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Hinz&Kunzt_354_August

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Das Hamburger<br />

Straßenmagazin<br />

Seit 1993<br />

N O <strong>354</strong><br />

Aug.22<br />

2,20 Euro<br />

Davon 1,10 Euro für<br />

unsere Verkäufer:innen<br />

So schaffen wir die<br />

Obdachlosigkeit ab


Editorial<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>354</strong>/AUGUST 2022<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Redakteur<br />

Lukas Gilbert im<br />

Gespräch mit dem<br />

Ex-Obdachlosen Viljo<br />

(Mitte), der in Helsinki<br />

eine Wohnung nach<br />

dem Housing-First-<br />

Konzept gefunden<br />

hat. Onni (rechts) ist<br />

Ansprechpartner für<br />

die Bewohner:innen.<br />

Liebe Leserin, lieber Leser,<br />

wer durch die finnische Hauptstadt Helsinki schlendert, gerät ins Staunen:<br />

Anders als in vielen anderen Großstädten sind hier keine verelendeten<br />

Menschen auf den Straßen zu sehen. Verantwortlich dafür ist eine Sozialpolitik,<br />

die Obdach- und Wohnungslosigkeit möglichst bald abschaffen<br />

will und europaweit als Vorbild gilt. Ob und wie das mit Housing First<br />

gelingt und was wir von Finnland lernen können, lesen Sie in unserem<br />

Schwerpunkt.<br />

Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) hat uns besucht! Sie wolle<br />

die Stippvisite als Zeichen dafür verstanden wissen, dass sie das Thema<br />

Obdachlosigkeit ernst nehme, sagte die Ministerin. Sie ist verantwortlich<br />

dafür, einen Aktionsplan aufzusetzen, um Obdach- und Wohnungslosigkeit<br />

in Deutschland bis 2030 zu beseitigen. Das ist nämlich erklärtes Ziel<br />

von Bundesregierung und Europäischer Union. Wie das gelingen soll, hat<br />

sie uns im Interview erklärt. Wir werden die Umsetzung kritisch<br />

begleiten.<br />

Einen Blick zurück werfen wir in unserer Geschichte über Menschen,<br />

die die rassistischen Übergriffe in Rostock-Lichtenhagen, die sich<br />

in diesem Monat zum 30. Mal jähren, hautnah miterlebt haben. Ihre bedrückenden<br />

Schilderungen der Gewaltexzesse sind eine Mahnung, auch<br />

heute und morgen den Anfängen zu wehren.<br />

Welche Richtung Einzelne gesellschaftlichen Veränderungen geben<br />

können und wo sie an Grenzen stoßen, zeigt unser Porträt der Hamburger<br />

Künstlerin Hanadi Chawaf. Die gebürtige Syrerin thematisiert in<br />

ihren Arbeiten die Zeit des Arabischen Frühlings. Gemeinsam mit anderen<br />

Werken sind diese nun in einer Ausstellung zu sehen und zeigen, wie<br />

Street-Art die Proteste begleitet und dokumentiert hat.<br />

<br />

Viel Spaß beim Lesen!<br />

Ihr Ulrich Jonas<br />

Redaktion<br />

Schreiben Sie uns an: briefe@hinzundkunzt.de<br />

FOTOS SEITE 2: DMITRIJ LELTSCHUK (UNTEN), KATJA TÄHJÄ (OBEN)<br />

TITELFOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

2


Inhalt <strong>August</strong> 2022<br />

34<br />

Streitthema<br />

Stadttauben<br />

Stadtgespräch<br />

06 30 Jahre Rostock Lichtenhagen<br />

Rückblick auf das Unfassbare<br />

14 Männer in High Heels<br />

Aljosha Muttardi über queere Sichtbarkeit<br />

34 Die große Flatter<br />

Wie umgehen mit den vielen Tauben in der Stadt?<br />

28<br />

Im Interview:<br />

Bauministerin<br />

Klara Geywitz<br />

Obdachlosigkeit abschaffen<br />

20 Das System auf den Kopf stellen<br />

Finnland setzt erfolgreich auf Housing First.<br />

28 Auf dem Weg zum Ende der Obdachlosigkeit?<br />

Bundesbauministerin Klara Geywitz im Interview<br />

32 Lasst uns loslegen!<br />

Ein Kommentar von Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Geschäftsführer Jörn Sturm<br />

Freunde<br />

40 Anstoß zum Spenden<br />

Peter Meyer ist neu im Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis.<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

44 „Wie sollte ich schon rebellieren?“<br />

Hanadi Chawaf über Street-Art als Protestform<br />

50 „Tanz schafft Zugehörigkeit“<br />

Yolanda Morales und die Kraft des Tanzes<br />

52 Tipps für den <strong>August</strong><br />

56 Gartenkolumne: Wieso mein Garten Punkrock ist<br />

58 Momentaufnahme: Hinz&Künztler Dieter<br />

14<br />

Aljoscha Muttardi<br />

über queere<br />

Sichtbarkeit<br />

Rubriken<br />

04 Gut&Schön<br />

10 Zahl des Monats<br />

12, 18 Meldungen<br />

42 Buh&Beifall<br />

57 Rätsel, Impressum<br />

06<br />

Vor 30 Jahren:<br />

Pogrome in Rostock<br />

Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk


Ausgezeichnete Kids<br />

Viele kreative Einsendungen machten es der<br />

Jury beim Hörwettbewerb von „Audiyou“ und<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> nicht leicht. „Wie klingt Ham-<br />

burg?“ lautete die Aufgabe für Kinder und<br />

Jugendliche. Der Liebling der Jury war einstim-<br />

mig der Song der 1. Klasse des Regionalen<br />

Bildungs- und Beratungszentrums (ReBBZ)<br />

Billstedt. Ihr Beitrag „Ene mene Billstedt“ hat<br />

das Zeug zur Stadtteilhymne und landete auf<br />

dem 1. Platz. Ein Highlight der Preisverleihung<br />

in den Hamburger Bücherhallen am Hühner-<br />

posten waren die Klänge vom Kinder- und<br />

Jugendmandolinenorchester SOL (Foto) – ein<br />

kostenloses Musikangebot des Kulturladens<br />

St. Georg. ART<br />

ART<br />

•<br />

Weitere Infos: www.kulturladen.com, www.audiyou.de<br />

FOTO: DMITRIJ LELTSCHUK


Ein Plattenbau, drei Sonnenblumen<br />

an der Fassade, Feuer in<br />

den Fenstern. Ein betrunkener<br />

Mann mit eingenässter Jogginghose, die<br />

Hand zum Hitlergruß erhoben. Polizisten,<br />

die vor jugendlichen Schlägern fliehen.<br />

Die Tonspur dazu: Johlen, Pfiffe,<br />

„Deutschland den Deutschen“ und<br />

„Gleich werdet ihr geröstet“.<br />

Die Szenen sind bekannt, es sind<br />

Bruchstücke eines tagelangen Pogroms<br />

gegen obdachlose Roma und vietnamesische<br />

Arbeitsmigrant:innen in der jungen<br />

Bundesrepublik. Trotzdem bleibt<br />

auch heute unfassbar, was im <strong>August</strong><br />

1992 in Rostock-Lichtenhagen geschah.<br />

Wieso stoppte niemand die<br />

Rechtsextremen, die Steine und Brandsätze<br />

auf wehrlose Menschen schleuderten?<br />

Wie konnten sich 3000 Schaulustige<br />

dazustellen, klatschen und<br />

jubeln? Während im Hochhaus Männer,<br />

Frauen und Kinder Todesangst erlitten,<br />

versorgten draußen Imbiss- und<br />

Getränkestände den Mob mit Bier und<br />

Wurst. 30 Jahre später blickt Deutschland<br />

mit Entsetzen zurück. Doch vieles<br />

bleibt ungeklärt.<br />

6<br />

„Roma werden aufgeklatscht“<br />

So kündigten es anonyme Informanten<br />

in der Ostsee-Zeitung an. Ziel der<br />

Rechten war demnach die Zentrale<br />

Aufnahmestelle für Flüchtlinge, kurz:<br />

ZAST, Hausnummer 18 des Sonnenblumenhauses<br />

an der Mecklenburger<br />

Allee. Sie war das einzige Aufnahmelager<br />

für Geflüchtete in Mecklenburg-<br />

Vorpommern, bis zu 300 Menschen<br />

lebten dort, viele aus Osteuropa. Im<br />

Sommer 1992 wurde die ZAST zum<br />

Ort vergeblichen Hoffens für Hunderte<br />

asylsuchende Familien aus Rumänien.


Rubrik<br />

Tagelang wüten Rechtsextreme<br />

1992 in Rostock-Lichtenhagen<br />

unter dem Beifall Schaulustiger.<br />

Alles Geschichte?<br />

Vor 30 Jahren versuchten Rechtsextreme in Rostock-Lichtenhagen, Hunderte<br />

Roma und Vietnames:innen zu töten. Viele sahen zu, klatschten Beifall, andere<br />

sahen weg. Bis heute ist nicht geklärt: Wie konnte es so weit kommen?<br />

TEXT: ANNABEL TRAUTWEIN<br />

FOTOS: PICTURE ALLIANCE / ASSOCIATED PRESS<br />

Pauschal abgewiesen wurden sie ohne<br />

Schutz und Obdach alleingelassen. Wochenlang<br />

harrten die Geflüchteten im<br />

Freien aus. „Es war katastrophal“, berichtet<br />

ein rumänischer Geflüchteter in<br />

der Dokumentation „Die Wahrheit lügt<br />

(liegt) in Rostock“, die 1993 he rauskam.<br />

„Wir wurden erniedrigt, wir hatten<br />

Hunger. Und wir waren schmutzig. Wir<br />

wollten etwas Wärme und einen Platz,<br />

wo wir mit unseren Kindern bleiben<br />

konnten.“ Anwohner:innen, die das<br />

Elend nicht mehr ertragen, versuchen,<br />

die Behörden in die Pflicht zu nehmen.<br />

Doch bevor diese reagieren, bricht der<br />

Hass gegen die Schutzsuchenden los.<br />

Am Samstagabend, 22. <strong>August</strong>, starten<br />

rund 200 gewalttätige Rechte ihren Angriff.<br />

„Du wirst sehen, die Leute, die<br />

hier wohnen, werden aus den Fenstern<br />

schauen und Beifall klatschen“, zitiert<br />

die Ostsee-Zeitung einen Rechtsradikalen.<br />

Und so kam es.<br />

7<br />

„Die Dynamik irgendwie<br />

unterbrechen“<br />

„Lichtenhagen war nicht der Anfang“,<br />

sagt Peer. „Angriffe von Nazis gegen alternative<br />

Jugendliche, aber vor allem<br />

gegen Migrantinnen und Migranten,<br />

waren an der Tagesordnung.“ Peer, damals<br />

19, hatte seinen Freundeskreis im<br />

antifaschistischen Jugendalternativzentrum<br />

(JAZ) in Rostock. Auch die damals<br />

16-jährige Katja gehörte dazu. Beide<br />

werden nur mit Vornamen genannt –<br />

sie möchten mit ihrer Biografie nicht<br />

für alle, die diesen Text lesen, identifizierbar<br />

sein. „Wir haben zu keinem<br />

Zeitpunkt das Ausmaß der Pogrome<br />

und die historische Dimension absehen<br />

können“, sagt Katja. Aber dass die


Das Sonnenblumenhaus: Schauplatz<br />

der Pogrome (links). Vor der zentralen<br />

Erstaufnahmestelle in Rostock<br />

campieren Asylsuchende (rechts).<br />

rechte Szene in Lichtenhagen zuschlagen<br />

würde, sei schon lange vorher klar<br />

gewesen. Die Leute aus dem JAZ hielten<br />

sich bereit, riefen Freund:innen in<br />

anderen Bundesländern an, baten um<br />

Verstärkung. „Das Ziel war: Wir gehen<br />

da hin und intervenieren durch Masse.<br />

Wir wollten die Dynamik irgendwie unterbrechen“,<br />

erklärt Peer. Doch das war<br />

nicht einfach: Viele der zugereisten<br />

Antifaschist:innen kannten weder die<br />

Stadt noch ihre Mitstreitenden, Smartphones<br />

gab es noch nicht, zum Autofahren<br />

waren viele zu jung. Nicht alle<br />

hatten Erfahrung damit, Neonazis körperlich<br />

entgegenzutreten. Und sie waren<br />

zu wenige, die Rechten zu viele.<br />

Trotzdem versuchten die jungen Linken<br />

es am Sonntag erneut, mehrmals,<br />

bis in die Nacht hinein. „Es war stockduster,<br />

überall hat es geraucht, gebrannt,<br />

man hat nichts mehr gesehen“,<br />

erzählt Katja. Polizei habe sie nirgends<br />

sehen können. „Bürgerkrieg ist immer<br />

so ein hartes Wort. Aber von der Atmosphäre<br />

her, von der Angst her, die in der<br />

Luft lag und die man auch selber hatte...<br />

Wir waren 200 bis 300 und wir<br />

wussten ja: Am Tag standen da bis zu<br />

3000 Zuschauer und Applaudierende<br />

und wer weiß wie viele hart organisierte<br />

Nazis.“ Als die Antifaschist:innen eine<br />

spontane Gegendemo starteten, wurden<br />

sie selbst festgenommen – auch<br />

Katja und Peer. „Ich konnte es nicht<br />

glauben“, erzählt sie. „Ich wusste ja: Ich<br />

mache etwas total Richtiges.“ Als sie<br />

am Montag aus der Gefangenensammelstelle<br />

kamen, stand das Sonnenblumenhaus<br />

längst in Flammen.<br />

Die Rolle der Polizei: ungeklärt<br />

30 Polizisten gegen rund 2000 rechtsgesinnte<br />

Gewalttäter:innen und Sympathisierende<br />

– so sah die Einsatzlage aus,<br />

als die ersten Steine flogen. Wieso gelang<br />

es der Polizei nicht, das Pogrom zu<br />

stoppen? War es eine fatale Fehleinschätzung<br />

der Polizeiführung? Oder bewusstes<br />

Wegsehen? Rechtlich sind diese<br />

Fragen bis heute ungeklärt. Klar ist: Als<br />

sich die rechte Szene formierte, waren<br />

entscheidende Politiker und Beamte abwesend.<br />

Der Innensenator war ebenso<br />

im Wochenendurlaub wie der Rostocker<br />

Polizeidirektor und der Einsatzleiter<br />

– Letzterer hatte die Verantwortung<br />

an einen Kollegen übertragen, der noch<br />

in der Ausbildung war. Als der Einsatzleiter<br />

am Sonntag zurückkehrte, war<br />

die Lage schon eskaliert: Die Polizei,<br />

durchgehend in der Unterzahl, ließ sich<br />

von Neonazis verprügeln, zurückdrängen,<br />

schaffte es nicht, die Lage unter<br />

Kontrolle zu bringen. Wasserwerfer<br />

mussten vor jedem Einsatz erst aus<br />

8<br />

Schwerin herbeigerufen werden und erzielten<br />

kaum Wirkung, im Gegenteil:<br />

Die offensichtliche Machtlosigkeit der<br />

Polizei bescherte den Rechten einen<br />

Triumph. Es dauerte bis Montag,<br />

15 Uhr, die Geflüchteten aus der ZAST<br />

zu evakuieren. Als kurz darauf der Angriff<br />

auf das Wohnheim der Viet names:innen<br />

begann, hatte sich die Polizei<br />

vollständig zurückgezogen.<br />

„Uns schützen, wie auch immer“<br />

Von den ehemaligen vietnamesischen<br />

Vertragsarbeiter:innen möchte heute<br />

kaum jemand mit der Presse sprechen.<br />

„Sehr oft wurden Menschen, wenn sie<br />

öffentlich mit Namen über das Pogrom<br />

berichtet haben, anschließend verfolgt,<br />

verprügelt oder es wurde ihnen üble<br />

Nachrede vorgeworfen“, erklärt der<br />

Regisseur Dan Thy Nguyen. Für sein<br />

Theaterstück und Hörspiel „Sonnenblumenhaus“<br />

konnte der Hamburger<br />

mit einigen Betroffenen sprechen. Die<br />

Zeitzeug:innen berichten nahezu unkommentiert,<br />

wie sie den Brandstiftern<br />

und Schlägern entkamen. Dem Bild der<br />

wehrlosen Opfer in der Falle eines brennenden<br />

Hochhauses setzen sie ein anderes<br />

entgegen: Sie erzählen, wie sie<br />

sich organisierten, Etage für Etage evakuierten,<br />

unter höchster Kraftanstrengung<br />

die Zugangstür zum Dachaufgang<br />

und die stählerne Dachluke aufbrachen<br />

und letztendlich alle retten konnten.


Schnell<br />

schalten<br />

Anzeigen: 040/28 40 94-0<br />

anzeigen@hinzundkunzt.de<br />

„we had joy, we had fun,<br />

we had seasons in the sun“<br />

Terry Jacks<br />

Wie sie vergeblich an den Türen der deutschen<br />

Nachbar:innen klopften – „nur zwei Familien haben uns<br />

aufgemacht“, berichtet ein Zeitzeuge. Die Angst, das Entsetzen<br />

haben kaum Platz in den Erzählungen. Dafür<br />

kommen Hintergründe zur Sprache, die viel verraten<br />

über den Nährboden, in dem der Rassismus in Lichtenhagen<br />

wurzelte. „Wenn wir nur über das Pogrom sprechen,<br />

vergessen wir den Rassismus und die unmenschlichen<br />

Arbeitsbedingungen der Vertragsarbeiter:innen in<br />

der DDR. Das zu erzählen, war ihnen sehr wichtig“, erklärt<br />

der Regisseur. Allerdings seien viele der Überlebenden<br />

auch mürbe geworden. „Sie sagen selbst: ,Wir haben<br />

schon so viel geredet, und es verändert sich nichts.‘“<br />

Gedenken: Mehr als ein Ritual?<br />

Was sind die Lehren aus Lichtenhagen? Dan Thy Nguyen<br />

überlegt sehr lange. „Ich glaube, es gibt keinen Lerneffekt,<br />

weil es keine nachhaltige Erinnerungskultur gibt“, sagt er.<br />

Das Gedenken gleiche einem Ritual, aber es gebe keine<br />

Aufarbeitung. „Das ist gefährlich.“ Peer und Katja haben<br />

ebenfalls noch offene Fragen, auch zu ihrer eigenen Rolle.<br />

Aber sie sehen auch, dass die Ereignisse in Rostock nicht<br />

ganz folgenlos blieben. Bündnisse wie „Bunt statt Braun“,<br />

an denen sich unterschiedlichste zivilgesellschaftliche<br />

Gruppen beteiligten, hätten einiges bewirken können.<br />

„Das sind aus meiner Sicht die Lehren aus Lichtenhagen“,<br />

sagt Katja. „Wir hätten damals schon zusammenstehen<br />

müssen.“ • Annabel Trautwein fragte auch bei einem<br />

vietnamesischen Kulturverein nach Kontakt zu<br />

Zeitzeug:innen – und ahnte beim Seufzen ihrer<br />

Gesprächspartnerin, wie sehr das nerven muss:<br />

Zum Jahrestag meldet sich die Presse.<br />

annabel.trautwein@hinzundkunzt.de<br />

trostwerk.de ● andere bestaungen ● 040 43 27 44 11<br />

Anker<br />

des Lebens<br />

Wünschen Sie<br />

ein persönliches<br />

Gespräch?<br />

Kontaktieren Sie<br />

unseren Geschäftsführer<br />

Jörn Sturm.<br />

Tel.: 040/32 10 84 03<br />

oder E-Mail: joern.<br />

sturm@hinzundkunzt.de<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> bietet obdachlosen Menschen Halt. Eine Art Anker<br />

für diejenigen, deren Leben aus dem Ruder gelaufen ist. Möchten<br />

Sie uns dabei unterstützen und gleichzeitig den Menschen,<br />

die bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> Heimat und Arbeit gefunden haben, helfen?<br />

Dann hinterlassen Sie etwas Bleibendes – berücksichtigen Sie<br />

uns in Ihrem Testament! Als Testamentsspender:in wird Ihr Name<br />

auf Wunsch auf unseren Gedenk-Anker in der Hafencity graviert.<br />

Ein maritimes Symbol für den Halt, den Sie den sozial<br />

Benachteiligten mit Ihrer Spende geben.<br />

9


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Zahlen des Monats<br />

Trinkwasserspender<br />

Ein Tropfen<br />

auf den heißen Stein<br />

27<br />

öffentliche Trinkwasserspender gibt es in Hamburg: vier Trinkwassersäulen und<br />

23 Zapfhähne an Toilettenanlagen der Stadtreinigung. Bei 1,8 Millionen<br />

Einwohner:innen sind Trinkwasserstellen damit sehr rar gesät – dabei ist ein einfacher<br />

Zugang zu kostenlosem Wasser besonders für Obdachlose an Hitzetagen<br />

lebenswichtig. Bis 2027 sollen 27 weitere Toilettenanlagen mit einem Trinkwasserhahn<br />

ausgestattet werden, so die Stadtreinigung. Dann läge die Zahl der<br />

öffentlichen Wasserstellen bei 54. Zum Vergleich: In Wien, das fast genauso viele<br />

Einwohner:innen wie Hamburg hat, gibt es rund 1300 öffentliche Trinkwasserspender.<br />

Berlin hat immerhin 196 und München 60.<br />

David Kappenberg, Sprecher der Umweltbehörde, verweist darauf, dass die Trinkwasserversorgung<br />

über die Einrichtungen der Wohlfahrtspflege und Essensausgabestellen<br />

der Stadt „grundsätzlich sichergestellt“ werde, aber: „Es ist wichtig,<br />

das Trinkwasserangebot im öffentlichen Raum so zu verbessern, dass sich auch<br />

Personen ohne festen Wohnsitz noch besser als zurzeit kostenlos mit Wasser versorgen<br />

können.“ Bis Mitte Januar 2023 muss auch Hamburg eine EU-Richtlinie zur<br />

Wasserversorgung umsetzen. Städte werden darin verpflichtet, den Zugang zu<br />

Trinkwasser für die Bevölkerung zu verbessern und im öffentlichen Raum Trinkwasser<br />

im Innen- und Außenbereich bereitzustellen.<br />

Derweil versuchen ehrenamtliche Helfer:innen den Durst zu stillen. An heißen<br />

Tagen verteilen allein die Ehrenamtlichen der Bergedorfer Engel bis zu<br />

500 Wasserflaschen. „Wenn man die anderen Helfer:innen in der Stadt dazuzählt,<br />

kommt man ganz schnell auf 10.000 Flaschen und mehr“, sagt Gründer Thorsten<br />

Bassenberg.<br />

Die Karin und Walter Blüchert Gedächtnisstiftung koordiniert auch in diesem<br />

Jahr wieder die #hitzehilfe. Neben Verteilaktionen auf öffentlichen Plätzen wie<br />

der Reeperbahn werden Hamburger:innen per Social Media aufgerufen, an Hitzetagen<br />

morgens eine zusätzliche Wasserflasche mit aus dem Haus zu nehmen und<br />

sie einem Obdachlosen zu geben: „Eine kleine Geste, die Leben retten kann.“ •<br />

TEXT: SIMONE DECKNER<br />

ILLUSTRATION: ESTHER CZAYA<br />

Mehr Infos unter: www.huklink.de/wasserspender<br />

11


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>354</strong>/AUGUST 2022<br />

Meldungen<br />

Auch am Fischmarkt wurde<br />

jüngst eine Obdachlose<br />

von ihrer Platte vertrieben.<br />

Vertreibung<br />

70 Obdachlosen-Schlafplätze geräumt<br />

Seit Jahresbeginn hat die Stadt mindestens 70 Obdachlosen-Platten räumen lassen.<br />

Das ergibt sich aus Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Recherchen und der Senatsantwort auf eine<br />

Bürgerschaftsanfrage der Linken. Die tatsächliche Zahl der Vertriebenen ist weitaus<br />

größer: Wie die vorliegenden Daten zeigen, verlassen Obdachlose in mindestens<br />

drei von vier Fällen ihre Platte, wenn ihnen eine Räumung angekündigt wird<br />

– deren Durchführung ist dann gar nicht mehr nötig. Bei vorsichtiger Hochrechnung<br />

sind allein in der ersten Hälfte dieses Jahres 280-mal Menschen in Hamburg<br />

von ihren Schlafplätzen vertrieben worden. Vollständige Zahlen lieferten allerdings<br />

nur drei Bezirke. Unisono erklärten die Ämter, die Betroffenen würden in<br />

mehrsprachigen Schreiben auf „alternative Übernachtungsmöglichkeiten“ und<br />

Hilfsangebote für Obdachlose hingeweisen. Sozialarbeiter:innen seien bei den<br />

Räumungen in der Regel nicht vor Ort, ebensowenig Dolmetscher:innen. UJO<br />

•<br />

Langzeitarbeitslose<br />

Ampel plant Kürzungen bei sozialem Arbeitsmarkt<br />

Die Bundesregierung will weniger Geld in Jobs für Langzeitarbeitslose investieren.<br />

Das geht aus aktuellen Haushaltsplänen hervor. Demnach sollen die sogenannten<br />

Leistungen zur Eingliederung in Arbeit von derzeit 4,8 Milliarden Euro<br />

auf 4,2 Milliarden in 2023 und 2,5 Milliarden in 2024 gekürzt werden. Das<br />

Bundesarbeitsministerium erklärte dazu, der pro Kopf zur Verfügung stehende<br />

Betrag sei kommendes Jahr trotzdem immer noch höher als im Vor-Corona-Jahr<br />

2019, da die Zahl der Leistungsberechtigten gesunken sei. Laut So zialbehörde<br />

sind seit Einführung des Teilhabechancengesetzes 2019 in Hamburg 1200 Menschen<br />

gefördert worden. Der Deutsche Gewerkschaftsbund erklärte, angesichts<br />

von gut 24.000 Langzeitarbeitslosen sei das „nicht so viel“. UJO<br />

•<br />

Energiesperren<br />

Moratorium gefordert<br />

Verbraucherschutzministerin Steffi<br />

Lemke (Grüne) will dafür sorgen, dass<br />

Strom- und Gassperren ausgesetzt<br />

werden, wenn die Energiepreise weiter<br />

steigen. Es dürfe niemandem „in<br />

solch einer Krisensituation der Strom<br />

oder das Gas abgestellt werden, weil<br />

er mit der Rechnung in Verzug ist“,<br />

sagte die Ministerin Mitte Juli in einem<br />

Zeitungsinterview. Der Sozialverband<br />

VdK Deutschland fordert einen<br />

Kündigungsschutz für Mieter:innen in<br />

Härtefällen: „Niemand darf seine<br />

Wohnung verlieren, weil Heizkosten,<br />

die oft Bestandteil der Miete sind,<br />

nicht beglichen werden können“, sagte<br />

VdK-Präsidentin Verena Bentele. In<br />

Hamburg wurde in den ersten sechs<br />

Monaten dieses Jahres 1791 Haushalten<br />

der Strom gesperrt und 35 das<br />

Gas. Im Vorjahr gab es 6821 Stromund<br />

138 Gassperren. UJO<br />

•<br />

Zweckentfremdung<br />

2610 Wohnungen stehen leer<br />

Derzeit stehen offiziell 2610 Wohnungen<br />

in Hamburg leer. Wie der Senat<br />

auf CDU-Anfrage weiter mitteilte,<br />

herrschen bei den Bezirksämtern erhebliche<br />

Erkenntnislücken. So können<br />

einige Ämter nichts darüber sagen,<br />

wie lange Wohnungen leer stehen oder<br />

aus welchen Gründen. Und Nord dokumentiert<br />

nur neue Fälle, erfasst aber<br />

nicht, wenn ein Leerstand beendet ist.<br />

CDU-Fachsprecher André Trepoll<br />

forderte von den Bezirken mehr Engagement:<br />

„Gerade vor dem Hintergrund,<br />

dass der Senat die Wohnungsbauziele<br />

im letzten Jahr erheblich<br />

verfehlt hat, ist es umso wichtiger, dass<br />

Bestandswohnungen nicht jahrelang<br />

leer stehen.“ Der Senat verwies darauf,<br />

dass die Leerstandsquote mit<br />

0,26 Prozent in keinem Bundesland so<br />

niedrig sei wie in Hamburg. UJO<br />

•<br />

FOTO: LEBEN IM ABSEITS E.V.<br />

12


Stadtgespräch<br />

Bundesverfassungsgericht<br />

Sozialverbände klagen gegen Grundsicherung<br />

Die Regelsätze für die bundesweit sieben Millionen Menschen,<br />

die von Hartz IV oder Grundsicherung im Alter<br />

leben müssen, sind verfassungswidrig. Denn sie sichern das<br />

Existenzminimum nicht mehr. Mit dieser Begründung<br />

wollen die Sozialverbände VdK und SoVD Klage beim<br />

Bundesverfassungsgericht einreichen. Ihr Argument:<br />

Steigen die Preise für Lebensmittel und Energie so extrem<br />

wie aktuell, dürfe der Gesetzgeber nicht auf die nächste reguläre<br />

Erhöhung der Grundsicherung warten. Berechnet<br />

wurden die derzeitigen Sätze zwischen Juni 2020 und<br />

Juli 2021, in Pandemiezeiten also. Damals war die Mehrwertsteuer<br />

reduziert worden, die Preisentwicklung niedrig.<br />

Mitglieder der Bundesregierung verwiesen zuletzt auf das<br />

geplante Bürgergeld und weitere Hilfspakete. AEJ<br />

•<br />

Studie<br />

Einkommensschwachen besser helfen<br />

Einkommensschwache Haushalte werden durch die Politik<br />

der Bundesregierung nur unzureichend entlastet. Das ist<br />

das Ergebnis einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung<br />

(DIW) für die Diakonie. Die Entlastungspakete<br />

würden zwar Wirkung zeigen, die existenzbedrohende<br />

Belastung der einkommensschwächsten Haushalte<br />

aber nicht ausgleichen. Die Diakonie Deutschland fordert<br />

bessere Hilfen: Stelle der Bundestag eine „Notlage von<br />

nationaler Tragweite“ fest, so ihr Vorschlag, sollten<br />

Hilfeempfänger:innen sechs Monate lang mindestens<br />

100 Euro monatlich zusätzlich ausgezahlt bekommen. UJO<br />

•<br />

Armutsbericht<br />

13,8 Millionen Deutsche sind arm<br />

Jeder sechste Mensch in Deutschland ist von Armut betroffen.<br />

Das zeigt der jüngste Bericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands.<br />

Demnach ist die Quote noch nie so rasant<br />

angestiegen wie in den vergangenen zwei Pandemie-<br />

Jahren. Bundesweit seien 13,8 Millionen Menschen von<br />

Armut betroffen, 300.000 mehr als im Vorjahr und<br />

600.000 mehr als vor Corona. In Hamburg liegt das<br />

Armutsrisiko mit 17,3 Prozent noch höher als im Bundesdurchschnitt,<br />

dort sind es 16,7 Prozent. Konkret wächst<br />

die Armut in Hamburg unter zwei Gruppen: Bei<br />

Rentner:innen, also Menschen über 65 Jahren, lebt heute<br />

schon fast jede:r Fünfte in Armut. Doch auch Erwerbstätige<br />

sind zunehmend betroffen. Unter Selbstständigen stieg<br />

das Armutsrisiko seit 2006 um 30 Prozent. AEJ<br />

•<br />

13<br />

ANTIKRIEGSTAG 2022<br />

ALLE KRIEGE<br />

BEENDEN!<br />

Für Waffenstillstand und<br />

Verhandlungen!<br />

Gegen Aufrüstung und<br />

Waffenlieferungen!<br />

Atomwaffenverbotsvertrag<br />

unterzeichen!<br />

Hamburger Forum für Völkerverständigung<br />

und weltweite Abrüstung e.V.<br />

www.hamburgerforum.org<br />

Demonstration<br />

1. September, 17 Uhr<br />

Hachmannplatz<br />

Neu im<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

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Stadtgespräch<br />

„Warum dürfen<br />

Männer nicht mal<br />

High Heels tragen?“<br />

Influencer, Arzt und Aktivist Aljosha Muttardi will, dass queere Menschen<br />

sich nicht mehr verstecken müssen. Ein Gespräch über Sichtbarkeit,<br />

Schwulen-Klischees und eine sensiblere Art, miteinander zu sprechen.<br />

INTERVIEW: SIMONE DECKNER<br />

FOTOS: IMKE LASS<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Das Doku-Format „Queer<br />

Eye“ läuft seit 2018 sehr erfolgreich<br />

beim Streaminganbieter Netflix. Darin<br />

kümmern sich fünf queere Menschen<br />

mit viel Herz um die kleinen und großen<br />

Probleme ihrer Mitmenschen. Dieses<br />

Jahr startete der deutsche Ableger, in<br />

dem Sie mitwirken. Die Reaktionen auf<br />

„Queer Eye Germany“ waren durchweg<br />

positiv. Hat Sie das überrascht?<br />

Aljosha Muttardi: Ich habe nicht damit<br />

gerechnet, dass das Feedback so positiv<br />

wird – erst recht nicht medial. Gerade<br />

bei den konservativen Zeitschriften<br />

dachte ich, die verreißen uns. Aber ich<br />

habe nichts Negatives gefunden. Deutsche<br />

Formate, die etwas nachzuahmen<br />

versuchen, sind ja oft cringe (peinlich,<br />

Red.). Das war auch meine größte Sorge.<br />

Aber „Queer Eye Germany“ ist<br />

wirklich superschön und authentisch<br />

geworden.<br />

Wie hat sich Ihr Leben seit der<br />

Ausstrahlung verändert?<br />

Ich bin ein arrogantes Arschloch geworden<br />

(lacht). Nein, es hat sich gar<br />

nicht so stark verändert, außer dass ich<br />

jetzt vielleicht ein bisschen öfter erkannt<br />

werde. Ich hatte schon davor eine große<br />

Plattform durch „Vegan ist ungesund“<br />

(YouTube-Kanal und Podcast über vegane<br />

Ernährung, Red.).<br />

Sie haben in Interviews gesagt,<br />

dass Sie beim Dreh das erste Mal<br />

in Ihrem Leben das Gefühl hatten,<br />

sich nicht verstellen zu müssen. Sie<br />

konnten sich ausprobieren, Make-up<br />

tragen, die Fingernägel lackieren – tatsächlich<br />

zum ersten Mal?<br />

Ja, durch die Dreharbeiten ist mir vieles<br />

bewusst geworden, was meine eigene<br />

Identität, mein Leben und meine Vergangenheit<br />

angeht. Ich habe ja vorher<br />

im Krankenhaus gearbeitet. Dort ist es<br />

sehr hetero-normativ, hierarchisch und<br />

männerdominiert. Die Strukturen sind<br />

auf Effizienz und Leistung ausgerichtet.<br />

Ich wäre dort nie mit Make-up rumgelaufen,<br />

ich wäre nicht mal auf die Idee<br />

gekommen. Auch bei den Dreharbeiten<br />

hat sich das langsam entwickelt. Es war<br />

ein bisschen wie auf dem Christopher<br />

Street Day. Dort sind die Verhältnisse ja<br />

auch umgekehrt. Man ist plötzlich nicht<br />

mehr in der Minderzahl, man kann<br />

machen, was man möchte. Dann werden<br />

einem auch die Machtverhältnisse<br />

klar, die sonst herrschen, wenn nicht<br />

CSD oder Pride ist.<br />

Am 6. <strong>August</strong> findet die diesjährige<br />

Hamburger Christopher-Street-Day-<br />

Parade statt, bei der es immer auch um<br />

Sichtbarkeit von queeren Menschen<br />

Aljosha Muttardi im<br />

Gespräch mit Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />

Autorin Simone Deckner


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>354</strong>/AUGUST 2022<br />

geht. Das ist auch eines eines Ihrer<br />

großen Themen. Warum?<br />

Sichtbarkeit schafft Normalität. Und<br />

das ist ja das, was wir uns alle wünschen.<br />

Normalität meine ich im Sinne<br />

von: was wir häufig sehen und womit<br />

wir häufig konfrontiert werden. Wenn<br />

ich in der Kindheit gesehen hätte, dass<br />

Männer Männer lieben und Frauen<br />

Frauen, dass es bi und trans Menschen<br />

gibt, dann hätte ich nicht das Gefühl<br />

gehabt: Ich bin falsch. Es geht darum<br />

zu zeigen, dass man nicht alleine ist.<br />

Was ist mit Künstler:innen wie<br />

Elton John, Boy George oder Melissa<br />

Etheridge?<br />

Die habe ich nicht wahrgenommen.<br />

Das ist ja immer auch eine Frage, in<br />

welcher Blase man aufwächst. In Zeitschriften,<br />

im Fernsehen oder in der<br />

Werbung habe ich eigentlich nur heterosexuelle,<br />

meist weiße Menschen gesehen.<br />

Queere Menschen wurden meistens<br />

karikaturistisch dargestellt. Ich<br />

erinnere mich an die „Wochenshow“<br />

mit Bastian Pastewka. Als Brisko<br />

Schneider hat er da so super überspitzt<br />

geredet (verstellt seine Stimme und redet nasal).<br />

Ich fand das lustig, aber das ist halt<br />

das Klischeebild davon, wie Schwule so<br />

sind. Und ich bin einfach mit Eltern<br />

aufgewachsen, die wenig Kontakt mit<br />

dem Thema hatten, genauso wenig wie<br />

mein Freundeskreis. Es gab keine einzige<br />

offen queere Person in meiner katholischen<br />

Schule. Darüber wurde nur<br />

gemunkelt.<br />

Heute heißt es oft: „Ich habe nichts dagegen,<br />

wenn jemand queer ist, aber<br />

müssen die mir das dauernd aufs Brot<br />

schmieren?“ Wie reagieren<br />

Sie darauf?<br />

Je nach Tagesform. Meist versuche ich<br />

aufzuklären, dass das eine sehr privilegierte<br />

Position ist. Diese Menschen fühlen<br />

sich überfordert, weil neue Themen<br />

in ihr Leben kommen. Wieso fühlen sie<br />

sich überfordert? Ich muss jeden Tag<br />

mit Diskriminierungserfahrungen und<br />

Ängsten leben, aber sie überfordert,<br />

dass ich jetzt darüber spreche? Wow!<br />

Ihr Outing lief nach Ihren eigenen Worten<br />

nicht ideal. Ihre Familie hat nicht<br />

gesagt: „Alles bestens!“, sondern sich<br />

gefragt, was sie bei Ihrer Erziehung<br />

wohl falsch gemacht haben könnte.<br />

Was hat Ihnen in dieser Situation<br />

geholfen?<br />

Zeit, eigentlich nur die Zeit. Ich hatte<br />

damals keinen Kontakt mit Menschen,<br />

die sich geoutet haben. Ich war alleine<br />

damit. Danach war ich der eine Schwu-<br />

FOTO: NETFLIX/THOMAS SCHENK<br />

Die „Fab 5“ von Queer Eye<br />

(von links nach rechts):<br />

Jan-Henrik Scheper-Stuke,<br />

Avi Jakobs, Ayan Yuruk, Leni Bolt<br />

und Aljosha Muttardi


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Stadtgespräch<br />

le in einem super heterosexuellen Umfeld.<br />

Alle mussten sich erst mal „an<br />

mich gewöhnen“. Ich habe meine Gefühle<br />

voll hintangestellt und wollte<br />

möglichst wenig Widerstand und Diskussionen<br />

um mich herum. Nach dem<br />

Motto: Alles cool! Lasst uns am besten<br />

nicht so viel darüber reden! Inzwischen<br />

sind meine Eltern aber die größten Verbündeten<br />

und stehen voll hinter mir.<br />

Nutzen Sie Ihre Bekanntheit heute<br />

auch, um queeren Menschen zu zeigen:<br />

Du bist nicht allein?<br />

Voll! Ich habe auch auf YouTube ein<br />

Video über mein Coming-out veröffentlicht.<br />

Da haben mir so viele Leute<br />

geschrieben, dass ihnen das super viel<br />

Kraft gegeben hat. Das ist, glaube ich,<br />

bei jedem Menschen so, der in der Öffentlichkeit<br />

steht und sich dazu positioniert.<br />

Dadurch ist mir das mit dem<br />

Thema Sichtbarkeit auch noch mal<br />

sehr klar geworden. Ich sage vermeintlich<br />

banale Sätze und werde dann so<br />

behandelt, als hätte ich gerade etwas<br />

total Weises gesagt. Die Menschen wollen<br />

einfach das Gefühl haben, dass sie<br />

nicht allein mit ihren Themen sind.<br />

Queere Menschen sind oft Gewalt<br />

ausgesetzt. In Oslo wurden unlängst<br />

zwei schwule Männer erschossen,<br />

in Istanbul gab es<br />

Übergriffe der Polizei auf Pride-<br />

Aktivist:innen, aber auch in Hamburg<br />

wurden 2020 insgesamt 30<br />

Straftaten im sogenannten Themenfeld<br />

„Geschlecht/Sexuelle Identität“<br />

registriert, darunter 16 Gewaltdelikte.<br />

Haben Sie selbst schon Gewalterfahrungen<br />

gemacht aufgrund Ihrer Sexualität?<br />

Ich habe Übergriffigkeiten erfahren.<br />

Aber viele Menschen, die mich auf der<br />

Straße sehen, lesen mich nicht sofort<br />

als schwul oder queer. Ich wirke relativ<br />

heterosexuell. Das war für mich lange<br />

Zeit auch ein Schutzschild. Ich weiß<br />

auch nicht, ob das ein Mechanismus<br />

ist, um dazuzugehören, oder ob<br />

ich wirklich so bin. Als Jugendlicher<br />

wollte ich mich auch immer von<br />

diesen etwas feminin wirkenden<br />

Menschen distanzieren. Ich habe<br />

immer gesagt: „Nee, so bin ich<br />

Zur Person:<br />

Aljosha Muttardi (34) ist einem größeren<br />

Publikum als Gesundheits-Coach in<br />

der Netflix-Serie „Queer Eye Germany“<br />

bekannt geworden. Bis 2021 betrieb er<br />

mit dem ironisch betitelten „Vegan ist<br />

ungesund“ einen der größten YouTube-<br />

Kanäle zum Thema Veganismus<br />

gemeinsam mit Gordon Prox. Muttardi<br />

ist Facharzt für Anästhesie und hat<br />

sieben Jahre lang in einem Hamburger<br />

Krankenhaus gearbeitet. Sein Zuhause<br />

teilt sich der gebürtige Düsseldorfer<br />

mit Dackel Henry.<br />

nicht!“ Aber warum dürfen Männer<br />

nicht mal Schmuck tragen oder High<br />

Heels ausprobieren? Warum dürfen<br />

Männer nicht Männer küssen, einfach<br />

nur, weil sie es mal ausprobieren und<br />

Spaß haben wollen?<br />

Ändert sich da nicht gerade etwas?<br />

Langsam. In den Großstädten (lacht).<br />

Sie wollen etwas verändern, indem Sie<br />

über Diskriminierung reden – und das<br />

durchaus lautstark.<br />

Es geht ja auch um etwas. Du darfst alles<br />

sagen, du darfst mich Schwuchtel<br />

nennen, du darfst super sexistisch sein,<br />

aber du musst auch mit den Konsequenzen<br />

leben, dass wir lauter werden<br />

und uns beschweren. Ich möchte dafür<br />

sensibilisieren, dass alles, was wir sagen,<br />

Konsequenzen hat. Dieser vermeintliche<br />

Mehraufwand, auch in der Sprache<br />

sensibel zu sein und zum Beispiel Pronomen<br />

zu benutzen, ist gar nicht so<br />

krass. Er lohnt sich. Man kann auch<br />

einfach mal nett zueinander sein.<br />

Und wann kommt nun die zweite Staffel<br />

von „Queer Eye Germany“?<br />

Ich weiß leider selbst noch nicht, ob es<br />

weitergeht. Aber ich wäre sofort dabei. •<br />

Hamburg Pride Week:<br />

www.hamburg-pride.de<br />

Aljosha Muttardi auf Instagram:<br />

www.instagram.com/aljosha_<br />

KLAVIERMUSIK<br />

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Wer gerne online Musik hört:<br />

• On the Road Again<br />

• Lösung<br />

• Ruf und Rückhall<br />

• This Island<br />

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Deezer, A...a und als Download)<br />

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17


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>354</strong>/AUGUST 2022<br />

Meldungen<br />

Politik & Soziales<br />

Senat<br />

Sieben Punkte, kein Plan?<br />

Mit einem Sieben-Punkte-Plan<br />

möchte der Senat mehr für Menschen<br />

in Wohnungsnot tun. Fast 13.000<br />

sogenannte vordringlich wohnungssuchende<br />

Haushalte konnten vergangenes<br />

Jahr nicht mit Wohnraum versorgt<br />

werden, 1000 mehr als 2020,<br />

heißt es in einem Bericht für die Bürgerschaft.<br />

Mit dem Begriff sind etwa<br />

Menschen gemeint, die wegen einer<br />

drohenden Räumung dringend eine<br />

neue Wohnung benötigen. Um die<br />

Lage zu verbessern, will der Senat<br />

mehr geförderte Wohnungen bauen<br />

lassen und Belegungsbindungen ankaufen.<br />

Zudem soll das städtische<br />

Unternehmen Fördern & Wohnen<br />

bei der Vergabe von Grundstücken<br />

häufiger bedacht werden.<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Geschäftsführer Jörn<br />

Sturm kritisierte den Senatsplan als<br />

nicht konkret genug: „Es ist völlig unklar,<br />

wie das vom EU-Parlament und<br />

der Ampel-Koalition vorgegebene politische<br />

Ziel der Abschaffung der Obdach-<br />

und Wohnungslosigkeit damit<br />

bis 2030 erreicht werden soll.“ Ihm<br />

fehlen konkrete Zahlen, wie viele<br />

Wohnungen der Senat zur Verfügung<br />

stellen will. Auch das Bündnis für<br />

neue soziale Wohnungspolitik wünscht<br />

sich einen „durchgreifenden neuen<br />

Ansatz“, der „schnell konkrete Verbesserungen<br />

bewirkt“. So sollten bei<br />

Neubauprojekten nicht ein Drittel,<br />

sondern 50 Prozent Sozialwohnungen<br />

vorgeschrieben werden. AEJ<br />

•<br />

Statistik I<br />

Bund veröffentlicht Wohnungslosenzahl<br />

Bundesweit 178.000 Menschen lebten am 31. Januar in Wohn- oder Notunterkünften.<br />

Das hat das Statistische Bundesamt auf Grundlage von Daten der<br />

Länder und Kommunen errechnet. Damit liegt erstmals eine offizielle Angabe<br />

zum Ausmaß von Wohnungslosigkeit in Deutschland vor. Knapp 74.000 der<br />

Betroffenen waren demnach alleinstehend, 23.000 Teil eines Alleinerziehenden-<br />

Haushalts. Der Frauenanteil liegt bei 37 Prozent, zwei Drittel der Menschen<br />

haben eine ausländische Staatsangehörigkeit. Bemerkenswert auch: Mehr als<br />

ein Drittel der Untergebrachten ist jünger als 25 Jahre. In Hamburg war sogar<br />

fast die Hälfte aller knapp 19.000 Wohnungslosen, die zum Stichtag gezählt<br />

wurden, unter 25 Jahre alt. Die umfangreichen Daten werden Grundlage<br />

des ersten Wohnungslosenberichts der Bundesregierung sein, der im Herbst<br />

erscheinen soll. Dieser werde die Basis für einen „Nationalen Aktionsplan“<br />

zur Abschaffung der Wohnungslosigkeit, erklärte Bundesbauministerin<br />

Klara Geywitz (SPD) (siehe auch Interview auf Seite 28, Red). Nicht in die Erhebung<br />

einbezogen wurden Obdachlose, die auf der Straße schlafen, und Menschen,<br />

die vorübergehend bei Freund:innen, Familie oder Bekannten unterkommen,<br />

erklärte das Statistische Bundesamt. Wie eine aktuelle Studie aus Nordrhein-<br />

Westfalen zeigt, leben bis zu 40 Prozent aller Betroffenen in dieser sogenannten<br />

verdeckten Obdachlosigkeit. Mit dem Wohnungslosenberichterstattungsgesetz<br />

hatte der Bundestag 2020 die Regierung verpflichtet, regelmäßig Daten<br />

zur Wohnungslosigkeit zu erheben und so die Qualität der Armuts- und<br />

Reichtumsberichterstattung zu verbessern. Bislang hatten lediglich Schätzungen<br />

der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) vorgelegen.<br />

Die geht von bundesweit mindestens 233.000 Wohnungs losen aus, berücksichtigt<br />

in ihren Hochrechnungen allerdings auch sichtbare und verdeckt lebende Ob-<br />

Statistik II<br />

Zahl der Sozialwohnungen nimmt weiterhin ab<br />

Sowohl in Deutschland als auch in Hamburg sinkt die Zahl der Sozialwohnungen.<br />

Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der<br />

Linksfraktion hervor. Demnach gibt es in Deutschland 1,1 Millionen Sozialwohnungen<br />

– ein historischer Tiefstand. In Hamburg sank der Bestand von 83.130<br />

(2020) um knapp 3000 auf 80.384 (2021). Um den Trend zu stoppen, hat die<br />

Ampel-Koalition im Bund jährlich 100.000 neue Sozialwohnungen versprochen<br />

– ein ehrgeiziges Ziel, wie die Daten zeigen. Denn vergangenes Jahr wurden<br />

bundesweit nur 17.500 neue Sozialwohnungen fertiggestellt (ohne Baden-<br />

Württemberg, das keine Zahlen lieferte). Linken-Fachsprecherin Caren Lay<br />

forderte mehr Fördergelder vom Bund und dauerhafte Preisbindungen für<br />

sozialen Wohnraum: „Einmal Sozialwohnung, immer Sozialwohnung, das<br />

IN DER RUHE LIEGT DIE KRAFT<br />

muss in Zukunft gelten.“ Je nach Bundesland und Fördermodell gilt die<br />

Mietpreisbindung meist für 15 bis 30 Jahre, in Hamburg sind neuerdings<br />

auch 40 Jahre möglich. Unbegrenzte Preisbindungen wie etwa in der österreichischen<br />

QIGONG<br />

TAIJIQUAN<br />

MEDITATION<br />

Hauptstadt Wien gibt es hierzulande aber nicht. Auch in Hamburg<br />

brachen die Neubauzahlen zuletzt ein: Statt der erhofften 3000 wurden<br />

www.tai-chi- lebenskunst.de<br />

vergangenes Jahr nur noch 1895 neue Sozialwohnungen fertiggestellt. UJO<br />

•<br />

dachlose. UJO<br />

•<br />

18<br />

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Obdachlosigkeit<br />

abschaffen<br />

Finnland ist das einzige EU-Land, in dem die Obdachlosenzahlen<br />

zurückgehen. Wir waren vor Ort, um uns anzuschauen,<br />

wie die Trendwende gelingen kann (S. 20).<br />

Für den erfolgreichen Umschwung in Deutschland ist Bauministerin<br />

Klara Geywitz (SPD) verantwortlich. Wir haben<br />

sie im Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Haus zum Interview getroffen<br />

(S. 28). Welche Schritte jetzt in Hamburg nötig sind, kommentiert<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Geschäftsführer Jörn Sturm (S. 32).<br />

FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE


HINZ&KUNZT N°<strong>354</strong>/AUGUST 2022<br />

Das System auf<br />

den Kopf stellen<br />

Finnland macht dem Rest der Welt vor, wie Obdachlosigkeit<br />

beendet werden kann. Ortsbesuch in Helsinki<br />

20


Schwerpunkt<br />

Obdachlosigkeit<br />

abschaffen<br />

TEXT: LUKAS GILBERT<br />

FOTOS: KATJA TÄHJÄ, FARAWAY PHOTOS /<br />

ALAMY STOCK PHOTO (S. 20)<br />

V<br />

iljo ist erschöpft. Gerade erst<br />

ist der schlanke 40-Jährige, der<br />

sein grünes Basecap tief ins<br />

Gesicht gezogen trägt, von einem Ausflug<br />

auf eine der Inseln vor der Küste<br />

Helsinkis zurückgekommen. Sein Vermieter,<br />

die Blue Ribbon Foundation,<br />

betreibt dort ein Haus mit Sauna, Grillplatz<br />

und Booten. Viljo und die anderen<br />

Mieter:innen können die Angebote<br />

nutzen – und tun das vor allem während<br />

des lange herbeigesehnten finnischen<br />

Sommers. Jetzt macht es sich der<br />

Ex-Wohnungslose in seiner Zweizimmerwohnung<br />

gemütlich, in der eine<br />

US-amerikanische Sitcom über den<br />

Fernseher flimmert.<br />

Viljo ist einer von rund 1000<br />

ehemals Wohnungslosen, die ein Zuhause<br />

in einer der Wohnungen der Blue<br />

Ribbon Foundation in Helsinki gefunden<br />

haben. Seit 2007 bietet die Organisation<br />

Wohnungen für Menschen ohne<br />

Zuhause an und ist damit wichtiger Teil<br />

der finnischen Housing-First-Strategie.<br />

Die simple Idee dahinter: Wohnungslose<br />

brauchen als Erstes eine eigene Wohnung<br />

– weil Wohnen ein Menschenrecht<br />

ist, aber auch, weil sich viele<br />

Probleme erst in den eigenen vier Wänden<br />

lösen lassen. Hilfe beim Umgang<br />

mit Ämtern, vielleicht auch bei der Bewältigung<br />

von Suchterkrankungen: All<br />

das kommt nach dem Einzug. Wenn die<br />

Betroffenen das wollen.<br />

Das Prinzip stellt das lange auch in<br />

Finnland praktizierte Stufenmodell auf<br />

21


Rubrik<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>354</strong>/AUGUST 2022<br />

Der Ex-Obdachlose Viljo hat<br />

eine Wohnung nach dem<br />

Housing-First-Prinzip gefunden.<br />

22


Schwerpunkt<br />

Obdachlosigkeit<br />

abschaffen<br />

den Kopf. Danach müssen Obdachlose<br />

zunächst in verschiedenen Arten von<br />

Unterkünften ihre sogenannte Wohnfähigkeit<br />

unter Beweis stellen. Erst auf<br />

der letzten Stufe wartet ein eigenes Zuhause.<br />

In Finnland wartet es nun auf<br />

der ersten.<br />

„Eine eigene Wohnung zu haben –<br />

das ist essenziell! Wir alle brauchen einen<br />

Rückzugsort“, erklärt Onni Huusko<br />

den Kerngedanken. Der 33-Jährige<br />

ist einer der Ansprechpartner:innen für<br />

Viljo und die anderen Bewohner:innen<br />

des weitläufigen, mehrstöckigen Baus.<br />

Und auch für Gäste der angegliederten<br />

Tagesaufenthaltsstätte, die sich mit Billardtisch,<br />

Sofaecke und Kaffeetresen atmosphärisch<br />

zwischen Wohnzimmer<br />

und Jugendzentrum bewegt. Eine Notunterkunft<br />

könne in akuten Krisensituationen<br />

sicherlich auch hilfreich sein,<br />

sagt Huusko: „Aber wie sollst du dein<br />

Leben organisieren, wenn du nur von<br />

Tag zu Tag lebst und dir ständig Gedanken<br />

darüber machen musst, wo du<br />

als Nächstes schläfst?“ Deshalb sei das<br />

Kernprinzip von Housing First so wichtig:<br />

„Menschen brauchen erst eine<br />

Wohnung, dann können sie beginnen,<br />

sich ein Leben drum herum aufzubauen.<br />

Können zum Beispiel trocken werden<br />

– oder was auch immer ihr Ziel ist.“<br />

Die Zahlen geben Huusko und<br />

seinen Mitstreiter:innen recht: Finnland<br />

ist der einzige EU-Staat, in dem die<br />

Zahl obdach- und wohnungsloser<br />

Menschen Jahr für Jahr zurückgeht.<br />

Ende der 1980er-Jahre zählte das Land<br />

mit seinen gut fünf Millionen Einwohner:innen<br />

noch 20.000 Wohnungslose;<br />

heute haben weniger als 4000<br />

Menschen keine eigene Wohnung. Die<br />

meisten von ihnen schlafen bei Bekannten<br />

oder der Familie. Die Zahl der<br />

Menschen, die tatsächlich obdachlos<br />

auf der Straße oder in Notunterkünften<br />

übernachten, wird in ganz Finnland auf<br />

655 geschätzt. Zum Vergleich: Allein in<br />

Hamburg leben laut offizieller Zählung<br />

knapp 2000 Menschen auf der Straße.<br />

Tendenz steigend. Die öffentlichen<br />

Unterkünfte sind in der Hansestadt<br />

zudem oft eine Sackgasse: Mehr als<br />

10.000 Menschen sind dort seit mehr als<br />

fünf Jahren untergebracht und finden<br />

keine Wohnung.<br />

Der Unterschied zum Elend in fast<br />

allen großen Metropolen Europas, in<br />

denen der Anblick von oftmals kranken<br />

Menschen, die in verdreckten Hauseingängen<br />

schlafen, mittlerweile zum<br />

Stadtbild gehört, ist in Helsinki sofort<br />

zu erkennen. Wer im Sommer durch<br />

die belebten Straßen schlendert, an den<br />

charakteristischen Felsen vorbei, auf<br />

denen junge Menschen bis mitten in die<br />

nicht dunkel werdende Nacht zusammensitzen,<br />

durch den Hafen oder rund<br />

um den Bahnhof, der stellt fest: Sichtbare<br />

Obdachlosigkeit spielt hier kaum<br />

eine Rolle.<br />

Was macht Finnland anders? Wer<br />

obdachlos wird, kann sofort Einrichtungen<br />

zur Wohnunterstützung aufsuchen,<br />

die eng mit sozialen Organisationen wie<br />

der Blue Ribbon Foundation zusammenarbeiten.<br />

Dort besprechen die Betroffenen<br />

mit Sozialarbeiter:innen, wel-<br />

„Eine richtige kleine Farm“<br />

hat sich Viljo auf dem<br />

gemeinsamen Balkon<br />

aufgebaut, wie er sagt.<br />

23<br />

Finnland<br />

ist der<br />

einzige<br />

EU-Staat,<br />

in dem die<br />

Obdachlosenzahlen<br />

zurückgehen.


Die Rumänin Lamîia hat keinen<br />

Anspruch auf Housing<br />

First in Finnland.<br />

„Ich brauche<br />

eine eigene<br />

Wohnung, um<br />

klar zukommen.“<br />

EX-OBDACHLOSER VILJO<br />

che Art der Unterbringung für sie<br />

geeignet ist. Im Regelfall ist das eine eigene<br />

Wohnung mit eigenem, unbefristetem<br />

Mietvertrag, ohne angegliederte<br />

Unterstützungsangebote.<br />

Mehr als 7000 Wohnungen stellt allein<br />

der größte finnische Housing-First-<br />

Anbieter, die Y-Foundation, übers Land<br />

verteilt ausschließlich für Wohnungslose<br />

bereit. Die Stiftung, die einst von einem<br />

Bündnis finnischer Städte und Organisationen<br />

wie dem Roten Kreuz ins Leben<br />

gerufen wurde, ist von Beginn an<br />

zentral mit Housing First verbunden<br />

und mittlerweile viertgrößter Vermieter<br />

im Land. Hinzu kommen Wohnungen<br />

von anderen Organisationen wie der<br />

Blue Ribbon Foundation oder der finnischen<br />

Diakonie.<br />

Die Alternative ist ebenfalls eine eigene<br />

Wohnung mit eigenem, unbefristetem<br />

Mietvertrag, aber verknüpft mit<br />

Hilfsangeboten und oft in größeren<br />

Einheiten. Welche Art Wohnung passend<br />

ist, entscheiden die Betroffenen.<br />

Von letzteren Angeboten machen insbesondere<br />

Menschen mit Suchtproblemen<br />

oder psychischen Erkrankungen<br />

Gebrauch. Menschen wie Viljo.<br />

Als er seine Wohnung zum ersten<br />

Mal verlor, habe ihn das völlig aus der<br />

Bahn geworfen, sagt Viljo. Schon vorher<br />

hatte er Probleme mit Drogen, doch<br />

auf der Straße seien die immer schlimmer<br />

geworden. „Eine eigene Wohnung<br />

zu haben? Das ist wichtig für mich, um<br />

klarzukommen.“<br />

Viljo hat sich bewusst für eine Wohnung<br />

innerhalb einer größeren Wohngruppe<br />

entschieden. Sogenannte Wohnbegleit<br />

er:innen, meist Menschen mit<br />

medi zin ischer Ausbildung, sind rund<br />

um die Uhr erreichbar. Sie helfen bei alltäglichen<br />

Problemen oder wenn es Konflikte<br />

zwischen Bewohner:innen gibt.<br />

Seit fünf Jahren wohnt er mittlerweile<br />

in dem Wohnkomplex im Viertel<br />

Vallila in Helsinkis nördlicher Innenstadt.<br />

Seine Sozialhilfe stockt Viljo mit<br />

24


Schwerpunkt<br />

Obdachlosigkeit<br />

abschaffen<br />

Hausmeisterjobs im Haus auf. Auf dem<br />

breiten Balkon, den er sich mit den anderen<br />

Mieter:innen auf der Etage teilt,<br />

pflanzt er Tomaten, Zucchini und Basilikum<br />

an: „Eine richtige kleine Farm“,<br />

sagt er und lächelt zufrieden.<br />

Der finnische Weg gibt Menschen<br />

aber nicht nur eine Wohnung und damit<br />

Würde. Er rechnet sich auch, wie es<br />

von der Stadt Helsinki heißt. Der Staat<br />

stellt zwar Geld für die vielfältigen<br />

Hilfsangebote bereit, um neue Wohnungen<br />

zu akquirieren oder um neue<br />

Wohnanlagen zu bauen. Doch berücksichtige<br />

man Kosten für medizinische<br />

Behandlungen oder Polizeieinsätze,<br />

spare der finnische Staat durch seinen<br />

Housing-First-Ansatz 15.000 Euro pro<br />

Jahr und Person. Die zuständige Umweltministerin<br />

Maria Ohisalo formuliert<br />

es so: „Es ist in Ordnung, wenn die<br />

Beseitigung von Armut und Obdachlosigkeit<br />

teuer ist. Nicht nur weil die Anstrengungen<br />

menschlich richtig sind,<br />

sondern auch weil sie sich langfristig<br />

finanziell lohnen.“<br />

15 Gehminuten von Viljos Wohnung<br />

entfernt, mitten im ehemaligen<br />

Arbeiter:innen- und heutigen Szenestadtteil<br />

Sörnäinen, bietet Janne Hukka<br />

frischen Kaffee an. Der Journalist,<br />

blaues Businesshemd, die dunklen Haare<br />

seitlich ausrasiert, ist Gründer und<br />

Geschäftsführer des Straßenmagazins<br />

„Iso Numero“. Er beobachtet die finnische<br />

Sozialpolitik seit Jahren. Housing<br />

First, das sei eine sehr zielgerichtete<br />

Politik, die sich auf ein bestimmtes<br />

Phänomen von Wohnungslosigkeit<br />

konzentriere: die Langzeitwohnungslosigkeit.<br />

„Housing First wurde eingeführt<br />

und so ausgestaltet, um dieses<br />

Problem zu lösen. Und damit ist<br />

Housing First sehr erfolgreich. Das ist<br />

über alle Parteigrenzen hinweg unumstritten.“<br />

Deshalb bleibe der Ansatz<br />

selbst bei Regierungswechseln stets bestehen.<br />

Es gebe aber auch Probleme,<br />

die Housing First nicht lösen könne.<br />

Denn: Um Anspruch auf eine Wohnung<br />

zu haben, muss man finnische:r<br />

Staatsbürger:in oder zumindest ins Sozialsystem<br />

integriert sein.<br />

„Wir arbeiten bei Iso Numero fast<br />

nur mit Menschen, die nicht in das<br />

Housing-First-System integriert werden.<br />

Und was wir dabei sehen ist, dass<br />

deren Probleme eben nicht nachhaltig<br />

gelöst werden“, sagt Hukka. „Diese<br />

Menschen können zwar in einer Notunterkunft<br />

schlafen. Aber das verbessert<br />

ihre Situation nicht nachhaltig. Ihre<br />

Probleme bleiben bestehen.“<br />

Lamîia gehört zu denen, die bislang<br />

nicht vom finnischen Erfolgsmodell<br />

profitieren. Vor acht Jahren kam die<br />

42-Jährige aus Bukarest nach Finnland.<br />

Nach dem Tod ihres ersten Mannes sah<br />

die Rumänin sich gezwungen, im Ausland<br />

Geld für den Lebensunterhalt ihrer<br />

Kinder zu verdienen. Die ersten<br />

Jahre habe sie entweder auf der Straße<br />

oder im Wald geschlafen und tagsüber<br />

gebettelt. Heute verkauft sie das Straßenmagazin<br />

und schläft in einem<br />

Mehrbettzimmer in einer ganzjährig<br />

geöffneten Unterkunft speziell für<br />

Osteuropäer:innen. Aussicht auf einen<br />

Job oder auf eine Wohnung nach dem<br />

Housing-First-Modell hat sie nicht.<br />

„Ich würde gerne mit meinen Kindern<br />

in einer Wohnung hier in Finnland leben.<br />

Sie hier in die Schule gehen lassen.<br />

Das ist mein großer Traum“, sagt sie<br />

mit strahlendem Lächeln. Hoffnung,<br />

dass das Wirklichkeit wird, hat sie nicht.<br />

Stattdessen wechselt sie sich mit ihrem<br />

heutigen Ehemann ab: Eine:r von beiden<br />

ist in Rumänien und kümmert sich<br />

um die Kinder, eine:r ist in Finnland.<br />

Wie genau die Situation von Zugewanderten<br />

wie Lamîia verbessert werden<br />

soll, dazu äußert sich das zuständige<br />

Ministerium nicht. Nur so viel: Die Beendigung<br />

von Wohnungslosigkeit sei für<br />

die finnische Regierung ein Schlüsselziel.<br />

Niemand sei von diesem Ziel<br />

ausgenommen.<br />

25<br />

Null bis 2030<br />

Obdach- und<br />

Wohnungs losigkeit beenden<br />

Bis 2030 soll niemand mehr auf der<br />

Straße schlafen. Darauf haben sich<br />

Deutschland und die weiteren 26 EU-<br />

Mitgliedsstaaten in der Erklärung<br />

von Lissabon festgelegt. Wir nehmen<br />

die Politik beim Wort, beobachten sie auf<br />

ihrem Weg zu diesem Ziel und blicken<br />

auf erfolgversprechende Projekte.<br />

Veera Vehkasalo (links) ist<br />

Chefredakteurin beim<br />

finnischen Straßenmagazin<br />

„Iso Numero“, Janne Hukka<br />

Geschäftsführer.


Ein Wohnkomplex<br />

mit Housing-First-<br />

Wohnungen der<br />

Y-Foundation (oben).<br />

Viljo in seiner<br />

Wohnung (unten<br />

links). Im Haus finden<br />

regelmäßig gemeinsame<br />

Aktivitäten<br />

statt. Zum Mittsommer<br />

kommt der<br />

Sauna-Bus (rechts).<br />

Als Housing First in den 2000er-Jahren<br />

eingeführt wurde, sei die Ausgangslage<br />

noch eine andere gewesen, erklärt Janne<br />

Hukka. Doch Fluchtbewegungen und<br />

insbesondere die EU-Osterweiterung<br />

hätten die Situation verändert. Auf diese<br />

Art der Obdachlosigkeit reagiere die<br />

finnische Gesellschaft bislang nicht.<br />

Hukkas Sorge ist, dass der Erfolg von<br />

Housing First viele Finn:innen blind für<br />

bestehende Probleme macht. Um die<br />

Erfolgsgeschichte fortzuschreiben, müsse<br />

das Modell weiterentwickelt werden,<br />

sagt er.<br />

Zurück in der Blue Ribbon Foundation<br />

führt Paula Ahonen in ihr helles Büro.<br />

Sie leitet den Wohnkomplex, in dem<br />

auch Viljo wohnt, und macht auf ein<br />

weiteres Problem aufmerksam: Bis zu<br />

zwei Jahre müssen manche auf eine<br />

Wohnung warten, weil es insbesondere<br />

in Helsinki schlicht nicht genügend<br />

Wohnraum gebe. Während dieser Wartezeit<br />

schliefen die Menschen meist bei<br />

Bekannten oder der Familie, teilweise in<br />

Notunterkünften. Außerdem betont sie:<br />

„Es ist wichtig, ausreichende Unterstützungsangebote<br />

zu schaffen. Einfach nur<br />

26<br />

die Wohnung bereitzustellen, funktioniert<br />

nicht für alle.“<br />

Die Unterstützungsangebote der<br />

Stiftung beschränken sich nicht auf die<br />

eigenen Mieter:innen. Sie gelten auch<br />

für andere Ex-Obdachlose, die über die<br />

Stadt verteilt in Wohnungen leben. Zudem<br />

sei es insbesondere bei größeren<br />

Wohnanlagen wichtig, die Nachbarschaft<br />

mit ins Boot zu holen, sagt Paula<br />

Ahonen. Aufzuklären, Sorgen ernst zu<br />

nehmen und den Nachbar:innen die<br />

Möglichkeit zu geben, Wohnanlagen<br />

und Bewohner:innen kennenzulernen.


Schwerpunkt<br />

Obdachlosigkeit<br />

abschaffen<br />

abasto<br />

ökologische Energietechnik<br />

„Es ist<br />

wichtig,<br />

Unterstützungsangebote<br />

zu<br />

schaffen.“<br />

PAULA AHONEN, BLUE RIBBON FOUNDATION<br />

Viljo geht jetzt den nächsten Schritt. Er zieht um in<br />

eine neue Wohnung. An diesem Nachmittag packt er<br />

sein Hab und Gut zusammen. Die neue Wohnung ist<br />

nicht mehr Teil eines größeren Komplexes, er wird<br />

dort ohne Wohnbegleiter:innen auf dem gleichen<br />

Flur leben. Fast zwei Jahre hat er darauf gewartet,<br />

entsprechend groß ist seine Vorfreude. „Viljos Weg ist<br />

unser Ziel“, sagt Paula Ahonen: „Es geht darum, unsere<br />

Angebote überflüssig zu machen.“ Allerdings gebe<br />

es auch Mieter:innen, die das Wohnen in größeren<br />

Wohnkomplexen und die Gemeinschaft mit anderen<br />

Ex-Wohnungslosen auf Dauer schätzen. Niemand<br />

werde gedrängt, seine Wohnung zu verlassen.<br />

Lässt sich das Modell auf andere Länder übertragen?<br />

Wenn der politische Wille da ist, auf jeden Fall,<br />

ist sich Ahonen sicher. Juha Kaakinen, langjähriger<br />

Chef der der Y-Foundation, ohne dessen Wirken der<br />

finnische Erfolg kaum vorstellbar wäre, fasste es auf<br />

einer europäischen Housing-First-Konferenz im März<br />

so zusammen: „Wenn ihr den Plan hattet,<br />

100 Housing-First-Wohnungen bereitzustellen, hängt<br />

als erstes eine Null dran. Macht 1000 daraus. Wenn<br />

ihr einen Zeitplan von acht Jahren hattet, macht vier<br />

Jahre daraus und sagt nicht, dass es unmöglich wäre.<br />

Es ist schwierig, und das soll es auch sein, aber es ist<br />

möglich.“ • Lukas Gilbert fand die Selbstverständlichkeit<br />

bemerkenswert, mit der alle Gesprächspartner:innen<br />

davon überzeugt waren, dass<br />

eine eigene Wohnung der Anfang sein muss.<br />

lukas.gilbert@hinzundkunzt.de<br />

27<br />

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Schwerpunkt<br />

Obdachlosigkeit<br />

abschaffen<br />

Wie wollen Sie<br />

Obdachlosigkeit<br />

abschaffen,<br />

Frau Ministerin?<br />

Bis 2030 will die Bundesregierung Wohnungs- und Obdachlosigkeit<br />

überwinden. Die dafür zuständige Bundesbauministerin Klara Geywitz<br />

(SPD) erklärt im Interview, wie sie das anstellen will.<br />

INTERVIEW: BENJAMIN LAUFER<br />

FOTOS: ANDREAS HORNOFF<br />

Ein Dienstag Mitte Juni in Hamburg:<br />

Gleich wird die Bundesbauministerin<br />

beim Genossenschaftstag erklären, wie<br />

in Deutschland jährlich 400.000 Wohnungen<br />

gebaut werden sollen, obwohl<br />

Preise explodieren und Lieferketten zusammenbrechen.<br />

Vorher nimmt Klara<br />

Geywitz in der Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Redaktion<br />

Platz. Das Fenster muss fürs Interview<br />

geschlossen werden, weil Baulärm hereindrängt.<br />

„In Deutschland wird wieder<br />

gebaut, das finde ich gut“, sagt sie<br />

und freut sich schelmisch über ihre Bemerkung.<br />

Auch darüber wollen wir mit<br />

der SPD-Politikerin sprechen – vor allem<br />

aber über ihr Versprechen, bis<br />

2030 die Wohnungslosigkeit in Deutschland<br />

zu überwinden. Ihren Besuch bei<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> will sie als Zeichen verstanden<br />

wissen: „Das Thema ist mir<br />

wichtig, darum bin ich hier.“<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Frau Geywitz, die Bundesregierung<br />

hat versprochen, Wohnungslosigkeit<br />

bis 2030 zu überwinden. Gibt<br />

es in acht Jahren tatsächlich keine Obdachlosen<br />

mehr in Deutschland?<br />

Klara Geywitz: Obdachlosigkeit ist so<br />

ein komplexes Problem, dass es sicherlich<br />

auch dann noch Menschen geben<br />

wird, die auf der Straße leben. Wichtig<br />

ist aber, dass wir die Bedingungen deutlich<br />

verbessern und das Menschenrecht<br />

auf Wohnen umsetzen: Jeder, der eine<br />

Wohnung braucht, muss auch eine bekommen<br />

können. Die Hilfssysteme<br />

müssen sich darauf einstellen.<br />

Sie haben einen Nationalen Aktionsplan<br />

angekündigt, den Sie gemeinsam<br />

mit Kommunen, Ländern und Trägern<br />

der Wohnungslosenhilfe entwickeln<br />

wollen. Worüber werden Sie sprechen?<br />

Ganz wichtig wird der Bereich der Prävention<br />

sein, also die Frage, wie man<br />

verhindern kann, dass Menschen ihre<br />

Wohnung verlieren. Wir sehen außerdem<br />

ein dramatisches Absinken der Sozialwohnungszahlen<br />

in den vergangenen<br />

Jahren. Man muss sich da nicht<br />

wundern, dass es gerade für vulnerable<br />

Gruppen unmöglich ist, eine Wohnung<br />

28<br />

zu finden. Und es gibt weitere Fragen,<br />

die wir besprechen werden: die der<br />

Krankenversorgung, wie man als Wohnungsloser<br />

an eine Meldeadresse<br />

kommt, wie ist es mit einem Konto?<br />

Mein Wunsch wäre auch, dass wir gemeinsam,<br />

also Länder, Zivilgesellschaft<br />

und der Bund, Qualitätsstandards für<br />

die Unterkünfte entwickeln.<br />

Welche Rolle wird Housing First spielen?<br />

Die Bundesländer halten diesen<br />

Ansatz für zentral bei der Bekämpfung<br />

der Obdachlosigkeit.<br />

Das ist ein sehr interessanter Ansatz,<br />

der die bisherige Praxis umdreht, erst<br />

am Ende eines langen und für die Betroffenen<br />

sehr anstrengenden Prozesses<br />

vielleicht eine Wohnung zu bekommen.<br />

„Es ist wichtig,<br />

dass wir das<br />

Menschenrecht<br />

auf Wohnen<br />

umsetzen.“


Es ist aber nicht damit getan, einfach jemandem<br />

eine Wohnung zu geben und<br />

zu sagen: „Jetzt ist dein Problem gelöst!“<br />

Nach „first“ muss „second“ und<br />

„third“ kommen. Wir werden uns das<br />

ansehen, auch vor Ort in Finnland.<br />

Wieso nur ansehen und nicht umsetzen?<br />

Housing First wurde in vielen Ländern<br />

und Städten erfolgreich erprobt.<br />

Die Gespräche für Ihren Aktionsplan<br />

sollen erst kommendes Jahr beginnen.<br />

Müsste man nicht schneller und entschlossener<br />

handeln, um bis 2030 Wohnungslosigkeit<br />

zu überwinden?<br />

Ich bin persönlich auch eine sehr ungeduldige<br />

Person und kann Sie gut verstehen.<br />

Aber wir gründen dieses Ministerium<br />

neu, wir werden im Sommer ein<br />

Referat zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit<br />

schaffen. Die Stellen müssen ausgeschrieben<br />

und besetzt werden. Wichtig<br />

ist, dass man eine Struktur schafft, bei<br />

der der Aktionsplan nicht nur aufgeschrieben,<br />

sondern auch umgesetzt wird.<br />

Und Sie glauben wirklich, dass sieben<br />

Jahre für die Umsetzung ausreichen?<br />

Bundesweit lebten im Januar 178.000<br />

Menschen in Wohn- oder Notunterkünften,<br />

geschätzt 45.000 Obdachlose<br />

schlafen auf der Straße.<br />

Wenn wir es gut anstellen, wird 2030 jeder<br />

Mensch, der ein Obdach sucht, eines<br />

bekommen können. Mein Ziel ist,<br />

dass sich die Situation dann deutlich<br />

verbessert hat und es Qualitätsstandards<br />

gibt, die zum Beispiel gewährleisten,<br />

dass Familien nicht auf der Straße<br />

leben müssen.<br />

Wie wollen Sie den Menschen helfen,<br />

die hier auf der Straße leben, aber<br />

aufgrund ihrer Herkunft keinen Anspruch<br />

auf Sozialleistungen haben?<br />

Menschenrechte gelten ja für alle, unabhängig<br />

von der Staatsbürgerschaft.<br />

Es gibt ja nicht nur in Deutschland den<br />

Plan zur Überwindung der Wohnungslosigkeit,<br />

das ist ein großes gesamteuropäisches<br />

Ziel. Wir werden mit dem Sozialministerium<br />

besprechen, was man<br />

da machen kann.<br />

Große Aufgabe: Klara<br />

Geywitz will einen Plan<br />

zur Abschaffung<br />

der Obdachlosigkeit<br />

entwickeln.<br />

29


Klara Geywitz vor<br />

dem Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />

Kaffeetresen<br />

im Gespräch mit<br />

Geschäftsführer<br />

Jörn Sturm (links)<br />

Es gibt Städte wie Hamburg, die manchen<br />

Obdachlosen aus dem EU-Ausland<br />

die Freizügigkeit aberkennen und sie abschieben.<br />

Man könnte sich stattdessen<br />

auch dafür einsetzen, dass alle EU-<br />

Bürger:innen überall in der Union Anspruch<br />

auf eine Unterkunft bekommen.<br />

Ich bin die Ministerin, die dafür Sorge<br />

tragen soll, dass 400.000 Wohnungen gebaut<br />

werden, und die einen Aktionsplan<br />

zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit<br />

aufstellen soll. Das wird unser Ministerium<br />

gut auslasten. Einen kompletten<br />

Umbau der Europäischen Union würde<br />

ich den anderen Kollegen überlassen.<br />

Von den 400.000 neuen Wohnungen im<br />

Jahr sollen 100.000 Sozialwohnungen<br />

sein. Vermutlich wird dieses Ziel erst<br />

mal nicht zu halten sein. Der Ukraine-<br />

Krieg hat die Situation verschärft, aber<br />

Fachkräftemangel und Materialknappheit<br />

gab es schon, als Sie diese Zahlen<br />

in den Koalitionsvertrag geschrieben haben.<br />

Waren Sie zu optimistisch?<br />

Dieses Ziel hat sich niemand in der<br />

Hollywoodschaukel ausgedacht, weil<br />

ihm die Zahl 400.000 so gut gefiel. Sie<br />

basiert auf Berechnungen, wie hoch<br />

der tatsächliche Bedarf ist. Das Ziel ist<br />

durch den furchtbaren Krieg in der Tat<br />

schwieriger zu erreichen. Durch die vielen<br />

Menschen, die aus der Ukraine zu<br />

uns geflohen sind, ist der Bedarf auch<br />

noch dringlicher geworden. Deswegen<br />

wäre es der vollkommen falsche Schluss,<br />

zu sagen: „50.000 Sozialwohnungen<br />

sind ja auch eine gute Sache.“ Wir müssen<br />

an unserem Ziel festhalten.<br />

Die Bauträger schlagen Alarm und<br />

warnen, der Neubau könnte zum<br />

Erliegen kommen. Wie kann die<br />

Bauministerin ihnen helfen?<br />

Wir haben nach wie vor eine extrem hohe<br />

Nachfrage, bundesweit sind 847.000<br />

Wohnungen genehmigt und warten nur<br />

darauf, dass sie jemand baut. Der Staat<br />

kann aber nicht die Baupreise subventionieren,<br />

das würde die Preise weiter<br />

hochtreiben. Wir müssen auf dem Bau<br />

besser und produktiver werden, das<br />

heißt mit mehr Robotik und mehr Standardisierung<br />

arbeiten. Und wir sprechen<br />

mit der Bauindustrie darüber, wie<br />

wir Versorgungssicherheit bei wesentlichen<br />

Baumaterialien hinbekommen.<br />

Sie planen auf Bundesebene ein<br />

„Bündnis bezahlbarer Wohnraum“. Das<br />

gibt es in Hamburg schon seit 2011. Außerdem<br />

gilt die Mietpreisbremse in der<br />

ganzen Stadt, das Wohnraumschutzgesetz<br />

verbietet spekulativen Leerstand.<br />

30<br />

Die Mieten steigen und steigen trotzdem<br />

immer weiter. Was ändert die Einrichtung<br />

eines Bundesbauministeriums<br />

daran?<br />

Wir stehen vor einer gewaltigen Transformation<br />

im Bausektor. Es ist wichtig,<br />

dass bei allen Debatten, die im Kabinett<br />

geführt werden, auch der Blick der<br />

Mietenden und derjenigen, die bauen,<br />

vertreten ist. Wir haben erstmals bei<br />

den Haushaltsverhandlungen mit<br />

14,5 Milliarden Euro bis 2026 einen<br />

deutlichen Schwerpunkt auf sozialen<br />

Wohnungsbau gelegt.<br />

Und wie wollen Sie die Mieten bändigen,<br />

wenn alle bisherigen Maßnahmen<br />

nicht ausreichen?<br />

Hamburg ist natürlich eine sehr attraktive<br />

Stadt, deswegen gibt es hier einen<br />

hohen Druck auf dem Wohnungsmarkt.<br />

Aber es ist auch die Stadt, die als<br />

erste wachgeworden ist, als in anderen<br />

Städten noch fröhlich kommunaler<br />

Wohnungsbestand verkauft wurde.<br />

Und die Mieten steigen trotzdem. Sie<br />

haben im Koalitionsvertrag vereinbart,<br />

Mieterhöhungen in angespannten Wohnungsmärkten<br />

mithilfe der Kappungsgrenze<br />

auf 11 Prozent in drei Jahren zu<br />

beschränken. Wann setzen Sie das um?


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Rubrik<br />

Schwerpunkt<br />

Obdachlosigkeit<br />

abschaffen<br />

Zuständig dafür ist mein Kollege Justizminister<br />

Marco Buschmann, mit ihm<br />

bin ich in Gesprächen. Ich gehe davon<br />

aus, dass das noch dieses Jahr passiert.<br />

Welche Rolle wird die neue Wohngemeinnützigkeit<br />

spielen, die Sie angekündigt<br />

haben?<br />

Die Belegungsbindungen bei Sozialwohnungen<br />

sind immer zeitlich befristet.<br />

Mit der Rechtsform der Wohngemeinnützigkeit<br />

schaffen wir die<br />

Möglichkeit, dauerhaft preiswerte Wohnungen<br />

an den Markt zu bringen. Wichtig<br />

ist mir, dass auch diese Wohnungen<br />

eine gute Qualität haben. Ich kann aber<br />

noch nicht sagen, wann wir mit dem<br />

Gesetzesentwurf fertig sein werden.<br />

Der Wohnungskonzern Vonovia hat Anfang<br />

Juni angekündigt, die Mieten nicht<br />

trotz, sondern wegen der Inflation anzuheben.<br />

Bekommen Sie da Sympathien<br />

für das Berliner Volksbegehren, große<br />

Wohnungskonzerne zu enteignen und<br />

die Wohnungen in städtische Hand zu<br />

geben?<br />

Soweit ich weiß, fühlte sich der Vorstandschef<br />

von Vonovia da missverstanden.<br />

Ein Problem sind derzeit aber die<br />

Indexmieten, bei denen die Mietensteigerungen<br />

an den Verbraucherindex gekoppelt<br />

sind. Viele Mieter können sich<br />

beim Anmieten einer Wohnung gar<br />

nicht aussuchen, ob sie diese Wette auf<br />

die Preisentwicklung der Zukunft eingehen<br />

wollen, weil Wohnungen fehlen.<br />

Deshalb sehe ich da durchaus regulativen<br />

Bedarf. Enteignungen halte ich im<br />

Rechtsstaat aber nur für die Ultima Ratio.<br />

Im großen Stil ist das nicht das Mittel<br />

der Wahl, zumal der Staat ziemlich<br />

viel Geld aufwenden müsste, um die betreffenden<br />

Wohnungsunternehmen zu<br />

entschädigen. Dadurch würde sich die<br />

Anzahl der Wohnungen aber nicht<br />

ändern.<br />

Aber die Mieten würden sinken.<br />

Die Berliner haben eine Expertenkommission<br />

gegründet und gucken sich an,<br />

ob das geht oder nicht. Das Ergebnis<br />

würde mich auch sehr interessieren.<br />

Die Lehre, die man daraus ziehen kann,<br />

ist jedenfalls, dass die öffentliche Hand<br />

gut beraten ist, so viel Wohnungsbestand<br />

wie möglich selbst zu besitzen.<br />

Ein effektives Mittel sozialer Wohnungspolitik<br />

können Hausbesetzungen<br />

sein, hat uns mal der Stadtsoziologe<br />

Andrej Holm erklärt: Wo in den 1980ern<br />

Wohnungen besetzt wurden, sind die<br />

Mieten heute oft noch günstig. Würden<br />

Sie ihm da mit Ihrer Vergangenheit in<br />

der Hausbesetzungsszene zustimmen?<br />

Als ich jung war, gab es in Potsdam viele<br />

Hausbesetzer. Das waren junge Menschen,<br />

die noch zu DDR-Zeiten verlassene<br />

Wohnungen besetzt haben, um sie<br />

vor dem Verfall zu retten. Es gibt in der<br />

Tat einzelne Objekte, die mithilfe von<br />

Mietsyndikaten in kollektive Wohnformen<br />

überführt wurden, mit weniger<br />

Wohnfläche pro Person und dafür größeren<br />

Gemeinschaftsräumen. Das Eigentum<br />

ist stets und ständig zu respektieren,<br />

würde ich als Bauministerin sagen,<br />

aber es ist immer sinnvoll, neue Formen<br />

von Wohnkultur auszuprobieren.<br />

Vielen Dank für das Gespräch,<br />

Frau Geywitz! •<br />

31<br />

„Wir<br />

müssen<br />

auf dem<br />

Bau besser<br />

und produktiver<br />

werden.“<br />

Interview in der<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />

Redaktion. Links:<br />

Redakteur<br />

Benjamin Laufer


Schwerpunkt<br />

Obdachlosigkeit<br />

abschaffen<br />

Lasst uns<br />

loslegen!<br />

Bis 2030 sollen Obdach- und Wohnungslosigkeit abgeschafft<br />

werden. Zeit zum Handeln – auch in Hamburg.<br />

Ein Kommentar von Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Geschäftsführer Jörn Sturm<br />

FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

1910 Obdachlose leben auf Hamburgs<br />

Straßen. Mindestens. Denn die letzte<br />

Zählung ist vier Jahre alt, und es gibt<br />

einige Hinweise darauf, dass es inzwischen<br />

noch mehr Betroffene sind. Hinzu<br />

kommen rund 17.500 Wohnungslose,<br />

die oft seit Jahren in Unterkünften<br />

der Stadt leben, weil es keine Wohnungen<br />

für sie gibt (darunter 12.500 Geflüchtete<br />

mit „Wohnberechtigung“, die<br />

Was muss der Senat tun?<br />

Wird es 2030 in Hamburg keine Obdach- und<br />

Wohnungs losen mehr geben? Was muss der Senat tun,<br />

um dieses Ziel zu erreichen? Und welche Rolle können<br />

dabei die „Eckpunkte für einen Aktionsplan“ der Arbeitsgemeinschaft<br />

der Freien Wohlfahrts pflege<br />

(AGFW) spielen? Das diskutieren Fachleute am Dienstag,<br />

den 13. September, ab 18 Uhr im Museum für Kunst<br />

und Gewerbe (Steintorplatz). Der Eintritt ist frei.<br />

Mehr Infos über das Forderungspapier der AGFW:<br />

www.huklink.de/Eckpunkte<br />

Das Hamburger Housing-First-Projekt im Internet:<br />

www.housing-first.hamburg<br />

die Stadt gesondert zählt). Und die<br />

Zahl der Betroffenen ist noch größer:<br />

Nicht wenige leben in verdeckter Obdachlosigkeit,<br />

schlafen etwa bei Bekannten<br />

auf dem Sofa – und tauchen<br />

in keiner Statistik auf.<br />

All diese Menschen sollen – so der<br />

Plan von Europäischer Union, Bundesregierung<br />

und Bundesländern – bis<br />

2030 in einer eigenen Wohnung leben.<br />

Ein erster kleiner Schritt<br />

ist in Hamburg gemacht:<br />

Nach langem Zögern hat<br />

Rot-Grün ein Wahlversprechen<br />

aus 2020 eingelöst<br />

und ein Housing-<br />

First-Projekt auf den<br />

Weg gebracht, das im<br />

Juli gestartet ist. 30 Obdachlose<br />

sollen in den<br />

kommenden drei Jahren<br />

davon profitieren, dass<br />

sich in der deutschen<br />

Politik eine Erkenntnis<br />

durchsetzt, die Staaten<br />

wie Finnland schon<br />

lange umsetzen: Menschen<br />

brauchen erst mal<br />

geschützte eigene vier Wände, bevor<br />

sie sich ihren anderen Problemen<br />

zuwenden können: einer Suchterkrankung<br />

etwa, Schulden oder fehlenden<br />

Jobperspektiven.<br />

Doch ist das Modellprojekt kaum<br />

mehr als der berühmte Tropfen auf<br />

den heißen Stein, wie andere Zahlen<br />

zeigen. Rund 1000 Haushalte werden<br />

jährlich in Hamburg zwangsgeräumt –<br />

das sind zwar weniger als in früheren<br />

Jahren, doch immer noch viel zu viele.<br />

Bei den Fachstellen für Wohnungsnotfälle<br />

melden sich sogar 3000 Haushalte<br />

pro Jahr als obdachlos. Da wundert es<br />

nicht, dass Sozialarbeiter:innen beklagen,<br />

die Fachstellen könnten vielen Betroffenen<br />

nicht mehr helfen – weil es<br />

schlicht an Wohnraum für diese Menschen<br />

fehlt.<br />

„Bauen, bauen, bauen“, das Mantra<br />

vergangener Jahre hilft nicht, wenn<br />

die falschen Wohnungen hochgezogen<br />

werden. 1895 Sozialwohnungen wurden<br />

2021 in Hamburg fertiggestellt,<br />

nur jede vierte neugebaute Wohnung<br />

ist damit eine preisgebundene. Weil<br />

gleichzeitig gut 3000 Sozialwohnungen<br />

32


aus der Bindung fielen, ist die Menge<br />

bezahlbarer Wohnungen in der Stadt<br />

erneut gesunken – wie seit vielen Jahren<br />

schon. Gleichzeitig wächst die Zahl<br />

derer, die sich überzogene Mieten nicht<br />

leisten können. Und die Aussichten für<br />

die kommenden Jahre sind düster, angesichts<br />

von Materialmangel auf den<br />

Baustellen und Inflation.<br />

Nun hat der Senat einen Plan vorgestellt,<br />

der für mehr Wohnungen für<br />

Menschen in Notlagen sorgen soll. Mit<br />

einem „Sieben-Punkte-Programm“ will<br />

Rot-Grün helfen, etwa den Anteil von<br />

Sozialwohnungen bei Neubauprojekten<br />

zu erhöhen oder Belegungsrechte anzukaufen.<br />

Das hört sich gut an – ist aber<br />

nicht mehr als eine Auflistung altbekannter<br />

Rezepte. Zielzahlen nennt der Senat<br />

nicht. Und neue Ideen? Fehlanzeige.<br />

Kürzlich hat die Grüne Mareike<br />

Engels im Sozialausschuss der Bürgerschaft<br />

an die „kleine Vision“ erinnert,<br />

die Obdachlosigkeit bis 2030 abzuschaffen<br />

– ein Ziel, hinter das sich Sozialsenatorin<br />

Melanie Leonhard (SPD)<br />

im Kreis der Sozialminister:innen der<br />

Bundesländer ausdrücklich gestellt hat.<br />

Doch fragt man in ihrer Behörde nach,<br />

wie genau dieses Ziel erreicht werden<br />

soll, kommt bislang nur der Verweis<br />

auf die Bundesregierung. Das klingt<br />

nicht nach einem kühnen Plan für ein<br />

großes Projekt.<br />

Dabei braucht es jetzt genau das:<br />

eine konkrete Planung mit überprüfbaren<br />

Zwischenschritten. Der Senat darf<br />

nicht zögern; er muss jetzt Antworten<br />

suchen auf die Frage, wie Obdach- und<br />

Wohnungslosigkeit in Hamburg innerhalb<br />

von nicht einmal acht Jahren abgeschafft<br />

werden können.<br />

Bereits im April hat die Arbeitsgemeinschaft<br />

der Freien Wohlfahrtspflege<br />

Vorschläge dazu veröffentlicht. Diese<br />

Ideen sollte die Sozialbehörde dringend<br />

mit Fachleuten aus Verbänden<br />

und Projekten diskutieren. Gerne bieten<br />

auch wir von Hinz&<strong>Kunzt</strong> unsere<br />

Hilfe an. Damit wir alle in acht Jahren<br />

sagen können: Bei der Verwirklichung<br />

dieses tollen Vorhabens waren wir in<br />

Hamburg vorne mit dabei – und darauf<br />

können wir stolz sein. •<br />

joern.sturm@hinzundkunzt.de<br />

33<br />

„Es<br />

braucht<br />

jetzt eine<br />

konkrete<br />

Planung.“


Stadtgespräch<br />

Die große Flatter<br />

Kaum ein Tier hat einen<br />

so miesen Ruf wie die<br />

Stadttaube. Hamburger<br />

Tierschützer:innen versuchen<br />

einiges, um Image und<br />

Lebenssituation der Vögel<br />

zu verbessern. Konkrete Vorschläge<br />

politisch umzusetzen,<br />

ist jedoch schwierig.<br />

TEXT: SIMONE DECKNER<br />

FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

E<br />

rst vor zwei Tagen hat Andrea<br />

Scholl wieder eine tote Taube<br />

vom Radweg geklaubt. „Die<br />

war gerade frisch überfahren<br />

worden“, sagt sie. Die 55-Jährige sammelt<br />

regelmäßig Tauben von der Straße: Vögel<br />

mit abgeschnürten Füßen, gebrochenen<br />

Flügeln und angesengten Federn, es ist alles<br />

dabei. Auf ihrem Handy hat Scholl<br />

Dutzende Fotos davon gespeichert. Die<br />

zeigt sie dann den Politiker:innen und<br />

Journalist:innen, mit denen die 2. Vorsitzende<br />

des Vereins „Hamburger Stadttauben“<br />

über die, wie sie sagt, vielen Vorurteile<br />

gegenüber Stadttauben spricht.<br />

Lateinisch übrigens: Columba livia forma<br />

domestica.<br />

Tatsächlich ist das Image der flatternden<br />

Großstadtbewohnerinnen mies: Ratten<br />

der Lüfte, Müllschlucker, Krankheitsverbreiter,<br />

Gebäudezerstörer – die Liste<br />

der Vorwürfe ist lang. Es seien immer zu<br />

viele an einem Ort, sie kämen zu nah, eklige<br />

Fressgewohnheiten hätten sie auch.<br />

Fliegen sie im Schwarm hoch, bekommen<br />

manche Menschen Panikattacken.<br />

Kaum jemand weiß, dass Tauben viel<br />

mehr können, als Pommes vom Asphalt zu<br />

picken und auf Autodächer zu scheißen.<br />

Tauben sind sogar ziemlich schlau: Sie<br />

können sowohl einfache Rechenregeln lernen<br />

als auch Wörter voneinander unterscheiden.<br />

Noch besser funktioniert ihr<br />

Bildgedächtnis: Bis zu 1800 unterschiedli-<br />

35


FOTO: PICTURE-ALLIANCE / DPA<br />

che Motive können sie sich einprägen.<br />

In einem Versuch lernten Tauben nach<br />

kurzer Zeit, den Stil Van Goghs von einem<br />

Picasso zu unterscheiden. In einem<br />

anderen Experiment wurden sie<br />

erfolgreich trainiert, Brustkrebs in Aufnahmen<br />

von Gewebeschnitten zu<br />

erkennen.<br />

„Wenn Sie einen Taubenschwarm<br />

füttern, können Sie im Bikini oder im<br />

Regenmantel kommen, die Tauben erkennen<br />

Sie nach dem dritten Mal wieder“,<br />

sagt Susanne Gentzsch von „Gandolfs<br />

Taubenfreunde“. Die 64-Jährige<br />

kümmert sich seit 18 Jahren um Stadttauben.<br />

Tierschützer:innen wie sie wollen<br />

nicht nur den Ruf der Tauben<br />

durch Aufklärung verbessern, sie haben<br />

auch politische Ziele: Das seit 2003 in<br />

der Stadt geltende Taubenfütterungsverbot<br />

wollen sie abschaffen. Stattdessen<br />

sollen Taubenschläge errichtet werden,<br />

idealerweise vier pro Bezirk.<br />

Solche Schläge, bekannt als Augsburger<br />

Modell, sind gewissermaßen Luxushotels<br />

für die Vögel: mit eigenem<br />

Brutplatz, gesundem Essen, frischem<br />

Wasser und medizinischer Versorgung.<br />

„Die Schläge<br />

sind das einzige<br />

tierschutzkonforme<br />

Konzept.“<br />

TIERSCHÜTZERIN ANDREA SCHOLL<br />

Damit gewinnen beide Seiten, meinen<br />

die Tierschützer:innen: Taube glücklich,<br />

Mensch auch. Andrea Scholl ist<br />

überzeugt: „Die Schläge sind das einzige<br />

tierschutzkonforme Konzept, das<br />

funktioniert.“<br />

Denn wenn die Tauben artgerechtes<br />

Futter bekommen, müssten sie nicht<br />

mehr in Fußgängerzonen und Bahnhöfen<br />

nach Essensresten suchen. „Sie<br />

scheiden dann auch nicht mehr den typischen<br />

Hungerkot aus“, sagt Denstone<br />

Rejinolds, der in einem neuen Taubenschlag<br />

in Bahrenfeld regelmäßig nach<br />

dem Rechten sieht: auf 450-Euro-Basis,<br />

36<br />

bezahlt vom Verein „Hamburger Tierhelfer“.<br />

Der sogenannte Hungerkot ist<br />

typisch für kranke, unterernährte Tauben,<br />

erklärt Rejinolds. Dass die Hinterlassenschaften<br />

der Vögel Gebäude zum<br />

Einsturz bringen könnten, sei aber<br />

„maßlos übertrieben“, ergänzt Susanne<br />

Gentzsch. Ein Gutachten der Universität<br />

Darmstadt habe an Granit, Nadelholz<br />

und Ziegel keine schädlichen Auswirkungen<br />

der Ausscheidungen<br />

festgestellt. Nur Stahlblech wies leichte<br />

Rostschäden auf nach sieben Monaten<br />

Einwirkung.<br />

„Wir haben 2019 auch eine Klage<br />

gegen ein großes Schädlingsbekämpfungsunternehmen<br />

gewonnen“, berichtet<br />

Tierschützerin Andrea Scholl. „Seitdem<br />

dürfen sie nicht mehr behaupten,<br />

Tauben seien Keimschleudern und<br />

Krank heits überträger.“<br />

Zur Abschreckung der Stadttauben<br />

erlaubt sind Spikes, Netze, Stromstöße<br />

und Laserstrahlen. Die Folge: viele verletzte<br />

und verendete Tiere. „Das wäre<br />

nicht so, wenn wir Taubenschläge hätten“,<br />

sagt Susanne Gentzsch. „Wir<br />

brauchen die Schläge auch deshalb, um


Stadtgespräch<br />

die Population im Rahmen zu halten.“<br />

Denn auch die Tierschützer:innen wollen<br />

die Zahl der Stadttauben eingrenzen.<br />

Die Lösung lautet: Geburtenkontrolle.<br />

Dafür genügt es, regelmäßig die<br />

echten Taubeneier durch Attrappen<br />

auszutauschen. „Im vergangenen Jahr<br />

haben wir allein im Schlag am Hauptbahnhof<br />

750 Eier getauscht“, rechnet<br />

Andrea Scholl vor. „Stellen Sie sich mal<br />

vor, dass diese nicht geschlüpften Tiere<br />

und deren Nachkommen hier noch herumfliegen<br />

würden.“<br />

Mittlerweile unterstützen auch einige<br />

Politiker:innen die Idee. Einzelne Bezirke,<br />

etwa Bergedorf und Harburg,<br />

wollen Taubenschläge einrichten. Zu<br />

Irritation bei den Tierschützer:innen<br />

führte im Januar allerdings ein Antrag<br />

der SPD Altona. Die forderte, „die Taubenplage<br />

in der Großen Bergstraße einzudämmen“.<br />

Ihr Vorschlag: Mehr<br />

Verbotsschilder, die das Taubenfütterungsverbot<br />

anzeigen, und eine<br />

Geldbuße bei Verstößen – bis zu 5000<br />

Euro. Der Antrag wurde abgelehnt.<br />

Nun diskutiert man auch in Altona<br />

über Taubenschläge.<br />

Stephan Jersch, tierschutzpolitischer<br />

Sprecher der Linksfraktion, ist allerdings<br />

genervt: „Jeder Bezirk macht<br />

seinen eigenen Versuch, das Problem<br />

vor Ort zu regeln“, sagt er. Zuletzt wurde<br />

im Juni ein Antrag der Linken in der<br />

Bürgerschaft abgelehnt, der eine Ausnahme<br />

vom Taubenfütterungsverbot<br />

zum Ziel hatte. Derzeit dürfen nämlich<br />

auch die Tierschützer:innen offiziell<br />

nicht füttern, selbst wenn sie verletzte<br />

und kranke Vögel anlocken wollen.<br />

„Das Fütterungsverbot bringt gar<br />

nichts. Die Tiere sind nach wie vor in<br />

Hülle und Fülle vorhanden. Da muss<br />

man umdenken, die Lösung ist ja da“,<br />

sagt Andrea Scholl. Sie wüsste auch geeignete<br />

Standorte für die Taubenschläge:<br />

städtische Gebäude wie Polizeistationen<br />

oder das Parkhaus am Bahnhof<br />

Altona zum Beispiel. Bei Lisa Maria<br />

Otte, tierschutzpolitischer Sprecherin<br />

der Grünen, trifft sie damit grundsätzlich<br />

auf offene Ohren: „Ich finde den<br />

Ansatz gut, auch die Stadt bei der<br />

Standortsuche in die Pflicht zu nehmen“,<br />

sagt sie. Das sei bei mehr als<br />

400 öffentlichen Unternehmen in der<br />

Stadt allerdings nicht so einfach zu<br />

organisieren.<br />

Am Ende gehe es natürlich auch<br />

um Geld, sagt Otte. Das wissen auch<br />

Denstone Rejinolds und Susanne Gentzsch<br />

vor einem Taubenschlag<br />

Zahlengezwitscher<br />

Geschätzt leben 10.000 bis 25.000<br />

Stadttauben in Hamburg. Derzeit gibt es<br />

für sie nur eine Handvoll betreuter Taubenschläge.<br />

Vier pro Bezirk fordern<br />

Tierschützer:innen. Dort könnten die<br />

Vögel kontrolliert brüten, artgerecht gefüttert<br />

und medizinisch versorgt werden.<br />

2021 haben Tierschützer:innen rund<br />

8500 verletzte oder erkrankte Tauben<br />

gerettet. Im Tierheim Süderstraße wurden<br />

1700 Stadttauben abgegeben. Während<br />

gesunde Tauben bis zu 15 Jahre alt<br />

werden können, sterben Stadttauben im<br />

Schnitt mit nur zwei Jahren.<br />

37


Rubrik<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>354</strong>/AUGUST 2022<br />

In diesem Taubenschlag in<br />

Bahrenfeld sind 90 Tauben<br />

nach dem Abriss eines Hauses<br />

untergekommen.<br />

38


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Stadtgespräch<br />

Berliner Gutachten<br />

Stadttauben sind die genetischen<br />

Nachfahren von gezüchteten Brief- und<br />

Ziertauben und somit Haustiere. Das<br />

geht aus einem Gutachten der Berliner<br />

Landestierschutzbeauftragten (2021)<br />

hervor. Die Schlussfolgerung: Die<br />

Kommunen sind in der Fürsorgepflicht<br />

für die Stadttauben, da sie gewissermaßen<br />

deren Halter:innen sind. Taubenfütterungsverbote<br />

verstoßen demnach<br />

gegen das Tierschutzgesetz und sind<br />

rechtswidrig. Eine rechtliche Bindung<br />

hat das Gutachten jedoch nicht.<br />

die Tierschützer:innen. Sie fordern den<br />

Senat auf, den Bau und Unterhalt von<br />

Taubenschlägen zu finanzieren. In<br />

Norderstedt funktioniert das bereits.<br />

Seit Anfang des Jahres steht dort ein<br />

Taubenschlag für 138 Tiere, bezahlt<br />

und unterhalten von der Stadt. Die<br />

Kosten für den Bau eines Schlags<br />

bewegen sich zwischen 10.000 und<br />

25.000 Euro. Das Problem sind die laufenden<br />

Kosten. Die Tierschützer:innen<br />

beziffern diese mit rund 12.000 Euro<br />

pro Jahr, zudem müsste das Geld langfristig<br />

zur Verfügung stehen.<br />

Die Lage sei angesichts des durch<br />

Pandemie und Krieg angespannten<br />

Haushalts schwierig, sagt die Grüne Lisa<br />

Tierschützerin Andrea Scholl schlägt vor,<br />

städtische Dächer für Taubenschläge zu nutzen.<br />

Maria Otte: „Da gibt es noch keine<br />

Einigung.“ Ihr Ziel: ein Gesamtkonzept<br />

für Hamburgs Stadttauben. „Ich hoffe,<br />

dass ich in dieser Legislaturperiode<br />

dazu noch Dinge verkünden kann“, so<br />

Otte. München und Berlin haben schon<br />

ein Taubenmanagement. Bis Hamburg<br />

so weit ist, wird Andrea Scholl weiter<br />

tote Tauben aufsammeln. •<br />

Simone Deckner betrachtet<br />

Stadttauben nach der Recherche<br />

versöhnlicher. Im<br />

Taubenschlag am Hauptbahnhof<br />

wurde sie neugierig<br />

von einigen rot-gelben Taubenaugen beobachtet<br />

– stets in gebotenem Abstand.<br />

simone.deckner@hinzundkunzt.de<br />

39


Peter Meyer ist<br />

Mitglied im<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />

Freundeskreis<br />

geworden.<br />

Anstoß zum Spenden<br />

Das 9-Euro-Ticket soll Menschen finanziell entlasten – auch die,<br />

die es gar nicht nötig haben. Das findet Peter Meyer ungerecht und spendet<br />

die Differenz zu seinem regulären Monatsticket an Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

TEXT: MISHA LEUSCHEN<br />

FOTO: IMKE LASS<br />

P<br />

eter Meyer hat den wohl schönsten<br />

Arbeitsweg in der Stadt. Am<br />

frühen Morgen setzt er mit der<br />

Hafenfähre von Teufelsbrück zu Airbus<br />

nach Finkenwerder über, sieht fantastische<br />

Sonnenaufgänge, begleitet von<br />

Möwengeschrei und dem Tuckern der<br />

Schiffsmotoren – mehr Hamburg geht<br />

nicht. „Nur selten ist die Überfahrt<br />

kabbelig, meist ist die Elbe ruhig, und<br />

die acht Minuten sind wie eine kleine<br />

Kreuzfahrt – morgens und abends“,<br />

schwärmt der 56-Jährige.<br />

75 Euro im Monat kostet sein<br />

HVV-Jobticket. Doch im Juni, Juli und<br />

<strong>August</strong> wurden auch bei ihm nur 9 Euro<br />

40<br />

abgebucht. Die Reduzierung ist Teil eines<br />

Entlastungspakets der Bundesregierung,<br />

das gestiegene Energiepreise<br />

kompensieren soll. „Ich bekomme also<br />

66 Euro pro Monat geschenkt, obwohl<br />

es nicht nötig wäre“, sagt Peter Meyer.<br />

Andere Menschen müssten sich das<br />

Geld abknapsen. „Diese pauschale


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Vergabe ist ungerecht. Ich finde das<br />

fast unanständig für diejenigen, die ein<br />

gutes Gehalt haben. Gesellschaftliche<br />

Verantwortung muss man anders denken.“<br />

Wer wie er einen guten Job habe,<br />

der könne verzichten.<br />

„Ist das Geld nicht besser da aufgehoben,<br />

wo anderen Menschen geholfen<br />

wird?“, hat Peter Meyer sich gefragt.<br />

„So bin ich auf Hinz&<strong>Kunzt</strong> gekommen.“<br />

Seit der Lüneburger nach Hamburg<br />

zog, kauft und liest er Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

Mittlerweile wohnt er in Quickborn und<br />

findet dort immer eine:n Verkäufer:in.<br />

„Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist präsent in der Stadt,<br />

das Konzept ist überzeugend“, sagt er.<br />

Gerade während der Pandemie habe er<br />

noch besser verstanden, wie hart manche<br />

Menschen betroffen waren, denen<br />

es schon vorher nicht gut ging. Also setzte<br />

er einen schon länger gefassten<br />

Vorsatz in die Tat um, wurde Mitglied<br />

im Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis und<br />

spendete die Differenzsumme der drei<br />

Monate ans Projekt.<br />

Peter Meyer weiß selbst, wie es ist,<br />

jeden Monat rechnen zu müssen. Er<br />

kommt aus einfachen Verhältnissen, der<br />

Freunde<br />

Lohn des Vaters, ein Maschinenbauer,<br />

reichte für das Nötigste. Taschengeld<br />

verdienten die beiden Söhne mit Jobs<br />

selbst, und auch während des Studiums<br />

musste Peter Meyer oft haushalten, erinnert<br />

er sich. „Heute haben wir ein Auskommen<br />

mit dem Einkommen.“<br />

Und obwohl er gut verdiene und keine<br />

teuren Hobbys habe, bleibe am Ende<br />

des Monats oft gar nicht so viel übrig.<br />

„Wie kommen dann die anderen klar,<br />

die weniger haben?“, fragt er sich<br />

nachdenklich.<br />

Natürlich könne man mehr machen<br />

als er jetzt mit seiner Spende. „Ich<br />

gebe ja nur weiter, was ich geschenkt<br />

bekommen habe“, sagt er bescheiden.<br />

Im Kollegen- und Freundeskreis hat er<br />

für seine Idee geworben. „Vielleicht<br />

kann man ja den einen oder anderen<br />

motivieren“, ist seine Hoffnung. Manche<br />

bräuchten einen Anstoß, so wie er<br />

selbst. „Eigentlich wollte ich schon lange<br />

in den Freundeskreis, aber ich war<br />

zu bequem, um mich zu kümmern.<br />

Den Stupser hab ich gebraucht!“ •<br />

redaktion@hinzundkunzt.de<br />

JA,<br />

ich werde Mitglied<br />

im Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />

Freundeskreis.<br />

Damit unterstütze ich<br />

die Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

Meine Jahresspende beträgt:<br />

60 Euro (Mindestbeitrag für<br />

Schüler:innen/Student:innen/<br />

Senior:innen)<br />

100 Euro<br />

Euro<br />

Datum, Unterschrift<br />

Ich möchte eine Bestätigung<br />

für meine Jahresspende erhalten.<br />

(Sie wird im Februar des Folgejahres zugeschickt.)<br />

Meine Adresse:<br />

Name, Vorname<br />

Straße, Nr.<br />

PLZ, Ort<br />

Telefon<br />

E-Mail<br />

Einzugsermächtigung:<br />

Ich erteile eine Ermächtigung zum<br />

Bankeinzug meiner Jahresspende.<br />

Ich zahle: halbjährlich jährlich<br />

IBAN<br />

Dankeschön<br />

BIC<br />

Wir danken allen unseren Spender:innen, die<br />

uns im Juli 2022 unterstützt haben, sowie<br />

allen Mitgliedern im Freundeskreis von<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>! Ausdrücklich danken wir allen<br />

Spender:innen – kleine Beträge und große<br />

Beträge werden geschätzt! Auch unseren<br />

Unterstützer:innen auf Facebook:<br />

ein großes Dankeschön!<br />

DANKESCHÖN EBENFALLS AN:<br />

• wk-it-consultants GmbH<br />

• die Hamburger Tafel<br />

• Produktionsbüro<br />

Romey von Malottky GmbH<br />

• die Obstmonster GmbH<br />

• Hanseatic Help<br />

• Axel Ruepp Rätselservice<br />

• die Hamburger Kunsthalle<br />

NEUE FREUNDE:<br />

• Niklas Fiedler • Birgitta Gabriel<br />

• Julian Jäger • Manfred Panek<br />

• Hans Georg Rietz • Hauke Thun<br />

• Andrea Weiss<br />

Bankinstitut<br />

Ich bin damit einverstanden, dass mein Name in<br />

der Rubrik „Dankeschön“ in einer Ausgabe des<br />

Hamburger Straßenmagazins veröffentlicht wird:<br />

Ja<br />

Nein<br />

Wir garantieren einen absolut vertraulichen<br />

Umgang mit den von Ihnen gemachten Angaben.<br />

Die übermittelten Daten werden nur zu internen<br />

Zwecken im Rahmen der Spendenverwaltung<br />

genutzt. Die Mitgliedschaft im Freundeskreis ist<br />

jederzeit kündbar. Wenn Sie keine Informationen<br />

mehr von uns bekommen möchten, können<br />

Sie jederzeit bei uns der Verwendung Ihrer<br />

personenbezogenen Daten widersprechen.<br />

Unsere Datenschutzerklärung können Sie<br />

einsehen unter www.huklink.de/datenschutz<br />

Bitte Coupon ausschneiden und senden an:<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis<br />

Minenstraße 9, 20099 Hamburg<br />

Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk<br />

41<br />

HK <strong>354</strong>


Buh&Beifall<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>354</strong>/AUGUST 2022<br />

Was unsere Leser:innen meinen<br />

„Der Bericht ließ Wut in mir aufsteigen“<br />

Welch Behördenunsinn!<br />

H&K 353, „In der Falle“<br />

Der Bericht berührte mich sehr tief<br />

und ließ eine unbändige Wut in mir<br />

aufsteigen. Welch Behördenunsinn!<br />

UTE BUHR<br />

Ich bin sauer, dass Rahma in dieser<br />

Lage steckt.<br />

MIRIAM SEMRAU<br />

Wie so oft nicht nachvollziehbar, wie<br />

Behörden „arbeiten“. GÜNTHER LÜDERS<br />

Es wird Zeit für Solidarität<br />

H&K 353, Schwerpunkt Alter<br />

Das Titelblatt sprach mich sofort an.<br />

Aber Ihre Beiträge besagten für mich<br />

eher das Gegenteil und weckten mehr<br />

Furcht als Freude. Es geht auch anders.<br />

Liebe wächst und gedeiht bis ins höchste<br />

Alter. Darf ich auf zwei Liebeslehrbücher<br />

für ältere Menschen hinweisen:<br />

Peter Schütts „Pro-Aging-Manifest“ und<br />

seine Gedichtsammlung „Altweibersommernachtstraum“.<br />

FRIEDRICH WARNECKE<br />

Ich bin 70 Jahre alt und habe eine<br />

Altersrente von 940 Euro. Deshalb habe<br />

ich keinen Anspruch auf Sozialleistungen.<br />

Geprüft wird noch, ob ich Anspruch<br />

auf Wohngeld habe. Von den<br />

Ausgleichsregelungen der Regierungskoalition<br />

habe ich nichts. Es ist nicht<br />

unwahrscheinlich, dass meine Situation<br />

noch prekärer wird. Es wird Zeit, dass<br />

auch Solidarität mit „schmalen Rentnern“<br />

wie mir getätigt wird, obwohl wir<br />

noch keine Grundsicherungsempfänger<br />

sind.<br />

JÜRGEN BRINKOP<br />

Leser:innenbriefe geben die Meinung der<br />

Verfasser:innen wieder, nicht die der Redaktion.<br />

Wir behalten uns vor, Briefe zu kürzen. Über Post<br />

an briefe@hinzundkunzt.de freuen wir uns.<br />

Wir trauern um<br />

Yau Bismarck Afrije<br />

6. Juni 1982 – März 2022<br />

Bismarck war leider nicht lange Verkäufer.<br />

Er verstarb im Winternotprogramm der Caritas.<br />

Die Verkäufer:innen und das Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Team<br />

Wir trauern um<br />

Roman Szupke<br />

17. Mai 1962 – 22. Mai 2022<br />

Roman hat den Kampf gegen den Alkohol leider<br />

verloren. Er verstarb in seiner Wohnung.<br />

Die Verkäufer:innen und das Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Team<br />

Wir trauern um<br />

Istvan Csizmadia<br />

22. September 1958 – 4. Juni 2022<br />

Sein Herz hatte keine Kraft mehr und hörte auf<br />

zu schlagen. Istvan verstarb in seiner Wohnung.<br />

Die Verkäufer:innen und das Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Team<br />

HAMBURGER NEBENSCHAUPLÄTZE<br />

Der etwas andere<br />

Stadtrundgang<br />

<br />

<br />

Wollen Sie<br />

Hamburgs City<br />

einmal mit<br />

anderen Augen<br />

sehen? Abseits<br />

der glänzenden<br />

Fassaden zeigen wir<br />

Orte, die in keinem<br />

Reiseführer stehen:<br />

Bahnhofsmission<br />

statt Rathaus und<br />

Tagesaufenthaltsstätte<br />

statt Alster.<br />

Sie können mit<br />

unserem Stadtführer<br />

Chris zu Fuß auf<br />

Tour gehen, einzeln<br />

oder als Gruppe mit<br />

bis zu 25 Personen.<br />

Auch ein digitaler<br />

Rundgang ist<br />

möglich. Das ist fast<br />

genauso spannend.<br />

Offener Rundgang am Sonntag, 21. <strong>August</strong>, um 15 Uhr.<br />

Reguläre Rundgänge bequem selbst buchen unter:<br />

www.hinzundkunzt.de/stadtrundgang<br />

Digitale Rundgänge bei friederike.steiffert@hinzundkunzt.de oder<br />

Telefon: 040/32 10 84 04<br />

Kostenbeitrag: 5 Euro/10 Euro<br />

pro Person


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Drei gegen den Strom:<br />

Drei gegen den Strom:<br />

Street-Art-Künstlerin Hanadi Chawaf führt durch die Ausstellung „Be With the Revolution“ (S. 44).<br />

Choreografin Yolanda Morales gibt Tanzworkshops für Menschen mit und ohne Hörvermögen (S. 50).<br />

Und Kolumnist Benjamin Laufer erklärt, warum sein Schrebergarten definitiv Punkrock ist (S. 56).<br />

Auf dem „HoheLuftschiff“ will man<br />

über jegliche Grenzen hinwegtreiben:<br />

Vom 31. <strong>August</strong> bis 7. Oktober findet<br />

hier ein Theaterfestival mit<br />

Künstler:innen aus ganz Europa statt.<br />

Für Kinder von 2 bis 12 Jahren,<br />

Tickets: www.hoheluftschiff.de<br />

FOTO: KATHARINA MOCK/HOHELUFTSCHIFF


Rubrik<br />

„Wie sollte<br />

ich schon<br />

rebellieren?“<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>354</strong>/AUGUST 2022<br />

Das Hamburger Museum für Kunst und<br />

Gewerbe zeigt in einer Ausstellung, wie<br />

Street-Art die Proteste der arabischen Welt<br />

seit 2011 begleitet. Ein Besuch mit der<br />

Hamburger Künstlerin Hanadi Chawaf<br />

TEXT: ANNA-ELISA JAKOB<br />

FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

44


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Rubrik<br />

Hanadi Chawafs<br />

„Weinende Kinder“<br />

klebten auch an<br />

Hamburger Wänden.<br />

45


Eines Morgens saß Hanadi<br />

Chawaf auf einer Bank in<br />

Winterhude und beobachtete,<br />

wie ihre Wut und ihre<br />

Trauer von einer Hauswand gekratzt<br />

wurden. Es kratzte die Besitzerin eines<br />

Luftballongeschäfts, an dessen Wand<br />

Chawaf eines ihrer Werke geklebt hatte:<br />

ein Junge, der seinen großen Kopf in<br />

seine kleinen Hände stützte, eine Träne<br />

floss aus seinem Auge. So saß er unter<br />

der Werbung für Luftballons.<br />

Es war das Jahr 2014 und das<br />

Bild des Jungen ihr Blick auf ihre<br />

Heimat Syrien, auf die gewaltsame<br />

Niederschlagung der Proteste und die<br />

Gewalt, die sie jeden Tag in den Nachrichten<br />

sah.<br />

„Wie sollte ich schon rebellieren?“,<br />

fragt die 40-Jährige heute. Was, ausgerechnet<br />

von ihr, eine bemerkenswerte<br />

Frage ist, weil man die Geschichte ihres<br />

Lebens selbst als eine der Rebellion erzählen<br />

könnte. Doch damals fühlte sie<br />

sich vor allem hilflos und seltsam schuldig:<br />

weil sie hier lebte, die grausamen<br />

Bilder sah, aber nicht mit den anderen<br />

demonstrieren konnte.<br />

Sie wollte, dass die Welt – ihre Welt,<br />

in der sie nun lebte, Hamburg, Europa,<br />

der Westen – hinsah: Wie das Regime<br />

in Syrien mit äußerster Brutalität auf<br />

46<br />

die Protestierenden reagierte, wie es immer<br />

wieder zu Gewalt kam, auch gegen<br />

Kinder. So wurden im März 2011 in<br />

der Stadt Daraa mehrere Kinder festgenommen<br />

und misshandelt, weil sie ein<br />

Graffiti als Protest gegen Präsident<br />

Bashar Al-Assad gesprüht hatten. Graffiti,<br />

Street-Art generell, werden seit Beginn<br />

des Arabischen Frühlings in Ägypten<br />

und Tunesien zu einer wichtigen<br />

Ausdrucksform des Protests.<br />

Und ja, vielleicht würden die Menschen<br />

in Hamburg für einen Moment<br />

an diese Kinder denken, wenn sie ihr<br />

Bild sehen und ihren eigenen Kindern<br />

einen Luftballon kaufen, dachte sie.


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

In dem schmalen Museumsraum<br />

hängt Street-Art aus<br />

fünf verschiedenen Ländern.<br />

Ihre Serie „Weinende Kinder“ klebte<br />

Chawaf an all die Orte, an die sie kam,<br />

in Hamburg, in Frankfurt, in Paris, in<br />

Kopenhagen, manche in Los Angeles.<br />

Nicht nur ihr Protest, auch die Stationen<br />

ihres Lebens fanden auf den Fassaden<br />

zusammen. Die Erinnerungen an<br />

ihre Heimatstadt Damaskus, die sie mit<br />

20 Jahren verließ, und die Orte ihrer<br />

Zukunft: die USA, das Land, in das sie<br />

auswanderte, in dem sie ihr Kunststudium<br />

begann. Und dann Hamburg, wo<br />

sie 2008 hinzog, mit ihrem Mann eine<br />

Familie gründete, eine Tochter bekam.<br />

Einige Male tätowierte sie diese<br />

Motive auch. Als immer mehr junge<br />

Menschen aus Syrien nach ihrer Flucht<br />

in Hamburg ankamen, die Gefühle<br />

hinter ihrer Kunst verstanden und diese<br />

auf ihrer Haut verewigt haben wollten.<br />

Zum Beispiel Moaeed, der vor<br />

sechs Jahren den Weg in ihr Tattoostudio<br />

„Hanadis Garage“ fand und einen Jungen<br />

mit einer zerstörten Puppe im Arm<br />

auswählte. Heute sind die beiden gute<br />

Freunde. Für sie selbst, sagt Chawaf,<br />

seien ihre Werke „meine Therapie“.<br />

Manchmal beobachtete sie auf der<br />

Straße auch Menschen, die vor ihren<br />

Bildern standen, dort Fotos machten<br />

und sich darüber unterhielten. Genau<br />

das mag sie an Street-Art, dass sie „für<br />

alle Leute ist, nicht nur für diejenigen,<br />

die in Museen gehen“.<br />

Nun gut, jetzt steht<br />

sie gerade selbst<br />

in einem Museum,<br />

an diesem<br />

Mittwochnachmittag<br />

im Juni.<br />

Zum schwarzen<br />

Shirt trägt sie eine<br />

lockere, bunte<br />

Hose, die Tattoos<br />

auf ihren Armen<br />

liegen frei. Und natürlich<br />

ist die Tätowiererin<br />

und Street-Art-Künstlerin<br />

cool: ja, komplett lässig,<br />

wenn sie spricht, auch<br />

wenn es dabei um tiefe<br />

Gefühle geht.<br />

Ihre Werke werden ein<br />

Jahr lang im Museum für<br />

Kunst und Gewerbe ausgestellt,<br />

der Titel der Ausstellung<br />

„Be With the Revolution“.<br />

13 Künstler:innen<br />

werden hier vorgestellt, die<br />

sich in ihrer Kunst vor Ort<br />

oder aus dem Exil mit den<br />

Protesten der arabischen Welt<br />

auseinandergesetzt haben.<br />

Bei der Eröffnung war Chawaf<br />

die einzige Künstlerin, die in<br />

dem schmalen Ausstellungsraum<br />

anwesend sein konnte. Sie wohnt in<br />

Hamburg, die meisten anderen<br />

47<br />

„Ich fühlte mich<br />

schuldig, weil ich<br />

nicht mit den<br />

anderen demonstrieren<br />

konnte.“<br />

Künstler:innen leben und arbeiten im<br />

Ausland, in Ägypten, Tunesien, dem<br />

Libanon und den USA.<br />

Man sehe das, findet sie, wenn man<br />

auf die unterschiedlichen Werke der<br />

Ausstellung blickt: Dass sie selbst hier<br />

in Deutschland war, während die<br />

anderen die Revolution und<br />

den Krieg erlebt hatten. „Sie<br />

haben den Tod gesehen“,<br />

sagt Chawaf.<br />

Zum Beispiel das Bild,<br />

das über dem ihres weinenden<br />

Jungen hängt:<br />

Auf einer Hauswand ist<br />

ein Junge zu sehen, auch<br />

aus seinem Auge fließt eine<br />

Träne, in der Hand<br />

hält er ein gefülltes<br />

Fladenbrot. Es sieht<br />

sehr realistisch aus,<br />

die Farben sind<br />

grell, die Augen des<br />

Jungen weit aufgerissen.<br />

Er wirkt ganz<br />

nah, als käme er direkt<br />

aus dieser Wand,<br />

mitten in Kairo.


Blaue BHs: Ein Symbol des Protests in Ägypten.<br />

Hanadi Chawaf lebt als<br />

Künstlerin in Hamburg und<br />

tätowiert ihre Werke auch<br />

in ihrem Studio „Hanadis<br />

Garage“ in der Schanze.<br />

Der ägyptische Künstler Ammar Abo<br />

Bakr hatte den Straßenjungen dort<br />

verewigt. Er hatte seinen Bruder im November<br />

2013 auf dem Tahrir-Platz in<br />

Kairo verloren, als dort mehr als<br />

1000 Zivilist:innen nahe einer Moschee<br />

getötet wurden.<br />

Oder die Werke von Bahia Shehab,<br />

auch sie lebt in Ägypten. „Ein vergessener<br />

blauer BH“ heißt eines ihrer Werke,<br />

ein anderes heißt „1000 Mal Nein“, darauf<br />

sind blaue BHs zwischen Verbotsschilder<br />

an eine Hauswand gesprüht.<br />

Am 17. Dezember 2011, während der<br />

ersten Proteste in Ägypten, nahmen<br />

Soldaten eine Frau fest, rissen ihr dabei<br />

das Kleid vom Körper und schleiften<br />

sie hinter sich her. Auf den Bildern dieser<br />

Szene zeigte sich ihr blauer BH, seither<br />

wurde er zu einem Symbol der<br />

Revolution.<br />

In ihrer Kunst ist Chawaf eine<br />

„weibliche Sichtweise auf arabischwestliche<br />

Lebensweisen“ wichtig, der<br />

Ein blauer BH<br />

wurde zum<br />

wiederkehrenden<br />

Motiv.<br />

Kampf um ein freies, selbstbestimmtes<br />

Leben war schließlich auch Teil ihrer<br />

eigenen Rebellion. Schon immer habe<br />

sie gewusst, dass sie Künstlerin werden<br />

wollte. In Syrien wurde sie jedoch zur<br />

Bauingenieurin ausgebildet, fühlte sich<br />

nicht frei, sondern eingeengt in einem<br />

korrupten System. Deshalb verließ sie<br />

vor den Protesten, vor dem Krieg, ihre<br />

Heimat. Sie erhielt ein Visum für die<br />

Vereinigten Staaten und sagte ihren Eltern,<br />

sie werde nur ein paar Monate<br />

FOTO OBEN: BAHIA SHEHAB<br />

48


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Die Ausstellung<br />

„Be With the Revolution. Streetart<br />

und Grafikdesign in den arabischen<br />

Protesten seit 2011“ ist noch bis<br />

zum 2.4.2023 im Museum für Kunst<br />

und Gewerbe zu sehen.<br />

dortbleiben, obwohl sie wusste, dass sie<br />

nicht zurückkehren wollte: in ein Land,<br />

in dem sie keine Zukunft für sich sah.<br />

Sie wollte ein Leben führen, das sie<br />

selbst für sich wählte.<br />

In den USA ließ sie sich ihr erstes<br />

Tattoo stechen, eine Fledermaus,<br />

die sie an die Nächte in Damaskus<br />

erinnert. Weil<br />

man ihr dort immer<br />

gesagt hatte, sie käme<br />

in die Hölle,<br />

wenn sie sich tätowieren<br />

ließe,<br />

schrieb sie darunter<br />

noch die Worte:<br />

„straight to hell“.<br />

Vor allem aber<br />

arbeitete Chawaf in den USA<br />

an ihrem Traum,<br />

Künstlerin zu<br />

werden. Sie<br />

bewarb sich<br />

am Maryland<br />

Institute College<br />

of Art, dreimal.<br />

Nicht weil sie nicht genommen worden<br />

wäre, einen Platz bot man ihr<br />

schon nach der ersten Bewerbung an.<br />

„Kostete nur leider 30.000 Dollar – pro<br />

Semester“, sagt Chawaf. Sie arbeitete<br />

in dieser Zeit als Kindermädchen, die<br />

Gebühr konnte sie sich nicht leisten.<br />

Ein Semester später bewarb sie sich<br />

noch mal, da bot das College ihr an,<br />

nur die Hälfte des Beitrags zu zahlen.<br />

Das war immer noch zu viel. Sie wartete<br />

noch ein Semester und bewarb sich<br />

Leichte Sprache:<br />

Es gibt den Text<br />

auch in Leichter<br />

Sprache. Scannen<br />

Sie den QR-Code<br />

mit dem Handy.<br />

Dann klicken Sie auf<br />

den Link. Der Text in Leichter Sprache<br />

öffnet sich. Oder Sie gehen auf unsere<br />

Webseite www.hinzundkunzt.de und<br />

suchen dort nach „Leichte Sprache“.<br />

www.huklink.de/<strong>354</strong>-leichte-sprache<br />

erneut. „Da bin ich richtig ausgerastet,<br />

habe riesige Bilder gemalt – und dann<br />

ein Stipendium bekommen“, erzählt<br />

sie. Ab 2002 lebte sie in Los Angeles,<br />

beklebte Wände mit ihren Postern und<br />

begann, ihren eigenen Stil zu finden.<br />

Nur eine der vielen Figuren, die<br />

Chawaf immer wieder zeichnet,<br />

klebt und tätowiert, hat übrigens<br />

einen Namen. Nuri<br />

heißt sie, eine weibliche Figur,<br />

die ein Kopftuch trägt,<br />

unter dem ein paar Haare<br />

hervorschauen. Im Museum<br />

findet man sie nun<br />

als Meerjungfrau. So<br />

klebte Chawaf sie<br />

2016 auf Hamburger<br />

Fassaden. Nuri, die<br />

mit ihrem<br />

Fischkörper<br />

schwimmen<br />

kann und so<br />

der Gewalt<br />

entkommt. Und<br />

die gleichzeitig an all die<br />

Menschen erinnern soll, die es<br />

nicht konnten, die seither auf ihrer<br />

Flucht vor Krieg und Gewalt im Mittelmeer<br />

ertrunken sind. •<br />

Anna-Elisa Jakob bekam von<br />

Hanadi Chawaf einen Sticker<br />

der wütenden Nuri mit ausgestreckten<br />

Mittelfingern<br />

geschenkt. Ideen für einen<br />

passenden Ort zum Aufkleben gerne an:<br />

annaelisa.jakob@hinzundkunzt.de<br />

10.08.22 – Mojo Club<br />

ONLY THE POETS<br />

12.08.22 – Gruenspan<br />

SEASICK STEVE<br />

15.08.22 – Mojo Club<br />

PERFUME GENIUS<br />

23.08.22 – Gruenspan<br />

ARIES<br />

24.08.22 – Uebel & Gefährlich<br />

MONO<br />

24.08.22 – Gruenspan<br />

NOAH CYRUS<br />

05.09.22 – Mojo Club<br />

PALACE<br />

06.09.22 – Laeiszhalle<br />

JON HOPKINS<br />

09.09.22 – Laeiszhalle<br />

URIAH HEEP<br />

15.09.22 – Mojo Club<br />

PHILIPP DITTBERNER<br />

17.09.22 – Mojo Club<br />

DURAND JONES & THE INDICATIONS<br />

20.09.22 – Fabrik<br />

KASALLA<br />

20.09.22 – Uebel & Gefährlich<br />

DANCE GAVIN DANCE<br />

22.09.22 – edel-optics.de Arena<br />

THREE DAYS GRACE<br />

26.09.22 – Laeiszhalle<br />

PETER BENCE<br />

26.09.22 – Laeiszhalle, kl. Saal<br />

TORD GUSTAVSEN TRIO<br />

26.09.22 – Gruenspan<br />

WELSHLY ARMS<br />

27.09.22 – Mojo Club<br />

ALEXA FESER<br />

29.09.22 – Markthalle<br />

DEAN LEWIS<br />

01.10.22 – Markthalle<br />

ÀSGEIR<br />

06.10.22 – Fabrik<br />

ILKA BESSIN<br />

06.10.22 – Markthalle<br />

OSCAR AND THE WOLF<br />

06.10.22 – Sporthalle<br />

ALAN WALKER<br />

06.10.22 – Barclays Arena<br />

BILLY IDOL<br />

07.10.22 – Markthalle<br />

DONAVON FRANKENREITER<br />

07.10.22 – Mojo Club<br />

LETTUCE<br />

08.10.22 – Elbphilharmonie, kl. Saal<br />

REBEKKA BAKKEN SOLO<br />

10.10.22 – Gruenspan<br />

GLUECIFER<br />

10.10.22 – Kampnagel / K6<br />

JOSÉ GONZÁLEZ<br />

11.10.22 – Laeiszhalle<br />

KLAUS HOFFMANN & BAND<br />

11.10.22 – Barclays Arena<br />

THE BLACK CROWES<br />

14.10.22 – Fabrik<br />

JAZZKANTINE<br />

49<br />

TICKETS: →(0 40) 4 13 22 60 → KJ.DE


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>354</strong>/AUGUST 2022<br />

„Tanz schafft<br />

Zugehörigkeit“<br />

Die Hamburger Choreografin Yolanda Morales<br />

spricht darüber, wie Bewegung helfen kann,<br />

soziale Verhältnisse zu verstehen.<br />

INTERVIEW: ANNABEL TRAUTWEIN<br />

FOTOS: STEFFEN BARANIAK, DIANA SANCHEZ (S. 51)<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Wieso ist es Ihnen wichtig,<br />

Leute zu Ihren Proben dazuzuholen, die<br />

eigentlich keine Tänzer:innen sind?<br />

Yolanda Morales: Mein erstes Ziel war,<br />

eine neue Verbindung zu unserem Publikum<br />

zu schaffen. Das war auch meinem<br />

Team ein Anliegen: Dass nicht nur<br />

unsere Kollegen kommen, sondern<br />

auch Personen aus ganz anderen Bereichen,<br />

die vielleicht nicht so häufig ins<br />

Theater gehen. Man denkt oft, dass<br />

Tanz etwas sehr Komplexes ist. Der<br />

kreative Prozess ist auch komplex, und<br />

was am Ende auf der Bühne zu sehen<br />

ist, sieht auch so aus. Das Bewegungs-<br />

Vokabular, mit dem ich als Choreografin<br />

arbeite, ist aber sehr reduziert. Das<br />

macht vieles einfacher.<br />

Lassen sich die Menschen, die Sie<br />

erreichen wollen, darauf ein, wenn sie<br />

sonst kaum Bezug zum Tanz haben?<br />

Wir wecken Interesse auch über das<br />

Thema – bei unserer Produktion „Horses“<br />

war unser Thema das Pferd als<br />

Machtsymbol im Kontext der kolonialen<br />

Geschichte Mexikos. Das Interesse<br />

daran teilten die Leute, die zu unseren<br />

Workshops kamen, egal was für einen<br />

Beruf sie haben oder womit sie sonst ihre<br />

Zeit verbringen. Oft sind zwar auch<br />

Studierende von der Contemporary<br />

Dance School Hamburg dabei, aber es<br />

melden sich auch Leute, denen es erst<br />

mal nur um das Thema geht. Durch die<br />

Bewegung kommt eine verbindende<br />

Ebene hinzu.<br />

Wie haben Sie sich im Workshop<br />

dem Thema Pferd angenähert?<br />

Wir haben zum Beispiel gefragt, welche<br />

Denkmäler den Leuten einfallen – da<br />

gibt es viele mächtige weiße Männer zu<br />

Pferd – und ob sie die körperlich nachmachen<br />

können. Dabei hat sich gezeigt,<br />

wie wir diese Monumente wahrnehmen.<br />

Wie wir die Pferde verkörpert haben (Yolanda<br />

Morales winkelt die Arme an, ballt die<br />

50<br />

Fäuste vor ihrer Webcam) – das wirkte sehr<br />

statisch, jemand hat geschrieben: martialisch.<br />

Das passt, denn das Pferd ist eine<br />

Machtdemonstration, es steht für Krieg.<br />

Indem wir das, was wir im Kopf haben,<br />

in Bewegung übersetzen, lernen wir, genauer<br />

wahrzunehmen.<br />

Was ist denn das Thema in Ihrer<br />

aktuellen Produktion „The Falling<br />

Garden of Sand“?<br />

Es geht um soziale Grenzen und Tanzstile,<br />

die innerhalb dieser Grenzen entstehen.<br />

Mich interessiert, wie Tanz<br />

Identität schafft, sich transformiert und<br />

Grenzen überwindet. Gerade bin ich in<br />

Monterrey im Norden von Mexiko.<br />

Hier wird in einigen Stadtvierteln, die<br />

eher benachteiligt sind, eine verlangsamte<br />

Form der Cumbia Columbiana<br />

getanzt. Es wird ganz anders getanzt als<br />

in Kolumbien, aber die Menschen hier<br />

beziehen sich darauf. Sie nennen sich<br />

„kleine Kolumbianer“. Der Tanz schafft


Zugehörigkeit und gibt den Menschen<br />

eine Identität, trotz der Diskriminierung,<br />

die sie als Einwohner ihres Stadtteils<br />

erfahren.<br />

Für „The Falling Garden of Sand“<br />

proben Sie mit Menschen, die nicht<br />

oder nur eingeschränkt hören können,<br />

und mit Hörenden zusammen.<br />

Wie sind Sie da rauf gekommen?<br />

Ich habe eine Cousine, die gehörlos ist.<br />

Da hatte ich viele Vorurteile und auch<br />

ein bisschen Angst, weil ich nicht wusste,<br />

wie ich mit ihr kommunizieren soll.<br />

Diese Grenze wollte ich überwinden.<br />

Wie haben Sie ihre Workshopteilnehmer:innen<br />

erreicht?<br />

Wir haben diesmal gezielt Menschen<br />

aus der gehörlosen Community eingeladen.<br />

Viele haben bisher nicht getanzt,<br />

es sind auch einige ältere Menschen dabei.<br />

Das finden wir superinteressant.<br />

Yolanda<br />

Morales probt<br />

bewusst auch<br />

mit Menschen,<br />

die eigentlich<br />

keine<br />

Tänzer:innen<br />

sind.<br />

Aus der Perspektive einer Hörenden<br />

gefragt: Wie funktioniert das überhaupt,<br />

tanzen ohne Musik?<br />

Angefangen haben wir in unserer<br />

Workshopreihe mit einer Gebärdendolmetscherin,<br />

die unsere Anweisungen<br />

übersetzt hat. Aber es gibt ja auch natürliche,<br />

innere Rhythmen, die jeder<br />

Mensch spürt – den Herzschlag zum<br />

Beispiel oder Vibrationen im Körper.<br />

Auch dazu können wir tanzen. Den<br />

Count, also das Zählen, können wir visuell<br />

machen. Durch diesen Prozess lernen<br />

wir als Team, wie wir andere Sinne<br />

als das Gehör mehr einbeziehen und<br />

mehr Aufmerksamkeit füreinander entwickeln<br />

können.<br />

Aufgeführt wird das Stück am Ende von<br />

Profitänzer:innen. Welchen Anteil haben<br />

die Laien dann noch daran?<br />

Die Personen kommen zur Aufführung<br />

und sehen eine Choreografie, die sie<br />

zum Teil kennen. Das ist auch für uns<br />

sehr schön. Sie nehmen ganz anders<br />

teil, weil sie wissen: Das habe ich selbst<br />

auch getanzt.<br />

Ihre Workshopreihe für Profis und Laien<br />

heißt „Moving Imaginative Bodies“.<br />

Was verstehen Sie unter „imaginären<br />

Körpern“?<br />

Es geht um die Vorstellung, wie sich unsere<br />

Körper unter bestimmten sozialen<br />

Bedingungen bewegen müssten. Ein<br />

Beispiel, so wie ich es auch meinem<br />

Team übersetzt habe, als wir für unsere<br />

Produktion „2666“ geprobt haben:<br />

Stellt euch vor, die Gewalt gegen weiblich<br />

sozialisierte Körper wäre so krass,<br />

dass sie immer wachsam sein und immer<br />

schneller reagieren müssten. Ich<br />

glaube übrigens, dass diese Körper, die<br />

wir uns da vorstellen, gar nicht so fiktiv<br />

sind. Wir kennen es vielleicht nicht, aber<br />

so etwas gibt es. Utopie, Dystopie und<br />

Realität liegen nah beieinander. •<br />

annabel.trautwein@hinzundkunzt.de<br />

Die Workshops „Moving Imaginative Bodies“<br />

laufen von <strong>August</strong> bis November.<br />

Nächste Termine: Fr + Sa, 26.+27.8.,<br />

jeweils 18–21 Uhr im MARKK, Rothenbaumchaussee<br />

64. Weitere Termine<br />

folgen im September und Oktober im<br />

MARKK und im Studio Alte Post.<br />

Infos: www.movingimaginativebodies.com<br />

Was Obdachlose<br />

wirklich brauchen,<br />

wissen Obdachlose<br />

am besten!<br />

Neu!<br />

Das Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Insiderwissen<br />

Spezial 2022: ab sofort bei den<br />

Hinz&Künztler:innen Ihres Vertrauens


Kult<br />

Tipps für den<br />

Monat <strong>August</strong>:<br />

subjektiv und<br />

einladend<br />

Aktionstag<br />

Planet ohne Plastik<br />

Mit bloßem Auge oft kaum zu sehen,<br />

aber überall zu finden: Mikroplastik<br />

treibt in den Meeren, schwebt in der<br />

Luft, zirkuliert durch unsere Blutbahn.<br />

Am tiefsten Punkt der Erde, in der Antarktis<br />

– es gibt kaum einen Ort, der<br />

noch plastikfrei ist. Was bedeutet das<br />

Fies: Mikroplastik durchdringt unsere Umwelt. Ein Aktionstag<br />

im Stadtpark macht auf das Problem aufmerksam.<br />

für unseren Planeten? Wie wirkt Mikroplastik<br />

auf das Klima? Und vor allem:<br />

Wie lösen wir das Problem? Schlau machen<br />

können sich Kinder und Erwachsene<br />

beim Aktionstag „No Plastic Planet“<br />

im und um das Planetarium im<br />

Stadtpark. Draußen gibt es einen Spieleparcours,<br />

im Planetarium werden<br />

Filme an die Sternenkuppel projiziert.<br />

Los geht es mit dem 3-D-Film „Die<br />

Legende des Zauberriffs“. •<br />

Planetarium Hamburg, Linnering 1, So,<br />

14.8., 11–17 Uhr, Eintritt 0–13,50 Euro,<br />

www.stiftung-rüm-hart.de<br />

52


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Im Anschluss<br />

an die Parade<br />

zum Christopher<br />

Street<br />

Day steigt der<br />

Vogelball in<br />

Wilhelmsburg.<br />

Festival<br />

Volles Programm<br />

Nach zwei Jahren im Pandemie-Modus<br />

sind beim Kampnagel Sommerfestival<br />

alle Bühnen frei. Selten gab es<br />

so ein großes und vielfältiges Programm<br />

aus Tanz, Theater, Performance,<br />

bildender Kunst und Musik –<br />

und natürlich wird auch debattiert<br />

über Zustand und Wesen der Welt. •<br />

Kampnagel, Jarrestraße 20, 10.–28.8.,<br />

Eintritt 0–44 Euro, www.kampnagel.de<br />

FOTOS: CALIFORNIA ACADEMY OF SCIENCES VISUALIZATION STUDIO (S. 52), HELENA GOTZHEIN (S. 53 OBEN), UNIVERSAL PICTURES HOME ENTERTAINMENT (S. 53 UNTEN)<br />

Festivals<br />

Vogelgezwitscher und dröhnende Beats<br />

Zwei Jahre lang harrten sie aus in ihren Nestern, nun kehren die frivolen Federviecher<br />

zwitschernd und glitzernd in ihr natürliches Habitat zurück: Der Vogelball<br />

steigt wieder. Das elektronische Festival hat einige Größen der Hamburger<br />

Queer-Szene im Line-Up: Geraldine Schabraque, Lia ahin, Thord1s und viele<br />

andere feiern ihre Stimmenvielfalt auf dem Dockville-Gelände. Direkt nebenan<br />

geht es gleichzeitig tieftönend zur Sache, denn auch das Spektrum-Festival ist zurück.<br />

Gefeierte und aufstrebende Beatboys und -girls drehen die Bassboxen auf<br />

und lassen es krachen. „Wir haben unfassbar Bock“, schreiben die Macher:innen.<br />

Wer hat das nicht. •<br />

Vogelball/Spektrum, Alte Schleuse 23/Am Schlengendeich 12, Sa, 6.8., Vogelball ab 16<br />

Uhr, Eintritt 42 Euro, Spektrum ab 13 Uhr, Eintritt 65 Euro, vogelball.de und spektrum.ms<br />

Draußen<br />

Traumtänzer<br />

Jungs gehen zum Boxen, Mädchen zum<br />

Ballett: In der Welt, in der Billy aufwächst,<br />

sind die Geschlechterrollen klar<br />

geregelt. Für die schönen Künste ist eh<br />

wenig Platz im nordenglischen Durham,<br />

wo die Bergarbeiter streiken und immer<br />

wieder hart mit der Polizei aneinander<br />

geraten – so auch Billys Vater und Bruder,<br />

die dem Jungen mit Mühe und Not die<br />

Boxstunde finanzieren. Doch als die Boxgruppe<br />

ihre Turnhalle mit einer Ballettklasse<br />

teilen muss, wechselt Billy heimlich<br />

vom Ring an die Stange. Sein Vater ist<br />

entsetzt und zunehmend hilflos. Was tun<br />

mit dem überbordenden Talent des Jungen?<br />

„Billy Elliot“ ist eine Geschichte<br />

über Selbstbehauptung und das Überwinden<br />

von Mauern im Kopf. Das Schanzenkino<br />

zeigt den Lieblingsfilm Open Air. •<br />

Sternschanzenpark, Fr, 12.8., 21.15 Uhr,<br />

Eintritt frei, www.filmfesthamburg.de<br />

Ein paar Ballettschuhe und ein eiserner<br />

Wille: Billy Elliot kämpft sich durch.<br />

Konzert<br />

Musik für Herz und Hirn<br />

Wenn WIM singt, würden wohl viele<br />

am liebsten mitschreiben. So denkwürdig<br />

sind ihre Texte, dass sie es verdient<br />

hätten, in Ruhe nachgelesen zu<br />

werden. Tiefgang hat ihre Musik und<br />

klingt doch wunderbar leicht. •<br />

Draussen im Grünen, Musikpavillon<br />

Planten un Blomen, Jungiusstraße, Mi,<br />

10.8., 19.30 Uhr, Eintritt 20,80 Euro<br />

(VVK), www.draussenimgruenen.de<br />

Film<br />

Motorrad-Doku aus der Ukraine<br />

Ein altes sowjetisches Motorrad und<br />

ein Traum: Dafür leben Nazar und<br />

Maksym quasi in ihrer Garage. Die<br />

beiden Ukrainer wollen die schnellste<br />

IZH 49 aller Zeiten bauen. Auf einem<br />

ausgetrockneten Salzsee in Utah<br />

lassen sie es darauf ankommen. Die<br />

Doku „Salt from Bonneville“ läuft im<br />

Rahmen der „Art Meetings“, bei denen<br />

Kulturschaffende aus der Ukraine<br />

unterstützt werden. •<br />

Brakula, Bramfelder Chaussee 265, Do,<br />

11.8., 20 Uhr, Eintritt frei, Spende erbeten,<br />

www.brakula.de<br />

Vortrag<br />

Gedenken an Antifaschisten<br />

Sie galten als „wehrunwürdig“ – bis<br />

die Nazis den Krieg zu verlieren begannen.<br />

Ein Rundgang erinnert an<br />

deportierte Antifaschisten, die heute<br />

fast vergessen sind. •<br />

denk.mal Hannoverscher Bahnhof, Lohseplatz<br />

1, So, 14.8., 16 Uhr, Eintritt frei,<br />

www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de<br />

53


Theater<br />

Agent Wow auf Schurkenjagd<br />

Der Kampf Gut gegen Böse geht weiter!<br />

Mit ihrer Produktion „Megazorn 2:<br />

Psychological Warfare“ schickt das Ensemble<br />

Sexy Theater Menschen seinen<br />

desorientierten Helden Agent Wow auf<br />

den Hindukusch, wo er die Werte der<br />

liberalen Marktdemokratie verteidigen<br />

soll. Das mit dem Verteidigen versteht<br />

Wow, aber gegen wen eigentlich? Und<br />

wieso ist vom liberalen Markt auf dem<br />

Hindukusch nicht die geringste Spur zu<br />

finden? Nicht mal Gentrifizierung gibt<br />

es da! Wow ist verwirrt. Dabei war sein<br />

Feindbild doch eigentlich ganz klar.<br />

Wild entschlossen, den Oberbösewicht<br />

Megazorn und seinen kleinen Bruder<br />

Wutboy ein für allemal zu eliminieren,<br />

macht er sich auf die Suche. Wie beim<br />

Vorgängerstück „Das autoritäre Zeitalter<br />

des Megazorns“ destillieren die Sexy<br />

54<br />

Bunt, grell, intellektuell: Die Sexy Theater Menschen stellen<br />

unser gesellschaftliches Selbstverständnis auf die Probe.<br />

Theater Menschen aus wissenschaftlichen<br />

Diskursen einen dichten Text, der<br />

in absurder Übersteigerung und computerspielhafter<br />

Ästhetik auf die Bühne<br />

kommt. Ein Stück, bei dem das Lachen<br />

in den Hirnzellen stecken bleibt. •<br />

Sprechwerk, Klaus-Groth-Straße 23,<br />

Fr+Sa, 19.+20.8., jeweils 20 Uhr,<br />

Eintritt 20,50/12,80 Euro (VVK),<br />

www.sprechwerk.hamburg


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Kinofilm des Monats<br />

Musik<br />

schwarz-weiß<br />

FOTOS: OLIVER FANTITSCH/WWW.FANTITSCH.DE (S. 54), KLAPPE AUF! KURZFILMFESTIVAL (S. 55 OBEN), PRIVAT (S. 55 UNTEN)<br />

Festival<br />

Filme ohne Limit<br />

Infoabend<br />

Erbschaften für alle<br />

Wer hat, der gibt – das klingt erst mal<br />

fair. Solange es nicht um Erbschaften<br />

geht. Denn da läuft es meistens so:<br />

Wenige Erben, die oft schon in Wohlstand<br />

aufgewachsen sind, profitieren<br />

von üppigen Nachlässen. Die Mehrheit<br />

geht leer aus. Ginge das nicht<br />

auch anders? Doch, sagen die<br />

Gründer:innen von „Ein Erbe für<br />

Jeden – Stiftung für Chancengleichheit“.<br />

Sie haben sich ein Modell überlegt,<br />

bei dem alle zum 30. Geburtstag<br />

ein Startkapital von 20.000 Euro bekommen<br />

könnten – finanziert durch<br />

eine Abgabe auf hohe Erbschaften.<br />

Bis die Idee umgesetzt wird, verlost die<br />

Stiftung jährlich drei Grunderbschaften.<br />

2022 können sich Menschen aus<br />

Hamburg-Nord bewerben. Wie das<br />

geht, wird beim Infoabend erläutert. •<br />

ella Kulturhaus Langenhorn, Käkenflur 30,<br />

Do, 25.8., 20 Uhr, Eintritt frei,<br />

www.mookwat.de/ella-kulturhaus<br />

Im Kinosaal ist jede:r anders –<br />

dem trägt das Filmfestival<br />

„Klappe auf“ Rechnung.<br />

Das gibt es nur in Hamburg: Beim „Klappe auf!“-Festival werden alle Filme mit<br />

Untertiteln und Audiodeskription gezeigt, sodass auch gehörlose oder blinde<br />

Menschen das Programm genießen können. Mithilfe des „Klappomats“ können<br />

Festivalgäste eigene Audiodeskriptionen erstellen. Das Motto des Festivals ist<br />

„Achterbahn“. Aus 2500 Kurzfilmen wurden die besten 34 ausgewählt. •<br />

Metropolis Kino, Dammtorstraße 10, Fr–So, 26.–28.8., Festivalpass 20/15 Euro,<br />

www.klappe-auf.com<br />

Konzert<br />

Himmel voller Geigen<br />

Das Ensemble Resonanz und die<br />

Hanseatische Materialverwaltung laden<br />

wieder ein zu „Hans Resonanz“.<br />

In der funkelnden Kulisse des<br />

Sonnendecks am Oberhafen spielt<br />

das Kammerorchester die 100. Folge<br />

seiner Reihe „urban string“. Jazzgeiger<br />

Friedmar Hitzer und<br />

Schlagzeuger Dirk Rothbrust spielen<br />

Bartók, Country und finnische Fiedelmusik,<br />

dazu ein kosmopolitisches<br />

DJ-Set von Aldi und Kalle. •<br />

Hanseatische Materialverwaltung,<br />

Stockmeyerstraße 41–43, Sa, 20.8.,<br />

19 Uhr, Eintritt 16,75/11,50 Euro (VVK),<br />

www.ensembleresonanz.com<br />

Über Tipps für September freut sich<br />

Annabel Trautwein.<br />

Bitte bis zum 10.8. schicken an:<br />

kult@hinzundkunzt.de<br />

Im Sommer 1993 durfte ich<br />

für Hinz&<strong>Kunzt</strong> eine Reportage<br />

schreiben über Willy<br />

Sommerfeld, den Stummfilm-­Pianisten.<br />

Ein Erlebnis,<br />

das mich nachhaltig geprägt<br />

hat. Sommerfeld, damals so<br />

um die 90 Jahre alt, begleitete<br />

in deutschen Programmkinos<br />

Stummfilme am Piano.<br />

Auch in Hamburg. Spontan<br />

und intuitiv aus dem Handgelenk.<br />

Keine Noten. Keine<br />

Vorbereitung. Mit viel Witz<br />

und Selbstironie erzählte<br />

Sommerfeld mir damals seine<br />

Lebensgeschichte,<br />

schwärmte vom Privileg, sein<br />

Geld mit dem verdienen zu<br />

dürfen, das er am meisten<br />

liebt, und von der großen<br />

Kraft der Improvisation.<br />

Kurz: Er schaffte es, dass ich<br />

stundenlang die Klappe hielt.<br />

Im Dezember 2007 starb<br />

Willy Sommerfeld mit 103<br />

Jahren nach einem turbulenten<br />

und ziemlich glücklichen<br />

Leben. Am 12. <strong>August</strong> kann<br />

man sich in der Elbphilharmonie<br />

nun einen anderen<br />

Eindruck von der Magie musikbegleiteter<br />

Stummfilme<br />

machen. Und das gleich mit<br />

einem ganzen Ensemble-<br />

Orchester um Wolfgang Mitterer<br />

– einem der wichtigsten<br />

zeitgenössischen Komponisten<br />

Österreichs. Mitterer hat<br />

das Psychodrama „Phantom“<br />

neu vertont und verspricht<br />

ein rauschhaftes Erlebnis.<br />

Ob dieses sorgsam<br />

durchgetaktete Konzert mit<br />

Willy Sommerfeld mithalten<br />

kann? Ich werde da sein und<br />

es herausfinden. •<br />

André Schmidt<br />

geht seit<br />

Jahren für uns<br />

ins Kino.<br />

Er arbeitet in der<br />

PR-Branche.<br />

55


scher Schrebergarten tatsächlich Punkrock<br />

sein? Immerhin gibt es vom sehr<br />

erfolgreichen Podcast „Und dann kam<br />

Punk“ inzwischen den Ableger „Und<br />

dann kam Kleingarten“ (absolute<br />

Hörempfehlung!).<br />

Ein großes Versprechen<br />

des Punks ist das<br />

der Selbstermächtigung.<br />

Du kannst nur ein bisschen<br />

Gitarre spielen, es<br />

reicht gerade mal für drei<br />

Akkorde? Kein Problem,<br />

gründe einfach eine Band<br />

und werde berühmt damit!<br />

Ganz egal, ob man<br />

sie uns zutraut, wir<br />

Punkrocker:innen bringen<br />

uns die Dinge selbst<br />

bei und lassen uns durch<br />

nichts beirren. Das Motklein<br />

gartenlife<br />

#10<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Punkrock oder piefig?<br />

Unser Gartenkolumnist hat<br />

eine klare Meinung.<br />

Wieso mein Garten<br />

Punkrock ist<br />

Schrebergärten als Ausdruck von Kleinbürgertum und<br />

Spießigkeit? Weit gefehlt, meint Gartenkolumnist<br />

Benjamin Laufer.<br />

TEXT: BENJAMIN LAUFER, FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK<br />

Wenn man sich wie ich eine Zeit lang in<br />

der Subkultur des Punks herumgetrieben<br />

hat, muss man den Rest des Lebens<br />

alles daran messen. „Ist das noch Punkrock?“<br />

ist die Frage, die fortan über allem<br />

steht und die man auf Biegen und<br />

Brechen mit „Ja“ beantworten will.<br />

Weil ein „Nein“ dem Eingeständnis<br />

gleichkäme, die eigenen Ideale verraten<br />

zu haben. Das mag Ihnen vielleicht komisch<br />

vorkommen, wenn Sie mit Punk<br />

vor allem Dosenbier und ungepflegte<br />

Haare verbinden – doch das würde<br />

dem Ganzen nicht gerecht. Punkrock<br />

ist mehr als Gitarrenmusik, er ist<br />

Lebenseinstellung und Attitüde.<br />

Eine dieser Entscheidungen, bei<br />

der ich mir die Frage nach der Vereinbarkeit<br />

mit meinen Idealen stellte, war<br />

die für eine eigene Kleingartenparzelle.<br />

Kann ein vermeintlich spießiger deut-<br />

56<br />

to „DIY or die!“ gilt auch im Schrebergarten:<br />

Was ich da nicht schon alles gemacht<br />

habe, obwohl ich vorher keine<br />

Ahnung davon hatte. Eine Gartenlaube<br />

bauen? Kann ich jetzt! Wer weiß, ob<br />

die Hütte ohne die Selbermachattitüde<br />

aus dem Proberaum von damals heute<br />

auf der Kolonie stehen würde. Dass sie<br />

an der einen oder anderen Ecke etwas<br />

windschief geraten ist – na und? Auch<br />

das ist eine wichtige Lehre aus Punkrockzeiten:<br />

Mir doch egal, was andere<br />

davon halten!<br />

Dann ist da noch die Sache mit den<br />

Regeln, auf die wir Punks generell<br />

allergisch reagieren. Davon gibt es im<br />

Schrebergarten eine ganze Menge, normiert<br />

in Bundeskleingartengesetz, Vereinssatzung<br />

und Gartenordnung. Wie<br />

sollen vorgeschriebene Heckenhöhen<br />

Punkrock sein, fragen Sie sich? Nun,<br />

gehen Sie mal sehenden Auges durch<br />

eine x-beliebige Kleingartenkolonie.<br />

Der regelkundige Blick wird unzählige<br />

Verstöße feststellen. Denn vielen<br />

Laubenpieper:innen sind die ganzen<br />

Vorschriften scheißegal. Vielleicht wissen<br />

sie es nicht, aber sie alle tragen den<br />

Punkrock im Herzen.<br />

Ich kann mich also beruhigt zurücklehnen<br />

und weiter schrebern, weil<br />

die Antwort auf die wichtigste Frage<br />

lautet: Selbstverständlich ist das alles<br />

noch Punkrock, und wie! •<br />

benjamin.laufer@hinzundkunzt.de<br />

Kleingartenpunk Benjamin Laufer bei der Arbeit


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Rätsel<br />

Befehlsform<br />

(Sprachlehre)<br />

Filmaufzeichnung<br />

(Kzw.)<br />

norddeutsch:<br />

Topf<br />

Turnübung,<br />

Nackenstand<br />

Anweisung<br />

zur<br />

Warenlieferung<br />

Fluss<br />

durch<br />

Gerona<br />

(Spanien)<br />

Schabeisen<br />

des<br />

Kammmachers<br />

Prophezeiung,<br />

Prognose<br />

niedere<br />

Wasserpflanze<br />

Straßenrandstreifen<br />

salopp:<br />

Zigarette<br />

afrikanische<br />

Kuhantilope<br />

den<br />

Ackerboden<br />

bearbeiten<br />

3<br />

9<br />

8<br />

1<br />

1<br />

1<br />

7<br />

5<br />

9<br />

2<br />

2<br />

5<br />

9<br />

franz.<br />

Modeschöpfer<br />

† 1957<br />

Dankgeschenk,<br />

Prämie<br />

3<br />

5<br />

4<br />

7<br />

5<br />

Hautfärbung<br />

elektroakustischer<br />

Baustein<br />

gescheit<br />

6<br />

8<br />

4<br />

6<br />

3<br />

4<br />

8<br />

6<br />

auf<br />

diese<br />

Weise<br />

Schifffahrtsstraße<br />

Labsal,<br />

Linderung<br />

Farbschaber<br />

(Druckereiwesen)<br />

dumme,<br />

törichte<br />

Handlung<br />

5<br />

8<br />

3<br />

6<br />

Erdbearbeitungsgerät<br />

Gesteinskundler<br />

Unterwelt<br />

der<br />

griech.<br />

Sage<br />

schluchtartiges<br />

Engtal in<br />

Gebirgen<br />

größter<br />

dt. Sportverband<br />

(Abk.)<br />

Moderfleisch<br />

Jugendlicher<br />

Göttin<br />

griech.<br />

(Kurzwort)<br />

der Zwietracht<br />

8<br />

2<br />

4<br />

3<br />

AR0909-1219_6sudoku<br />

deutsche<br />

TV-Moderatorin<br />

(Anne)<br />

englisch:<br />

Mädchen<br />

Stadt an<br />

der Etsch<br />

(Italien)<br />

dt.<br />

Privat-<br />

TV-Sender<br />

(Abk.)<br />

italienisch:<br />

Herrin,<br />

Frau<br />

Mosel-<br />

Zufluss<br />

bei Konz<br />

Strom<br />

zum Balchaschsee<br />

das Ich<br />

(Philosophie,<br />

Psychol.)<br />

Kurzform<br />

von:<br />

Maria<br />

deutscher<br />

Schauspieler<br />

(Walter) †<br />

Ältestenrat<br />

übel,<br />

schlecht<br />

Vorname<br />

der<br />

Dagover<br />

† 1980<br />

Füllen Sie das Gitter<br />

so aus, dass die Zahlen<br />

von 1 bis 9 nur je einmal<br />

in jeder Reihe, in jeder<br />

Spalte und in jedem<br />

Neun-Kästchen-Block<br />

vorkommen.<br />

Als Lösung schicken<br />

Sie uns bitte die farbig<br />

gerahmte, unterste<br />

Zahlenreihe.<br />

Lösungen an: Hinz&<strong>Kunzt</strong>, Minenstraße 9, 20099 Hamburg,<br />

per Fax an 040 32 10 83 50 oder per E-Mail an info@hinzundkunzt.de.<br />

Einsendeschluss: 26. <strong>August</strong> 2022. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.<br />

Wer die korrekte Lösung für eines der beiden Rätsel einsendet, kann<br />

zwei Karten für die Hamburger Kunsthalle gewinnen oder eines von<br />

drei Büchern „Das Watt“ von Karsten Reise (KJM Buchverlag).<br />

Das Lösungswort des Juli-Kreuzwort rätsels war: Ersatzmann.<br />

Die Sudoku-Zahlenreihe lautete: 324 857 169.<br />

6<br />

3<br />

1<br />

7<br />

5<br />

7<br />

4<br />

8<br />

9<br />

9<br />

1<br />

10<br />

7<br />

10<br />

12196 – raetselservice.de<br />

Impressum<br />

Redaktion und Verlag<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH<br />

Minenstraße 9, 20099 Hamburg<br />

Tel. 040 32 10 83 11, Fax 040 32 10 83 50<br />

Anzeigenleitung Tel. 040 32 10 84 01<br />

E-Mail info@hinzundkunzt.de, www.hinzundkunzt.de<br />

Herausgeber<br />

Landespastor Dirk Ahrens, Diakonisches Werk Hamburg<br />

Externer Beirat<br />

Prof. Dr. Harald Ansen (Armutsexperte HAW Hamburg),<br />

Mathias Bach (Kaufmann), Dr. Marius Hoßbach (Korten Rechtsanwälte AG),<br />

Olaf Köhnke (Ringdrei Media Network),<br />

Karin Schmalriede (ehemals Lawaetz-Stiftung, i.R.),<br />

Dr. Bernd-Georg Spies (Spies PPP),<br />

Alexander Unverzagt (Medienanwalt), Oliver Wurm (Medienberater)<br />

Geschäftsführung Jörn Sturm<br />

Redaktion Lukas Gilbert (lg, stellv. CvD, V.i.S.d.P. für den Titel, Gut&Schön,<br />

Freunde, Buh&Beifall, <strong>Kunzt</strong>&Kult, den Schwerpunkt), Ulrich Jonas (ujo,<br />

V.i.S.d.P. für das Editorial, die Zahlen des Monats, das Stadtgespräch), Annette<br />

Woywode (abi, CvD, V.i.S.d.P. die Momentaufnahme), Benjamin Laufer (bela),<br />

Anna-Elisa Jacob (aej), Jonas Füllner (jof), Simone Deckner (sim), Kirsten<br />

Haake (haa), Misha Leuschen (leu), Annabel Trautwein (atw)<br />

Online-Redaktion Benjamin Laufer (CvD), Jonas Füllner, Lukas Gilbert<br />

Korrektorat Christine Mildner, Kerstin Weber<br />

Redaktionsassistenz Cedric Horbach, Sonja Conrad,<br />

Anja Steinfurth, Inken Kahlstorff<br />

Artdirektion grafikdeerns.de<br />

Öffentlichkeitsarbeit Sybille Arendt, Friederike Steiffert<br />

Anzeigenleitung Sybille Arendt<br />

Anzeigenvertretung Gerald Müller,<br />

Wahring & Company, Tel. 040 284 09 418, g.mueller@wahring.de<br />

Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 27 vom 1. Januar 2022<br />

Vertrieb Christian Hagen (Leitung), Gabor Domokos, Meike Lehmann,<br />

Sergej Machov, Frank Nawatzki, Reiner Rümke, Marcel Stein,<br />

Cornelia Tanase, Silvia Zahn, Janina Marach, Marco Steinfeldt<br />

Spendenmarketing Gabriele Koch<br />

Spendenverwaltung/Rechnungswesen Susanne Wehde<br />

Sozialarbeit Jonas Gengnagel, Isabel Kohler, Irina Mortoiu<br />

Das Stadtrundgang-Team Chris Schlapp<br />

Das BrotRetter-Team Stefan Calin, Fred Houschka, Mandy Schulz<br />

Das Team von Spende Dein Pfand am Airport Hamburg<br />

Uwe Tröger, Klaus Peterstorfer, Herbert Kosecki, Andrzej Fidala<br />

Litho PX2 Hamburg GmbH & Co. KG<br />

Produktion Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />

Druck und Verarbeitung A. Beig Druckerei und Verlag,<br />

Damm 9–15, 25421 Pinneberg<br />

QR Code ist ein eingetragenes Warenzeichen von Denso Wave Incorporated<br />

Leichte Sprache capito Hamburg, www.capito-hamburg.de<br />

Spendenkonto Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

IBAN: DE56 2005 0550 1280 1678 73<br />

BIC: HASPDEHHXXX<br />

Die Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH mit Sitz in Hamburg ist durch den aktuellen<br />

Freistellungsbescheid bzw. nach der Anlage zum Körperschaftssteuerbescheid<br />

des Finanzamts Hamburg-Nord, Steuernummer 17/414/00797,<br />

vom 15.3.2021 für das Jahr 2019 nach § 5 Abs.1 Nr. 9 des Körperschaftssteuergesetzes<br />

von der Körperschaftssteuer und nach § 3 Nr. 6<br />

des Gewerbesteuergesetzes von der Gewerbesteuer befreit.<br />

Geldspenden sind steuerlich nach §10 EStG abzugsfähig.<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist als gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH im<br />

Handelsregister beim Amtsgericht Hamburg HRB 59669 eingetragen.<br />

Wir bestätigen, dass wir Spenden nur für die Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

einsetzen. Adressen werden nur intern verwendet und nicht an Dritte<br />

weitergegeben. Beachten Sie unsere Datenschutzerklärung, abrufbar auf<br />

www.hinzundkunzt.de. Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist ein unabhängiges soziales Projekt, das<br />

obdachlosen und ehemals obdachlosen Menschen Hilfe zur Selbsthilfe bietet.<br />

Das Magazin wird von Journalist:innen geschrieben, Wohnungslose und<br />

ehemals Wohnungslose verkaufen es auf der Straße. Sozialarbeiter:innen<br />

unterstützen die Verkäufer:innen.<br />

Das Projekt versteht sich als Lobby für Arme.<br />

Gesellschafter<br />

Durchschnittliche monatliche<br />

Druckauflage 2. Quartal 2022:<br />

55.000 Exemplare<br />

57


Momentaufnahme<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>354</strong>/AUGUST 2022<br />

„Mir ham’ se<br />

nichts geschenkt“<br />

Dieter, 72, hat seinen Stammplatz vor Rewe in Geesthacht.<br />

TEXT: ANNETTE WOYWODE; FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

Eigentlich steht Dieter montags nie auf<br />

seinem Stammplatz. Neulich zum ersten<br />

Mal. „Da hat eine Kundin gefragt:<br />

,Wieso bist du heute hier?‘“, erzählt der<br />

Hinz&Künztler. „Ich hab geantwortet:<br />

‚Ich muss Geld verdienen!‘ Da sagt sie:<br />

,Oh, das ist ja schön!‘“ Dieter lacht –<br />

und freut sich. Einen richtig guten<br />

Draht habe er zu seiner Kundschaft in<br />

Geesthacht. „Die wollen mich da nicht<br />

missen.“ Dann wird er ernst: „Den Weg<br />

dorthin von meiner Wohnung in Lohbrügge<br />

schaffe ich bald nicht mehr.“<br />

Obwohl man es dem 72-Jährigen<br />

nicht ansieht: Dieter kämpft mit seiner<br />

Gesundheit. Von schwerer körperlicher<br />

Arbeit sind seine Knie kaputt. Zum Gehen<br />

braucht er einen Rollator. Er hat<br />

Diabetes und chronische Bronchitis. All<br />

das hat ihn nicht umgehauen. Aber<br />

2005 bekam er die Diagnose Makuladegeneration.<br />

Noch erkennt er schemenhaft<br />

Köpfe und Umrisse. Aber<br />

nicht mehr lange, dann wird er vollständig<br />

blind sein.<br />

Dieter stammt aus Neuruppin in Brandenburg.<br />

Schon immer hatte er Probleme<br />

mit Obrigkeiten. 1972 – mit 22 Jahren<br />

– versuchte er, aus der DDR zu<br />

fliehen. Er wurde gefasst. Zu seiner<br />

Aversion gegen den Staat kam sein<br />

lockeres Mundwerk. „Bei der Gerichtsverhandlung<br />

habe ich zum Staatsanwalt<br />

gesagt: ‚Machen Sie doch mal<br />

das Fenster auf, dann kommt bisschen<br />

Gerechtigkeit rein‘“, erzählt Dieter. Er<br />

wurde zu vier Jahren und sechs Monaten<br />

Knast verurteilt. „Mir ham’ se<br />

nichts geschenkt“, sagt er.<br />

Nach seiner Haftentlassung malochte<br />

er im Schlachthof und später auf<br />

einer Kolchose. Als ein Kollege 1979<br />

fragte, ob Dieter mit ihm einen Fluchtversuch<br />

wagen würde, machte er mit.<br />

Über Ungarn glückte der Plan diesmal.<br />

Dieter verschlug es nach Hamburg.<br />

Hier arbeitete er wieder im Schlachthof.<br />

Als er Stress mit seinem Chef<br />

bekam, verlor er den Job und die vom<br />

Unternehmen gestellte Wohnung. Die<br />

für ihn viel zu hohe Miete hatte Dieter<br />

da schon länger nicht mehr bezahlt.<br />

„Ich hab das sausen lassen“, gibt er zu.<br />

Und Alkohol getrunken, „bis er mir aus<br />

den Ohren rausgekommen ist“.<br />

Im Winter 1994 wurde Dieter obdachlos<br />

– und erlebte mit, wie ein Kumpel<br />

erfror, „weil der sich so viel reingeschüttet<br />

hatte“. Ein Schock für Dieter,<br />

der daraufhin unbedingt runter wollte<br />

von der Straße. Eine Sozialarbeiterin<br />

half ihm, in einem Hotel unterzukommen.<br />

Von da schaffte er es zurück in<br />

eine eigene Wohnung und eine Festanstellung.<br />

Eines Tages rief ihn die<br />

Buchhaltung zu sich wegen einer Gehaltspfändung.<br />

Bei der Schuldnerberatung<br />

fragten sie ihn: „Weißt du überhaupt,<br />

wo und wie viele Schulden du<br />

hast?“ Dieter musste passen. „Geld hat<br />

mich nie interessiert“, sagt er. Es waren<br />

30.000 Euro.<br />

Heute ist Dieter zwar schuldenfrei.<br />

Aber als 2005 seine Augenprobleme<br />

begannen, wurde er arbeitsunfähig.<br />

Die geringe Frührente reichte hinten<br />

und vorne nicht. So kam er 2013 zu<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Bisher kam Dieter einigermaßen<br />

zurecht. Doch inzwischen<br />

liegt seine Sehkraft bei nur noch drei<br />

Prozent.<br />

Glück im Unglück: Die Krankenkasse<br />

hat die Kosten für eine Spezialbrille<br />

mit integriertem Computer übernommen.<br />

Gerade übt Dieter, sie per<br />

Handzeichen und mit seiner Stimme zu<br />

steuern. So kann er sich zum Beispiel<br />

Texte vorlesen lassen. „Ich kriege das<br />

schon hin mit dem Gerät“, ist Dieter<br />

zuversichtlich. „Der Optiker hat gesagt:<br />

,Ich werde dir alles beibringen.‘“ •<br />

annette.woywode@hinzundkunzt.de<br />

Dieter und alle anderen<br />

Hinz&Künztler:innen erkennt man<br />

am Verkaufsausweis.<br />

5723<br />

07/2025<br />

58


Stiftung Historische Museen Hamburg<br />

Museum für Hamburgische Geschichte Holstenwall 24 • 20355 Hamburg


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