Hinz&Kunzt 266 April 2015
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Das Hamburger Straßenmagazin<br />
N° <strong>266</strong> <strong>April</strong> <strong>2015</strong><br />
Moin,<br />
Chicas!<br />
Ein Mann, zwei<br />
Seiten: Mode-Ikone<br />
Jorge González hat<br />
für sein freies Leben<br />
hart gekämpft.<br />
Umstritten: Wie TTIP Hamburg verändern könnte.<br />
Unerträglich: Mindestens 800 Menschen werden wieder obdachlos.<br />
Unkaputtbar: In Hamburgs Plattenläden wird Vinyl gefeiert.<br />
1,90 EURO<br />
(davon 1 Euro für den Verkäufer/die Verkäuferin)
Die erneuerbaren Lesetage<br />
Lesen ohne Atomstrom<br />
22.–27. <strong>April</strong> <strong>2015</strong><br />
Dennis Meadows, Vandana Shiva, Bill McKibben, Ole von Uexküll<br />
22.4. Patriotische Gesellschaft<br />
Michael Otto, Wolfgang Huber, Mojib Latif<br />
23.4. Kulturkirche<br />
Andrea Maria Schenkel, Simone Buchholz<br />
23.4. Theatersalon 2te Heimat<br />
Christian Redl & Vlatko Kucan<br />
24.4. Völkerkundemuseum<br />
Deine Freunde<br />
25.4. Fischmarkt<br />
ˆ<br />
Marc Elsberg, Peter Schaar, Hubert Seipel, Wolfgang Nesković<br />
25.4. Zentralbibliothek<br />
Gregor Gysi, Jürgen Roth, Wigbert Löer, Oliver Schröm, Sascha Adamek, Rainer Burchardt<br />
26.4. Zentralbibliothek<br />
Nina Hagen, Günter Grass<br />
26.4. Ohnsorg-Theater<br />
Anna Thalbach, Natja Brunckhorst, Kai Hermann, Sonja Vukovic, Herbert Schalthoff u. v. a.<br />
27.4. Fabrik<br />
www.lesen-ohne-atomstrom.de<br />
Eintritt frei
Inhalt<br />
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
FOTOS: KATRIN VIERKANT/JUNIUS VERLAG, DMITRIJ LELTSCHUK<br />
42<br />
Titel: Laufstegtrainer Jorge González – ein Mann<br />
geht mit BRAVOUR seinen Weg.<br />
TITELBILD: DANIEL CRAMER<br />
Stadtgespräch<br />
04 Voll bürgerlich!<br />
Die Patriotische Gesellschaft<br />
von 1765 wird 250 Jahre alt:<br />
ein Gang durch ihr Haus<br />
10 Zahlen des Monats<br />
Modekonzerne zahlen den<br />
Opfern des Fabrikeinsturzes<br />
in Bangladesch nicht genug<br />
Entschädigung<br />
12 Für Flaschensammler tut sich was<br />
Nach der Testphase darf auf dem<br />
Hamburger Flughafen wieder<br />
gesammelt werden<br />
14 Land in Sicht<br />
Hinz&Künztler Kasimir fand<br />
morgens Schiffchen aus Geld<br />
28<br />
16 TTIP – so nicht!<br />
Was sich durch das Handelsabkommen<br />
in Hamburg verändern kann<br />
26 Winternotprogramm in Deutschland<br />
Die Kältehilfe in großen Städten<br />
reicht oft nicht aus<br />
28 Läuft bei euch!<br />
Das neue Buch „Recorded“ feiert<br />
Hamburgs Plattenläden<br />
Lebenslinien<br />
34 Wild ist ihre Lieblingsfarbe<br />
Die Künstler Artur Dieckhoff und<br />
Klaus Raasch zeigen Arbeiten aus<br />
der Werkstatt „Schwarze Kunst“<br />
Freunde<br />
38 Bahn macht für Verkäufer mobil<br />
Von der Spende der Bahn kaufen<br />
wir Fahrkarten für Hinz&Künztler<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
42 Ich bin okay so<br />
Jorge González über sein Leben<br />
abseits des Laufstegs<br />
46 Hamburger Dokumentarfilmwoche<br />
Vier Empfehlungen nicht nur<br />
für Cineasten<br />
48 20 Tipps für den <strong>April</strong><br />
52 Ein Held aus Trotz<br />
Autor Frank Schulz hat mit Hartz-<br />
IV-Detektiv Onno Viets eine neue<br />
Romanfigur geschaffen<br />
54 Momentaufnahme<br />
Hinz&Künztler Rolf<br />
Rubriken<br />
24 Meldungen<br />
40 Buh&Beifall<br />
53 Rätsel, Impressum<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
jedes Jahr um diese Zeit das Gleiche:<br />
Das Winternotprogramm endet und<br />
mindestens 800 Obdachlose werden<br />
wieder auf die Straße entlassen (Seite<br />
26). Das Schlimmste: Die meisten Obdachlosen<br />
sind schon länger auf der<br />
Straße. Viele nutzen seit Jahren das<br />
Winternotprogramm, immer wieder.<br />
Und es gibt inzwischen nicht mal mehr<br />
Plätze in den Dauerunterkünften, von<br />
Wohnungen ganz zu schweigen. Und so<br />
bleibt vielen nichts anderes übrig, als bis<br />
zum nächsten November zu warten, bis<br />
das nächste Winternotprogramm wieder<br />
öffnet.<br />
Wenn einer doch mal eine Wohnung<br />
findet, dann ist das wie ein Sechser<br />
im Lotto. Rolf (Seite 54) hatte gerade<br />
dieses Glück. Der Mann, der immer der<br />
große Schweiger war, taut richtig auf.<br />
Noch eine schöne Geschichte: Wir<br />
waren wieder am Flughafen, um zu<br />
schauen, wie die Testphase mit den Flaschensammlern<br />
(Seite 12) läuft. Und<br />
wurden vom Management komplett<br />
überrascht. Im Terminal soll Flaschensammeln<br />
definitiv erlaubt sein, nur vor<br />
den Sicherheitsabsperrungen nicht:<br />
Dort sollen Flaschensammler fest angestellt<br />
werden, die regelmäßig die Flaschenkörbe<br />
leeren.<br />
Zäher läuft es mit der Stadtreinigung<br />
und den Pfandregalen in der Innenstadt.<br />
Dort müssen wir wieder mehr<br />
Gespräche führen. Eigentlich müsste<br />
das geschmeidiger laufen, schließlich<br />
hat der Senat sogar Geld bereitgestellt.<br />
Ihr Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Team<br />
04<br />
Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk<br />
3
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>266</strong>/ APRIL <strong>2015</strong><br />
Voll bürgerlich!<br />
Seit 250 Jahren gibt es in Hamburg die Patriotische Gesellschaft von 1765.<br />
Von Anfang an mischen die Mitglieder sich überall dort ein, wo es brennt<br />
in der Hansestadt – ganz überparteilich und überkonfessionell, denn sie fühlen<br />
sich nur dem Gemeinwohl der Stadt verpflichtet. Wir gratulieren!<br />
TEXT: MISHA LEUSCHEN<br />
FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK<br />
M<br />
itten im Herzen Hamburgs<br />
steht das Gebäude<br />
der Patriotischen Gesellschaft<br />
von 1765 wie eine<br />
Trutzburg an der Trostbrücke. Was hinter<br />
den dicken Mauern vor sich geht,<br />
darüber wissen die wenigsten Hamburger<br />
Bescheid. Das soll nun anders werden.<br />
„Exakt am 250. Gründungstag,<br />
dem 11. <strong>April</strong>, rollen wir den Bürgern<br />
am Tag der offenen Tür den roten Teppich<br />
aus“, erklärt Geschäftsführerin<br />
Wibke Kähler-Siemssen. Neben vielen<br />
Veranstaltungen wird dann zum ersten<br />
Mal auch das sanierte Haus präsentiert.<br />
„Wir wollen uns nicht selbst beweihräuchern,<br />
sondern wir wollen die richtigen<br />
Menschen als neue Mitglieder gewinnen.<br />
Menschen, die unsere Haltung mittragen,<br />
die aufgeklärt und überparteilich<br />
sind, überkonfessionell und dem<br />
Gemeinwohl verpflichtet.“<br />
In der Patriotischen Gesellschaft tun<br />
sich kluge Köpfe freiwillig zusammen,<br />
weil sie in der Stadt etwas bewegen wollen.<br />
So war es schon 1765, als sich die<br />
Honoratioren der Stadt im Sinne der<br />
Aufklärung zusammenfanden, um Gutes<br />
zu tun. Viel haben sie seither auf den<br />
Weg gebracht: Die erste Sparkasse in<br />
Europa hätte es ohne sie ebenso wenig<br />
gegeben wie die Hamburger Bücherhallen,<br />
das Berufsschulwesen, Hochschulen<br />
oder das Museum für Kunst<br />
und Gewerbe.<br />
Die Patriotische Gesellschaft vereinigt<br />
viele Interessen unter ihrem Dach. „Als<br />
ich hier anfing, lief ich wie ein Kind<br />
durch den Süßwarenladen und dachte:<br />
Das darf ich auch alles kennenlernen!“,<br />
erinnert sich Wibke Kähler-Siemssen.<br />
Die Mitglieder treffen sich in Arbeitskreisen<br />
und Projektgruppen, engagieren<br />
sich für Kultur und Bildung, für Stadtentwicklung<br />
oder interkulturelles Leben,<br />
„Wir wollen uns<br />
nicht selbst<br />
beweihräuchern.“<br />
WIBKE KÄHLER-SIEMSSEN<br />
für Denkmalschutz oder für Familien<br />
mit Kindern. Der Verein ist darüber hinaus<br />
als Förderin, Preisstifterin und Mitgesellschafterin<br />
– zum Beispiel bei<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> – aktiv.<br />
Dass der Verein noch immer einen<br />
elitären Ruf hat, ist der Geschäftsführerin<br />
bewusst. „Menschen suchen Exklusivität“,<br />
stellt sie fest. „Aber unsere Exklusivität<br />
ist Bereitschaft zur Mitarbeit.“<br />
Als Geschäftsführerin muss Wibke Kähler-Siemssen<br />
alle Fäden zusammenhalten,<br />
auch während der oft aufreibenden<br />
4<br />
Bautätigkeit. „Ich finde es spannend,<br />
wie hanseatisch es ist, dass man ein<br />
Haus für den Bürgersinn nicht nur für<br />
die Bürger gebaut hat“, sagt sie lachend.<br />
„Die Premiumlage war beim Bau natürlich<br />
für Geschäfte reserviert. Darüber<br />
durfte man gemeinnützig sein. Aber das<br />
Kapital, also das Haus, muss Geld verdienen“<br />
– bis heute. Wo früher Geschäfte<br />
waren, wird es ab Herbst ein verpachtetes<br />
Restaurant hinter bodentiefen<br />
Fenstern geben, mit Außenplätzen auf<br />
dem dann verbreiterten Trottoir.<br />
Es läuft also. Nur der Name bleibt<br />
sperrig. „Der Begriff des Patriotismus<br />
ist nicht per se positiv aufgeladen“,<br />
weiß sie, „er hat Widerhaken und ist<br />
unbequem.“ Auch deshalb wird eine<br />
Veranstaltungsreihe unter dem Titel<br />
„Was ist patriotisch?“ im Jubiläumsprogramm<br />
der heutigen Bedeutung von<br />
Patriotismus nachgehen. Sich von Pegida<br />
abzugrenzen war dem Vorstand so<br />
wichtig, dass er eine Stellungnahme abgab.<br />
Die Organisatoren seien „populistische<br />
Extremisten“, heißt es da. Man<br />
trete mit aller Entschiedenheit dem<br />
sprachlichen Betrug und dem ungenierten<br />
Missbrauch politischer und kultureller<br />
Traditionen entgegen, mit denen<br />
Enttäuschte, Orientierungslose<br />
und Verunsicherte irregeführt und zur<br />
Unterstützung nationalistischer, rassistischer<br />
und extremistischer Positionen<br />
instrumentalisiert würden.
Architekt Joachim Reinig hat die<br />
Herkulesaufgabe übernommen,<br />
das seit 1923 unter Denkmal-<br />
schutz stehende Gebäude zu<br />
SANIEREN. Eine Öffnung in<br />
die Stadt, Nachhaltigkeit und gute<br />
Vermietbarkeit der Räume stehen<br />
bei der baulichen Ausrichtung für<br />
die Zukunft im Vordergrund.<br />
5
Patin Bianca Mariß (links) ist stolz auf „ihre“<br />
DIESTERWEG-FAMILIE: Serdar, Mutter Serpin<br />
und Vater Ismail. Die Patin unternimmt ganz alltägliche<br />
Dinge mit Serdar, geht mit ihm mal ins Kino oder<br />
ins Planetarium. „So lernen wir uns besser kennen und<br />
entdecken die Lebenswelt des jeweils anderen.“<br />
Die Patriotische Gesellschaft steht<br />
… für Öffnung in die Stadt<br />
Dem Architekten Joachim Reinig haben<br />
es seine Vorgänger nicht leicht gemacht.<br />
Nach dem großen Brand von 1842 baute<br />
Theodor Bülau den heutigen Sitz der<br />
Patriotischen Gesellschaft im neugotischen<br />
Stil – dort, wo zuvor das alte,<br />
beim Brand zerstörte Rathaus stand. In<br />
den 20er-Jahren wurde das Gebäude<br />
um vier Geschosse aufgestockt.<br />
In den Feuerstürmen 1943 brannte<br />
das Gebäude aus. Der Wiederaufbau<br />
durch den Architekten Friedrich Ostermeyer<br />
dauerte zehn Jahre, 1957 wurde<br />
das Haus fertiggestellt. Auch diesmal<br />
war keine Öffnung zu spüren, man<br />
wollte wohl die Aussicht auf die zerstörte<br />
Stadt vermeiden, mutmaßt Reinig.<br />
„Einerseits habe ich das, was meine Vorgänger<br />
gegen den Geist der Aufklärung<br />
entwickelt haben, zu respektieren“, erklärt<br />
er seine Aufgabe. „Andererseits gilt<br />
es, das Gebäude für heutige Aufgaben<br />
zu öffnen.“ Aufwendige Umbau- und<br />
Sanierungsarbeiten schaffen nun eine<br />
Verbindung in die Stadt, lassen Licht<br />
hinein und erlauben Blicke ins Innere,<br />
das bisher verborgen war.<br />
„Führung und<br />
Menschlichkeit<br />
schließen sich<br />
nicht aus.“ STEFAN BÖTTGER<br />
… für Perspektivwechsel<br />
Bei seinem ersten Einsatz als Seiten-<br />
Wechlser ging’s für Stefan Böttger gleich<br />
raus aus der Komfortzone: An diesem<br />
eisigen Morgen im Februar 2012 fuhr<br />
der Leiter Vermögensberatung in der<br />
6<br />
Region Innenstadt der Haspa nicht mit<br />
dem geheizten Auto, sondern machte<br />
sich mit Bus, Hadag-Fähre und U-Bahn<br />
vom Eigenheim in Finkenwerder auf<br />
zum JesusCenter in der Schanze. „Vor<br />
der Tür standen ein paar Jungs, die eine<br />
Flasche Wodka köpften – morgens um<br />
neun“, sagt Böttger. „Die guckten und<br />
meinten: Du kommst hier noch nicht<br />
rein! Da wusste ich: Beim Dresscode<br />
hab ich alles richtig gemacht.“<br />
Das Jesuscenter ist Anlaufstelle für<br />
Menschen in Not, vor allem für Obdachlose<br />
– und Partner des Programms<br />
SeitenWechsel, einem Weiterbildungsangebot<br />
für Führungskräfte. Eine Woche<br />
lang kriegen Manager dabei eine<br />
kräftige Dosis Leben ab – als Praktikanten<br />
in Einrichtungen für Wohnungslose,<br />
für Behinderte oder Suchtkranke, im<br />
Gefängnis oder im Hospiz. SeitenWechsel<br />
entstand in der Schweiz. Seit 15 Jahren<br />
gibt es einen deutschen Ableger, der<br />
zur Patriotischen Gesellschaft gehört.
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Leiterin Doris Tito ist von Anfang an<br />
dabei. „Das Schwierigste ist, Personaler<br />
in Unternehmen für uns zu gewinnen“,<br />
weiß sie. Manche schicken erst mal<br />
‚Testpiloten‘, die den SeitenWechsel<br />
ausprobieren, so auch die Haspa. Seither<br />
nehmen regelmäßig Mitarbeiter der<br />
Sparkasse im Rahmen ihrer Fortbildung<br />
daran teil. So kam auch Stefan Böttger<br />
dazu. Sein Fazit: „Führung und<br />
Menschlichkeit schließen sich nicht<br />
aus.“ Beim Mitternachtsbus ist er dabeigeblieben,<br />
einmal im Monat fährt er<br />
mit. Und manchmal, so freut er sich,<br />
erkennt auch jemand den Praktikanten<br />
Stefan aus dem Jesuscenter wieder.<br />
Das Thema von Eckehard Herrmann und Thomas<br />
Klindt ist STADTENTWICKLUNG, weil es alle<br />
Bereiche tangiert. „Es geht darum, wie wir miteinander<br />
leben wollen.“ Darum wird im elfköpfigen Arbeitskreis,<br />
dem sie vorsitzen, ordentlich gerungen bei Themen wie<br />
Bürgerbeteiligung, Olympia, Stadtbahn oder Inklusion.<br />
... für einen guten Start<br />
Sechs Jahre ist es her, dass Serdar mit<br />
seinen Eltern und seiner zehn Jahre älteren<br />
Schwester von Russe in Bulgarien<br />
nach Hamburg gekommen ist. Familie<br />
Ramadan sah in ihrer Heimat an der<br />
Grenze zu Rumänien keine Perspektive.<br />
„Es gab keine Arbeit, wir haben alles<br />
verloren“, erzählt Vater Ismail. Für Serdar<br />
war der Umzug kein Problem. „Ich<br />
habe Deutsch gelernt, indem ich mit<br />
meinen Freunden draußen war. In drei<br />
Monaten habe ich Deutsch gesprochen“,<br />
erzählt der Zwölf-Jährige stolz.<br />
Für seine Mutter Serpin war es ohne<br />
deutsche Sprache schwer, sich zu integrieren.<br />
Doch sie fand schnell einen<br />
Job, heute arbeitet sie beim HVV. Ihr<br />
Mann, der in Bulgarien PC-Systeme gefertigt<br />
hatte, hat Arbeit bei einem Teppichhändler<br />
in der Speicherstadt gefunden.<br />
Für die Kinder stecken sie zurück.<br />
So konnten sie ihr Glück nicht fassen,<br />
als Serdar für das Diesterweg-Stipendium<br />
ausgewählt wurde.<br />
Die Patriotische Gesellschaft ist Träger<br />
für das erste Familienbildungsstipendium<br />
in Deutschland. Es unterstützt begabte<br />
Kinder aus sozial benachteiligten<br />
Stadtteilen beim Übergang auf die weiterführende<br />
Schule. Das Besondere: Das<br />
Stipendium ist keine Geldleistung, son-<br />
7
dern eine intensive Förderung für die<br />
Kinder und ihre Familien: die „Diesterweg-Familien“.<br />
Dazu gehören Exkursionen,<br />
Ferienkurse und Familienbildungsangebote,<br />
aber auch Beratungen, etwa<br />
bei der Wahl der weiterführenden Schule,<br />
und finanzielle Unterstützung bei der<br />
Anschaffung von Lernmitteln.<br />
„Mir gefällt die<br />
spezifische Art<br />
einer Toleranz von<br />
Individuen.“ MARLIS ROSS<br />
SeitenWechsel-Leiterin Doris Tito und SeitenWechsler<br />
Stefan Böttger. Der Haspa-Manager arbeitete als<br />
Praktikant im JesusCenter, er begleitete die Ärztin des<br />
Pik As und fuhr mit dem Mitternachtsbus. Was der<br />
SEITENWECHSEL für seinen Beruf gebracht hat?<br />
„Man kommt nicht zurück und macht alles anders.<br />
Aber es hat mir möglich gemacht, meine Verantwortung<br />
als Führungskraft bewusster zu sehen.“<br />
Auswahlkriterien für die Familien<br />
sind die drei großen Bs, erläutert Projektleiterin<br />
Christiane Mettlau: Begabung<br />
der Kinder, Bereitschaft der Eltern<br />
zur Mitarbeit, eine Benachteiligung<br />
ihrer Lebenslage. Den Familien wird<br />
gehörig auf den Zahn gefühlt, denn sie<br />
sollen sich für zwei Jahre auf ein umfangreiches<br />
Programm einlassen. Museen,<br />
Theater, Ausflüge gehören dazu, um<br />
den kulturellen Raum zu entdecken.<br />
Um den deutschen Alltag besser<br />
kennenzulernen, stehen den Familien<br />
Paten zur Seite. Bei den Ramadans ist es<br />
Bianca Mariß, eine junge, voll berufstätige<br />
Frau, die dem Beirat der Patriotischen<br />
Gesellschaft angehört. Die Chemie<br />
stimmt zwischen der Familie und<br />
der Patin, die sehr stolz auf Serdar ist.<br />
Der lebhafte Junge geht mittlerweile<br />
in die 6. Klasse des Hansa-Gymnasiums,<br />
das seine Familie zusammen mit<br />
seiner Patin für ihn ausgesucht hat.<br />
Auch hier ist er – wie schon in der<br />
Grundschule – Klassensprecher. Sein<br />
Berufswunsch? „Irgendwas mit Autos“,<br />
sagt der Sportwagenfan. Bei Marke, PS<br />
oder Baujahr macht ihm schon heute<br />
keiner was vor.<br />
8
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
… für Freigeistigkeit<br />
Auf vielen Zetteln hat Marlis Roß notiert,<br />
was sie loswerden möchte im Gespräch.<br />
Bei ihren zahlreichen Ehrenämtern<br />
muss sie schon mal nachgucken,<br />
damit sie keines vergisst – trotz ihres<br />
exzellenten Gedächtnisses. Vier Jahre<br />
lang war sie im Beirat und im Vorstand,<br />
sie sitzt im Kuratorium des Holger-Cassens-Preises<br />
und der Dorothea-Wilhelm-Stiftung,<br />
ist im Stiftungsvorstand<br />
der Bücherhallen, Mitglied der Stolperstein-Gruppe<br />
und in der Projektgruppe<br />
Salon. „Das ist schon alles“, sagt sie<br />
ganz ohne Ironie.<br />
Sich für politisch verfolgte Menschen<br />
zu engagieren, das ist das große<br />
Lebensthema der 1937 geborenen<br />
Hamburgerin. 27 Jahre lang war sie<br />
Mitglied bei Amnesty International. Die<br />
klare Stellungnahme der Patriotischen<br />
Gesellschaft zu den ausländerfeindlichen<br />
Brandanschlägen in Mölln 1992<br />
und Solingen 1993 brachte Marlis Roß<br />
in Kontakt. 2001 wurde sie Mitglied.<br />
„Mir gefällt die spezifische Art einer Toleranz<br />
von Individuen und nicht von<br />
Gruppen“, sagt sie. „Diese selbstverständliche<br />
Akzeptanz, dass man zuhört<br />
und sich auseinandersetzt.“ Dem Gedanken<br />
der Aufklärung fühlt sie, die<br />
Philosophin, sich besonders verpflichtet.<br />
„Ich habe gelernt, dass ich keine Angst<br />
haben muss, meine Meinung zu sagen.“<br />
Dazu gehört auch, sich kritisch mit<br />
dem Begriff des Patriotismus auseinanderzusetzen.<br />
Zu den Motiven der selbst<br />
ernannten Patrioten von Pegida hat sie<br />
ihre ganz eigene Theorie: Sie seien<br />
sie nicht richtig informiert. „Und ich<br />
denke, das ist ein Problem der Vereinsamung<br />
vor und mit den Medien. Und<br />
Einsamkeit führt zu mangelndem<br />
Selbstbewusstsein.“ •<br />
Marlis Roß, MITGLIED der<br />
Patriotischen Gesellschaft, schrieb<br />
2007 ein Buch über den Ausschluss<br />
der jüdischen Mitglieder 1935.<br />
„Der damalige Vorstand wollte<br />
das zunächst nicht, förderte aber<br />
schließlich den Druck des Buches.“<br />
Johannes Jörn gehört zum<br />
VORSTAND, Wibke Kähler-<br />
Siemssen ist Geschäftsführerin<br />
der Patriotischen Gesellschaft.<br />
Mit sozialer Arbeit sichtbar zu<br />
sein, das ist Johannes Jörn bei<br />
seiner Mitgliedschaft wichtig.<br />
Der Verein ist neben der<br />
Diakonie zweiter Gesellschafter<br />
bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Jörn sitzt in<br />
der Gesellschafterversammlung.<br />
9
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Zahlen des Monats<br />
Modekonzerne stehlen sich<br />
aus der Verantwortung<br />
Zwei Jahre nach dem Einsturz einer Textilfabrik in<br />
Rana Plaza (Bangladesch) sind bei Weitem nicht alle Opfer entschädigt worden.<br />
8,5 Millionen Euro<br />
mindestens fehlen dafür laut der Hilfsorganisation Inkota. Ein Fonds soll sicherstellen,<br />
dass Hinterbliebene und Verletzte eine Entschädigung erhalten. Doch nicht alle Modehersteller,<br />
die in der Fabrik Kleidung produzieren ließen, haben einen Beitrag geleistet.<br />
Von den sechs deutschen Unternehmen, die in moralischer Verantwortung stehen,<br />
haben drei noch gar nicht in den Fonds eingezahlt und drei nach Einschätzung von Inkota<br />
zu wenig. Kik hat 875.300 Euro überwiesen, die Firma Güldenpfennig 437.650 Euro<br />
und die Norderstedter Firma Kappa 43.765 Euro. Die Unternehmen Adler Modemärkte,<br />
Kanz – Kids Fashion Group und NKD haben sich bislang um jede Zahlung gedrückt.<br />
Kanz – Kids Fashion Group und Güldenpfennig ließen wiederholte Nachfragen von<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> unbeantwortet. Kik ließ wissen, das Unternehmen habe „die Entwicklung<br />
des Rana Plaza Treuhandfonds von Anbeginn mitgestaltet“. Kappa verwies darauf,<br />
dass die Firma nur einen Auftrag „in einem begrenzten Zeitraum von wenigen Wochen<br />
in der durch den Einsturz betroffenen Fabrik … produzieren ließ“, der vor<br />
dem Unglück abgeschlossen worden sei. Die Zahlung begreift die Firma als „Spende“.<br />
Die Adler Modemärkte teilten mit, sie hätten „zu keinem Zeitpunkt Geschäftsverhältnisse<br />
mit Firmen aus dem Rana-Plaza-Komplex“ gehabt. Und NKD verwies auf eigene<br />
Untersuchungen vor Ort und erklärte: „NKD hat zum Unfallzeitpunkt bei keinem der in<br />
Rana Plaza ansässigen Unternehmen produzieren lassen.“<br />
Bislang haben erst 40 Prozent der Betroffenen Geld ausbezahlt bekommen.<br />
Deshalb fordern Hilfsorganisationen „klare Haftungspflichten für Unternehmen,<br />
damit diese für die Entschädigung der Opfer der vernachlässigten Sorgfaltspflicht<br />
aufkommen“. Die Fabrik in Rana Plaza war zum Zeitpunkt des Unglücks völlig überfüllt<br />
und marode. Solche Zustände sind in Billiglohnländern wie Bangladesch, in denen<br />
Modekonzerne wegen der niedrigen Kosten gerne produzieren lassen, weit verbreitet.<br />
Beim Einsturz der Textilfabrik im <strong>April</strong> 2013 waren 1138 Menschen<br />
ums Leben gekommen, weitere 2400 wurden verletzt. •<br />
TEXT: ULRICH JONAS; ILLUSTRATION: KÄTHE SCHÖNLE<br />
Mehr Infos unter www.saubere-kleidung.de und www.ranaplaza-arrangement.org<br />
11
Im Getümmel am<br />
FLUGHAFEN<br />
fallen die<br />
Pfandsammler<br />
kaum auf.<br />
Für Flaschensammler<br />
tut sich was<br />
Am Flughafen läuft es jetzt gut mit den Flaschensammlern: Probeweise dürfen sie wieder sammeln, die<br />
Verwaltung feilt an einem tragfähigen Konzept. In der Innenstadt sollen weitere Pfandregale aufgehängt werden.<br />
TEXT: BENJAMIN LAUFER<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Treffen mit dem Flughafenmanagement<br />
im Hamburger Airport,<br />
Terminal 2. Seit sechs<br />
Wochen ist das Flaschensammeln zu<br />
diesem Zeitpunkt hier wieder erlaubt.<br />
Gefährden die Flaschensammler den<br />
„ungestörten Betrieb“ des Flughafens<br />
und den „angenehmen Aufenthalt“ der<br />
Passagiere? So hatte der Airport das<br />
Sammelverbot und die 97 Strafanzeigen<br />
gerechtfertigt. Erst der große Erfolg unserer<br />
Onlinepetition bewirkte, dass die<br />
Anzeigen im Februar zurückgenommen<br />
wurden und das Pfandsammeln probeweise<br />
wieder erlaubt ist.<br />
„Es gibt von ein paar Ausnahmen<br />
abgesehen eigentlich keine Probleme“,<br />
bewertet Johannes Scharnberg vom<br />
12<br />
Flughafenmanagement die ersten Wochen<br />
des Testlaufs. Puh! Bis Mitte Mai<br />
wollen sich die Betreiber auch Gedanken<br />
um ein langfristiges Konzept machen,<br />
wie mit dem Flaschensammeln am Airport<br />
sinnvoll umgegangen werden kann.<br />
Auch mit Pfandringen an den Mülleimern<br />
wollen sie experimentieren. Sogar<br />
einen richtigen Plan haben sie schon ent-
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Sozialarbeiter<br />
Stephan Karrenbauer (links) im<br />
GESPRÄCH mit Johannes<br />
Scharnberg von der Flughafenverwaltung.<br />
wickelt: Nur direkt vor den Sicherheitskontrollen<br />
soll das Sammeln nicht allen<br />
erlaubt werden – hier sind „professionelle<br />
Pfandsammler“ geplant, die die Behälter<br />
mit den Flaschen leeren. „Wir werden<br />
von dem Pfandgeld Menschen sozialversicherungspflichtig<br />
beschäftigen, die wir<br />
so aus der Arbeitslosigkeit oder aus prekären<br />
Verhältnissen rausholen“, erklärt<br />
Scharnberg. Beeindruckend!<br />
Wir wollen uns selbst ein Bild machen<br />
und schauen uns an zwei Vormittagen<br />
im März in und vor dem Flug hafen<br />
um. Zunächst treffen wir zwei Bundespolizisten,<br />
die ihre Runde durch den Terminal<br />
drehen. „Die Flaschensammler<br />
sind mir noch nie negativ aufgefallen“,<br />
sagt einer. Auch habe er nicht wahrgenommen,<br />
dass es mehr geworden seien,<br />
seit das Verbot aufgehoben wurde.<br />
Ein alter Mann in dunkelbrauner Jacke<br />
kommt durch die Drehtür und geht<br />
mit seiner Tasche durch das Flughafengebäude.<br />
Er könnte ein Tourist sein, so<br />
unauffällig ist er. Dabei ist er ein richtiges<br />
Flughafen-Urgestein! „Damals, als<br />
sie den Flughafen neu gebaut haben,<br />
war ich mit auf der Baustelle“, erzählt<br />
der 79-Jährige. „Ich hab die Rolltreppe<br />
gebaut!“ Auch heute kommt er zum<br />
Geldverdienen her, jeden Tag mit der<br />
S-Bahn aus Wedel. Weil die Rente nicht<br />
reicht, sammelt er hier Flaschen. Ärger<br />
mit dem Sicherheitspersonal habe er<br />
noch nicht gehabt.<br />
13<br />
Schließlich kommt noch ein junger<br />
Pole um die Ecke, der zum ersten Mal<br />
am Flug hafen Flaschen sammelt. Er<br />
sei obdachlos, erzählt er in gebrochenem<br />
Deutsch. „Jetzt habe ich Geld, vielleicht<br />
kann ich im Hostel schlafen. Was kostet<br />
das?“, fragt er. Dann fährt er die Rolltreppe<br />
hinunter, zwei Sicherheitsdienstmitarbeiter<br />
kommen ihm entgegen. Sie<br />
grüßen sich freundlich.<br />
Auch in der Innenstadt geht gerade<br />
eine Testphase zu Ende. Die Stadtreinigung<br />
hat seit dem vergangenen Sommer<br />
mit Pfandregalen an den neuartigen<br />
„Big Belly“-Mülleimern experimentiert,<br />
in die Pfandsammler nicht hineingreifen<br />
können. Nach einem Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Bericht<br />
darüber regte sich Protest im Internet.<br />
Der wurde schließlich so stark, dass<br />
das Unternehmen die heutigen Regale<br />
entwickelte.<br />
Die Sammler in der City sind unauffälliger<br />
geworden, seit sie nicht mehr im<br />
Müll wühlen. Im Vorbeigehen können<br />
sie die Flaschen aus den Regalen herausnehmen,<br />
lange bleibt dort keine stehen.<br />
Nur landet leider auch viel Müll in den<br />
Pfandregalen. „Gerade die Jugendlichen<br />
knallen da ihre Cola- oder Kaffeebecher<br />
rein“, sagt ein Flaschensammler. „Ich<br />
habe die schon oft genommen und in<br />
den Mülleimer geworfen, der ist ja<br />
daneben.“<br />
Für die Reinigung der Pfandregale<br />
wird vermutlich ein Großteil der jährlich<br />
50.000 Euro ausgegeben werden,<br />
die der Senat zur Anschaffung weiterer<br />
Regale bereitgestellt hat. Die Stadtentwicklungsbehörde<br />
prüft noch, wie viele<br />
sie an den Mülleimern anbringen wird.<br />
„Es ist absehbar, dass sich nicht jeder<br />
Standort eignen wird“, sagt ein Sprecher<br />
der Stadtreinigung, nicht mit ganz so<br />
viel Enthusiasmus, wie ihn die Flughafenbetreiber<br />
haben.<br />
Die Pfandregale hält der Flaschensammler<br />
für eine gute Idee. „Nur muss<br />
das auch genutzt werden!“, sagt er. „Es<br />
muss mehr publik gemacht werden,<br />
Das Restaurant von Ole Plogstedt<br />
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dass der Pfand in das Regal gehört.“ •<br />
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Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>266</strong>/ APRIL <strong>2015</strong><br />
Einen kleinen GELDSEGEN wie diesen kann Kasimir gut gebrauchen. Nach einem<br />
Unfall konnte der Mann aus Masuren nicht mehr arbeiten, er fing an zu trinken<br />
und rutschte ab. Trotzdem ist er ein netter Typ geblieben, der anderen hilft und für sie<br />
dolmetscht, denn sein Deutsch ist nach mehr als 25 Jahren in Hamburg ziemlich gut.<br />
14
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Land in Sicht<br />
Irgendwann im Leben hat Kasimir Schiffbruch erlitten. Lange machte er Platte am Rathaus.<br />
Immer mal wieder landeten zu Schiffchen gefaltete Fünf-Euro-Scheine neben seinem Platz. Eines Tages<br />
löste sich das Rätsel um den Spender der Rettungsboote. Jetzt will sich Kasimir selbst retten.<br />
TEXT: JONAS FÜLLNER<br />
FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Als Kasimir morgens aufwachte, lag neben ihm ein<br />
winziges Papierschiffchen, gefaltet aus einem<br />
Fünf-Euro-Schein. Viele Jahre machte der gebürtige<br />
Pole mit seiner Freundin Mariola „Platte“,<br />
nur wenige Meter vom Rathausmarkt entfernt. Die Rathaus-<br />
Polizisten grüßten höflich, auch sonst habe er viel Hilfe und<br />
Unterstützung erfahren. Aber so etwas? „Ich konnte das<br />
selber nicht glauben“, erzählt der 57-Jährige. Fünf Monate ist<br />
das inzwischen her. Wenige Tage später stellte der anonyme<br />
Spender weitere Fünf-Euro-Schiffchen für das Pärchen ab.<br />
Seinen Schatz präsentierte Kasimir bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Geschäftsführer<br />
Jens Ade war genauso perplex und fing an zu<br />
sammeln: Kasimir zahlte er den Gegenwert aus. Irgendwann<br />
lagen 27 Schiffchen im Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Tresor.<br />
„Das mit dem Schiffchen ist so eine Marotte von mir“, erklärt<br />
Wolfgang Schwieger. „Ich falte die auch, wenn ich in der<br />
Kirche spende.“ Schwieger leitet ein Marktforschungsunternehmen<br />
in der Innenstadt. Auf Spaziergängen zum Café<br />
Paris kam er mit dem Pärchen ins Gespräch. „Die haben mit<br />
dem Gaskocher abends gekocht und zum Essen Kerzen angezündet“,<br />
erinnert sich Schwieger. „Und mich hat beeindruckt,<br />
wie sie dieses ‚bürgerliche Leben‘ auf die Straße übertrugen.“<br />
Schwieger wollte helfen und schenkte ihnen Schlafsäcke.<br />
„Aber die haben sie wohl eher in die Landeswährung umgesetzt“,<br />
sagt er und schmunzelt. „Man denkt ja immer, man<br />
müsste die Menschen nach seinen Vorstellungen sozialisieren.<br />
Aber den Alkohol brauchen sie eh, davon kommen sie nicht<br />
so einfach weg.“ Deswegen fing er an, Geld zu spenden. In<br />
besonderer Form: auffällig und doch völlig zurückhaltend.<br />
Eines Tages wachte Kasimir auf, als Schwieger gerade ein<br />
Schiffchen abstellte. Das Geheimnis war gelüftet. Aber nicht<br />
deswegen landeten keine Fünf-Euro-Schiffchen mehr im Tresor.<br />
Der Grund ist, dass Kasimir, der seit fast einem Vierteljahrhundert<br />
in Hamburg lebt, keine Platte mehr macht. Er ist im<br />
Wohncontainer eines Bekannten in Jenfeld untergekommen.<br />
„Weit weg, aber ist besser so“, sagt er. „In der Stadt kennen<br />
mich alle und meine Kumpels wollen alle mit mir trinken.“<br />
Und zu Schnaps konnte Kasimir noch nie Nein sagen.<br />
Deswegen ist dieser Schlafplatz auch eine Art Hoffnungsschimmer.<br />
Hoffnung ist das, was Kasimir gerade braucht,<br />
denn die vergangenen Monate waren schwer. Im Dezember<br />
erlitt er einen Zusammenbruch und landete im Krankenhaus.<br />
Warum? „Das weiß ich selber nicht“, sagt Kasimir. Erinnern<br />
kann er sich nur noch, dass er zusammen mit Freunden trank.<br />
Erst im AK Altona kam er wieder zu sich. „Ich musste die<br />
Schwester fragen, wo ich war.“ Nach wenigen Tagen wurde er<br />
entlassen. „Aber meine Beine waren wie Gummi“, erinnert<br />
sich Kasimir. Mehrfach fiel er hin. Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Mitarbeiter<br />
brachten ihn zurück ins Krankenhaus. Wenige Tage später<br />
erreichte ihn die Nachricht vom Tod seiner Freundin. Sie<br />
starb auf der Straße, vermutlich an den Folgen jahrelangen<br />
Alkoholkonsums.<br />
Rückblickend sagt Kasimir: „Ich war sehr traurig. Aber<br />
der Mensch weiß nie, wann er stirbt. Das kann mit jedem passieren.“<br />
Lieber blickt er nach vorne. Geholfen hat ihm dabei<br />
seine Zeit in der Krankenstube. Dorthin vermittelte ihn<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Sozialarbeiterin Isabel Kohler nach seinem<br />
Krankenhausaufenthalt. Endlich fand er Ruhe. „Ich habe 15<br />
Kilo zugenommen und trinke weniger, viel weniger.“<br />
Tatsächlich zügelt sich Kasimir derzeit. Seit mehr als<br />
zehn Jahren hängt er an der Flasche. Einer der Auslöser: Der<br />
gelernte Bautechniker stürzte vom Gerüst eines Kirchturms<br />
in Rostock. An Arbeit war nicht mehr zu denken. Sein linker<br />
Arm fühlt sich bis heute taub und kalt an. „Nach dem Unfall<br />
habe ich alles verloren“, sagt er. Seine Arbeit, seine Wohnung.<br />
Er tröstete sich mit Alkohol und landete auf der Straße.<br />
Irgendwann begann er, mitten in der Innenstadt Platte zu<br />
machen. „Hier bin ich sicher“, das ist ein Grund für ihn. Ein<br />
anderer ist sicherlich, dass er sich gerne unter Menschen<br />
mischt. „Ja, am Rathausmarkt kennt mich jeder“, sagt Kasimir<br />
nicht ohne Stolz. Udo Lindenberg und Dieter Bohlen hat<br />
er schon Hinz&<strong>Kunzt</strong> verkauft. Aber nicht nur zu Menschen,<br />
auch zu den Schwänen neben seiner Platte hat er offenbar<br />
einen guten Draht. Einen der Schwäne dressierte er sogar.<br />
„Frankie war als Baby alleine, ich habe ihn mit Brot gefüttert,“<br />
sagt er. Es gibt ein Foto, auf dem der Schwan Kasimir<br />
ein Stück Brot aus dem Mund stibitzt. Gerne verteilt er das<br />
Bild an Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Käufer. Und er freut sich auf ein Wiedersehen<br />
mit Frankie. „Jetzt im Frühjahr gehe ich wieder mit ihm<br />
schwimmen.“ •<br />
15
Stadtgespräch<br />
TTIP<br />
So nicht!<br />
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will noch in diesem<br />
Jahr das Freihandels- und Investitionsabkommen<br />
TTIP zwischen Europa und den USA unterzeichnen.<br />
Gerade Hamburg soll profitieren. Aber stimmt das?<br />
ZUSAMMENSTELLUNG: BIRGIT MÜLLER<br />
ILLUSTRATIONEN: ESTHER CZAYA<br />
Wirtschaftswachstum,<br />
private Schieds gerichte,<br />
Angriff auf die<br />
Demokratie – und die<br />
Dove Elbe wird zur<br />
DOOFEN ELBE,<br />
weil durch Fracking<br />
die Wasserqualität<br />
leiden könnte … Was<br />
denn nun? Die Transatlantic<br />
Trade and<br />
Investment Partnership<br />
(TTIP) ist schwer<br />
umstritten.<br />
Ich glaube, der Sigmar Gabriel (SPD) mag mich nicht.<br />
Unser Vizekanzler findet mich „reich und hysterisch“.<br />
Nur weil ich zu den 60 Prozent der Deutschen gehöre,<br />
die das geplante Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen<br />
zwischen den USA und der EU (TTIP) skeptisch<br />
sehen. Ich soll alles wissen und gar nichts schlimm finden,<br />
obwohl ich mich nicht ausreichend informiert fühle. Und<br />
das, was durchsickert, ist nicht gerade vertrauensbildend.<br />
Dafür gibt es von allen Seiten Prognosen und Studien,<br />
dass einem schwindlig werden könnte. Das Chaos lichtet sich<br />
jetzt etwas – und inzwischen scheint klar, dass die Wirtschaft<br />
und die Zahl der Arbeitsplätze nicht in dem exorbitanten<br />
Maße wachsen, wie TTIP-Befürworter behauptet hatten.<br />
Etwa 0,5 Prozent und bis zu 100.000 Arbeitsplätze mehr in<br />
Deutschland könnte der Effekt sein – im Jahre 2027. Könnte,<br />
wenn alle „Handelshemmnisse“ fallen. Aber genau die zentralen<br />
„Handelshemmnisse“ sind es, die reiche Hysteriker wie<br />
ich nicht abbauen wollen.<br />
Weil wir nämlich eine Menge zu verlieren haben: unsere<br />
Sozial-, Arbeits- und Umweltstandards und womöglich unsere<br />
kommunale Selbstbestimmung. „Auf Kollisionskurs mit<br />
der Demokratie“ heißt deshalb auch die Studie von der Bürgerbewegung<br />
Campact. Untersucht werden die möglichen<br />
Folgen von TTIP und dem europäisch-kanadischen Pendant<br />
Ceta für Hamburg anhand ganz konkreter Beispiele. Zu lesen<br />
auf den folgenden Seiten! Außerdem: Brot für die Welt befürchtet<br />
verheerende Auswirkungen auf die jetzt schon armen<br />
Länder (Seite 21). Selbst Befürworter wie das Hamburgische-<br />
WeltWirtschaftsinstitut HWWI und die Berenberg Bank (Seite<br />
22) mahnen: „Wie können einerseits Marktzutrittsbarrieren<br />
und Marktmacht reduziert werden und berechtigte gesellschaftliche<br />
Präferenzen geschützt werden?“<br />
17
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>266</strong>/ APRIL <strong>2015</strong><br />
„Steuernde Eingriffe wie<br />
die Mietpreisbremse könnten<br />
beeinträchtigt werden.“<br />
THOMAS FRITZ (CAMPACT-STUDIE)<br />
Bist du nicht willig, verklag ich dich!<br />
Wenn es um TTIP und auch das europäisch-kanadische Pendant<br />
Ceta geht, kann man den Eindruck gewinnen: In Zukunft<br />
sollen Regierungen hauptsächlich die Gewinnerwartungen von<br />
internationalen Konzernen sicherstellen. Das liegt sicher auch<br />
daran, dass den Schiedsgerichten (ICSID) in Zukunft noch<br />
größere Bedeutung zukommen soll. Vor denen können Staaten<br />
Staaten verklagen, aber vor allem: Unternehmen können<br />
Staaten verklagen, wenn sie sich diskriminiert oder sonstwie<br />
benachteiligt fühlen. Vor diesen Schiedsgerichten verhandeln<br />
private Anwaltskanzleien den Fall, und zwar geheim und<br />
neben der normalen Justiz. Der Fall wird zu einer puren<br />
Wirtschaftsfrage erklärt. Der Beschluss ist bindend, Rechtsmittel<br />
können nicht eingelegt werden. Das kritisieren sogar<br />
Befürworter.<br />
Beweis es doch!<br />
In Deutschland gilt das sogenannte Vorsorgeprinzip: Ein Unternehmen<br />
muss beweisen, dass seine Produkte oder seine<br />
Verfahren nicht schädlich sind. Das hat sich mit TTIP und<br />
Ceta erledigt: Bedenken oder Befürchtungen wie etwa beim<br />
Fracking reichen nicht mehr aus. Ein Staat oder eine Kommune<br />
müssen dem Unternehmen beweisen, dass sein Verfahren<br />
schädlich ist. Sonst: Klage vor dem Schiedsgericht!<br />
Was die Wirtschaft so hemmt:<br />
Hamburger Beispiele aus der Campact-Studie<br />
In der Studie für die Bürgerbewegung Campact hat Thomas<br />
Fritz die Folgen für Hamburg aufgezeigt. Einige stellen wir<br />
hier – gekürzt und teilweise paraphrasiert – vor. Und: Die<br />
Zwischenüberschriften stammen von uns.<br />
Umweltauflagen nerven – Der Fall Moorburg<br />
Ein Hamburger Beispiel ist der Fall Moorburg: Vattenfall gegen<br />
Deutschland. Im Jahr 2009 klagte der schwedische Energiekonzern<br />
Vattenfall vor einem ICSID-Tribunal gegen<br />
Deutschland. Grund waren die Auflagen, die die Hamburger<br />
Umweltbehörde bei der Betriebsgenehmigung für das Kohlekraftwerk<br />
Moorburg machte. Sie zielten darauf ab, eine<br />
Beeinträchtigung der Wasserqualität der Elbe durch die geplante<br />
Entnahme von Kühlwasser und die Einleitung von Abflutwasser<br />
zu vermeiden. Vattenfall aber behauptete, durch<br />
die Auflagen würde die Investition unwirtschaftlich. Seine<br />
Klage stützte Vattenfall auf die von Deutschland unterzeichnete<br />
Energie-Charta, einen zwischenstaatlichen Vertrag, der<br />
den Gang vor internationale Schiedsgerichte ermöglicht. Von<br />
Deutschland forderten die Schweden eine Entschädigung<br />
über 1,4 Milliarden Euro. Der ICSID-Streitfall wurde im<br />
März 2011 mit einem Vergleich beigelegt, dem wiederum eine<br />
Vergleichsvereinbarung vor dem Oberverwaltungsgericht<br />
Hamburg zugrunde lag. Diese verpflichtete die Umweltbehörde<br />
dazu, Vattenfall eine „modifizierte wasserrechtliche<br />
Erlaubnis“ zu erteilen, das heißt die ursprünglichen Auflagen<br />
wurden zugunsten des Betreibers aufgeweicht.<br />
ExxonMobil könnte Fracking durchsetzen<br />
Einer der vielen US-Konzerne, die aufgrund ihrer kanadischen<br />
Niederlassungen bereits von dem Handels- und Investitionsabkommen<br />
zwischen der EU und Kanada (Ceta) profitieren<br />
könnten, ist ExxonMobil. Bis Ende <strong>2015</strong> darf<br />
ExxonMobil prüfen, ob die Kohlenwasserstoff-Vorkommen<br />
eine Förderung lohnen würden. Hierzu müsste die umweltschädliche<br />
Fracking-Methode angewandt werden, bei der mit<br />
hohem Druck und einer mit Chemikalien versetzten Flüssigkeit<br />
Risse ins Gestein gesprengt werden. Die Hamburger Umweltbehörde<br />
sprach sich gegen die Genehmigung aus. Sie hatte<br />
Bedenken, dass der Schutz des Grundwassers und somit auch<br />
des Trinkwassers nicht dauerhaft gewährleistet werden kann.<br />
Die federführende Wirtschaftsbehörde erteilte trotzdem die<br />
Genehmigung.<br />
Würde Hamburg jetzt eine Abbaubewilligung verweigern,<br />
wäre dies schon nach deutschem Recht problematisch.<br />
Aber mit TTIP und Ceta könnte ExxonMobil zusätzlich vor<br />
einem Schiedstribunal klagen – auf Entschädigung entgangener<br />
Gewinne. Das Erlaubnisfeld „Vierlande“ umfasst 150<br />
Quadratkilometer im Süden Hamburgs. Es erstreckt sich über<br />
die Bezirke Bergedorf, Mitte und Harburg.<br />
Tschüss Tarif- und Mindestlohn?!<br />
Das Hamburgische Vergabegesetz könnte ausgehebelt<br />
werden. Firmen mit US-amerikanischen oder kanadischen<br />
Niederlassungen wäre es unter anderem möglich, gegen die<br />
Kopplung der Auftragsvergabe an die Einhaltung tariflicher<br />
Mindestlöhne vorzugehen.<br />
18
Durch die Umweltauflagen<br />
würde der<br />
Betrieb des Kohlekraftwerks<br />
Moorburg<br />
UNREN TABEL, fand<br />
der schwedische Konzern<br />
Vattenfall und klagte gegen<br />
Deutschland – auf<br />
entgangenen Gewinn.
Nix mehr mit Rekommunalisierung!?<br />
Firmen mit US-amerikanischen oder kanadischen Niederlassungen<br />
können sich an den Bieterverfahren für die Vergabe<br />
der Konzessionen für das Gas- und Fernwärmenetz beteiligen.<br />
Kommt es dabei zur Privilegierung eines stadteigenen<br />
Mitbieters, könnte das in ein Schiedsverfahren münden.<br />
Mietpreisbremse? Pflegestandards? Nein danke!<br />
Steuernde Eingriffe der Stadt in den Wohnungsmarkt wie Sozialschutzverordnungen<br />
oder die Mietpreisbremse könnten<br />
beeinträchtigt werden. Gewöhnliche Vertragsstreitigkeiten bei<br />
Bauvorhaben, die Erhöhung von Hafengebühren, das Verbot<br />
von Online-Diensten wie Uber oder gesetzlich vorgeschriebene<br />
Personalschlüssel in der Pflege können zu internationalen<br />
Schiedsverfahren führen.<br />
Genmais – guten Appetit!<br />
Im Hafen ansässige Getreideimporteure wie ADM könnten<br />
die Zulassungs- und Kennzeichnungsverfahren für genmanipulierte<br />
Organismen in der EU aufbrechen. So ist der in Ceta<br />
enthaltene Kooperationsmechanismus zur Biotechnologie geeignet,<br />
das in der EU geltende Vorsorgeprinzip bei der Risikobewertung<br />
von genmanipulierten Lebens- und Futtermitteln<br />
auszuhebeln.<br />
20
Stadtgespräch<br />
Befürchtung: Im Hamburger Hafen ansässige<br />
Getreideimporteure könnten das Vorsorgeprinzip bei<br />
der Risikobewertung von GENMANIPULIERTEN<br />
Lebens- und Futtermitteln aushebeln.<br />
„Es würde immer auf<br />
amerikanischen<br />
Mais hinauslaufen!“<br />
CORNELIA FÜLLKRUG-WEITZEL (BROT FÜR DIE WELT)<br />
Keine Chancen für die armen Länder:<br />
Warum Brot für die Welt TTIP nicht will<br />
Nach TTIP wird es kein Handelsabkommen mehr geben, das<br />
den ärmeren Ländern mehr Chancengleichheit einräumt.<br />
Davon ist Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin von Brot für<br />
die Welt und der Diakonie Katastrophenhilfe, überzeugt.<br />
Sie sagt: „Diese Länder hatten bei den sogenannten<br />
Doha-Verhandlungen die Erwartung formuliert, etwas gerechtere<br />
Absatzchancen zu bekommen und dass die reichen<br />
Länder und internationalen Konzerne wenigstens an einigen<br />
Stellen nicht ständig begünstigt würden. TTIP und Ceta werden<br />
aber einen so großen Prozentsatz des Welthandels abde-<br />
cken, dass sie als Muster für jedes Handels- und Investitionsabkommen<br />
dienen werden. Es wird dann keine Vereinbarung<br />
im Rahmen von Doha zustande kommen – und somit auch<br />
keine Chancengleichheit für die ärmeren Länder.“<br />
Ein Beispiel aus Brasilien: „Eine Kommune macht zur<br />
Armutsbekämpfung ein Schulspeisungsprogramm, verwendet<br />
dabei Produkte von Bauern aus der Region und gibt ihnen eine<br />
garantierte Absatzzusage. Aber das schließt andere aus, die<br />
in derselben Stadt dieselben Nahrungsmittel anbieten wollen:<br />
beispielsweise eine deutsche Firma oder internationale Lebensmittelkonzerne.<br />
Wird TTIP weltweites Vorbild für Handelsabkommen,<br />
könnten diese anderen Firmen klagen – und das<br />
Armutsbekämpfungsprogramm wäre gefährdet. Auch die UN<br />
oder wir kirchlichen Werke müssten immer den billigsten<br />
Anbieter berücksichtigen. Bislang kaufen wir lieber Getreide<br />
in der Region, wenn wir die Bevölkerung eines Krisengebietes<br />
versorgen wollen, und das ist ein Beitrag zur wirtschaftlichen<br />
Stabilisierung der Region. Mit TTIP müssten wir stattdessen<br />
den billigsten Mais kaufen – und das wäre US-amerikanischer<br />
Mais. Es wird immer auf amerikanischen Mais hinauslaufen,<br />
immer! TTIP wird Unterentwicklung und Armut fördern.“<br />
21
Stadtgespräch<br />
„Lieber sorgfältig<br />
verhandeln<br />
als schnell!“<br />
HWWI-CHEF PROF. DR. HENNING VÖPEL<br />
TTIP ja, aber Kritik berücksichtigen!<br />
Empfehlungen von HWWI und Berenberg<br />
„TTIP schafft den größten ‚Binnenmarkt‘ der Welt“, sagt Prof.<br />
Dr. Henning Vöpel, Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsinstituts<br />
(HWWI). Die Privatbank Berenberg und das<br />
HWWI haben in einer gemeinsamen Studie das Thema Freihandel<br />
untersucht. Allerdings stufen die Autoren „die messbaren<br />
Effekte eher als gering“ ein. „TTIP stellt dennoch einen<br />
wichtigen Schritt auf dem Weg zu einem gemeinsamen ‚Binnenmarkt‘<br />
dar. Gerade kleinere und mittelgroße Unternehmen<br />
würden profitieren“, so Dr. Jörn Quitzau, Volkswirt bei<br />
Berenberg. Sie hätten meist keine Rechtsabteilungen und bekämen<br />
mit TTIP einen „fairen Marktzutritt“.<br />
Trotzdem nehmen die Autoren den Widerstand gegen<br />
das Abkommen ernst: „Bei den weiteren Verhandlungen von<br />
TTIP sollte es um die Frage gehen: Wie können einerseits<br />
Marktzutrittsbarrieren und Marktmacht reduziert und berechtigte<br />
gesellschaftliche Präferenzen geschützt werden?“,<br />
sagt Quitzau. „Hier erwarten wir, dass die Widerstände in der<br />
Bevölkerung vor allem gegen die Angleichung der Standards<br />
im Lebensmittelbereich die Verhandlungspartner letztlich zu<br />
Zugeständnissen im Sinne der Kritiker veranlassen werden.“<br />
Für die Zukunft erwarten die Autoren weltweit „beschleunigtes<br />
Wachstum durch einen rasanten Investitionswettlauf“,<br />
so Quitzau. Die Gefahren: „Dabei dürfte die Mittelschicht in<br />
den Industrienationen weiter schrumpfen, und bei der Einkommens-<br />
und Vermögensverteilung kann es zu weiteren<br />
Konzentrationsprozessen kommen.“<br />
Die Globalisierung bringe voraussichtlich zwar weltweit mehr<br />
Wachstum und Wohlstand, sagt Quitzau. „Allerdings ist eine<br />
hocheffiziente, global verflochtene Wirtschaft auch störanfälliger.<br />
Unerwartete Krisen und Konjunkturschwankungen<br />
dürften damit keine Ausnahme bleiben.“<br />
Die Wirtschaftspolitik müsse darauf vorbereitet sein,<br />
„dass sie auch künftig im Falle einer Krise als Akteur benötigt<br />
wird“, so Quitzau. „Dafür müssen finanzpolitische<br />
Reserven gebildet werden.“ In den Industrienationen seien<br />
Teile der Mittelschicht bereits unter Druck geraten. „Deshalb<br />
dürften die Diskussionen über Verteilungsgerechtigkeit<br />
weiter zunehmen.“<br />
22
Befürchtung: Trotz<br />
großer Bedenken muss<br />
Hamburg ExxonMobil<br />
FRACKING erlauben,<br />
weil ein Verbot wegen<br />
einer Klage zu<br />
teuer werden könnte.<br />
Und so geht es weiter<br />
Lesestoff und Veranstaltungen:<br />
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will auf jeden Fall unterzeichnen,<br />
am liebsten vor den Präsidentschaftswahlen in den CETA in Hamburg, www.huklink.de/campact.de; Hamburgisches<br />
Campact, Auf Kollisionskurs mit der Demokratie – TTIP und<br />
USA. Die SPD hat zwar mit dem DGB „rote Linien“ erarbeitet:<br />
Darin werden Schiedsgerichte, Investitionsschutzklauseln, www.huklink.de/ttip-hwwi; Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Interview mit Cornelia<br />
WeltWirtschaftsinstitut und Privatbank Berenberg, Freihandel,<br />
Einschränkungen bei Arbeitnehmerrechten, Verbraucherschutz-,<br />
Sozial- und Umweltstandards abgelehnt und die Thilo Bode, Die Freihandelslüge, DVA, 14,99 Euro. Veranstaltungen<br />
Füllkrug-Weitzel (Brot für die Welt), www.huklink.de/ttip-brot;<br />
Zustimmung des Bundestages gefordert. Aber Vizekanzler der Nordkirche (www.kda-nordkirche.de): „Was die geplanten<br />
Sigmar Gabriel (SPD) will ebenfalls unterzeichnen. Die Autoren<br />
der Berenberg-HWWI-Studie erwarten keinen Abschluss meldung: ines.behrends@ked.nordkirche.de). „Wenn alles zur Ware<br />
Freihandelsabkommen bewirken“, Sa,18.4.,10.30-16.30 Uhr (An-<br />
mehr vor der US-Wahl 2016. HWWI-Chef Henning Vöpel: wird“, mit Thomas Fritz (Autor der Campact-Studie), Mo, 27.4.,19 Uhr,<br />
„Hier gilt: lieber sorgfältig verhandeln als schnell.“ •<br />
Ökumen. Forum Hafencity, Shanghaiallee 12, Eintritt frei<br />
23
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>266</strong>/ APRIL <strong>2015</strong><br />
Meldungen<br />
Politik & Soziales<br />
Ehrenamtliche Frauenärztin gesucht<br />
Die Migrantenmedizin in Wilhemsburg<br />
sucht zur Verstärkung ihres ehrenamtlichen<br />
Ärzte-Teams eine Gynäkologin.<br />
Die Beratungsstelle bietet seit 2011<br />
Sprechstunden für Menschen ohne<br />
Krankenversicherung. Ab <strong>April</strong> startet<br />
ein spezielles Angebot für Frauen. UJO<br />
•<br />
Infos: Tel. 75 66 64 01 oder stello@hoffnungsorte-hamburg.de<br />
Ausbeutung gab es etwa bei Olympia 2008 in China. Anlässlich der Hamburger<br />
Bewerbung mahnt Landespastor Dirk Ahrens GERECHTERE SPIELE an.<br />
Hartz-IV-Unterkunftsregelungen verfassungswidrig?<br />
Das Sozialgericht Mainz hält die derzeitigen Regelungen zu<br />
den Mietkosten von Hartz-IV-Empfängern für verfassungswidrig.<br />
Nach einem entsprechenden Beschluss wird nun das<br />
Bundesverfassungsgericht entscheiden. Laut Gesetz muss die<br />
Miete „angemessen“ sein. Was das bedeutet, entscheiden die<br />
Jobcenter vor Ort. Die aber hätten ebenso wie Gerichte nicht<br />
die demokratische Legitimation, über so wichtige Fragen zu<br />
entscheiden, so das Mainzer Sozialgericht. In Hamburg orientiert<br />
sich die Höhe der Zuschüsse am Mietenspiegel. UJO<br />
•<br />
Zu wenig Auswege aus der Armutsfalle<br />
Wer wenig hat, wird in Deutschland eher ärmer als reicher:<br />
Das ist das Ergebnis neuer Studien. So ermittelte die Bertelsmann-Stiftung,<br />
dass das Fünftel der Arbeitnehmer mit dem<br />
geringsten Verdienst seit Mitte der 1990er-Jahre Einbußen bei<br />
den Reallöhnen hinnehmen musste. Die 20 Prozent Beschäftigten<br />
mit den höchsten Löhnen dagegen verdienen heute<br />
noch besser. Eine weitere Studie der Stiftung zeigt auf, dass<br />
Kinder, die in Armut aufwachsen, schon vor der Einschulung<br />
gegenüber ihren Klassenkameraden benachteiligt sind.<br />
Ein früher Besuch der Kita könne hier helfen, so die Forscher<br />
– doch entscheiden sich Hilfeempfänger seltener für den<br />
Kindergarten als Besserverdienende. Mit Langzeitarbeitslosen<br />
in Hamburg beschäftigt sich eine Studie des Deutschen Gewerkschaftsbunds.<br />
Ergebnis: Ihre Eingliederungschancen sind<br />
nicht mal halb so groß wie die aller Arbeitslosen im Hartz-IV-<br />
System. Grundsätzlich hakt es beim Sprung in den Arbeitsmarkt:<br />
Bundesweit fiel die Quote derer, die Arbeitsagenturen<br />
und Jobcenter in ungeförderte Jobs vermitteln konnten,<br />
zwischen 2011 und 2014 von 16,2 auf 13 Prozent. UJO<br />
•<br />
Jobcenter: Personalräte schlagen Alarm und bekommen ein paar Kollegen<br />
Mit einem Brandbrief haben Hamburger Jobcenter-Personalräte steigende Arbeitsbelastung<br />
beklagt und 128 neue Stellen gefordert. 60 neue Kollegen sollen sie bald<br />
bekommen, so das Amt auf Nachfrage. Für Stress sorgen ein neues Computerprogramm<br />
und die Vorgabe, dass Leistungen nur noch nach dem „Vier-Augen-Prinzip“<br />
gewährt werden sollen. Zudem sind die Jobcenter bald auch für manche Asylbewerber<br />
zuständig. Obwohl das Gesetz vorschreibt, dass ein Mitarbeiter höchstens<br />
150 Haushalte betreuen soll, sind es in Hamburg jetzt schon bis zu 250. JOF/UJO<br />
•<br />
24
Stadtgespräch<br />
Pakistanische Brandopfer verklagen Kik<br />
Haben die Opfer der Brandkatastrophe in einer Textilfabrik<br />
in Karatschi Anspruch auf Schmerzensgeld vom Billigdiscounter<br />
Kik? Diese Frage muss das Landgericht Dortmund<br />
beantworten, nachdem ein Überlebender und drei Hinterbliebene<br />
geklagt haben. Das Verfahren gilt als Musterprozess<br />
hinsichtlich der Frage, inwieweit Unternehmen für miserable<br />
Standards in Billiglohnländern verantwortlich gemacht werden<br />
können. Die Fabrik im Süden Pakistans, in der vor allem<br />
für Kik genäht wurde, brannte 2012 vollständig aus. 260<br />
Arbeiter starben, weil Notausgänge verschlossen und Fenster<br />
vergittert waren. Kik zahlte bislang rund eine Million Euro<br />
und erkannte eine „moralische Verantwortung“ an. UJO<br />
•<br />
Lesen Sie zum Thema auch die Zahlen des Monats auf Seite 10.<br />
Abschiebehaft soll ausgeweitet werden<br />
Scharfe Kritik an einem Gesetzentwurf der Bundesregierung<br />
üben die Diakonie, der Paritätische Wohlfahrtsverband<br />
und Pro Asyl. Der Entwurf zur Änderung der Regeln zum<br />
Aufenthaltsrecht sieht neben einer Liberalisierung der<br />
Bleiberechtsregeln auch eine Ausweitung der Gründe für<br />
Abschiebehaft vor. So könnte in Zukunft bereits die Einreise<br />
nach Deutschland über ein anderes EU-Land als Grund<br />
für eine Festnahme ausreichen. Die Organisationen<br />
befürchten daher, dass es „zu einer erheblichen Ausweitung<br />
der Inhaftierung Asylsuchender“ kommen könnte. BELA<br />
•<br />
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Eine neue Beratungsstelle der Diakonie<br />
soll osteuropäischen Wanderarbeitern<br />
unter anderem beim Abschluss einer<br />
Krankenversicherung helfen. Laut<br />
Gesetz haben sie Anspruch darauf,<br />
aber: „Wir stellen fest, dass es in der<br />
Praxis leider noch Probleme bei der<br />
Durchsetzung gibt“, sagte Sozialsenator<br />
Detlef Scheele (SPD) bei der Eröffnung.<br />
Hamburg insgesamt profitiere von<br />
der Zuwanderung aus Osteuropa:<br />
„Viele dieser Menschen tragen zum<br />
Wohlstand der Stadt bei.“ BELA<br />
•<br />
25<br />
Schöne schlaue<br />
Arbeitswelt<br />
–<br />
Eine Ausstellung zu<br />
Ambient Intelligence<br />
09.04. – 17.05.<strong>2015</strong><br />
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Foto: iStock
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>266</strong>/ APRIL <strong>2015</strong><br />
Schutz vor dem Erfrieren.<br />
Nicht mehr.<br />
Ob Berlin, Hamburg, München oder Dresden: Fast überall sind die<br />
Winter-Notunterkünfte für Obdachlose überfüllt. Und wenn der Frühling<br />
kommt, müssen die Menschen meist wieder auf der Straße schlafen.<br />
TEXT: ULRICH JONAS<br />
FOTO: SASCHA RHEKER<br />
Krass: 80 bis 100 Obdachlose schlafen in FRANKFURT nachts in der B-Ebene einer S-Bahn-Station.<br />
Die Angebote für Obdachlose in<br />
Deutschland reichen vom<br />
Zwei-Bett-Container auf dem<br />
Gelände einer Kirchengemeinde bis<br />
zum Massenschlafen in der S-Bahn-<br />
Ebene. Hamburg hat das größte Winternotprogramm.<br />
Was frustriert: Wenn<br />
es endet, müssen mindestens 800 Menschen<br />
wieder auf die Straße. Denn sogar<br />
in den Dauerunterkünften für Obdachlose<br />
gibt es keine Plätze mehr. Im<br />
Gegenteil: 4800 Menschen warten dort<br />
auf die Weitervermittlung in eine Wohnung.<br />
Der absolute Stau. Und so müssen<br />
die Obdachlosen warten, bis wieder<br />
Winter ist – und wieder ein Notprogramm<br />
eröffnet.<br />
BERLIN<br />
(3,5 Millionen Einwohner)<br />
470 zusätzliche Plätze in rund 20 Notübernachtungsstätten<br />
und Nachtcafés,<br />
darunter 100 Feldbetten in einem großen<br />
Zelt auf dem Innsbrucker Platz.<br />
Das Angebot reicht hinten und vorne<br />
nicht, und das nicht erst seit Kurzem:<br />
Laut Berliner Stadtmission übernachteten<br />
im Winter 2013/2014 allein in ihren<br />
Notquartieren 2300 Obdachlose. Laut<br />
Senat lag die Auslastung der Kältehilfe-<br />
Angebote bei durchschnittlich 111 Prozent,<br />
Zahlen für diesen Winter sollen im<br />
<strong>April</strong> vorliegen. Die Kosten der Kältehilfe<br />
sind dem Senat nicht bekannt, da<br />
die Bezirke das Programm gestalten.<br />
26<br />
HAMBURG (1,75 Millionen)<br />
Rund 850 zusätzliche Plätze, davon 750<br />
in zwei alten Schulen und einer Container-Unterkunft.<br />
Bis zu 20 Obdachlose<br />
müssen in einem Raum schlafen. Dazu<br />
104 Plätze in Zwei-Bett-Containern auf<br />
dem Gelände von Kirchengemeinden.<br />
Gesamtkosten: 1,6 Millionen Euro.<br />
Das größte Winternotprogramm aller<br />
Zeiten ist bereits an seine Grenzen<br />
gestoßen: Anfang März schliefen bis zu<br />
940 Menschen in den Notunterkünften.<br />
Zusätzliche Betten könnten jederzeit<br />
aufgestellt werden, beruhigte die Behörde<br />
und stockte die Platzzahl im Februar<br />
auf 926 auf. Im Winter 2013/2014<br />
suchten mehr als 2000 Menschen Zu-
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
flucht im Winternotprogramm. Laut<br />
Behörde lag die durchschnittliche Auslastung<br />
bei 90 Prozent.<br />
MÜNCHEN (1,5 Millionen )<br />
430 zusätzliche Plätze in einer ehemaligen<br />
Kaserne, bis zu acht Menschen<br />
müssen in einem Raum schlafen. Bei<br />
Bedarf können 70 zusätzliche Betten<br />
aufgestellt werden. Dazu 60 Plätze für<br />
Mütter mit Kindern, Schwangere und<br />
alleinerziehende Väter. Im Notfall hätte<br />
die Stadt zusätzlich einen Bunker mit<br />
bis zu 120 Plätzen geöffnet.<br />
Im Winter 2013/2014 nutzten laut<br />
Stadt 2368 Menschen das Kälteschutzprogramm,<br />
ein Jahr zuvor waren es<br />
1764 Menschen. Die Zahl der Sozialarbeiter<br />
wurde wegen der zunehmenden<br />
Nutzerzahlen von 4,5 auf 8 Stellen angehoben,<br />
Gesamtkosten des Programms:<br />
1,6 Millionen Euro.<br />
KÖLN (1,05 Millionen)<br />
93 zusätzliche Plätze, darunter 70 in einem<br />
Gebäude der Evangelischen Kirche,<br />
laut Stadt für „Menschen, die keinen<br />
Anspruch auf Sozialleistungen<br />
haben“. Dabei handelt es sich um „eine<br />
reine Übernachtungsmöglichkeit ohne<br />
Dusch- bzw. Waschgelegenheiten“. Daneben<br />
bieten katholische Kirchengemeinden<br />
in Nachtcafés zehn bis 15<br />
Schlafplätze an.<br />
Wie stark die Angebote ausgelastet<br />
waren und was sie kosten, wollte das<br />
Sozialamt nicht beantworten. Es habe<br />
dafür „keine Kapazitäten“. Hilfsorganisationen<br />
zufolge mangelt es aber an<br />
Wohnungen und Notunterkunftsplätzen<br />
gleichermaßen. Eine Sozialarbeiterin:<br />
„Wenn die Winterhilfe endet, müssen<br />
die Leute wieder auf die Straße.“<br />
FRANKFURT/MAIN (700.000)<br />
400 zusätzliche Plätze in Notübernachtungsstätten<br />
für sogenannte Anspruchsberechtigte,<br />
laut Sozialamt hat das Angebot<br />
diesen Winter ausgereicht.<br />
Menschen aus Südosteuropa werden in<br />
der Regel als „Touristen“ betrachtet<br />
und bekommen wie in Hamburg eine<br />
Fahrkarte für die Rückkehr in ihre Heimat<br />
angeboten. Zum Schlafen bleibt ihnen<br />
im Winter die B-Ebene der S-<br />
Bahn-Station Hauptwache. Dort<br />
schlafen im Schnitt 80 bis 100 Obdachlose.<br />
Zu den Kosten machte die Stadt<br />
keine Angaben.<br />
DORTMUND (589.000)<br />
Rund 30 zusätzliche Schlafplätze im<br />
Winter, neben den 100, die das ganze<br />
Jahr über zur Verfügung stehen. Das<br />
Angebot stehe allen Obdachlosen offen<br />
und sei gut, erklärt das Sozialamt: „Jedem,<br />
den wir auf diese Weise erreichen,<br />
kann gegebenenfalls auch ein Wohnungsangebot<br />
unterbreitet werden.“<br />
Das örtliche Straßenmagazin „Bodo“<br />
beurteilt die Lage anders: „Nach<br />
der ersten Nacht in einer Notübernachtungsstelle<br />
müssen die Leute wegen der<br />
Kostenübernahme zum Amt. Da fällt<br />
ein Teil raus“, so Redaktionsleiter Bastian<br />
Püttner. Betroffen sind vor allem<br />
Menschen aus Südosteuropa, die sich<br />
zwar wohnungslos melden können, im<br />
Anschluss aber drei Monate lang jeden<br />
Zugang zu Hilfen verwehrt bekommen.<br />
„Die Stadt hofft, dass sie dann gehen –<br />
was sie aber nicht machen.“<br />
DRESDEN (536.000)<br />
14 Notübernachtungsplätze stellt die<br />
Stadt im Winter von 22 Uhr abends bis<br />
7 Uhr morgens bereit, zusätzlich gibt es<br />
fünf Notbetten rund um die Uhr. Daneben<br />
bieten sieben Kirchengemeinden<br />
im Wechsel in Nachtcafés 21 bis 24<br />
Schlafplätze an. Das örtliche Straßenmagazin<br />
„Drobs“ berichtet, dass die ehrenamtlichen<br />
Helfer in den vergangenen<br />
Monaten öfters die Türen schließen<br />
mussten – wegen Überfüllung. •<br />
Eine Bilanz des Hamburger Winternotprogramms<br />
lesen Sie auf www.hinzundkunzt.de<br />
27
Stadtgespräch<br />
Läuft bei<br />
euch!<br />
Ein neues Buch feiert Hamburgs Plattenläden.<br />
„Recorded“ trifft Musikliebhaber mitten ins Herz.<br />
TEXT: SIMONE DECKNER<br />
FOTOS: KATRIN VIERKANT,<br />
JUNIUS VERLAG<br />
29<br />
Hans Jakob Groothoff<br />
(oben) hat seine Ausbildung<br />
zum Veranstaltungsmanager<br />
damals in der<br />
„Hanseplatte“ gemacht.<br />
„Zwei Tage nach<br />
Ausbildungsende war ich<br />
der CHEF meines eigenen<br />
Ladens.“ Die Vorgänger<br />
konzentrieren sich derweil<br />
aufs eigene Label.<br />
Die „Hanseplatte“ ist<br />
spezialisiert auf Musik<br />
aus Hamburg. Geld<br />
verdient Groothoff vor<br />
allem mit Merchan dising,<br />
Büchern und einem<br />
eigenen Mode-Label.
Das Sortiment von „Championship Records“ in der<br />
Susannenstraße hat sich seit 1989 wenig verändert.<br />
„Ich führe viel Punkrock, Psychobilly, Rockabilly,<br />
Garage, Surf und Rock ’n’ Roll, aber auch<br />
Independent, Funk und Soul – hauptsächlich<br />
gebrauchte Ware“, sagt Oliver Heinemann.<br />
„Mit dem INTERNET war ich sehr spät dran.<br />
Ich habe das Online-Business lange unterschätzt.“<br />
30
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
„Einmal kam ein 16-jähriges Mädchen mit seiner Mutter in den Laden und war<br />
völlig überrascht, dass man eine PLATTE umdrehen kann. Die kannte nur CDs.“<br />
Oliver Heinemann (rechts) gehört „Championship Records“. Der Name ist eine Verbeugung vor<br />
dem kuriosen Plattenladen aus Nick Hornbys Roman „High Fidelity“.<br />
Michael Bonertz stolperte eines Tages fast über<br />
einen Mann, der plötzlich auf dem Boden seines<br />
Ladens – Slam Records im Schulterblatt –<br />
lag: „Ich war total geschockt,<br />
dachte, dass der kollabiert<br />
DJs schwören<br />
auf den wärmeren<br />
Sound des<br />
schwarzen Goldes.<br />
31<br />
wäre, und fragte ihn, ob er Hilfe<br />
bräuchte. Er öffnete ein Auge und<br />
meinte nur: ‚Ist alles okay. Ich musste<br />
mich nur eben hinlegen, weil die Musik<br />
so gewaltig war.‘“<br />
Es sind großartige Geschichten<br />
wie diese, die es in „Recorded“ zu entdecken<br />
gibt. Das Buch, das in diesem<br />
Monat im Hamburger Junius Verlag<br />
erscheint, ist eine Liebeserklärung an<br />
eine Institution, die im Zeitalter von digitaler Musik wie ein<br />
Überbleibsel aus alten Zeiten wirkt: der Plattenladen.<br />
Eigentlich hat er sich überlebt, seitdem mit einem Klick<br />
Millionen von Songs jederzeit verfügbar sind, sagt die Fotografin<br />
Katrin Vierkant. Die Hamburgerin, die seit zehn Jahren<br />
in Paris lebt, hatte die Idee zum Buch. Sie wollte wissen:<br />
Wer sind die Menschen, die trotz Krise der Musikindustrie<br />
immer noch Plattenläden betreiben?<br />
Und vor allem: Welche Geschichten<br />
haben sie zu erzählen?<br />
2011 begannen Vierkant und ihr<br />
schreibender Kollege Nicolas Christitch<br />
mit der Recherche für ihr Buch.<br />
26 Hamburger Plattenläden haben<br />
sie porträtiert, in Wort und Bild: von<br />
Urgesteinen wie der „Plattenrille“ bis<br />
zu jungen Läden wie „Smallville“.<br />
Beim Lesen von „Recorded“<br />
wird schnell klar: Platten verkaufen<br />
ist kein gewöhnlicher Job. Die Menschen hinterm Tresen sind<br />
Überzeugungstäter. Nicht wenige fingen als Stammkunden<br />
an, wurden Verkäufer im Lieblingsladen und später Besitzer.<br />
Wie Marga Glanz, eine der ganz wenigen Frauen, die Chefin
32<br />
Der ehemalige Musik -<br />
jour nalist Michael Ruff<br />
ist Chef von „Ruff Trade<br />
Records“ in der Feldstraße.<br />
1979 hieß der Laden noch<br />
„Rip Off“ und war Anlaufstelle<br />
für alle, die gern<br />
PUNK hörten. „Der Laden<br />
repräsentiert in gewisser<br />
Weise meinen eigenen<br />
Musikgeschmack, und das<br />
ist das, was Spaß an der<br />
Arbeit macht – auch wenn<br />
ich weiß, dass es riskant sein<br />
kann“, sagt Ruff. Privat<br />
kauft er „viel obskures Zeug<br />
auf Flohmärkten“.
Stadtgespräch<br />
Vinyl hat loyale<br />
Fans, vor allem<br />
bei Sammlern<br />
und DJs.<br />
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eines Plattenladens ist: „In den 1990er-Jahren habe ich Läden<br />
in den USA besucht und fand die einfach großartig. So einen<br />
wollte ich auch.“ 2004 übernahm sie „Groove City“ im Karoviertel.<br />
Das „Fachgeschäft für Soul, Funk, Reggae und Hip-<br />
Hop“ wurde vom Nachrichtensender CCN 2013 zu den<br />
„Zehn besten Plattenläden der Welt für Reisende“ gezählt.<br />
Denn trotz aller Abgesänge: Seit 2012 wird wieder mehr<br />
Vinyl verkauft. Zwar bilden die Schallplattenverkäufe heute<br />
nur noch magere zwei Prozent des Gesamtmarktes, aber: Vinyl<br />
hat loyale Fans, vor allem bei Sammlern und DJs. Sie<br />
schwören auf den wärmeren Sound und die einmalige Haptik<br />
des „schwarzen Goldes“.<br />
Ein Name fällt in „Recorded“ immer wieder: „Unterm<br />
Durchschnitt“ an der Rutschbahn. 1976 eröffnet, 2004 geschlossen,<br />
bis heute im Gedächtnis lebendig: Das letzte Kapitel<br />
erinnert an den legendären Laden. Besitzer Uli Rehberg<br />
war wohl der eigenwilligste Plattenverkäufer der Stadt: „Der<br />
wollte dir auch gerne mal eine Platte nicht verkaufen“, erinnert<br />
sich Oliver Heinemann von Championship Records,<br />
„weil die Strahlungen des Fernsehturms nicht gut waren. Ein<br />
Traum.“ •<br />
„Recorded. Live in Hamburgs Plattenläden“ von Nicolas Christitch<br />
und Katrin Vierkant, Junius Verlag, 24,90 Euro. Am 18.4. wird<br />
weltweit der „Record Store Day“ gefeiert. Mehr Infos im Internet<br />
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33
Artur gibt es wirklich! Der BÜFFELBULLE, Namensgeber eines Buches<br />
von Artur Dieckhoff, grast beim Landhaus des Künstlers. Seine Popularität hat<br />
das Rindvieh vor dem Schlachter gerettet – Artur hat lebenslanges Weiderecht.
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Lebenslinien<br />
Wild ist ihre<br />
Lieblingsfarbe<br />
Wenn man 30 Jahre gut zusammenarbeitet, muss man sich wohl<br />
leiden können. In einer neuen Ausstellung zeigen die beiden grafischen<br />
Künstler Artur Dieckhoff und Klaus Raasch, was Tolles dabei entsteht,<br />
wenn sich zwei Eigenbrötler zur „Schwarzen Kunst“ zusammentun.<br />
FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK<br />
TEXT: MISHA LEUSCHEN<br />
Wie wild es in den Künstlerseelen von Artur<br />
Dieckhoff und Klaus Raasch aussieht, das<br />
lässt sich in ihrer neuen Ausstellung in der Fabrik<br />
der Künste erahnen. „Wild ist (m)eine<br />
Lieblingsfarbe“ wird sie heißen und die mittlerweile 30-jährige<br />
gemeinsame Arbeit der Werkstatt „Schwarze Kunst“ präsentieren,<br />
die Artur Dieckhoff mit seinem Kollegen und Freund<br />
Klaus Raasch betreibt. „Hier macht jeder sein eigenes Ding<br />
in seinen ‚Lieblingsfarben‘. Mal wild, mal bunt, mal schwarz,<br />
mal maritim“, beschreibt Klaus Raasch die Aus stellung, die<br />
auch die Arbeiten der Kollegen Jürgen Meyer Jurkowski und<br />
Christian Peter zeigt.<br />
„Wir sind Eigenbrötler, die sich in Ruhe lassen, aber auch<br />
gut zusammenarbeiten können“, beschreibt der 66-jährige<br />
Dieckhoff ihre Freundschaft und der zwölf Jahre jüngere<br />
Raasch nickt dazu zustimmend. Vielleicht verbindet ja die gemeinsame<br />
Herkunft? „Ich komme aus Gelsenkirchen, er aus<br />
Wanne-Eickel, da haben wir uns mental gleich gut verstanden“,<br />
sagt Dieckhoff mit den langen Vokalen seiner Heimat<br />
in der Stimme.<br />
Immer Druck machen, politisch und an der Setzmaschine,<br />
darin haben die beiden früh gemeinsame Sache gemacht.<br />
Druckertinte ist eben dicker als Wasser: Seit drei Jahrzehnten<br />
funktioniert die ZUSAMMENARBEIT der Künstler<br />
Klaus Raasch (links) und Artur Dieckhoff. Gestritten haben<br />
sie noch sie, sagen sie, nur in der Sache gerungen.<br />
35
In der DRUCKWERKSTATT des<br />
Museums der Arbeit in Barmbek kann<br />
man Artur Diekhoff (links) und<br />
Klaus Raasch (unten) regelmäßig beim<br />
Arbeiten zuschauen. Das macht beiden<br />
Spaß – auch wenn vor lauter Erklären<br />
meist nur einer zum Arbeiten kommt.<br />
„Grafische Künstler<br />
sind sehr spezielle<br />
Menschen.“ ARTUR DIEKHOFF<br />
Dieckhoff, der Schriftsetzermeister, war immer ein Linker, genauso<br />
wie der Grafiker und Kriegsdienstverweigerer Klaus<br />
Raasch. Umweltverschmutzung, Anti-AKW, Stadtentwicklung,<br />
soziale Ungerechtigkeit, das waren ihre Themen und sie<br />
mischten sich konsequent ein. Vom Kommunistischen Manifest<br />
bis hin zu tagesaktuellen Plakaten setzten die beiden<br />
drucktechnisch um, was ihnen wichtig war. Ottensen wurde<br />
Dieckhoffs Heimat und Kiez, hier ist er bis heute dabei, wenn<br />
es um Stadt- und Lokalpolitik geht.<br />
Eine tonnenschwere Andruckmaschine – was sonst? –<br />
brachte die beiden ungleichen Männer zusammen. Dieses<br />
Monstrum hatte Raasch als Student gekauft und wusste noch<br />
nicht, wohin damit. Dieckhoff hatte Platz in seiner Werkstatt<br />
– das war der Beginn der „Schwarzen Kunst“ und einer erfolgreichen<br />
Zusammenarbeit zweier sehr unterschiedlicher<br />
Temperamente. Raasch ist Künstler und Tüftler, ein begnadeter<br />
Papierspezialist und völlig absorbiert von seiner Arbeit,<br />
gut vernetzt, immer in Bewegung. Fachkundig redet er<br />
vom Druckmetier, von Kollegen und ihrer Arbeit, von Plänen<br />
und von Vergangenem – und das so schnell, dass einem<br />
schwindelig wird bei all den Fakten.<br />
Zu erzählen hat er eine Menge, denn wie sein Kollege<br />
Dieckhoff hat der Gestalter, Drucker und Verleger von Künstlerbüchern<br />
viel Bemerkenswertes geschaffen, darunter auch<br />
36
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Lebenslinien<br />
Künstlerbücher von Cees Nooteboom, Botho Strauß, Neo<br />
Rauch und Markus Lüpertz, die er typografisch gestaltet und<br />
gedruckt hat. Dieckhoff, der Handsetzer, Drucker und Illustrator,<br />
hat neben dem Buch noch eine zweite Leidenschaft:<br />
den Film. 1992 brachte er mit dem Trickfilm „Vogel“ den<br />
Holzschnitt erstmals auf die Leinwand, auch Dokumentarfilme<br />
hat der vielseitige Künstler gemacht, zuletzt „Zwiebelfische“<br />
über den Sohn des Malers Max Ernst und seine Zeit in<br />
einer Druckerei in Glückstadt.<br />
Beide Künstler sehen sich in der Tradition der Setzer und<br />
ihres politischen Engagements. „Sie waren die ersten Gewerkschafter,<br />
sie konnten lesen und schreiben“, doziert Dieckhoff.<br />
Eine streitlustige Gewerkschaft seien sie gewesen, die Spitzenlöhne<br />
für ihre Mitglieder aushandelte, von denen er selbst als<br />
Setzer noch profitierte, erinnert er sich und wiegt bedächtig<br />
sein graues Löwenhaupt.<br />
Politik darf auch schön sein, finden die beiden. „Keine<br />
Angst vor Ästhetik“ ist ihr Motto, und so verführen sie Menschen<br />
immer wieder zum Lesen besonderer Texte. Mit schönen<br />
Büchern kann man viel bewegen, davon sind sie überzeugt<br />
und haben es bewiesen – man kann zum Beispiel einen<br />
Wasserbüffel vor dem Schlachten retten („Rettet Artur!“),<br />
mit einem Ringelschwänzchen Gutenbergs Geheimnis der<br />
Buchdruckkunst auf den Grund gehen („Johannes und das<br />
Blaubeerschwein“) oder Wasserwesen kunstvoll erotisch auf<br />
Papier bannen (mit der Neuerscheinung „Nixen, Nymphen,<br />
Neptuns Nichten“).<br />
Vor zwölf Jahren sind sie mit ihrer Werkstatt so richtig<br />
aufs Land gezogen, nach Niedersachsen, „dort, wo die Leine<br />
in die Aller fließt“, erzählt Artur Dieckhoff. Auf dem alten<br />
Hof mit Scheune und Fachwerkhaus haben sie genug Platz<br />
für ihre Maschinen, für ihre Arbeit und Ruhe zum Entwickeln<br />
neuer Ideen. „Da wohnen wir auch mal eine Woche zusammen,<br />
wenn wir an einem Projekt arbeiten“, sagen sie. Gestritten<br />
habe sie sich noch nie, erzählen sie, nur in der Sache gerungen.<br />
Männer eben.<br />
50 Jahre ist Dieckhoff jetzt im Beruf. „Wir sind an einem<br />
Scheidepunkt“, sagt er nachdenklich. „Das sinnliche Erleben<br />
eines handgemachten Buchs wissen immer weniger Menschen<br />
zu schätzen.“ Und diejenigen, die dieses Handwerk<br />
noch beherrschen, sind meist schon älter als er. Kampflos aufgeben<br />
werden sie sicher nicht, dazu schlägt das wilde Herz<br />
noch viel zu heiß. „Grafische Künstler sind sehr spezielle<br />
Menschen“, findet Artur Dieckhoff. Die zwei Freunde aus<br />
dem Ruhrpott sowieso. •<br />
Wild ist (m)eine Lieblingsfarbe, 10.–19.4., Fabrik der Künste,<br />
Kreuzbrook 12, Vernissage: Fr, 10. 4., 19 Uhr,<br />
Öffnungszeiten: täglich 14–19 Uhr, Eintritt frei<br />
Auf künstlerische „TRAUMREISEN“ ging Klaus Raasch<br />
1994 zu Texten des portugiesischen Dichters Fernando Pessoa.<br />
Vertraute Dinge entwickeln dabei in den Holz-,<br />
Linol- und Materialdruckcollagen ein surreales Eigenleben.<br />
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und verarbeiten über 350 Mio. Beilagen.<br />
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HINZ&KUNZT N°<strong>266</strong>/ APRIL <strong>2015</strong><br />
Manuela Herborth (zweite von rechts) und Egbert Meyer-Lovis (links außen) von der DEUSCHEN BAHN<br />
überreichten die Spende an Gabriele Koch, Christian Hagen (Bildmitte) und Hinz&Künztler Stefan.<br />
Spende für mehr Mobilität<br />
Für den Verkauf im Hamburger Umland nehmen Hinz&Künztler nicht nur lange,<br />
sondern auch teure Fahrten auf sich. Unterstützung erfahren sie jetzt durch den Mobilitätsfonds.<br />
TEXT: JONAS FÜLLNER<br />
FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
U<br />
nser Verhältnis zur Deutschen<br />
Bahn war nicht immer das beste.<br />
Streit gab es des Öfteren,<br />
wenn Obdachlose vom Bahnhof vertrieben<br />
wurden. Umso mehr freuen wir<br />
uns, dass die Bahn jetzt Hinz&Künztler<br />
unterstützt: mit einer großzügigen<br />
Spende über 12.600 Euro. Und mit diesem<br />
Geld unterstützt Hinz&<strong>Kunzt</strong> die<br />
Mobilität der Verkäufer. Gerade Verkaufsplätze<br />
an entlegenen Orten sind<br />
manchmal verweist. „Die langen Fahrtzeiten<br />
sind nicht das Problem“, sagt<br />
Vertriebsleiter Christian Hagen. „Abschreckend<br />
sind die enormen Kosten<br />
für die Tickets.“<br />
Die meisten Verkaufsplätze befinden<br />
sich in Hamburg. Aber auch im Speckgürtel<br />
zwischen Stade, Itzehoe, Bad Oldesloe<br />
und Lüneburg sollen die Menschen<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> kaufen können.<br />
In der Vergangenheit bestand das<br />
Problem, dass sich für diese Orte keine<br />
Verkäufer für einen längeren Zeitraum<br />
finden ließen. Sie scheuten das unkalkulierbare<br />
Risiko. „Bislang mussten Verkäufer<br />
teure Tages- oder Monatskarten<br />
kaufen, ohne zu wissen, wie viele Zeitungen<br />
sie verkaufen können“, sagt Hagen.<br />
Das soll jetzt besser werden. Mit<br />
dem neuen Mobilitätsfonds fördert<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> den Verkauf im Hamburger<br />
Umland. Nach einer Probezeit übernimmt<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> für die nachfolgenden<br />
drei Monate die Fahrtkosten zum<br />
Verkaufsplatz, bis der Verkäufer sich am<br />
Platz etabliert hat und seine Tickets aus<br />
eigener Tasche bezahlen kann.<br />
Ermöglicht wurde die Spende durch<br />
eine Aktion der Deutschen Bahn: An<br />
drei Verkaufstagen wanderte Ende vergangenen<br />
Jahres ein Teil der Einnahmen<br />
aus dem Reisezentrum im Hauptbahnhof<br />
an Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Erste Verkäufer haben sich bereits<br />
beworben. „Hinz&Künztler Franz pendelt<br />
jetzt nach Eidelstedt und verkauft<br />
dort vor Edeka“, freut sich Hagen. •<br />
Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk<br />
38
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Freunde<br />
HK <strong>266</strong><br />
Vergnügen für<br />
Freunde<br />
Die Komödie „Ab jetzt“ im Hamburger Schauspielhaus dürfte der Hit der<br />
Saison werden. Mitglieder des Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreises<br />
konnten sich davon frühzeitig überzeugen – bei der Generalprobe.<br />
Am Ende einer Generalprobe wird nicht applaudiert. Die Schauspieler treten<br />
daher auch nicht an den Bühnenrand, um sich zu verbeugen, sondern<br />
verschwinden schnöde hinter der Bühne und werden nicht mehr gesehen.<br />
So blieb den Mitgliedern des Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis nur, sich untereinander<br />
ihre Begeisterung mitzuteilen – eingeladen von Hinz&<strong>Kunzt</strong> zusammen mit dem<br />
Hamburger Schauspielhaus, als Dankeschön für ihr Engagement. Das Fazit? Hingehen!<br />
Unbedingt hingehen! Denn wie Hausherrin und Regisseurin Karin Beier<br />
die Komödie von Alan Ayckbourn um einen verschrobenen Komponisten, der<br />
mithilfe eines Roboters das Umgangsrecht<br />
für seine Tochter erlangen will,<br />
inszeniert hat, ist einfach sehenswert!<br />
Ganz zu schweigen von den schauspielerischen<br />
Glanzleistungen von Lina<br />
Beckmann, Ute Hanning und<br />
Götz Schubert. Viele Freunde raunten<br />
sich daher zu: „Wir gehen wieder<br />
öfter ins Theater!“ •<br />
Meine Jahresspende beträgt:<br />
60 Euro (Mindestbeitrag für<br />
Schüler/Studenten/Senioren)<br />
100 Euro<br />
Euro<br />
Datum; Unterschrift<br />
Ich möchte eine Bestätigung<br />
für meine Jahresspende erhalten.<br />
(Sie wird im Februar des Folgejahres zugeschickt.)<br />
Name, Vorname<br />
Straße, Nr.<br />
Ja,<br />
ich werde Mitglied im<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis.<br />
Damit unterstütze ich die<br />
Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Meine Adresse:<br />
Die nächsten Aufführungen: 4. 4., 16.4.<br />
und 24. 4., jeweils 20 Uhr. Karten: 64/8<br />
Euro. Schauspielhaus, Kirchenallee 39,<br />
Kartentelefon: 040 248 713<br />
Weltfremd, aber herzensgut: Schauspieler GÖTZ<br />
SCHUBERT in der Rolle des Komponisten Jerome.<br />
PLZ, Ort<br />
Telefon<br />
E-Mail<br />
Dankeschön<br />
Beruf<br />
Geburtsjahr<br />
FOTO: KLAUS LEFEBVRE<br />
Wir danken allen unseren SpenderInnen im<br />
März sowie allen Mitgliedern im Freundeskreis<br />
von Hinz&<strong>Kunzt</strong> für die Unterstützung unserer<br />
Arbeit!<br />
DANKESCHÖN EBENFALLS AN:<br />
HanseWerk AG, IPHH,<br />
wk it services,<br />
Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH,<br />
Firma Ströer Außenwerbung GmbH,<br />
Hamburger Tafel,<br />
Axel Ruepp Rätselservice,<br />
Hamburger Kunsthalle, bildarchiv-hamburg.de,<br />
Medienpool Extra GmbH, Erdkorn,<br />
Andreas Hansen Plakatanschlag,<br />
Agentur K2 Werk,<br />
Stromnetz Hamburg,<br />
Klaus Stöckel und den<br />
Musikern Mareike Mehrkens,<br />
Marco Friedrich, Peter Friedrich und Christian<br />
39<br />
Kirchfeld für ihre Konzerte in den<br />
evang. Kirchen in Wentorf, Basthorst<br />
und Büchen-Pötrau,<br />
Nähring-Stiftung Hamburg,<br />
Helene Stiftung Hamburg,<br />
Tom Vollerthun und den Kollegen und<br />
Kolleginnen der<br />
IT-Abteilung der Otto GmbH & Co KG<br />
NEUE FREUNDE:<br />
Friederike Aschermann,<br />
Lara Blackwood, Susanne Cordes,<br />
Claudia Gärtner, Christina Hoffmann,<br />
Antje Langbehn-Pohlmann,<br />
Antje Lanzenberger,<br />
Regine Schomaker-Reichelt,<br />
Anna Soetebeer, Jürgen Sponnagel,<br />
Christian Springub, Thomas Waldeck,<br />
Hans-Curd Welsch, Barbara Wilgeroth,<br />
Silke Witte-Bremes<br />
Ich erteile eine Ermächtigung zum<br />
Bankeinzug meiner Jahresspende.<br />
Ich zahle: halbjährlich jährlich<br />
IBAN<br />
BIC<br />
Bankinstitut<br />
Einzugsermächtigung:<br />
Wir versichern, dass Ihre Angaben nur für interne<br />
Zwecke bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> verwendet werden. Ihre<br />
Mitgliedschaft im Freundeskreis ist jederzeit kündbar.<br />
Bitte Coupon ausschneiden und senden an:<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis<br />
Altstädter Twiete 1-5, 20095 Hamburg<br />
Oder online im Freundeskreis anmelden unter<br />
www.hinzundkunzt.de/so-koennen-sie-helfen/
Buh&Beifall<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>266</strong>/ APRIL <strong>2015</strong><br />
Was unsere Leser meinen<br />
„Soziale Projekte gehören in die Hand der Verwaltung“<br />
„Sehr sympathisch“<br />
H&K 264, Titelbild „Esst Nazis!“ –<br />
Hinz&Künztler verteilte Ketchup dazu<br />
Daran sieht man, dass es für ihn<br />
wirklich ein Job ist, so wie andere als<br />
Arzt, Metzger oder Müllmann arbeiten.<br />
Und er macht noch ein bisschen mehr<br />
daraus. Sehr sympathisch!!! Ich wünsche<br />
ihm mit dieser „Aktion“ viel positives<br />
Feedback. *Daumen hoch*<br />
NILS LEMKE PER E-MAIL<br />
„Danke für diese Zeiten!“<br />
Allgemeines Feedback<br />
Bei meinem letzten Besuch in der<br />
Heimat hatte ich wieder die Möglichkeit,<br />
eine Ausgabe zu erstehen, habe sie<br />
nun heute zu Ende geschmökert und<br />
bin mal wieder erstaunt. Diese Zeitung<br />
besteht aus derart guten Artikeln, fantastischen<br />
Bildern und so viel Herzblut,<br />
welches beim Lesen förmlich aus der<br />
Zeitung auf mein Sofa sickert und<br />
schlussendlich in mein Blut übergeht,<br />
um meinen eigenen Herzkreislauf zu<br />
erwärmen. Danke für diese Zeiten!<br />
GRÜSSE AUS STRALSUND VON EINER LESERIN<br />
„Toll gemacht!“<br />
Nur Online: Auszeichnung für Projekt zur<br />
Sterbebegleitung von Wohnungslosen<br />
Ich finde es immer wieder erschreckend,<br />
dass diverse Projekte über Dritte<br />
initiiert werden müssen. Die Politik<br />
lehnt sich mehr oder minder zurück und<br />
sagt dann: Toll gemacht! Soziale Projekte<br />
gehören in die Hand der öffentlichen<br />
Verwaltung. Ich muss daher immer wieder<br />
meinen Respekt zollen, wenn sich<br />
Menschen derer annehmen, die schon<br />
nichts mehr besitzen, ihnen aber mit<br />
vollem Respekt begegnen. ENNO HEIDTMANN<br />
Leserbriefe geben die Meinung des Verfassers<br />
wieder, nicht die der Redaktion. Wir behalten<br />
uns vor, Leserbriefe zu kürzen.<br />
Aus der Online-Redaktion<br />
Die meistgelesenen Artikel im März auf<br />
www.hinzundkunzt.de:<br />
1. Brandbrief der Personalräte<br />
Jobcenter-Mitarbeiter beklagen<br />
Überlastung<br />
2. Kampnagel<br />
Zentralrat der Asozialen wurde auf<br />
Kampnagel gegründet<br />
3. Koalitionsverhandlungen<br />
Wenig Neues beim Wohnungsbau<br />
4. Diakonie zu Olympia<br />
Feuer und Flamme für gerechte Spiele<br />
5. Zuwanderung aus Osteuropa<br />
Neue Anlaufstelle für Wanderarbeiter<br />
eröffnet<br />
Hamburger Nebenschauplätze<br />
Der etwas andere<br />
Stadtrundgang<br />
Wollen Sie Hamburgs City einmal mit anderen Augen sehen? Abseits der teuren Fassaden<br />
zeigt Hinz&<strong>Kunzt</strong> Orte, die in keinem Reiseführer stehen: Bahnhofs mission statt Rathausmarkt,<br />
Drogenberatungsstelle statt Alsterpavillon, Tages aufent halts stätte statt Einkaufspassage.<br />
Anmeldung: info@hinzundkunzt.de oder Telefon: 040/32 10 83 11<br />
Kostenbeitrag: 10/5 Euro, nächste Termine: 5.4. + 19.4.<strong>2015</strong>, 15 Uhr<br />
Wir trauern um<br />
Rainer Knauff<br />
* unbekannt – 29. Januar <strong>2015</strong><br />
Rainer starb nach längerer Krankheit<br />
im Hospiz.<br />
Die Verkäufer und das Team von<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
Wir trauern um<br />
Michael Janiak<br />
4. Februar 1959 – 16. Februar <strong>2015</strong><br />
Michael hat bis zuletzt für uns verkauft.<br />
Er starb an seiner Drogenkrankheit.<br />
Die Verkäufer und das Team von<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
Wir trauern um<br />
Rainer Jung<br />
23. Februar 1965 – 20. Februar <strong>2015</strong><br />
Rainer starb kurz vor seinem 50. Geburtstag.<br />
Er hinterlässt seine Frau und einen Sohn.<br />
Die Verkäufer und das Team von<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Hoffnung und High Heels: Mode-Ikone Jorge González’<br />
langer Weg von Kuba auf den Laufsteg (S. 42).<br />
Prinzen, Knackis und Zocker: Schräge Helden auf der<br />
12. Hamburger Dokumentarfi lmwoche (S. 46).<br />
Schnüffl er in der Provinz: Literaturpreis für den ersten<br />
Hartz-IV-Detektiv Deutschlands (S. 52).<br />
Weil das Bild „Immer des Nachts“ von<br />
DIRK MEINZER so schön leuchtet, ist es bei<br />
der Ausstellung „150 Watt“ zu sehen (S. 48).
Kuba, Tschechien<br />
und heute Deutschland:<br />
Jorge González<br />
hat einen langen,<br />
manchmal mühsamen<br />
WEG hinter sich.<br />
Er vertraute dabei<br />
immer seinem Glück.
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
„Ich bin okay so“<br />
Jorge González kennt man als quirligen Laufstegtrainer von Heidi Klums<br />
„Germany‘s Next Topmodel“-Show; als Mode- und Celebrity-Ikone. Doch er hat auch einen<br />
akademischen Abschluss als Nuklearökologe. Dass er den hat, hat seinen tieferen Sinn.<br />
TEXT: FRANK KEIL<br />
FOTOS: DANIEL CRAMER<br />
Jorge González hat „Rücken“.<br />
Nicht doll, nicht schlimm –<br />
nur ein bisschen. „Alles gut,<br />
kein Problem“, sagt er, als er<br />
sich ein wenig vorsichtig auf<br />
dem flachen Sofa niederlässt.<br />
Dann atmet er einmal tief ein, atmet<br />
wieder aus und schlägt seine langen Beine<br />
gekonnt übereinander. Und sofort ist<br />
da statt einems leichten Anflugs von<br />
möglicherweise Schmerz wieder dieses<br />
Lachen. Kein Lächeln – sondern ein offensives<br />
Lachen. Ansteckend, wohltuend,<br />
herzlich und absolut überzeugend.<br />
Er hat auch allen Grund dazu. Denn es<br />
geht ihm gut, rundweg gut. So gern lebt<br />
der gebürtige Kubaner nach Stationen<br />
in Offenbach und Frankfurt in Hamburg,<br />
so gern arbeitet er für seine „Chicas<br />
Walk Academy“, gibt dort Workshops<br />
und Kurse – und nun tut sich<br />
auch Gutes in Kuba. Denn Kuba und<br />
die USA reden wieder miteinander –<br />
und vielleicht könnte eines Tages die<br />
drückende Wirtschaftsblockade aufgehoben<br />
werden.<br />
„Seit mehr als 50 Jahren lebt Kuba<br />
unter der Blockade. Viele Menschen haben<br />
das Land verlassen, viele Familien<br />
sind daran kaputtgegangen. Aber nun<br />
müssen die Menschen, die ihre Zukunft<br />
selbst gestalten wollen, nicht mehr mit<br />
dem Gedanken leben, das Land verlassen<br />
zu müssen“, sagt er. „Die Stimmung<br />
in meiner Familie? Grandios!“<br />
Um zu verstehen, warum sich Jorge<br />
González so über die ersten Schritte einer<br />
möglichen politischen Annäherung<br />
freut und warum er so viel Hoffnung<br />
hat, muss man ein wenig über seinen<br />
Lebensweg wissen. Der im August 1967<br />
in Kuba begann. In einer kleinen Stadt<br />
43<br />
namens Jatibonico, in der Mitte Kubas.<br />
Er wächst in einer landesüblich trubeligen<br />
Familie auf. Sein Vater Lkw-Fahrer<br />
für die örtliche Zuckerfabrik, seine Mutter<br />
Floristin. Als Geschwister eine ältere<br />
Schwester, ein jüngerer Bruder. Mit im<br />
Haus lebt auch seine Großmutter. Die<br />
sehr wichtig für ihn werden wird.<br />
Denn der kleine Jorge merkt früh,<br />
dass bei ihm etwas anders ist. Er findet<br />
Mädchen schön und toll und zieht sich<br />
gern an wie sie. Aber so richtig interessiert<br />
er sich – für Jungen. Und er merkt<br />
in den kommenden Jahren, dass er damit<br />
aus dem Rahmen fällt. Hört, wie die<br />
Erwachsenen auf der Straße davon reden,<br />
dass sie lieber einen Kriminellen<br />
zum Sohn haben möchten als einen<br />
Schwulen. Dass ein Schwuler Schande<br />
über seine Familie bringe. „Und gleichzeitig<br />
wusste ich: Ich bin okay, ich bin
Offen wie wenige andere Prominente<br />
bekennt sich Jorge González zu seiner<br />
HOMOSEXUALITÄT. Als er noch in<br />
Kuba lebte, war das undenkbar.<br />
kein kranker Mensch oder so.“ Kurz<br />
bricht der Konflikt offen aus, als Jorge in<br />
einer Ballettkompagnie mittanzen will.<br />
Nichts da! Sein Vater erlaubt es ihm<br />
nicht. Er schickt ihn stattdessen zum<br />
Baseball, zum Boxen.<br />
Eines Tages, als er aus der Schule<br />
kommt, steht seine Oma vor ihm. In<br />
den Händen hält sie sein Heft, das er so<br />
sorgsam versteckt hat. In das hat er Bilder<br />
aus Illustrierten eingeklebt – von<br />
Männern. Doch sie sagt zu ihm: „Du<br />
bist gut, so wie du bist.“ Und gibt ihm<br />
einen Kuss. „Wir haben nie darüber gesprochen;<br />
sie hat mich unterstützt, da<br />
brauchst du keine Worte, und ich habe<br />
angefangen zu verstehen, was Toleranz<br />
und Respekt sind“, sagt er.<br />
Von nun an hat Jorge einen Plan: Er<br />
möchte so leben, wie er will. Und da das<br />
offenbar in Kuba nicht geht, beschließt<br />
er, das Land zu verlassen. Da er weiß,<br />
dass das so einfach nicht geht, muss er<br />
einen Weg finden: ein Studium im Ausland,<br />
später. Dafür muss er der Beste<br />
werden. Der absolut Beste.<br />
Und er wird der beste Schüler seiner<br />
Klasse; der beste Schüler des Internats,<br />
auf das er folgerichtig geht. Was ihm einen<br />
Studienplatz im Ausland bescheren<br />
wird. Er bewirbt sich für das Studium<br />
Zwei Jahre lang<br />
war er staatenlos.<br />
Dann ging er<br />
nach Hamburg.<br />
der Nuklearökologie. Ihn interessieren<br />
Fächer wie Mathematik, Physik und<br />
Chemie, aber auch Biologie und Ökologie<br />
– er besteht alle Prüfungen. 17 Jahre<br />
ist er alt, als er Kuba verlässt. Im Spätsommer<br />
des Jahres 1985. „Ich saß das<br />
erste Mal in meinem Leben im Flugzeug<br />
und es war, als hätte ich den<br />
Hauptpreis in der Lotterie gewonnen.“<br />
44<br />
Es geht in die damalige Tschechoslowakische<br />
Sozialistische Volksrepublik<br />
(CSSR), die als ein vergleichsweise liberales<br />
Ostblockland gilt. Sein Traum ist<br />
es, nach Prag zu kommen. „Meine Tante<br />
hat immer wieder von Prag und von<br />
diesem Franz Kafka gesprochen; so oft,<br />
dass ich schon dachte, dieser Kafka ist<br />
ein Onkel von mir.“<br />
Es wird Bratislava, nahe der österreichischen<br />
Grenze. Und während Jorge<br />
González neben dem Studium in Bratislava<br />
und dann in Prag anfängt zu modeln<br />
und er bald als Choreograf für<br />
Modeshows und Fotoshootings jobbt,<br />
beginnt sich die Welt erst langsam, dann<br />
rasant zu wandeln: Nach dem Fall der<br />
Mauer bricht auch in der CSSR das Regime<br />
mehr und mehr zusammen.<br />
Schon lange besucht Jorge nicht mehr<br />
die studentischen Abende der kubanischen<br />
Botschaft, auf denen man die Reden<br />
des Staatschefs Fidel Castro bespricht.<br />
Was den Botschaftsmitarbeitern<br />
keinesfalls gefällt. Und er wird in der<br />
Uni zu einer Art Tribunal geladen; soll
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
sich über Stunden für sein Verhalten<br />
rechtfertigen – soll schnellstens sein Diplom<br />
machen und dann unverzüglich<br />
zurück nach Kuba fliegen. Seinen Reisepass<br />
hatte die Botschaft schon damals<br />
nach seiner Einreise einbehalten.<br />
Aber er hat vorgesorgt. Draußen<br />
vor dem Saal sollen seine Freunde auf<br />
ihn warten. Aber werden sie dort wirklich<br />
stehen? Als er erschöpft vor die Tür<br />
tritt, sind da gefühlt mehr als 100 Leute,<br />
die ihn sofort umringen, die ihn mitnehmen,<br />
die so dafür sorgen, dass er für die<br />
nächsten Monate untertauchen kann.<br />
Damit ihn die aus der Botschaft nicht<br />
wegfangen. Jorge González hält kurz inne,<br />
er schaut auf die Härchen auf seinen<br />
Unterarmen: „Wenn ich jetzt davon<br />
spreche, meine Haare gehen so hoch.“<br />
Er sagt: „Davon zu erzählen ist leicht<br />
und schön. Das zu erleben ist schwer.“<br />
Er erhält in der neuen Republik<br />
Tschechien zunächst Asyl. Ist zwei Jahre<br />
lang staatenlos, während er an seiner<br />
Karriere arbeitet. Dann stellt ihm die<br />
neue Regierung endlich einen Reisepass<br />
aus. Und er kann gehen, wohin er gehen<br />
will – nach Deutschland. Denn dort, davon<br />
ist er überzeugt, ist das Leben tolerant.<br />
Dort gibt es Pünktlichkeit und<br />
Fleiß, und auch Ehrgeiz wird geschätzt.<br />
„Ich weiß, das ist auch ein Klischee,<br />
aber es ist auch wahr“, sagt er.<br />
Und er hat einen Vergleich parat:<br />
„Wenn in Kuba in deinem Haus ein<br />
Wasserrohr platzt, dann versammeln<br />
sich viele Leute und beratschlagen stundenlang,<br />
was man machen könnte, wen<br />
man vielleicht holen könnte und warum<br />
das wohl passiert ist – und währenddessen<br />
läuft das ganze Haus voll Wasser. In<br />
Deutschland gibt es eine Telefonnummer,<br />
da ruft man an, jemand kommt<br />
und repariert das Rohr.“<br />
Heute genießt er beides: die Ordnung<br />
in Deutschland und im Urlaub das<br />
Chaos auf Kuba. Wie desolat die Situation<br />
dort ist, erfährt er, als seine Mutter<br />
im Jahr 2005 schwer an Krebs erkrankt.<br />
Die Ärzte geben ihr nur drei Monate.<br />
Zum Glück werden es drei Jahre. Während<br />
dieser Zeit pendelt er ständig zwischen<br />
Kuba und Deutschland. „Das war<br />
für mich ein echter Luxus: dass ich mir<br />
das leisten konnte, so meine Mutter zu<br />
pflegen. Nicht teure High Heels oder<br />
exklusive Klamotten.“ Er sagt: „Es war<br />
eine schwierige Zeit, und es war eine<br />
schöne Zeit. Glück und Traurigkeit, beides<br />
war da. Ich war sehr glücklich, und<br />
ich war sehr sauer.“ Sauer und empört,<br />
weil die medizinische Versorgung für<br />
die normalen Menschen sehr ungenügend<br />
sei und seine Mutter die notwendigen<br />
Medikamente nur erhielt, weil er sie<br />
aus Deutschland mitbringen konnte.<br />
Und sein Vater? Dem gehe es gut.<br />
93 Jahre alt ist er jetzt. Er sei ein gut gelaunter<br />
Casanova, ein liebenswerter<br />
Macho wie eh und je: „Seit dem Tod<br />
Als seine MUTTER<br />
an Krebs erkrankte,<br />
flog er so oft es ging<br />
von Hamburg nach<br />
Havanna, um sie zu<br />
pflegen. Dass das<br />
möglich war, war für ihn<br />
wahrer Luxus.<br />
45<br />
meiner Mutter sind wir beide Kumpel.<br />
Wir gehen in eine Bar, spielen Domino,<br />
trinken dazu Bier und gucken beide den<br />
Chicas auf den Popo und kommentieren<br />
das – sehr lustig.“ Er sagt: „Ich verstehe<br />
heute, dass mein Vater damals versucht<br />
hat, mich mit Boxen und Baseball<br />
auf einen anderen Weg zu lenken. Umgekehrt<br />
hat er neulich zu mir gesagt:<br />
„Vielleicht war das gut so, dass du damals<br />
nicht Tänzer geworden bist. Wer<br />
weiß, ob du jetzt dein Leben so führen<br />
würdest, wie du es führst“. Und ich denke<br />
heute: Wenn etwas Schlechtes passiert<br />
ist, wird als Nächstes etwas Gutes<br />
passieren.“ •<br />
Jorge González: „Hola Chicas! Auf dem<br />
Laufsteg meines Lebens“, Heyne Verlag,<br />
München; 304 Seiten, 9, 99 Euro.
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>266</strong>/ APRIL <strong>2015</strong><br />
Ein Mann wird nach 21 Jahren Haft entlassen (oben) – ein Schauspieler ringt mit dem<br />
Krebs (links) – einen Jungen verschlägt es von Kabul nach Hamburg (Mitte) –<br />
am Spieltisch geht es um alles oder nichts: filmische EINBLICKE in ganz eigene Welten.<br />
Mal schmerzhaft, mal humorvoll –<br />
und immer kompromisslos<br />
In den vergangenen Jahren hat der ambitionierte Dokumentarfilm eine Art Renaissance<br />
erfahren und kann sich mittlerweile auf eine wachsende Fangemeinde verlassen. Absoluter<br />
Höhepunkt des Jahres: die Hamburger Dokumentarfilmwoche. Wir empfehlen vier Filme.<br />
TEXT: FRANK KEIL; FOTOS: FILMSTILS<br />
„HIMMELVERBOT“<br />
von Andrei Schwartz: Samstag,<br />
11. <strong>April</strong>, 16 Uhr, Metropolis<br />
Das Urteil: lebenslänglich! Für den<br />
Mord an einer Staatsanwältin, die den<br />
Kleinkriminellen Gavriel Hrieb wegen<br />
einer Lappalie für Jahre in den Knast<br />
brachte. Mord aus Rache sozusagen.<br />
Schlimm, keinesfalls zu entschuldigen,<br />
aber zu erklären – so sieht es Gavriel, der<br />
ohne zu murren seine Strafe im Bukarester<br />
Gefängnis absitzt. Froh, dass kurz vor<br />
seiner Verurteilung in Rumänien die Todesstrafe<br />
abgeschafft wurde. Und der in<br />
der Gemeinschaft der Häftlinge einen<br />
akzeptierten Status hat: Er hat es denen<br />
auf der anderen Seite des Gitters wenigstens<br />
einmal gezeigt! Doch dann wird er<br />
46<br />
nach 21 Jahren Haft begnadigt. Und wir<br />
verfolgen, wie ein zunehmend hilfloser<br />
Mann versucht, im tristen Alltag seines<br />
Landes wieder Fuß zu fassen. Das aber<br />
ist nur das eine Thema dieses Filmes.<br />
Denn der Hamburger Filmemacher Andrei<br />
Schwartz will wissen: Was ist damals<br />
wirklich geschehen? Und so ist „Himmelverbot“<br />
ein wunderbares Beispiel da-
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
für, dass der Dokumentarfilmer bei aller<br />
Sympathie und allem Verständnis für<br />
seine Protagonisten unbestechlich bleiben<br />
muss, will er der Wahrheit am Ende<br />
auf die Spur kommen.<br />
„DER PRINZ“<br />
von Mahmoud Behraznia:<br />
Samstag, 11. <strong>April</strong>, 20.30 Uhr,<br />
Lichtmess<br />
Hat man es geschafft, wenn man die<br />
Hauptrolle in einem Spielfilm bekommen<br />
hat? In einem Film, der zudem auf<br />
dem Festival in Cannes ausgezeichnet<br />
wird und der auch sonst allerhand Preise<br />
erhält? Mitnichten! Das muss der 16-jährige<br />
Jalil Nazari erfahren: jugendlicher<br />
Flüchtling aus Afghanistan, der im<br />
Nachbarland Iran Held eines Spielfilms<br />
wird. Als er nach Hamburg zum „Filmfest<br />
Hamburg“ kommt, um seinen Film<br />
vorzustellen, fällt hinter ihm die Tür zu:<br />
Er darf nicht zurück in den Iran. Um<br />
nicht ins kriegsgeschüttelte Afghanistan<br />
abgeschoben zu werden, beantragt er in<br />
Deutschland Asyl. Und landet in einem<br />
Containerdorf in Sachsen. Mitten im<br />
Wald! Wo nichts ist. Kein Geschäft, kein<br />
Café, erst recht kein Kino. Dabei ist er<br />
doch ein Star! Was in Deutschland kaum<br />
jemanden interessiert. Und Jalil muss<br />
noch einmal ganz von vorne anfangen,<br />
muss seinen eigenen Lebensweg finden –<br />
der ihn in eine Pizzeria in Hamburg-<br />
Ottensen führen wird.<br />
„SPIELER“<br />
von Katharina Copony: Samstag,<br />
11.<strong>April</strong>, 22.30 Uhr, 3001 Kino<br />
Dokumentationen über Spielsucht und<br />
über spielsüchtige Menschen fallen oft<br />
selbst auf die Dramaturgie des Glücksspiels<br />
herein. Wir Zuschauer finden uns<br />
dann an einem Spieltisch wieder und<br />
fiebern trotz aller kritischer Voreinstellung<br />
mit denen mit, die da verstohlen in<br />
ihre Karten schauen; die versuchen, das<br />
Pokerface ihrer Gegenspieler zu entschlüsseln.<br />
Wie gut, dass die österreichische<br />
Filmemacherin Katharina Copony<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
47<br />
genau diesen Fehler nicht begeht. Sie<br />
folgt kühl und distanziert ihrem Protagonisten<br />
Rustem Sapanow: einem jungen<br />
russland-deutschen Zuwanderer,<br />
der in Berlin lebt, ein berufsmäßiger Pokerspieler,<br />
online und live. Es ist ein Ausflug<br />
in eine gespenstische Welt, in fensterlose<br />
Räume, in denen man nur das<br />
Notwendigste spricht; wo die Spielenden<br />
mit aller Macht versuchen, ihrem<br />
stundenlangen Spielen den Charakter<br />
kontrollierter Normalität zu verleihen.<br />
Wenn Rustem eines Tages mit dem professionellen<br />
Spielen aufhören wird, will<br />
er übrigens Betriebswirtschaft studieren<br />
– und in die Wirtschaft gehen.<br />
„NOCH HIER SCHON DA“<br />
von Roswitha Ziegler: Sonntag,<br />
12. <strong>April</strong>, 16 Uhr, Metropolis<br />
Ist so ein Tumor nicht furchtbar dumm?<br />
Lässt den Körper, in dem er wächst,<br />
sterben – und stirbt dabei selbst! „Aber<br />
mit so einem Tumor kann man ja nicht<br />
reden“, sagt der Schauspieler und Theatermacher<br />
Jochen Fölster, nachdem er<br />
seine Krebsdiagnose erhalten hat und<br />
nun überlegt, wie er mit seinem Lebensende<br />
umgehen soll. Auf diesem Weg begleitet<br />
ihn seine Frau, die Filmemacherin<br />
Roswitha Ziegler. Die ihre Kamera<br />
laufen lässt. An schlechten Tagen, an<br />
guten Tagen, an ganz schlechten Tagen.<br />
Wo ihr Mann es kaum noch aus dem<br />
Bett schafft, wo es ihm doch noch gelingt,<br />
mit dem Rollator an den Rand des<br />
wendländischen Dorfes zu gehen, in<br />
dem sie beide leben und wo er nun rauchend<br />
dabei zuschaut, wie das Getreide<br />
gemäht wird: Das Leben geht weiter,<br />
aber nicht für ihn. „Noch hier schon da“<br />
ist ein Dokument von bestürzender Ehrlichkeit.<br />
Schmerzhaft und humorvoll,<br />
auch teilnehmend und doch dabei frei<br />
von anbiederndem Trost – so wie ein<br />
guter Dokumentarfilm sein soll. •<br />
Dokumentarfilmwoche Hamburg:<br />
8.4.–12.4., Eintritt: 7,50/5,50 Euro;<br />
6er-Festivalkarte: 35 Euro. Weitere<br />
Informationen: www.dokfilmwoche.com<br />
KARSTEN<br />
JAHNKE<br />
<br />
DIREKTION<br />
GMBH<br />
<br />
ESKIMO<br />
CALLBOY<br />
Docks<br />
<br />
CHINESE MAN<br />
support:<br />
MOONLIGHT BREAKFAST<br />
Uebel & Gefährlich<br />
<br />
SHARON<br />
ROBINSON<br />
Kulturkirche Altona<br />
<br />
KWABS<br />
Mojo Club<br />
<br />
<br />
NILS WÜLKER<br />
BAND<br />
Mojo Club<br />
<br />
RAE MORRIS<br />
Indra<br />
<br />
GET WELL SOON<br />
a special night with...<br />
Gruenspan<br />
<br />
EWERT AND THE<br />
TWO DRAGONS<br />
Mojo Club<br />
<br />
PURITY RING<br />
support: BORN GOLD<br />
Gruenspan<br />
<br />
SILJE<br />
NERGAARD<br />
Laeiszhalle - kleiner Saal<br />
<br />
MARCUS MILLER<br />
<br />
Fabrik<br />
<br />
PVRIS<br />
The Rock Café<br />
<br />
CODY SIMPSON<br />
support: Jackson Harris<br />
Gruenspan<br />
<br />
TOM KLOSE<br />
<br />
/ Knust<br />
<br />
GHOSTPOET<br />
Mojo Club<br />
<br />
RANDY<br />
CRAWFORD<br />
QUARTET<br />
Laeiszhalle<br />
<br />
LAURA MARLING<br />
<br />
Knust<br />
<br />
KOVACS<br />
Gruenspan<br />
<br />
MIKE <br />
THE MECHANICS<br />
<br />
Große Freiheit 36<br />
<br />
TYLER,<br />
THE CREATOR<br />
Mojo Club<br />
<br />
SCALA<br />
KOLACNY<br />
BROTHERS<br />
<br />
Kampnagel / K6<br />
<br />
OLLY MURS<br />
<br />
/ o2 World<br />
<br />
HOWLING<br />
Uebel & Gefährlich<br />
<br />
LESLIE CLIO<br />
Mojo Club<br />
<br />
MEGHAN<br />
TRAINOR<br />
Große Freiheit 36<br />
<br />
STICKY FINGERS<br />
Knust<br />
<br />
JOHANNES<br />
OERDING<br />
<br />
Sporthalle<br />
<br />
FAITH NO MORE<br />
Sporthalle<br />
<br />
ROXETTE<br />
<br />
<br />
o2 World<br />
<br />
WESTERNHAGEN<br />
<br />
o2 World<br />
<br />
SIDO<br />
Sporthalle<br />
TICKETS: KJ.DE<br />
<br />
Karten inklusive Hin- und<br />
Rückfahrt mit dem<br />
KJ.DE
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>266</strong>/ APRIL <strong>2015</strong><br />
Tipps ( 1)<br />
1. bis 15. <strong>April</strong> <strong>2015</strong><br />
AUSSTELLUNG<br />
Erleuchtet<br />
Das „Internationale Jahr des Lichts“,<br />
für dieses Jahr von der UNESCO<br />
ausgerufen, diente 13 Künstlern als<br />
Inspiration. Ihre Assoziationen zu<br />
Beleuchtung und Elektrizität sind in<br />
der Ausstellung „150 Watt“ im Künstlerhaus<br />
Sootbörn zu sehen. Mit Fotos,<br />
Zeichnungen, Gemälden, Lichtinstallationen<br />
und Videos experimentieren<br />
die Hamburger gekonnt mit Licht und<br />
Schatten. Ergebnisse sind auch im<br />
Außenbereich und im Garten zu entdecken.<br />
Kuratiert hat die Ausstellung die<br />
Malerin Silke Silkeborg. Die sich mit<br />
Licht und Dunkelheit auskennt, malt<br />
sie doch gerne des Nachts draußen. •<br />
Künstlerhaus Sootbörn, Sootbörn 22, bis<br />
12.4., Sa+So, 16–19 Uhr, Eintritt frei<br />
VORTRAG<br />
Digital<br />
Wie wir einkaufen, wie wir leben und<br />
lernen, wird immer mehr von der Digitalisierung<br />
bestimmt. Deshalb sollten<br />
schon Grundschulkinder das Programmieren<br />
und den kreativen Umgang mit<br />
digitalen Medien lernen, findet Gesche<br />
Joost, Designforscherin und Internetbeauftragte<br />
der Bundesregierung. Wesentlich<br />
kritischer sieht Christoph Kucklick<br />
die gesellschaftlichen Folgen. Der Soziologe<br />
hat sich in seinem jüngst veröffentlichten<br />
Buch „Die granulare Gesellschaft:<br />
Wie das Digitale unsere<br />
Wirklichkeit auflöst.“ kritisch mit der<br />
permanenten Vernetzung und dem Datensammelwahn<br />
auseinandergesetzt.<br />
Die beiden Wissenschaftler diskutieren<br />
über die Konsequenzen der Digitalisierung<br />
für unsere Arbeitswelt. •<br />
KörberForum, Kehrwieder 12, „Pointing<br />
Science: Digitale Wirtschaft“, Di, 14.4.,<br />
19 Uhr, Eintritt frei, Anmeldung erforderlich<br />
unter www.koerberforum.de<br />
AUSSTELLUNG<br />
Vergänglich<br />
Jim Avignon ist ein echter Anti-Künstler.<br />
Der in Berlin lebende Maler will<br />
keine Reichtümer anhäufen, sondern<br />
seine Werke erschwinglich halten.<br />
Deshalb produziert er viel und schnell.<br />
Manchmal zerstört er Bilder auch, weil<br />
er das Flüchtige schätzt. „In diesen<br />
Zeiten, in denen quasi jeder im Internet<br />
zur Unsterblichkeit verdammt ist, ist ein<br />
bisschen Vergänglichkeit doch durchaus<br />
wieder erstrebenswert“, hat Avignon<br />
dazu in einem Interview gesagt. Einige<br />
seiner frisch produzierten knallbunten<br />
Pop-Art-Bilder sind jetzt in Hamburg<br />
zu sehen. „Famous For 15 Seconds“<br />
lautet das Motto in Anlehnung an Andy<br />
Warhol. Der hatte sich mit Flüchtigkeit<br />
und medialem Ruhm schon vor fast 50<br />
Jahren auseinandergesetzt. Damals ging<br />
es allerdings noch um Minuten. •<br />
Feinkunst Krüger, Kohlhöfen 8, 12.4.–2.5.,<br />
Do+Fr, 12–19 Uhr, Sa, 12–18 Uhr,<br />
Eintritt frei<br />
VORTRAG<br />
Kritisch<br />
Karen Duve wird mit jedem Buch<br />
wütender. Die Schriftstellerin, die mit<br />
ihren fiktionalen Werken „Regenroman“<br />
und „Taxi“ sehr erfolgreich war,<br />
ist in den vergangenen Jahren zur Sachbuchautorin<br />
und Aktivistin geworden.<br />
2011 veröffentlichte Duve ihr Buch<br />
„Anständig essen“. Darin rechnet sie<br />
mit der Massentierhaltung und der<br />
Gleichgültigkeit der Konsumenten ab.<br />
Auch in ihrem neuen Buch liest sie der<br />
Menschheit wieder in recht forschem<br />
Ton die Leviten. Schon der Titel ist<br />
wenig zimperlich: „Warum die Sache<br />
schiefgeht: Wie Egoisten, Hohlköpfe<br />
und Psychopathen uns um die Zukunft<br />
bringen“. In ihrer Kampfschrift geht es<br />
wieder um Tierleid und Agrarindustrie,<br />
aber auch den Klimawandel und den<br />
Turbokapitalismus. NDR-Journalist<br />
Friedel Bott spricht mit Karen Duve<br />
über ihre Bücher, aus denen sie auch<br />
lesen wird. Diskussionsbeiträge des<br />
Publikums sind erwünscht. Außerdem<br />
sind Ausschnitte aus der Verfilmung<br />
des Romans „Taxi“ zu sehen, der im<br />
August in die Kinos kommt. Eine<br />
Hauptrolle spielt Game-of-Thrones-<br />
Star Peter Dinklage. •<br />
Polittbüro, Steindamm 45, „Ein Abend mit<br />
Karen Duve“, Di, 14.4., 20 Uhr, 15/10 Euro<br />
48
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
MUSIK<br />
Anspruchsvoll<br />
KINO<br />
Erfolgreich<br />
BÜHNE<br />
Improvisiert<br />
FOTOS: KIMBERLY HORTON, GUY GILAD; COLLAGEN: GRAFIKDEERNS<br />
Popstar Nneka kam als 18-Jährige<br />
aus Nigeria nach Hamburg und lebte<br />
zunächst in einem Kinderheim. Ihr<br />
Gesangstalent entdeckte sie im<br />
Schul- und Kirchenchor. Inzwischen<br />
ist die 34-Jährige eine weltweit anerkannte<br />
Künstlerin. Jetzt stellt Nneka<br />
ihr aktuelles Album „My Fairy Tales“<br />
live vor. Zu ihren Afrobeat- und Reggae-Songs<br />
lässt es sich gut tanzen, aber<br />
auch nur zuzuhören lohnt sich, denn<br />
die Deutsch-Nigerianerin schreibt anspruchsvolle<br />
Texte über Seelenschmerz,<br />
Politik und Afrika. „Ich reflektiere<br />
innere Gefühlszustände“, so die<br />
Künstlerin. •<br />
Fabrik, Barnerstraße 36, Fr, 10.4., 21 Uhr,<br />
27,10 Euro<br />
FILM<br />
Familiär<br />
Die Eckkneipe „Kurze Ecke“ am<br />
Großneumarkt ist ein beliebter<br />
T reffpunkt. Jeden Tag sitzen dort<br />
Rentner und Arbeiter beisammen,<br />
um zu reden, zu knobeln und Bier zu<br />
trinken. Filmemacher Bernd Schoch<br />
hat dort vor der Bundestagswahl 2013<br />
einen Tag lang gedreht und dabei<br />
nicht nur Alltagsgespräche, sondern<br />
auch Statements zur hohen Politik<br />
eingefangen. •<br />
Lichtmess-Kino, Gaußstraße 25,<br />
Do, 2.4., 20 Uhr, 5/4 Euro<br />
MUSIK<br />
Beobachtet<br />
Den besten Blick auf die Osterfeuer<br />
am Elbufer hat man vom Wasser aus.<br />
Viele Segler und Barkassen patrouillieren<br />
deshalb am Ostersamstag die<br />
Elbe auf und ab. Dank cooler DJs und<br />
ausgefallener Musik sind die Touren<br />
auf der MS Claudia gerade bei<br />
jüngeren Hamburgern ein Renner.<br />
Und günstig sind sie obendrein. •<br />
Bei den St. Pauli Landungsbrücken 10,<br />
Innenkante, „Osterfeuerwatsching“, Sa,<br />
4.4., 18.30 Uhr/20.30 Uhr/22.30 Uhr,<br />
10/4 Euro<br />
Mit dem Fernsehen ist es wie im echten<br />
Leben. Die großen Überraschungen<br />
kommen dann, wenn man sie am<br />
wenigsten erwartet. Die leise Komödie<br />
„Best Exotic Marigold Hotel“ ist so eine<br />
Überraschung, die ich am wenigsten<br />
auf einem der seichten Massensender<br />
erwartet hatte, aber eben genau dort<br />
beim Zappen traf. Eine irgendwie krude,<br />
herrlich melancholische Geschichte<br />
um verpasste Träume, neue Chancen,<br />
den Tod und ein Hotel, dessen Name<br />
nach Grandezza klingt, nach livrierten<br />
Pagen, die unter Kronleuchtern Kofferwagen<br />
aus poliertem Messing schieben.<br />
In Wirklichkeit ist das Hotel eine eher<br />
schäbige Absteige in Jaipur, in Indien,<br />
die von ihrem Geschäftsführer mit viel<br />
Engagement, aber halt wenig liquiden<br />
Mitteln gerade so über Wasser gehalten<br />
wird. Die unterschiedlichen Hotelbewohner,<br />
die oft ihre letzten Ersparnisse<br />
in ein vermeintlich sorgloses Leben im<br />
Grand Hotel investierten, sind deshalb<br />
auch erst einmal schockiert, als sich ihre<br />
Visionen in Nichts auflösen. Um dann<br />
doch dem Charme Indiens zu erliegen.<br />
Die Charaktere – mit Judie Dench,<br />
Celia Imrie und Ronald Pickup mit der<br />
Crème de la Crème des britischen<br />
Kinos besetzt – wandeln sich und<br />
blühen auf. Das ist nicht nur schön<br />
anzuschauen, das geht auch mächtig zu<br />
Herzen. Und war so erfolgreich, dass<br />
nun die Fortsetzung in die Kinos kommt:<br />
„Best Exotic Marigold Hotel 2“.<br />
Die Paare haben sich gefunden, die<br />
Fronten sind geklärt, das Hotel gedeiht<br />
so gut, dass der Manager mit geliehenem<br />
Geld ein zweites Hotel plant.<br />
Dann kommen zwei Neuankömmlinge:<br />
der charmante Guy und die attraktive<br />
Lavinia. Das einzige Problem: Das<br />
Hotel hat nur noch ein Zimmer frei.<br />
140 Millionen Dollar Einspielergebnis<br />
bei zehn Milionen Produktionskosten<br />
sind ja mal eine Ansage. Und weil bei<br />
den Gewinnaussichten nicht nur die<br />
Schauspielergarde aus Teil eins,<br />
sondern mit Richard Gere noch ein<br />
weiterer Silberschopf in das Hotel<br />
zieht, verspricht auch das Sequel ein<br />
voller Erfolg zu werden. ASCHMI<br />
•<br />
Neu im Kino ab Do, 2.4.<br />
Die Fans der WDR-Sendung „Zimmer<br />
frei!“ lieben Martin Reinl: Als Puppenspieler<br />
verwickelt er mit seiner Straßenköter-Puppe<br />
„Wiwaldi“ die Gäste<br />
immer in absurde Gespräche. Jetzt<br />
kommen die Hamburger in den<br />
Genuss, den Kölner live zu erleben. Gemeinsam<br />
mit seinem Kollegen Carsten<br />
Haffke ist er auf St. Pauli mit „Pfoten<br />
hoch!“ zu Gast. Bei der anarchischen<br />
Impro-Show entwickeln die beiden<br />
Puppenspieler ihre Szenen live vor Ort.<br />
Dabei kommen nicht nur Wiwaldi, sondern<br />
auch viele andere selbst entworfene<br />
Figuren zum Einsatz. •<br />
Schmidt Theater, Spielbudenplatz 24–28,<br />
Mo, 13.4., 20 Uhr, 25,30/16,50 Euro<br />
LESUNG<br />
Freundschaftlich<br />
„Wie ist unsere Familie nach Israel gekommen?“<br />
Als ihre Tochter sie das fragte,<br />
wusste Lizzie Doron keine Antwort –<br />
und schrieb das Buch „Warum bist du<br />
nicht vor dem Krieg gekommen?“. Damit<br />
wurde sie in Israel zur wichtigsten<br />
literarischen Stimme der „zweiten<br />
Generation“, also der Kinder von<br />
Überlebenden der Shoa. Jetzt stellt die<br />
Israelin in Hamburg ihr aktuelles Werk<br />
vor: „Who the Fuck Is Kafka“. Ihr<br />
fesselnder autobiografischer Bericht<br />
schildert die Freundschaft mit dem<br />
palästinensischen Filmemacher Nadim.<br />
Lizzie Doron beschreibt darin die tief<br />
sitzenden Feindbilder und die ganz<br />
alltäglichen Hindernisse, die dieser<br />
Freundschaft im Wege stehen. •<br />
Literaturhaus, Schwanenwik 38,<br />
Do, 9.4., 19.30 Uhr, 12/7 Euro<br />
49
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Tipps (2)<br />
16. bis 30. <strong>April</strong> <strong>2015</strong><br />
HINZ&KUNZT N°<strong>266</strong>/ APRIL <strong>2015</strong><br />
LESUNG<br />
Engagiert<br />
Seit mehr als 100 Jahren dient das<br />
Ledigenheim Rehhoffstraße als<br />
Unterkunft für alleinstehende Männer.<br />
Seeleute, Hafenarbeiter und Monteure<br />
freuen sich hier über bezahlbare<br />
Zimmer, die gemütlichen Gemeinschaftsräume<br />
und den Zusammenhalt.<br />
Doch jahrelang sind notwenige Instandhaltungsmaßnahmen<br />
am Gebäude<br />
ausgeblieben. 2009 wurde es schließlich<br />
an einen Investor verkauft, der kein<br />
Interesse daran hat, das Haus als Männerwohnheim<br />
weiterzuführen, sondern<br />
es gewinnbringend nutzen möchte.<br />
Engagierte Nachbarn setzen sich dagegen<br />
für den Erhalt des Wohnheims ein.<br />
Auch Krimiautor Gunter Gerlach<br />
unterstützt das Ledigenheim: Für seine<br />
„Lesung mit Hund“ verzichtet er auf<br />
Honorar. Begleitet von der vierbeinigen<br />
Nofretete liest der Autor aus seinen<br />
vier Hamburg-Krimis um den<br />
skurrilen Ermittler Lutz Brahms. •<br />
Ledigenheim Rehhoffstraße, Rehhoffstraße<br />
1–3, Mo, 20.4., 19 Uhr, Eintritt frei, um<br />
Spenden wird gebeten<br />
TAUSCHBÖRSE<br />
Getauscht<br />
Nur unpassende Klamotten im<br />
Schrank, aber die Geldbörse ist leer?<br />
Kein Problem: Wer ungeliebte<br />
Kleidungsstücke oder Fehlkäufe loswerden<br />
möchte, kann sie jetzt gegen Lieblingsteile<br />
eintauschen. Auf der „zeitAlter-Tauschbörse<br />
für Kleidung und<br />
Accessoires“ darf jeder anprobieren<br />
und mitnehmen, was ihm gefällt. Bitte<br />
nur gut erhaltene und saubere<br />
Sachen mitbringen! •<br />
Hamburger Volkshochschule, Schanzenstraße<br />
75–77, Do, 23.4., 15–18 Uhr,<br />
3 Euro, Anmeldung wird erbeten unter<br />
zeitAlter@werkstatt3.de<br />
BÜHNE<br />
Aufgeklärt<br />
Ein spannendes Theater- und Musikprojekt<br />
ist beim 7. Elbinsel-Gypsy-Festival<br />
zu erleben. „Im Herzen von Hamburg“<br />
erzählt die wechselvolle<br />
Geschichte der Sinti in Wilhelmsburg.<br />
Täterbiografien aus der Nazizeit werden<br />
genauso lebendig vermittelt wie<br />
Schicksale aus der Gegenwart. Mit ihrer<br />
Mischung aus Sinti-Märchen, Filmszenen<br />
und der Livemusik des Saxofonisten<br />
Kako Weiss möchte Regisseurin<br />
Christiane Richers aufklären und berühren.<br />
„Unsere Arbeit wirft Schlaglichter<br />
in ein viel zu großes Dunkel aus<br />
Unwissen und Ignoranz.“ •<br />
Bürgerhaus Wilhelmsburg, Mengestraße<br />
20, Fr, 17.4., 11 Uhr, Sa, 18.4., 18 Uhr, 20<br />
Uhr, 18/15 Euro, alle Veranstaltungen<br />
unter www.buewi.de<br />
MUSIK<br />
Alpenländisch<br />
Hackbrett, Wippakkordeon und Jodelgesang<br />
mischen drei Tage lang die Reeperbahn<br />
auf. Insgesamt zwölf Gruppen<br />
aus Süddeutschland, Österreich und<br />
der Schweiz treten auf dem „Elbphilharmonie<br />
Alpenmusik-Festival“ in<br />
Hamburg auf. Den Auftakt machen<br />
die vier österreichischen Spitzenmusiker<br />
von „Faltenradio“. Die jungen Klarinettisten<br />
führen moderierend durch ihr<br />
virtuoses Programm aus Jazz, Klezmer<br />
und Klassik. Weiter geht es mit „Kofel<br />
Gschroa“ aus Oberammergau und<br />
einer Mischung aus Mundart und Pop.<br />
Die dritten im Bunde sind der Ober t o-<br />
nvirtuose Christian Zehnder und<br />
Barbara Schirmer am Hackbrett.<br />
Ganz großes Kino: Der Engel-Chörli<br />
Appenzell lädt zum Jodelworkshop ein.<br />
Holleri-di-dudl-jö! •<br />
Mojo Club, Reeperbahn 1, Mi, 22.4., 20 Uhr,<br />
35/17,50 Euro, weitere Termine bis 25.4.<br />
unter www.mojo.de<br />
50
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
AUSSTELLUNG<br />
Gesammelt<br />
BÜHNE<br />
Beklemmend<br />
MUSIK<br />
Charismatisch<br />
FOTOS: PRIVAT, LESEN GEGEN ATOMSTROM; COLLAGE: GRAFIKDEERNS<br />
Zwei neue Museen präsentieren sich<br />
erstmals bei der „Langen Nacht der<br />
Museen“. Dass im Komponisten-<br />
Quartier gerade eröffnete Johann<br />
Adolf-Hasse-Museum lädt die Besucher<br />
mit Film- und Tonbeispielen in<br />
die Welt der Oper im 18. Jahrhundert<br />
ein. Außerdem wird dort Musik des<br />
gebürtigen Bergedorfers auch live<br />
gespielt. Am gleichen Ort befindet sich<br />
auch das Carl-Philipp-Emanuel-Bach<br />
Museum. In einem nachgebauten<br />
Wohnzimmer von damals kann man in<br />
die Lebens- und Arbeitsbedingungen<br />
des Künstlers eintauchen. Wie lebte es<br />
sich bei Familie Bach auf dem Sofa?<br />
Was tat ein Teenager damals? Historikerin<br />
Birgit Kiupel stellt dazu den Alltag<br />
im 18. Jahrhundert vor. Insgesamt<br />
locken 57 Museen mit rund 700<br />
Veranstaltungen. Das Angebot ist groß<br />
wie nie. Um die Besucher in möglichst<br />
viele Museen zu locken, hat der<br />
Museumsdienst als Marketing-Aktion<br />
den Sammelpass geschaffen. Wer zehn<br />
Häuser besucht und überall fleißig<br />
Stempel sammelt, nimmt an einer<br />
Verlosung teil. Zu gewinnen gibt es<br />
Freikarten für Museen. •<br />
Lange Nacht der Museen, Sa, 18.4.,<br />
Komponisten-Quartier, Peterstraße 29–33,<br />
Vorträge 22 und 23 Uhr, mehr unter<br />
www.langenachtdermuseen-hamburg.de<br />
MUSIK<br />
Erinnert<br />
Am 24. März jährte sich zum 35. Mal<br />
der Tag, an dem Óscar A. Romero,<br />
Erzbischof von San Salvador, wegen<br />
seines Einsatzes für Gerechtigkeit und<br />
Frieden ermordet wurde. An die<br />
schreckliche Tat erinnert ein Konzertabend<br />
zum Abschluss der Reihe „Romerotage“.<br />
Zu hören ist „Canto General“,<br />
die von Mikis Theodorakis vertonte<br />
Fassung der bekannten Gedichte von<br />
Pablo Neruda, sowie Tangomusik von<br />
Martin Palmeri und Astor Piazzolla. •<br />
Katholische Kirche St. Ansgar, Michaelisstraße<br />
5, Fr, 17.4., 19 Uhr, 19/16 Euro,<br />
alle Veranstaltungen sind hier aufgeführt:<br />
www.romerotage.de<br />
Der US-Soldat Billy Pilgrim wird zu<br />
einem Zeitreisenden, als er dem Tod ins<br />
Auge blickt: Er gerät von dem Dresdner<br />
Schlachthof, wo er 1945 als Kriegsgefangener<br />
festgehalten wird, zurück ins<br />
Schlachtgetümmel, erlebt seine Hochzeitsnacht<br />
und seinen Tod. Er begegnet<br />
Außerirdischen und besucht sie auf<br />
ihrem Heimatplaneten Tralfamadore.<br />
Mit seinem grotesken Antikriegsroman<br />
„Schlachthof 5“ hat der US-Amerikaner<br />
Kurt Vonnegut im Jahr 1969 Literaturgeschichte<br />
geschrieben. Die Berliner<br />
Theatergruppe „hardt attacks“ hat<br />
da-raus ein atemberaubendes Zwei-<br />
Personen-Stück geschaffen. •<br />
Sprechwerk, Klaus-Groth-Straße 23,<br />
16.–Do, 23.4., 20 Uhr, 19/10 Euro<br />
VORTRAG<br />
Mahnend<br />
Vor fünf Jahren entstand das Literaturfestival<br />
„Lesen ohne Atomstrom.<br />
Die erneuerbaren Lesetage.“ Seitdem<br />
haben sich mehr als 200 Schriftsteller<br />
wie Günter Grass dabei engagiert. In<br />
diesem Jahr startet die Reihe mit einer<br />
prominent besetzten Diskussionsveranstaltung<br />
zum Thema Klimawandel.<br />
Zu Gast ist auch Dennis Meadows, der<br />
mit seinem Bestseller „Die Grenzen des<br />
Wachstums“ bereits vor über 40 Jahren<br />
eine nachhaltige Form des Wirtschaftens<br />
forderte. Er diskutiert mit Vandana<br />
Shiva und Bill McKibben, Träger des<br />
Alternativen Nobelpreises, sowie mit<br />
Ole von Uexküll, Direktor der Stiftung<br />
des Alternativen<br />
Nobelpreises. Stefan<br />
Schurig vom<br />
Weltzukunftsrat<br />
moderiert. •<br />
Patriotische<br />
Gesellschaft, Trostbrücke<br />
4, Mi, 22.4.,<br />
19 Uhr, Eintritt<br />
frei, alle kostenlosen<br />
Veranstaltungen<br />
vom<br />
22.–27.4. unter<br />
www.lesen-ohneatomstrom.de<br />
Regelmäßig lädt die Hamburger Jazzgitarristin<br />
Sandra Hempel renommierte<br />
Kollegen zu gemeinsamen Auftritten<br />
ein. Dieses Mal steht unter anderem<br />
Ken Norris mit ihr auf der Bühne. Der<br />
Amerikaner mit der samtigen Stimme<br />
kam wegen eines Engagements beim<br />
„König der Löwen“ nach Hamburg<br />
und wollte eigentlich nur ein Jahr<br />
bleiben. Inzwischen ist er Professor für<br />
Jazzgesang an der HFMT. Zum Glück,<br />
denn so ist der charismatische Musiker<br />
hier ab und zu live zu erleben. •<br />
Hafenbahnhof, Große Elbstraße 276,<br />
„Jazzraum“, Mo, 27.4., 21.30 Uhr, 6 Euro<br />
KINDER<br />
Klingend<br />
Drei Tage erklingt auf Kampnagel<br />
Musik für Kinder. Beim „Big Bang“-<br />
Musikfestival können kleine Besucher<br />
zum Beispiel mit der tschechischen<br />
Bilderbuchkünstlerin Kveta Pacovská in<br />
ein Meer aus Farben und Saxofonklängen<br />
eintauchen oder gemeinsam mit<br />
dem dänischen Multitalent Thomas<br />
Sandberg Klänge aufnehmen und immer<br />
wieder verändern. Mitmachen ist<br />
auch beim MobilenMusikMuseum gefragt:<br />
Am Trommeltisch oder mithilfe<br />
der Luftschlagorgel für Badelatschen<br />
können Kinder selbst mit Klängen<br />
experimentieren. •<br />
Kampnagel, Jarrestraße 20, 18.–20.4., 8/3<br />
Euro, MobilesMusikMuseum, Eintritt frei,<br />
Programm unter www.bigbang.hamburg<br />
51
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>266</strong>/ APRIL <strong>2015</strong><br />
Hat gerade den mit 10.000 Euro<br />
dotierten „Kasseler Literaturpreis für<br />
grotesken HUMOR“ bekommen:<br />
Autor Frank Schulz.<br />
Ein Held aus Trotz<br />
Der Hamburger Autor Frank Schulz wurde für seine Romane<br />
mehrfach ausgezeichnet. Mit Onno Viets hat er den schrägsten<br />
Hartz-IV-Detektiv der Literaturgeschichte geschaffen.<br />
TEXT: SYBILLE ARENDT; FOTO: MIGUEL FERRAZ<br />
Frank Schulz ist einer, dem man<br />
sofort 50 Euro leihen würde.<br />
Ein seriöser, höflicher Typ,<br />
dessen Augen leicht skeptisch<br />
hinter seiner runden Brille hervorblicken.<br />
Ein anderes Kaliber sind die Figuren<br />
in Schulz’ neuem Roman „Onno<br />
Viets und das Schiff der baumelnden<br />
Seelen“. Held Onno ist Mitte 50, Hartz-<br />
IV-Empfänger und arbeitet gelegentlich<br />
als Detektiv. Er macht nicht viele Worte,<br />
ist faul, aber sympathisch. Frank Schulz<br />
mag seinen Helden: „Onno Viets ist ein<br />
bisschen aus Trotz entstanden. Ich wollte<br />
eine Figur schaffen, die sich der Leistungsgesellschaft<br />
verweigert, aber nicht<br />
daran zerbricht und die Schuld den anderen<br />
gibt.“ Weniger nett ist der zweite<br />
Protagonist: Donald Maria Jochemsen.<br />
Ein verkrachter Künstler, der viel redet,<br />
viel trinkt und etliche Macken hat. Nun<br />
hat er sich in eine junge Frau verliebt,<br />
möchte sie an ihrem Arbeitsplatz überraschen,<br />
einem Kreuzfahrtschiff. Er<br />
nimmt Onno mit, um seiner Tausend<br />
Ängste und Neurosen Herr zu werden.<br />
Das gelingt nur bedingt, zumal auch<br />
Onno psychische Probleme hat und die<br />
beiden oft zu tief ins Glas schauen. Was<br />
sie auf der einwöchigen Mittelmeerkreuzfahrt<br />
erleben, ist irre und endet<br />
überraschend. „Nicht den Schluss ver-<br />
raten!“, so Schulz. „Ich hasse es, wenn<br />
Journalisten die Pointe aus plaudern.“<br />
Keine Sorge, machen wir nicht.<br />
Aber wie kommt man auf diese wilde<br />
Mischung aus derben Szenen, Milieustudien<br />
und Sprachakrobatik? „Die Ideen<br />
fliegen mich an“, so Schulz, räumt<br />
aber ein, dass die sehr authentisch beschriebenen<br />
Trink- und Kneipenszenen<br />
auf eigenem Erleben beruhen. „Aber<br />
seit 2002 trinke ich keinen Alkohol<br />
mehr.“ Auch die prekären Lebensumstände<br />
seiner Helden sind ihm vertraut.<br />
„Bei mir haben sich immer Phasen als<br />
angestellter Redakteur mit denen als<br />
freier Schriftsteller abgewechselt. Zwischendurch<br />
war ich auch arbeitslos.“<br />
Gerade hat der Autor den mit<br />
10.000 Euro dotierten „Kasseler Literaturpreis<br />
für grotesken Humor“ bekommen.<br />
Und kann sich auf das konzentrieren,<br />
was er schon als Junge in seinem<br />
kleinen Dorf bei Stade geliebt hat: das<br />
Schreiben. „Ich war ein Stubenhocker,<br />
habe mit elf Tagebuch geschrieben und<br />
mit 13 absurde Krimis.“ Mit 16 verlässt<br />
Schulz die Schule, macht eine kaufmännische<br />
Lehre in Hamburg. „Das war ein<br />
Kulturschock“, erinnert er sich. „Ich<br />
war ein Landei. Am Anfang bin ich immer<br />
zum Fenster gerannt, wenn ich einen<br />
Polizeiwagen gehört habe.“ Später<br />
veröffentlicht er Beiträge in Anthologien,<br />
vollendet mit 34 seinen ersten<br />
„ernsthaften“ Roman, weitere folgen.<br />
Nun schreibt Schulz wieder absurde<br />
Krimis. Aber Welten entfernt von denen<br />
aus Kindertagen. Sondern über Onno<br />
Viets, der ein zufriedenes Leben abseits<br />
der Leistungsgesellschaft führt. •<br />
Frank Schulz liest aus seinem Roman im<br />
Nochtspeicher, Bernhard-Nocht-Straße 69a,<br />
Di, 21.4., 20 Uhr, 9 Euro<br />
Malerei · Zeichnen<br />
Illustration<br />
Mappe · Kurse · Studium<br />
WE- & Ferienworkshops<br />
berufsbegleitend · altersübergreifend<br />
& Jugendkunstschule<br />
Infos: Tel. 43197606<br />
www.kunstschulehamburg-kaw.de<br />
KUNSTSCHULE<br />
HAMBURG-KAW
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Rätsel<br />
ILLUSTRATION: PROFESSOR BERND MÖLCK-TASSEL<br />
griechischer<br />
Buchstabe<br />
Gartenblume<br />
Statthalter<br />
(franz.)<br />
Stadt am<br />
Rhein<br />
(Schweiz)<br />
Abk.: außerparlament.<br />
Opposition<br />
biblischer<br />
Ort<br />
Schlusseffekt<br />
Atemorgane<br />
d. Fische<br />
benachbart,<br />
unweit<br />
lichtlos,<br />
finster<br />
dumme,<br />
törichte<br />
Handlung<br />
italienischer<br />
Barockmaler<br />
Stelle,<br />
wo etwas<br />
aufhört<br />
Kernreaktor<br />
radikal,<br />
krass<br />
3<br />
1<br />
wurzellose<br />
Sporenpflanze<br />
landwirtschaftl.<br />
genutzter<br />
Boden<br />
3<br />
2<br />
7<br />
4<br />
2<br />
3<br />
Erfinder<br />
des<br />
Saxofons<br />
†<br />
unbestimmter<br />
Artikel<br />
5<br />
8<br />
1<br />
4<br />
3<br />
3<br />
6<br />
1<br />
4<br />
9<br />
poetisch:<br />
junger<br />
Dichter<br />
6<br />
3<br />
4<br />
7<br />
4<br />
8<br />
Papagei<br />
2<br />
8<br />
7<br />
5<br />
6<br />
7<br />
6<br />
1<br />
2<br />
5<br />
Prag<br />
in der<br />
Landessprache<br />
Elbe-<br />
Zufluss<br />
durch<br />
Wintersportort<br />
in Colorado<br />
(USA)<br />
dünner<br />
Pfannkuchen<br />
(franz.)<br />
englisch:<br />
Burg,<br />
Schloss<br />
Biene<br />
1<br />
5<br />
4<br />
9<br />
Füllen Sie das Gitter so<br />
aus, dass die Zahlen von<br />
1 bis 9 nur je einmal in jeder<br />
Reihe, in jeder Spalte und<br />
in jedem Neun-Kästchen-Block<br />
vorkommen.<br />
Als Lösung schicken Sie<br />
uns bitte die unterste, farbig<br />
gerahmte Zahlenreihe.<br />
Lösungen an: Hinz&<strong>Kunzt</strong>, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />
per Fax an 30 39 96 38 oder per E-Mail an info@hinzundkunzt.de.<br />
Einsendeschluss: 30. <strong>April</strong> <strong>2015</strong>. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.<br />
Wer die korrekte Lösung für eines der beiden Rätsel einsendet, kann<br />
zwei Karten für die Hamburger Kunsthalle oder einen von drei Romanen<br />
„Mogel“ von Nils Mohl (Rowohlt Taschenbuch Verlag) gewinnen.<br />
Das Lösungswort beim Kreuzworträtsel lautete: Australien.<br />
Die Sudoku-Zahlenreihe war: 915 724 386.<br />
6<br />
9<br />
4<br />
7<br />
kurz für:<br />
an das<br />
8<br />
7<br />
Einheit<br />
der<br />
Stoffmenge<br />
Zeitungsabonnent<br />
Uniformschulterstück<br />
lateinische<br />
Vorsilbe:<br />
halb...<br />
früherer<br />
Name der<br />
Dem. Rep.<br />
Kongo<br />
Ort, den<br />
man erreichen<br />
will<br />
jeder,<br />
jedermann<br />
Sammellager<br />
9<br />
4<br />
Gemüse-,<br />
Würzpflanze<br />
Inselgruppe<br />
Mittelamerikas<br />
10<br />
Feldertrag<br />
französisch:<br />
Straße<br />
weithin<br />
hörbar,<br />
kräftig<br />
im Ton<br />
5<br />
Misere,<br />
Unglück,<br />
Leid<br />
10<br />
Berlin<br />
italienischer<br />
Priestertitel<br />
2<br />
AR1115-0115_3<br />
53<br />
Impressum<br />
Redaktion und Verlag<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH<br />
Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg<br />
Tel. 32 10 83 11, Fax 30 39 96 38<br />
Anzeigenleitung Tel. 32 10 84 01<br />
E-Mail info@hinzundkunzt.de<br />
www.hinzundkunzt.de<br />
Herausgeber<br />
Landespastor Dirk Ahrens,<br />
Diakonisches Werk Hamburg<br />
Externer Beirat<br />
Prof. Dr. Harald Ansen (Armutsexperte HAW-Hamburg)<br />
Mathias Bach (Kaufmann)<br />
Rüdiger Knott (ehem. NDR 90,3-Programmchef)<br />
Olaf Köhnke (Ringdrei Media Network)<br />
Thomas Magold (BMW-Niederlassungsleiter i.R.)<br />
Karin Schmalriede (Lawaetz-Stiftung)<br />
Dr. Bernd-Georg Spies (Russell Reynolds)<br />
Alexander Unverzagt (Medienanwalt)<br />
Oliver Wurm (Medienberater)<br />
Geschäftsführung Dr. Jens Ade<br />
Redaktion Birgit Müller (v.i.S.d.P.), Frank Keil (CvD, Stellv.),<br />
Annette Woywode<br />
Mitarbeit Sybille Arendt, Simone Deckner, Jonas Füllner,<br />
Ulrich Jonas, Benjamin Laufer, Misha Leuschen,<br />
Uta Sternsdorff, Kerstin Weber, Kim Bösch (Grafik-Praktikantin)<br />
Redaktionsassistenz Sonja Conrad,<br />
Dina Fedossova, Cedric Horbach<br />
Online-Redaktion Simone Deckner, Benjamin Laufer<br />
Artdirektion grafikdeerns.de<br />
Öffentlichkeitsarbeit Isabel Schwartau, Friederike Steiffert<br />
Anzeigenleitung Isabel Schwartau<br />
Anzeigenvertretung Christoph Wahring,<br />
Wahring & Company, Tel. 284 09 40, info@wahring.de<br />
Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 19 vom 1. Januar 2014<br />
Vertrieb Christian Hagen (Leitung), Sigi Pachan,<br />
Beate Kaufmann, Jürgen Jobsen, Marcus Chomse, Meike Lehmann,<br />
Frank Nawatzki, Sven Schadofske, Marcel Stein, Silvia Zahn<br />
Rechnungswesen/Systemadministration Frank Belchhaus<br />
Spendenmarketing Gabriele Koch<br />
Spendenverwaltung Susanne Wehde<br />
Sozialarbeit Stephan Karrenbauer, Isabel Kohler<br />
Litho PX2@ Medien GmbH & Co. KG<br />
Produktion Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />
Druck A. Beig Druckerei und Verlag,<br />
Damm 9–15, 25421 Pinneberg<br />
Verarbeitung Delle und Söhne, Buchbinderei<br />
und Papierverarbeitungsgesellschaft mbH<br />
Spendenkonto Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
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Die Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH mit Sitz in Hamburg ist durch den aktuellen<br />
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17/414/00797, vom 15.11.2013 nach §5 Abs.1 Nr. 9<br />
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Beachten Sie unsere Datenschutzerklärung, abrufbar auf www.hinzundkunzt.de.<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist ein unabhängiges soziales Projekt, das obdachlosen und<br />
ehemals obdachlosen Menschen Hilfe zur Selbsthilfe bietet.<br />
Das Magazin wird von Journalisten geschrieben, Wohnungslose und<br />
ehemals Wohnungslose verkaufen es auf der Straße. Sozialarbeiter<br />
unterstützen die Verkäufer.<br />
Das Projekt versteht sich als Lobby für Arme.<br />
Gesellschafter<br />
Durchschnittliche monatliche<br />
Druckauflage 1. Quartal <strong>2015</strong>:<br />
78.333 Exemplare
Momentaufnahme<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>266</strong>/ APRIL <strong>2015</strong><br />
Rolf lebte jahrelang<br />
auf der Straße.<br />
Jetzt nahm er plötzlich<br />
sein LEBEN wieder<br />
in die Hand und<br />
zog in eine Wohnung.<br />
„Ich bin ein<br />
schweigsamer Typ“<br />
Rolf, 52, verkauft Hinz&<strong>Kunzt</strong> am Jungfernstieg.<br />
TEXT: JONAS FÜLLNER<br />
FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Seit Anfang <strong>April</strong> hat Rolf ein Dach<br />
über dem Kopf. Eine richtige eigene<br />
Wohnung. Für den 52-Jährigen ein großer<br />
Schritt. Mehr als zehn Jahre lebte<br />
der Hinz&Künztler auf der Straße. Immer<br />
wieder suchte er Zuflucht in Männerwohnheimen,<br />
Hotels und anderen<br />
Unterkünften der Stadt. Ansonsten<br />
schlief er alleine irgendwo auf Hamburgs<br />
Straßen. Eine eigene Wohnung<br />
war lange kein Thema für ihn. Als vor<br />
ein paar Wochen ein Wohnungsangebot<br />
für ihn eintrudelte, hat er aber doch zugeschlagen.<br />
Warum? „Wird langsam<br />
Zeit. Ich werde ja älter jetzt“, sagt Rolf.<br />
Ich selbst kann mich nicht erinnern,<br />
wann mir Rolf das erste Mal aufgefallen<br />
ist. Mehr als zwei Jahre arbeite ich in-<br />
zwischen bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Rolf war<br />
schon immer da. Miteinander geredet<br />
haben wir nie. Jeden Vormittag bahnt<br />
sich der große Mann mit der etwas steifen<br />
und ungelenken Art seinen Weg<br />
zum Verkaufstresen. Er kauft ein paar<br />
Zeitungen, holt sich einen Kaffee und<br />
setzt sich auf einen der Hocker neben<br />
dem Eingang. Mit sehr aufrechter Haltung,<br />
so als wolle er gleich wieder aufspringen<br />
und gehen. Dabei ist Rolf die<br />
Ruhe in Person. Während um ihn herum<br />
geschäftiges Treiben herrscht, trinkt<br />
er seinen Kaffee und schweigt. Lediglich<br />
ein paar alteingesessene Verkäufer<br />
bekommen ein brummeliges „Hallo“ zu<br />
hören. Mehr als 20 Jahre ist Rolf jetzt<br />
bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Doch irgendwann in den vergangenen<br />
Monaten kam der Umschwung. Ausschlaggebend<br />
war wohl auch der Tod<br />
unseres langjährigen Verkäufers Gerhard<br />
Kemme. Gerhard lebte bis zu seinem<br />
Tod auf der Straße. „Wenn ich auf<br />
der Straße bleibe, dann ist irgendwann<br />
Schluss“, dachte sich Rolf. „Aber ein<br />
paar Jährchen will ich noch leben.“<br />
Rolf nahm plötzlich sein Leben in<br />
die Hand. Nach nicht einmal vier Wochen<br />
hatte er seine Papiere beisammen.<br />
Krankenversicherung. ALG-II-Antrag.<br />
Alles selbst organisiert. Und er redet.<br />
Über sich. Wenn auch zögerlich. „Ich<br />
bin ein schweigsamer Typ, hab niemanden<br />
an mich rangelassen“, sagt Rolf, um<br />
dann doch damit herauszurücken, dass<br />
er in Bremen aufwuchs, Schriftsetzer<br />
lernte. „Habe da aber keine Bekannten<br />
oder Geschwister mehr. Auch meine<br />
Eltern sind tot.“ Was lief schief ? Warum<br />
landete er auf der Straße? „Durch Alkohol“,<br />
sagt Rolf. „Wohnung verloren,<br />
keine Miete bezahlt. Das Übliche.“ Eine<br />
simple Erklärung. Aber Rolf sagt: „Hatte<br />
keinen Bock, irgendwas zu machen.“<br />
Jetzt, mit 52 Jahren, will Rolf es<br />
noch einmal wissen. Er wird seine Wohnung<br />
selbst einrichten, einkaufen gehen<br />
und sich um den Haushalt kümmern.<br />
„Wenn du auf einmal wieder davor<br />
stehst, ist es erst ein komisches Gefühl“,<br />
sagt Rolf. „Plötzlich macht es aber klick<br />
und dann geht es auch. Wenn ich will,<br />
verstehst du, dann geht es auch.“<br />
Rolf hat schon einmal so richtig gewollt.<br />
Das war vor sechs, sieben Jahren.<br />
Da hörte er einfach mit dem Trinken<br />
auf. Von einem Tag auf den anderen.<br />
Ohne fremde Hilfe. „Mir ging es körperlich<br />
nicht mehr so gut. Und ich dachte,<br />
wenn ich weiter trinke, dann ist es irgendwann<br />
vorbei“, sagt Rolf lakonisch, so als<br />
sei es das Einfachste von der Welt, seine<br />
Sucht hinter sich zu lassen. •<br />
Kurse für professionelles<br />
Modemachen<br />
Berufsbegleitende Aus- und<br />
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1.<br />
2.<br />
1. „Stadtlicht Hamburg“<br />
Kerzenlicht mit Hamburg-Silhouette. Dreiteiliges Set zum<br />
Zusammenstecken, von dekoop aus Hamburg, 17,50 Euro<br />
2. Bio-Schwarztee-Mischung<br />
Aromatisiert mit Kakao und Vanillegeschmack. Zutaten:<br />
Schwarzer Tee*, Kakaoschalen*, Zimt*, Orangenschalen*,<br />
*aus kontrolliert biologischem Anbau (k. b. A.). In<br />
Kooperation mit dem Chocoladenmuseum Chocoversum.<br />
Hersteller: Dethlefsen&Balk, 100 g,<br />
Nachfülldose, 7,50 Euro<br />
Bio-Rotbuschtee<br />
Mit Kakao-Orange aromatisiert.<br />
Zutaten: Rotbuschtee*, Kakaoschalen*, Zimt*,<br />
Orangenschalen*, *k. b. A. In Kooperation mit<br />
dem Chocoladenmuseum Chocoversum. Hersteller:<br />
Dethlefsen&Balk, 75 g, Nachfülldose, 7,50 Euro<br />
4.<br />
5.<br />
3. „Gegens Abstempeln“<br />
Zehn selbstklebende 62-Cent-Briefmarken mit Porträts von<br />
Hinz&Künztlern im A5-Heftchen. Konzeption: Agentur<br />
Lukas Lindemann Rosinski, 11 Euro<br />
3.<br />
4. „Ein mittelschönes Leben“<br />
Eine Geschichte für Kinder über Obdachlosigkeit<br />
von Kirsten Boie, illustriert von Jutta Bauer.<br />
Als Buch 4,80 Euro, als Hörbuch 7,95 Euro<br />
5. „Hamburg zeigt Herz“-Becher<br />
Porzellanbecher mit Silikondeckel, in Deutschland<br />
gefertigt. Idee und Design von einer Auszubildendengruppe<br />
der Firma OTTO. 8,50 Euro<br />
6. Original Spiely<br />
Hundespielzeug für Vier- und Zweibeiner.<br />
Stöckchen- und Ballersatz aus robustem Segeltau, gefertigt<br />
in Werkstätten für Menschen mit<br />
Behinderung in Deutschland. Ein Produkt<br />
der Firma Treusinn aus München. 14,90 Euro<br />
7. „Macht auch wach!“<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Bio-Kaffeemischung,<br />
100% Arabica gemahlen, 250-g-Beutel, 5,95 Euro<br />
oder Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Bio-Espresso, italienische<br />
Mischung, kräftiger Geschmack, ungemahlen,<br />
250-g-Beutel, 5,95 Euro,<br />
exklusiv von der Kaff eerösterei Burg aus Hamburg.<br />
6.<br />
7.<br />
BESTELLEN SIE DIESE UND WEITERE PRODUKTE BEI: Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH, www.hinzundkunzt.de/shop, shop@hinzundkunzt.de,<br />
Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg, Tel. 32 10 83 11. Preise zzgl. Versandkostenpauschale von 2,50 Euro bis 4 Euro,<br />
Ausland auf Anfrage. Versand ab 100 Euro Warenwert kostenlos.
Eine der wichtigsten<br />
Wärmequellen für Hamburg<br />
Am Guten soll man festhalten. So halten wir es auch mit unserem<br />
Einsatz für Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Seit <strong>April</strong> 2000 unterstützt E.ON Hanse das<br />
Hamburger Straßenmagazin. Und daran wird sich nichts ändern.<br />
Auch als HanseWerk werden wir unser Engagement fortsetzen. Mehr<br />
menschliche Wärme – eine der wichtigsten Energien für den Norden.<br />
Energielösungen für den Norden