region und gibt ihnen eine<br />

garantierte Absatzzusage. Aber das schließt andere aus, die<br />

in derselben Stadt dieselben Nahrungsmittel anbieten wollen:<br />

beispielsweise eine deutsche Firma oder internationale Lebensmittelkonzerne.<br />

Wird TTIP weltweites Vorbild für Handelsabkommen,<br />

könnten diese anderen Firmen klagen – und das<br />

Armutsbekämpfungsprogramm wäre gefährdet. Auch die UN<br />

oder wir kirchlichen Werke müssten immer den billigsten<br />

Anbieter berücksichtigen. Bislang kaufen wir lieber Getreide<br />

in der Region, wenn wir die Bevölkerung eines Krisengebietes<br />

versorgen wollen, und das ist ein Beitrag zur wirtschaftlichen<br />

Stabilisierung der Region. Mit TTIP müssten wir stattdessen<br />

den billigsten Mais kaufen – und das wäre US-amerikanischer<br />

Mais. Es wird immer auf amerikanischen Mais hinauslaufen,<br />

immer! TTIP wird Unterentwicklung und Armut fördern.“<br />

21


Stadtgespräch<br />

„Lieber sorgfältig<br />

verhandeln<br />

als schnell!“<br />

HWWI-CHEF PROF. DR. HENNING VÖPEL<br />

TTIP ja, aber Kritik berücksichtigen!<br />

Empfehlungen von HWWI und Berenberg<br />

„TTIP schafft den größten ‚Binnenmarkt‘ der Welt“, sagt Prof.<br />

Dr. Henning Vöpel, Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsinstituts<br />

(HWWI). Die Privatbank Berenberg und das<br />

HWWI haben in einer gemeinsamen Studie das Thema Freihandel<br />

untersucht. Allerdings stufen die Autoren „die messbaren<br />

Effekte eher als gering“ ein. „TTIP stellt dennoch einen<br />

wichtigen Schritt auf dem Weg zu einem gemeinsamen ‚Binnenmarkt‘<br />

dar. Gerade kleinere und mittelgroße Unternehmen<br />

würden profitieren“, so Dr. Jörn Quitzau, Volkswirt bei<br />

Berenberg. Sie hätten meist keine Rechtsabteilungen und bekämen<br />

mit TTIP einen „fairen Marktzutritt“.<br />

Trotzdem nehmen die Autoren den Widerstand gegen<br />

das Abkommen ernst: „Bei den weiteren Verhandlungen von<br />

TTIP sollte es um die Frage gehen: Wie können einerseits<br />

Marktzutrittsbarrieren und Marktmacht reduziert und berechtigte<br />

gesellschaftliche Präferenzen geschützt werden?“,<br />

sagt Quitzau. „Hier erwarten wir, dass die Widerstände in der<br />

Bevölkerung vor allem gegen die Angleichung der Standards<br />

im Lebensmittelbereich die Verhandlungspartner letztlich zu<br />

Zugeständnissen im Sinne der Kritiker veranlassen werden.“<br />

Für die Zukunft erwarten die Autoren weltweit „beschleunigtes<br />

Wachstum durch einen rasanten Investitionswettlauf“,<br />

so Quitzau. Die Gefahren: „Dabei dürfte die Mittelschicht in<br />

den Industrienationen weiter schrumpfen, und bei der Einkommens-<br />

und Vermögensverteilung kann es zu weiteren<br />

Konzentrationsprozessen kommen.“<br />

Die Globalisierung bringe voraussichtlich zwar weltweit mehr<br />

Wachstum und Wohlstand, sagt Quitzau. „Allerdings ist eine<br />

hocheffiziente, global verflochtene Wirtschaft auch störanfälliger.<br />

Unerwartete Krisen und Konjunkturschwankungen<br />

dürften damit keine Ausnahme bleiben.“<br />

Die Wirtschaftspolitik müsse darauf vorbereitet sein,<br />

„dass sie auch künftig im Falle einer Krise als Akteur benötigt<br />

wird“, so Quitzau. „Dafür müssen finanzpolitische<br />

Reserven gebildet werden.“ In den Industrienationen seien<br />

Teile der Mittelschicht bereits unter Druck geraten. „Deshalb<br />

dürften die Diskussionen über Verteilungsgerechtigkeit<br />

weiter zunehmen.“<br />

22


Befürchtung: Trotz<br />

großer Bedenken muss<br />

Hamburg ExxonMobil<br />

FRACKING erlauben,<br />

weil ein Verbot wegen<br />

einer Klage zu<br />

teuer werden könnte.<br />

Und so geht es weiter<br />

Lesestoff und Veranstaltungen:<br />

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will auf jeden Fall unterzeichnen,<br />

am liebsten vor den Präsidentschaftswahlen in den CETA in Hamburg, www.huklink.de/campact.de; Hamburgisches<br />

Campact, Auf Kollisionskurs mit der Demokratie – TTIP und<br />

USA. Die SPD hat zwar mit dem DGB „rote Linien“ erarbeitet:<br />

Darin werden Schiedsgerichte, Investitionsschutzklauseln, www.huklink.de/ttip-hwwi; Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Interview mit Cornelia<br />

WeltWirtschaftsinstitut und Privatbank Berenberg, Freihandel,<br />

Einschränkungen bei Arbeitnehmerrechten, Verbraucherschutz-,<br />

Sozial- und Umweltstandards abgelehnt und die Thilo Bode, Die Freihandelslüge, DVA, 14,99 Euro. Veranstaltungen<br />

Füllkrug-Weitzel (Brot für die Welt), www.huklink.de/ttip-brot;<br />

Zustimmung des Bundestages gefordert. Aber Vizekanzler der Nordkirche (www.kda-nordkirche.de): „Was die geplanten<br />

Sigmar Gabriel (SPD) will ebenfalls unterzeichnen. Die Autoren<br />

der Berenberg-HWWI-Studie erwarten keinen Abschluss meldung: ines.behrends@ked.nordkirche.de). „Wenn alles zur Ware<br />

Freihandelsabkommen bewirken“, Sa,18.4.,10.30-16.30 Uhr (An-<br />

mehr vor der US-Wahl 2016. HWWI-Chef Henning Vöpel: wird“, mit Thomas Fritz (Autor der Campact-Studie), Mo, 27.4.,19 Uhr,<br />

„Hier gilt: lieber sorgfältig verhandeln als schnell.“ •<br />

Ökumen. Forum Hafencity, Shanghaiallee 12, Eintritt frei<br />

23


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>266</strong>/ APRIL <strong>2015</strong><br />

Meldungen<br />

Politik & Soziales<br />

Ehrenamtliche Frauenärztin gesucht<br />

Die Migrantenmedizin in Wilhemsburg<br />

sucht zur Verstärkung ihres ehrenamtlichen<br />

Ärzte-Teams eine Gynäkologin.<br />

Die Beratungsstelle bietet seit 2011<br />

Sprechstunden für Menschen ohne<br />

Krankenversicherung. Ab <strong>April</strong> startet<br />

ein spezielles Angebot für Frauen. UJO<br />

•<br />

Infos: Tel. 75 66 64 01 oder stello@hoffnungsorte-hamburg.de<br />

Ausbeutung gab es etwa bei Olympia 2008 in China. Anlässlich der Hamburger<br />

Bewerbung mahnt Landespastor Dirk Ahrens GERECHTERE SPIELE an.<br />

Hartz-IV-Unterkunftsregelungen verfassungswidrig?<br />

Das Sozialgericht Mainz hält die derzeitigen Regelungen zu<br />

den Mietkosten von Hartz-IV-Empfängern für verfassungswidrig.<br />

Nach einem entsprechenden Beschluss wird nun das<br />

Bundesverfassungsgericht entscheiden. Laut Gesetz muss die<br />

Miete „angemessen“ sein. Was das bedeutet, entscheiden die<br />

Jobcenter vor Ort. Die aber hätten ebenso wie Gerichte nicht<br />

die demokratische Legitimation, über so wichtige Fragen zu<br />

entscheiden, so das Mainzer Sozialgericht. In Hamburg orientiert<br />

sich die Höhe der Zuschüsse am Mietenspiegel. UJO<br />

•<br />

Zu wenig Auswege aus der Armutsfalle<br />

Wer wenig hat, wird in Deutschland eher ärmer als reicher:<br />

Das ist das Ergebnis neuer Studien. So ermittelte die Bertelsmann-Stiftung,<br />

dass das Fünftel der Arbeitnehmer mit dem<br />

geringsten Verdienst seit Mitte der 1990er-Jahre Einbußen bei<br />

den Reallöhnen hinnehmen musste. Die 20 Prozent Beschäftigten<br />

mit den höchsten Löhnen dagegen verdienen heute<br />

noch besser. Eine weitere Studie der Stiftung zeigt auf, dass<br />

Kinder, die in Armut aufwachsen, schon vor der Einschulung<br />

gegenüber ihren Klassenkameraden benachteiligt sind.<br />

Ein früher Besuch der Kita könne hier helfen, so die Forscher<br />

– doch entscheiden sich Hilfeempfänger seltener für den<br />

Kindergarten als Besserverdienende. Mit Langzeitarbeitslosen<br />

in Hamburg beschäftigt sich eine Studie des Deutschen Gewerkschaftsbunds.<br />

Ergebnis: Ihre Eingliederungschancen sind<br />

nicht mal halb so groß wie die aller Arbeitslosen im Hartz-IV-<br />

System. Grundsätzlich hakt es beim Sprung in den Arbeitsmarkt:<br />

Bundesweit fiel die Quote derer, die Arbeitsagenturen<br />

und Jobcenter in ungeförderte Jobs vermitteln konnten,<br />

zwischen 2011 und 2014 von 16,2 auf 13 Prozent. UJO<br />

•<br />

Jobcenter: Personalräte schlagen Alarm und bekommen ein paar Kollegen<br />

Mit einem Brandbrief haben Hamburger Jobcenter-Personalräte steigende Arbeitsbelastung<br />

beklagt und 128 neue Stellen gefordert. 60 neue Kollegen sollen sie bald<br />

bekommen, so das Amt auf Nachfrage. Für Stress sorgen ein neues Computerprogramm<br />

und die Vorgabe, dass Leistungen nur noch nach dem „Vier-Augen-Prinzip“<br />

gewährt werden sollen. Zudem sind die Jobcenter bald auch für manche Asylbewerber<br />

zuständig. Obwohl das Gesetz vorschreibt, dass ein Mitarbeiter höchstens<br />

150 Haushalte betreuen soll, sind es in Hamburg jetzt schon bis zu 250. JOF/UJO<br />

•<br />

24


Stadtgespräch<br />

Pakistanische Brandopfer verklagen Kik<br />

Haben die Opfer der Brandkatastrophe in einer Textilfabrik<br />

in Karatschi Anspruch auf Schmerzensgeld vom Billigdiscounter<br />

Kik? Diese Frage muss das Landgericht Dortmund<br />

beantworten, nachdem ein Überlebender und drei Hinterbliebene<br />

geklagt haben. Das Verfahren gilt als Musterprozess<br />

hinsichtlich der Frage, inwieweit Unternehmen für miserable<br />

Standards in Billiglohnländern verantwortlich gemacht werden<br />

können. Die Fabrik im Süden Pakistans, in der vor allem<br />

für Kik genäht wurde, brannte 2012 vollständig aus. 260<br />

Arbeiter starben, weil Notausgänge verschlossen und Fenster<br />

vergittert waren. Kik zahlte bislang rund eine Million Euro<br />

und erkannte eine „moralische Verantwortung“ an. UJO<br />

•<br />

Lesen Sie zum Thema auch die Zahlen des Monats auf Seite 10.<br />

Abschiebehaft soll ausgeweitet werden<br />

Scharfe Kritik an einem Gesetzentwurf der Bundesregierung<br />

üben die Diakonie, der Paritätische Wohlfahrtsverband<br />

und Pro Asyl. Der Entwurf zur Änderung der Regeln zum<br />

Aufenthaltsrecht sieht neben einer Liberalisierung der<br />

Bleiberechtsregeln auch eine Ausweitung der Gründe für<br />

Abschiebehaft vor. So könnte in Zukunft bereits die Einreise<br />

nach Deutschland über ein anderes EU-Land als Grund<br />

für eine Festnahme ausreichen. Die Organisationen<br />

befürchten daher, dass es „zu einer erheblichen Ausweitung<br />

der Inhaftierung Asylsuchender“ kommen könnte. BELA<br />

•<br />

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Beratung für Wanderarbeiter<br />

Eine neue Beratungsstelle der Diakonie<br />

soll osteuropäischen Wanderarbeitern<br />

unter anderem beim Abschluss einer<br />

Krankenversicherung helfen. Laut<br />

Gesetz haben sie Anspruch darauf,<br />

aber: „Wir stellen fest, dass es in der<br />

Praxis leider noch Probleme bei der<br />

Durchsetzung gibt“, sagte Sozialsenator<br />

Detlef Scheele (SPD) bei der Eröffnung.<br />

Hamburg insgesamt profitiere von<br />

der Zuwanderung aus Osteuropa:<br />

„Viele dieser Menschen tragen zum<br />

Wohlstand der Stadt bei.“ BELA<br />

•<br />

25<br />

Schöne schlaue<br />

Arbeitswelt<br />

–<br />

Eine Ausstellung zu<br />

Ambient Intelligence<br />

09.04. – 17.05.<strong>2015</strong><br />

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Foto: iStock


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>266</strong>/ APRIL <strong>2015</strong><br />

Schutz vor dem Erfrieren.<br />

Nicht mehr.<br />

Ob Berlin, Hamburg, München oder Dresden: Fast überall sind die<br />

Winter-Notunterkünfte für Obdachlose überfüllt. Und wenn der Frühling<br />

kommt, müssen die Menschen meist wieder auf der Straße schlafen.<br />

TEXT: ULRICH JONAS<br />

FOTO: SASCHA RHEKER<br />

Krass: 80 bis 100 Obdachlose schlafen in FRANKFURT nachts in der B-Ebene einer S-Bahn-Station.<br />

Die Angebote für Obdachlose in<br />

Deutschland reichen vom<br />

Zwei-Bett-Container auf dem<br />

Gelände einer Kirchengemeinde bis<br />

zum Massenschlafen in der S-Bahn-<br />

Ebene. Hamburg hat das größte Winternotprogramm.<br />

Was frustriert: Wenn<br />

es endet, müssen mindestens 800 Menschen<br />

wieder auf die Straße. Denn sogar<br />

in den Dauerunterkünften für Obdachlose<br />

gibt es keine Plätze mehr. Im<br />

Gegenteil: 4800 Menschen warten dort<br />

auf die Weitervermittlung in eine Wohnung.<br />

Der absolute Stau. Und so müssen<br />

die Obdachlosen warten, bis wieder<br />

Winter ist – und wieder ein Notprogramm<br />

eröffnet.<br />

BERLIN<br />

(3,5 Millionen Einwohner)<br />

470 zusätzliche Plätze in rund 20 Notübernachtungsstätten<br />

und Nachtcafés,<br />

darunter 100 Feldbetten in einem großen<br />

Zelt auf dem Innsbrucker Platz.<br />

Das Angebot reicht hinten und vorne<br />

nicht, und das nicht erst seit Kurzem:<br />

Laut Berliner Stadtmission übernachteten<br />

im Winter 2013/2014 allein in ihren<br />

Notquartieren 2300 Obdachlose. Laut<br />

Senat lag die Auslastung der Kältehilfe-<br />

Angebote bei durchschnittlich 111 Prozent,<br />

Zahlen für diesen Winter sollen im<br />

<strong>April</strong> vorliegen. Die Kosten der Kältehilfe<br />

sind dem Senat nicht bekannt, da<br />

die Bezirke das Programm gestalten.<br />

26<br />

HAMBURG (1,75 Millionen)<br />

Rund 850 zusätzliche Plätze, davon 750<br />

in zwei alten Schulen und einer Container-Unterkunft.<br />

Bis zu 20 Obdachlose<br />

müssen in einem Raum schlafen. Dazu<br />

104 Plätze in Zwei-Bett-Containern auf<br />

dem Gelände von Kirchengemeinden.<br />

Gesamtkosten: 1,6 Millionen Euro.<br />

Das größte Winternotprogramm aller<br />

Zeiten ist bereits an seine Grenzen<br />

gestoßen: Anfang März schliefen bis zu<br />

940 Menschen in den Notunterkünften.<br />

Zusätzliche Betten könnten jederzeit<br />

aufgestellt werden, beruhigte die Behörde<br />

und stockte die Platzzahl im Februar<br />

auf 926 auf. Im Winter 2013/2014<br />

suchten mehr als 2000 Menschen Zu-


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Stadtgespräch<br />

flucht im Winternotprogramm. Laut<br />

Behörde lag die durchschnittliche Auslastung<br />

bei 90 Prozent.<br />

MÜNCHEN (1,5 Millionen )<br />

430 zusätzliche Plätze in einer ehemaligen<br />

Kaserne, bis zu acht Menschen<br />

müssen in einem Raum schlafen. Bei<br />

Bedarf können 70 zusätzliche Betten<br />

aufgestellt werden. Dazu 60 Plätze für<br />

Mütter mit Kindern, Schwangere und<br />

alleinerziehende Väter. Im Notfall hätte<br />

die Stadt zusätzlich einen Bunker mit<br />

bis zu 120 Plätzen geöffnet.<br />

Im Winter 2013/2014 nutzten laut<br />

Stadt 2368 Menschen das Kälteschutzprogramm,<br />

ein Jahr zuvor waren es<br />

1764 Menschen. Die Zahl der Sozialarbeiter<br />

wurde wegen der zunehmenden<br />

Nutzerzahlen von 4,5 auf 8 Stellen angehoben,<br />

Gesamtkosten des Programms:<br />

1,6 Millionen Euro.<br />

KÖLN (1,05 Millionen)<br />

93 zusätzliche Plätze, darunter 70 in einem<br />

Gebäude der Evangelischen Kirche,<br />

laut Stadt für „Menschen, die keinen<br />

Anspruch auf Sozialleistungen<br />

haben“. Dabei handelt es sich um „eine<br />

reine Übernachtungsmöglichkeit ohne<br />

Dusch- bzw. Waschgelegenheiten“. Daneben<br />

bieten katholische Kirchengemeinden<br />

in Nachtcafés zehn bis 15<br />

Schlafplätze an.<br />

Wie stark die Angebote ausgelastet<br />

waren und was sie kosten, wollte das<br />

Sozialamt nicht beantworten. Es habe<br />

dafür „keine Kapazitäten“. Hilfsorganisationen<br />

zufolge mangelt es aber an<br />

Wohnungen und Notunterkunftsplätzen<br />

gleichermaßen. Eine Sozialarbeiterin:<br />

„Wenn die Winterhilfe endet, müssen<br />

die Leute wieder auf die Straße.“<br />

FRANKFURT/MAIN (700.000)<br />

400 zusätzliche Plätze in Notübernachtungsstätten<br />

für sogenannte Anspruchsberechtigte,<br />

laut Sozialamt hat das Angebot<br />

diesen Winter ausgereicht.<br />

Menschen aus Südosteuropa werden in<br />

der Regel als „Touristen“ betrachtet<br />

und bekommen wie in Hamburg eine<br />

Fahrkarte für die Rückkehr in ihre Heimat<br />

angeboten. Zum Schlafen bleibt ihnen<br />

im Winter die B-Ebene der S-<br />

Bahn-Station Hauptwache. Dort<br />

schlafen im Schnitt 80 bis 100 Obdachlose.<br />

Zu den Kosten machte die Stadt<br />

keine Angaben.<br />

DORTMUND (589.000)<br />

Rund 30 zusätzliche Schlafplätze im<br />

Winter, neben den 100, die das ganze<br />

Jahr über zur Verfügung stehen. Das<br />

Angebot stehe allen Obdachlosen offen<br />

und sei gut, erklärt das Sozialamt: „Jedem,<br />

den wir auf diese Weise erreichen,<br />

kann gegebenenfalls auch ein Wohnungsangebot<br />

unterbreitet werden.“<br />

Das örtliche Straßenmagazin „Bodo“<br />

beurteilt die Lage anders: „Nach<br />

der ersten Nacht in einer Notübernachtungsstelle<br />

müssen die Leute wegen der<br />

Kostenübernahme zum Amt. Da fällt<br />

ein Teil raus“, so Redaktionsleiter Bastian<br />

Püttner. Betroffen sind vor allem<br />

Menschen aus Südosteuropa, die sich<br />

zwar wohnungslos melden können, im<br />

Anschluss aber drei Monate lang jeden<br />

Zugang zu Hilfen verwehrt bekommen.<br />

„Die Stadt hofft, dass sie dann gehen –<br />

was sie aber nicht machen.“<br />

DRESDEN (536.000)<br />

14 Notübernachtungsplätze stellt die<br />

Stadt im Winter von 22 Uhr abends bis<br />

7 Uhr morgens bereit, zusätzlich gibt es<br />

fünf Notbetten rund um die Uhr. Daneben<br />

bieten sieben Kirchengemeinden<br />

im Wechsel in Nachtcafés 21 bis 24<br />

Schlafplätze an. Das örtliche Straßenmagazin<br />

„Drobs“ berichtet, dass die ehrenamtlichen<br />

Helfer in den vergangenen<br />

Monaten öfters die Türen schließen<br />

mussten – wegen Überfüllung. •<br />

Eine Bilanz des Hamburger Winternotprogramms<br />

lesen Sie auf www.hinzundkunzt.de<br />

27


Stadtgespräch<br />

Läuft bei<br />

euch!<br />

Ein neues Buch feiert Hamburgs Plattenläden.<br />

„Recorded“ trifft Musikliebhaber mitten ins Herz.<br />

TEXT: SIMONE DECKNER<br />

FOTOS: KATRIN VIERKANT,<br />

JUNIUS VERLAG<br />

29<br />

Hans Jakob Groothoff<br />

(oben) hat seine Ausbildung<br />

zum Veranstaltungsmanager<br />

damals in der<br />

„Hanseplatte“ gemacht.<br />

„Zwei Tage nach<br />

Ausbildungsende war ich<br />

der CHEF meines eigenen<br />

Ladens.“ Die Vorgänger<br />

konzentrieren sich derweil<br />

aufs eigene Label.<br />

Die „Hanseplatte“ ist<br />

spezialisiert auf Musik<br />

aus Hamburg. Geld<br />

verdient Groothoff vor<br />

allem mit Merchan dising,<br />

Büchern und einem<br />

eigenen Mode-Label.


Das Sortiment von „Championship Records“ in der<br />

Susannenstraße hat sich seit 1989 wenig verändert.<br />

„Ich führe viel Punkrock, Psychobilly, Rockabilly,<br />

Garage, Surf und Rock ’n’ Roll, aber auch<br />

Independent, Funk und Soul – hauptsächlich<br />

gebrauchte Ware“, sagt Oliver Heinemann.<br />

„Mit dem INTERNET war ich sehr spät dran.<br />

Ich habe das Online-Business lange unterschätzt.“<br />

30


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Stadtgespräch<br />

„Einmal kam ein 16-jähriges Mädchen mit seiner Mutter in den Laden und war<br />

völlig überrascht, dass man eine PLATTE umdrehen kann. Die kannte nur CDs.“<br />

Oliver Heinemann (rechts) gehört „Championship Records“. Der Name ist eine Verbeugung vor<br />

dem kuriosen Plattenladen aus Nick Hornbys Roman „High Fidelity“.<br />

Michael Bonertz stolperte eines Tages fast über<br />

einen Mann, der plötzlich auf dem Boden seines<br />

Ladens – Slam Records im Schulterblatt –<br />

lag: „Ich war total geschockt,<br />

dachte, dass der kollabiert<br />

DJs schwören<br />

auf den wärmeren<br />

Sound des<br />

schwarzen Goldes.<br />

31<br />

wäre, und fragte ihn, ob er Hilfe<br />

bräuchte. Er öffnete ein Auge und<br />

meinte nur: ‚Ist alles okay. Ich musste<br />

mich nur eben hinlegen, weil die Musik<br />

so gewaltig war.‘“<br />

Es sind großartige Geschichten<br />

wie diese, die es in „Recorded“ zu entdecken<br />

gibt. Das Buch, das in diesem<br />

Monat im Hamburger Junius Verlag<br />

erscheint, ist eine Liebeserklärung an<br />

eine Institution, die im Zeitalter von digitaler Musik wie ein<br />

Überbleibsel aus alten Zeiten wirkt: der Plattenladen.<br />

Eigentlich hat er sich überlebt, seitdem mit einem Klick<br />

Millionen von Songs jederzeit verfügbar sind, sagt die Fotografin<br />

Katrin Vierkant. Die Hamburgerin, die seit zehn Jahren<br />

in Paris lebt, hatte die Idee zum Buch. Sie wollte wissen:<br />

Wer sind die Menschen, die trotz Krise der Musikindustrie<br />

immer noch Plattenläden betreiben?<br />

Und vor allem: Welche Geschichten<br />

haben sie zu erzählen?<br />

2011 begannen Vierkant und ihr<br />

schreibender Kollege Nicolas Christitch<br />

mit der Recherche für ihr Buch.<br />

26 Hamburger Plattenläden haben<br />

sie porträtiert, in Wort und Bild: von<br />

Urgesteinen wie der „Plattenrille“ bis<br />

zu jungen Läden wie „Smallville“.<br />

Beim Lesen von „Recorded“<br />

wird schnell klar: Platten verkaufen<br />

ist kein gewöhnlicher Job. Die Menschen hinterm Tresen sind<br />

Überzeugungstäter. Nicht wenige fingen als Stammkunden<br />

an, wurden Verkäufer im Lieblingsladen und später Besitzer.<br />

Wie Marga Glanz, eine der ganz wenigen Frauen, die Chefin


32<br />

Der ehemalige Musik -<br />

jour nalist Michael Ruff<br />

ist Chef von „Ruff Trade<br />

Records“ in der Feldstraße.<br />

1979 hieß der Laden noch<br />

„Rip Off“ und war Anlaufstelle<br />

für alle, die gern<br />

PUNK hörten. „Der Laden<br />

repräsentiert in gewisser<br />

Weise meinen eigenen<br />

Musikgeschmack, und das<br />

ist das, was Spaß an der<br />

Arbeit macht – auch wenn<br />

ich weiß, dass es riskant sein<br />

kann“, sagt Ruff. Privat<br />

kauft er „viel obskures Zeug<br />

auf Flohmärkten“.


Stadtgespräch<br />

Vinyl hat loyale<br />

Fans, vor allem<br />

bei Sammlern<br />

und DJs.<br />

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eines Plattenladens ist: „In den 1990er-Jahren habe ich Läden<br />

in den USA besucht und fand die einfach großartig. So einen<br />

wollte ich auch.“ 2004 übernahm sie „Groove City“ im Karoviertel.<br />

Das „Fachgeschäft für Soul, Funk, Reggae und Hip-<br />

Hop“ wurde vom Nachrichtensender CCN 2013 zu den<br />

„Zehn besten Plattenläden der Welt für Reisende“ gezählt.<br />

Denn trotz aller Abgesänge: Seit 2012 wird wieder mehr<br />

Vinyl verkauft. Zwar bilden die Schallplattenverkäufe heute<br />

nur noch magere zwei Prozent des Gesamtmarktes, aber: Vinyl<br />

hat loyale Fans, vor allem bei Sammlern und DJs. Sie<br />

schwören auf den wärmeren Sound und die einmalige Haptik<br />

des „schwarzen Goldes“.<br />

Ein Name fällt in „Recorded“ immer wieder: „Unterm<br />

Durchschnitt“ an der Rutschbahn. 1976 eröffnet, 2004 geschlossen,<br />

bis heute im Gedächtnis lebendig: Das letzte Kapitel<br />

erinnert an den legendären Laden. Besitzer Uli Rehberg<br />

war wohl der eigenwilligste Plattenverkäufer der Stadt: „Der<br />

wollte dir auch gerne mal eine Platte nicht verkaufen“, erinnert<br />

sich Oliver Heinemann von Championship Records,<br />

„weil die Strahlungen des Fernsehturms nicht gut waren. Ein<br />

Traum.“ •<br />

„Recorded. Live in Hamburgs Plattenläden“ von Nicolas Christitch<br />

und Katrin Vierkant, Junius Verlag, 24,90 Euro. Am 18.4. wird<br />

weltweit der „Record Store Day“ gefeiert. Mehr Infos im Internet<br />

unter www.recordstoredaygermany.de<br />

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Unser Büro ist in der Altstädter Twiete 1-5, 20095 Hamburg.<br />

33


Artur gibt es wirklich! Der BÜFFELBULLE, Namensgeber eines Buches<br />

von Artur Dieckhoff, grast beim Landhaus des Künstlers. Seine Popularität hat<br />

das Rindvieh vor dem Schlachter gerettet – Artur hat lebenslanges Weiderecht.


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Lebenslinien<br />

Wild ist ihre<br />

Lieblingsfarbe<br />

Wenn man 30 Jahre gut zusammenarbeitet, muss man sich wohl<br />

leiden können. In einer neuen Ausstellung zeigen die beiden grafischen<br />

Künstler Artur Dieckhoff und Klaus Raasch, was Tolles dabei entsteht,<br />

wenn sich zwei Eigenbrötler zur „Schwarzen Kunst“ zusammentun.<br />

FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK<br />

TEXT: MISHA LEUSCHEN<br />

Wie wild es in den Künstlerseelen von Artur<br />

Dieckhoff und Klaus Raasch aussieht, das<br />

lässt sich in ihrer neuen Ausstellung in der Fabrik<br />

der Künste erahnen. „Wild ist (m)eine<br />

Lieblingsfarbe“ wird sie heißen und die mittlerweile 30-jährige<br />

gemeinsame Arbeit der Werkstatt „Schwarze Kunst“ präsentieren,<br />

die Artur Dieckhoff mit seinem Kollegen und Freund<br />

Klaus Raasch betreibt. „Hier macht jeder sein eigenes Ding<br />

in seinen ‚Lieblingsfarben‘. Mal wild, mal bunt, mal schwarz,<br />

mal maritim“, beschreibt Klaus Raasch die Aus stellung, die<br />

auch die Arbeiten der Kollegen Jürgen Meyer Jurkowski und<br />

Christian Peter zeigt.<br />

„Wir sind Eigenbrötler, die sich in Ruhe lassen, aber auch<br />

gut zusammenarbeiten können“, beschreibt der 66-jährige<br />

Dieckhoff ihre Freundschaft und der zwölf Jahre jüngere<br />

Raasch nickt dazu zustimmend. Vielleicht verbindet ja die gemeinsame<br />

Herkunft? „Ich komme aus Gelsenkirchen, er aus<br />

Wanne-Eickel, da haben wir uns mental gleich gut verstanden“,<br />

sagt Dieckhoff mit den langen Vokalen seiner Heimat<br />

in der Stimme.<br />

Immer Druck machen, politisch und an der Setzmaschine,<br />

darin haben die beiden früh gemeinsame Sache gemacht.<br />

Druckertinte ist eben dicker als Wasser: Seit drei Jahrzehnten<br />

funktioniert die ZUSAMMENARBEIT der Künstler<br />

Klaus Raasch (links) und Artur Dieckhoff. Gestritten haben<br />

sie noch sie, sagen sie, nur in der Sache gerungen.<br />

35


In der DRUCKWERKSTATT des<br />

Museums der Arbeit in Barmbek kann<br />

man Artur Diekhoff (links) und<br />

Klaus Raasch (unten) regelmäßig beim<br />

Arbeiten zuschauen. Das macht beiden<br />

Spaß – auch wenn vor lauter Erklären<br />

meist nur einer zum Arbeiten kommt.<br />

„Grafische Künstler<br />

sind sehr spezielle<br />

Menschen.“ ARTUR DIEKHOFF<br />

Dieckhoff, der Schriftsetzermeister, war immer ein Linker, genauso<br />

wie der Grafiker und Kriegsdienstverweigerer Klaus<br />

Raasch. Umweltverschmutzung, Anti-AKW, Stadtentwicklung,<br />

soziale Ungerechtigkeit, das waren ihre Themen und sie<br />

mischten sich konsequent ein. Vom Kommunistischen Manifest<br />

bis hin zu tagesaktuellen Plakaten setzten die beiden<br />

drucktechnisch um, was ihnen wichtig war. Ottensen wurde<br />

Dieckhoffs Heimat und Kiez, hier ist er bis heute dabei, wenn<br />

es um Stadt- und Lokalpolitik geht.<br />

Eine tonnenschwere Andruckmaschine – was sonst? –<br />

brachte die beiden ungleichen Männer zusammen. Dieses<br />

Monstrum hatte Raasch als Student gekauft und wusste noch<br />

nicht, wohin damit. Dieckhoff hatte Platz in seiner Werkstatt<br />

– das war der Beginn der „Schwarzen Kunst“ und einer erfolgreichen<br />

Zusammenarbeit zweier sehr unterschiedlicher<br />

Temperamente. Raasch ist Künstler und Tüftler, ein begnadeter<br />

Papierspezialist und völlig absorbiert von seiner Arbeit,<br />

gut vernetzt, immer in Bewegung. Fachkundig redet er<br />

vom Druckmetier, von Kollegen und ihrer Arbeit, von Plänen<br />

und von Vergangenem – und das so schnell, dass einem<br />

schwindelig wird bei all den Fakten.<br />

Zu erzählen hat er eine Menge, denn wie sein Kollege<br />

Dieckhoff hat der Gestalter, Drucker und Verleger von Künstlerbüchern<br />

viel Bemerkenswertes geschaffen, darunter auch<br />

36


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Lebenslinien<br />

Künstlerbücher von Cees Nooteboom, Botho Strauß, Neo<br />

Rauch und Markus Lüpertz, die er typografisch gestaltet und<br />

gedruckt hat. Dieckhoff, der Handsetzer, Drucker und Illustrator,<br />

hat neben dem Buch noch eine zweite Leidenschaft:<br />

den Film. 1992 brachte er mit dem Trickfilm „Vogel“ den<br />

Holzschnitt erstmals auf die Leinwand, auch Dokumentarfilme<br />

hat der vielseitige Künstler gemacht, zuletzt „Zwiebelfische“<br />

über den Sohn des Malers Max Ernst und seine Zeit in<br />

einer Druckerei in Glückstadt.<br />

Beide Künstler sehen sich in der Tradition der Setzer und<br />

ihres politischen Engagements. „Sie waren die ersten Gewerkschafter,<br />

sie konnten lesen und schreiben“, doziert Dieckhoff.<br />

Eine streitlustige Gewerkschaft seien sie gewesen, die Spitzenlöhne<br />

für ihre Mitglieder aushandelte, von denen er selbst als<br />

Setzer noch profitierte, erinnert er sich und wiegt bedächtig<br />

sein graues Löwenhaupt.<br />

Politik darf auch schön sein, finden die beiden. „Keine<br />

Angst vor Ästhetik“ ist ihr Motto, und so verführen sie Menschen<br />

immer wieder zum Lesen besonderer Texte. Mit schönen<br />

Büchern kann man viel bewegen, davon sind sie überzeugt<br />

und haben es bewiesen – man kann zum Beispiel einen<br />

Wasserbüffel vor dem Schlachten retten („Rettet Artur!“),<br />

mit einem Ringelschwänzchen Gutenbergs Geheimnis der<br />

Buchdruckkunst auf den Grund gehen („Johannes und das<br />

Blaubeerschwein“) oder Wasserwesen kunstvoll erotisch auf<br />

Papier bannen (mit der Neuerscheinung „Nixen, Nymphen,<br />

Neptuns Nichten“).<br />

Vor zwölf Jahren sind sie mit ihrer Werkstatt so richtig<br />

aufs Land gezogen, nach Niedersachsen, „dort, wo die Leine<br />

in die Aller fließt“, erzählt Artur Dieckhoff. Auf dem alten<br />

Hof mit Scheune und Fachwerkhaus haben sie genug Platz<br />

für ihre Maschinen, für ihre Arbeit und Ruhe zum Entwickeln<br />

neuer Ideen. „Da wohnen wir auch mal eine Woche zusammen,<br />

wenn wir an einem Projekt arbeiten“, sagen sie. Gestritten<br />

habe sie sich noch nie, erzählen sie, nur in der Sache gerungen.<br />

Männer eben.<br />

50 Jahre ist Dieckhoff jetzt im Beruf. „Wir sind an einem<br />

Scheidepunkt“, sagt er nachdenklich. „Das sinnliche Erleben<br />

eines handgemachten Buchs wissen immer weniger Menschen<br />

zu schätzen.“ Und diejenigen, die dieses Handwerk<br />

noch beherrschen, sind meist schon älter als er. Kampflos aufgeben<br />

werden sie sicher nicht, dazu schlägt das wilde Herz<br />

noch viel zu heiß. „Grafische Künstler sind sehr spezielle<br />

Menschen“, findet Artur Dieckhoff. Die zwei Freunde aus<br />

dem Ruhrpott sowieso. •<br />

Wild ist (m)eine Lieblingsfarbe, 10.–19.4., Fabrik der Künste,<br />

Kreuzbrook 12, Vernissage: Fr, 10. 4., 19 Uhr,<br />

Öffnungszeiten: täglich 14–19 Uhr, Eintritt frei<br />

Auf künstlerische „TRAUMREISEN“ ging Klaus Raasch<br />

1994 zu Texten des portugiesischen Dichters Fernando Pessoa.<br />

Vertraute Dinge entwickeln dabei in den Holz-,<br />

Linol- und Materialdruckcollagen ein surreales Eigenleben.<br />

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Freunde<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>266</strong>/ APRIL <strong>2015</strong><br />

Manuela Herborth (zweite von rechts) und Egbert Meyer-Lovis (links außen) von der DEUSCHEN BAHN<br />

überreichten die Spende an Gabriele Koch, Christian Hagen (Bildmitte) und Hinz&Künztler Stefan.<br />

Spende für mehr Mobilität<br />

Für den Verkauf im Hamburger Umland nehmen Hinz&Künztler nicht nur lange,<br />

sondern auch teure Fahrten auf sich. Unterstützung erfahren sie jetzt durch den Mobilitätsfonds.<br />

TEXT: JONAS FÜLLNER<br />

FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

U<br />

nser Verhältnis zur Deutschen<br />

Bahn war nicht immer das beste.<br />

Streit gab es des Öfteren,<br />

wenn Obdachlose vom Bahnhof vertrieben<br />

wurden. Umso mehr freuen wir<br />

uns, dass die Bahn jetzt Hinz&Künztler<br />

unterstützt: mit einer großzügigen<br />

Spende über 12.600 Euro. Und mit diesem<br />

Geld unterstützt Hinz&<strong>Kunzt</strong> die<br />

Mobilität der Verkäufer. Gerade Verkaufsplätze<br />

an entlegenen Orten sind<br />

manchmal verweist. „Die langen Fahrtzeiten<br />

sind nicht das Problem“, sagt<br />

Vertriebsleiter Christian Hagen. „Abschreckend<br />

sind die enormen Kosten<br />

für die Tickets.“<br />

Die meisten Verkaufsplätze befinden<br />

sich in Hamburg. Aber auch im Speckgürtel<br />

zwischen Stade, Itzehoe, Bad Oldesloe<br />

und Lüneburg sollen die Menschen<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> kaufen können.<br />

In der Vergangenheit bestand das<br />

Problem, dass sich für diese Orte keine<br />

Verkäufer für einen längeren Zeitraum<br />

finden ließen. Sie scheuten das unkalkulierbare<br />

Risiko. „Bislang mussten Verkäufer<br />

teure Tages- oder Monatskarten<br />

kaufen, ohne zu wissen, wie viele Zeitungen<br />

sie verkaufen können“, sagt Hagen.<br />

Das soll jetzt besser werden. Mit<br />

dem neuen Mobilitätsfonds fördert<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> den Verkauf im Hamburger<br />

Umland. Nach einer Probezeit übernimmt<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> für die nachfolgenden<br />

drei Monate die Fahrtkosten zum<br />

Verkaufsplatz, bis der Verkäufer sich am<br />

Platz etabliert hat und seine Tickets aus<br />

eigener Tasche bezahlen kann.<br />

Ermöglicht wurde die Spende durch<br />

eine Aktion der Deutschen Bahn: An<br />

drei Verkaufstagen wanderte Ende vergangenen<br />

Jahres ein Teil der Einnahmen<br />

aus dem Reisezentrum im Hauptbahnhof<br />

an Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

Erste Verkäufer haben sich bereits<br />

beworben. „Hinz&Künztler Franz pendelt<br />

jetzt nach Eidelstedt und verkauft<br />

dort vor Edeka“, freut sich Hagen. •<br />

Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk<br />

38


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Freunde<br />

HK <strong>266</strong><br />

Vergnügen für<br />

Freunde<br />

Die Komödie „Ab jetzt“ im Hamburger Schauspielhaus dürfte der Hit der<br />

Saison werden. Mitglieder des Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreises<br />

konnten sich davon frühzeitig überzeugen – bei der Generalprobe.<br />

Am Ende einer Generalprobe wird nicht applaudiert. Die Schauspieler treten<br />

daher auch nicht an den Bühnenrand, um sich zu verbeugen, sondern<br />

verschwinden schnöde hinter der Bühne und werden nicht mehr gesehen.<br />

So blieb den Mitgliedern des Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis nur, sich untereinander<br />

ihre Begeisterung mitzuteilen – eingeladen von Hinz&<strong>Kunzt</strong> zusammen mit dem<br />

Hamburger Schauspielhaus, als Dankeschön für ihr Engagement. Das Fazit? Hingehen!<br />

Unbedingt hingehen! Denn wie Hausherrin und Regisseurin Karin Beier<br />

die Komödie von Alan Ayckbourn um einen verschrobenen Komponisten, der<br />

mithilfe eines Roboters das Umgangsrecht<br />

für seine Tochter erlangen will,<br />

inszeniert hat, ist einfach sehenswert!<br />

Ganz zu schweigen von den schauspielerischen<br />

Glanzleistungen von Lina<br />

Beckmann, Ute Hanning und<br />

Götz Schubert. Viele Freunde raunten<br />

sich daher zu: „Wir gehen wieder<br />

öfter ins Theater!“ •<br />

Meine Jahresspende beträgt:<br />

60 Euro (Mindestbeitrag für<br />

Schüler/Studenten/Senioren)<br />

100 Euro<br />

Euro<br />

Datum; Unterschrift<br />

Ich möchte eine Bestätigung<br />

für meine Jahresspende erhalten.<br />

(Sie wird im Februar des Folgejahres zugeschickt.)<br />

Name, Vorname<br />

Straße, Nr.<br />

Ja,<br />

ich werde Mitglied im<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis.<br />

Damit unterstütze ich die<br />

Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

Meine Adresse:<br />

Die nächsten Aufführungen: 4. 4., 16.4.<br />

und 24. 4., jeweils 20 Uhr. Karten: 64/8<br />

Euro. Schauspielhaus, Kirchenallee 39,<br />

Kartentelefon: 040 248 713<br />

Weltfremd, aber herzensgut: Schauspieler GÖTZ<br />

SCHUBERT in der Rolle des Komponisten Jerome.<br />

PLZ, Ort<br />

Telefon<br />

E-Mail<br />

Dankeschön<br />

Beruf<br />

Geburtsjahr<br />

FOTO: KLAUS LEFEBVRE<br />

Wir danken allen unseren SpenderInnen im<br />

März sowie allen Mitgliedern im Freundeskreis<br />

von Hinz&<strong>Kunzt</strong> für die Unterstützung unserer<br />

Arbeit!<br />

DANKESCHÖN EBENFALLS AN:<br />

HanseWerk AG, IPHH,<br />

wk it services,<br />

Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH,<br />

Firma Ströer Außenwerbung GmbH,<br />

Hamburger Tafel,<br />

Axel Ruepp Rätselservice,<br />

Hamburger Kunsthalle, bildarchiv-hamburg.de,<br />

Medienpool Extra GmbH, Erdkorn,<br />

Andreas Hansen Plakatanschlag,<br />

Agentur K2 Werk,<br />

Stromnetz Hamburg,<br />

Klaus Stöckel und den<br />

Musikern Mareike Mehrkens,<br />

Marco Friedrich, Peter Friedrich und Christian<br />

39<br />

Kirchfeld für ihre Konzerte in den<br />

evang. Kirchen in Wentorf, Basthorst<br />

und Büchen-Pötrau,<br />

Nähring-Stiftung Hamburg,<br />

Helene Stiftung Hamburg,<br />

Tom Vollerthun und den Kollegen und<br />

Kolleginnen der<br />

IT-Abteilung der Otto GmbH & Co KG<br />

NEUE FREUNDE:<br />

Friederike Aschermann,<br />

Lara Blackwood, Susanne Cordes,<br />

Claudia Gärtner, Christina Hoffmann,<br />

Antje Langbehn-Pohlmann,<br />

Antje Lanzenberger,<br />

Regine Schomaker-Reichelt,<br />

Anna Soetebeer, Jürgen Sponnagel,<br />

Christian Springub, Thomas Waldeck,<br />

Hans-Curd Welsch, Barbara Wilgeroth,<br />

Silke Witte-Bremes<br />

Ich erteile eine Ermächtigung zum<br />

Bankeinzug meiner Jahresspende.<br />

Ich zahle: halbjährlich jährlich<br />

IBAN<br />

BIC<br />

Bankinstitut<br />

Einzugsermächtigung:<br />

Wir versichern, dass Ihre Angaben nur für interne<br />

Zwecke bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> verwendet werden. Ihre<br />

Mitgliedschaft im Freundeskreis ist jederzeit kündbar.<br />

Bitte Coupon ausschneiden und senden an:<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis<br />

Altstädter Twiete 1-5, 20095 Hamburg<br />

Oder online im Freundeskreis anmelden unter<br />

www.hinzundkunzt.de/so-koennen-sie-helfen/


Buh&Beifall<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>266</strong>/ APRIL <strong>2015</strong><br />

Was unsere Leser meinen<br />

„Soziale Projekte gehören in die Hand der Verwaltung“<br />

„Sehr sympathisch“<br />

H&K 264, Titelbild „Esst Nazis!“ –<br />

Hinz&Künztler verteilte Ketchup dazu<br />

Daran sieht man, dass es für ihn<br />

wirklich ein Job ist, so wie andere als<br />

Arzt, Metzger oder Müllmann arbeiten.<br />

Und er macht noch ein bisschen mehr<br />

daraus. Sehr sympathisch!!! Ich wünsche<br />

ihm mit dieser „Aktion“ viel positives<br />

Feedback. *Daumen hoch*<br />

NILS LEMKE PER E-MAIL<br />

„Danke für diese Zeiten!“<br />

Allgemeines Feedback<br />

Bei meinem letzten Besuch in der<br />

Heimat hatte ich wieder die Möglichkeit,<br />

eine Ausgabe zu erstehen, habe sie<br />

nun heute zu Ende geschmökert und<br />

bin mal wieder erstaunt. Diese Zeitung<br />

besteht aus derart guten Artikeln, fantastischen<br />

Bildern und so viel Herzblut,<br />

welches beim Lesen förmlich aus der<br />

Zeitung auf mein Sofa sickert und<br />

schlussendlich in mein Blut übergeht,<br />

um meinen eigenen Herzkreislauf zu<br />

erwärmen. Danke für diese Zeiten!<br />

GRÜSSE AUS STRALSUND VON EINER LESERIN<br />

„Toll gemacht!“<br />

Nur Online: Auszeichnung für Projekt zur<br />

Sterbebegleitung von Wohnungslosen<br />

Ich finde es immer wieder erschreckend,<br />

dass diverse Projekte über Dritte<br />

initiiert werden müssen. Die Politik<br />

lehnt sich mehr oder minder zurück und<br />

sagt dann: Toll gemacht! Soziale Projekte<br />

gehören in die Hand der öffentlichen<br />

Verwaltung. Ich muss daher immer wieder<br />

meinen Respekt zollen, wenn sich<br />

Menschen derer annehmen, die schon<br />

nichts mehr besitzen, ihnen aber mit<br />

vollem Respekt begegnen. ENNO HEIDTMANN<br />

Leserbriefe geben die Meinung des Verfassers<br />

wieder, nicht die der Redaktion. Wir behalten<br />

uns vor, Leserbriefe zu kürzen.<br />

Aus der Online-Redaktion<br />

Die meistgelesenen Artikel im März auf<br />

www.hinzundkunzt.de:<br />

1. Brandbrief der Personalräte<br />

Jobcenter-Mitarbeiter beklagen<br />

Überlastung<br />

2. Kampnagel<br />

Zentralrat der Asozialen wurde auf<br />

Kampnagel gegründet<br />

3. Koalitionsverhandlungen<br />

Wenig Neues beim Wohnungsbau<br />

4. Diakonie zu Olympia<br />

Feuer und Flamme für gerechte Spiele<br />

5. Zuwanderung aus Osteuropa<br />

Neue Anlaufstelle für Wanderarbeiter<br />

eröffnet<br />

Hamburger Nebenschauplätze<br />

Der etwas andere<br />

Stadtrundgang<br />

Wollen Sie Hamburgs City einmal mit anderen Augen sehen? Abseits der teuren Fassaden<br />

zeigt Hinz&<strong>Kunzt</strong> Orte, die in keinem Reiseführer stehen: Bahnhofs mission statt Rathausmarkt,<br />

Drogenberatungsstelle statt Alsterpavillon, Tages aufent halts stätte statt Einkaufspassage.<br />

Anmeldung: info@hinzundkunzt.de oder Telefon: 040/32 10 83 11<br />

Kostenbeitrag: 10/5 Euro, nächste Termine: 5.4. + 19.4.<strong>2015</strong>, 15 Uhr<br />

Wir trauern um<br />

Rainer Knauff<br />

* unbekannt – 29. Januar <strong>2015</strong><br />

Rainer starb nach längerer Krankheit<br />

im Hospiz.<br />

Die Verkäufer und das Team von<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

Wir trauern um<br />

Michael Janiak<br />

4. Februar 1959 – 16. Februar <strong>2015</strong><br />

Michael hat bis zuletzt für uns verkauft.<br />

Er starb an seiner Drogenkrankheit.<br />

Die Verkäufer und das Team von<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

Wir trauern um<br />

Rainer Jung<br />

23. Februar 1965 – 20. Februar <strong>2015</strong><br />

Rainer starb kurz vor seinem 50. Geburtstag.<br />

Er hinterlässt seine Frau und einen Sohn.<br />

Die Verkäufer und das Team von<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Hoffnung und High Heels: Mode-Ikone Jorge González’<br />

langer Weg von Kuba auf den Laufsteg (S. 42).<br />

Prinzen, Knackis und Zocker: Schräge Helden auf der<br />

12. Hamburger Dokumentarfi lmwoche (S. 46).<br />

Schnüffl er in der Provinz: Literaturpreis für den ersten<br />

Hartz-IV-Detektiv Deutschlands (S. 52).<br />

Weil das Bild „Immer des Nachts“ von<br />

DIRK MEINZER so schön leuchtet, ist es bei<br />

der Ausstellung „150 Watt“ zu sehen (S. 48).


Kuba, Tschechien<br />

und heute Deutschland:<br />

Jorge González<br />

hat einen langen,<br />

manchmal mühsamen<br />

WEG hinter sich.<br />

Er vertraute dabei<br />

immer seinem Glück.


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

„Ich bin okay so“<br />

Jorge González kennt man als quirligen Laufstegtrainer von Heidi Klums<br />

„Germany‘s Next Topmodel“-Show; als Mode- und Celebrity-Ikone. Doch er hat auch einen<br />

akademischen Abschluss als Nuklearökologe. Dass er den hat, hat seinen tieferen Sinn.<br />

TEXT: FRANK KEIL<br />

FOTOS: DANIEL CRAMER<br />

Jorge González hat „Rücken“.<br />

Nicht doll, nicht schlimm –<br />

nur ein bisschen. „Alles gut,<br />

kein Problem“, sagt er, als er<br />

sich ein wenig vorsichtig auf<br />

dem flachen Sofa niederlässt.<br />

Dann atmet er einmal tief ein, atmet<br />

wieder aus und schlägt seine langen Beine<br />

gekonnt übereinander. Und sofort ist<br />

da statt einems leichten Anflugs von<br />

möglicherweise Schmerz wieder dieses<br />

Lachen. Kein Lächeln – sondern ein offensives<br />

Lachen. Ansteckend, wohltuend,<br />

herzlich und absolut überzeugend.<br />

Er hat auch allen Grund dazu. Denn es<br />

geht ihm gut, rundweg gut. So gern lebt<br />

der gebürtige Kubaner nach Stationen<br />

in Offenbach und Frankfurt in Hamburg,<br />

so gern arbeitet er für seine „Chicas<br />

Walk Academy“, gibt dort Workshops<br />

und Kurse – und nun tut sich<br />

auch Gutes in Kuba. Denn Kuba und<br />

die USA reden wieder miteinander –<br />

und vielleicht könnte eines Tages die<br />

drückende Wirtschaftsblockade aufgehoben<br />

werden.<br />

„Seit mehr als 50 Jahren lebt Kuba<br />

unter der Blockade. Viele Menschen haben<br />

das Land verlassen, viele Familien<br />

sind daran kaputtgegangen. Aber nun<br />

müssen die Menschen, die ihre Zukunft<br />

selbst gestalten wollen, nicht mehr mit<br />

dem Gedanken leben, das Land verlassen<br />

zu müssen“, sagt er. „Die Stimmung<br />

in meiner Familie? Grandios!“<br />

Um zu verstehen, warum sich Jorge<br />

González so über die ersten Schritte einer<br />

möglichen politischen Annäherung<br />

freut und warum er so viel Hoffnung<br />

hat, muss man ein wenig über seinen<br />

Lebensweg wissen. Der im August 1967<br />

in Kuba begann. In einer kleinen Stadt<br />

43<br />

namens Jatibonico, in der Mitte Kubas.<br />

Er wächst in einer landesüblich trubeligen<br />

Familie auf. Sein Vater Lkw-Fahrer<br />

für die örtliche Zuckerfabrik, seine Mutter<br />

Floristin. Als Geschwister eine ältere<br />

Schwester, ein jüngerer Bruder. Mit im<br />

Haus lebt auch seine Großmutter. Die<br />

sehr wichtig für ihn werden wird.<br />

Denn der kleine Jorge merkt früh,<br />

dass bei ihm etwas anders ist. Er findet<br />

Mädchen schön und toll und zieht sich<br />

gern an wie sie. Aber so richtig interessiert<br />

er sich – für Jungen. Und er merkt<br />

in den kommenden Jahren, dass er damit<br />

aus dem Rahmen fällt. Hört, wie die<br />

Erwachsenen auf der Straße davon reden,<br />

dass sie lieber einen Kriminellen<br />

zum Sohn haben möchten als einen<br />

Schwulen. Dass ein Schwuler Schande<br />

über seine Familie bringe. „Und gleichzeitig<br />

wusste ich: Ich bin okay, ich bin


Offen wie wenige andere Prominente<br />

bekennt sich Jorge González zu seiner<br />

HOMOSEXUALITÄT. Als er noch in<br />

Kuba lebte, war das undenkbar.<br />

kein kranker Mensch oder so.“ Kurz<br />

bricht der Konflikt offen aus, als Jorge in<br />

einer Ballettkompagnie mittanzen will.<br />

Nichts da! Sein Vater erlaubt es ihm<br />

nicht. Er schickt ihn stattdessen zum<br />

Baseball, zum Boxen.<br />

Eines Tages, als er aus der Schule<br />

kommt, steht seine Oma vor ihm. In<br />

den Händen hält sie sein Heft, das er so<br />

sorgsam versteckt hat. In das hat er Bilder<br />

aus Illustrierten eingeklebt – von<br />

Männern. Doch sie sagt zu ihm: „Du<br />

bist gut, so wie du bist.“ Und gibt ihm<br />

einen Kuss. „Wir haben nie darüber gesprochen;<br />

sie hat mich unterstützt, da<br />

brauchst du keine Worte, und ich habe<br />

angefangen zu verstehen, was Toleranz<br />

und Respekt sind“, sagt er.<br />

Von nun an hat Jorge einen Plan: Er<br />

möchte so leben, wie er will. Und da das<br />

offenbar in Kuba nicht geht, beschließt<br />

er, das Land zu verlassen. Da er weiß,<br />

dass das so einfach nicht geht, muss er<br />

einen Weg finden: ein Studium im Ausland,<br />

später. Dafür muss er der Beste<br />

werden. Der absolut Beste.<br />

Und er wird der beste Schüler seiner<br />

Klasse; der beste Schüler des Internats,<br />

auf das er folgerichtig geht. Was ihm einen<br />

Studienplatz im Ausland bescheren<br />

wird. Er bewirbt sich für das Studium<br />

Zwei Jahre lang<br />

war er staatenlos.<br />

Dann ging er<br />

nach Hamburg.<br />

der Nuklearökologie. Ihn interessieren<br />

Fächer wie Mathematik, Physik und<br />

Chemie, aber auch Biologie und Ökologie<br />

– er besteht alle Prüfungen. 17 Jahre<br />

ist er alt, als er Kuba verlässt. Im Spätsommer<br />

des Jahres 1985. „Ich saß das<br />

erste Mal in meinem Leben im Flugzeug<br />

und es war, als hätte ich den<br />

Hauptpreis in der Lotterie gewonnen.“<br />

44<br />

Es geht in die damalige Tschechoslowakische<br />

Sozialistische Volksrepublik<br />

(CSSR), die als ein vergleichsweise liberales<br />

Ostblockland gilt. Sein Traum ist<br />

es, nach Prag zu kommen. „Meine Tante<br />

hat immer wieder von Prag und von<br />

diesem Franz Kafka gesprochen; so oft,<br />

dass ich schon dachte, dieser Kafka ist<br />

ein Onkel von mir.“<br />

Es wird Bratislava, nahe der österreichischen<br />

Grenze. Und während Jorge<br />

González neben dem Studium in Bratislava<br />

und dann in Prag anfängt zu modeln<br />

und er bald als Choreograf für<br />

Modeshows und Fotoshootings jobbt,<br />

beginnt sich die Welt erst langsam, dann<br />

rasant zu wandeln: Nach dem Fall der<br />

Mauer bricht auch in der CSSR das Regime<br />

mehr und mehr zusammen.<br />

Schon lange besucht Jorge nicht mehr<br />

die studentischen Abende der kubanischen<br />

Botschaft, auf denen man die Reden<br />

des Staatschefs Fidel Castro bespricht.<br />

Was den Botschaftsmitarbeitern<br />

keinesfalls gefällt. Und er wird in der<br />

Uni zu einer Art Tribunal geladen; soll


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

sich über Stunden für sein Verhalten<br />

rechtfertigen – soll schnellstens sein Diplom<br />

machen und dann unverzüglich<br />

zurück nach Kuba fliegen. Seinen Reisepass<br />

hatte die Botschaft schon damals<br />

nach seiner Einreise einbehalten.<br />

Aber er hat vorgesorgt. Draußen<br />

vor dem Saal sollen seine Freunde auf<br />

ihn warten. Aber werden sie dort wirklich<br />

stehen? Als er erschöpft vor die Tür<br />

tritt, sind da gefühlt mehr als 100 Leute,<br />

die ihn sofort umringen, die ihn mitnehmen,<br />

die so dafür sorgen, dass er für die<br />

nächsten Monate untertauchen kann.<br />

Damit ihn die aus der Botschaft nicht<br />

wegfangen. Jorge González hält kurz inne,<br />

er schaut auf die Härchen auf seinen<br />

Unterarmen: „Wenn ich jetzt davon<br />

spreche, meine Haare gehen so hoch.“<br />

Er sagt: „Davon zu erzählen ist leicht<br />

und schön. Das zu erleben ist schwer.“<br />

Er erhält in der neuen Republik<br />

Tschechien zunächst Asyl. Ist zwei Jahre<br />

lang staatenlos, während er an seiner<br />

Karriere arbeitet. Dann stellt ihm die<br />

neue Regierung endlich einen Reisepass<br />

aus. Und er kann gehen, wohin er gehen<br />

will – nach Deutschland. Denn dort, davon<br />

ist er überzeugt, ist das Leben tolerant.<br />

Dort gibt es Pünktlichkeit und<br />

Fleiß, und auch Ehrgeiz wird geschätzt.<br />

„Ich weiß, das ist auch ein Klischee,<br />

aber es ist auch wahr“, sagt er.<br />

Und er hat einen Vergleich parat:<br />

„Wenn in Kuba in deinem Haus ein<br />

Wasserrohr platzt, dann versammeln<br />

sich viele Leute und beratschlagen stundenlang,<br />

was man machen könnte, wen<br />

man vielleicht holen könnte und warum<br />

das wohl passiert ist – und währenddessen<br />

läuft das ganze Haus voll Wasser. In<br />

Deutschland gibt es eine Telefonnummer,<br />

da ruft man an, jemand kommt<br />

und repariert das Rohr.“<br />

Heute genießt er beides: die Ordnung<br />

in Deutschland und im Urlaub das<br />

Chaos auf Kuba. Wie desolat die Situation<br />

dort ist, erfährt er, als seine Mutter<br />

im Jahr 2005 schwer an Krebs erkrankt.<br />

Die Ärzte geben ihr nur drei Monate.<br />

Zum Glück werden es drei Jahre. Während<br />

dieser Zeit pendelt er ständig zwischen<br />

Kuba und Deutschland. „Das war<br />

für mich ein echter Luxus: dass ich mir<br />

das leisten konnte, so meine Mutter zu<br />

pflegen. Nicht teure High Heels oder<br />

exklusive Klamotten.“ Er sagt: „Es war<br />

eine schwierige Zeit, und es war eine<br />

schöne Zeit. Glück und Traurigkeit, beides<br />

war da. Ich war sehr glücklich, und<br />

ich war sehr sauer.“ Sauer und empört,<br />

weil die medizinische Versorgung für<br />

die normalen Menschen sehr ungenügend<br />

sei und seine Mutter die notwendigen<br />

Medikamente nur erhielt, weil er sie<br />

aus Deutschland mitbringen konnte.<br />

Und sein Vater? Dem gehe es gut.<br />

93 Jahre alt ist er jetzt. Er sei ein gut gelaunter<br />

Casanova, ein liebenswerter<br />

Macho wie eh und je: „Seit dem Tod<br />

Als seine MUTTER<br />

an Krebs erkrankte,<br />

flog er so oft es ging<br />

von Hamburg nach<br />

Havanna, um sie zu<br />

pflegen. Dass das<br />

möglich war, war für ihn<br />

wahrer Luxus.<br />

45<br />

meiner Mutter sind wir beide Kumpel.<br />

Wir gehen in eine Bar, spielen Domino,<br />

trinken dazu Bier und gucken beide den<br />

Chicas auf den Popo und kommentieren<br />

das – sehr lustig.“ Er sagt: „Ich verstehe<br />

heute, dass mein Vater damals versucht<br />

hat, mich mit Boxen und Baseball<br />

auf einen anderen Weg zu lenken. Umgekehrt<br />

hat er neulich zu mir gesagt:<br />

„Vielleicht war das gut so, dass du damals<br />

nicht Tänzer geworden bist. Wer<br />

weiß, ob du jetzt dein Leben so führen<br />

würdest, wie du es führst“. Und ich denke<br />

heute: Wenn etwas Schlechtes passiert<br />

ist, wird als Nächstes etwas Gutes<br />

passieren.“ •<br />

Jorge González: „Hola Chicas! Auf dem<br />

Laufsteg meines Lebens“, Heyne Verlag,<br />

München; 304 Seiten, 9, 99 Euro.


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>266</strong>/ APRIL <strong>2015</strong><br />

Ein Mann wird nach 21 Jahren Haft entlassen (oben) – ein Schauspieler ringt mit dem<br />

Krebs (links) – einen Jungen verschlägt es von Kabul nach Hamburg (Mitte) –<br />

am Spieltisch geht es um alles oder nichts: filmische EINBLICKE in ganz eigene Welten.<br />

Mal schmerzhaft, mal humorvoll –<br />

und immer kompromisslos<br />

In den vergangenen Jahren hat der ambitionierte Dokumentarfilm eine Art Renaissance<br />

erfahren und kann sich mittlerweile auf eine wachsende Fangemeinde verlassen. Absoluter<br />

Höhepunkt des Jahres: die Hamburger Dokumentarfilmwoche. Wir empfehlen vier Filme.<br />

TEXT: FRANK KEIL; FOTOS: FILMSTILS<br />

„HIMMELVERBOT“<br />

von Andrei Schwartz: Samstag,<br />

11. <strong>April</strong>, 16 Uhr, Metropolis<br />

Das Urteil: lebenslänglich! Für den<br />

Mord an einer Staatsanwältin, die den<br />

Kleinkriminellen Gavriel Hrieb wegen<br />

einer Lappalie für Jahre in den Knast<br />

brachte. Mord aus Rache sozusagen.<br />

Schlimm, keinesfalls zu entschuldigen,<br />

aber zu erklären – so sieht es Gavriel, der<br />

ohne zu murren seine Strafe im Bukarester<br />

Gefängnis absitzt. Froh, dass kurz vor<br />

seiner Verurteilung in Rumänien die Todesstrafe<br />

abgeschafft wurde. Und der in<br />

der Gemeinschaft der Häftlinge einen<br />

akzeptierten Status hat: Er hat es denen<br />

auf der anderen Seite des Gitters wenigstens<br />

einmal gezeigt! Doch dann wird er<br />

46<br />

nach 21 Jahren Haft begnadigt. Und wir<br />

verfolgen, wie ein zunehmend hilfloser<br />

Mann versucht, im tristen Alltag seines<br />

Landes wieder Fuß zu fassen. Das aber<br />

ist nur das eine Thema dieses Filmes.<br />

Denn der Hamburger Filmemacher Andrei<br />

Schwartz will wissen: Was ist damals<br />

wirklich geschehen? Und so ist „Himmelverbot“<br />

ein wunderbares Beispiel da-


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

für, dass der Dokumentarfilmer bei aller<br />

Sympathie und allem Verständnis für<br />

seine Protagonisten unbestechlich bleiben<br />

muss, will er der Wahrheit am Ende<br />

auf die Spur kommen.<br />

„DER PRINZ“<br />

von Mahmoud Behraznia:<br />

Samstag, 11. <strong>April</strong>, 20.30 Uhr,<br />

Lichtmess<br />

Hat man es geschafft, wenn man die<br />

Hauptrolle in einem Spielfilm bekommen<br />

hat? In einem Film, der zudem auf<br />

dem Festival in Cannes ausgezeichnet<br />

wird und der auch sonst allerhand Preise<br />

erhält? Mitnichten! Das muss der 16-jährige<br />

Jalil Nazari erfahren: jugendlicher<br />

Flüchtling aus Afghanistan, der im<br />

Nachbarland Iran Held eines Spielfilms<br />

wird. Als er nach Hamburg zum „Filmfest<br />

Hamburg“ kommt, um seinen Film<br />

vorzustellen, fällt hinter ihm die Tür zu:<br />

Er darf nicht zurück in den Iran. Um<br />

nicht ins kriegsgeschüttelte Afghanistan<br />

abgeschoben zu werden, beantragt er in<br />

Deutschland Asyl. Und landet in einem<br />

Containerdorf in Sachsen. Mitten im<br />

Wald! Wo nichts ist. Kein Geschäft, kein<br />

Café, erst recht kein Kino. Dabei ist er<br />

doch ein Star! Was in Deutschland kaum<br />

jemanden interessiert. Und Jalil muss<br />

noch einmal ganz von vorne anfangen,<br />

muss seinen eigenen Lebensweg finden –<br />

der ihn in eine Pizzeria in Hamburg-<br />

Ottensen führen wird.<br />

„SPIELER“<br />

von Katharina Copony: Samstag,<br />

11.<strong>April</strong>, 22.30 Uhr, 3001 Kino<br />

Dokumentationen über Spielsucht und<br />

über spielsüchtige Menschen fallen oft<br />

selbst auf die Dramaturgie des Glücksspiels<br />

herein. Wir Zuschauer finden uns<br />

dann an einem Spieltisch wieder und<br />

fiebern trotz aller kritischer Voreinstellung<br />

mit denen mit, die da verstohlen in<br />

ihre Karten schauen; die versuchen, das<br />

Pokerface ihrer Gegenspieler zu entschlüsseln.<br />

Wie gut, dass die österreichische<br />

Filmemacherin Katharina Copony<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

47<br />

genau diesen Fehler nicht begeht. Sie<br />

folgt kühl und distanziert ihrem Protagonisten<br />

Rustem Sapanow: einem jungen<br />

russland-deutschen Zuwanderer,<br />

der in Berlin lebt, ein berufsmäßiger Pokerspieler,<br />

online und live. Es ist ein Ausflug<br />

in eine gespenstische Welt, in fensterlose<br />

Räume, in denen man nur das<br />

Notwendigste spricht; wo die Spielenden<br />

mit aller Macht versuchen, ihrem<br />

stundenlangen Spielen den Charakter<br />

kontrollierter Normalität zu verleihen.<br />

Wenn Rustem eines Tages mit dem professionellen<br />

Spielen aufhören wird, will<br />

er übrigens Betriebswirtschaft studieren<br />

– und in die Wirtschaft gehen.<br />

„NOCH HIER SCHON DA“<br />

von Roswitha Ziegler: Sonntag,<br />

12. <strong>April</strong>, 16 Uhr, Metropolis<br />

Ist so ein Tumor nicht furchtbar dumm?<br />

Lässt den Körper, in dem er wächst,<br />

sterben – und stirbt dabei selbst! „Aber<br />

mit so einem Tumor kann man ja nicht<br />

reden“, sagt der Schauspieler und Theatermacher<br />

Jochen Fölster, nachdem er<br />

seine Krebsdiagnose erhalten hat und<br />

nun überlegt, wie er mit seinem Lebensende<br />

umgehen soll. Auf diesem Weg begleitet<br />

ihn seine Frau, die Filmemacherin<br />

Roswitha Ziegler. Die ihre Kamera<br />

laufen lässt. An schlechten Tagen, an<br />

guten Tagen, an ganz schlechten Tagen.<br />

Wo ihr Mann es kaum noch aus dem<br />

Bett schafft, wo es ihm doch noch gelingt,<br />

mit dem Rollator an den Rand des<br />

wendländischen Dorfes zu gehen, in<br />

dem sie beide leben und wo er nun rauchend<br />

dabei zuschaut, wie das Getreide<br />

gemäht wird: Das Leben geht weiter,<br />

aber nicht für ihn. „Noch hier schon da“<br />

ist ein Dokument von bestürzender Ehrlichkeit.<br />

Schmerzhaft und humorvoll,<br />

auch teilnehmend und doch dabei frei<br />

von anbiederndem Trost – so wie ein<br />

guter Dokumentarfilm sein soll. •<br />

Dokumentarfilmwoche Hamburg:<br />

8.4.–12.4., Eintritt: 7,50/5,50 Euro;<br />

6er-Festivalkarte: 35 Euro. Weitere<br />

Informationen: www.dokfilmwoche.com<br />

KARSTEN<br />

JAHNKE<br />

<br />

DIREKTION<br />

GMBH<br />

<br />

ESKIMO<br />

CALLBOY<br />

Docks<br />

<br />

CHINESE MAN<br />

support:<br />

MOONLIGHT BREAKFAST<br />

Uebel & Gefährlich<br />

<br />

SHARON<br />

ROBINSON<br />

Kulturkirche Altona<br />

<br />

KWABS<br />

Mojo Club<br />

<br />

<br />

NILS WÜLKER<br />

BAND<br />

Mojo Club<br />

<br />

RAE MORRIS<br />

Indra<br />

<br />

GET WELL SOON<br />

a special night with...<br />

Gruenspan<br />

<br />

EWERT AND THE<br />

TWO DRAGONS<br />

Mojo Club<br />

<br />

PURITY RING<br />

support: BORN GOLD<br />

Gruenspan<br />

<br />

SILJE<br />

NERGAARD<br />

Laeiszhalle - kleiner Saal<br />

<br />

MARCUS MILLER<br />

<br />

Fabrik<br />

<br />

PVRIS<br />

The Rock Café<br />

<br />

CODY SIMPSON<br />

support: Jackson Harris<br />

Gruenspan<br />

<br />

TOM KLOSE<br />

<br />

/ Knust<br />

<br />

GHOSTPOET<br />

Mojo Club<br />

<br />

RANDY<br />

CRAWFORD<br />

QUARTET<br />

Laeiszhalle<br />

<br />

LAURA MARLING<br />

<br />

Knust<br />

<br />

KOVACS<br />

Gruenspan<br />

<br />

MIKE <br />

THE MECHANICS<br />

<br />

Große Freiheit 36<br />

<br />

TYLER,<br />

THE CREATOR<br />

Mojo Club<br />

<br />

SCALA<br />

KOLACNY<br />

BROTHERS<br />

<br />

Kampnagel / K6<br />

<br />

OLLY MURS<br />

<br />

/ o2 World<br />

<br />

HOWLING<br />

Uebel & Gefährlich<br />

<br />

LESLIE CLIO<br />

Mojo Club<br />

<br />

MEGHAN<br />

TRAINOR<br />

Große Freiheit 36<br />

<br />

STICKY FINGERS<br />

Knust<br />

<br />

JOHANNES<br />

OERDING<br />

<br />

Sporthalle<br />

<br />

FAITH NO MORE<br />

Sporthalle<br />

<br />

ROXETTE<br />

<br />

<br />

o2 World<br />

<br />

WESTERNHAGEN<br />

<br />

o2 World<br />

<br />

SIDO<br />

Sporthalle<br />

TICKETS: KJ.DE<br />

<br />

Karten inklusive Hin- und<br />

Rückfahrt mit dem<br />

KJ.DE


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>266</strong>/ APRIL <strong>2015</strong><br />

Tipps ( 1)<br />

1. bis 15. <strong>April</strong> <strong>2015</strong><br />

AUSSTELLUNG<br />

Erleuchtet<br />

Das „Internationale Jahr des Lichts“,<br />

für dieses Jahr von der UNESCO<br />

ausgerufen, diente 13 Künstlern als<br />

Inspiration. Ihre Assoziationen zu<br />

Beleuchtung und Elektrizität sind in<br />

der Ausstellung „150 Watt“ im Künstlerhaus<br />

Sootbörn zu sehen. Mit Fotos,<br />

Zeichnungen, Gemälden, Lichtinstallationen<br />

und Videos experimentieren<br />

die Hamburger gekonnt mit Licht und<br />

Schatten. Ergebnisse sind auch im<br />

Außenbereich und im Garten zu entdecken.<br />

Kuratiert hat die Ausstellung die<br />

Malerin Silke Silkeborg. Die sich mit<br />

Licht und Dunkelheit auskennt, malt<br />

sie doch gerne des Nachts draußen. •<br />

Künstlerhaus Sootbörn, Sootbörn 22, bis<br />

12.4., Sa+So, 16–19 Uhr, Eintritt frei<br />

VORTRAG<br />

Digital<br />

Wie wir einkaufen, wie wir leben und<br />

lernen, wird immer mehr von der Digitalisierung<br />

bestimmt. Deshalb sollten<br />

schon Grundschulkinder das Programmieren<br />

und den kreativen Umgang mit<br />

digitalen Medien lernen, findet Gesche<br />

Joost, Designforscherin und Internetbeauftragte<br />

der Bundesregierung. Wesentlich<br />

kritischer sieht Christoph Kucklick<br />

die gesellschaftlichen Folgen. Der Soziologe<br />

hat sich in seinem jüngst veröffentlichten<br />

Buch „Die granulare Gesellschaft:<br />

Wie das Digitale unsere<br />

Wirklichkeit auflöst.“ kritisch mit der<br />

permanenten Vernetzung und dem Datensammelwahn<br />

auseinandergesetzt.<br />

Die beiden Wissenschaftler diskutieren<br />

über die Konsequenzen der Digitalisierung<br />

für unsere Arbeitswelt. •<br />

KörberForum, Kehrwieder 12, „Pointing<br />

Science: Digitale Wirtschaft“, Di, 14.4.,<br />

19 Uhr, Eintritt frei, Anmeldung erforderlich<br />

unter www.koerberforum.de<br />

AUSSTELLUNG<br />

Vergänglich<br />

Jim Avignon ist ein echter Anti-Künstler.<br />

Der in Berlin lebende Maler will<br />

keine Reichtümer anhäufen, sondern<br />

seine Werke erschwinglich halten.<br />

Deshalb produziert er viel und schnell.<br />

Manchmal zerstört er Bilder auch, weil<br />

er das Flüchtige schätzt. „In diesen<br />

Zeiten, in denen quasi jeder im Internet<br />

zur Unsterblichkeit verdammt ist, ist ein<br />

bisschen Vergänglichkeit doch durchaus<br />

wieder erstrebenswert“, hat Avignon<br />

dazu in einem Interview gesagt. Einige<br />

seiner frisch produzierten knallbunten<br />

Pop-Art-Bilder sind jetzt in Hamburg<br />

zu sehen. „Famous For 15 Seconds“<br />

lautet das Motto in Anlehnung an Andy<br />

Warhol. Der hatte sich mit Flüchtigkeit<br />

und medialem Ruhm schon vor fast 50<br />

Jahren auseinandergesetzt. Damals ging<br />

es allerdings noch um Minuten. •<br />

Feinkunst Krüger, Kohlhöfen 8, 12.4.–2.5.,<br />

Do+Fr, 12–19 Uhr, Sa, 12–18 Uhr,<br />

Eintritt frei<br />

VORTRAG<br />

Kritisch<br />

Karen Duve wird mit jedem Buch<br />

wütender. Die Schriftstellerin, die mit<br />

ihren fiktionalen Werken „Regenroman“<br />

und „Taxi“ sehr erfolgreich war,<br />

ist in den vergangenen Jahren zur Sachbuchautorin<br />

und Aktivistin geworden.<br />

2011 veröffentlichte Duve ihr Buch<br />

„Anständig essen“. Darin rechnet sie<br />

mit der Massentierhaltung und der<br />

Gleichgültigkeit der Konsumenten ab.<br />

Auch in ihrem neuen Buch liest sie der<br />

Menschheit wieder in recht forschem<br />

Ton die Leviten. Schon der Titel ist<br />

wenig zimperlich: „Warum die Sache<br />

schiefgeht: Wie Egoisten, Hohlköpfe<br />

und Psychopathen uns um die Zukunft<br />

bringen“. In ihrer Kampfschrift geht es<br />

wieder um Tierleid und Agrarindustrie,<br />

aber auch den Klimawandel und den<br />

Turbokapitalismus. NDR-Journalist<br />

Friedel Bott spricht mit Karen Duve<br />

über ihre Bücher, aus denen sie auch<br />

lesen wird. Diskussionsbeiträge des<br />

Publikums sind erwünscht. Außerdem<br />

sind Ausschnitte aus der Verfilmung<br />

des Romans „Taxi“ zu sehen, der im<br />

August in die Kinos kommt. Eine<br />

Hauptrolle spielt Game-of-Thrones-<br />

Star Peter Dinklage. •<br />

Polittbüro, Steindamm 45, „Ein Abend mit<br />

Karen Duve“, Di, 14.4., 20 Uhr, 15/10 Euro<br />

48


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

MUSIK<br />

Anspruchsvoll<br />

KINO<br />

Erfolgreich<br />

BÜHNE<br />

Improvisiert<br />

FOTOS: KIMBERLY HORTON, GUY GILAD; COLLAGEN: GRAFIKDEERNS<br />

Popstar Nneka kam als 18-Jährige<br />

aus Nigeria nach Hamburg und lebte<br />

zunächst in einem Kinderheim. Ihr<br />

Gesangstalent entdeckte sie im<br />

Schul- und Kirchenchor. Inzwischen<br />

ist die 34-Jährige eine weltweit anerkannte<br />

Künstlerin. Jetzt stellt Nneka<br />

ihr aktuelles Album „My Fairy Tales“<br />

live vor. Zu ihren Afrobeat- und Reggae-Songs<br />

lässt es sich gut tanzen, aber<br />

auch nur zuzuhören lohnt sich, denn<br />

die Deutsch-Nigerianerin schreibt anspruchsvolle<br />

Texte über Seelenschmerz,<br />

Politik und Afrika. „Ich reflektiere<br />

innere Gefühlszustände“, so die<br />

Künstlerin. •<br />

Fabrik, Barnerstraße 36, Fr, 10.4., 21 Uhr,<br />

27,10 Euro<br />

FILM<br />

Familiär<br />

Die Eckkneipe „Kurze Ecke“ am<br />

Großneumarkt ist ein beliebter<br />

T reffpunkt. Jeden Tag sitzen dort<br />

Rentner und Arbeiter beisammen,<br />

um zu reden, zu knobeln und Bier zu<br />

trinken. Filmemacher Bernd Schoch<br />

hat dort vor der Bundestagswahl 2013<br />

einen Tag lang gedreht und dabei<br />

nicht nur Alltagsgespräche, sondern<br />

auch Statements zur hohen Politik<br />

eingefangen. •<br />

Lichtmess-Kino, Gaußstraße 25,<br />

Do, 2.4., 20 Uhr, 5/4 Euro<br />

MUSIK<br />

Beobachtet<br />

Den besten Blick auf die Osterfeuer<br />

am Elbufer hat man vom Wasser aus.<br />

Viele Segler und Barkassen patrouillieren<br />

deshalb am Ostersamstag die<br />

Elbe auf und ab. Dank cooler DJs und<br />

ausgefallener Musik sind die Touren<br />

auf der MS Claudia gerade bei<br />

jüngeren Hamburgern ein Renner.<br />

Und günstig sind sie obendrein. •<br />

Bei den St. Pauli Landungsbrücken 10,<br />

Innenkante, „Osterfeuerwatsching“, Sa,<br />

4.4., 18.30 Uhr/20.30 Uhr/22.30 Uhr,<br />

10/4 Euro<br />

Mit dem Fernsehen ist es wie im echten<br />

Leben. Die großen Überraschungen<br />

kommen dann, wenn man sie am<br />

wenigsten erwartet. Die leise Komödie<br />

„Best Exotic Marigold Hotel“ ist so eine<br />

Überraschung, die ich am wenigsten<br />

auf einem der seichten Massensender<br />

erwartet hatte, aber eben genau dort<br />

beim Zappen traf. Eine irgendwie krude,<br />

herrlich melancholische Geschichte<br />

um verpasste Träume, neue Chancen,<br />

den Tod und ein Hotel, dessen Name<br />

nach Grandezza klingt, nach livrierten<br />

Pagen, die unter Kronleuchtern Kofferwagen<br />

aus poliertem Messing schieben.<br />

In Wirklichkeit ist das Hotel eine eher<br />

schäbige Absteige in Jaipur, in Indien,<br />

die von ihrem Geschäftsführer mit viel<br />

Engagement, aber halt wenig liquiden<br />

Mitteln gerade so über Wasser gehalten<br />

wird. Die unterschiedlichen Hotelbewohner,<br />

die oft ihre letzten Ersparnisse<br />

in ein vermeintlich sorgloses Leben im<br />

Grand Hotel investierten, sind deshalb<br />

auch erst einmal schockiert, als sich ihre<br />

Visionen in Nichts auflösen. Um dann<br />

doch dem Charme Indiens zu erliegen.<br />

Die Charaktere – mit Judie Dench,<br />

Celia Imrie und Ronald Pickup mit der<br />

Crème de la Crème des britischen<br />

Kinos besetzt – wandeln sich und<br />

blühen auf. Das ist nicht nur schön<br />

anzuschauen, das geht auch mächtig zu<br />

Herzen. Und war so erfolgreich, dass<br />

nun die Fortsetzung in die Kinos kommt:<br />

„Best Exotic Marigold Hotel 2“.<br />

Die Paare haben sich gefunden, die<br />

Fronten sind geklärt, das Hotel gedeiht<br />

so gut, dass der Manager mit geliehenem<br />

Geld ein zweites Hotel plant.<br />

Dann kommen zwei Neuankömmlinge:<br />

der charmante Guy und die attraktive<br />

Lavinia. Das einzige Problem: Das<br />

Hotel hat nur noch ein Zimmer frei.<br />

140 Millionen Dollar Einspielergebnis<br />

bei zehn Milionen Produktionskosten<br />

sind ja mal eine Ansage. Und weil bei<br />

den Gewinnaussichten nicht nur die<br />

Schauspielergarde aus Teil eins,<br />

sondern mit Richard Gere noch ein<br />

weiterer Silberschopf in das Hotel<br />

zieht, verspricht auch das Sequel ein<br />

voller Erfolg zu werden. ASCHMI<br />

•<br />

Neu im Kino ab Do, 2.4.<br />

Die Fans der WDR-Sendung „Zimmer<br />

frei!“ lieben Martin Reinl: Als Puppenspieler<br />

verwickelt er mit seiner Straßenköter-Puppe<br />

„Wiwaldi“ die Gäste<br />

immer in absurde Gespräche. Jetzt<br />

kommen die Hamburger in den<br />

Genuss, den Kölner live zu erleben. Gemeinsam<br />

mit seinem Kollegen Carsten<br />

Haffke ist er auf St. Pauli mit „Pfoten<br />

hoch!“ zu Gast. Bei der anarchischen<br />

Impro-Show entwickeln die beiden<br />

Puppenspieler ihre Szenen live vor Ort.<br />

Dabei kommen nicht nur Wiwaldi, sondern<br />

auch viele andere selbst entworfene<br />

Figuren zum Einsatz. •<br />

Schmidt Theater, Spielbudenplatz 24–28,<br />

Mo, 13.4., 20 Uhr, 25,30/16,50 Euro<br />

LESUNG<br />

Freundschaftlich<br />

„Wie ist unsere Familie nach Israel gekommen?“<br />

Als ihre Tochter sie das fragte,<br />

wusste Lizzie Doron keine Antwort –<br />

und schrieb das Buch „Warum bist du<br />

nicht vor dem Krieg gekommen?“. Damit<br />

wurde sie in Israel zur wichtigsten<br />

literarischen Stimme der „zweiten<br />

Generation“, also der Kinder von<br />

Überlebenden der Shoa. Jetzt stellt die<br />

Israelin in Hamburg ihr aktuelles Werk<br />

vor: „Who the Fuck Is Kafka“. Ihr<br />

fesselnder autobiografischer Bericht<br />

schildert die Freundschaft mit dem<br />

palästinensischen Filmemacher Nadim.<br />

Lizzie Doron beschreibt darin die tief<br />

sitzenden Feindbilder und die ganz<br />

alltäglichen Hindernisse, die dieser<br />

Freundschaft im Wege stehen. •<br />

Literaturhaus, Schwanenwik 38,<br />

Do, 9.4., 19.30 Uhr, 12/7 Euro<br />

49


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Tipps (2)<br />

16. bis 30. <strong>April</strong> <strong>2015</strong><br />

HINZ&KUNZT N°<strong>266</strong>/ APRIL <strong>2015</strong><br />

LESUNG<br />

Engagiert<br />

Seit mehr als 100 Jahren dient das<br />

Ledigenheim Rehhoffstraße als<br />

Unterkunft für alleinstehende Männer.<br />

Seeleute, Hafenarbeiter und Monteure<br />

freuen sich hier über bezahlbare<br />

Zimmer, die gemütlichen Gemeinschaftsräume<br />

und den Zusammenhalt.<br />

Doch jahrelang sind notwenige Instandhaltungsmaßnahmen<br />

am Gebäude<br />

ausgeblieben. 2009 wurde es schließlich<br />

an einen Investor verkauft, der kein<br />

Interesse daran hat, das Haus als Männerwohnheim<br />

weiterzuführen, sondern<br />

es gewinnbringend nutzen möchte.<br />

Engagierte Nachbarn setzen sich dagegen<br />

für den Erhalt des Wohnheims ein.<br />

Auch Krimiautor Gunter Gerlach<br />

unterstützt das Ledigenheim: Für seine<br />

„Lesung mit Hund“ verzichtet er auf<br />

Honorar. Begleitet von der vierbeinigen<br />

Nofretete liest der Autor aus seinen<br />

vier Hamburg-Krimis um den<br />

skurrilen Ermittler Lutz Brahms. •<br />

Ledigenheim Rehhoffstraße, Rehhoffstraße<br />

1–3, Mo, 20.4., 19 Uhr, Eintritt frei, um<br />

Spenden wird gebeten<br />

TAUSCHBÖRSE<br />

Getauscht<br />

Nur unpassende Klamotten im<br />

Schrank, aber die Geldbörse ist leer?<br />

Kein Problem: Wer ungeliebte<br />

Kleidungsstücke oder Fehlkäufe loswerden<br />

möchte, kann sie jetzt gegen Lieblingsteile<br />

eintauschen. Auf der „zeitAlter-Tauschbörse<br />

für Kleidung und<br />

Accessoires“ darf jeder anprobieren<br />

und mitnehmen, was ihm gefällt. Bitte<br />

nur gut erhaltene und saubere<br />

Sachen mitbringen! •<br />

Hamburger Volkshochschule, Schanzenstraße<br />

75–77, Do, 23.4., 15–18 Uhr,<br />

3 Euro, Anmeldung wird erbeten unter<br />

zeitAlter@werkstatt3.de<br />

BÜHNE<br />

Aufgeklärt<br />

Ein spannendes Theater- und Musikprojekt<br />

ist beim 7. Elbinsel-Gypsy-Festival<br />

zu erleben. „Im Herzen von Hamburg“<br />

erzählt die wechselvolle<br />

Geschichte der Sinti in Wilhelmsburg.<br />

Täterbiografien aus der Nazizeit werden<br />

genauso lebendig vermittelt wie<br />

Schicksale aus der Gegenwart. Mit ihrer<br />

Mischung aus Sinti-Märchen, Filmszenen<br />

und der Livemusik des Saxofonisten<br />

Kako Weiss möchte Regisseurin<br />

Christiane Richers aufklären und berühren.<br />

„Unsere Arbeit wirft Schlaglichter<br />

in ein viel zu großes Dunkel aus<br />

Unwissen und Ignoranz.“ •<br />

Bürgerhaus Wilhelmsburg, Mengestraße<br />

20, Fr, 17.4., 11 Uhr, Sa, 18.4., 18 Uhr, 20<br />

Uhr, 18/15 Euro, alle Veranstaltungen<br />

unter www.buewi.de<br />

MUSIK<br />

Alpenländisch<br />

Hackbrett, Wippakkordeon und Jodelgesang<br />

mischen drei Tage lang die Reeperbahn<br />

auf. Insgesamt zwölf Gruppen<br />

aus Süddeutschland, Österreich und<br />

der Schweiz treten auf dem „Elbphilharmonie<br />

Alpenmusik-Festival“ in<br />

Hamburg auf. Den Auftakt machen<br />

die vier österreichischen Spitzenmusiker<br />

von „Faltenradio“. Die jungen Klarinettisten<br />

führen moderierend durch ihr<br />

virtuoses Programm aus Jazz, Klezmer<br />

und Klassik. Weiter geht es mit „Kofel<br />

Gschroa“ aus Oberammergau und<br />

einer Mischung aus Mundart und Pop.<br />

Die dritten im Bunde sind der Ober t o-<br />

nvirtuose Christian Zehnder und<br />

Barbara Schirmer am Hackbrett.<br />

Ganz großes Kino: Der Engel-Chörli<br />

Appenzell lädt zum Jodelworkshop ein.<br />

Holleri-di-dudl-jö! •<br />

Mojo Club, Reeperbahn 1, Mi, 22.4., 20 Uhr,<br />

35/17,50 Euro, weitere Termine bis 25.4.<br />

unter www.mojo.de<br />

50


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

AUSSTELLUNG<br />

Gesammelt<br />

BÜHNE<br />

Beklemmend<br />

MUSIK<br />

Charismatisch<br />

FOTOS: PRIVAT, LESEN GEGEN ATOMSTROM; COLLAGE: GRAFIKDEERNS<br />

Zwei neue Museen präsentieren sich<br />

erstmals bei der „Langen Nacht der<br />

Museen“. Dass im Komponisten-<br />

Quartier gerade eröffnete Johann<br />

Adolf-Hasse-Museum lädt die Besucher<br />

mit Film- und Tonbeispielen in<br />

die Welt der Oper im 18. Jahrhundert<br />

ein. Außerdem wird dort Musik des<br />

gebürtigen Bergedorfers auch live<br />

gespielt. Am gleichen Ort befindet sich<br />

auch das Carl-Philipp-Emanuel-Bach<br />

Museum. In einem nachgebauten<br />

Wohnzimmer von damals kann man in<br />

die Lebens- und Arbeitsbedingungen<br />

des Künstlers eintauchen. Wie lebte es<br />

sich bei Familie Bach auf dem Sofa?<br />

Was tat ein Teenager damals? Historikerin<br />

Birgit Kiupel stellt dazu den Alltag<br />

im 18. Jahrhundert vor. Insgesamt<br />

locken 57 Museen mit rund 700<br />

Veranstaltungen. Das Angebot ist groß<br />

wie nie. Um die Besucher in möglichst<br />

viele Museen zu locken, hat der<br />

Museumsdienst als Marketing-Aktion<br />

den Sammelpass geschaffen. Wer zehn<br />

Häuser besucht und überall fleißig<br />

Stempel sammelt, nimmt an einer<br />

Verlosung teil. Zu gewinnen gibt es<br />

Freikarten für Museen. •<br />

Lange Nacht der Museen, Sa, 18.4.,<br />

Komponisten-Quartier, Peterstraße 29–33,<br />

Vorträge 22 und 23 Uhr, mehr unter<br />

www.langenachtdermuseen-hamburg.de<br />

MUSIK<br />

Erinnert<br />

Am 24. März jährte sich zum 35. Mal<br />

der Tag, an dem Óscar A. Romero,<br />

Erzbischof von San Salvador, wegen<br />

seines Einsatzes für Gerechtigkeit und<br />

Frieden ermordet wurde. An die<br />

schreckliche Tat erinnert ein Konzertabend<br />

zum Abschluss der Reihe „Romerotage“.<br />

Zu hören ist „Canto General“,<br />

die von Mikis Theodorakis vertonte<br />

Fassung der bekannten Gedichte von<br />

Pablo Neruda, sowie Tangomusik von<br />

Martin Palmeri und Astor Piazzolla. •<br />

Katholische Kirche St. Ansgar, Michaelisstraße<br />

5, Fr, 17.4., 19 Uhr, 19/16 Euro,<br />

alle Veranstaltungen sind hier aufgeführt:<br />

www.romerotage.de<br />

Der US-Soldat Billy Pilgrim wird zu<br />

einem Zeitreisenden, als er dem Tod ins<br />

Auge blickt: Er gerät von dem Dresdner<br />

Schlachthof, wo er 1945 als Kriegsgefangener<br />

festgehalten wird, zurück ins<br />

Schlachtgetümmel, erlebt seine Hochzeitsnacht<br />

und seinen Tod. Er begegnet<br />

Außerirdischen und besucht sie auf<br />

ihrem Heimatplaneten Tralfamadore.<br />

Mit seinem grotesken Antikriegsroman<br />

„Schlachthof 5“ hat der US-Amerikaner<br />

Kurt Vonnegut im Jahr 1969 Literaturgeschichte<br />

geschrieben. Die Berliner<br />

Theatergruppe „hardt attacks“ hat<br />

da-raus ein atemberaubendes Zwei-<br />

Personen-Stück geschaffen. •<br />

Sprechwerk, Klaus-Groth-Straße 23,<br />

16.–Do, 23.4., 20 Uhr, 19/10 Euro<br />

VORTRAG<br />

Mahnend<br />

Vor fünf Jahren entstand das Literaturfestival<br />

„Lesen ohne Atomstrom.<br />

Die erneuerbaren Lesetage.“ Seitdem<br />

haben sich mehr als 200 Schriftsteller<br />

wie Günter Grass dabei engagiert. In<br />

diesem Jahr startet die Reihe mit einer<br />

prominent besetzten Diskussionsveranstaltung<br />

zum Thema Klimawandel.<br />

Zu Gast ist auch Dennis Meadows, der<br />

mit seinem Bestseller „Die Grenzen des<br />

Wachstums“ bereits vor über 40 Jahren<br />

eine nachhaltige Form des Wirtschaftens<br />

forderte. Er diskutiert mit Vandana<br />

Shiva und Bill McKibben, Träger des<br />

Alternativen Nobelpreises, sowie mit<br />

Ole von Uexküll, Direktor der Stiftung<br />

des Alternativen<br />

Nobelpreises. Stefan<br />

Schurig vom<br />

Weltzukunftsrat<br />

moderiert. •<br />

Patriotische<br />

Gesellschaft, Trostbrücke<br />

4, Mi, 22.4.,<br />

19 Uhr, Eintritt<br />

frei, alle kostenlosen<br />

Veranstaltungen<br />

vom<br />

22.–27.4. unter<br />

www.lesen-ohneatomstrom.de<br />

Regelmäßig lädt die Hamburger Jazzgitarristin<br />

Sandra Hempel renommierte<br />

Kollegen zu gemeinsamen Auftritten<br />

ein. Dieses Mal steht unter anderem<br />

Ken Norris mit ihr auf der Bühne. Der<br />

Amerikaner mit der samtigen Stimme<br />

kam wegen eines Engagements beim<br />

„König der Löwen“ nach Hamburg<br />

und wollte eigentlich nur ein Jahr<br />

bleiben. Inzwischen ist er Professor für<br />

Jazzgesang an der HFMT. Zum Glück,<br />

denn so ist der charismatische Musiker<br />

hier ab und zu live zu erleben. •<br />

Hafenbahnhof, Große Elbstraße 276,<br />

„Jazzraum“, Mo, 27.4., 21.30 Uhr, 6 Euro<br />

KINDER<br />

Klingend<br />

Drei Tage erklingt auf Kampnagel<br />

Musik für Kinder. Beim „Big Bang“-<br />

Musikfestival können kleine Besucher<br />

zum Beispiel mit der tschechischen<br />

Bilderbuchkünstlerin Kveta Pacovská in<br />

ein Meer aus Farben und Saxofonklängen<br />

eintauchen oder gemeinsam mit<br />

dem dänischen Multitalent Thomas<br />

Sandberg Klänge aufnehmen und immer<br />

wieder verändern. Mitmachen ist<br />

auch beim MobilenMusikMuseum gefragt:<br />

Am Trommeltisch oder mithilfe<br />

der Luftschlagorgel für Badelatschen<br />

können Kinder selbst mit Klängen<br />

experimentieren. •<br />

Kampnagel, Jarrestraße 20, 18.–20.4., 8/3<br />

Euro, MobilesMusikMuseum, Eintritt frei,<br />

Programm unter www.bigbang.hamburg<br />

51


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>266</strong>/ APRIL <strong>2015</strong><br />

Hat gerade den mit 10.000 Euro<br />

dotierten „Kasseler Literaturpreis für<br />

grotesken HUMOR“ bekommen:<br />

Autor Frank Schulz.<br />

Ein Held aus Trotz<br />

Der Hamburger Autor Frank Schulz wurde für seine Romane<br />

mehrfach ausgezeichnet. Mit Onno Viets hat er den schrägsten<br />

Hartz-IV-Detektiv der Literaturgeschichte geschaffen.<br />

TEXT: SYBILLE ARENDT; FOTO: MIGUEL FERRAZ<br />

Frank Schulz ist einer, dem man<br />

sofort 50 Euro leihen würde.<br />

Ein seriöser, höflicher Typ,<br />

dessen Augen leicht skeptisch<br />

hinter seiner runden Brille hervorblicken.<br />

Ein anderes Kaliber sind die Figuren<br />

in Schulz’ neuem Roman „Onno<br />

Viets und das Schiff der baumelnden<br />

Seelen“. Held Onno ist Mitte 50, Hartz-<br />

IV-Empfänger und arbeitet gelegentlich<br />

als Detektiv. Er macht nicht viele Worte,<br />

ist faul, aber sympathisch. Frank Schulz<br />

mag seinen Helden: „Onno Viets ist ein<br />

bisschen aus Trotz entstanden. Ich wollte<br />

eine Figur schaffen, die sich der Leistungsgesellschaft<br />

verweigert, aber nicht<br />

daran zerbricht und die Schuld den anderen<br />

gibt.“ Weniger nett ist der zweite<br />

Protagonist: Donald Maria Jochemsen.<br />

Ein verkrachter Künstler, der viel redet,<br />

viel trinkt und etliche Macken hat. Nun<br />

hat er sich in eine junge Frau verliebt,<br />

möchte sie an ihrem Arbeitsplatz überraschen,<br />

einem Kreuzfahrtschiff. Er<br />

nimmt Onno mit, um seiner Tausend<br />

Ängste und Neurosen Herr zu werden.<br />

Das gelingt nur bedingt, zumal auch<br />

Onno psychische Probleme hat und die<br />

beiden oft zu tief ins Glas schauen. Was<br />

sie auf der einwöchigen Mittelmeerkreuzfahrt<br />

erleben, ist irre und endet<br />

überraschend. „Nicht den Schluss ver-<br />

raten!“, so Schulz. „Ich hasse es, wenn<br />

Journalisten die Pointe aus plaudern.“<br />

Keine Sorge, machen wir nicht.<br />

Aber wie kommt man auf diese wilde<br />

Mischung aus derben Szenen, Milieustudien<br />

und Sprachakrobatik? „Die Ideen<br />

fliegen mich an“, so Schulz, räumt<br />

aber ein, dass die sehr authentisch beschriebenen<br />

Trink- und Kneipenszenen<br />

auf eigenem Erleben beruhen. „Aber<br />

seit 2002 trinke ich keinen Alkohol<br />

mehr.“ Auch die prekären Lebensumstände<br />

seiner Helden sind ihm vertraut.<br />

„Bei mir haben sich immer Phasen als<br />

angestellter Redakteur mit denen als<br />

freier Schriftsteller abgewechselt. Zwischendurch<br />

war ich auch arbeitslos.“<br />

Gerade hat der Autor den mit<br />

10.000 Euro dotierten „Kasseler Literaturpreis<br />

für grotesken Humor“ bekommen.<br />

Und kann sich auf das konzentrieren,<br />

was er schon als Junge in seinem<br />

kleinen Dorf bei Stade geliebt hat: das<br />

Schreiben. „Ich war ein Stubenhocker,<br />

habe mit elf Tagebuch geschrieben und<br />

mit 13 absurde Krimis.“ Mit 16 verlässt<br />

Schulz die Schule, macht eine kaufmännische<br />

Lehre in Hamburg. „Das war ein<br />

Kulturschock“, erinnert er sich. „Ich<br />

war ein Landei. Am Anfang bin ich immer<br />

zum Fenster gerannt, wenn ich einen<br />

Polizeiwagen gehört habe.“ Später<br />

veröffentlicht er Beiträge in Anthologien,<br />

vollendet mit 34 seinen ersten<br />

„ernsthaften“ Roman, weitere folgen.<br />

Nun schreibt Schulz wieder absurde<br />

Krimis. Aber Welten entfernt von denen<br />

aus Kindertagen. Sondern über Onno<br />

Viets, der ein zufriedenes Leben abseits<br />

der Leistungsgesellschaft führt. •<br />

Frank Schulz liest aus seinem Roman im<br />

Nochtspeicher, Bernhard-Nocht-Straße 69a,<br />

Di, 21.4., 20 Uhr, 9 Euro<br />

Malerei · Zeichnen<br />

Illustration<br />

Mappe · Kurse · Studium<br />

WE- & Ferienworkshops<br />

berufsbegleitend · altersübergreifend<br />

& Jugendkunstschule<br />

Infos: Tel. 43197606<br />

www.kunstschulehamburg-kaw.de<br />

KUNSTSCHULE<br />

HAMBURG-KAW


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Rätsel<br />

ILLUSTRATION: PROFESSOR BERND MÖLCK-TASSEL<br />

griechischer<br />

Buchstabe<br />

Gartenblume<br />

Statthalter<br />

(franz.)<br />

Stadt am<br />

Rhein<br />

(Schweiz)<br />

Abk.: außerparlament.<br />

Opposition<br />

biblischer<br />

Ort<br />

Schlusseffekt<br />

Atemorgane<br />

d. Fische<br />

benachbart,<br />

unweit<br />

lichtlos,<br />

finster<br />

dumme,<br />

törichte<br />

Handlung<br />

italienischer<br />

Barockmaler<br />

Stelle,<br />

wo etwas<br />

aufhört<br />

Kernreaktor<br />

radikal,<br />

krass<br />

3<br />

1<br />

wurzellose<br />

Sporenpflanze<br />

landwirtschaftl.<br />

genutzter<br />

Boden<br />

3<br />

2<br />

7<br />

4<br />

2<br />

3<br />

Erfinder<br />

des<br />

Saxofons<br />

†<br />

unbestimmter<br />

Artikel<br />

5<br />

8<br />

1<br />

4<br />

3<br />

3<br />

6<br />

1<br />

4<br />

9<br />

poetisch:<br />

junger<br />

Dichter<br />

6<br />

3<br />

4<br />

7<br />

4<br />

8<br />

Papagei<br />

2<br />

8<br />

7<br />

5<br />

6<br />

7<br />

6<br />

1<br />

2<br />

5<br />

Prag<br />

in der<br />

Landessprache<br />

Elbe-<br />

Zufluss<br />

durch<br />

Wintersportort<br />

in Colorado<br />

(USA)<br />

dünner<br />

Pfannkuchen<br />

(franz.)<br />

englisch:<br />

Burg,<br />

Schloss<br />

Biene<br />

1<br />

5<br />

4<br />

9<br />

Füllen Sie das Gitter so<br />

aus, dass die Zahlen von<br />

1 bis 9 nur je einmal in jeder<br />

Reihe, in jeder Spalte und<br />

in jedem Neun-Kästchen-Block<br />

vorkommen.<br />

Als Lösung schicken Sie<br />

uns bitte die unterste, farbig<br />

gerahmte Zahlenreihe.<br />

Lösungen an: Hinz&<strong>Kunzt</strong>, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />

per Fax an 30 39 96 38 oder per E-Mail an info@hinzundkunzt.de.<br />

Einsendeschluss: 30. <strong>April</strong> <strong>2015</strong>. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.<br />

Wer die korrekte Lösung für eines der beiden Rätsel einsendet, kann<br />

zwei Karten für die Hamburger Kunsthalle oder einen von drei Romanen<br />

„Mogel“ von Nils Mohl (Rowohlt Taschenbuch Verlag) gewinnen.<br />

Das Lösungswort beim Kreuzworträtsel lautete: Australien.<br />

Die Sudoku-Zahlenreihe war: 915 724 386.<br />

6<br />

9<br />

4<br />

7<br />

kurz für:<br />

an das<br />

8<br />

7<br />

Einheit<br />

der<br />

Stoffmenge<br />

Zeitungsabonnent<br />

Uniformschulterstück<br />

lateinische<br />

Vorsilbe:<br />

halb...<br />

früherer<br />

Name der<br />

Dem. Rep.<br />

Kongo<br />

Ort, den<br />

man erreichen<br />

will<br />

jeder,<br />

jedermann<br />

Sammellager<br />

9<br />

4<br />

Gemüse-,<br />

Würzpflanze<br />

Inselgruppe<br />

Mittelamerikas<br />

10<br />

Feldertrag<br />

französisch:<br />

Straße<br />

weithin<br />

hörbar,<br />

kräftig<br />

im Ton<br />

5<br />

Misere,<br />

Unglück,<br />

Leid<br />

10<br />

Berlin<br />

italienischer<br />

Priestertitel<br />

2<br />

AR1115-0115_3<br />

53<br />

Impressum<br />

Redaktion und Verlag<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH<br />

Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg<br />

Tel. 32 10 83 11, Fax 30 39 96 38<br />

Anzeigenleitung Tel. 32 10 84 01<br />

E-Mail info@hinzundkunzt.de<br />

www.hinzundkunzt.de<br />

Herausgeber<br />

Landespastor Dirk Ahrens,<br />

Diakonisches Werk Hamburg<br />

Externer Beirat<br />

Prof. Dr. Harald Ansen (Armutsexperte HAW-Hamburg)<br />

Mathias Bach (Kaufmann)<br />

Rüdiger Knott (ehem. NDR 90,3-Programmchef)<br />

Olaf Köhnke (Ringdrei Media Network)<br />

Thomas Magold (BMW-Niederlassungsleiter i.R.)<br />

Karin Schmalriede (Lawaetz-Stiftung)<br />

Dr. Bernd-Georg Spies (Russell Reynolds)<br />

Alexander Unverzagt (Medienanwalt)<br />

Oliver Wurm (Medienberater)<br />

Geschäftsführung Dr. Jens Ade<br />

Redaktion Birgit Müller (v.i.S.d.P.), Frank Keil (CvD, Stellv.),<br />

Annette Woywode<br />

Mitarbeit Sybille Arendt, Simone Deckner, Jonas Füllner,<br />

Ulrich Jonas, Benjamin Laufer, Misha Leuschen,<br />

Uta Sternsdorff, Kerstin Weber, Kim Bösch (Grafik-Praktikantin)<br />

Redaktionsassistenz Sonja Conrad,<br />

Dina Fedossova, Cedric Horbach<br />

Online-Redaktion Simone Deckner, Benjamin Laufer<br />

Artdirektion grafikdeerns.de<br />

Öffentlichkeitsarbeit Isabel Schwartau, Friederike Steiffert<br />

Anzeigenleitung Isabel Schwartau<br />

Anzeigenvertretung Christoph Wahring,<br />

Wahring & Company, Tel. 284 09 40, info@wahring.de<br />

Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 19 vom 1. Januar 2014<br />

Vertrieb Christian Hagen (Leitung), Sigi Pachan,<br />

Beate Kaufmann, Jürgen Jobsen, Marcus Chomse, Meike Lehmann,<br />

Frank Nawatzki, Sven Schadofske, Marcel Stein, Silvia Zahn<br />

Rechnungswesen/Systemadministration Frank Belchhaus<br />

Spendenmarketing Gabriele Koch<br />

Spendenverwaltung Susanne Wehde<br />

Sozialarbeit Stephan Karrenbauer, Isabel Kohler<br />

Litho PX2@ Medien GmbH & Co. KG<br />

Produktion Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />

Druck A. Beig Druckerei und Verlag,<br />

Damm 9–15, 25421 Pinneberg<br />

Verarbeitung Delle und Söhne, Buchbinderei<br />

und Papierverarbeitungsgesellschaft mbH<br />

Spendenkonto Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

IBAN: DE56 200505501280167873<br />

BIC: HASPDEHHXXX<br />

Die Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH mit Sitz in Hamburg ist durch den aktuellen<br />

Freistellungsbescheid des Finanzamts Hamburg-Nord, Steuernummer<br />

17/414/00797, vom 15.11.2013 nach §5 Abs.1 Nr. 9<br />

des Körperschaftssteuergesetzes von der Körperschaftssteuer und nach §3 Nr. 6<br />

des Gewerbesteuergesetzes von der Gewerbesteuer befreit.<br />

Geldspenden sind steuerlich nach §10 EStG abzugsfähig. Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist als<br />

gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH im Handelsregister<br />

beim Amtsgericht Hamburg HRB 59669 eingetragen. Wir bestätigen,<br />

dass wir Spenden nur für die Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong> einsetzen. Adressen<br />

werden nur intern verwendet und nicht an Dritte weitergegeben.<br />

Beachten Sie unsere Datenschutzerklärung, abrufbar auf www.hinzundkunzt.de.<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist ein unabhängiges soziales Projekt, das obdachlosen und<br />

ehemals obdachlosen Menschen Hilfe zur Selbsthilfe bietet.<br />

Das Magazin wird von Journalisten geschrieben, Wohnungslose und<br />

ehemals Wohnungslose verkaufen es auf der Straße. Sozialarbeiter<br />

unterstützen die Verkäufer.<br />

Das Projekt versteht sich als Lobby für Arme.<br />

Gesellschafter<br />

Durchschnittliche monatliche<br />

Druckauflage 1. Quartal <strong>2015</strong>:<br />

78.333 Exemplare


Momentaufnahme<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>266</strong>/ APRIL <strong>2015</strong><br />

Rolf lebte jahrelang<br />

auf der Straße.<br />

Jetzt nahm er plötzlich<br />

sein LEBEN wieder<br />

in die Hand und<br />

zog in eine Wohnung.<br />

„Ich bin ein<br />

schweigsamer Typ“<br />

Rolf, 52, verkauft Hinz&<strong>Kunzt</strong> am Jungfernstieg.<br />

TEXT: JONAS FÜLLNER<br />

FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

Seit Anfang <strong>April</strong> hat Rolf ein Dach<br />

über dem Kopf. Eine richtige eigene<br />

Wohnung. Für den 52-Jährigen ein großer<br />

Schritt. Mehr als zehn Jahre lebte<br />

der Hinz&Künztler auf der Straße. Immer<br />

wieder suchte er Zuflucht in Männerwohnheimen,<br />

Hotels und anderen<br />

Unterkünften der Stadt. Ansonsten<br />

schlief er alleine irgendwo auf Hamburgs<br />

Straßen. Eine eigene Wohnung<br />

war lange kein Thema für ihn. Als vor<br />

ein paar Wochen ein Wohnungsangebot<br />

für ihn eintrudelte, hat er aber doch zugeschlagen.<br />

Warum? „Wird langsam<br />

Zeit. Ich werde ja älter jetzt“, sagt Rolf.<br />

Ich selbst kann mich nicht erinnern,<br />

wann mir Rolf das erste Mal aufgefallen<br />

ist. Mehr als zwei Jahre arbeite ich in-<br />

zwischen bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Rolf war<br />

schon immer da. Miteinander geredet<br />

haben wir nie. Jeden Vormittag bahnt<br />

sich der große Mann mit der etwas steifen<br />

und ungelenken Art seinen Weg<br />

zum Verkaufstresen. Er kauft ein paar<br />

Zeitungen, holt sich einen Kaffee und<br />

setzt sich auf einen der Hocker neben<br />

dem Eingang. Mit sehr aufrechter Haltung,<br />

so als wolle er gleich wieder aufspringen<br />

und gehen. Dabei ist Rolf die<br />

Ruhe in Person. Während um ihn herum<br />

geschäftiges Treiben herrscht, trinkt<br />

er seinen Kaffee und schweigt. Lediglich<br />

ein paar alteingesessene Verkäufer<br />

bekommen ein brummeliges „Hallo“ zu<br />

hören. Mehr als 20 Jahre ist Rolf jetzt<br />

bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

Doch irgendwann in den vergangenen<br />

Monaten kam der Umschwung. Ausschlaggebend<br />

war wohl auch der Tod<br />

unseres langjährigen Verkäufers Gerhard<br />

Kemme. Gerhard lebte bis zu seinem<br />

Tod auf der Straße. „Wenn ich auf<br />

der Straße bleibe, dann ist irgendwann<br />

Schluss“, dachte sich Rolf. „Aber ein<br />

paar Jährchen will ich noch leben.“<br />

Rolf nahm plötzlich sein Leben in<br />

die Hand. Nach nicht einmal vier Wochen<br />

hatte er seine Papiere beisammen.<br />

Krankenversicherung. ALG-II-Antrag.<br />

Alles selbst organisiert. Und er redet.<br />

Über sich. Wenn auch zögerlich. „Ich<br />

bin ein schweigsamer Typ, hab niemanden<br />

an mich rangelassen“, sagt Rolf, um<br />

dann doch damit herauszurücken, dass<br />

er in Bremen aufwuchs, Schriftsetzer<br />

lernte. „Habe da aber keine Bekannten<br />

oder Geschwister mehr. Auch meine<br />

Eltern sind tot.“ Was lief schief ? Warum<br />

landete er auf der Straße? „Durch Alkohol“,<br />

sagt Rolf. „Wohnung verloren,<br />

keine Miete bezahlt. Das Übliche.“ Eine<br />

simple Erklärung. Aber Rolf sagt: „Hatte<br />

keinen Bock, irgendwas zu machen.“<br />

Jetzt, mit 52 Jahren, will Rolf es<br />

noch einmal wissen. Er wird seine Wohnung<br />

selbst einrichten, einkaufen gehen<br />

und sich um den Haushalt kümmern.<br />

„Wenn du auf einmal wieder davor<br />

stehst, ist es erst ein komisches Gefühl“,<br />

sagt Rolf. „Plötzlich macht es aber klick<br />

und dann geht es auch. Wenn ich will,<br />

verstehst du, dann geht es auch.“<br />

Rolf hat schon einmal so richtig gewollt.<br />

Das war vor sechs, sieben Jahren.<br />

Da hörte er einfach mit dem Trinken<br />

auf. Von einem Tag auf den anderen.<br />

Ohne fremde Hilfe. „Mir ging es körperlich<br />

nicht mehr so gut. Und ich dachte,<br />

wenn ich weiter trinke, dann ist es irgendwann<br />

vorbei“, sagt Rolf lakonisch, so als<br />

sei es das Einfachste von der Welt, seine<br />

Sucht hinter sich zu lassen. •<br />

Kurse für professionelles<br />

Modemachen<br />

Berufsbegleitende Aus- und<br />

Weiterbildung · Workshops<br />

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<strong>Kunzt</strong>-Kollektion<br />

1.<br />

2.<br />

1. „Stadtlicht Hamburg“<br />

Kerzenlicht mit Hamburg-Silhouette. Dreiteiliges Set zum<br />

Zusammenstecken, von dekoop aus Hamburg, 17,50 Euro<br />

2. Bio-Schwarztee-Mischung<br />

Aromatisiert mit Kakao und Vanillegeschmack. Zutaten:<br />

Schwarzer Tee*, Kakaoschalen*, Zimt*, Orangenschalen*,<br />

*aus kontrolliert biologischem Anbau (k. b. A.). In<br />

Kooperation mit dem Chocoladenmuseum Chocoversum.<br />

Hersteller: Dethlefsen&Balk, 100 g,<br />

Nachfülldose, 7,50 Euro<br />

Bio-Rotbuschtee<br />

Mit Kakao-Orange aromatisiert.<br />

Zutaten: Rotbuschtee*, Kakaoschalen*, Zimt*,<br />

Orangenschalen*, *k. b. A. In Kooperation mit<br />

dem Chocoladenmuseum Chocoversum. Hersteller:<br />

Dethlefsen&Balk, 75 g, Nachfülldose, 7,50 Euro<br />

4.<br />

5.<br />

3. „Gegens Abstempeln“<br />

Zehn selbstklebende 62-Cent-Briefmarken mit Porträts von<br />

Hinz&Künztlern im A5-Heftchen. Konzeption: Agentur<br />

Lukas Lindemann Rosinski, 11 Euro<br />

3.<br />

4. „Ein mittelschönes Leben“<br />

Eine Geschichte für Kinder über Obdachlosigkeit<br />

von Kirsten Boie, illustriert von Jutta Bauer.<br />

Als Buch 4,80 Euro, als Hörbuch 7,95 Euro<br />

5. „Hamburg zeigt Herz“-Becher<br />

Porzellanbecher mit Silikondeckel, in Deutschland<br />

gefertigt. Idee und Design von einer Auszubildendengruppe<br />

der Firma OTTO. 8,50 Euro<br />

6. Original Spiely<br />

Hundespielzeug für Vier- und Zweibeiner.<br />

Stöckchen- und Ballersatz aus robustem Segeltau, gefertigt<br />

in Werkstätten für Menschen mit<br />

Behinderung in Deutschland. Ein Produkt<br />

der Firma Treusinn aus München. 14,90 Euro<br />

7. „Macht auch wach!“<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Bio-Kaffeemischung,<br />

100% Arabica gemahlen, 250-g-Beutel, 5,95 Euro<br />

oder Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Bio-Espresso, italienische<br />

Mischung, kräftiger Geschmack, ungemahlen,<br />

250-g-Beutel, 5,95 Euro,<br />

exklusiv von der Kaff eerösterei Burg aus Hamburg.<br />

6.<br />

7.<br />

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Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg, Tel. 32 10 83 11. Preise zzgl. Versandkostenpauschale von 2,50 Euro bis 4 Euro,<br />

Ausland auf Anfrage. Versand ab 100 Euro Warenwert kostenlos.


Eine der wichtigsten<br />

Wärmequellen für Hamburg<br />

Am Guten soll man festhalten. So halten wir es auch mit unserem<br />

Einsatz für Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Seit <strong>April</strong> 2000 unterstützt E.ON Hanse das<br />

Hamburger Straßenmagazin. Und daran wird sich nichts ändern.<br />

Auch als HanseWerk werden wir unser Engagement fortsetzen. Mehr<br />

menschliche Wärme – eine der wichtigsten Energien für den Norden.<br />

Energielösungen für den Norden

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