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Das Hamburger<br />
Straßenmagazin<br />
N O <strong>273</strong><br />
11.15<br />
2,20 Euro<br />
Davon 1,10 Euro<br />
für unsere Verkäufer<br />
Die Rampensau<br />
Charly Hübner über seine Kindheit in der DDR, seinen<br />
Ärger über Pegida und seinen Ruhepol: die Elbe
Die neue Ausgabe: Jetzt am Bahnhofskiosk, auf<br />
greenpeace-magazin.de oder telefonisch unter<br />
040 / 808 12 80 - 80. Auch im günstigen Jahresabo<br />
für nur 33,50 Euro mit exklusiven Prämien.<br />
Im Recyclingparadies Deutschland<br />
wachsen die Müllberge<br />
KLIMA: VORDENKER FÜR NACHMACHER – GRÜNE ERFINDUNGEN<br />
LANDWIRTSCHAFT: IMPORTSKLAVEN FÜR EXPORTGEMÜSE<br />
Foto: Jan Kornstaedt
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Inhalt<br />
Titel: Ob fürs Theater oder Fernsehen –<br />
CHARLY HÜBNER ist in jeder Rolle brillant.<br />
TITELBILD: DANIEL CRAMER<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
2,20 Euro haben Sie für diese Ausgabe bezahlt. Die Preiserhöhung war nach vier<br />
Jahren leider wegen steigender Kosten nötig. Dafür haben wir aber auch mehr zu<br />
bieten. Wir hoffen, Sie haben Freude daran. Wir sind begeistert von unserem neuen<br />
Cover mit festerem Papier und dem Schauspieler Charly Hübner vorne drauf. Wir<br />
haben mit ihm über seine Kindheit in der DDR, seine Familie und Pegida gesprochen<br />
(Seite 46). Stolz sind wir auf unsere neue Serie: die Stadt-Expedition (Seite 17).<br />
Die haben sich übrigens unser Geschäftsführer Jens Ade und Vertriebsleiter Christian<br />
Hagen ausgedacht. Die monatlichen Touren passen prima zu uns: Niemand kennt<br />
Hamburgs Straßen besser. Auftakt ist eine Street-Art-Tour, bei der Sie uns sogar treffen<br />
können. Und wir starten mit Gut&Schön (Seite 4/5): mit kleinen, positiven Meldungen.<br />
Mehrere grüne Kolumnen (Seiten 5, 11, 29) sind im Heft verteilt: Das können<br />
Interviews, kleine Geschichten oder auch Erlebnisse sein. Und jeden Monat<br />
stellen wir einen Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Koch und sein Rezept (Seite 56) vor.<br />
Ihr Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Team<br />
Stadtgespräch<br />
04 Gut&schön<br />
Nur gute Nachrichten aus unserer<br />
oft nicht schönen Welt<br />
06 Mitten unter uns<br />
Dieter, Victoria und Aleksander:<br />
Porträts von Menschen, die unter<br />
Hamburgs Brücken leben<br />
12 Zahl des Monats<br />
TTIP und die Pharma-Lobby<br />
14 Die Neue<br />
Begegnung mit der neuen Sozialsenatorin<br />
Melanie Leonhard<br />
Fotoreportage<br />
30 Äthiopierin auf Heimatbesuch<br />
Tiruye Mullat wurde in Berlin am<br />
Herzen operiert – nun sah sie ihr<br />
Dorf wieder<br />
Freunde<br />
42 Unter den Hammer<br />
Versteigerung bei Lauritz.com<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
46 Die Rampensau<br />
Schauspieler Charly Hübner<br />
06<br />
30<br />
22 Olympi-Ja?<br />
Zum Referendum: Interview mit<br />
HWWI-Chef Henning Vöpel –<br />
und andere Stimmen<br />
50 Leid trifft auf Liebe<br />
Schubert-Abend für Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
52 20 Tipps für den <strong>November</strong><br />
FOTOS: MARKUS HUTH, LENA MAJA WÖHLER, MARTIN KATH<br />
26 Es hilft, nicht alleine zu sein<br />
Hinz&Künztler auf der Konferenz<br />
der Straßenkinder in Berlin<br />
38 Sprechende Mauern<br />
Jobcenter setzen auf Callcenter –<br />
zum Nachteil der Hilfesuchenden<br />
Stadtexpedition<br />
17 #1: Die Street-Art-Tour<br />
Unterwegs mit Alex Heimkind<br />
von der OZM-Galerie<br />
56 Köchin des Monats<br />
Beatrice Blank kocht Kürbis<br />
mit Bums<br />
58 Momentaufnahme<br />
Hinz&Künztler Reiner<br />
Rubriken<br />
5, 11, 29 Kolumnen<br />
16, 21 Meldungen<br />
44 Leserbriefe<br />
57 Rätsel, Impressum<br />
26<br />
Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk
Gängeviertel<br />
380 Genossen<br />
haben inzwischen 723 Anteile für die Gängeviertelgenossenschaft<br />
gezeichnet. Weitere 438<br />
Interessenten haben Anträge abgegeben, aber<br />
die Anteile in Höhe von insgesamt je 550 Euro<br />
noch nicht bezahlt. Die Genossenschaft<br />
benötigt allerdings gerade jetzt Geld, um das<br />
soziokulturelle Zentrum des Gängeviertels<br />
finanzieren zu können. Die „Fabrik“ eröffnet in<br />
diesem Monat. „Es geht jetzt ans Eingemachte“,<br />
sagt Vorstandsmitglied Claudia Pigors. Anfang<br />
Oktober hatte die Genossenschaft mit der<br />
Stadt den Mietvertrag unterzeichnet. BELA<br />
•<br />
Mehr Infos unter: www.das-gaengeviertel.info
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Gut&Schön<br />
Kolumne<br />
Die gute<br />
Nachricht<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE (2), KSM GMBH, WWW.WILLKOMMENSABC.DE, HANS-RUDOLF SCHULZ<br />
die Pfandregale zur Verfügung<br />
„Eine Grenze für faires Wirtschaften<br />
gibt es nicht.“ UJO<br />
gestellt, weil Sammler in die Tonnen<br />
nicht hineingreifen können. BELA<br />
•<br />
Mehr Infos: www.manomama.de<br />
•<br />
„Anfangs sind wir belächelt<br />
worden. Mittlerweile nimmt<br />
man uns ernst“, sagt Sina<br />
Bild des Monats<br />
Trinkwalder stolz. In nur<br />
fünf Jahren hat die 37-jährige<br />
ehemalige Werberin in Augsburg<br />
das erfolgreiche Sozial-<br />
Richard Gere auf der Straße<br />
Hollywoodstar undercover: In seinem neuen Film<br />
unternehmen „Mano mama“<br />
„Time out of Mind“ spielt Richard Gere einen<br />
aufgebaut. Dort verkauft sie<br />
Pullover, Hosen, T-Shirts und<br />
Obdachlosen. Bei den Vorbereitungen auf die Rolle<br />
Kleider, gefertigt aus regionalen<br />
Materialien und zu fairen<br />
haben ihn die Verkäufer von Straßenzeitungen besonders<br />
beeindruckt. „Diese Leute sind echte Helden.<br />
Bedingungen.<br />
Genäht werden die besonderen<br />
Kleidungsstücke<br />
Sie schaffen es, sich selbst aus einem tiefen Loch zu<br />
ziehen, weil sie Hilfe annehmen können“, sagt er. LEU/INSP<br />
•<br />
meist von Frauen, die auf<br />
dem Arbeitsmarkt keine<br />
Chance hatten, etwa weil sie<br />
älter sind oder schlecht ausgebildet.<br />
100 Pfandregale für die City<br />
Erleichterung für Pfandsammler:<br />
An 100 der insgesamt 150 Big-<br />
Belly-Mülleimern in der City wird<br />
die Stadtreinigung Pfandregale anbringen.<br />
50 sind bereits installiert<br />
Willkommens-Abc<br />
als Bilderbuch<br />
26 Buchstaben, 150 wichtige<br />
Wörter für den Alltag:<br />
Das Willkommens-Abc<br />
bietet mit schönen<br />
Illustrationen einen<br />
leichten ersten Zugang<br />
zur deutschen Sprache. Das<br />
ist vor allem für Flücht lings kinder<br />
und ihre Familien wichtig.<br />
Das Bilderbuch kann unter<br />
www.willkommensabc.de kostenlos<br />
als PDF, eBook und App heruntergeladen<br />
werden. 26 Illustratoren<br />
aus der arsEdition haben das Abc<br />
honorarfrei<br />
In anderen deut-<br />
schen Städten verdienen Näherinnen<br />
kaum Mindestlohn,<br />
bei „Manomama“ liegt der<br />
Lohn bei mindestens zehn<br />
Euro brutto die Stunde.<br />
„Meine Ladys“ nennt Sina<br />
Trinkwalder ihre inzwischen<br />
154 Mitarbeiterinnen<br />
gerne (unter ihnen sind auch<br />
einige Männer). Lieber überlegt<br />
sie, welche Aufträge zu<br />
ihnen passen könnten, als<br />
welche zu entlassen. Nun<br />
wird sie gleich doppelt ausgezeichnet:<br />
mit dem Bundesverdienstkreuz<br />
und dem Deutschen<br />
Fairness Preis. Die<br />
worden, so ein Sprecher der<br />
gestaltet.<br />
Umweltbehörde: „50 weitere werden<br />
LEU<br />
•<br />
Unternehmerin sieht das als<br />
derzeit beschafft.“ Der Senat hatte<br />
„Anerkennung“ – und tüftelt<br />
vor einem Jahr 100.000 Euro für<br />
an neuen Projekten, denn:<br />
5
Mitten<br />
unter uns<br />
Regen, Wind und Kälte – für viele Obdachlose<br />
bieten Brücken den einzigen Schutz. Die<br />
Fotografin Lena Maja Wöhler kennt zahlreiche<br />
der Hamburger Brückenbewohner. Bei<br />
ihren Besuchen holt die 28-Jährige manchmal<br />
die Kamera heraus – eine Annäherung.<br />
Bernah: Abendbrot aus der Alster<br />
Zeltlager unter der Kennedybrücke: Ein älterer Mann, von dem nur<br />
der Oberkörper aus einem Zelt schaut, isst einen Joghurt. Wir schauen<br />
uns neugierig an, und ich bleibe stehen. Der Anblick des Zeltes<br />
mit der strukturierten Ordnung eines Zuhauses fasziniert mich,<br />
ebenso wie sein Bewohner. Blumenzwiebeln stehen in einem Topf,<br />
daneben, ordentlich, ein Paar Sandalen. Ich möchte dem Mann nicht<br />
das Gefühl geben, eine Schaulustige zu sein, die einfach ein Foto<br />
von seinem Zuhause macht. Ich frage, ob ich eines machen darf und<br />
zeige auf meine Kamera. Er nickt und legt den Joghurt beiseite.<br />
Anschließend gehe ich zögerlich zu ihm. Ich biete ihm etwas von<br />
meinem Tabak an. Er nimmt das ganze Päckchen und steckt es in seine<br />
Hosentasche. Ich versuche unbeholfen, das Missverständnis aufzuklären.<br />
Sein Deutsch ist gebrochen, und als er versteht, lacht er und<br />
gibt mir den Tabak zurück. Dann steht er auf, nimmt seine Angel und<br />
6
setzt sich ans Ufer. Ich setze mich still neben den Fremden ans Wasser.<br />
Sein Name ist Bernah.<br />
Begeistert schaue ich zu, wie er seelenruhig die Angel auswirft.<br />
Er beginnt in einer Deutsch-Englisch-Polnisch-Sprache mir zu erzählen,<br />
dass er jeden Tag sein Abendbrot hier fängt. Er kommt aus Polen<br />
und ist dieses Jahr 70 geworden. Sein Rücken ist der Körperteil, der<br />
sich am meisten gegen das Zelten sträubt. In Hamburg sucht er Arbeit.<br />
Er ist gelernter Kirchenrestaurator. Doch meistens ist es nur eine<br />
Tagesbeschäftigung auf einer Baustelle, die sich ihm bietet. Erst am<br />
Ende unserer Unterhaltung erfahre ich, dass er einst alles verloren<br />
hat. Seine Frau und seine Kinder sind bei einem Unglück verstorben.<br />
Seitdem hält er es an einem Ort nicht mehr lange aus. Er mag das<br />
Gefühl eines „Zuhauses“ nicht. Zu sehr schmerzt die Vorstellung, es<br />
wieder zu verlieren. Die Frage, ob er sich trotzdem danach sehnt,<br />
stelle ich nur mir selbst und beantworte sie mir mit dem Bild von den<br />
liebevoll positionierten Blumenzwiebeln vor seinem Zelt.<br />
•<br />
7
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>273</strong>/ NOVEMBER <strong>2015</strong><br />
Dieter: Die Freiheit auf der Platte<br />
Ein Ausflug zur Kleinen Alster: Auf einer Mauer, die<br />
von der Sonne aufgewärmt ist, sitzt Dieter. Er ist 63<br />
Jahre alt und hat davon 30 Jahre auf der Platte verbracht.<br />
Viele Bücher könnte er mit seinen Geschichten<br />
füllen, aber dafür erzählt er sie zu ungern. Die<br />
meisten handeln von Enttäuschung und Verlust. Die<br />
Freiheit, die das Leben auf der Platte mit sich bringt,<br />
möchte er nicht missen. Diese Freiheit liebt er.<br />
Sein Tagesablauf ist geregelt: In der Woche<br />
steht er um 8 Uhr auf und geht zu Hinz&<strong>Kunzt</strong>, um<br />
seine Zeitungen für den Tag abzuholen. Sein Verkaufsplatz<br />
ist bei der U-Bahn-Station Rathaus, Ecke<br />
Mönckebergstraße, direkt vor SportScheck. Das ist<br />
ihm wichtig zu sagen, denn er verkauft nur wenige<br />
Zeitungen. Das liegt vielleicht an seiner ruhigen Art.<br />
Er stellt sich nicht gerne in den Vordergrund. Bis ungefähr<br />
18 Uhr steht er an seinem Platz. Dann geht es<br />
zurück nach Hause: in ein grünes Zwei-Personen-<br />
Zelt. Am Wochenende gibt es abends ein paar Bier.<br />
So vergehen die Wochen und Monate. Dieter<br />
sagt: „Es geht so lange, wie es geht“, und damit<br />
meint er das Leben auf der Platte und seine Angst,<br />
dass es irgendwann vielleicht nicht mehr geht. Er<br />
lädt mich zu einem Bier ein und erlaubt mir, ihn zu<br />
fotografieren. „Oh, gucke ich immer so grimmig?“<br />
Nachdenklich fügt er hinzu: „Vielleicht verkaufe ich<br />
deshalb so wenig Zeitungen.“ Dann lacht er. Das erkennt<br />
man daran, dass sein Rauschebart auf und ab<br />
wippt und seine blauen Augen schimmern.<br />
•<br />
Victoria: Leben als Mutprobe<br />
Victoria ist die erste Frau, die ich auf der Platte erlebe.<br />
Sie ist 17 Jahre alt und erzählt mir, dass es ja<br />
ganz logisch ist, dass es nicht viele Frauen auf der<br />
Straße gibt. Das Risiko von Gewalt und Vergewaltigung<br />
bringt viele dazu, bei Freunden oder Bekannten<br />
zu schlafen. So macht Victoria es selber. Zur<br />
Zeit schläft sie bei ihrem Freund Olli unter der<br />
Oberhafenbrücke.<br />
Victoria lebt auf der Straße, weil die neue<br />
Freundin ihres Vaters sie nicht mochte. Immer öfter<br />
gab es Streit. Irgendwann ist sie nicht mehr nach<br />
Hause gegangen. Wenn der Winter kommt, wollen<br />
Olli und sie zusammen in den Süden. „Vielleicht in<br />
Italien Platte machen …“, sagt sie und grinst.<br />
Letzte Woche ist sie von der Brücke in die Elbe<br />
gesprungen, daher der Verband am Fuß. Eine Mutprobe.<br />
Dann gehört man dazu. Olli will ihr zu ihrem<br />
18. Geburtstag ihren ersten eigenen Hund besorgen<br />
– als zusätzlichen Beschützer. „Dann wird noch<br />
mal alles anders.“ So wie sie es sagt, klingt es wie<br />
ein Versprechen. Ich nicke und gebe ihr meines:<br />
dass ich nur ein Foto von ihren Füßen mache.<br />
•<br />
8
Saitan: Romantiker und Casanova<br />
Ein Donnerstag, irgendwann im Sommer: Ich hatte von der Kersten-<br />
Miles-Brücke gehört, einem altbekannten Treffpunkt und Zuhause<br />
von Obdachlosen. Davon wollte ich mir ein Bild machen und fuhr hin.<br />
Ein Mann, der gerade Gitarre spielte, freute sich über meinen Besuch.<br />
Er stellte sich mir als Saitan vor. Den Namen hätten ihm Freunde gegeben,<br />
als Mischung aus seiner Gabe, wie der Satan Gitarre spielen zu<br />
können, und dem Wort „Saiten“.<br />
Saitan erzählte mir, wie er im letzten Winter in einer der Notunterkünfte<br />
Hamburgs Schutz vor der Kälte gesucht hatte. Eines Nachts<br />
klaute man ihm dort sein geliebtes Instrument. Daraufhin ging er so<br />
lange Pfandflaschen suchen, bis er sich eine gebrauchte Gitarre leisten<br />
konnte. Seine alte Gitarre aber sei wie eine schöne Frau an seiner<br />
Seite gewesen. Die Neue und er würden sich noch nicht vertrauen.<br />
Um das zu ändern, hatte er sich etwas einfallen lassen: Jeder, der an<br />
der Kersten-Miles-Brücke vorbeigeht und etwas in die Spendenbox<br />
wirft, bekommt von ihm ein spontan kreiertes Lied vorgespielt. Ich<br />
selbst konnte beobachten, wie er für eine Frau die Melodie von „Pretty<br />
Woman“ anstimmte und sang: „Schöne Frau im bunten Kleid, danke<br />
für deine Spende und genieß den Tag und die Sonnenstrahlen.“<br />
Ja, Saitan ist definitiv ein Romantiker und Casanova. Meinen<br />
Eindruck bestätigte er, als er mir erzählte, dass er in Ungarn sieben<br />
Kinder von vier unterschiedlichen Frauen habe. Er vermisse zwar die<br />
Kinder. Aber die Liebe zu Frauen, die gebe es für ihn nur noch in<br />
Gitarrenform.<br />
•<br />
9
Aleksander: Immer der<br />
Arbeit hinterher<br />
Zwei Betten, Stühle, Radio, ein kleines<br />
Schränkchen und ein gemaltes Bild – das<br />
Zuhause von Aleksander gleicht in seiner<br />
Großzügigkeit einem Loft und doch liegt es<br />
nur unter einer Brücke. Direkt an der Elbe mit<br />
ausreichend frischer Luft. Aleksander kommt<br />
aus Polen und wohnt dort zusammen mit seinem<br />
Freund Wiktor. Die beiden verkaufen direkt<br />
vor Ort Bücher, Schallplatten, DVDs und<br />
VHS-Kassetten. Den Preis bestimmt der<br />
Käufer selbst.<br />
Aleksander erklärt mir, dass es ihm wichtig<br />
sei, nicht zu betteln. Er möchte lieber tauschen.<br />
Er ist still und zurückgezogen, so mag<br />
er es am liebsten. Er erlaubt mir trotzdem,<br />
dass ich ein Foto von ihm mache. Intuitiv gehe<br />
ich ein paar Schritte zurück. Das Bild zeigt die<br />
10<br />
Distanz, die Aleksander gerne zu den Menschen<br />
wahrt.<br />
Immerhin erzählt er mir, dass sein Freund<br />
Wiktor gerade auf der Suche nach einem Job<br />
ist. Aleksander bleibt so lange beim Hab und<br />
Gut. Die beiden wechseln sich immer ab. Bald<br />
wollen sie weiterziehen. Die Brücke bietet<br />
nicht genug Schutz im Winter. „Milego Dnia“<br />
sagt Aleksander, was so viel heißt wie: „Schönen<br />
Tag noch.“<br />
•
Fünf Fragen an<br />
Maik Stolze<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Wie geht es Ihnen in Ihrem<br />
Minizuhause?<br />
MAIK STOLZE: Gut! Ich hab da ja alles drin. Elektroheizung<br />
und Strom von der Solaranlage auf<br />
dem Dach. Kochen tue ich auf einem Gaskocher<br />
und zum Duschen gehe ich in die Oase<br />
(Anm. der Red.: eine Obdachloseneinrichtung in Köln).<br />
Ist es nicht trotzdem ein bisschen zu eng?<br />
Wieso? Ich hab 1,47 Quadratmeter. Ich kann<br />
in meinem „Homer S <strong>2015</strong>“ schlafen, mich<br />
drehen und auch sitzen. Der Anhänger ist an<br />
der höchsten Stelle immerhin 1,30 Meter hoch.<br />
Wieso leben Sie überhaupt in diesem Wohnwagen?<br />
Ich hatte einen Herzinfarkt. Und danach<br />
konnte ich als Selbstständiger in meinem Job<br />
nicht mehr arbeiten. Vom Amt kam keine Hilfe,<br />
und meine Schulden wurden immer mehr.<br />
Irgendwann war mir klar, dass ich die Wohnung<br />
nicht halten kann. Zum Glück hatte ich<br />
damals einen Fahrradkeller. Da habe ich den<br />
Anhänger zusammengebaut. Ich bin ja gelernter<br />
Schlosser und Allroundhandwerker. Ich<br />
könnte ein ganzes Haus alleine bauen. So ist es<br />
erst mal der „Homer S <strong>2015</strong>“ geworden. Als<br />
der fertig war, bin ich aus der Wohnung raus.<br />
Die Texte zu Bernah und Co. haben wir gekürzt abgedruckt. Wer sich für<br />
die längeren Versionen und weitere Treffen mit Brückenbewohnern interessiert,<br />
kann unter www.hinzundkunzt.de/brueckenbewohner nachlesen.<br />
Lena Maja Wöhler, 28, hat Fotodesign und Fotojournalismus in Hamburg<br />
studiert. Seit 2013 arbeitet sie als freiberufliche Fotografin in den Bereichen<br />
Reportage-, Reise-, People- und Porträt-Fotografie.<br />
Für Hinz&<strong>Kunzt</strong> wird sie ab Dezember eine neue Serie betreuen:<br />
Hamburger Begegnungen. Dafür liefert sie Kurzporträts von Menschen<br />
wie du und ich. Mehr Infos über die Fotografin unter www.lenawoehler.com<br />
Wie haben Sie den Wohnwagen denn aus dem<br />
Fahrradkeller bekommen?<br />
Der wiegt ja nur 35 Kilo. Ich ziehe den mit<br />
dem Fahrrad hinter mir her. Momentan stehe<br />
ich aber auf dem Parkplatz vom Landschaftsverband<br />
Rheinland. Die Leute da sind sehr<br />
nett zu mir. Manchmal bringt mir sogar jemand<br />
Frühstück vorbei. Und in meinen kleinen<br />
Postkasten stecken mir die Kölner Fanpost<br />
rein. (lacht) Ich bin eine Touristenattraktion!<br />
Haben Sie keine Angst vorm Winter?<br />
Ich sehe das gelassen. Mein Homer ist voll isoliert.<br />
Momentan brauche ich nicht mehr. Das<br />
wird aber sicher nicht immer so bleiben. ABI<br />
•<br />
Maik Stolze, 46, lebt seit Juni in seinem Mini-Anhänger<br />
in Sichtweite zur Hohenzollernbrücke in Köln.<br />
FOTO: PICTURE ALLIANCE/DPA/OLIVER BERG<br />
11
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Zahlen des Monats<br />
TTIP: Die Macht der<br />
Pharma-Lobby<br />
40 Millionen<br />
Euro mindestens gibt die Pharma-Industrie jährlich für ihre Lobby-Arbeit in<br />
Brüssel aus, um die Gestaltung des Freihandelsabkommens TTIP nach ihren<br />
Wünschen zu beeinflussen. Bürgerinitiativen und Verbraucherschützern stehen<br />
dagegen nur 2,7 Millionen Euro im Jahr zur Verfügung. Das zeigt eine Studie<br />
zweier Nichtregierungsorganisationen, deren Autoren das Transparenzregister der<br />
Europäischen Union (EU) ausgewertet haben. Da die Angaben in dem Register<br />
freiwillig erfolgen, dürften die tatsächlichen Ausgaben deutlich höher liegen.<br />
Allein der größte Pharmaverband European Federation of Pharmaceutical<br />
Industries and Associations (EFPIA) steigerte seine Ausgaben zwischen 2011 und<br />
2014 fast um das Zehnfache: von rund 570.000 Euro auf fünf Millionen Euro<br />
jährlich. Laut Studie betreibt der Verband ein immer aggressiveres Lobbying<br />
bei Vertretern der Europäischen Union. Allein zwischen <strong>November</strong> 2014 und<br />
Mitte März <strong>2015</strong> trafen sich EFPIA-Lobbyisten mehr als 50-mal mit Vertretern<br />
der Europäischen Kommission.<br />
Die Pharmaindustrie versuche, die Auflagen bei der Entwicklung von Medikamenten<br />
zu beschränken, damit sie ihre Produkte schneller auf den Markt bringen<br />
und mehr Geld verdienen könne, so die Autoren. Dies sei aber nicht im öffentlichen<br />
Interesse, weil mit kürzeren Tests die Sicherheit auf der Strecke bleibe.<br />
Zudem versuchten die Lobbyisten den öffentlichen Zugang zu den Ergebnissen<br />
klinischer Studien zu beschränken, indem sie diese zu „Geschäftsgeheimnissen“<br />
erklärten. Auch sehe die Pharmaindustrie die Chance, im Rahmen des Freihandelsabkommens<br />
längere Monopole für ihre Medikamente zu erreichen und so<br />
höhere Preise zu erzielen. EU-Länder, die sich gegen längere Schutzfristen für<br />
Arzneimittel aussprechen, könnten von Konzernen auf entgangene Gewinne<br />
verklagt werden, so die Befürchtung der Autoren – vor den umstrittenen Internationalen<br />
Schiedsgerichten, die im Rahmen von TTIP eingeführt werden sollen.<br />
Die EU und die USA verhandeln seit 2012 über das Freihandelsabkommen TTIP.<br />
Befürworter versprechen sich davon wirtschaftliches Wachstum, Kritiker<br />
befürchten den Abbau sozialer und ökologischer Standards. •<br />
TEXT: ULRICH JONAS<br />
ILLUSTRATION: ESTHER CZAYA<br />
Mehr Infos im Internet unter www.huklink.de/powerlobby, www.huklink.de/eu-transparenzregister und www.huklink.de/ttip-kurzinfo<br />
13
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>273</strong>/ NOVEMBER <strong>2015</strong><br />
Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) war vorher eher<br />
Politikerin der ZWEITEN REIHE. Anerkennung hat sie sich im<br />
Untersuchungsausschuss zum Tod der kleinen Ya mur erarbeitet.<br />
Die Neue<br />
Die Historikerin und SPD-Bürgerschaftsabgeordnete<br />
Melanie Leonhard ist die Nachfolgerin von Polit-Profi Detlef Scheele (SPD).<br />
Eine erste Begegnung mit der neuen Sozialsenatorin.<br />
TEXT: BIRGIT MÜLLER; FOTO: DMITRIJ LELTSCHUK<br />
Das war ein Sprung ins kalte<br />
Wasser: Melanie Leonhard,<br />
bislang stellvertretende<br />
SPD-Landes- und stellvertretende<br />
Fraktionsvorsitzende, wurde<br />
am 1. Oktober als Nachfolgerin von Polit-Urgestein<br />
und Sozialsenator Detlef<br />
Scheele (SPD) vereidigt. Gerissen hat<br />
sich die Frau aus der zweiten Reihe<br />
nicht um den Job. Bis zum Schluss war<br />
unklar, ob die 38-jährige Historikerin<br />
zusagen würde, die größte Hamburger<br />
Behörde zu übernehmen. Zwei Wochen<br />
nach Amtsantritt besucht sie uns in der<br />
Altstädter Twiete. Die Bude ist voll. Sie<br />
wirkt so jung und natürlich, dass unser<br />
Mann am Kaffeetresen fast gefragt hätte:<br />
„Was willst du denn trinken?“<br />
Wie sie die ersten Tage erlebt hat,<br />
wollen wir wissen. Dass sie noch deutlich<br />
in der Findungsphase sei, räumt sie<br />
ein. „Vom Tag eins im Amt erkämpfe<br />
ich mir mein Wissen Tag für Tag.“ Und<br />
was reizt und befähigt die Expertin in<br />
14<br />
Sachen Familienpolitik für den Posten,<br />
mit dem sie oft im Fokus stehen wird?<br />
„Ich weiß, worum es in der Sozialpolitik<br />
geht“, sagt die gebürtige Wilhelmsburgerin<br />
mit Wohnsitz in Harburg. „Ich erlebe<br />
Themen ganz hautnah in meiner<br />
Nachbarschaft, die sich manche Kollegen<br />
erst von Menschen wie mir erzählen<br />
lassen müssen.“<br />
Und sie findet es „spannend, gerade<br />
in Zeiten wie diesen“, die Geschicke der<br />
Stadt mitzugestalten. Bedenken hatte sie
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
trotzdem. „Ich wollte eigentlich kein Politik-Mensch<br />
werden“, sagte sie neulich<br />
in einem Bild-Interview.<br />
Dass sie jetzt doch voll einsteigt,<br />
liegt mit Sicherheit auch daran, dass<br />
Olaf Scholz sie in die Verantwortung<br />
gedrängt hat. Scholz hatte sie sonderbar<br />
vorgestellt: Sie werde die Behörde mit<br />
der „notwendigen Klarheit und Härte<br />
führen“. Klarheit okay, aber Härte?<br />
„Wir überlegen,<br />
was wir besser<br />
machen können.“<br />
Vielleicht, weil er befürchtete, man könne<br />
sie nach Scheele – auch gern „Rambo“<br />
genannt – unterschätzen? „Das ist<br />
eine nicht so nette Hypothek, mit der<br />
ich da losgeschickt worden bin“, sagt sie<br />
unumwunden.<br />
Die Flüchtlinge sind jetzt natürlich<br />
ihr Hauptthema. „Das ist wirklich jeden<br />
Tag neu, jeden Tag schwierig“, sagt sie<br />
erwartungsgemäß. „Und damit verbunden<br />
– und das sage ich nicht nur, weil<br />
ich hier bin, sondern weil es Winter wird<br />
– das Thema Wohnungslosigkeit mit all<br />
seinen Facetten.“ Sie betont, dass ihr die<br />
Obdachlosen wichtig sind. „Ich war<br />
kaum sieben Minuten im Amt, da habe<br />
ich meine erste Rede gehalten – zum<br />
Winternotprogramm.“<br />
„Langfristig“ sieht Melanie Leonhard<br />
auch für die Obdachlosen eine Lösung:<br />
„Die Aufstockung des Wohnungsbauprogramms<br />
darf nicht ausschließlich<br />
Flüchtlinge in den Fokus nehmen“, sagt<br />
sie. „Wir müssen auch eine Zahl festschreiben<br />
für wohnfähige Obdachlose.<br />
Nur so können wir es schaffen, dass<br />
auch in den Unterkünften wieder Platz<br />
geschaffen wird.“<br />
Ein derartiges Programm ist neu,<br />
gerade erst mit der Stadtentwicklungssenatorin<br />
eingetütet. Eine der letzten<br />
Amtshandlungen von Detlef Scheele.<br />
Ebenso wie der Plan, sogenannte Lebensplätze<br />
einzurichten für Obdachlose,<br />
„bei denen wir uns nicht die Perspektive<br />
in die Tasche lügen, dass sie die Unterkunft<br />
wieder verlassen und in eine eigene<br />
Wohnung ziehen“, so Leonhard.<br />
Das Problem ist nur: Auch bei ihr<br />
geht es immer um eine zukünftige Unterbringung.<br />
Warum nicht sofort, indem<br />
man das Winternotprogramm gleich<br />
öffnet? „Nicht möglich“, sagt sie. „Das<br />
schaffen wir nicht.“<br />
Zeitweise hatte Leonhard sogar<br />
„Sorge, dass wir es (das Winternotprogramm;<br />
Anm. der Redaktion) nicht schaffen“.<br />
Sie sei froh, dass es jetzt 890 Plätze<br />
gibt, mehr als je zuvor. Der Grund: Die<br />
Kirchengemeinden stellen 140 Containerplätze,<br />
sonst waren es meist um 100.<br />
Sogar mehr Plätze für Frauen und Obdachlose<br />
mit Hunden kann Leonhard<br />
jetzt bereitstellen.<br />
Aber wo sollen die Obdachlosen<br />
tagsüber hin? Seit Jahren fordert die<br />
Obdachlosenhilfe, dass Menschen nicht<br />
morgens um 9 Uhr raus müssen und<br />
erst abends wiederkommen dürfen. Die<br />
Tagesaufenthaltsstätten (TAS) sind deshalb<br />
komplett überfordert. Der Bezirk<br />
Mitte hat sich schon für eine neue TAS<br />
in der City ausgesprochen.<br />
Auch in der Bürgerschaft wird das<br />
diskutiert. „Wir überlegen, was wir im<br />
nächsten Jahr besser machen können“,<br />
sagt Melanie Leonhard. Womöglich<br />
könne es auch schon in diesem Jahr kleine<br />
Verbesserungen geben. Beispielsweise<br />
eine stundenweise Öffnung am Wochenende.<br />
Für uns ist das zu wenig.<br />
„Es erfordert unsere ganze Anstrengung,<br />
die Obdachlosen nicht aus den<br />
Augen zu verlieren“, sagt sie. Nicht aus<br />
den Augen verlieren? Da kamen wir<br />
schon mit Detlef Scheele nicht auf einen<br />
Nenner. Wir wollen, dass die Menschen<br />
in Not klare Priorität haben und<br />
die Obdachlosen nicht gegen die Flüchtlinge<br />
ausgespielt werden. Weder ein<br />
Flüchtling noch ein Obdachloser sollte<br />
frieren oder draußen schlafen müssen.<br />
Aber auch von Melanie Leonhard<br />
gibt es dazu keine grundsätzliche Aussage.<br />
„Ich nehme Ihre Wünsche und Forderungen<br />
mit“, sagt sie. Im Moment<br />
denkt sie kleinteiliger. Nach dem Winter<br />
will sie sagen können: „Gemessen an<br />
In einem Jahr soll<br />
es gar keine Zelte<br />
mehr geben.<br />
den Bedingungen haben wir es gut hingekriegt.“<br />
Und in einem Jahr solle es<br />
keine Zelte mehr geben. Höchstens<br />
Container und Modulhäuser.<br />
Aber ist es nicht auch ihr Ziel, Obdachlose<br />
dauerhaft unterzubringen?<br />
„Klar ist das wünschenswert“, sagt die<br />
neue Sozialsenatorin. „Die Frage wird<br />
sein, ob wir dafür die nötige Kraft, Klarheit<br />
und Härte haben – um diese Worte<br />
noch einmal aufzugreifen.“ •<br />
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Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>273</strong>/ NOVEMBER <strong>2015</strong><br />
Meldungen (1)<br />
Politik & Soziales<br />
Tendenz steigend: 39.000 Menschen in Deutschland obdachlos<br />
Die Zahl der Obdach- und Wohnungslosen nimmt stark zu. Nach einer Schätzung<br />
der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe lebten vergangenes Jahr<br />
335.000 Menschen ohne Wohnung in Deutschland, etwa 39.000 davon auf der<br />
Straße. Seit 2012 ist das eine Zunahme um 50 Prozent. Die Diakonie schätzt, dass<br />
alleine in Hamburg 9000 Menschen wohnungslos sind. Vorstand Gabi Brasch<br />
befürchtet: „Wenn wir unsere Anstrengungen nicht drastisch erhöhen, müssen wir<br />
für 2018 mit mindestens 14.400 Wohnungslosen in Hamburg rechnen.“ BELA<br />
•<br />
Stadt plant 5600 Wohnungen für Flüchtlinge<br />
Es ist ein ehrgeiziger Plan: 5600 Wohnungen für Flüchtlinge<br />
will die Stadt bis Ende kommenden Jahres bauen lassen.<br />
Trotz der kurzen Planungsphase werde es keine Abstriche bei<br />
den Baustandards geben, so der Senat. Allerdings werden die<br />
Bürger anders als üblich nicht an der Bauplanung beteiligt.<br />
Die Express-Bauten sollen auf Gewerbeflächen in allen sieben<br />
Bezirken entstehen. Nach spätestens 15 Jahren sollen sie auch<br />
anderen Bevölkerungsgruppen offenstehen. Unklar blieb bis<br />
Redaktionsschluss, wer die Wohnungen bauen wird. Auf<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Nachfrage erklärte die Stadtentwicklungsbehörde,<br />
die städtische Saga GWG könne diese Aufgabe nicht<br />
alleine stemmen. Der Senat erklärte auf FDP-Bürgerschaftsanfrage:<br />
„Bekundungen von Investoren werden zurzeit geprüft.“<br />
Den Plänen zufolge soll der städtische Unterkunftsbetreiber<br />
fördern und wohnen Pachtverträge mit den Investoren<br />
abschließen und die Quartiere betreiben. UJO<br />
•<br />
Leere Bürogebäude werden endlich zu Wohnraum<br />
Die Stadt sucht gezielt nach ungenutzten Bürogebäuden, um<br />
darin öffentliche Unterkünfte einzurichten. Geprüft werde,<br />
„ob und wie viele Flüchtlinge im jeweiligen Gebäude untergebracht<br />
werden können“, sagt ein Sprecher der Sozialbehörde.<br />
In ein Bahrenfelder Bürohaus sind sogar bereits Asylbewerber<br />
eingezogen. Verhandlungen über Anmietung oder Kauf weiterer<br />
Gebäude laufen. Fehlende Sanitäranlagen oder mangelnder<br />
Brandschutz sind kein Grund mehr, das Gebäude nicht<br />
zu nutzen: „Zum Teil muss da nachgerüstet werden.“ BELA<br />
•<br />
Fotoausstellung: Was Obdachlosigkeit bedeutet<br />
Wie beengt Obdachlose in Notquartieren schlafen und was<br />
(Über-)Leben auf der Straße bedeutet, zeigen Bilder des<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Fotografen Mauricio Bustamante. Sie sind bis 6.<br />
<strong>November</strong> auf dem Gerhart-Hauptmann-Platz zu sehen. Das<br />
Aktionsbündnis gegen Wohnungsnot, dem Hinz&<strong>Kunzt</strong> angehört,<br />
präsentiert die Ausstellung. Geschätzt 2000 Menschen<br />
leben auf Hamburgs Straßen, 890 Betten stellt die Stadt diesen<br />
Winter bereit, um sie vor dem Erfrieren zu schützen. UJO<br />
•<br />
Scharfe Kritik an Notmaßnahmen<br />
Führungskräfte des städtischen Unterkunftsbetreibers<br />
fördern und wohnen<br />
(f&w) haben die aktuellen Notmaßnahmen<br />
für Flüchtlinge scharf kritisiert.<br />
Derzeit würden alle Standards der Unterbringung<br />
über Bord geworfen. Das<br />
störe „den sozialen Frieden in den Unterkünften“<br />
und senke „dramatisch die<br />
Akzeptanz dieser Einrichtungen und<br />
ihrer Nutzer“. Mit den protestierenden<br />
Mitarbeitern sei man im Gespräch, antwortete<br />
f&w auf unsere Nachfrage. BELA<br />
•<br />
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STADT-<br />
EXPEDITION:<br />
#1 Die Street-Art-Tour<br />
Graffiti – für manche ist das nichts als Schmiererei,<br />
für andere ist es Rebellion und sogar Kunst. In unserer<br />
ersten Stadt-Expedition führt uns Galerist Alex Heimkind<br />
zu besonderen Plätzen unserer Stadt.<br />
TEXT: BIRGIT MÜLLER<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE UND OZM SPACE ART GALLERY<br />
7a. Wäre fast unser Titelbild<br />
geworden: Das Punkmädchen<br />
von mittenimwald<br />
ist im OZM zu sehen.<br />
4b. Die „besitzbare“<br />
Skulptur hat der<br />
Sprayer Heiko Zahlmann<br />
entworfen.<br />
ALEX HEIMKIND<br />
ist Gründer der OZM Art Space Gallery in der<br />
Bartelsstraße 65. „Der Weg von der Straße in<br />
die Galerie ist weit“, sagt Heimkind. Im OZM<br />
will er uns am 25. <strong>November</strong> um 18 Uhr zeigen,<br />
was aus manchen Sprayern werden kann,<br />
„wenn sie sich weiterentwickeln“.<br />
Seit 2010 führt Alex Heimkind die OZM Art Space<br />
Gallery. Sie ist schon deshalb etwas Besonderes, weil<br />
hier nicht nur Bilder verkauft werden, sondern oft<br />
auch hier entstehen. Bei „seinen“ Künstlern ist es<br />
dem 43-Jährigen wichtig, „dass sie eine Begabung haben, anderen<br />
Menschen ihre Grenzen vor Augen zu führen oder sogar<br />
zu verschieben“.<br />
Kunst hat Alex schon als Kind fasziniert. Als er fünf Jahre<br />
alt war, lernte er einen Künstler kennen, der von ihm ein Foto<br />
machte. Später ein Foto, wie er sein eigenes Foto anguckt. Danach<br />
ein Foto, wie er sich das Foto anschaut, auf dem er zu sehen<br />
ist, wie er sich sein Foto anschaut … Über die Jahre entstand<br />
so eine Reihe von Fotos im Foto, die zeigten, wie er sich<br />
quasi bei seiner eigenen Entwicklung zuschaute. Diese Bilder<br />
im Bild sagten ihm mehr als 1000 Worte. „Wenn man jemanden<br />
fragt, ,Was hast du in den vergangenen Jahren gemacht?‘,<br />
scheiterst du ja oft mit Worten an der Komplexität“, sagt er.<br />
Und dann gab’s da noch die Inspiration aus New York:<br />
Hip-Hop, Breakdance und Graffiti. Die schwarzen Kids, „bewaffnet<br />
mit geklauten Dosen, die der Stadt ihre unverwechselbaren<br />
Zeichen“ aufdrückten. Alex tauchte selbst ein in die<br />
Welt der Rebellen, verdiente sein Geld als Fahrradkurier, sang<br />
in Punkbands und wurde als DJ Heimkind bekannt. •<br />
17
Stadt-Expedition<br />
Neue Große Bergstraße in Altona. Seit 2010 stellt<br />
01. das Stamp Festival Wände für spannende Street-<br />
Artisten bereit. Wenn man vom Bahnhof kommt, prangt gegenüber<br />
von Ikea der riesige Frauenkopf (1) von Ata Bozaci<br />
(auch „Toast“). Die Frau, aufgeschlüsselt in supergrafische,<br />
biometrische Muster, gehört zur Serie „fifteen seconds of<br />
fame“ und ist übrigens Atas Freundin Amanda, sagt Alex.<br />
3. Das Bismarck-<br />
Denkmal: Sinnbild für die<br />
Demonstration von<br />
Macht. Gebrochen durch<br />
ein buntes Graffito.<br />
Nur ein paar Meter entfernt, in der Großen<br />
Bergstraße (Rückseite von Tee Kröger) sehen<br />
wir eine Wand, die mittenimwald gestaltet<br />
hat. Er arbeitet mit selbstgebauten<br />
Schablonen (Stencil Art). Einige seiner Figuren<br />
haben eine ungeheure Lebendigkeit<br />
und Intensität – wie Gloria mit den roten<br />
Haaren (2). Und Humor hat er auch: Ausgerechnet Mao lässt<br />
er „Fuck Revolution“ sagen.<br />
Zurück zum Bahnhof Altona. Wir fahren mit der<br />
S-Bahn zu den Landungsbrücken. Hier beginnen<br />
unser Spaziergang und unsere Karte. Wir gehen<br />
die Treppe rechts hoch Richtung Stintfang.<br />
Wir wollen durch den Park zum Bismarck-Denkmal.<br />
Unterhalb von Hamburgs Weinberg bleiben<br />
wir kurz auf der Terrasse stehen, herrlicher<br />
Blick über den Hafen. Besichtigung einiger ungelenker<br />
Schriftzeichen (Tags) an der Steinmauer.<br />
„Normalerweise geht der Einzelne unter in<br />
der Anonymität der Großstadt“, sagt Alex. „Tags<br />
sind dagegen deine eigene, unverwechselbare<br />
Handschrift.“<br />
Im Park kommen wir an Graffiti vorbei, die mit<br />
den Mauern eine Symbiose eingegangen sind.<br />
Durch das Verwittern und Übermalen bleibt nichts,<br />
wie es war. Diese Form von Vergänglichkeit fasziniert<br />
Alex, „weil in unserer digitalen Welt normalerweise alles<br />
unendlich kopierbar und verfügbar ist“.<br />
Martialisch thront das Bismarck-Denkmal (3) über<br />
der Stadt. Wer sich auf den Sims setzt, sieht klein und<br />
verloren aus. „Die Graffiti zeigen, in welcher Zeit wir leben“,<br />
so Alex. Und dass Menschen von heute Macht-<br />
Demonstrationen von damals etwas entgegen setzen.<br />
Wir schlendern die Reeperbahn runter,<br />
rechts in die Talstraße Richtung Karoviertel.<br />
Es lohnt sich, links und rechts die Wände<br />
auf und ab zu gucken und in die Hinterhöfe<br />
zu schauen. Überall hängen kleine<br />
Skulpturen, werden Lüftungsschächte und<br />
Stromkästen zu Figuren umgestaltet. Alex<br />
sucht das Graffito eines berühmten New<br />
Yorker Sprayers, aber es ist übermalt. Dafür sehen wir bei der<br />
Tankstelle auf der Feldstraße einen echten Loomit (4a). Auch<br />
Abstecher von der Marktstraße in die Hinterhöfe lohnen sich.<br />
Ein Witzbold hat ein Buch an eine besonders bunte Wand<br />
gelehnt: Die Aufgaben eines Staatsanwalts. Dabei sind viele<br />
Graffiti-Aktivisten inzwischen anerkannt: Heiko Zahlmann<br />
5a. Stillleben mit Boot an der S-Bahn-Trasse:<br />
Wenn man genauer hinsieht, kann man auch<br />
hier die Smileys von OZ erkennen.<br />
7a. Frecher Spruch auf<br />
dem OZM-Haus: Wasch<br />
dein dreckiges Geld<br />
mit meiner Kunst.<br />
18
1. Ata Bozaci alias Toast bekam vom<br />
Festival Stamp eine Hauswand in Altona gestellt.<br />
Das Bild zeigt seine Freundin Amanda.<br />
5b. OZ ist überall. Noch. Wenn man<br />
mit der S-Bahn über die Elbbrücken<br />
fährt, fügt er sich nahtlos<br />
ins Hamburg-Panorama ein.<br />
4a. An der Tanke am<br />
Neuen Kamp hängt das<br />
Graffito von Loomit.<br />
2. In Altona hat<br />
mittenimwald eine ganze<br />
Wand gestaltet:<br />
Der Hingucker ist Gloria.<br />
6a. Lüftungsschächte,<br />
Laternen und<br />
Stromkästen haben<br />
durch Street-Art oft<br />
ein zweites Leben.
Stadt-Expedition<br />
hat sogar vor der Kirche in der Karolinenstraße eine Skulptur<br />
(4b) geschaffen, vom Bezirk bezahlt und begeh- und besitzbar.<br />
Von oben betrachtet soll man 20357 erkennen – die Postleitzahl<br />
des Viertels.<br />
Wir gehen die Karolinenstraße runter,<br />
nach der S-Bahn-Brücke biegen wir<br />
links auf den Spazierweg entlang der<br />
Trasse ein und gehen zurück Richtung<br />
Schanzenviertel. Wir reden darüber,<br />
was Street-Art eigentlich ausmacht. Früher sei es mehr um Rebellion<br />
gegangen und da rum, den öffentlichen Raum zu erobern,<br />
sagt Alex. Und nach wie vor ist natürlich illegales Sprayen<br />
strafbar. Bestes Beispiel OZ (5a und 5b), der notorische<br />
Sprayer. Wegen seiner Graffiti saß er jahrelang im Knast,<br />
sprayte danach weiter. Zig Ausstellungen mit OZ gab es im<br />
OZM, um die Gerichtskosten zu decken und „ihm seine Freiheit<br />
zu erhalten“. Magische Räume hat er dort gestaltet, einer<br />
ist noch erhalten. Gesprayt hat er, bis er 2014 mit 64 Jahren<br />
von einer S-Bahn erfasst wurde und starb. Künstler oder Krimineller?<br />
„Jetzt, wo er tot ist, wird die Geschichte neu geschrieben“,<br />
sagt Alex. Die Nachfrage nach OZ’ Bildern ist enorm.<br />
Auf dem Kunstmarkt, aber auch so: Auf einem Balkon im<br />
Schanzenviertel steht ein abmontierter Betonklotz mit einem<br />
echten OZ-Smiley.<br />
Das Schanzenviertel ist wie eine Open-<br />
Air-Galerie. Die Wände werden wie<br />
Bilderrahmen genutzt. Wir stehen in der<br />
Rosenhofstraße/Ecke Schulterblatt. Fast<br />
kindlich wirken viele Bilder und Skulpturen<br />
(6a und 6b), auf jeden Fall gefällig.<br />
Dinge, die man sich auch gut zu Hause aufhängen könnte.<br />
Das ist eben auch ein Unterschied zu früher: „Damals ging es<br />
nicht so sehr um die<br />
Verwertbarkeit der Bilder“,<br />
sagt Alex. Problematisch<br />
findet er, dass<br />
7c. Blick ins OZM:<br />
Fünf der Maler, die<br />
hier ausgestellt sind,<br />
haben es schon ins<br />
Museum geschafft.<br />
6b. Rosenhof/Ecke Schulterblatt: Vieles, was man auf<br />
den Wänden sieht, wird auf dem Kunstmarkt<br />
hoch gehandelt. Vermarktung versus Subkultur.<br />
manche Künstler immer wieder dasselbe reproduzieren, weil<br />
es sich gut verkauft. Ein Street-Artist, der hier zu sehen ist, erreiche<br />
Preise von bis zu 25.000 Euro, sagt Alex. So bestimme<br />
paradoxerweise die Nachfrage, was auf den Wänden landet –<br />
und Street-Art ist dann kein Ausdruck von Subkultur mehr.<br />
Wollen Sie Alex Heimkind und uns treffen?<br />
Dann müssen Sie unbedingt am Mittwoch,<br />
den 25. <strong>November</strong> um 18 Uhr ins OZM (7b<br />
und 7c) kommen. Dort stellt uns Alex Bilder<br />
seiner Künstler vor. Eine Ausstellung von Darko<br />
Caramello ist zu sehen und Bilder von mittenimwald<br />
(7a), Darco FBI, Won ABC und<br />
OZ. Viele seiner Leute haben inzwischen ein<br />
Kunststudium absolviert. „Wir zeigen, was sich aus Graffiti<br />
entwickeln kann, wenn jemand an sich arbeitet“, sagt Alex.<br />
„Aber der Weg von der Straße in die Galerie ist weit.“ Deswegen<br />
findet er es auch fast normal, dass Werke von einigen „seiner“<br />
Künstler inzwischen in Museen hängen.<br />
Das ist was für Fans: Abstecher in den<br />
Hamburger Osten – nach Lohbrügge, Otto-<br />
Schumann-Weg. Das Gemälde „Zeichen der<br />
Zeit“ (8) landete im Guinness-Buch der Rekorde.<br />
Sechs Sprayer wurden 1995 von der Saga gebeten,<br />
eine 30 Meter hohe und 11 Meter breite Hochhauswand<br />
zu bemalen. 1000 Sprühdosen verarbeiteten Loomit, Darco,<br />
DAIM, Hesh, Vaine und Ohne.<br />
2002 wurden sie getoppt: Im Immenbusch<br />
am Osdorfer Born gestalteten<br />
die Brüder Haris und<br />
Aimal Jahed eine 42 Meter hohe<br />
und 13 Meter breite Saga-Hauswand<br />
mit 1500 Sprühdosen. •<br />
8. Lohbrügge, Otto-Schumann-Weg:<br />
Dieses Wandbild von 1995 schaffte<br />
es als höchstes Graffito der Welt ins<br />
Guiness Buch der Rekorde.<br />
2002 wurde es in Hamburg getoppt<br />
durch ein Bild in Osdorf.<br />
20<br />
OZM Art Space Gallery: Bartelsstraße<br />
65, geöffnet: donnerstags<br />
und samstags, 13–19 Uhr,<br />
Eintritt frei
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Meldungen (2)<br />
Politik & Soziales<br />
Abzock-Firma wegen Mietwucher verurteilt<br />
Weil die Mieten „in einem deutlichen Missverhältnis zur Leistung<br />
gestanden“ haben, hat das Amtsgericht Altona einen Abzock-Vermieter<br />
dazu verdonnert, fast 53.000 Euro an das Jobcenter<br />
zurückzuzahlen. Die Rauch&Veth GbR hatte in einem<br />
heruntergekommenen Haus in Ottensen Zimmer zu Wucherpreisen<br />
an Hilfeempfänger vermietet. So verlangte die Firma<br />
für 17 Quadratmeter bis zu 350 Euro im Monat plus Nebenkosten.<br />
Als Hinz&<strong>Kunzt</strong> und weitere Medien das öffentlich<br />
machten, zog das Amt vor Gericht – und bekam fünf Jahre<br />
nach Klageerhebung Recht. Für die Mieter, überwiegend ehemals<br />
Obdachlose und Haftentlassene, sei es nicht möglich gewesen,<br />
eine Wohnung zu finden, heißt es in dem Urteil, das<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> vorliegt. „Diese schwierige Lebenssituation nutzte<br />
die Beklagte aus, indem sie ihnen Wohnraum anbot zu weit<br />
übersetzten wucherischen Preisen.“ Der Richterspruch ist das<br />
erste Mietwucher-Urteil eines Hamburger Zivilgerichts seit<br />
Jahren. Ob Rauch&Veth Berufung einlegt, war bei Redaktionsschluss<br />
nicht entschieden. Ermittlungen der Staatsanwalt-<br />
Diskussion: Kann einfache Arbeit gute Arbeit sein?<br />
Ungelernte haben es bei der Jobsuche schwer, sogenannte<br />
einfache Arbeiten gibt es immer weniger – und wenn, dann<br />
sind sie in der Regel schlecht bezahlt. Kann einfache Arbeit<br />
auch gute Arbeit sein? Welche Perspektiven bietet unsere<br />
Gesellschaft Geringqualifizierten? Diesen und weiteren Fragen<br />
gehen Experten am 4.11. um 17 Uhr im Rahmen der Reihe<br />
„Hamburg! Gerechte Stadt!“ nach. Diskutiert wird in der<br />
Immanuelkirche Veddel, Wilhelmsburger Straße 73. UJO<br />
•<br />
Kongress: Wie Kinderarmut bekämpft werden kann<br />
2,8 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland sind<br />
heute von Armut betroffen – mehr als doppelt so viele wie<br />
zehn Jahre zuvor. Wie lässt sich diese Entwicklung stoppen?<br />
Welche Projekte können als Vorbild dienen? Diesen Fragen<br />
geht der Bundeskongress „Kinderarmut bekämpfen! Chancen<br />
und Grenzen der Kinder- und Jugendhilfe“ nach (12.11. ab<br />
13 Uhr, 13.11. ab 9.30 Uhr, Rauhes Haus, Beim Rauhen<br />
Hause 21). Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) ist für<br />
die Podiumsdiskussion (13.11., 13 Uhr) angefragt. UJO<br />
•<br />
Mehr Infos im Internet unter www.dkhw.de<br />
Gottesdienste für Obdachlose<br />
Auch dieses Jahr gedenken wir am<br />
Totensonntag (22.11.) aller verstorbenen<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer. Treffpunkt ist<br />
um 14 Uhr auf dem Öjendorfer Friedschaft<br />
wegen des Verdachts auf Mietwucher dauern an. UJO<br />
•<br />
hof am Feierraum Nord (Bushaltestelle).<br />
Die St.-Petri-Kirche in der City feiert<br />
am selben Tag um 15 Uhr einen Gottesdienst<br />
für einsam Verstorbene. Eine<br />
Woche später (29.11., 10 Uhr) lädt die<br />
Jerusalem-Kirche (Schäferkampsallee<br />
36) zu einem Advents-Gottesdienst<br />
für Hinz&<strong>Kunzt</strong> ein. Eingeladen sind<br />
Verkäufer, Mitarbeiter, Freunde und<br />
Unterstützer. Anschließend gibt es einen<br />
Einblick in die Arbeit des Projekts. UJO<br />
•<br />
Überfall auf Hinz&Künztler Manole: Ermittlungen abgeschlossen<br />
Die Ermittlungen der Bundespolizei gegen drei Mitarbeiter des Bahn-Sicherheitsdienstes<br />
wegen gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung sind abgeschlossen.<br />
Die Staatsanwaltschaft muss nun entscheiden, ob ein Verfahren eröffnet<br />
wird. Zwei Männer und eine Frau werden verdächtigt, in der Nacht vom 23. auf<br />
den 24. Juni ein Zelt von Obdachlosen zerstört und den Zeltbewohner und<br />
Hinz&Künztler Manole und seinen Cousin mit Reizgas angegriffen sowie den<br />
Cousin gegen den Kopf getreten zu haben. BELA/BIM<br />
•<br />
Mehr Infos im Internet unter www.huklink.de/manole
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>273</strong>/ NOVEMBER <strong>2015</strong><br />
Olympi-Ja?<br />
Oder doch lieber nein? Am 29. <strong>November</strong> sollen<br />
die Hamburger abstimmen. Wir fragten Prof. Dr.<br />
Henning Vöpel, Geschäftsführer des Hambur gischen<br />
Weltwirtschaftsinstituts, zu den Chancen und<br />
Risiken des Mega-Sportevents für unsere Stadt.<br />
TEXT: BIRGIT MÜLLER; FOTO: LENA MAJA WÖHLER<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Herr Professor Vöpel, Sie sind ja Befürworter von<br />
Olympia. Wozu braucht die Stadt denn Olympia?<br />
PROF. DR. HENNING VÖPEL: Ich bin ein kritischer Befürworter von<br />
Olympia, weil ich Chancen sehe, dass Hamburg nachhaltig<br />
profitiert. Aber die ergeben sich natürlich nicht zwangsläufig.<br />
Man muss etwas dafür tun. Wenn das geschieht, sehe ich<br />
die Möglichkeit, dass wir die Stadtentwicklung in Hamburg<br />
tatsächlich auf ein höheres Niveau heben können.<br />
Aber?<br />
Wir brauchen eine Legacy, wie das IOC es nennt, etwas,<br />
was als Erbe dieser 16 Tage dauerhaft erhalten bleibt. Dafür<br />
muss man aber auch eine Idee davon haben, wie die Stadt in<br />
der Zukunft aussieht. Ich bezweifle, dass es diese Vision der<br />
Stadt gibt. Ohne ein solches Gesamtkonzept für die Zukunft<br />
der Stadt blieben Olympische Spiele ein teures Einzelevent.<br />
Haben andere Städte es denn geschafft, sich mit einer Art Vision zu<br />
verändern, auch im Sinne der Einwohner?<br />
Ja, Barcelona war 1992 noch ärmlich und zurückgeblieben<br />
in seiner wirtschaftlichen Entwicklung. Es gab mehrere<br />
Gründe für den Aufstieg der Stadt zu einer Weltmetropole,<br />
aber die Olympischen Spiele haben dazu beigetragen, und<br />
dann hat man es sehr geschickt verstanden, durch Programme<br />
und städtebauliche Maßnahmen die Kreativökonomie –<br />
von Schriftstellern, Künstlern bis zu IT-Spezialisten – in die<br />
Stadt zu ziehen. Barcelona gehört jetzt zu den Top 10 in<br />
Europa.<br />
Und München 1972 ist auch ein Beispiel: München war<br />
vorher Provinz und hat den Sprung geschafft zu einer Weltstadt.<br />
Damals wurde beispielsweise die U-Bahn gebaut.<br />
Man hat verstanden, Stück für Stück die Stadt zu<br />
entwickeln.<br />
Wir haben recherchiert, welche positiven sozialen Effekte es in<br />
Olympia-Städten gegeben hat – und nichts gefunden. Selbst in London,<br />
wo man sich ja wirklich bemüht hat, sind nach den Olympischen<br />
Spielen die Mieten gestiegen und es kam zu Verdrängung.<br />
22
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Tatsächlich sind in London in einigen Stadtteilen die Mieten<br />
gestiegen und haben auch Verdrängung ausgelöst. Für die<br />
Stadt insgesamt können wir das aber nicht feststellen. Und in<br />
der Tat wäre es auch eine Überforderung Olympischer Spiele,<br />
zu glauben, sie könnten alle Probleme einer Stadt lösen. Es<br />
ist das Schicksal von ärmeren Menschen, dass sie nicht von einer<br />
wirtschaftlichen Entwicklung profitieren. Um solche Menschen<br />
muss sich die Gesellschaft immer und grundsätzlich<br />
kümmern. Aber zu sagen, es profitieren nicht alle gleichermaßen,<br />
also machen wir Olympia nicht, ist auch nicht klug.<br />
„Wem gehört die Stadt<br />
und wer definiert das<br />
Wohl einer Stadt?“<br />
Die Stadt unternimmt große Anstrengungen in Sachen Wohnungsbau,<br />
trotzdem kommt sie nicht hinterher. Wenn Hamburg durch Olympia<br />
wirklich zur Weltstadt würde, wächst der Druck ja noch mal. Wo sollen<br />
denn die ganzen Menschen wohnen, die dann nach Hamburg strömen?<br />
Die Befürchtung, die in Ihrer Frage zum Ausdruck kommt, ist<br />
ein wenig, dass diejenigen, die jetzt für die Olympischen Spiele<br />
stimmen sollen, später verdrängt werden. Das ist nicht akzeptabel.<br />
Insofern ist die Frage: Wem gehört eigentlich die<br />
Stadt und wer definiert das Wohl einer Stadt? Das sind natürlich<br />
erst einmal die Bewohner der Stadt, und das bedeutet, eine<br />
breite Akzeptanz für Olympische Spiele herzustellen. Fragen<br />
dieser Art muss man mit schlüssigen Konzepten<br />
beantworten.<br />
Auf dem kleinen Grasbrook sollen ja rund 6000 Wohnungen<br />
entstehen, das ist gemessen am Problem nicht viel, aber<br />
immerhin die Entwicklung eines neuen Quartiers. Und wenn<br />
der Sprung über die Elbe gelingt, dann kann man eben auch<br />
noch mal nachverdichten und neue Flächen erschließen.<br />
Wir haben die Schuldenbremse und nur ein bestimmtes<br />
Haushaltsbudget – dann müssen wir wegen Olympia irgendwo sparen.<br />
Da fehlt mir die Fantasie. Wir brauchen eine Menge Geld, um die<br />
laufenden Aufgaben zu wuppen – und ich meine das unabhängig vom<br />
Thema Armut und Flüchtlinge.<br />
Nun, Hamburg muss Geld für Olympische Spiele aufbringen,<br />
das ist richtig. Man darf aber nicht vergessen, dass vom Bund<br />
erhebliche Mittel in die Stadt fließen, mit denen wichtige Investitionen<br />
vorgezogen werden können.<br />
Keine Vision und Milliarden-Kosten. So ganz verstehe ich noch nicht,<br />
warum Sie ein Befürworter sind. Was würden Sie denn Olaf Scholz<br />
empfehlen?<br />
Deshalb ist es ja so wichtig, die Kosten in den Zusammenhang<br />
mit einer positiven Vision von der Zukunft der Stadt zu<br />
stellen. Städte werden in 50 Jahren durch die digitale Transformation<br />
der Gesellschaft völlig anders aussehen als heute.<br />
Sie werden nachhaltiger sein, Inklusion ermöglichen und sie<br />
werden mehr Partizipation und Lebensqualität bringen.<br />
Stichwort: Shared Economy. Wir müssen nicht mehr alles<br />
selbst besitzen, sondern nutzen Ressourcen gemeinsam.<br />
Wohlstand durch Teilen. Diese Vision kann Spaß machen:<br />
Die Stadt entfaltet neue urbane Räume, hat mehr Platz, mehr<br />
Grünflächen, weniger Emissionen, hat insgesamt viel mehr<br />
Lebensqualität, hat mehr Zusammenhalt – und ist vielleicht<br />
am Ende auch gerechter.<br />
Könnte man das nicht auch ohne Olympische Spiele schaffen?<br />
Doch. Eine Vision sollte etwas sein, was man als Leitidee im<br />
Alltag und aus eigener Kraft heraus umsetzen möchte. Ich<br />
glaube aber, dass die Olympischen Spiele ein Anlass sind für<br />
Hamburg, darüber nachzudenken, und dass sie eine ungeheure<br />
produktive Kraft für die Stadt bedeuten können.<br />
Das heißt: Mit den Olympischen Spielen könnten wir die Vision in<br />
40 Jahren erreichen und ohne die Spiele in 50 Jahren?<br />
Oder gar nicht, weil die Stadt ja manchmal zur Selbstzufriedenheit<br />
neigt. Aber die Welt dreht sich weiter. Vielleicht<br />
braucht Hamburg den Anstoß<br />
für mehr Mut zum<br />
Fortschritt und Lust<br />
auf die Zukunft. •<br />
Olympia: Im Finanzreport<br />
rechnet die Stadt<br />
mit Kosten in Höhe von<br />
11,22 Milliarden Euro.<br />
Bürgermeister Olaf Scholz<br />
hat sich festgelegt: Die Hamburger<br />
Steuerzahler sollen höchstens<br />
1,2 Milliarden Euro der Kosten tragen.<br />
Zum Vergleich: Der jährliche Haushalt von<br />
Hamburg beträgt rund 12 Milliarden Euro. Scholz möchte, dass die<br />
Bundes regierung 6,2 Milliarden Euro zuschießt. Die Verhandlungen<br />
darüber laufen noch – Medienberichten zufolge ist der Bund nicht<br />
bereit, so viel Geld zu investieren. Weitere 3,8 Milliarden will die Stadt<br />
durch Einnahmen und Grundstücksverkäufe finanzieren. Der Rechnungshof<br />
warnte den Senat im September vor „erheblichen Risiken“.<br />
23
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>273</strong>/ NOVEMBER <strong>2015</strong><br />
Dirk Ahrens, Landespastor, Diakoniechef<br />
und Herausgeber von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
Ich höre viele gut gemeinte Absichtserklärungen des Senats. Wir fordern<br />
deswegen, dass der Senat noch vor dem Referendum im <strong>November</strong> eine<br />
Kosten-Nutzen-Analyse mit einem Armuts-Mainstreaming vorlegt. Darin<br />
soll untersucht werden, wie sich die Spiele auf sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen<br />
auswirken. Zum Beispiel stellt sich die Frage, wie sich ein<br />
solches Großevent, das über Jahre Kräfte binden wird, auf Hartz-IV-Familien,<br />
Alleinerziehende, Rentner mit geringer Rente, Wohnungslose, Menschen<br />
mit Behinderung und Flüchtlinge auswirkt. Wir appellieren an die<br />
Stadt, die Auswirkungen der Olympischen Spiele auf diese Bevölkerungsgruppen<br />
endlich in besonderer Weise in den Blick zu nehmen.<br />
Denn die Stadt ist zurzeit herausgefordert durch extreme Knappheit im<br />
Sozialwohnungsbereich und muss gleichzeitig Tausende von Flüchtlingen<br />
unterbringen. Wenn wir das schaffen wollen, sollten wir uns nicht zusätzlich<br />
Aufgaben aufbürden, die keinen positiven Beitrag zu den anstehenden Unterbringungs-<br />
und Integrationsaufgaben leisten. Ob Olympia da schädlich<br />
oder hilfreich sein wird, darauf brauchen wir dringend verlässliche Antworten,<br />
und zwar vor dem Volksentscheid. •<br />
„Mit der<br />
OlympiaCity<br />
bauen wir einen<br />
neuen Stadtteil<br />
mit 8000<br />
Wohnungen.“<br />
CHRISTOPH HOLSTEIN<br />
Christoph Holstein,<br />
„Die vorgelegten Zahlen<br />
sind einWunschreport.“<br />
NICOLE VRENEGOR<br />
Nicole Vrenegor, aktiv bei NOlympia Hamburg,<br />
bloggt auf www.fairspielen.de<br />
Die vorgelegten Zahlen des Senats sind kein Finanzreport,<br />
sondern ein Wunschreport, der mehr Fragen<br />
aufwirft als Antworten liefert. Vieles auf<br />
der Ausgabenseite fehlt, während die Einnahmenseite<br />
schöngerechnet wird. Hamburg<br />
werde nicht mehr als 1,2 Milliarden Euro<br />
zahlen, so das Bürgermeister-Ehrenwort von<br />
Olaf Scholz. Aber wer bitte schön soll einspringen,<br />
wenn für weniger lukrative Bereiche<br />
Investoren fehlen oder die Kosten wie üblich explodieren?<br />
Und warum sollte der Bund überhaupt<br />
mehr als 6 Milliarden für Hamburgs Stadtentwicklung locker<br />
machen? Das reiche Hamburg will über den Umweg<br />
Olympia seine vernachlässigte Infrastruktur in Schuss bringen<br />
und alle Bundesbürger sollen dafür aufkommen. Wie will man das zum<br />
Beispiel den Menschen im Ruhrgebiet vermitteln, wo aufgrund von Haushaltssperren<br />
reihenweise Schwimmbäder schließen müssen? Wer letztlich<br />
die olympische Zeche bezahlt – das entscheidet sich wohl erst nach dem<br />
Referendum. Vorab möchte der Senat sich von den Wählern und Wählerinnen<br />
einen Blankoscheck holen. •<br />
24<br />
Staatsrat Bereich Sport der<br />
Hamburger Innen behörde<br />
Wer heute mit der Münchner U-Bahn<br />
schnell zum Olympiazentrum kommt<br />
oder sich von der pulsierenden Stimmung<br />
entlang der Mittelmeerküste Barcelonas<br />
faszinieren lässt, ist ein später<br />
Nutznießer der Olympischen Spiele<br />
1972 und 1992. Beide Städte freuen sich<br />
noch heute über die positiven Folgen der<br />
Spiele.<br />
Wir erwarten einen ähnlichen Positiv-Schub<br />
für Hamburg. Wir wollen,<br />
dass die Spiele einen Nutzen für die<br />
Hamburgerinnen und Hamburger haben.<br />
Mit der OlympiaCity bauen wir einen<br />
komplett neuen Stadtteil mit 8000<br />
neuen Wohnungen, ein Drittel davon<br />
Sozialwohnungen. Die gesamte Verkehrs-Infrastruktur<br />
in Hamburg wird<br />
modernisiert. Der erste Olympiasieger<br />
in Hamburg steht bereits fest: Es ist der<br />
Sportverein im Stadtteil, der moderne<br />
Anlagen erhält, der seinen Mitgliedern<br />
mehr bieten kann als zuvor und der für<br />
neue Mitglieder attraktiv wird. Internationale<br />
Unternehmen werden durch die<br />
Spiele auf Hamburg aufmerksam. Das<br />
ist der erste Schritt hin zu neuen Arbeitsplätzen.<br />
Auch das braucht Hamburg:<br />
olympische und paralympische Jobs. •
Stadtgespräch<br />
So machen wir<br />
Einsteiger zu<br />
Aufsteigern.<br />
„Wir brauchen<br />
dringend verlässliche<br />
Antworten vor dem<br />
Volksentscheid.“<br />
DIRK AHRENS<br />
Dr. Jürgen Mantell, Präsident<br />
des Hamburger Sportbundes<br />
Hamburg ist in seinen Berechnungen der Investitionen davon<br />
ausgegangen, was der Hamburger Haushalt tragen<br />
kann, ohne dass zum Beispiel Kultur oder Soziales darunter<br />
leiden müssen. Es wird keine Kürzungen und keine<br />
neuen Schulden geben. Neu gebaut werden auch nur fünf<br />
neue Sportstätten. Und für alle Neubauten wurde die<br />
Nachnutzung gleich mitgedacht. Alle bleiben für den<br />
Sport erhalten. Die schon vorhandenen Sportstätten, die<br />
für die olympischen Wettbewerbe vorgesehen sind, müssen<br />
saniert werden und stehen nach den Spielen dem<br />
Sport zur Verfügung. Außerdem müssen neben den Wettkampfstätten<br />
auch mehr als 100 Trainingsstätten auf<br />
olympischem Niveau vorgehalten werden. Genau hier<br />
trainiert der Breitensport und würde durch die Sanierung<br />
dieser Sportanlagen kräftig profitieren.<br />
Der Sportentwicklung tut die Aufmerksamkeit durch<br />
die Olympia-Bewerbung sehr gut. Sie bekommt mehr Gewicht<br />
im politischen Alltag und damit mehr Möglichkeiten,<br />
etwas für die Sportvereine zu erreichen. •<br />
25<br />
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Die Hinz&Künztler Rico (links) und<br />
Daniel fuhren zur Straßenkinderkonferenz<br />
nach BERLIN. Um sich für die Forderungen<br />
obdachloser Jugendlicher einzusetzen<br />
und auch, „um neue Leute zu treffen und<br />
alte Gesichter wiederzusehen“.
„Es hilft zu wissen,<br />
dass man<br />
nicht alleine ist“<br />
Die ständige Vertretung der Straßenkinder<br />
hat zur Straßenkinderkonferenz nach Berlin geladen.<br />
Zwei Hinz&Künztler haben sich auf den Weg gemacht.<br />
Redakteur Jonas Füllner hat sie begleitet.<br />
FOTOS: MARTIN KATH<br />
Ein wenig nervös klammert<br />
sich Lucas oben auf der<br />
Bühne an sein Manuskript.<br />
Alle Augen und<br />
Kameras sind auf ihn gerichtet. Der<br />
20-Jährige blickt noch einmal ins Publikum,<br />
nickt einem Bekannten zu,<br />
dann fängt er an, begrüßt die Gäste<br />
und eröffnet die Straßenkinderkonferenz<br />
in Berlin-Wuhlheide.<br />
Auf der Bühne zu stehen, das sei<br />
er tatsächlich nicht gewohnt, hatte er<br />
kurz vor seinem großen Auftritt noch<br />
im Interview erklärt. Dass der ehemalige<br />
Obdachlose allerdings ein guter Redner<br />
ist, merkt man schnell. Ein Redner mit Organisationstalent.<br />
Denn zusammen mit etwa 30<br />
anderen jungen Erwachsenen hat er vor zwei<br />
Jahren die ständige Vertretung der Straßenkinder<br />
gegründet, einen politischen Verbund von<br />
Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die alle<br />
obdachlos sind oder es mal waren.<br />
Lucas lebt in einer WG. Und wenn er sich<br />
nicht gerade mit Politik beschäftigt, dann organisiert<br />
er sein Leben. Das mit dem Leben falle ihm<br />
deutlich schwerer, räumt Lucas bereitwillig ein.<br />
Dass ihm so etwas Probleme bereitet, mag man<br />
kaum glauben, wenn man ihn so souverän dort oben auf der<br />
Bühne stehen sieht.<br />
Unten im Publikum, zwischen den etwa 150 Straßenkindern<br />
und den fast ebenso zahlreichen Sozialarbeitern und<br />
Helfern, steht auch Manuela Schwesig. Die Familienministerin<br />
ist der Stargast des Kongresses. An sie wendet sich Lucas,<br />
während er von überforderten Mitarbeitern im Jugendamt berichtet,<br />
die Bestrafungssysteme in der Jugendhilfe kritisiert und<br />
sich für „Housing First“ einsetzt. Ein Ansatz aus den USA, bei<br />
dem Obdachlose sofort eine Wohnung erhalten, ohne Umwege<br />
durch andere Einrichtungen, und trotzdem betreut sind.<br />
„Wie viele aber müssen wir noch werden, damit wir wahrgenommen<br />
werden?“, fragt Lucas.<br />
Insgesamt gebe es 7000 bis 8000 jugendliche Obdachlose.<br />
Darüber hinaus würden etwa 30.000 junge Erwachsene<br />
bundesweit auf der Straße leben. Nicht eingerechnet die<br />
wachsende Zahl unbegleiteter, junger Flüchtlinge. „Wir gemeinsam,<br />
die Flüchtlingskinder und Straßenkinder, suchen<br />
nach einem Zuhause, nach Schutz und Geborgenheit“, sagt<br />
Lucas und erntet nicht nur Applaus aus dem Publikum, sondern<br />
auch Zustimmung der Ministerin. Die räumt anschließend<br />
in ihrer Rede ein: „Straßenkinder hatte die Politik nicht<br />
gut auf dem Schirm. Ihr habt euch zu Recht darüber beschwert.“<br />
Deswegen sei es ihr ein Anliegen, mit den Jugendlichen<br />
im Gespräch zu bleiben. Zum Beispiel über die Idee des<br />
Housing First, die Manuela Schwesig als vielversprechend<br />
bezeichnet.<br />
27
Vor zwei Jahren hat<br />
Lucas aus Berlin<br />
zusammen mit anderen<br />
die STÄNDIGE<br />
VERTRETUNG der<br />
Straßenkinder gegründet.<br />
Rubrik<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>273</strong>/ NOVEMBER <strong>2015</strong><br />
„Ich finde es richtig, dass Lucas auch die Probleme der Flüchtlingskinder<br />
angesprochen hat“, sagt Daniel. Der 27-jährige<br />
Hinz&Künztler ist als Gast aus Hamburg angereist. Er ist kein<br />
großer Redenschwinger, ist aber durchaus politisch aktiv: „Am<br />
Hauptbahnhof haben wir Flüchtlinge bei der Weiterreise<br />
nach Schweden unterstützt.“ Durch einen Aushang in den<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Vertriebsräumen erfuhr er von dem Straßenkinderkongress.<br />
„Neue Leute treffen und alte Gesichter wiedersehen“<br />
wären die Gründe gewesen, warum<br />
er mit nach Berlin wollte. Daniel<br />
hat immer wieder Platte gemacht. Auch<br />
jetzt wieder. „Im Pik As musste ich nach<br />
zwei Wochen wieder raus“, sagt der gebürtige<br />
Emdener, der seit einiger Zeit<br />
versucht, in Hamburg Fuß zu fassen. In<br />
Drückerkolonnen zog er von Tür zu Tür<br />
und versuchte den Leuten Abos anzudrehen.<br />
„Anfangs lief es gut“, sagt Daniel.<br />
„Aber dann hat mich der Chef übers<br />
Ohr gehauen.“ Plötzlich gab es kein<br />
Geld mehr. Ein Arbeitsvertrag? Fehlanzeige.<br />
So landete Daniel bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Noch am späten Abend beteiligt er sich mit anderen an<br />
den Diskussionsrunden. „Das Jugendamt und ich“, „Gesetzeskonflikte“<br />
und „Wie will ich wohnen?“ lauten die Themen.<br />
Viele neue Anregungen hätte er mitgenommen, sagt Daniel,<br />
der mit seinen 27 Jahren schon ein Veteran unter den Straßenkindern<br />
ist. Nette Gespräche helfen aber auch ihm nicht. Daniel<br />
will schnell wieder weg von der Straße: „Hoffentlich bekomme<br />
ich jetzt im Winter einen Festplatz im Pik As.“<br />
Diese Nacht wird er zumindest ein Dach über dem Kopf<br />
haben. Die große Turnhalle im Freizeit- und Erholungszentrum<br />
Wuhlheide dient als Tagungs- und Übernachtungsort für<br />
„Hoffentlich<br />
bekomme ich<br />
einen Festplatz<br />
im Pik As.“<br />
HINZ&KÜNZTLER DANIEL<br />
28<br />
den Kongress. Und statt ein strammes Programm zu absolvieren,<br />
werden sich die Kids später in offenen Diskussionen austauschen.<br />
Jetzt, am Nachmittag, wirkt alles geordnet. Es gibt<br />
Anmeldelisten, ein Versorgungszelt für das Essen und Kaffee<br />
statt Alkohol. Nicht unbedingt so, wie man sich die Zusammenkunft<br />
zahlreicher junger Obdachloser vorstellen würde.<br />
Bis es plötzlich während Lucas’ Rede draußen laut wird.<br />
Der zweite Hamburger Bus ist angekommen. Fast alles Punker.<br />
Freudig und lautstark werden sie von<br />
den Anwesenden begrüßt. Man kennt<br />
sich. Sei es von der ersten Straßenkonferenz<br />
vor zwei Jahren oder weil man irgendwo<br />
in der Republik bereits gemeinsam<br />
„Platte“ gemacht hat. Mit dabei:<br />
Hinz&Künztler Rico. Der 24-Jährige<br />
wuchs im Heim auf. Regeln waren nie<br />
sein Ding. Mit 14 Jahren fing alles an, erzählt<br />
Rico. Punkrock, Kiffen, Alkohol<br />
und Konzerte. „Und am Wochenende<br />
kam ich – wenn überhaupt – nachts viel<br />
zu spät und besoffen zurück.“ Rico flog<br />
aus dem Heim, landete auf der Straße. Acht Jahre ist das her.<br />
„So lange bin ich vogelfrei“, sagt Rico, grinst und räumt aber<br />
auch ein: „So ’ne Punkerplatte, nee, das ist nix mehr für mich.“<br />
Stattdessen macht Rico auf dem Kiez Platte. Dort kennt<br />
er sich aus, weiß, an welchem Tresen er bei Kälte seinen Kopf<br />
für ein, zwei Stunden ablegen kann. Tagsüber schaut er gelegentlich<br />
beim „Kids“, der Anlaufstelle für Straßenkinder, vorbei.<br />
Er trägt Verantwortung und kümmert sich daher auch<br />
abends um eine Freundin, bei der durch die Diskussionen auf<br />
dem Kongress schlimme Kindheitserinnerungen wieder hochgespült<br />
werden. „Irgendwie halten wir alle zusammen“, sagt<br />
Rico. „Alleine schafft man das nicht.“ •
Alltags-Geschichten<br />
Neulich …<br />
… kam ein Hinz&Künztler ganz aufgeregt ins<br />
Büro gestürmt. Halb fasziniert, halb empört<br />
rief er: „Haste schon gehört? Auf dem Rathausmarkt<br />
…“ Ich wusste sofort, was er meinte.<br />
Dort demonstrierten Flüchtlinge, die – sogar<br />
mit Kindern – in den zu diesem Zeitpunkt<br />
noch unbeheizten Zelten untergebracht waren.<br />
„Ja, die protestieren, weil sie frieren!“<br />
„Und was sollen wir da sagen?“, fragte<br />
Ronny. „Ich hab noch nicht mal ein Zelt.“<br />
„Warum demonstrierst du dann nicht?“,<br />
fragte ich ihn. Ronny lachte, als hätte ich einen<br />
echt guten Witz gemacht. Ich hakte nach:<br />
„Sag doch!“<br />
Sonst ist Ronny nicht um eine Antwort<br />
verlegen, aber auf einmal wirkte er fast schüchtern.<br />
„Wir wissen eben nicht, wie man das<br />
organisiert.“<br />
„Da würden wir euch ja helfen.“<br />
„Echt jetzt?“, fragte Ronny.<br />
Mal sehen, ob etwas draus wird. Bislang ist<br />
es eher so, dass nur wenige Obdachlose mitkommen,<br />
wenn wir für mehr Unterkünfte und<br />
Wohnungen demonstrieren. Da stehen die<br />
Mitarbeiter der Wohnungslosenhilfe oft mutterseelenallein<br />
vor dem Rathaus.<br />
Trotz unseres Frusts: Gerade weil wir wissen,<br />
dass die Obdachlosen das schwächste<br />
Glied in der Kette sind, finden wir es wichtig,<br />
Lobbyarbeit für sie zu machen.<br />
Vor ein paar Tagen haben ein paar Obdachlose<br />
dann doch eine Art Demonstration<br />
gestartet: Unser Sozialarbeiter erzählte, dass<br />
vier Männer, die vor einem Kaufhaus in der<br />
City Platte machen, sich geweigert hätten,<br />
morgens aufzustehen und ihren Platz zu räumen.<br />
Aus Protest und weil es so kalt und nass<br />
war. Erst als die Polizei kam, haben sie ihre Isomatten<br />
zusammengerollt. BIM<br />
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Lange hatte er seine Platte direkt am Rathaus.<br />
FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
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Eine Äthiopierin<br />
auf Heimatbesuch<br />
Nur ein Schaffell auf einer Lehmbank neben den Ochsen – das war<br />
jahrelang der Schlafplatz von Tiruye Mullat aus Äthiopien. Dort wäre<br />
das Mädchen fast gestorben, bloß wegen einer Mandelentzündung.<br />
Weil es in ihrem kleinen Dorf im Hochland keinen Arzt gab.<br />
Die verschleppte Krankheit legte sich auf ihr Herz und schädigte es<br />
für immer. Erst eine Operation am Deutschen Herzzentrum konnte<br />
die damals 15-Jährige retten. Seitdem lebt sie in Berlin. Nach zwei<br />
Jahren in Deutschland besucht die Äthiopierin zum ersten Mal<br />
wieder ihre Heimat.<br />
FOTOS: MARKUS HUTH<br />
TEXT: LISA-MARIE ECKARDT
Fotoreportage<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>273</strong>/ NOVEMBER <strong>2015</strong><br />
„Ich kann mir nicht mehr<br />
vorstellen, so zu leben.“ TIRUYE MULLAT<br />
Dass Tiruye noch am Leben ist, verdankt sie auch den ehrenamtlichen Helfern vom Verein „Hamburger mit Herz“. Gorden<br />
Isler und Anja Werner sammelten über die Spendenplattform betterplace.org 25.000 Euro für die lebensrettende Herz-OP.<br />
Heute ist die Äthiopierin eine aufgeweckte und selbstbewusste junge Frau. Sie wohnt bei der Familie ihres Onkels in Berlin und<br />
geht dort in die Schule. In ihrer Heimat wird sie begrüßt wie eine Prinzessin.<br />
32
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Fotoreportage<br />
„In Deutschland fahre<br />
ich U-Bahn. Hier reiten<br />
wir auf Mulis.“ TIRUYE MULLAT<br />
Im äthiopischen Hochland ticken die Uhren anders. Die Menschen in<br />
dem Dorf Mekerie leben ohne Strom und fließendes Wasser, in Hütten<br />
aus Lehm. Frauen müssen schwere Wasserkrüge auf dem Rücken meist kilometerweit<br />
tragen. Die Bauern bearbeiten die harten Böden noch mit<br />
Holzpflug und Ochsen. Der Bach ist oft ausgetrocknet und schmutzig.<br />
Nur ein einziges Haus hat eine Toilette – ein einfaches Plumpsklo. Überall<br />
ist es extrem staubig. Manchmal liegen riesige Qualmwolken über dem<br />
Dorf. Weil die Frauen das traditionelle Fladenbrot auf ihren Holzöfen<br />
backen. Oder weil jemand seinen Müll verbrennt.<br />
33
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Fotoreportage<br />
„Es ist ein Wunder, dass<br />
Tiruye noch lebt!“ TIRUYES MUTTER WUBALEM<br />
Es ist ein Wiedersehen voller Emotionen. Das Mädchen zückt ein Taschentuch und<br />
wischt ihrer Mutter Wubalem die Tränen weg. In dem Moment beginnt auch noch<br />
die langersehnte Regenzeit. Wubalem hat ihre Tochter zum letzten Mal gesehen, als<br />
sie todkrank war. Nun sieht sie endlich mit eigenen Augen, was sie als orthodoxe<br />
Christin nur als ein Wunder begreifen kann: Tiruye ist gerettet. Nur durch Zufall<br />
hatten die Entwicklungshelfer vom Schicksal des Mädchens erfahren, als sie in das<br />
Dorf kamen, um eine Schule zu bauen.<br />
35
Fotoreportage<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>273</strong>/ NOVEMBER <strong>2015</strong><br />
„Was die Menschen hier am dringendsten<br />
brauchen, das ist Bildung.“ GORDEN ISLER, HAMBURGER MIT HERZ<br />
Tiruyes Bruder Nibret schweißt neue Bänke für die Grundschule zusammen. Wie das genau funktioniert, hat ihm Alfred<br />
Brendler aus Bayern beigebracht. Der Berufsschullehrer engagiert sich seit Jahren hier für den Förderverein der Schule Mekerie,<br />
den auch die „Hamburger mit Herz“ unterstützen. Die Entwicklungshelfer aus Deutschland haben gemeinsam eine Highschool<br />
aufgebaut und setzen sich dafür ein, dass die jungen Äthiopier eine gute Ausbildung bekommen – soweit es geht auch<br />
über die Schulzeit hinaus.<br />
36
Fotoreportage<br />
„Ich möchte einmal Ärztin<br />
werden und anderen<br />
Menschen helfen.“ TIRUYE MULLAT<br />
Im Haus der Mullats schläft die ganze Familie in einem<br />
Raum. Tiruye zeigt ihrem Bruder Bilder aus Deutschland.<br />
Von ihrem Leben in der Stadt, von ihrem Tag am Meer und<br />
von ihrer Schule. Sie will fleißig sein und später einmal Ärztin<br />
werden. Damit sie anderen Menschen das Leben retten kann,<br />
so wie ihr geholfen wurde. Dauerhaft in ihr abgelegenes<br />
Lehmhüttendorf zurückkehren kann Tiruye nicht. Denn sie<br />
muss ihr Leben lang Medikamente nehmen und regelmäßig<br />
unter ärztlicher Beobachtung sein. Wiederkommen, wenn<br />
auch nur zu Besuch, will sie aber auf jeden Fall.<br />
f & w fördern und wohnen AöR<br />
37<br />
Grüner Deich 17 · 20097 Hamburg
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>273</strong>/ NOVEMBER <strong>2015</strong><br />
Sprechende<br />
Mauern<br />
Fünf Hamburger Jobcenter sind neuerdings nur noch über eine<br />
Hotline telefonisch erreichbar. Sozialberater sprechen von „Abschottung“,<br />
die Behörde hingegen ist begeistert. Hinz&<strong>Kunzt</strong> hat mitgehört.<br />
TEXT: ULRICH JONAS<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Seinen Sachbearbeiter<br />
persönlich per Telefon<br />
zu erreichen – das war<br />
einmal. Stattdessen sollen<br />
nun CALLCENTER<br />
Anfragen weiter reichen.<br />
Ob jemand zurückruft?
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Anruf eines älteren Mannes. „Ich habe heute<br />
ein Schreiben bekommen, das mich ein<br />
bisschen aufgeregt hat!“, eröffnet er das Gespräch<br />
mit der Callcenter-Mitarbeiterin.<br />
Auf Nachfragen stellt sich heraus, dass das<br />
Amt den Hilfeempfänger aufgefordert hat,<br />
seine Mietkosten zu senken. Die Wohnung sei zu groß für<br />
zwei. „Wir sind aber drei!“, sagt der Mann. Offenkundig ist<br />
beim Jobcenter das Pflegekind, das er mit seiner Frau großzieht,<br />
vergessen worden. „Ich weiß nicht, was Ihre Kollegen<br />
da machen!“, schimpft der Hilfeempfänger. „Die sollen mal<br />
lesen lernen!“ Nadine Seifert (Name geändert), die Telefonstimme<br />
des Amtes, bleibt ganz cool. „Ich gebe das gerne weiter“,<br />
sagt sie. „Wenn Sie bis Ende kommender Woche nichts<br />
hören, dürfen Sie sich gerne noch mal melden.“<br />
Der Anrufer hat aber noch mehr auf dem Herzen: Seit<br />
diesem Monat ist die Miete gestiegen. Das Amt überweist<br />
aber nicht mehr Geld. Liegt es daran, dass der Mann Widerspruch<br />
gegen einen Bescheid eingelegt hat? Die Callcenter-<br />
Mitarbeiterin schreibt ein sogenanntes Ticket, eine elektronische<br />
Nachricht an den Sachbearbeiter im Jobcenter: „Kunde<br />
bittet um erneute Prüfung und Rückmeldung.“<br />
Fünf der 16 Standorte des Hamburger Jobcenters sind neuerdings<br />
nur noch über eine Hotline telefonisch erreichbar.<br />
Knapp 90.000 Euro monatlich gibt die Hartz-IV-Behörde dafür<br />
aus, dass das Callcenter der Arbeitsagentur diese Aufgabe<br />
übernimmt. Glaubt man Oliver Weiße, dem stellvertretenden<br />
Geschäftsführer des Jobcenters, gibt es bei dieser Veränderung<br />
nur Gewinner: Die sogenannten Kunden freuen sich,<br />
weil sie (fast) immer jemanden erreichen. Und die Sachbearbeiter<br />
können ungestört ihre Akten bearbeiten.<br />
„Manche denken: ,Die Jobcenter wollen sich abschotten.‘<br />
Aber das ist nicht der Fall“, sagt der Geschäftsführer. Auslöser<br />
des Modellversuchs waren laut Weiße Befragungen von<br />
Hartz-IV-Empfängern. Diese hatten ergeben, dass das Hamburger<br />
Jobcenter im Bundesvergleich schlecht abschneidet,<br />
was die telefonische Erreichbarkeit betrifft. „Die Regelung<br />
war, dass die Mitarbeiter zwischen 8 und 9 Uhr erreichbar<br />
sein sollen. Das wurde aber oft nicht gelebt“, sagt Weiße. Wer<br />
dem smarten Geschäftsführer eine Weile zuhört, begreift<br />
schnell: Das „Jobcenter der Zukunft“, wie sich das Modell<br />
nennt, wird bald überall in Hamburg Wirklichkeit sein.<br />
Anruf eines jungen Mannes. Sein Sachbearbeiter hat ihn<br />
schriftlich aufgefordert, kommende Woche um 7.30 Uhr im<br />
Bereits 156-mal sind<br />
Hilfeempfänger an<br />
diesem Tag telefonisch<br />
nicht durchgekommen.<br />
Amt zu erscheinen. Da der Anrufer am Stadtrand wohnt und<br />
der erste Bus um 6.24 Uhr fährt, wird er sich voraussichtlich<br />
um zehn Minuten verspäten. Nadine Seifert schreibt erneut<br />
ein Ticket. „Kunde bittet um Rückruf, sofern das nicht möglich<br />
ist“, schließt sie. Verpasst ein Hilfeempfänger einen Termin<br />
und liefert nicht spätestens am gleichen Tag eine gute Erklärung<br />
dafür, kann das böse Folgen haben: Im schlechtesten<br />
Fall kürzt das Amt die Hilfe.<br />
„3:30“. So steht es auf dem Computerbildschirm der Teamleiterin.<br />
Das bedeutet: Drei Minuten und 30 Sekunden muss<br />
ein Hartz-IV-Empfänger an diesem Donnerstagnachmittag<br />
kurz vor halb drei warten, bis sein Anruf von der Hotline des<br />
Jobcenters entgegengenommen wird.<br />
Wenn er denn so lange wartet: 1084 Anrufversuche hat<br />
der Rechner seit dem Morgen gezählt, 928 Gespräche kamen<br />
zustande. Mit anderen Worten: Bereits 156-mal sind Hilfeempfänger<br />
an diesem Tag telefonisch nicht zu ihrem Jobcenter<br />
durchgekommen, weil sie nicht geduldig genug waren. 75<br />
Prozent Erreichbarkeit ist die Zielmarke des Callcenters. Drei<br />
von vier Anrufern also sollen das Callcenter beim ersten Versuch<br />
erreichen, ohne übermäßiges Warten oder die Ansage:<br />
„Leider verzeichnen wir gerade ein hohes Anrufaufkommen.<br />
Bitte versuchen Sie es deshalb zu einem späteren Zeitpunkt<br />
noch einmal.“<br />
Anruf einer Sozialarbeiterin. Sie telefoniert im Auftrag einer<br />
Asylbewerberin, die neben ihr sitzt. Nadine Seifert lässt sich<br />
die Kundin geben und fragt, ob sie einverstanden ist, dass die<br />
Sozialarbeiterin das Gespräch führt. Datenschutz. Es geht um<br />
ein Schreiben des Jobcenters, auf dem „Aufforderung zur<br />
Mitwirkung“ steht. Das Amt fordert für zwei Töchter der<br />
Asylbewerberin eine Schulbescheinigung. „Jetzt sind aber<br />
Ferien, und das Sekretariat ist zu“, sagt die Sozialarbeiterin.<br />
Zudem habe die ältere Tochter die Schule kürzlich abge-<br />
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ISBN 978-3-9814245-9-1<br />
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>273</strong>/ NOVEMBER <strong>2015</strong><br />
Sozialarbeiter berichten von<br />
frustrierten Hilfeempfängern<br />
und sinnloser Mehrarbeit.<br />
wenn ein Hilfeempfänger gerade unter der Dusche steht oder<br />
die Sozialarbeiterin ein Beratungsgespräch führt? Die Telefonnummer<br />
der Jobcenter-Mitarbeiter wird nicht übertragen,<br />
und mehr als einmal rufen sie nicht zurück – wenn überhaupt,<br />
so die Klagen von Sozialberatern.<br />
schlossen. Nadine Seifert verspricht, die Informationen weiterzugeben.<br />
„Die Schulbescheinigung ist ja nicht so relevant<br />
zur Leistungsberechnung.“<br />
So einfach geht es oft nicht: Sozialberater berichten von frustrierten<br />
Hilfeempfängern und sinnloser Mehrarbeit. „Existenzielle<br />
Fragen können über die Hotline nicht geklärt werden“,<br />
sagt Christel Ewert von der Stadtteildiakonie Wilhelmsburg.<br />
Und dann erzählt sie von der Mutter eines kleinen Kindes,<br />
die kürzlich zu ihr kam. In heller Aufregung, weil der Strom<br />
abgestellt werden sollte, wegen Energieschulden.<br />
Die Sozialberaterin sieht die Papiere durch und stellt fest:<br />
Das Jobcenter hat der Frau in den vergangenen Monaten 550<br />
Euro zu wenig überwiesen. Christel Ewert ruft beim Callcenter<br />
an – und bekommt die Empfehlung, gemeinsam mit der<br />
Frau persönlich beim Jobcenter vorzusprechen. Gut zwei<br />
Stunden muss sie aufwenden, um vor Ort die Fehler des Amtes<br />
aufzuklären, die meiste Zeit verbringt sie mit Warten.<br />
„Früher hätte ich das mit einem Anruf beim Sachbearbeiter<br />
klären können“, sagt die Stadtteildiakonin. „Das ist Abschottung,<br />
die da stattfindet!“ Zwar verspricht das Jobcenter einen<br />
Rückruf innerhalb von 48 Stunden. Doch was geschieht,<br />
Anruf einer Frau mit verzagter Stimme. Die Hartz-IV-Empfängerin<br />
hat von der Arbeitsagentur einen Vermittlungsvorschlag<br />
zugeschickt bekommen. Sie soll sich bei einer Reinigungsfirma<br />
bewerben. „Das habe ich schon versucht, das ist<br />
nichts für mich“, sagt die Anruferin. Ihre Beraterin beim Jobcenter<br />
wisse das auch. Zudem könne sie nicht Schichtdienst<br />
bei der weit entfernten Firma leisten, da ihr Mann das gemeinsame<br />
Auto für die Fahrt zu seinem Job brauche.<br />
Nadine Seifert verspricht, die Informationen weiterzugeben.<br />
Aus dem Datensatz der Frau kann sie ersehen, dass die<br />
Jobcenter-Beraterin eine Notiz gefertigt hat: „Aus persönlichen<br />
Gründen für Reinigungsjobs nicht geeignet.“ Auf diesen<br />
Vermerk hatte die Jobbörse der Arbeitsagentur, die den Brief<br />
verschickt hat, offenbar keinen Zugriff. Warum eigentlich<br />
nicht? „Datenschutz“, sagt Nadine Seifert. Auch nach diesem<br />
Gespräch muss sie ein Ticket versenden.<br />
80 Prozent aller Anrufe sollen die Callcenter-Mitarbeiter<br />
„fallabschließend bearbeiten“. Nach Darstellung des Jobcenters<br />
schaffen sie das auch. Nadine Seifert hat in der guten halben<br />
Stunde, in der Hinz&<strong>Kunzt</strong> sie bei der Arbeit begleitete,<br />
keine der vier Anfragen wirklich beantworten können. Ein<br />
Zufall? Wie ihre Kollegen in den Ämtern mit den Nachrichten<br />
umgehen, die sie weitergeleitet hat, erfährt sie nicht. Und<br />
das ist auch so gewollt. •<br />
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Bekanntmachung<br />
zum Bürgerschaftsreferendum zur Bewerbung<br />
um Olympische und Paralympische Spiele 2024<br />
Durchführung, Verfahren, Briefabstimmung, Abstimmung<br />
in den Abstimmungsstellen, Stimmberechtigung<br />
und Einsicht in das Abstimmungsverzeichnis<br />
Durchführung<br />
Nach § 25 h ff. des Volksabstimmungsgesetzes wird<br />
am 29. <strong>November</strong> <strong>2015</strong> (Sonntag)<br />
in der Zeit von 8:00 – 18:00 Uhr<br />
das Bürgerschaftsreferendum zur Bewerbung um Olympische<br />
und Paralympische Spiele durchgeführt.<br />
Auf dem Stimmzettel steht eine Vorlage zur Abstimmung.<br />
Die Vorlage zum Bürgerschaftsreferendum zur Bewerbung<br />
um Olympische und Paralympische Spiele lautet:<br />
„Ich bin dafür, dass sich der Deutsche Olympische Sportbund<br />
mit der Freien und Hansestadt Hamburg um die<br />
Ausrichtung der Olympischen und Paralympischen Spiele<br />
im Jahr 2024 bewirbt.“<br />
Verfahren<br />
Die Abstimmenden haben jeweils eine Stimme. Durch<br />
Ankreuzen von „JA“ oder „NEIN“ wird abgestimmt. Jede<br />
stimmberechtigte Person kann also auf dem Stimmzettel<br />
eine Stimme abgeben, das heißt jeweils für oder gegen<br />
die Vorlage stimmen.<br />
Die Teilnahme an dem Bürgerschaftsreferendum ist<br />
durch Briefabstimmung oder durch persönliche<br />
Abstimmung am 29. <strong>November</strong> <strong>2015</strong> möglich. Hierzu<br />
erhalten alle Abstimmungsberechtigten zusammen mit<br />
der Abstimmungsbenachrichtigung ohne Antrag die<br />
Briefabstimmungsunterlagen zugesandt. Zudem ist eine<br />
Liste der insgesamt 200 Abstimmungsstellen beigefügt.<br />
Das Bürgerschaftsreferendum kommt zustande, wenn<br />
mehr Ja als Nein-Stimmen abgegeben werden und<br />
mindestens ein Fünftel der zur Bürgerschaft<br />
Wahlberechtigten zustimmt (259.883 Personen).<br />
Die zuständige Behörde legt für den Versand der<br />
Abstimmungsunterlagen ein vorläufiges elektronisches<br />
Abstimmungsverzeichnis an. Das endgültige Abstimmungsverzeichnis<br />
wird am Abstimmungstag<br />
(29. <strong>November</strong> <strong>2015</strong>) erstellt.<br />
In das Abstimmungsverzeichnis werden von Amts wegen<br />
alle im Melderegister erfassten Personen eingetragen,<br />
die am Abstimmungstag - also am 29. <strong>November</strong> <strong>2015</strong> -<br />
zur Bürgerschaft wahlberechtigt sind.<br />
Abstimmungsberechtigte, die nicht im Abstimmungsverzeichnis<br />
eingetragen sind, werden auf Antrag bei den<br />
unten angegebenen bezirklichen Abstimmungsdienststellen<br />
in das Abstimmungsverzeichnis<br />
aufgenommen. Der Antrag muss die Versicherung<br />
enthalten, dass die Abstimmungsvoraussetzungen<br />
vorliegen.<br />
Briefabstimmung<br />
Alle stimmberechtigten Personen, die in das<br />
Abstimmungsverzeichnis eingetragen sind, erhalten bis<br />
zum 7. <strong>November</strong> <strong>2015</strong> die Abstimmungsunterlagen.<br />
Diese bestehen aus der Abstimmungsbenachrichtigung mit<br />
Hinweisen zum Abstimmungsverfahren, dem amtlichen<br />
weißen Abstimmungsschein mit einer vorgedruckten<br />
eidesstattlichen Versicherung zur Briefabstimmung, dem<br />
amtlichen weißen Stimmzettel, dem amtlichen blauen<br />
Stimmzettelumschlag, dem amtlichen roten Abstimmungsbriefumschlag<br />
sowie einem Informationsheft zum<br />
Bürgerschaftsreferendum und einer Liste der Abstimmungsstellen.<br />
Jede abstimmungsberechtigte Person kann ohne<br />
Antragstellung die Briefabstimmung nutzen und den roten<br />
Abstimmungsbrief innerhalb Deutschlands portofrei an die<br />
Bezirksabstimmungsleitung senden.<br />
Der Abstimmungsbrief muss so rechtzeitig von der<br />
stimmberechtigten Person abgesandt werden, dass er der<br />
Bezirksabstimmungsleitung spätestens bis zum<br />
29. <strong>November</strong> <strong>2015</strong>, 18:00 Uhr, zugeht. Der<br />
Abstimmungsbrief kann auch bei der<br />
Abstimmungsdienststelle abgegeben werden.<br />
Außerdem ist auch die Briefabstimmung vor Ort in einer<br />
der unten angegebenen Abstimmungsdienststellen<br />
möglich. Die Öffnungszeiten sind Montag – Donnerstag<br />
08:00-16:00 Uhr, Freitag 08:00-14:00 Uhr. Abweichende<br />
Öffnungszeiten werden durch Aushang in oder am<br />
Dienstgebäude bekannt gemacht.<br />
Abstimmung in den Abstimmungsstellen<br />
Die Stimmabgabe kann statt durch Briefabstimmung auch<br />
durch persönliche Abstimmung in einer von 200<br />
Abstimmungsstellen erfolgen. Jede abstimmungsberechtigte<br />
Person kann frei entscheiden, welche dieser<br />
Abstimmungsstellen sie aufsuchen möchte. Eine Liste der<br />
Abstimmungsstellen ist der Abstimmungsbenachrichtigung<br />
beigefügt.<br />
Am Abstimmungstag sind die Abstimmungsstellen für die<br />
Stimmabgabe von 8:00 Uhr bis 18:00 Uhr geöffnet.<br />
Einsicht in das Abstimmungsverzeichnis<br />
Das vorläufige elektronische Abstimmungsverzeichnis für<br />
das Bürgerschaftsreferendum am 29. <strong>November</strong> <strong>2015</strong><br />
kann von Montag, 9. <strong>November</strong> <strong>2015</strong>, bis Donnerstag,<br />
12. <strong>November</strong> <strong>2015</strong>, von 08:00 bis 16:00 Uhr und Freitag,<br />
13. <strong>November</strong> <strong>2015</strong>, von 08:00 bis 14:00 Uhr in den unten<br />
angegebenen bezirklichen Abstimmungsdienststellen<br />
eingesehen werden.<br />
Stimmberechtigung<br />
Stimmberechtigt sind alle Deutschen, die am Tage der<br />
Abstimmung<br />
– das 16. Lebensjahr vollendet haben, also vor dem<br />
30. <strong>November</strong> 1999 geboren sind,<br />
– seit mindestens drei Monaten im Gebiet der Freien und<br />
Hansestadt Hamburg ihre (Haupt-) Wohnung haben<br />
oder sich sonst gewöhnlich aufhalten, also seit dem<br />
29. August <strong>2015</strong>,<br />
– und nicht nach § 7 Absatz 1 des Gesetzes über die<br />
Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft vom Wahlrecht<br />
ausgeschlossen sind.<br />
Abstimmungsberechtigte erhalten spätestens bis zum<br />
7. <strong>November</strong> <strong>2015</strong> ihre Abstimmungsunterlagen.<br />
Stimmberechtigte Personen, die keine amtlichen Abstimmungsunterlagen<br />
erhalten haben, sollten sich durch<br />
Nachfrage bei einer der bezirklichen Abstimmungsdienststellen<br />
vergewissern, ob sie im Abstimmungsverzeichnis<br />
eingetragen sind.<br />
Abstimmungsberechtigte, die nicht im Abstimmungsverzeichnis<br />
eingetragen sind, sind auf Antrag bei den<br />
unten angegebenen Abstimmungsdienststellen in das<br />
Abstimmungsverzeichnis aufzunehmen. Der Antrag muss<br />
die Versicherung enthalten, dass die Abstimmungsvoraussetzungen<br />
vorliegen.<br />
Personen ohne festen Wohnsitz<br />
Stimmberechtigt sind alle wohnungslosen Deutschen,<br />
wenn sie am Tag der Stimmabgabe die o. g.<br />
Voraussetzungen erfüllen. Sie werden nur auf Antrag in<br />
das Abstimmungsverzeichnis eingetragen.<br />
Der Antrag muss persönlich oder schriftlich bis zum<br />
29. <strong>November</strong> <strong>2015</strong> bei einer der unten angegebenen<br />
Abstimmungsdienststellen gestellt werden. Zur<br />
Erleichterung der Antragstellung sind Vordrucke in den<br />
Abstimmungsdienststellen, in den Grundsicherungs- und<br />
Sozialdienststellen der Bezirksämter, in den Tagesaufenthaltsstätten<br />
sowie in den Übernachtungsstätten und<br />
Wohnunterkünften erhältlich.<br />
Widerspruch<br />
Wer das Abstimmungsverzeichnis für unrichtig oder<br />
unvollständig hält, kann während der Einsichtsfrist vom<br />
9. bis zum 13. <strong>November</strong> <strong>2015</strong>, 14:00 Uhr, bei einer der<br />
unten angegebenen Abstimmungsdienststellen Widerspruch<br />
einlegen. Der Widerspruch muss schriftlich oder<br />
durch Erklärung zur Niederschrift eingelegt werden.<br />
Das Abstimmungsverzeichnis wird im automatisierten<br />
Verfahren geführt.<br />
Hamburg, im Oktober <strong>2015</strong><br />
Der Landesabstimmungsleiter<br />
Abstimmungsdienststellen<br />
Öffnungszeiten: Montag - Donnerstag 08:00 - 16:00 Uhr, Freitag 08:00 - 14:00 Uhr<br />
Bezirk Hamburg-Mitte<br />
Abstimmungsdienststelle HH-Mitte<br />
Klosterwall 4, Block B, 20095 Hamburg<br />
Fax: (040) 4 279 08- 164<br />
Briefwahl@hamburg-mitte.hamburg.de<br />
Bezirk Altona<br />
Abstimmungsdienststelle Altona<br />
Platz der Republik 1, 22765 Hamburg<br />
Fax: (040) 427 31- 0838<br />
Briefwahl@altona.hamburg.de<br />
Bezirk Hamburg-Nord<br />
Abstimmungsdienstelle HH-Nord<br />
Kümmellstraße 7, 20249 Hamburg<br />
Fax: (040) 4 279 04- 999<br />
Briefwahl@hamburg-nord.hamburg.de<br />
Bezirk Wandsbek<br />
Abstimmungsdienstelle Wandsbek<br />
Schloßstraße 60, 22041 Hamburg<br />
Fax: (040) 4 279 05- 505<br />
Briefwahl@wandsbek.hamburg.de.<br />
Bezirk Bergedorf<br />
Abstimmungsstelle Bergedorf<br />
Wentorfer Straße 38, 21029 Hamburg<br />
Fax: (040) 4 279 06- 280<br />
Briefwahl@bergedorf.hamburg.de<br />
Bezirk Eimsbüttel<br />
Abstimmungsdienstelle Eimsbüttel<br />
Grindelberg 66, 20144 Hamburg<br />
Fax: (040) 4 279 03- 081<br />
Briefwahl@eimsbuettel.hamburg.de<br />
Bezirk Harburg<br />
Abstimmungsdienststelle Harburg<br />
Harburger Rathausplatz 1, 21073 Hamburg<br />
Fax: (040) 4 279 07- 408<br />
Briefwahl@harburg.hamburg.de
Freunde<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>273</strong>/ NOVEMBER <strong>2015</strong><br />
Ein Leben ohne Kunst<br />
ist für WOLFRAM<br />
SCHNELLE möglich,<br />
aber sinnlos.<br />
Unter den Hammer<br />
Sie haben noch eine antike Vase zu Hause, Silberbesteck oder<br />
etwas anderes Originelles, das Sie zugunsten von Hinz&<strong>Kunzt</strong> versteigern lassen wollen?<br />
Wenn es 100 Euro wert ist, könnten Sie mitmachen bei der Auktion von Lauritz.com.<br />
TEXT: SYBILLE ARENDT<br />
FOTO: DMITRIJ LELTSCHUK<br />
Ein Büro wie Wolfram Schnelle<br />
hat nicht jeder: Der Raum des<br />
Hamburger Lauritz.com-Geschäftsführers<br />
ist 1500 Quadratmeter<br />
groß und sieht aus wie eine Mischung<br />
aus Museum und Flohmarkt. In dem<br />
Backsteingebäude an der Großen Elbstraße<br />
sind Dutzende von Designer-Möbeln<br />
zu bestaunen, aber auch Gemälde<br />
und Sammlerstücke wie Bernsteinschnitzereien,<br />
Damenhandtaschen und<br />
Porzellan. Die wilde Mischung gefällt<br />
dem 37-Jährigen: Gut gelaunt posiert<br />
Schnelle für die Fotos und erklärt, wie<br />
die Spenden-Auktion für Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
funktioniert.<br />
Das Prinzip ist denkbar einfach: Wer<br />
sich von einem gut erhaltenen Teppich<br />
oder Omas Silberkanne trennen möchte,<br />
macht ein Foto von dem guten Stück<br />
und schickt es per Mail an Lauritz.com.<br />
Die Experten antworten daraufhin mit<br />
einem ersten Schätzpreis. Dieser muss<br />
bei mindestens 100 Euro liegen. Dann<br />
bringt der Kunde den Gegenstand vorbei<br />
und es erfolgt eine Begutachtung vor<br />
Ort. „Nur aufgrund eines Fotos kann<br />
man nicht erkennen, ob etwas echt ist“,<br />
so Schnelle. Und dafür garantiert das<br />
Unternehmen: „Bei uns weiß der Käu-<br />
Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk<br />
42
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
„Kunstwerke<br />
liefern Fragen,<br />
Antworten und<br />
Inspiration.“<br />
Freunde<br />
fer, dass ein Eames Chair auch wirklich<br />
ein Eames Chair ist“, versichert der<br />
Kunstfachmann. Kommen die Fachleute<br />
bei der Taxierung zu dem Schluss,<br />
dass der Gegenstand keine Fälschung ist,<br />
wird er fotografiert und online gestellt.<br />
Mit dem Prinzip der Online-Auktionen<br />
ist das dänische Unternehmen seit<br />
1999 erfolgreich. „Durch das Internet<br />
erreichen wir viele Menschen und nehmen<br />
den Auktionen das Elitäre“, sagt er.<br />
1,2 Millionen registrierte Kunden kann<br />
Lauritz.com vorweisen. Das Online-<br />
Unternehmen verdient an der Zuschlagsgebühr<br />
und der Provision.<br />
Auch die Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Auktion<br />
wird nach diesem Prinzip funktionieren.<br />
Aber Lauritz.com wird dabei auf alle<br />
Gebühren verzichten, damit die Erlöse<br />
ganz und gar Hinz&<strong>Kunzt</strong> zugute kommen.<br />
Wolfram Schnelle freut sich darauf,<br />
denn er schätzt die Arbeit von<br />
Straßenmagazinen. Er lebte lange Jahre<br />
in London und kennt daher auch das<br />
Magazin Big Issue. Außerdem gehören<br />
Charity-Versteigerungen zum Prinzip<br />
des Unternehmens. In Hamburg unterstützt<br />
Lauritz.com auf diese Weise zum<br />
Beispiel regelmäßig die „altonale“.<br />
Schnelle kennt den Markt gut. Er<br />
hat Betriebswirtschaft und Kunstgeschichte<br />
studiert und einige Jahre eine<br />
Galerie in London geführt. 2010 ist er<br />
dort ausgestiegen. Die Wirtschaftskrise<br />
schmälerte die Umsätze dramatisch.<br />
Und außerdem brauchte der Kunstliebhaber<br />
einen sicheren Job, denn er wurde<br />
Vater. Schnelle kam mit seiner Familie<br />
nach Deutschland zurück und arbeitete<br />
zunächst in einer anderen Branche. Als<br />
im Mai <strong>2015</strong> die Stelle bei Lauritz.com<br />
frei wurde, griff er zu. „Ich bin froh,<br />
wieder in dem Bereich zu arbeiten, für<br />
den ich brenne.“<br />
Denn ein Leben ohne Kunst kann<br />
sich Wolfram Schnelle nicht vorstellen.<br />
Jedes Wochenende ist er mit seiner Frau<br />
und seinen beiden Kindern im Museum.<br />
„Natürlich nicht mehr vier Stunden,<br />
so wie früher. Aber ich gehe dort<br />
hin wie andere vielleicht in die Kirche:<br />
Kunstwerke liefern Fragen, Antworten<br />
und Inspiration.“ •<br />
So funktioniert’s: Wer ein Möbel- oder<br />
Schmuckstück, Porzellan, einen Teppich,<br />
ein Kunstwerk oder auch Neuware<br />
zugunsten von Hinz&<strong>Kunzt</strong> versteigern<br />
lassen möchte, schickt einfach zwischen dem<br />
1. und 28. <strong>November</strong> eine E-Mail mit<br />
einem Foto des Gegenstandes an<br />
hinzundkunzt@lauritz.com.<br />
Die Experten von Lauritz.com antworten mit<br />
einem Schätzpreis und klären alle Fragen.<br />
Ab dem 6. Dezember startet die Online-<br />
Auktion. Alle Infos unter www.lauritz.com<br />
JA,<br />
ICH WERDE<br />
MITGLIED<br />
IM HINZ&KUNZT-<br />
FREUNDESKREIS.<br />
Damit unterstütze ich die<br />
Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Meine Jahresspende beträgt:<br />
60 Euro (Mindestbeitrag für<br />
Schüler/Studenten/Senioren)<br />
100 Euro<br />
Euro<br />
Datum; Unterschrift<br />
Ich möchte eine Bestätigung<br />
für meine Jahresspende erhalten.<br />
(Sie wird im Februar des Folgejahres zugeschickt.)<br />
Meine Adresse:<br />
Name, Vorname<br />
Straße, Nr.<br />
PLZ, Ort<br />
Telefon<br />
E-Mail<br />
Beruf<br />
Geburtsjahr<br />
Einzugsermächtigung:<br />
Ich erteile eine Ermächtigung zum<br />
Bankeinzug meiner Jahresspende.<br />
Ich zahle: halbjährlich jährlich<br />
Dankeschön<br />
IBAN<br />
Wir danken allen, die im Oktober an uns<br />
gespendet haben, sowie allen Mitgliedern<br />
im Freundeskreis von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
für die Unterstützung unserer Arbeit!<br />
DANKESCHÖN EBENFALLS AN:<br />
Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH,<br />
Axel Ruepp Rätselservice, IPHH,<br />
Hamburger Kunsthalle, bildarchiv-hamburg.de,<br />
Kultur-Medien Hamburg GmbH,<br />
Firma Ute Orth, Druckerei SCHARLAU GmbH,<br />
Medienpool Extra GmbH, wk it services<br />
43<br />
NEUE FREUNDE:<br />
Hauke Ahrend, Marijke Bouma,<br />
Sophie Brackrock, Kay Brose,<br />
Ronald Bücker, Fabian Giglmaier,<br />
Theres Gniwotta, Lina Klingebeil,<br />
Philipp Meis, Brian Melican,<br />
Patriotische Gesellschaft von 1765,<br />
Severin Renke, Achim Rode<br />
und Cordula Wallis, Monika Saß,<br />
Karen Schulz, Birgit Steffens,<br />
Walter Steuer, Grit Westphal,<br />
Lena Maja Wöhler<br />
BIC<br />
Bankinstitut<br />
Wir versichern, dass Ihre Angaben nur für interne<br />
Zwecke bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> verwendet werden. Ihre<br />
Mitgliedschaft im Freundeskreis ist jederzeit kündbar.<br />
Bitte Coupon ausschneiden und senden an:<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis<br />
Altstädter Twiete 1-5, 20095 Hamburg<br />
Oder online im Freundeskreis anmelden unter<br />
www.hinzundkunzt.de/so-koennen-sie-helfen/<br />
HK <strong>273</strong>
Buh&Beifall<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>273</strong>/ NOVEMBER <strong>2015</strong><br />
Was unsere Leser meinen<br />
„Bedürftige dürfen nicht in Vergessenheit geraten“<br />
„Plötzlich Millionen vorhanden“<br />
H&K 272, Kommentar: „Wir müssen das<br />
hinkriegen – für alle“<br />
Ihren Kommentar empfinde ich<br />
als ausgleichend und moderat. Seit Jahren<br />
kaufe ich „Hinz&<strong>Kunzt</strong>“ und las<br />
sehr oft, wie sehr sich mancher Obdachlose<br />
eine eigene Wohnung wünscht. Ich<br />
bin wie Sie ein wenig neidisch, dass das<br />
Thema Obdachlosigkeit nicht mit derselben<br />
Power angepackt wurde wie die<br />
jetzige Flüchtlingsproblematik. Es ist<br />
sehr traurig, wie oft soziale Projekte aufgegeben<br />
werden mussten oder der soziale<br />
Wohnungsbau ins Hintertreffen gerät,<br />
weil angeblich kein Geld da ist. Nun<br />
sind aber plötzlich Millionen vorhanden.<br />
Mit Ihnen hoffe ich, dass Obdachlose<br />
und andere Bedürftige über der<br />
ganzen Flüchtlingskatastrophe nicht<br />
gänzlich in Vergessenheit geraten.<br />
ULRIKE LIMPACH<br />
„Ganz neue Eindrücke“<br />
H&K 270, Sommer in Hamburg<br />
Durch die wunderbaren Tipps<br />
habe ich ganz neue Eindrücke gewonnen.<br />
Der Michelgarten war eine wahre<br />
Erholungspause!<br />
ZDENKA FISCHER<br />
Die Griechenland-Unterstützer<br />
H&K 269, Griechisches Tagebuch<br />
Wie bekommt man Kontakt zu<br />
der Griechin in Hamburg, die Medikamente<br />
für die Sozialklinik sammelt? Wie<br />
kann man unterstützen? Über den drängenden<br />
Fragen zur Flüchtlingssituation<br />
vergisst man Griechenland. R. HANSEN<br />
Anm. der Redaktion: Schicken Sie Ihre<br />
Post an den Förder- und Freundeskreis<br />
Elliniko e.V., Vorsitz: Kalliopi Brandstäter<br />
und Hinrich Stechmann, Neue Wöhr 14,<br />
22307 Hamburg, Telefon: 0157-34 33 29<br />
21, E-Mail: vorstand@elliniko-freunde.de<br />
Leserbriefe geben die Meinung des Verfassers<br />
wieder, nicht die der Redaktion. Wir behalten<br />
uns vor, Leserbriefe zu kürzen.<br />
Wir trauern um<br />
Andreas Moeck<br />
28. Mai 1969 – 25. Mai <strong>2015</strong><br />
Andreas verkaufte am S-Bahnhof Holstenstraße.<br />
Seinen 46. Geburtstag hat er nicht mehr erlebt.<br />
Die Verkäufer und das Team von<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
Wir trauern um<br />
Detlef Lutz Jeschke<br />
29. Juli 1958 – 3. Juli <strong>2015</strong><br />
Detlef war schwer krank. Bis kurz vor seinem<br />
Tod verkaufte er bei Ikea Moorfl eet.<br />
Die Verkäufer und das Team von<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
HAMBURGER NEBENSCHAUPLÄTZE<br />
DER ETWAS<br />
ANDERE<br />
STADTRUNDGANG<br />
Wollen Sie Hamburgs City einmal mit anderen Augen sehen?<br />
Abseits der teuren Fassaden zeigt Hinz&<strong>Kunzt</strong> Orte, die in<br />
keinem Reiseführer stehen: Bahnhofs mission statt Rathausmarkt,<br />
Drogenberatungsstelle statt Alsterpavillon, Tages aufent halts stätte<br />
statt Einkaufspassage.<br />
Anmeldung: info@hinzundkunzt.de<br />
oder Telefon: 040/32 10 83 11<br />
Kostenbeitrag: 10/5 Euro,<br />
nächste Termine: 8. + 22.11.<strong>2015</strong>, 15 Uhr<br />
Antifaschistischer Pflegedienst<br />
sucht ex. Pflegekräfte in Teilzeit<br />
(auch Minijob) mit Pkw-FS.<br />
www.solihilfe.de info@solihilfe.de<br />
Tel.: 040 – 38 68 66 -0<br />
Lagerstr. 30-32, 20357 Hamburg
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Große Gefühle: Schuberts Schöne Müllerin zugunsten von Hinz&<strong>Kunzt</strong> (S. 50).<br />
Leckere Sachen: Unser Koch des Monats tischt auf (S. 56).<br />
Neue Heimat: Beim FC St. Pauli kann Hinz&Künztler Reiner entspannen (S. 58).<br />
Wo CHARLY HÜBNER steht,<br />
ist vorn: Mit seiner Präsenz<br />
füllt der Schauspieler die Bühne<br />
auch alleine ganz gut (S. 46).<br />
FOTO: DANIEL CRAMER
Ein Mann wie eine norddeutsche<br />
Schrankwand:<br />
Nicht mal der grauenhafte<br />
Schnauzer kann CHARLY<br />
HÜBNER entstellen.
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
„Ich bin ein<br />
total guter<br />
Freihaber“<br />
Wuchtig, kantig, nordisch: So kennt man Charly Hübner in seiner Rolle<br />
als Kommissar Bukow im Rostocker Polizeiruf. Aber der Schauspieler kann<br />
auch leise: ein Gespräch über Hübners Kindheit in Mecklenburg-Vorpommern,<br />
Ärger über Pegida und seinen Ruhepol – die Elbe.<br />
TEXT: BENJAMIN LAUFER<br />
FOTOS: DANIEL CRAMER<br />
Gerade so passt er durch<br />
die Tür. Fast müsste er<br />
sich bücken, dieser große,<br />
kräftige Mann in seinen<br />
besten Jahren. Dann<br />
steht er da und vereinnahmt auf einen<br />
Schlag den ganzen Raum. „Hallo, ich<br />
bin Charly“, sagt lapidar einer der begehrtesten<br />
deutschen Schauspieler dieser<br />
Tage und reicht zur Begrüßung die<br />
Hand: Charly Hübner. Den Schnauzbart<br />
trägt er für die Kinoverfilmung von<br />
Timm Thaler, den schweren Mantel<br />
über dem legeren T-Shirt, weil es jetzt<br />
kalt ist in Hamburg. Die Stimmung<br />
beim Gespräch ist das glatte Gegenteil<br />
von frostig, Hübner gibt sich freundlich<br />
und offen. Schnell ist klar: Charly Hübner<br />
ist einer, der gerne erzählt.<br />
Und trotzdem hat es fast ein Jahr<br />
gedauert, bis dieses Gespräch zustande<br />
kam. Denn der 42-Jährige ist viel beschäftigt:<br />
Allein 2014 hat er sechs Filme<br />
gedreht, die alle in diesem Jahr Premiere<br />
feierten. Am Hamburger Schauspielhaus<br />
war er im Frühjahr in Tschechows<br />
„Onkel Wanja“ und Dostojewskis<br />
„Schuld und Sühne“ zu sehen, bald<br />
geht er mit „Schiff der Träume“ auf die<br />
Bühne. Neben Auftritten und Dreharbeiten<br />
bedeutet das viel planen, proben<br />
und dann präsentieren. Der Grund, warum<br />
wir so lange für ein Treffen mit<br />
Hübner anstehen mussten, ist aber ein<br />
anderer: die Familie.<br />
Denn zwischen Drehs und Bühnenproben<br />
macht seine Familie häufig wochenlang<br />
nichts anderes, als Familie zu<br />
sein. Keine Termine, keine Interviews.<br />
„Das würde die Ruhe stören“, sagt Hübner.<br />
„Ich bin ein total guter Freihaber.“<br />
Zusammen mit Kollegin und Ehefrau<br />
Lina Beckmann und deren Sohn lebt er<br />
inzwischen hochzufrieden in den Elbvororten.<br />
Ganz bewusst nehmen die<br />
drei sich so viel Zeit für sich, wie die Jobs<br />
47<br />
von Charly und Lina es erlauben. Auch<br />
weil die Jobs es erlauben.<br />
So wie seine Eltern will er es nicht<br />
machen, bei denen Familie oft nur zwischen<br />
Feierabend und Schlafengehen<br />
stattfand. „Das fand ich als Kind schon<br />
doof“, sagt Hübner. Nicht vorwurfsvoll,<br />
eher ein wenig enttäuscht. „Man verpasst<br />
so viel dadurch.“ Und schon driftet<br />
das Gespräch ab in Richtung Osten,<br />
hin zu seiner Kindheit draußen in der<br />
Natur an den Mecklenburgischen Seen.<br />
Ganz schnell kommt Charly Hübner<br />
ins Schwärmen über die „wildesten<br />
Wälder“ und die „glasklaren Seen“ der<br />
Feldberger Seenlandschaft. Dort, mitten<br />
im Nirgendwo, erlebt er fast beiläufig<br />
das zähe Ende der DDR. Wirkliche Rebellion<br />
ist dem jungen Charly damals<br />
noch fremd, die Unzufriedenheit mit<br />
der Staatsführung begreift er erst spät.<br />
Einen Moment des Aufbegehrens gab es<br />
aber doch: Einmal trugen er und eine
Charly Hübner liebt die Arbeit am Hamburger<br />
SCHAUSPIELHAUS (links). Aber er brilliert<br />
auch an anderen Orten und in unterschiedlichen<br />
Genres. Gerade ist er beim Deutschen Comedypreis<br />
als bester Darsteller geehrt worden.<br />
„Ich glaube<br />
nicht, dass alle<br />
Dresdner Pegida-<br />
Anhänger sind.“<br />
Handvoll anderer zur Einschulung weiße<br />
T-Shirts statt der vorgeschriebenen<br />
blauen FDJ-Hemden. Doch wogegen<br />
sich ihr Protest richtete, weiß Hübner<br />
heute nicht mehr.<br />
Aber der junge Hübner entdeckt<br />
auf geschmuggelten Kassetten erst<br />
Punkmusik, dann Heavy Metal und später<br />
Klassik für sich. Subkultur im besten<br />
Sinne: „Ace of Spades“, das Kult-Album<br />
der Metal-Band Motörhead, hört<br />
er zum ersten Mal in der Schule, als ein<br />
Mitschüler es über die Lautsprecheranlage<br />
laufen lässt. Auch ein bisschen Rebellion.<br />
Eine, die ihn bis heute prägt.<br />
Aus der Ferne beobachtet Charly<br />
Hübner, wie der Unmut in der Bevölkerung<br />
wächst. Wie sich zum Beispiel aus<br />
Dresden Tausende aufmachen in Richtung<br />
BRD. „Gerade Dresden!“, sagt<br />
Hübner und hebt dabei zum ersten Mal<br />
die Stimme. „Das waren Flüchtlinge,<br />
die wollten in den Westen flüchten!“,<br />
sagt er und ärgert sich darüber, dass die<br />
Stadt elbaufwärts seit einem Jahr durch<br />
Pegida für Stimmung gegen Flüchtlinge<br />
steht. „Ich kann mir nicht vorstellen,<br />
dass alle Dresdner Pegida-Anhänger<br />
und -Sympathisanten sind. Ich vermisse<br />
eine medial präsente Gegenhaltung zu<br />
Pegida. Sollte es aber so sein, dass ganz<br />
Dresden die Sorgen und Gewaltbereitschaft<br />
– man denke nur an die reservierten<br />
Galgen für Frau Merkel und Herrn<br />
Gabriel – der Pegida teilt, dann ist eine<br />
Größenordnung an Fremdenhass und<br />
Abschottungsfantasien erreicht, über<br />
die man besorgt sein muss.“ Und er ergänzt:<br />
„Bitte, Dresden, zeige dich!“<br />
Auch Freunde von Charly Hübner<br />
versuchen 1989 das Land zu verlassen.<br />
Aber er bleibt bis 1992. „Ich habe für<br />
48<br />
mich keinen Weg da raus gesehen“, sagt<br />
er. Sein Leben spielt ganz bei seinen Eltern<br />
an den Feldberger Seen. Er beschreibt<br />
es als unspektakulär: „Sozialistisch,<br />
kleinbürgerlich und gesund.“<br />
Unaufgeregt, aber eben: mitten in der<br />
Natur! Sie hat es ihm angetan. „Eine<br />
paradiesische Welt“, sagt Hübner über<br />
seine frühere Heimat, auf die er immer<br />
wieder zu sprechen kommt. „Drei Häuser,<br />
sieben Wälder.“ Seine Beschreibungen<br />
untermalt er mit ausladenden Gesten,<br />
und man fragt sich, warum er<br />
eigentlich nicht dort geblieben ist, so wie<br />
ihn das alles noch fasziniert.<br />
Aber er kommt ja oft zurück. Bis<br />
heute reist Charly Hübner immer wieder<br />
an seine Seen, um dort Ruhe zu tanken.<br />
Und auch in seiner neuen Heimat Hamburg<br />
entflieht er täglich einmal der Hektik<br />
der Großstadt. Auf dem Weg zur Ar-
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
beit macht er stets halt am großen Fluss.<br />
„Wie steht das Wasser? Ist es blau, ist es<br />
grau, ist es rau, ist es weich?“ Jeden Tag<br />
muss Charly Hübner das überprüfen.<br />
„Die Elbe ist mein Ruhepuls“, sagt er.<br />
Als Hübner 2002 nach Hamburg<br />
kommt, ist die Elbmetropole die einzige<br />
Stadt in Deutschland, die ihn interessiert.<br />
„Berlin wurde mir auf einmal zu<br />
hip“, sagt er.<br />
Die sterile Bebauung des Potsdamer<br />
Platzes und das, wofür sie steht – nicht<br />
Hübners Welt. Nicht mehr authentisch<br />
genug. Anders Hamburg: „Das Heiligengeistfeld<br />
ist für mich der Potsdamer<br />
Platz des Nordens“, sagt er. Eine riesige<br />
Freifläche mitten in der Stadt, die auch<br />
von niemandem ernsthaft infrage gestellt<br />
wird. Nicht so wie in Berlin. „Da<br />
finde ich die Hamburger total cool.“<br />
Lässig findet Charly Hübner die<br />
Haltung vieler Hamburger. Ihm gefällt,<br />
was er kaufmännisch nennt: „Diese unterkühlte,<br />
aber trotzdem anteilnehmende<br />
Art.“ Weil da auch Platz sei für Distanz.<br />
„Aber wenn es drauf ankommt,<br />
sind die Hamburger sehr treu.“ Und sie<br />
schnacken viel, so wie Hübner es als<br />
Norddeutscher gewohnt ist, sagt er. Vertraut<br />
war das, als er herkam. „Ein guter<br />
Grund, hier zu leben.“<br />
Kurz lebt Hübner auf St. Pauli, bis<br />
er Ottensen entdeckt. Oder sich „erobert“,<br />
wie er sagt. Der Altonaer Stadtteil<br />
hat es ihm sofort angetan: „Das war<br />
Anfang der 00er-Jahre ein total interessanter<br />
Kiez.“ Vor allem aufgrund seiner<br />
Bevölkerungsstruktur, mit taxifahrenden<br />
Politologen aus Persien, Hamburger<br />
Werftarbeitern und türkischstämmigen<br />
Familien. Und mittendrin Künstler wie<br />
Fatih Akin oder eben Charly Hübner.<br />
Da hat er sich wohlgefühlt. Fast ein bisschen<br />
wehmütig resümiert er heute:<br />
„Durch die Gentrifizierung hat sich das<br />
leider alles ein bisschen verändert.“<br />
Mit der systematischen Aufwertung<br />
der Stadtteile hat er so seine Probleme.<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
49<br />
Als Ikea nach Altona kam, war Hübner<br />
strikt dagegen. Das leer stehende Hochhaus,<br />
das dort vorher stand, hat ihm<br />
besser gefallen. Weil es dort Raum für<br />
Kunst und Subkultur gab, die er so sehr<br />
schätzt.<br />
Auch heute noch, als angesehener<br />
Künstler, lässt er sich gerne von jenseits<br />
des Mainstreams inspirieren. In Hamburg<br />
fällt ihm das aber immer schwerer:<br />
„Die Subkultur verkleinert sich und ist<br />
nicht mehr spürbar“, sagt Hübner. „Ich<br />
bekomme keine Anreize mehr.“ Mehr<br />
und mehr gehe es heute ums Geld, auch<br />
in der Hamburger Kulturszene. Ein<br />
bisschen sei das wie in der DRR: „Damals<br />
ging es darum, eine Ideologie zu<br />
predigen“, sagt Hübner. „Heute ist die<br />
Ideologie eben Geld.“<br />
Inzwischen holt sich Charly Hübner<br />
seine Anreize zum Spielen im Hamburger<br />
Schauspielhaus. Seit der Spielzeit<br />
2013/14 gehört er zum Ensemble von<br />
Karin Beier, die seitdem das Theater als<br />
Intendantin leitet. Das Publikum ans<br />
Haus zu binden, sieht Hübner bei der<br />
Arbeit an der Kirchenallee als die größte<br />
Herausforderung. „Das ist ein langfristiges<br />
Ding“, sagt er.<br />
Ein Theater neu zu erfinden, das<br />
gehe eben nur, wenn man über die<br />
nächste Spielzeit hinausdenke. Und die<br />
übernächste. Und die danach. Charly<br />
Hübner kann sich gut vorstellen, über<br />
lange Jahre dem Schauspielhaus die<br />
Treue zu halten. So wie er von seinen<br />
leidenschaftlichen Auftritten hier<br />
schwärmt, dürfte ihm das nicht sonderlich<br />
schwer fallen. „Spiel einmal auf dieser<br />
Bühne“, sagt Hübner zum Abschluss,<br />
„und du willst nie wieder<br />
woanders spielen!“ •<br />
Charly Hübner am Deutschen Schauspielhaus,<br />
Kirchenallee 39: „Schuld und Sühne“,<br />
Do, 5.11., 19 Uhr, und So, 22.11. , 16 Uhr,<br />
10–37 Euro; „Schiff der Träume“, Premiere:<br />
5.12., 20 Uhr, Karten: ab 10 Euro<br />
<br />
JESPER MUNK<br />
<br />
KAMASI WASHINGTON<br />
<br />
HANDBALL SUPERCUP<br />
<br />
<br />
THE LEGEND OF ZELDA<br />
›SYMPHONY OF THE GODDESSES‹<br />
<br />
<br />
<br />
CÄTHE<br />
<br />
MELODY GARDOT<br />
<br />
BOB DYLAN AND HIS BAND<br />
<br />
DER PATE - LIVE<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
KOVACS<br />
<br />
THE IRISH FOLK FESTIVAL<br />
<br />
EVERLAST<br />
<br />
MICHAEL WOLLNY<br />
<br />
ANE BRUN<br />
<br />
RUDIMENTAL<br />
<br />
YELAWOLF<br />
<br />
CORY HENRY & THE FUNK APOSTLES<br />
<br />
SERDAR SOMUNCU<br />
<br />
GARY CLARK JR.<br />
<br />
BLACK AKA COLIN VEARNCOMBE<br />
<br />
WE ARE SCIENTISTS / ASH<br />
<br />
KWABS<br />
<br />
JULIA ENGELMANN<br />
<br />
MARIO ADORF<br />
TICKETS:<br />
KARSTEN JAHNKE<br />
<br />
GMBH<br />
/<br />
KJ.DE
Leid trifft<br />
auf Liebe<br />
Der Liederzyklus „Die schöne Müllerin“<br />
kommt unterhaltsam daher. Dabei erzählt er<br />
von Einsamkeit und Schmerz. Ein Treffen mit<br />
Stefan Weiller, der für Hinz&<strong>Kunzt</strong> daraus<br />
einen ganz eigenen Abend zaubert.<br />
TEXT: FRANK KEIL<br />
FOTO: DMITRIJ LELTSCHUK<br />
Vor Ort in der<br />
ST.-PETRI-KIRCHE:<br />
Hier lässt Stefan Weiller<br />
die Lieder Franz Schuberts<br />
auf Berichte von<br />
Obdachlosen treffen.<br />
So eine schöne Müllerin, das hat was! Wie sie da steht,<br />
jung und – eben schön. Kein Wunder, dass der neue<br />
Müllergeselle hin und weg ist und der Angebeteten<br />
hingebungsvolle Liebesgedichte schreibt. Und die<br />
schöne Müllerin? Pfeift drauf! Lässt ihn links liegen. Nimmt<br />
lieber den Jäger, den starken, stattlichen und anerkannten<br />
Mann. Dem verträumten Jüngling bleibt nur der süße<br />
Schmerz des vergeblichen Sehnens. Ach ja …<br />
25 romantische Gedichte umfasst der Müllerinnen- Zy klus,<br />
geschrieben 1821 von Wilhelm Müller und zwei Jahre später<br />
von Franz Schubert vertont – darunter das heute überaus bekannte<br />
Lied „Das Wandern ist des Müllers Lust“. Doch am<br />
Ende, als die schöne Müllerin mit dem Jäger von dannen<br />
zieht, geht unser Held in den Fluss, spricht ein paar letzte<br />
Worte: „Gute Nacht, gute Nacht!/ Bis alles wacht,/Schlaf aus<br />
deine Freude, schlaf aus dein Leid!“<br />
„Für mich bringt sich da niemand um“, widerspricht Stefan<br />
Weiller. Aber etwas anderes schwinge mit: „Als ob da jemand<br />
sozial gestorben ist.“ Weiller, von Beruf Sozialpädagoge und<br />
Journalist, aber vor allem Schubert-Fan und überhaupt ein<br />
Musikliebhaber mit ganzem Herzen, sucht und sammelt<br />
Lebensgeschichten. Gern von Menschen, die, wie man so<br />
sagt, am Rande der Gesellschaft stehen. Obdachlose, Gestrandete,<br />
Verarmte, Vereinsamte. Mit diesem Antrieb schaute<br />
er auch mit der ihm eigenen Ruhe und Umsicht bei<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> vorbei.<br />
Besonders sei die Gesprächssituation: „Den Leuten ist<br />
wichtig, dass kein Band mitläuft, ich schreibe nur mit. Es gibt<br />
keine Fotos, es gibt keinen sichtbaren Beleg, dass die Treffen<br />
stattgefunden haben. Ich stelle auch nicht in Frage, was man<br />
mir erzählt. Ich glaube, dass man sehr aufrichtig mit mir<br />
spricht“, sagt er. Und diese Geschichten kombiniert er mit<br />
klassischen Liedern und gestaltet damit musikalische Abende;<br />
wie jetzt mit den Schubert-Liebesliedern über die schöne<br />
Müllerin einen Abend „von unerfüllter Liebe wohnungsloser<br />
und armer Menschen“, wie der Untertitel heißt.<br />
50
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<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Denn immer wieder fiel ihm beim Zuhören auf, wie gescheiterte<br />
Liebe Menschen aus der Bahn wirft: „Das muss keine<br />
Paarbeziehung sein. Es kann die Liebe zur Familie sein oder<br />
zu seinem Job, die man verliert – und man verliert jeden<br />
Halt.“ Wenn man nicht etwas hat, das<br />
einem eines Tages wieder neue Kraft<br />
gibt, wie vielleicht die Musik.<br />
Damit ist er nah dran an seiner eigenen<br />
Lebensgeschichte und wie hier<br />
die Last der Einsamkeit und die Kraft<br />
der Musik aufeinandertrafen. „Meine<br />
musikalische Sozialisation war etwas<br />
trist und traurig“, erzählt er. „Wir<br />
wohnten auf dem Dorf, mein Zuhause<br />
war ein Operettenhaushalt; es gab –<br />
ich bin 1970 geboren – ja nicht die<br />
Möglichkeiten, Musik kennenzulernen, wie wir das heute haben.<br />
Es gab keine MP3-Dateien, man konnte nicht ins Internet<br />
gehen und sich musikalische Welten erschließen. Es gab<br />
einen alten Musikschrank und dazu Schallplatten für die Umdrehungszahlen<br />
33, 45 und 78.“<br />
Doch zwischen all den Schallplatten mit leichten Operettenweisen<br />
steht eine Platte, die ihn sehr bewegt: „Die Winterreise“,<br />
auch dies ein von Franz Schubert vertonter Liederzyklus,<br />
auch nach Gedichten von Wilhelm Müller. „Die Musik<br />
hatte ein Geheimnis. Ich fragte mich: Was ist da los? Warum<br />
macht diese Musik etwas mit meiner Gefühlswelt? Denn meine<br />
Pubertät hatte keinen Operettenklang.“<br />
„Es gab Zeiten,<br />
wo ich mich<br />
fragte: Was ist<br />
mein Leben?“<br />
Er hatte damals zu Hause nicht die Förderung und Unterstützung,<br />
die er sich wünschte. Er wäre so gerne auf eine weiterführende<br />
Schule gegangen, aber seine Eltern ließen ihn auf<br />
der Dorfhauptschule. „Das war für mich eine tiefgreifende,<br />
höllische Erfahrung“, sagt er. Noch dazu<br />
steckten ihm seine Mitschüler Zettel<br />
zu, auf denen stand: „Du schwule Sau<br />
– wenn wir dich außerhalb der Schule<br />
treffen, dann stechen wir dich ab!“<br />
Ungestillter Bildungshunger und Ausgrenzung:<br />
„Es gab Zeiten, wo ich mich<br />
fragte: Was ist mein Leben?“<br />
Heute lebt er mit seinem Lebensgefährten,<br />
einem evangelischen Pastor,<br />
glücklich in Frankfurt. „Ich habe erfahren,<br />
dass das Leben von Leid und<br />
Brüchen, aber auch von Hoffnung und Stärke durchzogen<br />
ist“, sagt er. Eine Erfahrung, die er für sich immer wieder in<br />
den Schubert-Liedern findet – und die er so gerne mit anderen<br />
Menschen teilt. •<br />
Die schöne Müllerin: St.-Petri-Kirche, Bei der Petrikirche 2,<br />
Mi, 18.11., 19.30 Uhr; mit Gustav Peter Wöhler, Dagmar Manzel,<br />
Sebastian Rudolph, Claus Bantzer, Harvestehuder Kammerchor,<br />
Hedayet Djeddikar, Christina Schmid, Susanna Frank, Theodore<br />
Browne, Monica Rincon und Ralf Kopp.<br />
Eintritt frei, Spenden für Hinz&<strong>Kunzt</strong> erbeten.<br />
Mehr unter: www.die-schoene-muellerin.com/städte/hamburg/<br />
Foto: Stadtarchiv Nürnberg / Signatur E 39 Nr. 1703/21<br />
die deutschen, die zwangsarbeiter<br />
und der krieg<br />
ausstellung<br />
5.11.<strong>2015</strong> – 3.4.2016<br />
ausstellung-zwangsarbeit.org<br />
51<br />
Eine Ausstellung der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald<br />
und Mittelbau-Dora im Museum der Arbeit, initiiert und gefördert<br />
von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ).
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>273</strong>/ NOVEMBER <strong>2015</strong><br />
Tipps ( 1)<br />
1. bis 15. <strong>November</strong> <strong>2015</strong><br />
MUSIK<br />
Jazzkantine – Band mit<br />
Tanz-Garantie<br />
Seit 20 Jahren geht die „Jazzkantine“<br />
(Foto links) mit ihrem unverwechselbaren<br />
Sound auf Tournee. Dabei hat die<br />
Band keine musikalischen Berührungsängste:<br />
Als Gäste waren unter anderem<br />
schon Nils Landgren, Smudo, Götz Alsmann<br />
und RZA dabei. Dem Publikum<br />
serviert die Jazzkantine mitunter auch<br />
Heavy Metal oder eine Vertonung vom<br />
„Bi-Ba-Butzemann“. „Bei unseren<br />
Konzerten geht die Post ab“, verspricht<br />
Bandleader Christian Eitner. Bisher hat<br />
die zehnköpfige Band ihr Versprechen<br />
immer gehalten. •<br />
Kulturwerk am See, Am Kulturwerk 1,<br />
Norderstedt, Do, 12.11., 20 Uhr,<br />
32/25 Euro<br />
VORTRAG<br />
Immer der Nase nach:<br />
Die JAZZKANTINE<br />
kann sich auf ihren musikalischen<br />
Instinkt verlassen.<br />
Fluchtpunkt Europa: Buch über<br />
Flüchtlinge und Asylpolitik<br />
Seit mehr als zehn Jahren beschäftigt<br />
sich der Journalist und Filmemacher<br />
Michael Richter mit Asylpolitik und<br />
den Schicksalen von Flüchtlingen.<br />
Für die Körber-Stiftung hat er seine<br />
Recherchen in einem Buch zusammengefasst.<br />
In „Fluchtpunkt Europa.<br />
Unsere humanitäre Verantwortung“<br />
schildert der Hamburger die Situation<br />
in den Herkunftsländern, das Vorgehen<br />
der Schlepper und die absurden Folgen<br />
des Dublin-Abkommens. Dieses regelt<br />
seit 2013 das EU-Asylverfahren und<br />
sieht vor, dass Flüchtlinge in dem Land<br />
das Asylverfahren durchlaufen, in dem<br />
sie erstmals EU-Boden betreten. Jetzt<br />
stellt Michael Richter sein Buch vor. •<br />
KörberForum, Kehrwieder 12,<br />
Do, 12.11., 19 Uhr, Eintritt frei,<br />
Anmeldung erforderlich<br />
unter www.koerberforum.de<br />
AUSSTELLUNG<br />
Skurrile Käfer und Kuscheltiere<br />
Eigentlich wollte die Galerie Schichtwechsel<br />
schon im Sommer ihre Räume<br />
im Oberhafen eröffnen. Doch die<br />
Mühlen der Behörden mahlen langsam.<br />
Friederike Lydia Ahrens und Manuel<br />
Hopp wollten nicht mehr länger warten<br />
und starten ihr Projekt schon mal in einem<br />
Zwischenlager – mit der Ausstellung<br />
„Tierisch gut“. Zu sehen sind<br />
skurrile Insekten, kolorierte Hundezeichnungen,<br />
gedruckte Käfer, Malerei<br />
und Skulpturen. Die Vernissage wird<br />
von der iranischen Sängerin Sora Amini<br />
begleitet – und von Herrn Lessmann.<br />
Er ist als Mitarbeiter der Stadtreinigung<br />
regelmäßig im Karoviertel unterwegs<br />
und ist den Ausstellungsmachern durch<br />
seinen mit Kuscheltieren liebevoll dekorierten<br />
Sammelkarren aufgefallen. •<br />
Galerie Schichtwechsel, Eiffestraße 426,<br />
Vernissage Do, 5.11., 19 Uhr, 6.+7.11.,<br />
16–20 Uhr, 8.11., 16–18 Uhr, Eintritt frei<br />
VORTRAG<br />
Sind Menschen böse? Experten<br />
und Künstler diskutieren<br />
Was ist gut, was böse? Früher war die<br />
Antwort einfach: Der Satan war schuld.<br />
Heute ist das Böse in Gestalt des Teufels<br />
zwar abgeschafft, aber die Natur des<br />
Menschen ist nicht besser geworden.<br />
Über dunkle Seiten diskutieren bei den<br />
„Martins tagen“ drei, die es wissen müssen:<br />
Profiler Axel Petermann hat als<br />
Kriminalbeamter in mehr als 1000<br />
Tötungsdelikten ermittelt und dient der<br />
Serie „Tatort“ als Berater. Der Hamburger<br />
Gefängnis-Seelsorger Christian<br />
Braune schaut täglich in menschliche<br />
Abgründe. Die Hamburger Autorin<br />
Tina Uebel hat das Böse literarisch<br />
erforscht. „Und wenn die Welt voll<br />
Teufel wär“ lautet das Motto des<br />
Abends – nach dem Zitat von Martin<br />
Luther. Schauspielerin Mechthild<br />
Großmann liest Texte über den Teufel,<br />
Bassist Jan Roder spielt Jazz und<br />
Pröpstin Astrid Kleist moderiert. •<br />
Staatsbibliothek, Lichthof, Von-Melle-Park 3,<br />
Fr, 13.11., 19 Uhr, 10 Euro, gesamtes<br />
Programm unter www.martinstage.de<br />
Wir verlosen unter allen, die bis zum<br />
11. <strong>November</strong> <strong>2015</strong> eine Mail an<br />
info@hinzundkunzt.de schicken, drei Mal<br />
zwei Karten. Stichwort: „Martinstage“.<br />
52
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
FOTOS: HERZOG PROMOTIONS, PYRAMIDE INTERNATIONAL<br />
KINO<br />
Grusel-Komödie: Peter Kurth<br />
als Windkraftingenieur<br />
Der Autor eurer Lieblings-(hoffentlich!)-<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Filmkolumne trägt den<br />
wohl gewöhnlichsten Nachnamen<br />
Deutschlands: Schmidt. Den kann man<br />
sich nicht wirklich schönreden. In keiner<br />
Schreibweise. Schmidt ist irgendwie<br />
die Kartoffel unter den Namen. Ein<br />
Familienname wie eine Sättigungsbeilage<br />
im Kantinenessen. Wer Schmidt<br />
heißt, der wird schwer gefunden und<br />
gern verwechselt. Das kann aber auch<br />
gut sein: Vor einigen Jahren rief ich auf<br />
Jobsuche einen Personalchef an, der<br />
mich mit „Schmitti, du altes Fliegengesicht“<br />
begrüßte. Nach fünf Minuten<br />
jovialer Konversation dämmerte es ihm,<br />
dass ich nicht „Schmitti, das alte Fliegengesicht“<br />
aus seiner damaligen Parallelklasse<br />
war. Das Eis war gebrochen, ich<br />
bekam die Stelle. Am Ende gibt eben<br />
die eigene Persönlichkeit dem Namen<br />
Geschmack. Und das ist der Stoff, aus<br />
dem der Film „Schmitke“ geboren ist.<br />
Der Windkraftanlagentechniker Julius<br />
Schmitke (Peter Kurth) hat den Esprit<br />
von kalten Pommes. Und die gleiche<br />
Gesichtsfarbe: blass, faltig, fettig. Ständig<br />
plagen ihn Zipperlein, es knirscht<br />
und knarzt im Gebälk seines ältlichen<br />
Körpers. Zusammen mit seinem nervtötenden<br />
Kollegen Thomas wird er auf<br />
eine Mission geschickt. Im Niemandsland<br />
im tschechischen Erzgebirge sollen<br />
sie ein Windrad reparieren, in dem es<br />
ebenfalls knirscht und knarzt. Aber<br />
Thomas verschwindet, merkwürdige<br />
und angsteinflößende Dinge passieren.<br />
Ein Geist soll sein Unwesen treiben, der<br />
Wald zieht Schmitke in seinen Bann …<br />
Wenn Schmitke wortkarg in die nasskalten<br />
tschechischen Wälder fährt, muss<br />
man nicht viel heruminterpretieren,<br />
bis man die Parallelen zu Schmitkes<br />
eigener Persönlichkeit entdeckt. Diese<br />
Grundstimmung des Films hat es mir<br />
angetan. Irgendwie novemberig. Ich<br />
mag das. Nieselregen, Wind von vorn.<br />
Anschauen. Und von besseren Zeiten<br />
träumen. In fünf Monaten ist Frühling.<br />
Da müssen wir jetzt durch. Auch die<br />
mit den schönen Nachnamen. ASCHMI<br />
•<br />
Neu im Kino ab Do, 5.11.<br />
LESUNG<br />
Geschichten über das Leben<br />
im Afghanistan-Krieg<br />
Die Journalistin Ronja von Wurmb-<br />
Seibel lebt unter anderem in Kabul<br />
und berichtet von dort über den Alltag.<br />
„Afghanistan ist mehr als Burka, Taliban<br />
und Krieg“, so die Hamburgerin.<br />
Einige ihrer Erlebnisse hat sie in ihrem<br />
Buch „Ausgerechnet Kabul“ veröffentlicht.<br />
Daraus liest die Autorin einige<br />
Geschichten vor. Anschließend locken<br />
traditionelle Musik und Fingerfood. •<br />
Ida Ehre Schule, Lehmweg 14, Fr, 6.11.,<br />
19 Uhr, Eintritt frei, Spenden erbeten<br />
KINDER<br />
Planet Willi – eine Ausstellung<br />
über das Anderssein<br />
Willi ist nicht so wie andere Kinder.<br />
Er kommt von einem anderen Planeten<br />
und trägt einen blauen Ganzkörperanzug.<br />
Er knutscht fremde Menschen<br />
ab und rennt seinen Eltern davon. Mit<br />
ihrem Buch „Planet Willi“ hat Illustratorin<br />
Birte Müller, selbst Mutter eines<br />
Jungen mit Downsyndrom, einen Weg<br />
gefunden, die Welt eines behinderten<br />
Kindes zu erläutern, ohne pädagogisch,<br />
verniedlichend oder sentimental zu<br />
werden. Viele der fröhlichen Original-<br />
Illustrationen sind in der Ausstellung<br />
„Planet Willi“ zu sehen. •<br />
Altonaer Museum, Kinderbuchhaus, Museumstraße<br />
23, bis 31.12., Di–So, 10–17 Uhr,<br />
7,50/4,50 Euro, bis 17 Jahre Eintritt frei<br />
FILM<br />
Hope: Eine gefährliche Reise<br />
von Afrika nach Europa<br />
Mit Laiendarstellern aus Flüchtlingscamps<br />
(Foto rechts) hat Regisseur Boris<br />
Lojkine seinen beeindruckenden Spielfilm<br />
„Hope“ gedreht. Der Film schildert<br />
die Flucht einer jungen Frau aus<br />
Nigeria Richtung Europa und läuft<br />
beim Festival „Augenblicke Afrika“. •<br />
Studio-Kino, Bernstorffstraße 93–95,<br />
So, 8.11., 20 Uhr, Fr, 13.11., 16 Uhr,<br />
8/6,50 Euro, gesamtes Programm unter<br />
www.augen-blicke-afrika.de<br />
53<br />
MUSIK<br />
Rockkonzert im Wohnzimmer<br />
Ein besonderes Musikerlebnis verspricht<br />
die Reihe „Musik in den Häusern der<br />
Stadt“. Gastgeber in ganz Hamburg<br />
machen ihr Wohnzimmer für einen<br />
Abend zur Bühne. „Durch die ungewöhnliche<br />
Nähe zwischen Künstlern<br />
und Publikum sind das für beide Seiten<br />
einmalige Konzerterfahrungen“, so Festivalleiterin<br />
Maike Schäfer. Da der Platz<br />
begrenzt ist, sind viele Veranstaltungen<br />
schnell ausverkauft. Karten gibt es zum<br />
Beispiel noch für „Deine Cousine“.<br />
Die von der Udo-Lindenberg-Stiftung<br />
ausgezeichnete Sängerin spielt kraftvollen<br />
Pop-Rock. •<br />
Privathaus in Marienthal, Fr, 6.11., 21 Uhr,<br />
20/13 Euro, Karten nur im Vorverkauf,<br />
keine Abendkasse, gesamtes Programm<br />
unter www.kunstsalon-festivals.de<br />
MUSIK<br />
Wildes Holz: Blockflöte<br />
einmal anders<br />
Wer die Blockflöte für ein Kinderinstrument<br />
hält, hat die Band „Wildes<br />
Holz“ noch nicht gehört. Begleitet<br />
von Kon trabass und Gitarre entlockt<br />
Tobias Reisige seinem Instrument ungewöhnliche<br />
Klänge. Das Trio begeistert<br />
das Publikum mit originellen Interpretationen<br />
von „Highway to Hell“<br />
bis zum Barockstück sowie eigenen<br />
Kompositionen – und nicht zuletzt mit<br />
seiner unglaublichen Spielfreude. •<br />
Freizeitzentrum Schnelsen, Wählingsallee 16,<br />
Di, 3.11., 20 Uhr, 12/6 Euro<br />
Auf ihrer Flucht durch<br />
Europa trifft HOPE auf<br />
Léonard und verliebt sich.
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Tipps (2)<br />
16. bis 30. <strong>November</strong> <strong>2015</strong><br />
HINZ&KUNZT N°<strong>273</strong>/ NOVEMBER <strong>2015</strong><br />
LESUNG<br />
Schräge Helden in Hallgrímur<br />
Helgasons neuem Roman<br />
Hallgrimur Helgason wird in seiner<br />
Heimat Island für seinen Witz und<br />
seine schrägen Romanhelden verehrt.<br />
Auch in Deutschland gibt es etliche<br />
Fans, die sich auf eine neue verrückte<br />
Geschichte freuen dürfen: Ein junger<br />
Mann kommt während des Kalten<br />
Krieges nach München, um dort Kunst<br />
zu studieren. Er spricht kaum Deutsch<br />
und ist extrem schüchtern. Außerdem<br />
hat er eine Gabe, die nicht sehr appetitlich<br />
ist … Der Autor liest aus seinem<br />
neuen Roman „Seekrank in München“<br />
bei den Nordischen Literaturtagen. •<br />
Literaturhaus, Schwanenwik 38,<br />
Mi, 25.11., 20.30 Uhr, 12/8 Euro, gesamtes<br />
Programm: www.literaturhaus-hamburg.de<br />
LESUNG<br />
Joachim Meyerhoff wird mal<br />
wieder autobiografisch<br />
Schauspieler Joachim Meyerhoff<br />
(Foto Seite 55) war bereits mit seinem<br />
Romandebüt „Alle Toten fliegen hoch.<br />
Amerika“ sehr erfolgreich. Nun hat<br />
der 48-Jährige den dritten Teil seiner<br />
Jugenderinnerungen niedergeschrieben.<br />
Anekdotenreich schildert der Autor<br />
in „Ach, diese Lücke, diese entsetzliche<br />
Lücke“ von seinem abenteuerlichen<br />
Leben während der Schauspielausbildung<br />
in München. Tagsüber quält er<br />
sich auf der Bühne, abends ertränkt er<br />
seine Sorgen auf dem Sofa seiner Großeltern<br />
in Rotwein. Eine schwierige Zeit,<br />
die Meyerhoff gekonnt beschreibt. •<br />
Deutsches Schauspielhaus, Kirchenallee 39,<br />
Sa, 28.11., 20 Uhr, 15/10 Euro<br />
KINDER<br />
Das friedliche Bild täuscht:<br />
Bei der TALKSHOW im<br />
Theater geht es um<br />
Soldaten im Kampfeinsatz.<br />
„Unter meinem Bett“:<br />
Releasekonzert für Kindersongs<br />
13 Songwriter haben gemeinsam eine<br />
CD mit Kinderliedern veröffentlicht,<br />
darunter PeterLicht, Jan Plewka, Bernd<br />
Begemann und Ingo Pohlmann. Entstanden<br />
ist eine lustige, nachdenkliche,<br />
rockige und ruhige Sammlung von<br />
Songs, an denen auch Erwachsene<br />
Freude haben. Die Mehrzahl der beteiligten<br />
Künstler lassen es sich nicht nehmen,<br />
bei dem Releasekonzert live auf<br />
der Bühne zu stehen. Der Titel „Unter<br />
meinem Bett“ stammt übrigens von<br />
Nils Koppruch. Der 2012 viel zu früh<br />
verstorbene Sänger ist auch mit einer<br />
Demo-Version des Songs vertreten. •<br />
Fabrik, Barnerstraße 36,<br />
So, 29.11., 18 Uhr, 20/14 Euro<br />
54<br />
AUSSTELLUNG<br />
Fotografin Sarah Moons Blick<br />
auf die Modewelt<br />
Sarah Moon ist eine der bekanntesten<br />
Modefotografinnen der Welt. Sie pflegt<br />
ihren ganz eigenen zeitlosen Stil. Ihre<br />
Bilder sind geheimnisvoll statt glamourös,<br />
oft schwarz-weiß und leicht unscharf.<br />
Die Künstlerin versucht, den<br />
Moment festzuhalten, wenn Kleid und<br />
Model verschmelzen. „Wenn ich<br />
fotografiere, dann ist es eine Arbeit in<br />
Zeitlupe und kein Blitzlichtgewitter“,<br />
so die 74-Jährige im Interview. Die<br />
Französin kennt die Modewelt genau:<br />
Als sie in den 1970er-Jahren anfing<br />
zu fotografieren, war sie selbst Model.<br />
Schnell bekam sie Aufträge und wechselte<br />
hinter die Kamera. Häuser wie<br />
Dior, Chanel und Yamamoto schätzen<br />
ihren besonderen weiblichen Blick.<br />
„Wenn eine Frau hinter der Kamera<br />
steht, findet ein anderer Dialog statt.<br />
Und diese Intimität in den Bildern<br />
stelle ich bewusst her.“ Später drehte<br />
Sarah Moon Dokumentar- und<br />
Spielfilme. In Hamburg ist jetzt eine<br />
eindrucksvolle Retrospektive ihres<br />
Gesamtwerks zu sehen. •<br />
Deichtorhallen, Deichtorstraße 1-2, Fr,<br />
27.11.–21.2.2016, Di–So, 11–18 Uhr,<br />
erster Do im Monat bis 21 Uhr, 10/6 Euro,<br />
unter 18 Jahren fei
FOTOS: EIKE ZULEEG, JIM RAKETE<br />
BÜHNE<br />
Satire: Hans Zippert als<br />
eingebildeter Kranker<br />
Hans Zippert liegt der Humor im Blut:<br />
Der Satiriker war fünf Jahre lang<br />
Chefredakteur des Magazins „Titanic“.<br />
Heute schreibt er täglich eine Kolumne<br />
in der „Welt“. Ein Wunder, dass er<br />
es schafft, sich jeden Tag etwas Komisches<br />
einfallen zu lassen. Außerdem<br />
schreibt Zippert noch Bücher und steht<br />
regelmäßig auf Kleinkunstbühnen.<br />
In Hamburg ist er jetzt erstmals mit<br />
seinem Programm „Meine schönsten<br />
Nahtoderfahrungen“ zu sehen. Der Satiriker<br />
beschreibt darin 57 Krankheiten,<br />
die er überlebt hat, und unterhält das<br />
Publikum mit Einzelheiten aus Patientenakten<br />
und Bewirtungsquittungen. •<br />
Polittbüro, Steindamm 45,<br />
Fr, 27.11., 20 Uhr, 15/10 Euro<br />
MUSIK<br />
Tom Liwa: Songs, die unter<br />
die Haut gehen<br />
Tom Liwa und die Flowerpornoes sind<br />
auch nach 25-jähriger Bühnenkarriere<br />
immer noch ein Geheimtipp. Jetzt<br />
stellt die Band nach drei Jahren endlich<br />
wieder ein Album vor. Mal sanfter,<br />
mal wilder Folkrock, über den sich die<br />
magische Stimme von Liwa erhebt.<br />
Dank der poetischen Texte auch ein guter<br />
Seelentröster in dunklen Stunden. •<br />
Knust, Neuer Kamp 30,<br />
Mo, 30.11., 21 Uhr, 15,70 Euro<br />
Verrückte KINDHEIT:<br />
Joachim Meyerhoffs Vater<br />
war Psychiatriedirektor.<br />
BÜHNE<br />
Wie Kriege Soldaten und die<br />
Gesellschaft verändern<br />
Wie geht die Gesellschaft mit traumatisierten<br />
Soldaten um? Warum lassen sich<br />
Menschen mit deutschem Pass radikalisieren<br />
und melden sich freiwillig für<br />
Kriegseinsätze? Fragen wie diese liegen<br />
der Theaterproduktion „Kampfeinsatz“<br />
zugrunde. Das Stück zeigt eindrücklich,<br />
wie Tod, Angst und Gewalt Soldaten<br />
für immer verändern. Auf der Grundlage<br />
von Medienberichten, Interviews<br />
mit Kriegsheimkehrern und Therapeuten<br />
zeichnet die Gruppe „Axensprung“<br />
(Foto Seite 54) die Lebenswege fiktiver<br />
Figuren nach. Während einer auf<br />
der Bühne inszenierten Talkshow<br />
kommen ein traumatisierter ehemaliger<br />
Bundeswehroffizier, ein Radikaler<br />
mit osteuropäischen Wurzeln und ein<br />
friedens bewegter Politiker zu Wort. •<br />
Mahnmal St. Nikolai, Willy-Brandt-Straße 60,<br />
„Kampfeinsatz. Stell dir vor, es ist Krieg<br />
und du gehst hin“, Uraufführung:<br />
Do, 19.11., 19 Uhr, 15/12 Euro, weitere<br />
Termine unter www.kampfeinsatz.info<br />
FILM<br />
Filmerin Nancy Brandt<br />
begleitet fünf junge Politiker<br />
Vier Jahre lang hat die Dokumentarfilmerin<br />
Nancy Brandt Abgeordnete unterschiedlicher<br />
Parteien begleitet. Der<br />
Film „Die Gewählten – Vier Jahre im<br />
Bundestag“ schildert, wie fünf junge<br />
Menschen im Politikbetrieb zurechtkommen.<br />
Eine Physikerin, eine Pianistin,<br />
ein Architekt und zwei Juristen bewältigen<br />
Ausschusssitzungen, Hickhack<br />
um Ämter und eine Flut an Terminen.<br />
Die Regisseurin lässt die Protagonisten<br />
für sich selbst sprechen. •<br />
Lichtmeß Kino, Gaußstraße 21,<br />
Do, 19.11., 20 Uhr, 5/4 Euro<br />
55<br />
MUSIK<br />
Vintage Trouble rocken<br />
den Saal<br />
Die vier Jungs von „Vintage Trouble“<br />
sehen in ihren Anzügen so brav aus,<br />
als würden sie für eine Hochzeitsgesellschaft<br />
spielen. Doch wenn die vier<br />
Kalifornier auf der Bühne erst einmal<br />
loslegen, ist es mit der Gediegenheit<br />
vorbei. Die Band ist berühmt für ihre<br />
entfesselten Live-Auftritte. Sie waren<br />
mit AC/DC auf Tour und begeisterten<br />
Zehntausende beim diesjährigen<br />
Glastonbury-Festival. Sänger Ty Taylor<br />
und seine drei Kollegen brauchen nur<br />
wenige Minuten, um jede Arena in<br />
einen Hexenkessel zu verwandeln.<br />
Ihre Mischung aus Rock, Blues, Rock<br />
’n’ Roll und Funk ist pure Energie. •<br />
Mojo Club, Reeperbahn 1,<br />
Fr, 27.11., 20 Uhr, 24 Euro<br />
BÜHNE<br />
Der Film „Die Gewählten“<br />
führt uns hinter die<br />
KULISSEN der Politik.<br />
Auf den Spuren des Dichters<br />
Miguel de Cervantes<br />
Cervantes’ Roman „Don Quijote“ ist<br />
eines der berühmtesten Bücher der<br />
Welt und dutzendfach für Theaterstücke<br />
und Filme genutzt worden. Regisseur<br />
Johannes Ender hat sich nun mit<br />
dem schillernden Leben des spanischen<br />
Autors befasst. Cervantes war verarmter<br />
Adeliger, Diener, Soldat, Dichter,<br />
Sklave und sogar Gefängnisinsasse. Im<br />
Kerker begann er schließlich auch seinen<br />
fantasievollen Roman zu schreiben,<br />
der ihn schon zu Lebzeiten berühmt<br />
machte. Johannes Enders erforscht in<br />
seinem Stück „Cervantes“ das Leben<br />
eines Mannes, der sozialem Druck mit<br />
Fantasie zu begegnen versuchte. •<br />
Lichthof Theater, Mendelssohnstraße 15 B,<br />
Uraufführung, Do, 19.11., 20.15 Uhr,<br />
18/12 Euro, weitere Termine unter<br />
www.lichthof-theater.de
BEATRICE BLANK<br />
Lange war Bea festes<br />
Redaktionsmitglied. Ihre<br />
wahre Berufung aber liegt<br />
im Kochen. Anfang <strong>2015</strong><br />
hat sie sich mit ihrer<br />
Cateringfirma „mampf“<br />
selbstständig gemacht.<br />
Bei uns wird übrigens auch<br />
regelmäßig gekocht, jeden<br />
Monat, wenn das neue<br />
Magazin erscheint, und<br />
immer von anderen<br />
Hinz&Künztlern. Für bis zu<br />
150 Kollegen! Auf dieser<br />
Seite stellen wir künftig<br />
einen Koch des Monats<br />
vor. Und Bea? Sie kocht<br />
nach und gibt Tipps<br />
zum Verfeinern – für vier<br />
Personen.<br />
Kürbis<br />
mit Bums<br />
2 kg Kürbis<br />
125 ml Tomatenmark<br />
Salz, Pfeffer,<br />
Cayennepfeffer<br />
2 TL gemahlener<br />
Koriander<br />
50 ml Pflanzenöl<br />
50 g Zucker<br />
40 g Ingwer<br />
300 g Naturjoghurt<br />
..<br />
10 Blatter frische Minze,<br />
Knobi nach Belieben<br />
Herbst im Ofen<br />
Gesund und günstig: Kürbis ist zu dieser Jahreszeit Beas<br />
Lieblingsprodukt. Hier ein Rezept aus der afghanischen Küche.<br />
FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
SO WIRD ES GEKOCHT:<br />
1. Zunächst wird eine Tomatensoße gebacken: Ofen auf 200 Grad vorheizen.<br />
Tomatenmark, 125 ml Wasser, 1 TL Salz, 1/2 TL gemahlener Pfeffer, 1/4 TL<br />
Cayennepfeffer und Koriander vermengen und alles in eine ofenfeste Form<br />
geben. Wer mag, presst noch Knoblauch dazu (bis zu 12 Zehen). Die Form mit<br />
Alufolie abdecken und im heißen Ofen 30 Minuten backen.<br />
2. Derweil den Kürbis vorbereiten: Hokkaido muss nicht geschält werden, an dere<br />
Sorten wie Butternut schon. Kürbisfleisch in 2 cm große Würfel schneiden. Öl in<br />
einer großen Pfanne oder einem Topf erhitzen. Kürbis darin anbraten.<br />
3. Die fertige Tomatensoße mit 250 ml Wasser, Zucker und geschältem, geriebenem<br />
Ingwer mischen. Zum Kürbis geben. Abgedeckt 20 bis 25 Minuten bei<br />
niedriger Hitze köcheln lassen. Die Soße soll sämig sein. Das geht schneller<br />
ohne Deckel. Der Kürbis kann Biss haben oder weich gekocht sein – je nach<br />
Geschmack.<br />
4. Serviert wird der Kürbis mit einer frischen Soße aus dem Joghurt, etwas Salz<br />
und frischer, gehackter Minze.<br />
5. Dazu passen Couscous oder Reis. Das schmeckt als vegetarisches<br />
Hauptgericht oder als Beilage zu anderen Gerichten.<br />
Weitere Rezepte von Beatrice Blank finden Sie unter www.mampf-hh.de<br />
56
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Rätsel<br />
ILLUSTRATION (BLEISTIFT): BERND MÖLCK-TASSEL<br />
Nähmittel<br />
Fußballclub<br />
von<br />
Mailand<br />
(Kurzwort)<br />
schwer<br />
erhältlich,<br />
selten<br />
Segeltau<br />
vormals,<br />
damals<br />
Bratsche<br />
(ital.)<br />
Anschriftenverzeichnis<br />
kaum<br />
hörbar<br />
6<br />
2<br />
1<br />
1<br />
2<br />
5<br />
4<br />
6<br />
eirund<br />
2<br />
7<br />
4<br />
Altersheilkunde<br />
russischer<br />
Männername<br />
Rabenvogel<br />
Schneidermaterial<br />
3<br />
1<br />
5<br />
9<br />
1<br />
4<br />
Rätsellöser<br />
Halbaffe<br />
9<br />
7<br />
2<br />
6<br />
8<br />
4<br />
2<br />
Tierkreiszeichen<br />
wirtschaftlich<br />
unabhängig<br />
Kletterpflanze<br />
ugs.: Not,<br />
Armut<br />
2<br />
9<br />
6<br />
5<br />
9<br />
3<br />
Staat<br />
der USA<br />
Tintenfisch<br />
sächs.-<br />
böhm.<br />
Höhenzug<br />
Hauptstadt<br />
Lettlands<br />
Verbrennungsmotor<br />
Feldfrucht<br />
US-Autor<br />
(Tom<br />
Sawyer) †<br />
3<br />
8<br />
10<br />
6<br />
5<br />
4<br />
Stadt an<br />
der Donau<br />
(Baden-<br />
Württ.)<br />
dreist,<br />
schneidig,<br />
flott<br />
linker<br />
Nebenfluss<br />
der<br />
Fulda<br />
Stadtteil<br />
von<br />
London<br />
Füllen Sie das Gitter so<br />
aus, dass die Zahlen von<br />
1 bis 9 nur je einmal in jeder<br />
Reihe, in jeder Spalte und<br />
in jedem Neun-Kästchen-Block<br />
vorkommen.<br />
Als Lösung schicken Sie<br />
uns bitte die unterste, farbig<br />
gerahmte Zahlenreihe.<br />
Lösungen an: Hinz&<strong>Kunzt</strong>, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />
per Fax an 040 30 39 96 38 oder per E-Mail an info@hinzundkunzt.de.<br />
Einsendeschluss: 27. <strong>November</strong> <strong>2015</strong>. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.<br />
Wer die korrekte Lösung für eines der beiden Rätsel einsendet, kann<br />
zwei Karten für die Hamburger Kunsthalle oder eines von drei Büchern<br />
„Hamburger Wortschatz-Schnacks“ von Peter Schmachthagen (Zeitungsgruppe<br />
Hamburg GmbH) gewinnen. Das Lösungswort beim Kreuzworträtsel<br />
war: Wetterhahn. Die Sudoku-Zahlenreihe war: 594 721 638.<br />
7<br />
3<br />
1<br />
7<br />
5<br />
Stockwerk<br />
Radiowellenbereich<br />
(Abk.)<br />
kurzes<br />
Sinngedicht<br />
Weinstadt<br />
in<br />
Italien<br />
Sinnesorgan<br />
Grenzbeamter<br />
8<br />
6<br />
Feldertrag<br />
Ziehmutter<br />
Stück<br />
für zwei<br />
Instrumente<br />
9<br />
in der<br />
Nähe von<br />
tiefer<br />
Kummer,<br />
zehrender<br />
Schmerz<br />
8<br />
lange<br />
krank,<br />
hinfällig<br />
10<br />
3<br />
trockenes,<br />
haltbares<br />
Gebäck<br />
griechischer<br />
Buchstabe<br />
AR1115-0215_4<br />
57<br />
Impressum<br />
Redaktion und Verlag<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH<br />
Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg<br />
Tel. 040 32 10 83 11, Fax 040 30 39 96 38<br />
Anzeigenleitung Tel. 040 32 10 84 01<br />
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www.hinzundkunzt.de<br />
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Diakonisches Werk Hamburg<br />
Externer Beirat<br />
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Mathias Bach (Kaufmann), Rüdiger Knott (ehem. NDR 90,3-Programmchef),<br />
Olaf Köhnke (Ringdrei Media Network),<br />
Thomas Magold (BMW-Niederlassungsleiter i.R.),<br />
Beate Behn (Lawaetz-Service GmbH), Karin Schmalriede (Lawaetz-Stiftung),<br />
Dr. Bernd-Georg Spies (Russell Reynolds),<br />
Alexander Unverzagt (Medienanwalt), Oliver Wurm (Medienberater)<br />
Geschäftsführung Dr. Jens Ade<br />
Redaktion Birgit Müller (v.i.S.d.P.),<br />
Annette Woywode (CvD, Stellv.), Frank Keil<br />
Mitarbeit Sybille Arendt, Jonas Füllner,<br />
Ulrich Jonas, Benjamin Laufer, Misha Leuschen, Uta Sternsdorff,<br />
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Online-Redaktion Simone Deckner, Jonas Füllner,<br />
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73.333 Exemplare
Momentaufnahme<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>273</strong>/ NOVEMBER <strong>2015</strong><br />
St.-Pauli-Fan und<br />
Stadtmensch: Reiner<br />
hat in einer Wohnunterkunft<br />
eine neue<br />
HEIMAT gefunden.<br />
Der erste Schritt<br />
Reiner, 57, verkauft Hinz&<strong>Kunzt</strong> in Hammerbrook.<br />
TEXT: ULRICH JONAS<br />
FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Manchmal, wenn Reiner abends im<br />
Bett liegt, überkommt ihn die Sehnsucht<br />
nach seinem Sohn. 20 Jahre ist es her,<br />
dass er ihn zuletzt sah. Dass er die<br />
Flucht ergriff, weil seine Frau ihn betrog<br />
und er Trost im Alkohol suchte. Dass er<br />
keinen anderen Ausweg wusste, als zwei<br />
Taschen zu packen und sich in einen<br />
Zug nach Hamburg zu setzen.<br />
Was wird der heute 25-Jährige sagen,<br />
wenn der Vater sich nach so langer<br />
Zeit meldet? Wo lebt er überhaupt? „Ich<br />
würde ihn zu gerne wiedersehen“, sagt<br />
Reiner. „Fünf Jahre lang war er mein<br />
Ein und Alles.“ Warum ist er nicht<br />
längst auf die Suche nach ihm gegangen?<br />
„Am nächsten Tag verdrängst du<br />
das wieder …“<br />
Seine Kindheit sei „ganz normal“<br />
gewesen, sagt Reiner. Der 57-Jährige ist<br />
im Berliner Osten aufgewachsen, als eines<br />
von zehn Kindern. Der Vater betreibt<br />
eine Gaststätte, die Mutter hilft in<br />
der Küche. Reiner macht die Hauptschule<br />
und lernt Facharbeiter für Elektrotechnik.<br />
Ein Jahr hält er nach der<br />
Lehre durch, „die Arbeit hat mir nicht<br />
gefallen“. Er wechselt in ein Furnierwerk,<br />
„drei Schichten, gutes Geld“.<br />
Nach drei Jahren ist auch hier für ihn<br />
Schluss. „Ich hatte keine Lust mehr“,<br />
sagt Reiner lapidar. Ein folgenschwerer<br />
Entschluss: Sein neuer Job wird das<br />
Glücksspiel. Reiner macht für andere<br />
die „Bank“, bekommt dafür 20 Prozent<br />
vom Gewinn. „Das war schnelles Geld.“<br />
Worüber Reiner nicht nachdenkt:<br />
Glücksspiel ist in der DDR verboten.<br />
Als er das erste Mal erwischt wird, muss<br />
er für ein halbes Jahr ins Gefängnis, nach<br />
Bautzen. „24 Mann auf einer Zelle, das<br />
war hart.“<br />
Nach der Entlassung fällt Reiner<br />
„zurück in den alten Trott“. Er wird erneut<br />
erwischt und noch härter bestraft:<br />
mit 18 Monaten Knast und drei Jahren<br />
Verbot, die Stadt Berlin zu betreten.<br />
Reiner wird nach der Haft gezwungen,<br />
in ein Dorf in der Nähe von Leipzig zu<br />
ziehen. „Und das ausgerechnet mir,<br />
einem Stadtmenschen!“<br />
Reiner bekommt eine zweite Chance<br />
mit Arbeit in einer Milchviehanlage.<br />
Mit 29 lernt er seine spätere Frau kennen,<br />
auf einem Faschingsfest. Die beiden<br />
bekommen einen Sohn und ziehen<br />
nach Berlin. Ein gutes Jobangebot und<br />
eine frisch renovierte Wohnung locken.<br />
1995 dann der große Bruch: Reiners<br />
Frau geht mit ihrem Chef fremd.<br />
Eine Zeitlang leben sie noch in der gemeinsamen<br />
Wohnung. Manchmal hört<br />
Reiner die beiden im Zimmer nebenan.<br />
Seine Wut wächst. Eines Tages dann<br />
die Flucht. „Ich hatte Angst, dass ich ihr<br />
etwas antue.“<br />
Reiner schlägt sich in Hamburg mit<br />
Hilfsarbeiterjobs durch. Als die immer<br />
rarer werden, landet er bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Hier und in seiner Wohnunterkunft findet<br />
er eine neue Heimat. Seine Leidenschaft<br />
gilt dem FC St. Pauli, „bei den<br />
Spielen kann ich abschalten von allem“.<br />
Wenn da nicht die Sehnsucht wäre nach<br />
dem Sohn, der Familie … Vor Kurzem<br />
hat Reiner seine Lieblingsschwester getroffen.<br />
„Es war der Hammer.“ Er will<br />
sie bald wieder besuchen. „In zwei<br />
Stunden kann man ja nicht alles erzählen.“<br />
Es ist der erste Schritt. •<br />
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6.<br />
3.<br />
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Wärmequellen für Hamburg<br />
Am Guten soll man festhalten. So halten wir es auch mit unserem<br />
Einsatz für Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Seit April 2000 unterstützt E.ON Hanse das<br />
Hamburger Straßenmagazin. Und daran wird sich nichts ändern.<br />
Auch als HanseWerk werden wir unser Engagement fortsetzen. Mehr<br />
menschliche Wärme – eine der wichtigsten Energien für den Norden.<br />
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