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Hinz&Kunzt 274 Dezember 2015

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Das Hamburger<br />

Straßenmagazin<br />

N O <strong>274</strong><br />

12 .15<br />

2,20 Euro<br />

Davon 1,10 Euro<br />

für unsere Verkäufer<br />

Ich steh<br />

noch leer!<br />

Hamburg kriegt’s<br />

nicht gebacken:<br />

Hunderte Häuser<br />

ungenutzt –<br />

trotz extremer<br />

Wohnungsnot


<strong>Dezember</strong> <strong>2015</strong><br />

Kurdenstaat und<br />

Altes Land<br />

und andere Themen, die Hamburger bewegen<br />

Di 01.12. | 19.00 Uhr | Gesprächskonzert<br />

Keine Angst vor Béla Bartók »2 x hören« widmet sich einem der bekanntesten Komponisten des<br />

20. Jahrhunderts: Martina Taubenberger und das »vision string quartet« nehmen sich Béla Bartóks<br />

drittes Streichquartett vor. Das höchst konzentrierte Werk mit volksmusikalischen Wurzeln gilt als<br />

eigenwillig und experimentell.<br />

Mi 02.12. | 19.00 Uhr | Diskussion<br />

Auf dem Weg zu einem kurdischen Staat? Es kommt Bewegung in die »kurdische Frage« – nicht<br />

zuletzt auch, weil die Peshmerga im Kampf gegen den IS zum Partner des Westens geworden sind.<br />

Es diskutieren der türkische Politikwissenschaftler Aykan Erdemir und Hemin Hawrami, Mitglied<br />

der Demokra tischen Partei Kurdistans. Nora Müller, Körber-Stiftung, moderiert.<br />

Do 03.12. | 19.00 Uhr | Gespräch<br />

Heimat finden In ihrem Roman »Altes Land« begleitet Dörte Hansen zwei Flüchtlinge aus<br />

Ostpreußen auf der schwierigen Suche nach Heimat und Identität: Die fünfjährige Vera und ihre<br />

Mutter sind 1945 auf einem Bauernhof vor den Toren Hamburgs gestrandet. Gespräch über die<br />

Schwierigkeiten im Zusammenleben, wenn Fremde kommen, um zu bleiben.<br />

Mi 09.12. | 10.00 Uhr | geschlossene Tagung, nur im Video-Livestream<br />

Nach der ersten Hilfe Täglich sehen wir die Bilder von Menschen auf der Flucht. Wie kann die<br />

Integration der Zuwanderer in Schule, Arbeitsmarkt und anderen Bereichen der Gesellschaft in<br />

Deutschland gelingen? In Kooperation mit der Süddeutschen Zeitung.<br />

Video-Livestream unter koerber-stiftung.de/nachdererstenhilfe Twitter #nachersterhilfe<br />

Stand: November <strong>2015</strong>, Änderungen vorbehalten. groothuis.de Fotos: Sabine Kress, Marc Darchinger, Sven Jaax, Süddeutsche Zeitung/Catherina Hess<br />

Eintritt frei, Anmeldung erforderlich: www.koerberforum.de<br />

KörberForum – Kehrwieder 12 | 20457 Hamburg | U Baumwall<br />

Telefon 040 · 80 81 92 - 0 | E-Mail info@koerberforum.de<br />

Veranstalter ist die gemeinnützige Körber-Stiftung.<br />

KörberForum<br />

Kehrwieder 12<br />

Für Menschen, die nicht alles so lassen wollen, wie es ist.


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Inhalt<br />

Titel: Bezahlbares Wohnen? Solange das ein<br />

Traum ist, BACKEN wir uns das Haus selbst.<br />

TITELBILD: DMITRIJ LELTSCHUK<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

wir freuen uns, dass Ihnen unser neues Heft mit guten Nachrichten, der Stadtexpedition,<br />

dem Koch des Monats und den neuen Kolumnen gut gefällt. Danke für die vielen<br />

Rückmeldungen und Leserbriefe! Wir wollen mit den etwas lockereren Themen<br />

die Geschichten, über die wir sonst berichten, etwas leichter verdaulich machen. Gerade<br />

weil wir nach den Anschlägen in Paris in noch ernsteren Zeiten leben (Seite 28).<br />

Deshalb haben wir auch Themen in diesem Heft, die sich mit Flucht und Krieg befassen:<br />

Landesbischöfin Kirsten Fehrs hat sich von der Lage der Füchtlinge in Jordanien<br />

selbst ein Bild gemacht. Weil wir immer nach etwas Positivem suchen, haben wir<br />

Cornelia Füllkrug-Weitzel, die Präsidentin der Diakonie Katastrophenhilfe, zu<br />

Flucht ursachen und Lösungsansätzen interviewt (ab Seite 34). Außerdem gibt es ein<br />

Interview mit dem Papst: Geführt haben das Kollegen unseres niederländischen Partnermagazins<br />

Straatnieuws (Seite 22). Jetzt wünschen wir allen Menschen mit und ohne<br />

Dach überm Kopf, allen Flüchtlingen, Zugewanderten, Einheimischen und Gästen<br />

eine friedliche Zeit. Kommen Sie gut ins nächste Jahr! Ihr Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Team<br />

Stadtgespräch<br />

04 Gut&schön<br />

Nur aufmunternde Nachrichten<br />

Stadtexpedition<br />

11 #2: Stille Orte dieser Stadt<br />

Von der Elbe bis zur City Nord<br />

22<br />

06 Alles muss man selbst machen!<br />

Wohnungen? Hinz&Künztler<br />

bauen sich ein Knusperhäuschen<br />

16 Ich steh noch leer!<br />

Die Stadt duldet zu viel Leerstand<br />

18 Investor mit Herz<br />

Konrad Grevenkamp saniert leer<br />

stehende Wohnungen<br />

22 „Ich vermisse die Straße“<br />

Interview mit Papst Franziskus<br />

28 „Unbeugsam human“<br />

Paris und die Folgen<br />

Fotoreportage<br />

38 Dem Himmel ganz nah<br />

Zu Gast bei einem Säulenheiligen<br />

im Kaukasus<br />

Freunde<br />

44 Spenden mit der Flaschenpost<br />

Sammelboxen für Pfandbons<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

48 Neue Türen aufmachen<br />

Opernintendant Georges Delnon<br />

im Porträt<br />

38<br />

FOTOS: FRANK DRIES/INSP, DMITRIJ LELTSCHUK<br />

30 Zahl des Monats<br />

Deutschlands Rüstungsexporte<br />

32 Hamburgs Stiftung für politisch Verfolgte<br />

Geschäftsführerin Martina Bäurle<br />

im Porträt<br />

34 „Die Hoffnung auf Rückkehr stirbt<br />

mit jedem Angriff“<br />

Bischöfin Kirsten Fehrs war bei<br />

den Flüchtlingen in Jordanien<br />

36 „Bei Konfliktlösungen muss man realpolitisch<br />

sein, nicht moralisch“<br />

Interview mit Cornelia Füllkrug-<br />

Weitzel über Fluchtursachen<br />

52 20 Tipps für den <strong>Dezember</strong><br />

56 Koch des Monats<br />

Hinz&Künztler<br />

Jürgen Jobsen kocht eine<br />

feine Kartoffelsuppe<br />

58 Momentaufnahme<br />

Hinz&Künztlerin Anke<br />

Rubriken<br />

5, 9, 21 Kolumnen<br />

10, 20 Meldungen<br />

46 Leserbriefe<br />

57 Rätsel, Impressum<br />

48<br />

Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk


Begegnung<br />

Stuart Manlove<br />

Mein erster Gedanke, als ich<br />

sein Fotostudio betrete: „Soll ich<br />

mir die Schuhe ausziehen?“ So<br />

privat ist die Atmosphäre, so<br />

herzlich die Begrüßung. In jeder<br />

Ecke seines Studios gibt es etwas<br />

zu bestaunen. Das Schmuckstück<br />

des 67-Jährigen sind die<br />

etwa 140 Fotos von Prominenten,<br />

die wie eine Tapete das komplette<br />

Arbeitszimmer schmücken.<br />

Vor fast genau 47 Jahren<br />

arbeitete seine Mutter für die<br />

Klassenlotterie. Und der junge<br />

Stuart Manlove fotografierte all<br />

die Prominenten, die damals die<br />

Zahlen zogen: so Roberto<br />

Blanco, Hardy Krüger oder<br />

Inge Meysel. Pro Bild gab es<br />

50 D-Mark. Entwickelt hat er<br />

die Fotos bei seiner Mutter im<br />

Keller. Später in seinem ersten<br />

Studio – das vorher ein Fischladen<br />

gewesen war. LÖWE<br />

•<br />

Mehr Infos unter:<br />

www.stuma-fotografie.de


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Gut&Schön<br />

Die gute Nachricht<br />

Willkommen<br />

in Sögel<br />

FOTOS: MAURICIO BUSTAMENTE, JANA CAVOJSKA, PRIVAT<br />

Bild des Monats<br />

Neues vom Flughafen<br />

Unser Pfand-Projekt am Airport läuft bislang prima.<br />

Seit September haben wir rund 70.000 Flaschen gesammelt<br />

und sortiert. Zu den drei Leergutbeauftragten<br />

Uwe (von rechts), Georgi und Jaroslaw ist Klaus<br />

dazugekommen, halbtags. „Ich bin der Halb-Vier“,<br />

sagt er lachend. Seine Kinder seien ganz stolz auf ihn.<br />

„Papa arbeitet jetzt beim Flughafen.“ BIM<br />

•<br />

Die Kofferträger von<br />

Bratislava<br />

Der Bahnhof der slowakischen<br />

Hauptstadt kennt weder Rolltreppen<br />

noch Aufzüge. Und wenn man<br />

nun schweres Gepäck zu schleppen<br />

hat? Dann hilft einer der sechs Kofferträger<br />

in historischen Uniformen<br />

– Verkäufer des Straßenmagazins<br />

„Nota Bene“, die so je einen Halbtagsjob<br />

gefunden haben. Die Idee<br />

stammt von einem ihrer Leser. FK<br />

•<br />

5<br />

Ein Schild zur Erinnerung<br />

Es ist nur ein kleines Schild an einer<br />

Holzbank in Rissen. Aber es bedeutet<br />

Hinz&Künztlerin Karen eine<br />

ganze Menge. Im September vor einem<br />

Jahr ist ihr Freund Jörg gestorben.<br />

Er hatte dort immer Zeitungen<br />

verkauft. Sie dachte, sie würde nie<br />

über seinen Tod hinwegkommen.<br />

„Er war das Beste, was mir je passieren<br />

konnte“, sagt die 43-Jährige.<br />

Monatelang hatte sie um die Plakette<br />

gekämpft, „damit er nicht vergessen<br />

wird“. Bis der Wegewart sie<br />

persönlich anbrachte. BIM<br />

•<br />

Es gab eine Zeit, da hießen<br />

Wanderarbeiter im emsländischen<br />

Sögel „Eimermenschen“:<br />

Man sah sie mit Eimern<br />

in der Hand, aus denen<br />

Messer und Arbeitskleidung<br />

ragten, zum Schlachthof laufen.<br />

Sonst wusste man nichts<br />

über sie. Dicht gedrängt<br />

schliefen die Osteuropäer in<br />

maroden Häusern zu Wuchermieten,<br />

die ihnen Werkvertragsfirmen<br />

vom Lohn<br />

abzogen.<br />

Eines Tages wollte Bürgermeister<br />

Günter Wigbers<br />

(CDU) nicht mehr wegschauen:<br />

Er sprach beim „König<br />

der Schweine“ („Die Zeit“)<br />

Clemens Tönnies vor, zu dessen<br />

Reich der Schlachthof in<br />

Sögel gehört. Und rang ihm<br />

eine Vereinbarung ab. Darin<br />

verpflichten sich Tönnies’<br />

Subunternehmer, ihre Arbeiter<br />

menschenwürdig unterzubringen.<br />

Überprüft wird<br />

das von einem Gemeindemitarbeiter<br />

– bezahlt von den<br />

Firmen, die mit den rund<br />

1000 Werkvertragsbeschäftigten<br />

ihr Geld verdienen.<br />

Der Verhaltenskodex habe<br />

„beinah wie ein Konjunkturprogramm“<br />

gewirkt, so<br />

die Gemeinde: Unterkünfte<br />

wurden saniert, neue Häuser<br />

gebaut.<br />

Und nun kommen mindestens<br />

150 Flüchtlinge hinzu.<br />

Also haben die Sögeler<br />

den nächsten Schritt gemacht<br />

und eine Baugenossenschaft<br />

gegründet. Drei<br />

Mehrfamilienhäuser mit Sozialwohnungen<br />

wollen sie zunächst<br />

bauen. Jeder Bürger<br />

kann mit mindestens 100 Euro<br />

einsteigen. 150 Sögeler<br />

machen bereits mit, im Frühjahr<br />

sollen die ersten Familien<br />

einziehen. UJO<br />

•<br />

Info: www.huklink.de/soegel


Zurzeit ist<br />

Hinz&Künztler<br />

FRANK in einem<br />

Zimmer bei den<br />

Schwestern der<br />

Mutter Teresa im<br />

Haus Bethlehem<br />

untergekommen.


ALLES MUSS<br />

MAN SELBST<br />

MACHEN!<br />

Weil in Hamburg zwar viele Wohnungen leer stehen, sie aber keine<br />

abkriegen, würden sich ein paar Hinz&Künztler am liebsten selbst ans<br />

Häuslebauen machen. Vorerst sind es allerdings nur Knusperhäuschen.<br />

TEXT: SYBILLE ARENDT, FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>274</strong>/ DEZEMBER <strong>2015</strong><br />

Torstens Traumwohnung steht am Polarkreis. „Am<br />

liebsten würde ich dort in einem Baumhaus wohnen“,<br />

so der Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer. Das liegt<br />

wahrscheinlich an der ausgedehnten Skandinavien-<br />

Wanderung, die der 51-Jährige in diesem Sommer unternommen<br />

hatte. Echtes Holz können wir heute leider nicht<br />

verbauen. Dafür stellen wir aus frisch gebackenem Lebkuchenteig<br />

Knusperhäuschen her, um dabei über Wohnungsnot<br />

ins Gespräch zu kommen.<br />

Möglich wurde die Aktion durch Konditormeister Thomas<br />

Horn, mit dem wir schon öfter gemeinsam gebacken haben.<br />

Ein Freund des Hauses sozusagen. In seiner Lokstedter<br />

Backstube hat er für uns Lebkuchenteigplatten in allen Größen<br />

und jede Menge Zuckerzeug zum Verzieren bereitgestellt.<br />

Der dynamische 51-Jährige drückt allen Spritztüten mit<br />

Eiweißmasse in die Hand und packt auch selbst mit an. „Los,<br />

los, nicht so schüchtern“, ermuntert Horn die Hinz&Künztler.<br />

Torsten beginnt zu kleben und zu erzählen. Acht Jahre lang<br />

„Eigentlich könnte<br />

ich auch ein echtes Haus<br />

bauen – abgesehen<br />

vom Dach.“ RAFAEL, TROCKENBAUER, OBDACHLOS<br />

hat er in Hamburg in leer stehenden Häusern gewohnt. Davon<br />

gab es immer reichlich: Bürohäuser, Gaststätten, Villen<br />

und Einfamilienhäuser. Dabei hat er sich wie ein Gentleman<br />

verhalten. „Ich habe immer einen Zettel hingelegt und gefragt,<br />

ob ich als Wohnungsloser dort eine Weile bleiben darf.“<br />

Manchmal wurde er geduldet, manchmal auch nicht.<br />

„Einmal wurden meine ganzen Sachen aus dem Fenster in<br />

den Vorgarten geworfen. Ein anderes Mal wurden extra die<br />

Sanitäranlagen zerstört, damit ich dort nicht bleiben konnte.“<br />

Vor 15 Monaten hat Torsten endlich ein Zimmer zur Untermiete<br />

gefunden. Darüber ist er sehr froh: „Es ist sehr anstrengend,<br />

immer unterwegs sein zu müssen.“<br />

Rafael verziert sein Häuschen ganz systematisch, eine<br />

Reihe Gummiteile, eine Reihe Spekulatius. „Eigentlich könnte<br />

ich auch ein echtes Haus alleine bauen – abgesehen vom<br />

Dach.“ Der 27-Jährige ist gelernter Trockenbauer und hat<br />

jahrelang auf dem Bau gearbeitet. „Ich hatte ein ganz normales<br />

Leben: Arbeit, Freundin und Wohnung.“<br />

Doch dann gerät der Pole an einen Arbeitgeber, der ihm<br />

seinen Lohn nicht bezahlt. Rafael verliert seine Wohnung und<br />

landet im Frühjahr <strong>2015</strong> auf der Straße. Seitdem zeltet er im<br />

Hamburger Osten. „So finde ich auch keinen Job: keine Wohnung,<br />

keine Arbeit.“ Als wir die Häuschen verzieren, hofft er<br />

noch auf einen Containerplatz im Winternotprogramm. Und<br />

tatsächlich: Er bekommt einen. „Jetzt habe ich wieder eine<br />

Adresse und finde hoffentlich auch einen Job.“<br />

Frank hingegen ist schon seit 23 Jahren wohnungslos. Der<br />

48-Jährige hat Platte gemacht und zwischendurch immer mal<br />

8


Stadtgespräch<br />

bei Freunden und Bekannten übernachtet. Jetzt ist er gerade<br />

im Haus Bethlehem untergekommen und freut sich über ein<br />

Dach über dem Kopf. „Ein Zimmer reicht mir, mit einer Wohnung<br />

komme ich nicht klar.“ Sein Lebkuchenhaus verziert er<br />

liebevoll, aber nicht zu bunt. „Das Haus möchte ich den<br />

Schwestern in Haus Bethlehem schenken, da passt eher etwas<br />

Schlichtes hin.“<br />

Bescheiden sind auch die Wünsche der Hinz&Künztler,<br />

was das Wohnen angeht. Den meisten genügt ein Zimmer, bei<br />

dem sie die Tür schließen können, und ein Briefkasten, in dem<br />

sie Post empfangen können. Es wäre schön, wenn sie sich einfach<br />

welche backen könnten. •<br />

REZEPT KNUSPERHAUS:<br />

Honigkuchenteig: 750 g Weizenmehl, 500 g Honig,<br />

100 ml Wasser, 75 g Butter, 50 g Zucker, 12 g Salz,<br />

8 g Hirschhornsalz, 4 g Pottasche, 2 g Zimt, 24 g Honigkuchengewürz<br />

Alles zusammen langsam zu einem Teig kneten.<br />

24 Stunden ruhen lassen. Den Teig 0,5 cm dick ausrollen<br />

und bei 180 Grad ca. 15 Minuten backen.<br />

Maße für die Bauteile: 1 Bodenplatte 20 x 30 cm, 2 Seitenteile<br />

5 x 20 cm, 2 Giebel 15 cm breit, 18 cm hoch, 2 Dachplatten<br />

15 x 22 cm, Fenster und Türen nach Bedarf ausstechen.<br />

Eiweißspritzglasur: 500 g Puderzucker, 90 g Eiweiß, 5 g Zitronensaft<br />

Alles mit dem Mixer zu einer steifen Masse aufschlagen.<br />

Die Teile mithilfe einer Spritztülle und der Eiweißspritzglasur<br />

zusammensetzen und nach kurzer Trocknungsphase verzieren.<br />

Mit Süßigkeiten oder Keksen bekleben.<br />

Konditor Thomas Horn mit seiner Auszubildenden und dem HINZ&KUNZT-<br />

TEAM (von links): Torsten, Frank, Rafael und Autorin Sybille Arendt.<br />

Neues aus dem Winternotprogramm<br />

Wenn es tagsüber<br />

kalt wird ...<br />

Wir könnten uns freuen. Eigentlich ... Nie zuvor<br />

hat die Stadt so viele Schlafplätze für Obdachlose<br />

im November bereitgestellt. Und<br />

diese Plätze sind absolut in Ordnung, erzählen<br />

uns Bewohner. Meistens teilt man sich zu<br />

viert ein Zimmer. Überfüllte Schlafsäle wie<br />

noch in den Vorjahren? Vorerst abgeschafft.<br />

Auch ein Shuttle-Bus ist nicht mehr nötig. Die<br />

beiden neuen Notunterkünfte in der Münzstraße<br />

am Hauptbahnhof und im Schaarsteinweg<br />

am Michel sind fußläufig aus der<br />

Innenstadt zu erreichen.<br />

Gefreut hat uns, dass die Sozialbehörde zudem<br />

speziell obdachlosen Frauen hilft. Eigene<br />

Wohnbereiche. Eigene Duschen. Und zusätzliche<br />

Plätze. Mehr als 60 Frauen nutzten das<br />

Angebot bislang.<br />

Damit sind wir dann auch schon bei den<br />

Problemen angelangt. Denn Jahr für Jahr<br />

steigt die Zahl der Obdachlosen, die Schutz im<br />

Winternotprogramm suchen. Fünf Monate<br />

bietet die Stadt ihnen nachts ein Dach über<br />

dem Kopf. Zuletzt landeten fast alle im Frühjahr<br />

wieder auf die Straße. Auch das soll sich<br />

ändern. 40 Obdachlosen pro Monat will die<br />

Sozialbehörde in dauerhafte Unterkünfte vermitteln.<br />

Das wäre ein echter Erfolg. Auch dass<br />

laut Sozialbehörde schon bald 100 weitere<br />

Plätze für Obdachlose im Pik As und dem<br />

FrauenZimmer entstehen, freut uns.<br />

Überhaupt kein Verständnis haben wir,<br />

dass die Stadt die Obdachlosen weiterhin jeden<br />

Morgen auf ein Neues vor die Türen<br />

setzt. Auch bei Regen und Eiseskälte. Niemand<br />

würde freiwillig sein Haus verlassen.<br />

Aber Obdachlose, die müssen raus. Seit Jahren<br />

fordern wir die Notunterkünfte rund um<br />

die Uhr zu öffnen. Vergeblich. Beratungstermine<br />

stünden an. Die Betten müssten gemacht<br />

werden. Außerdem gäbe es doch Tagesaufenthaltsstätten,<br />

merkt der Senat an.<br />

Doch deren Öffnungszeiten sind begrenzt<br />

und die Räume oftmals überfüllt. Inzwischen<br />

verspricht die Behörde einen Ausbau des<br />

Angebots.<br />

An den Öffnungszeiten der Notunterkünfte<br />

wird nicht gerüttelt. Diese bleiben tagsüber<br />

verschlossen. Ganz offensichtlich will man die<br />

Obdachlosen auf Trap halten. Im Sozialausschuss<br />

bekannte die Behörde: Die Schließung<br />

der Unterkünfte am Tag sei notwendig, da<br />

„anderenfalls das Bett gar nicht mehr aufgegeben<br />

werden würde. Dieses treffe überwiegend<br />

auf Personen aus Osteuropa zu.“ JOF<br />

•<br />

9


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>274</strong>/ DEZEMBER <strong>2015</strong><br />

Meldungen (1)<br />

Politik & Soziales<br />

Endlich kommt das Girokonto für alle<br />

Europa sei Dank: Banken dürfen Obdachlosen oder Flüchtlingen künftig nicht<br />

mehr die Eröffnung eines Girokontos verweigern. Eine entsprechende Richtlinie<br />

der Europäischen Union setzt die Bundesregierung nun um. Das Konto für alle<br />

soll spätestens im Juni 2016 kommen. Sozialverbände und auch Hinz&<strong>Kunzt</strong> fordern<br />

seit Langem ein Grundrecht auf eine Bankverbindung. Denn immer wieder<br />

verweigern Geldinstitute Menschen mit wenig Geld die Eröffnung eines Kontos.<br />

Bundesweit haben geschätzt mindestens 700.000 Menschen kein Girokonto. SIM<br />

•<br />

Mehr Infos im Internet: www.huklink.de/basiskonto und www.guthabenkonto.net<br />

Mieterhöhung nur begrenzt möglich Teilerfolg für Berliner Mietenvolksentscheid<br />

Der Bundesgerichtshof stärkt die Mieterrechte.<br />

In Berlin hatte ein Vermieter<br />

die Wohnfläche irrtümlicherweise zu<br />

klein angegeben. Nachträglich verlangte<br />

er eine Mieterhöhung um 30 Prozent.<br />

Diese sei nicht zulässig, entschied das<br />

Gericht. Zwar müssten Mieter für die<br />

„tatsächliche Wohnungsgröße“ zahlen.<br />

Aufgrund der geltenden Kappungsgrenze<br />

dürfen Vermieter die Mieten in bestehenden<br />

Verträgen aber höchstens um<br />

15 Prozent und nur alle drei Jahre anheben.<br />

Vom Urteil profitieren auch Mieter,<br />

deren Wohnung kleiner ist als im<br />

Vertrag angegeben. Bislang konnten die<br />

Angaben um zehn Prozent abweichen.<br />

Jetzt gilt: Weitere Mieterhöhungen dürfen<br />

sich nur noch auf die „tatsächliche<br />

Wohnungsgröße“ beziehen. JOF<br />

•<br />

Berlin stärkt den sozialen Wohnungsbau. Das neue Wohnraumgesetz<br />

schreibt fest, dass 30.000 Sozialwohnungen in den<br />

nächsten zehn Jahren gefördert werden. Zudem unterstützt die<br />

Stadt Geringverdiener: Mieter mit Wohnberechtigungsschein<br />

sollen nicht mehr als 30 Prozent ihres Einkommens für die<br />

Kaltmiete zahlen. Das Gesetz ist ein Kompromiss mit der<br />

Initiative Mietenvolksentscheid, die ein Volksbegehren gestartet<br />

hatte. Sie hatte auch gefordert, Landes-Wohnungsgesellschaften<br />

in Anstalten öffentlichen Rechts umzuwandeln. Das<br />

hätte bedeutet, dass diese keine Gewinne mehr erwirtschaften<br />

dürfen. Dieses Anliegen fand bei der Politik kein Gehör. Ohne<br />

den Kompromiss hätte es einen Volksentscheid gegeben. JOF<br />

•<br />

Immer mehr Menschen sitzen im Dunkeln<br />

Erneut ist die Zahl der Stromsperren in Deutschland gestiegen.<br />

Medienberichten zufolge kappten Energieversorger vergangenes<br />

Jahr 351.802 Privathaushalten zeitweise die Stromzufuhr.<br />

2013 waren es noch 344.798 Sperren gewesen. Die<br />

Bundesnetzagentur wollte die neue Zahl nicht bestätigen, da<br />

ihr Bericht erst nach Redaktionsschluss veröffentlicht wurde.<br />

Grund einer Stromsperre sind in der Regel Energieschulden.<br />

Hilfeempfängern fehlen bis zu 280 Euro im Jahr, weil die steigenden<br />

Energiepreise im Regelsatz nicht berücksichtigt werden,<br />

so der Paritätische Wohlfahrtsverband. Das sei der Regierung<br />

„seit Jahren bekannt“. Das Bundesverfassungsgericht hat<br />

deshalb bereits 2014 eine Neuregelung angemahnt. UJO<br />

•<br />

Auch 2016 geht der weltweit<br />

größte fahrtüchge Museumsfrachter<br />

auf große Fahrt ...<br />

Bestellen Sie bequem online:<br />

www.capsandiego.de<br />

Verschenken Sie zu Weihnachten marimes Flair!<br />

Nähere Infos und die Termine nden Sie auf unserer Internetseite unter der Rubrik „Fahrten“.


2<br />

STADT-<br />

EXPEDITION:<br />

#2 Die Tour der Stille<br />

Wenn Großstadtrummel und Weihnachtstrubel<br />

sich überlagern, kann es einem leicht zu viel werden.<br />

Wer mitten im Stress und Trubel die Stille sucht,<br />

begibt sich mit uns auf die Tour der stillen Stadtoasen.<br />

TEXT: SIMONE DECKNER UND CHRISTIAN HAGEN<br />

FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

1<br />

9<br />

4<br />

7<br />

3<br />

5<br />

6<br />

8<br />

1a. Pastorin Irmgard<br />

Nauck leitet<br />

die Kirche der Stille.<br />

Überblick: Auf<br />

dieser Karte<br />

haben wir alle<br />

Orte der „Tour<br />

der Stille“ für<br />

Sie markiert.<br />

Oliver Petersen<br />

Der Meditationslehrer hat das Tibetische<br />

Zentrum in Berne aufgebaut und gibt dort u. a.<br />

Meditationskurse (8.) Zuvor lebte er 16 Jahre<br />

lang als Mönch. Er glaubt daran, dass jeder<br />

Mensch die Fähigkeit hat, in Stille zu sein.<br />

E<br />

s sind hektische Zeiten, in denen wir leben. Informationen<br />

prasseln pausenlos auf uns ein. Alles lechzt<br />

nach unserer Aufmerksamkeit. Durch unsere Smartphones<br />

sind wir ständig erreichbar. Trotzdem bleibt<br />

das Gefühl, immer etwas zu verpassen. „Wir sind alle hoffnungslos<br />

überreizt“, sagt Oliver Petersen, „weil wir nur noch<br />

auf das reagieren, was von außen kommt.“ Er selbst kam zum<br />

Buddhismus, weil er nach der Pubertät „eine innere Unruhe“<br />

spürte. „Und weil ich Vorbilder gefunden habe, die inneren<br />

Frieden gefunden haben.“ Allen voran der Dalai Lama. „Stille<br />

aus buddhistischer Sicht ist nicht äußere Ruhe, sondern innere<br />

Stille“, so der 54-Jährige. „Viele denken beim Stichwort<br />

Meditation an Indien und Menschen in weiten Gewändern,<br />

dabei kann jeder achtsam sein und seinen Geist schulen, wir<br />

müssen es nur erst wieder lernen.“ Es gehe darum, sich auf<br />

den Moment einzulassen. Muße statt Multitasking. Eine einfache<br />

Übung sei etwa, seinen Atem zu beobachten. „Man<br />

kann sich auch an der Alster auf eine Bank setzen und einfach<br />

mal bewusst den Moment auf sich wirken lassen – also ohne<br />

Buch oder Handy in der Hand“, so Petersen. Diese Zeit für<br />

uns selbst sollten wir uns nehmen: „Wir brauchen nicht immer<br />

noch mehr von allem. Entscheidend ist, dass wir erkennen,<br />

was uns wirklich wichtig ist.“ •<br />

11


Stadt-Expedition<br />

Weder Bänke noch Altar noch Orgel: Seit 2009<br />

gibt es diese ungewöhnliche Kirche in Altona.<br />

Ein Begegnungsort für Menschen, die in der<br />

Stille die Kraft in sich selbst suchen. Pastorin<br />

Irmgard Nauck 1a.: „Ich gehe, wie die Mystiker<br />

aller Zeiten, davon aus, dass wir in uns einen<br />

Raum der Stille haben. Ich als Christin sage: einen Raum der<br />

Stille, in dem Gott wohnt. Indem wir die Augen und den<br />

Mund schließen, die Hände in den Schoß legen, können wir<br />

in diesem Raum immer wieder eintauchen und still werden.“<br />

In der evangelischen Kirche 1b., die offen für alle ist, findet<br />

sich ein reiches Programm rund um die stille Kontemplation:<br />

von Meditation am Abend über Handauflegen und Zen-<br />

Meditation im Sitzen bis zu Liedern des Herzens und zum<br />

Tanz „Soul Motion“.<br />

Montag bis Freitag, 12–18 Uhr, Helenenstraße 14A,<br />

viele kostenfreie Angebote, mehr Infos: www.kirche-der-stille.de<br />

Der Elbufer Höhenweg (siehe Karte) ist ein wunderbarer<br />

„Weg der Stille“ , der weite Ausblicke bie-<br />

02.<br />

tet. Der Start ist am Parkplatz Falkensteiner Weg (T), erreichbar<br />

mit Bus 286. Los geht’s am obersten Weg am Hang. 2a.<br />

An diesem Punkt wechseln Sie auf eine Ebene weiter nach<br />

unten und folgen der Treppe aufwärts zum Sven-Simon-Park.<br />

2b. Hier bietet sich ein atemberaubender Panoramablick<br />

über die Elbe, Bänke laden zu einer ausgiebigen Rast ein. Der<br />

Weg führt weiter mit Aussicht über die Wittenberger Heidelandschaft<br />

bis zum Ziel, 2c.dem Wittenberger Leuchtturm.<br />

Zurück geht es über den Strand. Der stille Spaziergang durch<br />

die Natur 2e.dauert ca.1,5–2 Stunden – wenn Sie ohne Eile<br />

unterwegs sind.<br />

Am Wochenende verwandelt sich die City-<br />

Nord (siehe Karte) in ein Geisterquartier. Wir<br />

starten im Manilaweg. Ein surreales Terrain<br />

für Spaziergänge über Rampen und Treppen,<br />

entlang der monströsen Bürogebäude 3a.-<br />

3c., die hier ab den 60er-Jahren als moderne Bürostadt im<br />

Grünen hochgezogen wurden. Dazu gibt es tolle Architektur-<br />

Rundgänge. Auch Sportler haben die Stille hier für sich entdeckt:<br />

Die Disc-Golfer 3d., eine Mischung aus Frisbee und<br />

Golf, treffen sich hier regelmäßig sonntags um 13 Uhr zum<br />

Training. Ziel ist es, die Wurfscheibe mit so wenig Würfen wie<br />

möglich in einen Metallkorb zu befördern. Neugierige und<br />

Zuschauer sind willkommen.<br />

Disc-Golf: Jeden Sonntag, 13 Uhr, Treffpunkt an der Litfaßsäule,<br />

U-Bahn-Station Sengelmannstraße, kostenlos. Infos über<br />

Architekturrundgänge unter www.huklink.de/architekturrundgang<br />

Nach Ladenschluss kann man auch mitten in<br />

der Innenstadt wundersame Orte entdecken:<br />

Dort, wo die Arkaden des Bleichenhofs aufeinander<br />

treffen, an der Ecke Große Bleichen/<br />

Bleichenbrücke befindet sich die sogenannte<br />

Flüsterkuppel. Stellen Sie sich genau in die Mitte unterhalb<br />

der Kuppel auf den Stern am Boden. Und dann: Verraten Sie<br />

im Flüsterton ihren sehnlichsten Wunsch! Sie haben gute<br />

12<br />

1b. Unweit der lauten<br />

Max-Brauer-Allee und<br />

doch ganz friedlich:<br />

die Kirche der Stille.<br />

3a. Wie eine Pyramide<br />

wirkt das Bürogebäude<br />

der Deutschen Post –<br />

erbaut in den 70ern.<br />

3d. Beim Disc-Golfen ist<br />

das Ziel, die runde Scheibe<br />

mit möglichst wenigen Würfen<br />

„einzulochen“.<br />

2c


2b. Auf dem Elbufer<br />

Höhenweg laden Bänke<br />

am Weg zur Rast ein.<br />

2d. Zurück geht es über den Elbstrand.<br />

2a<br />

Parkplatz<br />

Falkensteiner Weg<br />

T<br />

2c. Am Ende der<br />

Tour wartet der<br />

Leuchtturm<br />

Wittenbergen.<br />

2b<br />

2d<br />

Falkensteiner Ufer<br />

Elbufer Höhenweg<br />

Siebenweg<br />

City Nord<br />

T<br />

Überseering<br />

Manilaweg<br />

2e. Blick durch<br />

die kahlen Baumwipfel<br />

auf die Elbe.<br />

3c<br />

3a<br />

3d<br />

3b<br />

3c. Geschwungen ist die<br />

Fassade dieses Bürogebäudes<br />

in der City Nord.<br />

Sein Name: Oval Office.<br />

3b. Der sogenannte<br />

„Silberling“, in der eine<br />

Versicherung ihren<br />

Sitz hat, entstand in<br />

den 90ern.


Stadt-Expedition<br />

Chancen, dass Ihr Herzenswunsch gehört wird, denn die<br />

Kuppel verstärkt Ihre Stimme um ein Vielfaches.<br />

Bleichenhof-Passage, Bleichenbrücke 11, Mo–Fr nach 19 Uhr,<br />

Sa nach 18 Uhr, kostenlos.<br />

Willkommen im Raum der Stille! Kaum ein anderer<br />

Ort ist so hektisch, laut und betriebsam wie der<br />

Hauptbahnhof: rund 480.000 Menschen nutzen<br />

ihn täglich. Nur wenige aber kennen den seit 2002<br />

versteckt in der Unterführung zwischen Mönckebergstraße<br />

und zum Südsteg liegenden „Raum der Stille“.<br />

Die Idee: Menschen in hektischen Zeiten eine Möglichkeit zu<br />

geben, für ein paar Minuten auszuruhen. Durchzuatmen. Die<br />

Augen zu schließen. Vielleicht auch zu beten, Kraft zu tanken.<br />

„Drei Minuten Ruhe geben einem Kraft für Stunden“,<br />

so ein regelmäßiger Gast dieser stillen Oase.<br />

Mo–Fr, 10 bis 19 Uhr, kostenlos, www.huklink.de/raum-stille<br />

Wo bleiben die Menschen in Erinnerung, die<br />

das Leben vergessen hat? Wer obdachlos ist,<br />

stirbt oft einsam und anonym. Doch wir vergessen<br />

unsere Hinz&Künztler nicht: Auf dem Öjendorfer<br />

Friedhof steht unser Gedenkbaum: eine alte, hochgewachsene<br />

Birke. Um ihren Stamm ranken sich Messingtäfelchen mit<br />

den Namen der Verstorbenen.<br />

„Jeder Mensch<br />

hinterlässt Spuren und<br />

soll in Erinnerung bleiben“,<br />

so Sozialarbeiter<br />

Stephan Karrenbauer,<br />

der die Idee für den<br />

Gedenkbaum hatte.<br />

Manshardtstraße 200<br />

(November–März,<br />

8–18 Uhr, vom Trauerraum<br />

Nord ca. 100 Meter<br />

geradeaus, dann links, in<br />

der Kurve steht die Birke.<br />

6. Unser Gedenkbaum auf<br />

dem Öjendorfer Friedhof<br />

erinnert an die verstorbenen<br />

Hinz&Künztler.<br />

5. Stille Oase in der Unterführung des hektischen<br />

Hauptbahnhofs: der Raum der Stille.<br />

Hinter dem Museum für Völkerkunde liegt das<br />

chinesische Teehaus Yu Garden. Von außen:<br />

imposante asiatische Architektur mit Türmchen,<br />

Statuen und Wasserspielen. Von innen:<br />

Veranstaltungs- und Tagungsort und Sitz des<br />

Konfuzius-Instituts der Uni Hamburg. Regelmäßig<br />

kann man hier an Teezeremonien teilnehmen<br />

und sich in das Geheimnis chinesischer Teekunst einführen<br />

lassen. Zudem gibt es kostenlose Kurse zu traditioneller<br />

Kalligrafie und chinesischer Musik.<br />

Yu Garden, Feldbrunnenstraße 67, www.ki-hh.de<br />

Begeben Sie sich auf den Weg der inneren Einkehr<br />

mit einer traditionell tibetisch-buddhistischen<br />

Meditation: „Das ist ein sehr wirksames Mittel, um<br />

positive Emotionen zu stärken und Achtsamkeit, Konzentration,<br />

Mitgefühl und Einsicht zu entwickeln“, so der Meditationslehrer<br />

Oliver Petersen (siehe Seite 11). Das Tibetische Zentrum<br />

steht unter Schirmherrschaft des Dalai Lama und bietet<br />

regelmäßig kostenlose Einführungen in die Meditation an.<br />

Tibetisches Zentrum, Hermann-Balk-Straße 106, www.tibet.de<br />

auf der Reeperbahn befindet sich ein<br />

stilles Örtchen der ganz besonderen Art: Die<br />

Damen- und Herrentoiletten im Arcotel Onyx<br />

9.Mitten<br />

wurden 2013 zum „schönsten stillen Örtchen“<br />

gekürt: mit Wandmalereien und per Hand eingefassten Mosaiksteinchen<br />

– austreten in eleganter Form. Rein kommt aber<br />

jeder. Einfach an der Rezeption nach dem Weg fragen!<br />

Arcotel, Reeperbahn 1, geöffnet 24 Stunden, kostenlos •<br />

9. Ausgezeichnet:<br />

das stille Örtchen im<br />

Arcotel Onyx auf<br />

der Reeperbahn.<br />

7. Im Teehaus Yu Garden<br />

gibt es Kurse zu chinesischen<br />

Teezeremonien,<br />

Kalligrafie und Musik.<br />

14


Die neue Ausgabe: Jetzt am Bahnhofskiosk, auf<br />

greenpeace-magazin.de oder telefonisch unter<br />

040 / 808 12 80 - 80. Auch im günstigen Jahresabo<br />

für nur 33,50 Euro mit exklusiven Prämien.<br />

Illustration: Heiner H. Hoier<br />

/ GELD SPEZIAL Kann und darf Geld wirklich alles? Wir zeigen<br />

neue Wege, seltsame Blüten und unschätzbare Werte / PLUS Klima-Plakat


Rubrik<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>274</strong>/ DEZEMBER <strong>2015</strong><br />

ICH STEH<br />

NOCH LEER!<br />

Hamburg hat das schärfste Wohnraumschutzgesetz Deutschlands.<br />

Trotzdem duldet die Stadt weiterhin massenhaften Leerstand.<br />

TEXT UND FOTOS: ULRICH JONAS, JONAS FÜLLNER<br />

16


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Stadtgespräch<br />

Die drei Villen befinden<br />

sich in bester Lage unweit<br />

der Alster. Offensichtlich<br />

stehen sie schon<br />

länger leer. Wild wuchert<br />

das Grün in den Gärten. Die Häuser<br />

aber scheinen gut in Schuss, hier könnten<br />

sicher einige Flüchtlingsfamilien und<br />

Obdachlose ein Zuhause auf Zeit finden.<br />

Nachfrage beim zuständigen Bezirk<br />

Nord: Was ist hier los? Die Leerstände<br />

sind dem Amt seit fast zwei Jahren bekannt,<br />

erklärt eine Sprecherin. Angeblich<br />

sollen die Häuser saniert werden. Entsprechende<br />

Bauanträge lägen vor oder<br />

würden „zeitnah erwartet“. Die wiederholte<br />

Nachfrage, wann die Anträge gestellt<br />

wurden und über sie entschieden<br />

wird, beantwortet die Sprecherin nicht.<br />

Theoretisch geht kein Bundesland so<br />

entschlossen gegen Wohnungsleerstand<br />

vor wie Hamburg. Seit der Verschärfung<br />

des entsprechenden Gesetzes im Juni<br />

2013 sind Eigentümer verpflichtet, Leerstände<br />

von mehr als drei Monaten den<br />

Behörden zu melden. Haben sie für länger<br />

andauernden Leerstand keine guten<br />

Gründe, können die Ämter sogar Geldbußen<br />

verhängen. Das Problem ist nur:<br />

Sie machen das fast nie. 687-mal haben<br />

die Behörden in den vergangenen zwei<br />

Jahren wegen Leerstand gegen Privateigentümer<br />

ermittelt, teilte der Senat kürzlich<br />

mit. In gerade mal sieben Fällen seien<br />

Bußgelder verhängt worden.<br />

Selbst die Stadt und ihre Wohnungsgesellschaft<br />

Saga GWG lassen Häuser<br />

verrotten, anstatt sie zu vermieten. In<br />

Neuenfelde stehen seit vielen Jahren<br />

rund 50 Häuser leer, die die Stadt einst<br />

gekauft hatte, um Klagen gegen die Airbus-Erweiterung<br />

zu verhindern. Kürzlich<br />

sind sie in den Besitz von Saga<br />

Hier könnten Menschen wohnen (von oben<br />

nach unten): eines von rund 50 leer stehenden<br />

Häusern in NEUENFELDE; Bürogebäude<br />

An der Alster 17, Wohnungen am Biedermannplatz<br />

13, Häuser Susannenstraße 6,<br />

Fährhausstraße 14, Breite Straße 114–116<br />

und das „Geisterhaus“ am Schulterblatt 68.<br />

GWG übergegangen. 20 Häuser sollen<br />

Neubauten weichen, 29 modernisiert<br />

werden. Nur: Wann geschieht endlich<br />

etwas? „Mit der Sanierung wird begonnen,<br />

wenn das Gesamtkonzept Neuenfelde<br />

mit dem Bezirk Harburg abgestimmt<br />

worden ist“, so Saga GWG auf<br />

Nachfrage. Kürzlich haben Anwohner<br />

vorgeschlagen, in den leer stehenden<br />

Häusern Flüchtlinge unterzubringen,<br />

statt sie abseits des Dorfes in eine neue<br />

Containersiedlung zu pferchen. Eine gute<br />

Idee, die zu einer zentralen Frage<br />

Hochrechnungen<br />

zufolge stehen in<br />

Hamburg 5000<br />

Wohnungen leer.<br />

führt: Warum kümmert sich die Stadt<br />

nicht viel mehr darum, auch kleinere<br />

Leerstände sinnvoll zu nutzen?<br />

Hochrechnungen zufolge stehen in<br />

Hamburg rund 5000 Wohnungen leer.<br />

Allein bei Saga GWG waren es im Juli<br />

1321, so der Senat auf Bürgerschaftsanfrage.<br />

Diese Zahl habe sich „nicht maßgeblich<br />

verändert“, erklärt Saga GWG<br />

auf Nachfrage von Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Das<br />

muss nicht sein, wie selbst der städtische<br />

Vermieter indirekt einräumt: „Ganz aktuell<br />

befinden wir uns in Abstimmung<br />

mit den zuständigen Behörden und werden<br />

diesen eine namhafte Zahl leer stehender<br />

Wohnungen melden, von denen<br />

wir uns vorstellen können, dass sie zwischengenutzt<br />

werden können.“<br />

Im Fall der Denickestraße in Heimfeld<br />

klappte diese Abstimmung offenbar<br />

nicht: Mindestens 70 Wohnungen standen<br />

hier im Sommer leer, Saga GWG<br />

plant kommendes Jahr einen Neubau.<br />

Als die Linksfraktion anregte, dort über<br />

die Wintermonate Flüchtlinge unterzubringen,<br />

entschloss sich das städtische<br />

Unternehmen zur Flucht nach vorn und<br />

17<br />

begann mit Abriss und Entkernung.<br />

Dazu Die Linke: „Das wäre eine gute<br />

Gelegenheit gewesen, einige Hundert<br />

Menschen davor bewahren zu können,<br />

den Winter in schlecht beheizbaren<br />

Zelten oder leer stehenden Baumärkten<br />

zu verbringen.“<br />

Wie sehr das Machbare vom politischen<br />

Willen abhängt, zeigt der geänderte<br />

Umgang der Stadt mit leer stehendem<br />

Gewerberaum. Jahrelang hatte<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> vergeblich gefordert, Bürogebäude<br />

umzubauen und für die Unterbringung<br />

von Obdachlosen zu nutzen.<br />

Zu teuer, nicht möglich, wegen des mangelnden<br />

Brandschutzes zu gefährlich: Es<br />

gab immer eine Ausrede. Nun ist vieles<br />

anders. Kürzlich erst hat die Stadt das<br />

ehemalige Verlagsgebäude der „Gala“<br />

angemietet, um dort Obdachlose im<br />

Winternotprogramm unterzubringen.<br />

Die Kosten des Umbaus habe der Eigentümer<br />

getragen, erklärte die Sozialbehörde<br />

auf Nachfrage. Solche für den<br />

Brandschutz notwendigen Baumaßnahmen<br />

müssen nicht einmal lange auf sich<br />

warten lassen. Das hat der Kirchenkreis<br />

Hamburg-Ost gerade unter Beweis gestellt.<br />

Innerhalb von zwei Wochen wandelte<br />

er ein seit Jahren leer stehendes<br />

Verwaltungsgebäude in eine Notunterkunft<br />

für 200 Flüchtlinge um.<br />

Nach einer Gesetzesänderung beschlagnahmte<br />

die Stadt eine Tennishalle,<br />

um dort Flüchtlinge unterzubringen.<br />

Auch mit privatem Wohnraum könnte<br />

sie das machen. Engagierte Bürger haben<br />

bereits geeignete Immobilien vorgeschlagen,<br />

zum Beispiel das sogenannte<br />

Geisterhaus am Schulterblatt. Seit Jahren<br />

macht der Eigentümer keine Anstalten,<br />

den prachtvollen Eckhaus-Neubau<br />

im Gründerzeit-Look vollständig zu vermieten.<br />

Eine Beschlagnahme wäre in<br />

diesem Fall tatsächlich eine hübsche Alternative.<br />

Denn die Ämter finden – so<br />

haben sie selbst schon eingeräumt – kein<br />

Mittel, den Leerstand zu beenden. •<br />

Leerstand muss nicht sein. Geeignete Häuser<br />

präsentieren wir in unserem Leerstands-<br />

Adventskalender unter www.hinzundkunzt.de


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>274</strong>/ DEZEMBER <strong>2015</strong><br />

„Ich möchte etwas Vernünftiges<br />

machen“, sagt Konrad Greven-<br />

kamp über seine Motivation,<br />

sanierte Altbauten GÜNSTIG an<br />

Wohngemeinschaften zu vermieten.<br />

Investor mit Herz<br />

Konrad Grevenkamp verwandelt leer stehende Häuser in Mieter-Paradiese.<br />

Wie macht er das? Und warum?<br />

INTERVIEW: ULRICH JONAS/JONAS FÜLLNER<br />

FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Herr Grevenkamp, Sie kaufen<br />

alte, meist leer stehende Häuser, sanieren<br />

und vermieten sie an Wohngemeinschaften.<br />

Machen Sie das aus Nächstenliebe oder weil<br />

sie damit Geld verdienen wollen?<br />

KONRAD GREVENKAMP: Beides trifft zu. Ich<br />

möchte etwas Vernünftiges machen,<br />

aber es muss sich auch rechnen.<br />

Wie sind Sie auf die Idee gekommen?<br />

Ich hatte schon immer ein Faible für<br />

Wohngemeinschaften, habe selbst Jahrzehnte<br />

in solchen gelebt. Vor zehn Jahren<br />

hatte ich Geld angespart und wollte<br />

das in Immobilien anlegen. Schon damals<br />

fand ich bestimmte Gegenden in<br />

Hamburg viel zu teuer. Deshalb habe<br />

18<br />

ich in Wilhelmsburg gesucht. Eines Tages<br />

entdeckte ich eine schöne Stadtvilla,<br />

die längere Zeit leer stand und bei der<br />

klar war, dass sie saniert werden muss.<br />

Warum stand diese Immobilie leer?<br />

Die Firma, die das Haus zuletzt als Büro<br />

genutzt hatte, war pleitegegangen. Der


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

vorherige Eigentümer hatte das Haus<br />

bei einer Zwangsversteigerung erworben,<br />

wusste aber nicht recht, was er damit<br />

machen sollte. Das war mein Glück,<br />

denn so ist er mit seinen Preisvorstellungen<br />

deutlich runtergegangen.<br />

Und was geschah, nachdem Sie das<br />

Haus gekauft hatten?<br />

Mein Konzept ist immer, dass ich mir<br />

Mieter suche, bevor ich saniere. So kann<br />

ich mit den künftigen Bewohnern absprechen,<br />

wie das Haus gestaltet werden<br />

soll. Heute leben dort 20 Menschen in<br />

drei Wohngemeinschaften zusammen.<br />

Bei Ihrem aktuellen Projekt, einem Mehrfamilienhaus<br />

mit 1200 Quadratmeter Wohnfläche,<br />

stecken Sie 1,7 Millionen Euro in die Sanierung.<br />

Wieso rechnet sich das trotzdem für Sie?<br />

Zum einen, weil die Immobilie attraktiv<br />

ist. Für die werde ich immer Mieter finden.<br />

Zum anderen, weil wir auf Fördermittel<br />

zurückgreifen. Wir schaffen<br />

Wohnraum für 40 Menschen mit geringem<br />

Einkommen, mit Mieten von sieben<br />

Euro den Quadratmeter. 287.000 Euro<br />

bekommen wir deshalb als Zuschuss in<br />

einem Zeitraum von zehn Jahren. Und<br />

hoffentlich auch ein zinsgünstiges Darlehen<br />

für die energetische Modernisierung.<br />

Was haben Sie für dieses Haus bezahlt?<br />

Das fällt unter Geschäftsgeheimnisse. Ich<br />

kann Ihnen aber sagen, dass ich vor zehn<br />

Jahren nur die Hälfte bezahlt hätte.<br />

Stadtgespräch<br />

Was zahlen Ihre Mieter?<br />

260 bis 300 Euro pro WG-Zimmer, je<br />

nach Größe, inklusive Betriebskosten<br />

und Heizung. Das ist nicht viel. Andere<br />

Investoren ziehen Apartments für Studenten<br />

hoch und verlangen das Doppelte.<br />

Und meine Miete steigt immer nur in<br />

dem Maße, wie die Verbraucherpreise<br />

steigen. Damit fahren die Mieter in diesen<br />

Zeiten sehr gut. Man muss sehen:<br />

Meine Häuser sind meist Altbauten. Sie<br />

haben Charme, aber es ist halt nicht alles<br />

neu. Das Haus zum Beispiel, das wir<br />

derzeit sanieren, ist etwas abgesackt.<br />

Das bedeutet: Die Fußböden werden<br />

etwas schräg bleiben.<br />

In Hamburg stehen eine Menge Wohnhäuser<br />

und Büros leer. Verdienen die Eigentümer auf<br />

diese Weise Geld?<br />

Mit Leerstand kann man fast nie Geld<br />

verdienen, weil das totes Kapital ist. Außer<br />

man setzt darauf, dass man die Immobilie<br />

in ein paar Jahren besser verwerten<br />

kann. Dann lässt man die Fenster<br />

offenstehen, damit das Haus immer<br />

mehr vergammelt und irgendwann in<br />

einem Zustand ist, in dem man es abreißen<br />

darf und auf dem Grundstück<br />

mit einem Neubau mehr Quadratmeter<br />

realisieren kann – also auch mehr<br />

Mieteinnahmen.<br />

Sie selbst planen derzeit ebenfalls einen<br />

Neubau, auf dem Gelände des ehemaligen<br />

Rialto-Kinos ...<br />

Ja. Eine Sanierung machte keinen Sinn.<br />

Wir müssen das Gebäude leider abreißen<br />

und neu bauen. Auch hier werden<br />

Menschen in Gemeinschaften zusammenleben,<br />

ein Teil wird sicher geförderter<br />

Wohnraum. Wir sind derzeit auf der<br />

Suche nach einer Wohngruppe. Ob die<br />

das Haus später mieten oder kaufen,<br />

wird sich zeigen. Ich bin offen für alles.<br />

<br />

<br />

Träume<br />

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<br />

Inzwischen haben Sie mehrere leer stehende<br />

Gründerzeithäuser saniert und vermietet.<br />

Warum folgen andere Investoren<br />

nicht Ihrem Vorbild?<br />

Sicherlich haben andere höhere Renditeerwartungen.<br />

Und ich kann die Prozesse<br />

sehr schlank halten, weil ich ein eigenes<br />

Bauunternehmen habe.<br />

Es gibt viele sozial engagierte Menschen<br />

mit Vermögen, die gerne sinnvoll investieren<br />

möchten. Können die Ihrem Beispiel folgen?<br />

Man kann das nicht ohne Erfahrung<br />

machen. Aber ich berate gerne andere<br />

oder mache etwas mit ihnen gemeinsam,<br />

wenn es passt. •<br />

Konrad Grevenkamp, 60, ist gelernter<br />

Diplom-Psychologe. Nach dem Studium<br />

baute er mit Freunden einen alten Bauernhof<br />

zu einer Bildungs- und Tagungsstätte um.<br />

Später arbeitete er als Geschäftsführer der<br />

„taz Hamburg“ und des „Bergedorfer Impuls“,<br />

eine Einrichtung, die psychisch kranke<br />

Menschen in den Arbeitsmarkt integriert.<br />

Seine Firma „impuls 21 Baugesellschaft“<br />

beschäftigt zehn Mitarbeiter.<br />

19


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>274</strong>/ DEZEMBER <strong>2015</strong><br />

Meldungen (2)<br />

Politik & Soziales<br />

Weiterhin kein echtes Sozialticket in Hamburg<br />

Hilfeempfänger in Hamburg werden auch künftig Probleme haben, ihre Fahrt mit<br />

Bus und Bahn zu bezahlen. Im Hartz-IV-Regelsatz sind 25 Euro monatlich für Mobilität<br />

vorgesehen. Eine HVV-Monatskarte für zwei Zonen kostet aber 64,20 Euro,<br />

und die Stadt schießt monatlich nur 20 Euro hinzu. Ein „echtes Sozialticket“,<br />

also eine Monatskarte für 25 Euro, fordert die Linksfraktion, scheiterte damit aber<br />

in der Bürgerschaft. Stattdessen steigt der Zuschuss der Stadt künftig analog zu den<br />

CC-Monatskarten-Preisen – 2016 also um 37 Cent (1,7 Prozent). UJO<br />

•<br />

Fachtagung „Stadt des Ankommens“<br />

Obwohl Anwohner per Klage einen Baustopp erreichten,<br />

bekommt Klein Borstel eine Flüchtlingsunterkunft. Denn der<br />

Bezirk umgeht die Klage mit einem neuen Bebauungsplan. Die<br />

Kläger waren nicht per se gegen eine Unterkunft. Sie kritisieren<br />

das Verhältnis von rund 700 Flüchtlingen zu den 800 unmittelbaren<br />

Nachbarn. Mit ihrer Haltung stehen sie offenbar<br />

auf verlorenem Posten. Nur wenige Tage nach dem Baustopp<br />

demonstrieren 800 Jugendliche und Erwachsene für die<br />

Unterkunft. Spätestens im Herbst 2016 soll jetzt der Bau<br />

beginnen. Aber nicht nur in Klein Borstel, auch in anderen<br />

Stadtteilen rumort es. Wie also lässt sich das Zusammenleben<br />

in Hamburg gestalten? Dieser Frage gehen Stadtteil- und<br />

Flüchtlings aktivisten bei einer Fachtagung am 11. <strong>Dezember</strong><br />

von 14.30 bis 19.30 Uhr an der Hochschule für Angewandte<br />

Wissenschaften in der Alexanderstraße 1 nach. JOF<br />

•<br />

Mehr Infos im Internet: www.huklink.de/stadtdesankommens<br />

Personalrat hält Asylverfahren für rechtswidrig<br />

Mit einem Brandbrief wendet sich der Personalrat des Bundesamtes<br />

für Migration an Behördenleiter Frank-Jürgen Weise.<br />

Die Mitarbeiter warnen darin vor einer Abkehr von rechtsstaatlichen<br />

Prinzipien in den beschleunigten Asylverfahren.<br />

Menschen aus Syrien und Eritrea würde der Flüchtlingsstatus<br />

ohne Identitätsüberprüfung zugesprochen. Die Entscheidungen<br />

über die Verfahren würden zudem von nicht ausreichend<br />

qualifiziertem Personal durchgeführt. So erfolge die Prüfung<br />

des Asylgesuchs inzwischen durch Dolmetscher. JOF<br />

•<br />

Hartz-IV-Sanktionen werden nicht gelockert<br />

Junge Hilfeempfänger werden weiter extra hart bestraft, wenn<br />

sie nicht mit dem Jobcenter zusammenarbeiten. Das geht aus<br />

einem Referentenentwurf des Arbeitsministeriums hervor.<br />

Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hatte angekündigt,<br />

die Sanktionen entschärfen zu wollen. Bei unter 25-Jährigen<br />

dürfen Jobcenter schon beim ersten Regelverstoß die staatliche<br />

Hilfe für drei Monate komplett kappen. Rund jede zweite<br />

Sanktion wird von Sozialgerichten einkassiert. UJO<br />

•<br />

Friedhof: Namen statt Nummern<br />

Ein neu gestaltetes Gräberfeld auf dem<br />

Öjendorfer Friedhof erinnert künftig an<br />

Verstorbene ohne Angehörige. Gab es<br />

bislang nur Kreuze mit Nummern, sind<br />

nun die Namen sowie das Geburts- und<br />

Todesdatum der Verstorbenen zu sehen.<br />

Auf dem Öjendorfer Friedhof erinnert<br />

bereits der Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Gedenkbaum<br />

an verstorbene Verkäufer. „Jeder<br />

Mensch hinterlässt Spuren und soll in<br />

Erinnerung bleiben“, so H&K-Sozialarbeiter<br />

Stephan Karrenbauer. SIM<br />

•<br />

Dr. Wilhelm Mecklenburg &<br />

Ralf Wassermann<br />

Rechtsanwälte in Bürogemeinschaft<br />

Wir wünschen den Lesern von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

ein frohes Weihnachtsfest!<br />

Hätschenkamp 7 · 25421 Pinneberg<br />

www.wmecklenburg.de · www.rechtsanwalt-wassermann.de<br />

Telefon: 04101 / 78 03 25 oder 78 03 27


Grußwort des Bundespräsidenten<br />

Was Joachim Gauck<br />

Menschen<br />

in Not wünscht<br />

„Die Welt scheint aus den Fugen geraten. Die<br />

Krisen in der Welt erschrecken uns alle, und<br />

auch wir spüren ihre Auswirkungen. Deutschland<br />

ist ein Ort der Zuflucht geworden“,<br />

schreibt Bundespräsident Joachim Gauck in<br />

seinem Weihnachts-Gruß für die Straßenmagazine.<br />

„Ein Land, in dem viele Menschen<br />

Schutz vor Unterdrückung und Krieg in ihrer<br />

Heimat suchen. Und in diesen Tagen erinnert<br />

uns die biblische Weihnachtsgeschichte besonders<br />

daran, wie Mitmenschlichkeit möglich<br />

wird: indem wir unser Herz öffnen. Wir wollen<br />

dies auch weiterhin für alle tun, die in Not<br />

sind. Und so dürfen wir in diesen bewegten<br />

Zeiten nicht vergessen, dass auch in unseren<br />

Städten und Dörfern Leben aus den Fugen geraten<br />

(…).<br />

Wer ohne Obdach ist, der hat oftmals<br />

Schicksalsschläge erlitten, die ihn aus der Bahn<br />

geworfen haben. Doch meistens hat dieser<br />

Mensch noch viel mehr als nur seine Wohnung<br />

verloren – manche finden sich in der Welt einfach<br />

nicht mehr zurecht. Sie begegnen staatlichen<br />

Institutionen mit Distanz und Skepsis.<br />

Täglich eine Straßenzeitung zu verkaufen,<br />

kann der erste Schritt auf dem Weg aus der<br />

Obdachlosigkeit sein. Denn so kehren wieder<br />

Regelmäßigkeit und auch manches Erfolgserlebnis<br />

in den Alltag zurück. Der Einzelne beginnt,<br />

sein Leben wieder in die Hand zu<br />

nehmen.<br />

Ohne diesen Willen und dieses „Wollen“<br />

des Betroffenen geht es nicht. Und doch ist es<br />

zugleich eine gesellschaftliche Verpflichtung,<br />

die Schwächsten zu unterstützen. Ich danke<br />

den vielen Ehrenamtlichen in unserem Land,<br />

die sich für Menschen einsetzen, die in Armut<br />

und ohne Wohnung leben. Ohne die sozial Engagierten<br />

wäre ein so breites Hilfeangebot<br />

nicht denkbar – die Suppenküchen, die Nachtcafés<br />

und Notunterkünfte. (…)<br />

Auch mit dem Kauf einer Straßenzeitung<br />

unterstützen Sie, liebe Leserinnen und Leser,<br />

die zahlreichen Projekte, die sich um in Not geratene<br />

Menschen kümmern. Jeder Kauf einer<br />

Straßenzeitung ist ein Stück gelebter Solidarität.<br />

Selbst wenn wir uns einmal nicht zum<br />

Kauf entscheiden können – ein freundlicher<br />

Blick oder ein aufmunterndes Wort für jenen,<br />

der die Zeitung an der Straßenecke oder in der<br />

U-Bahn verkauft, machen dessen Alltag ein<br />

wenig heller.“ BIM<br />

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Für mehr soziale Wärme<br />

und eine klimaschonende<br />

Strom- und Wärmeversorgung.<br />

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Seit dem 13. März 2013 ist Papst<br />

Franziskus das OBERHAUPT<br />

von rund 1,2 Milliarden Katholiken.<br />

Der 78-jährige Argentinier liebt direkte<br />

Begegnungen mit Menschen – womit<br />

er seine Sicherheitsleute regelmäßig<br />

zur Verzweiflung treiben soll.


Stadtgespräch<br />

„Ich vermisse<br />

die Straße“<br />

Er gilt als Fürsprecher der Armen:<br />

Papst Franziskus. Umso schöner<br />

ist es, dass das niederländische<br />

Straßenmagazin „Straatnieuws“ ein<br />

Interview mit ihm führen konnte.<br />

Ein Gespräch über Franziskus’ Kindheit,<br />

sein Leben als Papst, den Reich-<br />

tum der Kirche und die Pflicht, soziale<br />

Missstände anzuprangern.<br />

TEXT: STIJN FENS, JAN-WILLEM WITS<br />

FOTOS: FRANK DRIES, STRAATNIEUWS / INSP<br />

Es ist noch früh, als wir vor dem Dienstboteneingang<br />

des Vatikans links vom<br />

Petersdom eintreffen. Die Schweizergarde<br />

war über unsere Ankunft in Kenntnis<br />

gesetzt worden und lässt uns durch. Wir steuern<br />

auf das Domus Sanctae Marthae zu, in<br />

dem Papst Franziskus wohnt. Das Haus der<br />

heiligen Martha ist aller Wahrscheinlichkeit<br />

nach das außergewöhnlichste Drei-Sterne-<br />

Hotel der Welt. Das große weiße Gebäude, in<br />

dem Kardinäle und Bischöfe residieren, während<br />

sie im Vatikan ihren Dienst leisten oder<br />

ihn besuchen, ist auch die offizielle Residenz<br />

der Kardinäle während des Konklaves.<br />

Hier werden wir ebenfalls erwartet. Wie<br />

in jedem anderen Hotel stehen hinter der Rezeption<br />

zwei Damen, die uns auf eine Nebentür<br />

verweisen. Der Versammlungsraum ist<br />

schon vorbereitet. Dieser Raum, der dem<br />

Papst unter der Woche als Konferenzraum<br />

dient, ist ziemlich groß und mit Schreibtisch,<br />

Sofa, Tischen und Stühlen ausgestattet. Dann<br />

beginnt das Warten. Marc, der Straatnieuws-<br />

Verkäufer, hat von uns allen die meiste Geduld.<br />

Er wartet ruhig auf seinem Stuhl darauf,<br />

was als Nächstes kommt.<br />

Und ehe wir uns versehen, betritt er den<br />

Raum: Papst Franziskus, das geistliche Oberhaupt<br />

von 1,2 Milliarden Katholiken. Er trägt<br />

einen großen weißen Briefumschlag. „Bitte<br />

setzen Sie sich, Freunde“, sagt er mit einem<br />

leichten Handwink. „Wie schön, dass Sie hier<br />

sind.“ Aus der Nähe vermittelt er den Eindruck<br />

eines ruhigen, freundlichen Mannes,<br />

der sowohl energisch als auch präzise ist.<br />

Nachdem er sich niedergelassen hat, entschuldigt<br />

er sich dafür, dass er Italienisch statt<br />

Niederländisch spricht. Wir nehmen seine<br />

Entschuldigung sofort an.<br />

Straatnieuws: Interviews beginnen immer mit<br />

einer Frage zu der Straße, in der der Interviewte<br />

aufgewachsen ist. Heiliger Vater, welche<br />

Erinnerungen weckt Ihre Straße in Ihnen?<br />

Welche Bilder kommen Ihnen in den Sinn, wenn<br />

Sie sich an die Straßen Ihrer Kindheit erinnern?<br />

PAPST FRANZISKUS: Von meinem ersten Lebensjahr<br />

bis zu meinem Eintritt ins Seminar habe<br />

23


Stadtgespräch<br />

ich immer in derselben Straße gelebt. Es war eine einfache<br />

Gegend in Buenos Aires, mit ein- und zweistöckigen Häusern.<br />

Es gab einen kleinen Platz, auf dem wir Fußball spielten. Ich<br />

erinnere mich daran, wie ich mich früher aus dem Haus<br />

schlich, um nach der Schule mit den Jungs Fußball zu<br />

spielen.<br />

Mein Vater arbeitete in einer Fabrik, die nur ein paar<br />

Hundert Meter weit weg war. Er war Buchhalter. Und meine<br />

Großeltern lebten nur 50 Meter entfernt. Wir lebten alle nur<br />

ein paar Schritte voneinander weg. Ich erinnere mich auch an<br />

die Namen der Menschen, denen ich als Priester das Sakrament<br />

erteilte, weil ich sie liebte. Für so viele, die nach mir verlangten<br />

und die ich besuchte, stellte es den letzten Trost dar.<br />

Diese Erinnerungen fallen mir zuerst ein.<br />

Waren Sie gut im Fußball?<br />

Nein. Wenn man in Buenos Aires so Fußball spielt wie ich,<br />

wird man als „pata dura“ bezeichnet. Das bedeutet, man hat<br />

zwei linke Füße! Ich hab trotzdem gespielt, oft als Torwart.<br />

Wie haben Sie angefangen, sich persönlich für die Armen zu engagieren?<br />

Es gibt so vieles, woran ich mich erinnere, bespielsweise an eine<br />

Frau, die dreimal die Woche bei uns zu Hause gearbeitet<br />

hat, um meiner Mutter zum Beispiel mit der Wäsche zu helfen.<br />

Sie hatte zwei Kinder. Die Familie stammte aus Italien<br />

und hatte den Krieg überlebt. Die Leute waren sehr arm,<br />

aber sie waren sehr gute Menschen. Ich habe diese Frau nie<br />

vergessen. Ihre Armut hat mich bewegt.<br />

Wir waren auch nicht reich, normalerweise reichte es bis<br />

zum Monatsende, aber nicht viel weiter. Wir hatten kein Auto,<br />

fuhren nicht in den Urlaub oder dergleichen. Aber diese Frau<br />

benötigte oft ganz grundlegende Dinge. Sie hatte nicht genug,<br />

daher gab meine Mutter ihr etwas. Irgendwann ging sie<br />

zurück nach Italien und kehrte später wieder nach Argentinien<br />

zurück. Ich traf sie wieder, als ich Erzbischof von Buenos<br />

Aires und sie bereits 90 Jahre alt war. Ich stand ihr bis zu<br />

ihrem Tod im Alter von 93 Jahren bei.<br />

Eines Tages gab sie mir eine Medaille des Heiligsten Herz<br />

Jesu, die ich immer noch jeden Tag bei mir trage. Diese<br />

Medaille, die auch ein Andenken ist, ist mir sehr wichtig.<br />

Möchten Sie sie sehen?<br />

(Etwas mühsam zieht Papst Franziskus die Medaille hervor, die nach<br />

jahrelangem Tragen komplett verblasst ist.)<br />

Auf diese Weise denke ich jeden Tag an sie und daran, wie<br />

sehr sie unter ihrer Armut gelitten hat. Und ich denke an all<br />

die anderen, die leiden. Ich trage die Medaille und verwende<br />

sie, wenn ich bete …<br />

Welche Botschaft hat die Kirche für Obdachlose?<br />

Was bedeutet christlicher Zusammenhalt konkret für Sie?<br />

Ich denke da an zwei Dinge. Jesus kam ohne ein Zuhause auf<br />

die Welt und wählte die Armut. Die Kirche versucht, uns alle<br />

zu vereinen, und sagt, jeder habe das Recht auf ein Dach<br />

über dem Kopf. Populäre Bewegungen arbeiten auf die drei<br />

spanischen Ts hin: trabajo (Arbei), techo (Dach) und tierra<br />

(Land). Die Kirche lehrt, dass jeder Mensch ein Recht auf<br />

diese drei Ts hat.<br />

Sie haben oft erhöhte Aufmerksamkeit für Arme und Flüchtlinge gefordert.<br />

Befürchten Sie nicht, dass dies zu einer Art Informationsüberflutung<br />

in den Medien und generell in unserer Gesellschaft führen könnte?<br />

Wenn wir uns mit einem Thema befassen müssen, das nicht<br />

angenehm ist und über das zu sprechen nicht leicht fällt, unterliegen<br />

wir alle der Versuchung zu sagen: „Ach, lass uns<br />

nicht mehr darüber sprechen, es ist einfach zu schwierig.“<br />

Ich verstehe, dass die Möglichkeit der Informationsüberflu-<br />

24


tung besteht, aber davor habe ich keine Angst. Ich muss weiterhin<br />

über die Wahrheit sprechen und darüber, wie die Realität<br />

aussieht.<br />

Ist das Ihre Pflicht?<br />

Ja, das ist meine Pflicht. Ich spüre sie in mir. Es ist kein Gebot,<br />

aber als Menschen sollten wir alle so handeln.<br />

Befürchten Sie nicht, dass Ihre Unterstützung für Obdachlose und<br />

andere Gruppen, die von Armut betroffen sind, politisch ausgenutzt<br />

werden könnte? Wie kann die Kirche sich äußern, um Einfluss<br />

auszuüben und gleichzeitig dem politischen Schaukampf fernbleiben?<br />

An dieser Stelle gibt es Wege, die zu Fehlverhalten führen. Ich<br />

möchte auf zwei Versuchungen hinweisen. Die Kirche muss<br />

die Wahrheit sagen und zugleich Zeugnis ablegen: das Zeugnis<br />

der Armut. Wenn man als Gläubiger über Armut oder<br />

Obdachlose redet, selbst aber ein Leben im Luxus führt, ist<br />

das nicht genug. Das ist die erste Versuchung.<br />

Die zweite Versuchung besteht darin, Vereinbarungen<br />

mit Regierungen zu treffen. Sicherlich können Vereinbarungen<br />

getroffen werden, aber diese müssen klar und durchschaubar<br />

sein. Wir verwalten zum Beispiel dieses Gebäude,<br />

aber alle Konten werden genau überprüft, um Korruption zu<br />

verhindern. Denn die Versuchung der Korruption ist im<br />

öffentlichen Leben allgegenwärtig. Sowohl in der Politik als<br />

auch in der Religion.<br />

Ich erinnere mich an Folgendes: Als Argentinien unter<br />

der Militärherrschaft in den Falklandkrieg mit Großbritannien<br />

eintrat, spendeten die Menschen an wohltätige Organisationen.<br />

Mit großem Bedauern sah ich, dass viele, auch Katholiken,<br />

die für die Verteilung dieser Spenden an Bedürftige<br />

zuständig waren, diese stattdessen mit nach Hause nahmen.<br />

Die Gefahr der Korruption besteht immer. Einmal stellte ich<br />

einem argentinischen Minister eine Frage. Er war ein ehrlicher<br />

Mann, der von seinem Amt zurücktrat, weil er einigen<br />

Punkten nicht zustimmte, die nicht transparent genug waren.<br />

Ich fragte ihn also: „Wenn Sie Hilfe in Form von Mahlzeiten,<br />

Kleidung oder Spenden an die Armen und Bedürftigen schicken,<br />

wie viel von dem Geld und den Gütern kommt bei<br />

denen an, die sie benötigen?“ Er sagte: „35 Prozent.“ Was<br />

bedeutet, dass 65 Prozent verloren gehen. Das ist Korruption:<br />

ein bisschen für mich und noch ein bisschen für mich.<br />

Glauben Sie, dass Sie bisher unter Ihrem Pontifikat eine Veränderung<br />

der Mentalität erreichen konnten, zum Beispiel in der Politik?<br />

Ich bin mir nicht sicher, wie ich antworten soll. Ich weiß es<br />

nicht. Ich weiß, dass einige gesagt haben, ich sei ein Kommunist.<br />

Aber diese Kategorie ist ein bisschen veraltet (er lacht).<br />

Vielleicht drücken wir das heutzutage mit anderen Worten aus.<br />

Marxist, Sozialist …<br />

Diese Worte hat man auch verwendet …<br />

Obdachlose haben finanzielle Probleme, aber sie entwickeln ihre eigene<br />

Form von Freiheit. Der Papst hat keine materiellen Bedürfnisse, aber<br />

manche halten ihn für einen Gefangenen des Vatikans. Haben Sie sich<br />

schon einmal gewünscht, Sie könnten mit den Obdachlosen tauschen?<br />

Ich erinnere mich an Mark Twains Buch „Der Prinz und der<br />

Bettelknabe“. Jeden Tag Essen, Kleidung, ein Bett zum Schlafen,<br />

ein Schreibtisch, an dem man arbeiten kann, Freunde<br />

sind auch da – nichts fehlt. Aber Mark Twains Prinz lebt in<br />

einem goldenen Käfig.<br />

Fühlen Sie sich hier im Vatikan frei?<br />

Zwei Tage, nachdem ich zum Papst gewählt wurde, wollte ich<br />

das päpstliche Appartement im Apostolischen Palast bezie-<br />

25


Straatnieuws-Verkäufer Marc war zusammen mit zwei Redakteuren des UTRECHTER MAGAZINS<br />

zum Gespräch mit dem Papst angereist. Hier zeigt Marc dem Heiligen Vater einige Ausgaben.<br />

hen. Es ist kein luxuriöses Appartement. Aber es ist geräumig<br />

und groß … Nachdem ich mir das Appartement angeschaut<br />

hatte, erschien es mir ein bisschen wie ein umgekehrter<br />

Trichter; obwohl es so groß war, gab es nur eine kleine Tür.<br />

Das bedeutet Isolation. Ich dachte: Hier kann ich, einfach<br />

aus Gründen der psychischen Gesundheit, nicht wohnen. Das<br />

täte mir nicht gut.<br />

Anfangs erschien es ein bisschen komisch, aber ich bat<br />

darum, hier zu bleiben, im Domus Sanctae Marthae. Und das<br />

tut mir gut, denn hier fühle ich mich frei.<br />

Ich esse im Speisesaal, wo alle Gäste essen. Und wenn<br />

ich früh dran bin, speise ich mit dem Personal. Ich treffe<br />

Menschen und begrüße sie; dadurch fühlt sich der goldene<br />

Käfig ein bisschen weniger wie ein Käfig an. Aber ich vermisse<br />

die Straße.<br />

Heiliger Vater, Straatnieuws-Verkäufer Marc würde Sie gerne auf<br />

eine Pizza mit uns einladen. Was meinen Sie?<br />

Das würde ich gerne tun, aber es würde nicht funktionieren.<br />

Denn sobald ich hier weggehe, würden die Menschen zu mir<br />

kommen. Als ich in die Stadt ging, um meine Brillengläser<br />

austauschen zu lassen, war es sieben Uhr abends. Kaum jemand<br />

war auf der Straße. Man fuhr mich zum Optiker, und<br />

kaum stieg ich aus dem Auto, rief eine Frau, die mich sah:<br />

„Da ist der Papst!“ Und dann war ich drinnen, und all diese<br />

Menschen standen draußen …<br />

Vermissen Sie den Kontakt mit Menschen?<br />

Ich vermisse ihn nicht, weil die Menschen hierherkommen.<br />

Jeden Mittwoch bin ich für die Generalaudienz auf dem Petersplatz,<br />

und manchmal gehe ich zu einer der Ortsgemeinden<br />

– ich halte Kontakt zu den Menschen. Gestern (am 26.<br />

Oktober, Anm. der Redaktion) kamen zum Beispiel mehr als 5000<br />

Sinti und Roma zur Vatikanischen Audienzhalle.<br />

26<br />

Offensichtlich genießen Sie Ihre<br />

Termine auf dem Petersplatz während<br />

der Generalaudienz.<br />

Ja, das stimmt.<br />

Ihr Namenspatron, der heilige Franziskus,<br />

begab sich in radikale Armut und verkaufte<br />

sogar sein Evangeliar. Fühlen Sie sich als<br />

Papst und Bischof von Rom unter Druck<br />

gesetzt, die Schätze der Kirche zu verkaufen?<br />

Das ist eine einfache Frage. Das sind<br />

nicht die Schätze der Kirche, sondern<br />

vielmehr die Schätze der<br />

Menschheit. Wenn ich beispielsweise<br />

morgen Michelangelos Pietà versteigern<br />

wollte, könnte ich das nicht, weil<br />

sie nicht das Eigentum der Kirche ist.<br />

Sie befindet sich in einer Kirche, gehört<br />

aber der gesamten Menschheit.<br />

Das trifft auf alle Schätze der Kirche<br />

zu. Aber wir haben damit angefangen,<br />

die Geschenke und anderen<br />

Dinge, die mir gegeben werden, zu verkaufen. Und die Verkaufserlöse<br />

gehen an Monsignor Krajewski, meinen Almosenier<br />

(Erzbischof Konrad Krajewski, der für die Verteilung von Geldern<br />

an die Armen zuständig ist, Anm. der Redaktion). Und dann gibt es<br />

noch die Lotterie. Wir haben Autos über eine Lotterie verkauft<br />

beziehungsweise weggegeben, und der Erlös ging an die<br />

Armen. Was verkauft werden kann, wird verkauft.<br />

Ihnen ist bewusst, dass der Reichtum der Kirche diese<br />

Erwartungs haltung hervorrufen könnte?<br />

Ja. Wenn wir einen Katalog aller Besitztümer der Kirche erstellen<br />

würden, könnte man denken, dass die Kirche sehr<br />

reich ist. Aber mit dem Konkordat mit Italien 1929 zur Römischen<br />

Frage, bot die italienische Regierung der Kirche damals<br />

einen großen römischen Park an. Der damalige Papst, Pius<br />

XI., sagte: „Nein, ich will nur einen halben Quadratkilometer,<br />

um die Unabhängigkeit der Kirche zu wahren.“ Dieses<br />

Prinzip ist immer noch zutreffend.<br />

Ja, die Kirche besitzt ein großes Grundvermögen, aber<br />

das wird verwendet, um die Strukturen der Kirche aufrechtzuerhalten<br />

und die vielen Arbeiten in hilfsbedürftigen Ländern<br />

zu finanzieren: Krankenhäuser, Schulen.<br />

Gestern habe ich zum Beispiel veranlasst, dass 50.000 Euro<br />

in den Kongo gehen, um drei Schulen in armen Dörfern<br />

zu errichten. Bildung ist so wichtig für Kinder. Ich ging zur<br />

Verwaltung, stellte den Antrag, und das Geld wurde<br />

geschickt.<br />

Haben Sie vielleicht eine besondere Botschaft für die Obdachlosen<br />

unseres Landes?<br />

Ich kenne mich nicht gut mit der Situation der Obdachlosen<br />

in Holland aus. Ich möchte sagen, dass Holland ein Industriestaat<br />

ist, der eine Vielzahl von Möglichkeiten bietet. Ich bitte<br />

die Obdachlosen darum, weiter für die drei Ts zu kämpfen.


Stadtgespräch<br />

Abschließend hat auch Straatnieuws-Verkäufer Marc noch<br />

ein paar Fragen: Heiliger Vater, haben Sie schon als kleiner Junge<br />

davon geträumt, Papst zu sein?<br />

Nein. Aber ich werde Ihnen ein Geheimnis erzählen. Als ich<br />

klein war, gab es nicht viele Läden, die Waren verkauft haben.<br />

Wir hatten einen Markt, wo es einen Metzger, einen Gemüsehändler<br />

et cetera gab. Ich ging mit meiner Mutter und meiner<br />

Großmutter einkaufen. Einmal, als ich noch recht klein war,<br />

vielleicht vier, fragte mich jemand: „Was möchtest du werden,<br />

wenn du einmal groß bist?“ Und ich antwortete: „Metzger!“<br />

Vor dem 13. März 2013 waren Sie vielen völlig unbekannt.<br />

Dann wurden Sie von einem Tag auf den anderen weltberühmt.<br />

Wie war diese Erfahrung für Sie?<br />

Es geschah unerwartet. Aber ich habe meinen inneren Frieden<br />

nicht verloren. Und das ist eine Gnade Gottes. Ich denke nicht<br />

wirklich darüber nach, dass ich berühmt bin. Ich sage mir: Jetzt<br />

hast du eine wichtige Stellung, aber in zehn Jahren wird dich<br />

keiner mehr kennen (er lacht). Wissen Sie, es gibt zwei Arten von<br />

Ruhm: den Ruhm der „ganz Großen“, derjenigen, die wirklich<br />

große Taten vollbracht haben, wie zum Beispiel Madame<br />

Curie, und den Ruhm der Eitlen. Aber diese zweite Art von<br />

Ruhm ist wie eine Seifenblase.<br />

UNSERE<br />

GESCHENK-<br />

TIPPS<br />

Sie sagen sich also: „Ich bin jetzt hier und muss mein Bestes geben“<br />

und „Ich werde weitermachen, solange ich kann“?<br />

Ja.<br />

Heiliger Vater, können Sie sich eine Welt ohne Armut vorstellen?<br />

Ich möchte eine Welt ohne Armut. Dafür müssen wir kämpfen.<br />

Aber ich bin gläubig, und ich weiß, dass die Sünde immer in<br />

uns steckt. Und es gibt immer menschliche Habgier, fehlenden<br />

Zusammenhalt und Egoismus, die Armut verursachen. Daher<br />

fällt es mir schwer, mir eine Welt ohne Armut vorzustellen.<br />

Man denke nur an die Kinder, die als Sklaven oder für<br />

sexuellen Missbrauch ausgebeutet werden, oder an eine weitere<br />

Form der Ausbeutung, den Organhandel. Das Töten von<br />

Kindern, um deren Organe zu entfernen. Kinder zu töten,<br />

um deren Organe zu erhalten, ist Habgier.<br />

Daher weiß ich nicht, ob wir jemals in einer Welt ohne<br />

Armut leben werden, denn es gibt immer Sünde, und das führt<br />

zu Egoismus. Aber wir müssen immer kämpfen … immer.<br />

Wir danken dem Papst für das Interview. Er dankt uns auch<br />

und teilt uns mit, dass er unser Gespräch sehr genossen hat.<br />

Dann greift er nach dem weißen Umschlag, der schon die ganze<br />

Zeit auf dem Sofa neben ihm gelegen hat, und holt für jeden<br />

von uns einen Rosenkranz heraus. Fotos werden gemacht, und<br />

dann verabschiedet sich Papst Franziskus von uns. So ruhig<br />

und entspannt, wie er bei seiner Ankunft war, verlässt er nun<br />

den Raum. Bereit für seinen nächsten Termin. •<br />

Staatnieuws hat das Interview für das Internationale Netzwerk<br />

der Straßenzeitungen (INSP) geführt. Aus dem Pool an Beiträgen<br />

des INSP News Service dürfen sich die Mitglieder des Netzwerks<br />

honorarfrei bedienen – auch Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Infos unter: www.INSP.ngo<br />

Benefizkonzert für Hinz&<strong>Kunzt</strong>:<br />

Ulrich Tukur & Die Rhythmus Boys<br />

Best-of-Programm von Ulrich Tukur und Band am<br />

Dienstag, 26. Januar 2016 im St. Pauli Theater.<br />

Moderation: Judith Rakers. Preise: 19,90 – 79,90 Euro.<br />

Als Besonderheit bietet das St. Pauli Theater die<br />

Kartenkategorie „Meet & Greet“ an: Treffen Sie<br />

nach der Vorstellung die Künstler in der Theaterbar!<br />

Preis: 159,90 Euro. Kartenvorverkauf unter<br />

www.st-pauli-theater.de/karten.php oder über das<br />

Kartentelefon 040/47 11 06 66, sowie an allen<br />

bekannten Vorverkaufsstellen.<br />

Palazzo goes Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

Palazzo, die Dinner-Show, schenkt Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

den Reinerlös der Vorstellung am Mittwoch, 17. Februar 2016.<br />

Ein 4-Gänge-Menü von Cornelia Poletto bietet Kulinarik auf<br />

höchstem Niveau. Genauso wie die Show mit internationalen<br />

Spitzenkünstlern und Artisten und Musikern.<br />

Preise: 59–129 Euro. Karten erhalten Sie bei der<br />

Palazzo-Tickethotline 018 06/38 88 83<br />

oder unter www.palazzo.org.<br />

27


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>274</strong>/ DEZEMBER <strong>2015</strong><br />

„Wir bleiben<br />

unbeugsam human“<br />

Gebäude in den Farben<br />

FRANKREICHS<br />

erstrahlen zu lassen, wird<br />

auf Dauer nicht reichen.<br />

Nach den Terroranschlägen von Paris wollen wir noch einmal innehalten und<br />

Politiker und Kirchenvertreter zu Wort kommen lassen. Ihre Meinungen<br />

zeigen, dass wir in Zukunft noch mehr um Zusammenhalt ringen müsssen.<br />

TEXT: SIMONE DECKNER UND BIRGIT MÜLLER<br />

FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK<br />

Wir sind alle betroffen nach den Terroranschlägen<br />

von Paris – und doch ist jeder<br />

anders betroffen. Schon bei der<br />

Trauer-Kundgebung am 18. November<br />

auf dem Domplatz war zu spüren: Es<br />

gibt auch unter denen, die ihre Solidarität<br />

bekunden, Konflikte – und wir müssen<br />

in Zukunft noch mehr um Zusammenhalt<br />

ringen.<br />

Mustafa Yoldas, Vorsitzender der<br />

Schura und Vertreter von 46 Moscheegemeinden,<br />

erteilte in seiner Rede dem<br />

IS aus muslimischer Sicht eine deutliche<br />

Absage, hatte auch die Opfer jenseits<br />

von Europa im Blick und legte ein Bekenntnis<br />

zur offenen Gesellschaft ab.<br />

„Die überwältigende Mehrheit der<br />

Hamburger Muslime, ja, der deutschen<br />

Muslime, zieht es 100-mal mehr vor, in<br />

dieser bunten Gesellschaft mit Christen,<br />

Juden, Buddhisten, Hindus, Jeziden und<br />

Atheisten zusammenzuleben, als unter<br />

„Der IS ist eine<br />

anti-islamische,<br />

kriminelle Vereinigung.“<br />

MUSTAFA YOLDAS<br />

28<br />

dem höllischen Joch des anti-islamischen<br />

IS“, sagte Yoldas. „Wir dürfen<br />

nicht vergessen, dass die meisten Opfer<br />

des IS-Terrors Muslime sind. Davon<br />

zeugen auch die Tausende von syrischen<br />

Flüchtlinge, die zu uns kommen, weil sie<br />

– aufgerieben zwischen dem Terror des<br />

syrischen Regimes und des IS – fast alles<br />

verloren haben.“<br />

Der IS sei eine „zutiefst anti-islamische,<br />

kriminelle Bewegung. Der Islam<br />

erzieht den Menschen zu Frieden und<br />

Gerechtigkeit. Die Ideologie des IS ist<br />

das absolute Gegenteil davon. Der IS<br />

steht für Gewalt, Krieg, Hass und Blutvergießen.<br />

Der IS vergewaltigt die Leh-


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Stadtgespräch<br />

HAMBURG<br />

MUSEUM<br />

„Es ist ein Krieg<br />

ohne Grenze,<br />

ein Krieg ohne<br />

Gnade.“ SERGE LAVROFF<br />

ren des Islam.“ Im Vorfeld hatte es allerdings<br />

gerade um Mustafa Yoldas<br />

Auseinandersetzungen gegeben.<br />

Die Jüdische Gemeinde und die<br />

Kurdische Gemeinde hatten ihre Teilnahme<br />

zurückgezogen, weil er sprechen<br />

würde. Hintergrund ist ein Aufruf zu<br />

der Demonstration „Aufstand gegen<br />

den Völkermord in Palästina“, den Yoldas<br />

auf Facebook geteilt hat.<br />

Yoldas äußere sich auch im Alltag<br />

antisemitisch, zitierte die Hamburger<br />

Morgenpost den Vorsitzenden der Kurdischen<br />

Gemeinde Ali Ertan Toprak.<br />

Laut „Mopo“ habe Yoldas geantwortet:<br />

„Wer sind diese Leute, dass sie mich kritisieren?<br />

Ich muss mir keine Referenzen<br />

von einem PKK-Sympathisanten oder<br />

einem Unterstützer des Besatzungsregimes<br />

in Palästina holen.“<br />

Eine mögliche Konfliktlinie verläuft<br />

auch zwischen Frankreich und Deutschland.<br />

Als einen „Krieg ohne Grenze, ein<br />

Krieg ohne Gnade“ bezeichnete der<br />

französische Generalkonsul in Hamburg,<br />

Serge Lavroff, die Anschläge. Daraus<br />

spricht die Haltung der Franzosen.<br />

Sie setzen auf einen militärischen<br />

Kampf gegen den IS.<br />

Die meisten Hamburger Politiker<br />

und Kirchenvertreter bauen trotz der<br />

Anschläge eher auf Diplomatie. Auch<br />

wenn Bürgermeister Olaf Scholz sagt:<br />

„Wir werden Demokratie, Freiheit und<br />

unsere Art zu leben verteidigen und stehen<br />

fest an der Seite unserer französischen<br />

Freunde.“<br />

Landespastor, Diakoniechef und<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Herausgeber Dirk Ahrens<br />

hatte kurz nach den Anschlägen schon<br />

appelliert: „Die Terroristen können die<br />

freiheitlich rechtsstaatlichen Gesellschaften<br />

des Westens militärisch nicht<br />

Trotz aller Konflikte im Vorfeld: Ihre<br />

SOLIDARITÄT bekundeten unterschiedliche religiöse<br />

und politische Gruppen auf dem Domplatz.<br />

„Wir hoffen, dass<br />

die Solidarität<br />

nicht untergraben<br />

wird.“ KIRSTEN FEHRS<br />

besiegen. Aber sie können uns dazu<br />

bringen, uns selbst zu besiegen. Das<br />

darf und wird ihnen nicht gelingen. Wir<br />

bleiben unbeugsam human, rechtsstaatlich<br />

und liberal!“<br />

Wichtig ist jetzt, dass wir keinen Generalverdacht<br />

gegen Flüchtlinge hegen.<br />

Darauf wies Landesbischöfin Kirsten<br />

Fehrs hin. „Wir hoffen, dass die notwendige<br />

Solidarität in unseren Gesellschaften,<br />

die gegenwärtig besonders<br />

den Flüchtlingen gilt, nicht untergraben<br />

wird. Wir verstehen die Flüchtlinge,<br />

die genau vor diesem Terror zu uns<br />

nach Europa geflohen sind und empfinden<br />

mit ihnen. Wir sind gemeinsam<br />

betroffen.“ •<br />

Abbildung: „Siegfried“, Gemälde von Jochen Hein, <strong>2015</strong> © Jochen Hein<br />

HAMBURG<br />

INS GESICHT<br />

GESCHAUT<br />

PORTRÄTS AUS FÜNF<br />

JAHRHUNDERTEN<br />

25.11.<strong>2015</strong> –<br />

22.5.2016<br />

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29<br />

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Stadtgespräch<br />

Zahlen des Monats<br />

Rüstungsexporte:<br />

Das gute Geschäft<br />

mit dem Tod<br />

3,5 Milliarden Euro<br />

sind Panzer, U-Boote, Handgranaten und Gewehre wert, deren Export<br />

die Bundesregierung im ersten Halbjahr <strong>2015</strong> genehmigt hat. Zum<br />

Vergleich: Im gesamten Jahr 2014 waren es knapp vier Milliarden Euro.<br />

Das geht aus einem Bericht von Bundeswirtschaftsminister Sigmar<br />

Gabriel hervor. Damit steht die Wirklichkeit in Widerspruch zu<br />

Ankündigungen des SPD-Politikers: Gabriel hatte erklärt, es sei eine<br />

Schande, dass Deutschland zu den größten Waffenexporteuren der Welt<br />

gehört, und strengere Richtlinien angekündigt.<br />

In der Kritik stehen vor allem Rüstungsexporte in Krisengebiete.<br />

So wurde kürzlich bekannt, dass die deutsche Industrie allein im Juni<br />

Waffen im Wert von 11,5 Millionen Euro nach Katar lieferte – zwei<br />

Monate nach Beginn der Bombenangriffe auf den Jemen, an denen<br />

Katar beteiligt ist. In dem Krieg starben UN-Angaben zufolge bislang<br />

mindestens 5000 Menschen. Dazu der Linken-Politiker Jan van Aken:<br />

„Deutschland macht sich mitschuldig an den vielen Toten.“ •<br />

TEXT: ULRICH JONAS<br />

ILLUSTRATION: KÄTHE SCHÖNLE<br />

Mehr Infos im Internet unter www.waffenexporte.org<br />

31


Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>274</strong>/ DEZEMBER <strong>2015</strong><br />

„Die Welt<br />

kommt zu mir“<br />

Sie hat in Frankreich, Chile und<br />

Spanien studiert, bereiste Indien und<br />

Simbabwe: MARTINA BÄURLE<br />

ist Geschäftsführerin der Stiftung.<br />

Seit 29 Jahren holt die Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte<br />

Menschen in die Hansestadt, die in ihrer Heimat um ihr Leben fürchten.<br />

Martina Bäurle sorgt dafür, dass die Gäste zur Ruhe kommen.<br />

TEXT: BENJAMIN LAUFER<br />

FOTO: ANDREAS LAIBLE<br />

Ich kann auch den Ole fragen, ob er Zeit hat“, hatte<br />

Martina Bäurle einige Tage vor unserem Treffen am<br />

Telefon gesagt. Vorschicken wollte sie keinen Geringeren<br />

als Ole von Beust, ehemaliger Bürgermeister der<br />

Hansestadt und Vorstand der Hamburger Stiftung für politisch<br />

Verfolgte. So richtig wollte die Geschäftsführerin der<br />

Stiftung zunächst nicht ins Rampenlicht.<br />

Dabei leitet die 53-Jährige seit 24 Jahren die Organisation, die<br />

in jedem Jahr drei bis fünf Menschen aus autoritären Regimen<br />

für je zwölf Monate nach Hamburg holt und damit nicht<br />

selten deren Leben rettet. Und eigentlich ist Martina Bäurle<br />

darauf auch zu Recht mächtig stolz: „Ich bin total begeistert“,<br />

sagt sie über ihre Arbeit in der Stiftung. „Es ist wie Beruf<br />

und Berufung! Die Welt kommt zu mir!“<br />

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Stadtgespräch<br />

Sie selbst holt die Gäste vom Flughafen<br />

ab und betreut sie während ihrer Zeit in<br />

Hamburg. „Ich versuche, Vertrauen<br />

und eine Beziehung aufzubauen“, sagt<br />

sie. Manchen Stipendiaten bringt sie<br />

Fahrradfahren bei, mit anderen geht sie<br />

ins Schwimmbad. Gerade bereitet sie<br />

ein Adventsfest vor, zu dem sie zu sich<br />

nach Hause einlädt. „Es geht nicht nur<br />

darum, in Hamburg zu sein“, erklärt sie,<br />

„sondern darum, sich im Alltag frei von<br />

Angst bewegen zu können.“ Am schönsten<br />

sei es zu sehen, wie die Stiftungsgäste<br />

aufblühen und lächeln.<br />

Denn Lächeln fällt ihren Gästen anfangs<br />

häufig schwer. Oft haben sie sich<br />

jahrelang für Freiheit und Demokratie<br />

eingesetzt und wurden dafür verfolgt.<br />

So erging es auch der Tunesierin Sihem<br />

Bensedrine, die die Stiftung 2004 „in<br />

letzter Minute vor den Schergen des<br />

Diktators Ben Ali retten konnte“, wie<br />

Bäurle es formuliert. Schon in den 70er-<br />

Jahren hatte Bensedrine die tunesische<br />

Liga für Menschenrechte mitgegründet,<br />

die zum „Quartett für nationalen Dialog“<br />

gehört. In diesem Jahr ist das Quartett<br />

mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet<br />

worden. „Das ist ein toller<br />

Erfolg!“, freut sich Bäurle über die Anerkennung<br />

für das Engagement ihrer<br />

Stipendiatin. Und sie schiebt hinterher:<br />

„Wenn wir nicht gewesen wären, gäbe<br />

es sie nicht mehr.“<br />

Nicht immer läuft es so gut für ihre<br />

Gäste. Erst im August ist die Friedensaktivistin<br />

Leyla Yunus in Aserbaidschan zu<br />

acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilt<br />

worden. Offiziell wegen Steuerhinterziehung,<br />

doch Bäurle vermutet politische<br />

Gründe. „Eigentlich schützt die<br />

Einladung nach Hamburg vor weiterer<br />

Verfolgung.“ Doch Leyla Yunus konnte<br />

sie nicht beschützen. „Das geht mir sehr<br />

nahe“, sagt Bäurle. Sie versucht nun, öffentlich<br />

auf das Schicksal ihrer früheren<br />

Stipendiatin hinzuweisen – damit sie<br />

nicht in Vergessenheit gerät. „Das wäre<br />

mein Tod“, habe Yunus ihr neulich am<br />

Telefon gesagt.<br />

Das sind dann Telefonate, die Martina<br />

Bäurle mit nach Hause nimmt. Dort<br />

ist sie zum Glück nicht alleine mit ihren<br />

Gedanken. „Mein Mann ist Kriegsreporter<br />

gewesen, der versteht das und<br />

fängt mich auf.“ Wichtig sei auch, für<br />

Ausgleich zu sorgen. Am liebsten sind<br />

ihr lange Spaziergänge in der Natur, auf<br />

denen sie Vögel beobachten kann. Häufig<br />

zieht sie auch ihre Bahnen im<br />

Schwimmbad: „Dabei kann man auch<br />

mal Sorgen vergessen.“<br />

Gerade steckt sie in den Vorbereitungen<br />

für eine große Benefiz-Veranstaltung.<br />

Die Schauspielerin Suzanne<br />

von Borsody wird aus Elke Heidenreichs<br />

Weihnachtsgeschichte „Erika:<br />

oder Der verborgene Sinn des Lebens“<br />

lesen – umrahmt von Klassik bis Jazz.<br />

Ole von Beust wird die Begrüßungsrede<br />

halten. Ein ganz ordentliches Aufgebot.<br />

Bäurle sitzt nervös in ihrem Büro<br />

und hofft, dass auch genügend Hamburger<br />

kommen werden – ganz sicher<br />

„Mein Mann<br />

ist Kriegsreporter<br />

gewesen und<br />

fängt mich auf.“<br />

ist sie sich da nicht. Dabei geht es nicht<br />

nur darum, dass ein leerer Veranstaltungssaal<br />

kein gutes Bild abgäbe. Es<br />

geht um viel mehr: „Wenn wir 450 Karten<br />

verkaufen, können wir ein Stipendium<br />

finanzieren“, sagt sie. Auf die Einnahmen<br />

ist sie angewiesen.<br />

„Die Stiftung ist nicht abgesichert“,<br />

erklärt sie.Trotz prominenter Vorstände<br />

wie Bürgermeister Olaf Scholz und seinem<br />

Amtsvorgänger Klaus von Dohnanyi:<br />

„Wir brauchen immer engagierte<br />

Bürger, die unsere Arbeit unterstützen.“<br />

Gibt es davon zu wenige, muss Martina<br />

Bäurle noch mehr Absagen schreiben,<br />

die sie jährlich mit den Einladungen<br />

in die Hansestadt verschicken muss:<br />

„Da quäle ich mich immer sehr.“ •<br />

Benefizlesung mit Suzanne von Borsody:<br />

Mi, 9.12., 19.30 Uhr, Atrium der Hanse-<br />

Merkur, Siegfried-Wedells-Platz 1. Eintritt:<br />

25 Euro. Infos: www.hamburger-stiftung.de<br />

33


„Die Hoffnung auf Rückkehr<br />

stirbt mit jedem Angriff“<br />

Hamburgs Landesbischöfin Kirsten Fehrs wollte sich selbst ein Bild über die<br />

Flüchtlingslage machen und besuchte Jordanien und das Flüchtlingslager Zaatari<br />

TEXT: BIRGIT MÜLLER<br />

FOTOS JORDANIEN: MANU BRABO, RAAD ADAYLEH/ PICTURE ALLIANCE<br />

FOTO KIRSTEN FEHRS: MARCELO HERNANDEZ<br />

J<br />

etzt gibt es also auch Selfies<br />

von syrischen Flüchtlingen mit<br />

der Hamburger Bischöfin<br />

Kirsten Fehrs. Aufgenommen<br />

während einer Reise, die sie vor<br />

einigen Wochen nach Jordanien machte.<br />

Sie wollte sich ein eigenes Bild verschaffen<br />

von der Situation der etwa 690.000<br />

syrischen Flüchtlinge in dem Sieben-<br />

Millionen-Einwohner-Land.<br />

Aber die Selfies, weder ihre noch die<br />

der Kanzlerin, seien nicht die Ursache,<br />

warum sich so viele auf den Weg nach<br />

Europa machen, davon ist sie überzeugt.<br />

Der wichtigste Grund ist ihrer Meinung<br />

nach ein anderer: „Die Situation in Jordanien<br />

hat sich dramatisch verändert,<br />

seit das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten<br />

Nationen (UNHCR) und das Welternährungsprogramm<br />

der UN (WFP)<br />

die Lebensmittelrationen kürzen oder<br />

sogar streichen mussten.“ Schulen funktionieren<br />

nur noch im Notmodus, die<br />

Wasserversorgung ist nicht mehr gewährleistet.<br />

Das alles, weil die zugesagten<br />

Gelder von einigen Ländern (noch)<br />

34<br />

nicht bezahlt wurden. „Aber nicht nur<br />

Länder, die sich schon länger vom Solidargedanken<br />

verabschiedet haben und<br />

sich abschotten“, haben nicht gezahlt.<br />

Auch Deutschland lasse sich Zeit mit<br />

der Zahlung.* Dazu kommen die Bombardierungen<br />

durch die syrische Armee<br />

und nun der russischen Luftwaffe.<br />

„Die Hoffnung, bald wieder nach<br />

Syrien zurückzukehren, stirbt mit jedem<br />

Angriff“, so Fehrs. „Diese Kombination<br />

führt dazu, dass sich viele Flüchtlinge<br />

sagen: Wir müssen das Leben unserer


Die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs<br />

fuhr Ende Oktober mit dem SPD-Bundestags-<br />

abgeordneten Niels Annen und mit Staatsrat<br />

Jan Pörksen (SPD) nach Jordanien.<br />

Gemeinsam besuchten sie auch ZAATARI,<br />

eines der größten Flüchtlingslager der Welt.<br />

Kinder schützen. Und: Etwas Besseres<br />

als den Tod finden wir überall.“ Natürlich<br />

seien die meisten Flüchtlinge, die sie<br />

kennenlernte, von Deutschland begeistert.<br />

„Weil wir ein Land sind, das in der<br />

Not nicht weggeguckt hat und Empathie<br />

gezeigt hat“, so Fehrs.<br />

Jordanische Bürgermeister, Einheimische<br />

und Flüchtlinge hätten sich stellvertretend<br />

bei ihr für die Anteilnahme<br />

der Deutschen bedankt. Immer wieder<br />

hörte sie von ihren Gesprächspartnern:<br />

„Wir sitzen nicht auf gepackten Koffern.<br />

Am liebsten würden die meisten<br />

von uns hier bleiben, in unserem Kulturkreis,<br />

dort, wo wir unsere Sprache<br />

sprechen können.“<br />

Aber das Bleiben werde durch die<br />

immer schlechter werdenden Lebensbedingungen<br />

deutlich erschwert. „Dass<br />

unsere internationale Hilfe versagt, hat<br />

„Dass unsere internationale<br />

Hilfe versagt, hat unmittelbare<br />

Auswirkungen.“ BISCHÖFIN KIRSTEN FEHRS<br />

unmittelbare Auswirkungen“, sagt Kirsten<br />

Fehrs. „Und sich vor Ort anzugucken,<br />

wie leicht es wäre, bestimmte stabilisierende<br />

Projekte zu halten, das hat<br />

mich gerade in Zaatari gepackt.“<br />

Zaatari ist mit derzeit 79.000 Bewohnern<br />

eines der größten Flüchtlingslager<br />

der Welt. „Das Camp wirkt erst<br />

mal sehr bedrückend. Aber verglichen<br />

damit, was wir am Tag darauf in den<br />

Städten gesehen haben, hatte das noch<br />

eine gute Struktur.“ Was ihr besonders<br />

eingeleuchtet habe: Der UNHCR habe<br />

zusammen mit den Flüchtlingen die<br />

Stadt aufgebaut, Selbstorganisation und<br />

Eigeninitiative gefördert. Einige Flüchtlinge<br />

hätten sich kleine Gärtchen zur<br />

Selbstversorgung angelegt. Sogar eine<br />

Einkaufsstraße gebe es, „scherzhaft<br />

Champs-Élysées genannt“, wo syrische<br />

Flüchtlinge Kleidung, Schuhe und Lebensmittel<br />

verkaufen, man sogar Kaffee<br />

trinken oder Döner essen kann.<br />

Bezahlt wird mit einer Chipkarte,<br />

auf der alles gespeichert ist: Name,<br />

Krankenkarte und das Guthaben für<br />

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Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>274</strong>/ DEZEMBER <strong>2015</strong><br />

Gebrauchsgüter. „Es ist eine Form von<br />

trotziger Hoffnung, dass man miteinander<br />

einkaufen geht“, sagt Kirsten Fehrs.<br />

„Das ist dann fast ein normales Stadtleben<br />

und befriedet die Menschen. Aber<br />

in dem Maße, in dem auf den Chipkarten<br />

nichts mehr zur Verfügung steht,<br />

klappt das dann eben nicht mehr. Da<br />

werden die Leute unruhig.“ Zumal es oft<br />

„weniger als das Elementare“ und viel<br />

zu wenig zu essen und zu trinken gebe.<br />

Das Schlimme sei: „Ganz Jordanien<br />

wird instabil, weil die UN-Gelder nicht<br />

mehr kommen“, warnt die Bischöfin.<br />

Aber eine weitere Destabilisierung könne<br />

man sich im eigenen Interesse nicht<br />

leisten. „Jordanien ist in dem fragilen<br />

Staatengefüge im Nahen Osten einer<br />

der stabileren Staaten und der einzige<br />

Staat, der noch einigermaßen demokratisch<br />

die Flüchtlingsarbeit getragen<br />

hat.“<br />

Ihr Appell: in Jordanien und in anderen<br />

Nachbarstaaten helfen und den<br />

UNHCR und das WFP mit dem nötigen<br />

Geld ausstatten. „Der Flüchtlingsstrom<br />

wird nicht abreißen, wenn wir das<br />

nicht im Blick haben.“ Außerdem müssten<br />

die Fluchtwege gesichert werden.<br />

„Das ist ein Gebot der Humanität.“<br />

Und auch hier bei uns dürfe man<br />

nicht nachlassen, die Flüchtlinge würdig<br />

unterzubringen und zu integrieren. Das<br />

werde ein hartes Stück Arbeit. Die werde<br />

auch mit von den Kirchen geleistet. In<br />

der Zeit bis Redaktionsschluss öffneten<br />

mehrere Kirchen für Flüchtlinge und<br />

auch das marode Bürohaus der Kirche<br />

beim Mahnmal St. Nikolai, das lange<br />

leer stand, wird Notunterkunft. „Patentlösungen<br />

für die Zukunft“ hat Kirsten<br />

Fehrs allerdings nicht. „Aber ich biete<br />

mich gerne an, mit darüber nachzudenken,<br />

wie wir unsere Stadtgesellschaft der<br />

Zukunft gestalten wollen.“ •<br />

* Laut UNHCR Deutschland hat die Bundesregierung<br />

bislang 57 Millionen Euro überwiesen.<br />

„Wir sind aber zuversichtlich, dass<br />

wir das Finanzierungsniveau des letzten<br />

Jahres (104 Mio. Euro) nicht nur erreichen,<br />

sondern sogar übertreffen werden“, so ein<br />

Sprecher. Die Zahlungen sind jedoch<br />

freiwillig. Mehr Infos unter www.unhcr.de<br />

„Bei Konfliktlösung<br />

muss man realpolitisch sein,<br />

nicht moralisch“<br />

Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin der Diakonie Katastrophenhilfe und<br />

von Brot für die Welt, über Fluchtursachen, Wirtschaftsflüchtlinge, Waffenexporte<br />

und Ansätze für den Frieden.<br />

INTERVIEW: BIRGIT MÜLLER.<br />

FOTO: MARTIN KATH<br />

Cornelia Füllkrug-Weitzel in ihrem Bürohaus<br />

in Berlin, wo die DIAKONIE Katastrophenhilfe<br />

und Brot für die Welt unter einem Dach sitzen.<br />

36<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Warum kommen gerade jetzt so<br />

viele Flüchtlinge zu uns?<br />

CORNELIA FÜLLKRUG-WEITZEL: Viele Fluchtursachen<br />

sind hausgemacht. Sie beruhen<br />

auf einer Kette von Handlungen und<br />

Unterlassungen. Eine der wichtigsten<br />

Unterlassungen: Seit mindestens drei<br />

Jahren ist klar, dass die Nachbarländer<br />

Syriens und des Iraks mit der Aufnahme<br />

von Flüchtlingen hoffnungslos überfordert<br />

sind. Trotzdem fühlen sich die Geberländer<br />

nicht aufgefordert, den UNH-<br />

CR oder das WFP stärker mit Mitteln<br />

auszustatten. Die Menschen können<br />

schlicht nicht in Jordanien, im Libanon<br />

oder der Türkei bleiben, wenn sie nichts<br />

mehr zu essen haben. Da hat man Warnungen<br />

nicht hören wollen oder fühlte<br />

sich nicht zuständig. Das Zweite, was sicherlich<br />

mit dazu beigetragen hat, war<br />

die Panik verschiedener Regierungen,<br />

die Grenzen wieder zu schließen. Das<br />

hat noch einmal magnetisch gewirkt,<br />

weil jeder noch unter den Letzten sein<br />

wollte, die wegrennen können.<br />

Wie helfen Sie vor Ort? Beispielsweise in<br />

Jordanien?<br />

Die wenigsten Flüchtlinge leben in Lagern,<br />

wir unterstützen die Menschen in<br />

den Dörfern und in den Städten, weil<br />

sie noch weniger haben. Wir arbeiten<br />

immer mit kirchlichen Partnern vor<br />

Ort, die Sozialarbeit machen. Wir geben<br />

beispielsweise Winterkleidung,<br />

Schulbücher oder Hefte bis hin zu Mietkostenzuschüssen.<br />

Weltweit sind wir mit<br />

der Diakonie Katastrophenhilfe durch-


Der UNHCR und das WFP haben zu wenig Geld und mussten schon ihre Leistungen kürzen.<br />

Noch schlechter als den Menschen hier in Zaatari geht es den Flüchtlingen in den Städten.<br />

schnittlich in 150 Programmen tätig.<br />

Wir haben grundsätzlich den Ansatz,<br />

nicht dahin zu gehen, wo alle anderen<br />

sind. Im Libanon gibt es beispielsweise<br />

keine Lager, die Menschen leben überall:<br />

bei Familien, auf Feldern, in Erdhöhlen<br />

oder in provisorischen Zelten.<br />

Wir sind auch auf der Westbalkan-<br />

Fluchtroute. Wo die Flüchtlinge keinen<br />

Wasserzugang haben, helfen wir mit<br />

Duschen und Toiletten. Manchen geben<br />

wir direkt Geld in die Hand, damit<br />

sie sich selbst kaufen können, was sie<br />

brauchen.<br />

Gibt es denn irgendetwas, mit dem man die<br />

Menschen in Syrien direkt unterstützen kann?<br />

In Syrien gibt es eine Zugangsproblematik.<br />

Wir können keine humanitäre<br />

Hilfe leisten, weil weder der IS noch<br />

die US-Amerikaner, noch Assad oder<br />

die Russen das humanitäre Völkerrecht<br />

respektieren. Das gebietet nämlich eigentlich,<br />

die Zivilbevölkerung unangetastet<br />

zu lassen und der humanitären<br />

Hilfe Zugang zu gewähren.<br />

Was müsste man tun?<br />

Man muss sinnvoll diesen Konflikt beenden.<br />

Dazu muss es Gespräche mit allen<br />

Konfliktparteien geben. Vermutlich<br />

sogar mit dem IS. Wenn man sagt: „Du<br />

bist ein Schwein, mit dir red ich nicht!“,<br />

kriegt man das Problem nicht gelöst.<br />

Mit Gewalt ist in den letzten zehn oder<br />

20 Jahren kein einziger Konflikt gelöst<br />

worden. Aber es gibt eine Statistik, dass<br />

40 Prozent aller Konflikte, die schon<br />

Gewaltstatus erreicht hatten, mit Gesprächen<br />

gelöst werden konnten. Die<br />

Antwort heißt Politik. Bei Konfliktlösung<br />

muss man realpolitisch sein und<br />

nicht moralisch. Alles andere ist naiv.<br />

Könnte man die Waffenexporte<br />

besser kontrollieren?<br />

Natürlich. Aber trotz aller Versprechen<br />

der Bundesregierung werden Waffen in<br />

Konfliktländer oder in Länder mit krassen<br />

Menschenrechtsverletzungen geliefert.<br />

Und solange es keine Endverbleibskontrolle<br />

gibt und keine internationalen<br />

Waffenregister, solange wir Kleinwaffen<br />

in schamlosester Weise und in großem<br />

Stil exportieren, solange heizen wir den<br />

Konflikt noch an.<br />

Viele Flüchtlinge aus Afrika kommen ja,<br />

weil sie kein Auskommen mehr haben.<br />

Da muss man unterscheiden zwischen<br />

Flüchtlingen und Arbeitsmigranten.<br />

Durch unfaire Handelsbeziehungen werden<br />

Marktöffnungen erzwungen. Dadurch<br />

können gerade die afrikanischen<br />

Länder nicht mehr ihre kleinbäuerlichen<br />

Strukturen schützen – und sind gegen die<br />

EU oder andere Marktführer machtlos.<br />

Das, was die Entwicklungshilfe<br />

vorher mühsam aufgebaut hat, beispielsweise<br />

an Milchverwertungsmöglichkeiten<br />

oder Geflügelzucht, das geht<br />

dann mal eben den Bach runter, weil<br />

das nicht gegen die EU-Konkurrenz<br />

ankommt.<br />

Dann haben die Leute keine Perspektive<br />

mehr. Sie fliehen vor den Folgen<br />

unseres unfairen Wirtschaftsgebarens.<br />

37<br />

Was tun?<br />

Man müsste nationale Umsetzungspläne<br />

für die UN-Leitlinien schärfer formulieren<br />

und entwickeln, wo wir unserer<br />

Wirtschaft bestimmte Bedingungen<br />

auferlegen: Sie müsste sich in der ganzen<br />

Produktions- und Lieferkette an<br />

Menschenrechts-, Umwelt- und Arbeitsstandards<br />

halten. Dann haben wir vielleicht<br />

eine Chance. Wirtschaftsbeziehungen<br />

könnten dann dazu beitragen,<br />

dass in Afrika die Menschen von ihrer<br />

Arbeit leben könnten. Die Debatte um<br />

die Flüchtlinge muss man dazu nutzen,<br />

zu sagen: Diese Menschen kommen<br />

nicht, weil sie Schmarotzer sind, sondern<br />

weil wir sie in die Armut drücken.<br />

Viele haben Angst, dass die große Zahl von<br />

Flüchtlingen unsere Gesellschaft gefährdet.<br />

Wie sehen Sie das?<br />

Viele Flüchtlinge zu beherbergen ist ein<br />

großer Risikofaktor in einer instabilen<br />

Gesellschaft. Für Jordanien ist es beispielsweise<br />

relativ gefährlich, noch eine<br />

zweite große Bevölkerungsgruppe im<br />

Land zu haben. Aber dass bei uns die<br />

Demokratie gefährdet wird oder unsere<br />

Wohlfahrt, das wird ja bisher nur herbeigeredet.<br />

Wenn da nur ein Funken<br />

wahr sein sollte, dass es destabilisierend<br />

auf das arme Deutschland wirkt, wie<br />

soll es dann auf Jordanien, auf den<br />

Libanon und die Türkei wirken?<br />

Wir haben also kein Problem?<br />

Ich hoffe, dass die Einwanderungspolitik<br />

nicht auf Abwehr setzt. Dass es eine<br />

europäische Registrierung und Verteilung<br />

gibt. Und ich hoffe, dass das unfaire<br />

Dublin-System (gemeint ist: Flüchtlinge<br />

müssen da leben, wo sie zuerst ankommen; also<br />

meist an den EU-Außengrenzen; Anmerkung<br />

der Red.), das Deutschland den anderen<br />

EU-Partnern aufgezwungen hat, durch<br />

eine sinnvolle Verteilung ersetzt wird.<br />

Wenn das nicht passiert, dann haben<br />

wir ein echtes Problem. Noch haben<br />

wir keins. •<br />

Mehr Infos unter www.diakonie-katastrophenhilfe.de<br />

und www.brot-fuer-die-welt.de


Dem Himmel<br />

so nah<br />

Der georgische Mönch Maxime Kavtaradze lebt auf einer 40 Meter<br />

hohen Felsnadel im Kaukasus. Dort oben durfte Fotograf<br />

Dmitrij Leltschuk den wohl einzigen Säulenheiligen Europas zwei<br />

Wochen lang besuchen. In Hamburg hat er Autorin Annette Woywode<br />

die Lebensgeschichte des Mönchs erzählt.


In der kleinen MÖNCHSKLAUSE von<br />

Maxime Kavtaradze fehlt jeglicher Komfort.<br />

Nach oben kommt man nur über eine<br />

wackelige Eisenstiege. Per Flaschenzug<br />

wird das Nötigste hinaufbefördert.


Ein Eremit, der<br />

mit den Menschen<br />

spricht und ihnen<br />

Trost spendet.


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Fotoreportage<br />

Als Dmitrij Leltschuk den Mönch zum ersten<br />

Mal sah, war er richtig erschrocken. Über<br />

dessen wirres Haar, seine große, hagere Gestalt<br />

und die riesigen Pranken. „Aber wenn er dich<br />

UMARMT, weißt du nicht, wo du bist!“,<br />

schwärmt der Fotograf. Zu Ostern speiste<br />

Maxime Kavtaradze mit zwei seiner Anhänger<br />

und zwei Profikletterern, die ihm beim Bau eines<br />

Flaschenzuges geholfen hatten. Mit dem werden<br />

sogar Dachziegel auf den Felsen gezogen.<br />

Wüsste man es nicht<br />

besser, man könnte<br />

glauben, Sisyphos<br />

sei aus der Unterwelt<br />

heraufgestiegen,<br />

um seine Strafe mit dem verflixten<br />

Felsblock fortan auf Erden abzuleisten.<br />

Aber Maxime Kavtaradze hat nichts<br />

mit der griechischen Mythologie am<br />

Hut. Er ist ein Mönch – allerdings kein<br />

gewöhnlicher. Denn der 64-Jährige lebt<br />

allein an den Ausläufern des Kaukasus,<br />

in einer selbst errichteten Klause hoch<br />

oben auf einem 40 Meter hohen, frei in<br />

der Landschaft stehenden Felsen. Wie<br />

ein Eremit, der aber mit den Menschen<br />

spricht, ihnen Trost spendet, zuhört, mit<br />

ihnen betet und der eine gewaltige Anhängerschaft<br />

in Georgien hat.<br />

Das war nicht immer so, denn in<br />

jungen Jahren war Maxime Kavtaradze<br />

ein kettenrauchender, alkoholkranker<br />

und hoch verschuldeter Kleinkimineller,<br />

der mit 17 am Kartentisch beim Schummeln<br />

erwischt und aus seinem Heimatdorf<br />

Katsiki gejagt wurde. Geschnappt<br />

wurde er schließlich in Moskau beim<br />

Stehlen einer Ikone. Im Gefängnis bekam<br />

er Tuberkulose, was zu Sowjetzeiten<br />

einem Todesurteil gleichkam. Doch er<br />

überlebte die Krankheit. Dieses Wunder,<br />

wie Maxime es nennt, brachte ihn dazu,<br />

sich an das Lebensmotto seiner streng<br />

gläubigen Familie zu erinnern: Wenn du<br />

dir etwas ausleihst, etwas annimmst oder<br />

geschenkt bekommst, musst du etwas zurückgeben.<br />

Gott und den Menschen.<br />

Um den Menschen seine Schulden<br />

zurückzahlen zu können, begann er<br />

nach seiner Haftentlassung 1991, in einer<br />

Manganfabrik in der Nähe seines<br />

Heimatdorfes zu arbeiten. Für sich<br />

selbst behielt er nichts. Er schlief in einer<br />

Höhle, die er am Sockel einer gigantischen<br />

Felssäule fand. Ansonsten betete<br />

er. Sicher wäre er verhungert, hätten die<br />

Dorfbewohner nicht doch Mitleid mit<br />

dem einstigen Dieb und Betrüger gehabt.<br />

Sie brachten ihm zu essen – und<br />

er hörte sich ihre Sorgen an.<br />

41<br />

Trotzdem wäre Maxime Kavtaradze<br />

beinahe in seiner Höhle gestorben:<br />

Denn zum Schlafen legte er sich in einen<br />

alten Kühlschrank, der wie ein Sarg<br />

auf dem Boden lag. In einer besonders<br />

kalten Nacht entzündete er neben dem<br />

Kühlschrank ein Lagerfeuer, um das<br />

kalte Bett zu erwärmen. Dadurch traten<br />

Ammoniakdämpfe aus dem alten Gerät<br />

aus, die den Mann vergifteten. Als ihn<br />

Dorfbewohner fanden, war er schon fast<br />

tot. Doch er überlebte wieder, und so<br />

war für Maxime Kavtaradze erneut ein<br />

Wunder geschehen, für das er sich bei<br />

Gott bedanken wollte – mit einer Kapelle<br />

und einer Eremitenklause oben<br />

auf dem Gipfel „seiner“ Felssäule.<br />

Es war eine gewaltige Herausforderung,<br />

das Baumaterial in die Höhe zu befördern.<br />

Doch mit seinem unbedingten<br />

Willen, viel Zeit, Muskelkraft und der<br />

Hilfe der Dorfbewohner schaffte er das<br />

Unmögliche. 20 Jahre lang – von 1991<br />

bis 2011 – lebte der wohl einzige Säulenheilige<br />

Europas zunächst an, später auf


€ 8,90 CHF 16,- DKK 74,-<br />

ISBN 978-3-9814245-9-1<br />

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Kurz vor Ostern kam Fotograf<br />

Dmitrij Leltschuk auf dem<br />

Felsen an. Da war gerade<br />

Fastenzeit und der Mönch<br />

schon so geschwächt, dass er<br />

oft im Bett ruhen musste.<br />

Kraft für Gespräche mit seinen<br />

Anhängern auf der Veranda<br />

der HIMMELSKLAUSE blieb<br />

aber trotzdem. Das Holzhaus<br />

stand ursprünglich in der nahe<br />

gelegenen Stadt, wo Maxime<br />

Kavtaradze es abbaute und in<br />

40 Metern Höhe neu errichtete.<br />

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seinem Felsen. Nur selten stieg er über eine<br />

wackelige Eisenstiege hinunter, meist,<br />

um in einem nahe gelegenen georgisch<br />

orthodoxen Kloster zu beten. Und doch<br />

blieb er den Menschen immer zugewandt,<br />

die ihm großen Respekt zollen.<br />

Maxime Kavtaradze ist inzwischen so<br />

bekannt und beliebt bei den Georgiern,<br />

dass es sogar Kühlschrankmagneten mit<br />

dem Bild seiner Steinsäule gibt.<br />

Warum er eines Tages trotzdem<br />

ganz und gar von seinem Berg herabstieg,<br />

ist unklar. Gerüchte kursieren im<br />

Dorf, der Bischof habe Maxime verboten,<br />

als nicht geweihter Priester dort<br />

oben weiterzuleben – aus Neid auf die<br />

Beliebtheit des Eremiten.<br />

Maxime Kavtaradze selbst sagt dazu<br />

nichts. Er begann damals stattdessen,<br />

auf einem 500 Meter entfernten, zweiten<br />

frei stehenden Felsen ein neues Haus<br />

zu errichten. Das Baumaterial fand er in<br />

der nächstgelegenen Stadt, wo ein 100<br />

Jahre altes, unbewohntes Holzhaus<br />

stand. Gemeinsam mit einigen seiner<br />

Anhänger baute er es samt Steinsockel<br />

Stück für Stück ab. Profikletterer halfen,<br />

einen Seilzug am Felsen anzubringen,<br />

mit dem die Einzelteile in die Höhe gehievt<br />

und oben neu zusammengesetzt<br />

werden konnten.<br />

In diesem Haus lebt der Mönch nun<br />

seit vier Jahren. Einem Haus, wiederum<br />

ohne fließend Wasser und jeglichen<br />

Komfort, in dem er betet und Gläubige<br />

empfängt. Immer in Sichtweite zur Kapelle<br />

auf seinem ersten Felsen. Kurz sah<br />

es so aus, als könne Maxime Kavtaradze<br />

auch dort nicht bleiben. Doch wieder<br />

halfen ihm seine Anhänger, darunter sein<br />

gesamtes Heimatdorf. Sie setzten sich<br />

beim Patriarchen für ihren Mönch ein.<br />

Der weihte ihn zum Priester und verfügte:<br />

Der alte Säulenheilige darf auf seinen<br />

ersten Felsen zurückkehren.<br />

Und Maxime? Der hätte klaglos<br />

auch eine dritte Klause gebaut. Schon<br />

war er auf der Suche nach einem neuen,<br />

geeigneten Felsen, von denen es<br />

an den Ausläufern des Kaukasus noch<br />

einige gibt.<br />

Die Strafe des Sisyphos, sie endet<br />

eben nie. Aber Maxime Kavtaradze ist<br />

nicht diese Figur aus der griechischen<br />

Mythologie. Er hat sich seine Buße<br />

selbst auferlegt. •<br />

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wird Ihrer Rechnung hinzugefügt<br />

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Obdachlosen-Hilfe weitergegeben<br />

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43


Haben sich die SAMMEL-<br />

BOX ausgedacht: Designer<br />

Michael Leßmöllmann<br />

(links) und Lorenz Schott.<br />

Spenden mit<br />

der Flaschenpost<br />

Wer Hinz&<strong>Kunzt</strong> finanziell unterstützen möchte, kann das<br />

nun auch im Supermarkt um die Ecke tun: mithilfe unserer neuen,<br />

unverwechselbaren Sammelboxen für Pfandbons.<br />

TEXT: SIMONE DECKNER<br />

FOTO: LENA MAJA WÖHLER<br />

Die meisten Sammelboxen für<br />

Pfandbons sehen aus wie Briefkästen.“<br />

Michael Leßmöllmann<br />

lacht. Der Produktdesigner und<br />

sein Kompagnon Lorenz Schott wissen,<br />

wovon sie sprechen. In den vergangenen<br />

Wochen sind sie zu Experten für Sammelboxen<br />

geworden. Und haben etwas<br />

Neues entwickelt: Ihre Box ist eine<br />

Mehrwegflasche, die in einem Holzbrett<br />

„schwebt“. „Da ist direkt klar, um was es<br />

geht“, erklärt Lorenz Schott. Gewissermaßen<br />

eine moderne Flaschenpost, in<br />

der Gutes steckt.<br />

„Spielerisch“ seien sie an die Aufgabe<br />

herangegangen, so die Macher von Vakant<br />

Design. Allerdings: Gutes Aussehen<br />

alleine reicht nicht. So eine Box<br />

muss für die Supermarktmitarbeiter einfach<br />

zu handhaben sein. Und diebstahlsicher.<br />

Die Lösung: ein verschließbarer<br />

Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk<br />

44


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Freunde<br />

„Pfandsammler<br />

begegnen einem<br />

ja überall.“<br />

MICHAEL LESSMÖLLMANN<br />

JA,<br />

ICH WERDE<br />

MITGLIED<br />

IM HINZ&KUNZT-<br />

FREUNDESKREIS.<br />

Damit unterstütze ich die<br />

Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />

Meine Jahresspende beträgt:<br />

Flaschenboden. „Beim ersten Versuch<br />

haben wir uns auf YouTube angeguckt,<br />

wie man einen Flaschenboden ausschneidet“,<br />

sagt Michael Leßmöllmann,<br />

„haben dann aber schnell gemerkt, dass<br />

wir da einen Fachmann brauchen.“<br />

Denn: Mit Glas kennen sich die<br />

Produktdesigner nicht ganz so gut aus<br />

wie mit Holz. Beide haben vor ihrem<br />

Studium Tischler gelernt. Die handwerkliche<br />

Ausbildung kommt ihnen<br />

heute zugute: In ihrem Büro in Bahrenfeld<br />

haben sie sich eine kleine Werkstatt<br />

eingerichtet. „Wenn wir am Rechner<br />

sitzen und irgendwas in 3-D entwerfen<br />

und nicht weiterkommen, sagen wir oft:<br />

‚So, das war’s jetzt: Wir gehen in die<br />

Werkstatt!‘“, sagt Lorenz Schott.<br />

Hier basteln sie auch immer wieder<br />

an einem ihrer spannendsten Projekte:<br />

einem Möbelstück, in dem man Indoor-<br />

Gemüse anbauen kann. Ganz ohne Erde.<br />

Gerade waren sie damit auf einer<br />

Designmesse in China, zuvor gab es für<br />

ihr Stück einen Preis für umweltbewusstes<br />

Design. Dabei haben die beiden<br />

nicht mal einen grünen Daumen, geben<br />

sie lachend zu.<br />

Näher waren sie da den Pfandsammlern.<br />

„Sie begegnen einem ja überall“, so<br />

Michael Leßmöllmann. „Ich habe erst<br />

vor ein paar Tagen einen netten älteren<br />

Herrn gesehen, der in seinem guten Sakko<br />

in der Mülltonne wühlte.“<br />

Dabei hat es sich doch herumgesprochen:<br />

Pfand gehört daneben. Oder<br />

in den Leer gutautomaten im Supermarkt.<br />

Und für den Pfandbon gibt es ja<br />

jetzt unsere schicke Flaschenpost. •<br />

Mehr Infos: Sammelboxen gibt es schon in<br />

den denn‘s Biomärkten, Rentzelstraße 36–<br />

48 und Schanzenstraße 119. Weitere Standorte<br />

unter www.huklink.de/flaschenpost<br />

60 Euro (Mindestbeitrag für<br />

Schüler/Studenten/Senioren)<br />

100 Euro<br />

Euro<br />

Datum; Unterschrift<br />

Ich möchte eine Bestätigung<br />

für meine Jahresspende erhalten.<br />

(Sie wird im Februar des Folgejahres zugeschickt.)<br />

Meine Adresse:<br />

Name, Vorname<br />

Straße, Nr.<br />

PLZ, Ort<br />

Telefon<br />

E-Mail<br />

Beruf<br />

Geburtsjahr<br />

Wir danken allen, die im November an uns<br />

gespendet haben, sowie allen Mitgliedern<br />

im Freundeskreis von Hinz&<strong>Kunzt</strong> für die<br />

Unterstützung unserer Arbeit!<br />

DANKESCHÖN EBENFALLS AN:<br />

IPHH, wk it services,<br />

Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH,<br />

Hamburger Tafel,<br />

Axel Ruepp Rätselservice,<br />

Hamburger Kunsthalle,<br />

bildarchiv-hamburg.de,<br />

Kultur-Medien Hamburg GmbH,<br />

Firma Ute Orth,<br />

Medienpool Extra GmbH<br />

Dank an die Kollegen vom DPV023 von Holger<br />

Mohr für ihre Spende in den Ruhestand.<br />

Dankeschön<br />

45<br />

Außerdem danken wir allen Mitwirkenden und<br />

Organisatoren des Luther-Musicals „Der mit<br />

dem Papst tanzt“ sowie der Kirchengemeinde<br />

Eidelstedt für drei großartige Benefizaufführungen<br />

am 30. und 31.10.<strong>2015</strong>.<br />

Ein besonderer Dank an Jonas Goebel und<br />

Stephan Merkle, die Autoren des Musicals.<br />

NEUE FREUNDE:<br />

Gisela Augustin, Christian Cornehl,<br />

Ortwin Dankers, Sabine Fänger,<br />

Judith Friedrich, Andrea Hirschmann,<br />

Astrid Kirsch-Bartens, Gisela Krechlok,<br />

Jens und Ute Lattmann,<br />

Brian Melican, Kirsten Meyer,<br />

Kevin Nordhaus-Keding, Stella Prott,<br />

Monika Saß, Katja Siedschlag,<br />

Grit Westphal und Robin Wüstenberg<br />

Einzugsermächtigung:<br />

Ich erteile eine Ermächtigung zum<br />

Bankeinzug meiner Jahresspende.<br />

Ich zahle: halbjährlich jährlich<br />

IBAN<br />

BIC<br />

Bankinstitut<br />

Wir versichern, dass Ihre Angaben nur für interne<br />

Zwecke bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> verwendet werden. Ihre<br />

Mitgliedschaft im Freundeskreis ist jederzeit kündbar.<br />

Bitte Coupon ausschneiden und senden an:<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis<br />

Altstädter Twiete 1-5, 20095 Hamburg<br />

Oder online im Freundeskreis anmelden unter<br />

www.hinzundkunzt.de/so-koennen-sie-helfen/<br />

HK <strong>274</strong>


Buh&Beifall<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>274</strong>/ DEZEMBER <strong>2015</strong><br />

Was unsere Leser meinen<br />

„Ich finde die Preiserhöhung gar nicht abschreckend“<br />

„Dass Kosten steigen, ist klar“<br />

H&K 273, Neue Ausgabe, neuer Preis<br />

Dass Kosten steigen, ist klar. Allerdings<br />

könnte ich gut und gerne auf einen<br />

„Hardumschlag“ verzichten! Das<br />

kostet doch sicher auch mehr, als wenn<br />

alle Seiten gleich stark sind, oder? Es ist<br />

eine Obdachlosenzeitung, da brauche<br />

ich kein Glanzpapier!<br />

ULRIKE KÜSTER<br />

Auch bevor der Wind der Erneuerung<br />

wehte, habe ich H&K stets mit<br />

Gewinn gelesen – nun sehe ich, auch ein<br />

gutes Heft kann NOCH besser werden<br />

– Kompliment! BARBARA SCHAEFER<br />

Mir gefällt das neue Heft sehr gut,<br />

und ich finde die Preiserhöhung gar<br />

nicht abschreckend.<br />

IRIS CARIUS<br />

Wir kaufen immer, wenn wir in<br />

Hamburg sind, das aktuelle Magazin<br />

und wir finden, in der neuen Aufmachung<br />

ist es besser geworden! PIA RAUCH<br />

Nicht überzeugend<br />

H&K 273, Olympi-Ja?<br />

Die Argumentation von HWWI-<br />

Chef Henning Vöpel kann nicht ganz<br />

überzeugen. Man muss, wenn man auf<br />

der ökonomischen Ebene diskutiert,<br />

über die Opportunitätskosten reden und<br />

da sind die veranschlagten 1,2 Milliarden<br />

Euro äußerst viel, wenn man bedenkt,<br />

wie viel Gutes Hamburg mit<br />

jenem Geld in der Bildung oder auch<br />

bei Projekten gegen Obdachlosigkeit<br />

erreichen könnte.<br />

RASMUS PH. HELT<br />

Die Street-Art-Tour<br />

H&K 273, Stadt-Expedition<br />

Der Artikel ist mit viel Liebe gemacht<br />

und bringt mir die Street Art<br />

(oder Sprayerei) richtig nahe. Allerdings<br />

vermisse ich die Erklärung OZM, das<br />

macht mich richtig kribbelig. OZ ist mir<br />

klar . . .<br />

ANNA-MARIA SIEGERT<br />

Anmerkung der Redaktion: Da können wir<br />

helfen. OZM heißt „one zero more“. Auf<br />

Deutsch: eine Null mehr.<br />

Leserbriefe geben die Meinung des Verfassers<br />

wieder, nicht die der Redaktion. Wir behalten<br />

uns vor, Leserbriefe zu kürzen.<br />

Wir trauern um<br />

Zenon Martyniak<br />

6. April 1953 – 25. Oktober <strong>2015</strong><br />

Zenon war seit 1997 bei uns. Seinen<br />

Stammplatz hatte er bei Edeka in Ammersbek.<br />

Die Verkäufer und das Team von<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

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Abseits der teuren Fassaden zeigt Hinz&<strong>Kunzt</strong> Orte, die in<br />

keinem Reiseführer stehen: Bahnhofs mission statt Rathausmarkt,<br />

Drogenberatungsstelle statt Alsterpavillon, Tages aufent halts stätte<br />

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Anmeldung: info@hinzundkunzt.de<br />

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Kostenbeitrag: 10/5 Euro,<br />

nächste Termine: 6. + 20.12.<strong>2015</strong>, 15 Uhr<br />

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Öffnungszeiten: Dienstag - Freitag 10.00 - 19.00 Uhr<br />

Samstag 10.00 - 14.00 Uhr


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Klare Kante: Der neue Opernintendant Georges Delnon mischt sich ein (S. 48).<br />

Heiße Sache: Unser Koch des Monats tischt ein feines Süppchen auf (S. 56).<br />

Gute Nachricht: Hinz&Künztlerin Anke hat endlich einen Platz im Container (S. 58).<br />

Angst macht einsam: Holocaust-<br />

Überlebende „ROSE“ (Angela<br />

W. Röders) kann die Vergangenheit<br />

nicht verdrängen. Für ihre Nöte<br />

findet sie kein Verständnis (S. 46).<br />

FOTO: MARIANNE HAUTTMANN


Schaut immer wieder auf<br />

der ARBEITSBÜHNE<br />

zu, wie ein Stück entsteht.<br />

Sonst findet man Opern-<br />

direktor Georges Delnon<br />

gern im Parkett, erste<br />

Reihe, Platz drei.


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

Neue Türen<br />

aufmachen<br />

Opernintendant Georges Delnon will Fukushima auf die Bühne bringen, die Oper in<br />

die Stadt tragen und Flüchtlinge und Obdachlose in seine Aufführungen einladen.<br />

TEXT: HANS-JUERGEN FINK<br />

FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK<br />

Das Chefbüro im Verwaltungstrakt<br />

der Hamburgischen<br />

Staatsoper ist<br />

spartanisch eingerichtet.<br />

Ein einfacher Schreibtisch<br />

– Platte, vier Beine. Bücherregal.<br />

Eine winzige Musikanlage und ein Monitor,<br />

mit dem man sich in das Geschehen<br />

auf der Bühne einklinken kann.<br />

Drei Bürosessel. Keine Aktenschränke,<br />

keine Papierstapel. „Ich versuche, alles<br />

gleich zu bearbeiten. Fünf Minuten, am<br />

liebsten am Handy.“ Der Raum ist so<br />

uneitel wie der, der darin arbeitet: Georges<br />

Delnon, Jahrgang 1958, Hamburgs<br />

neuer Opern- und Orchesterintendant.<br />

Einen Farbtupfer gibt es doch: Frau<br />

Gonzalez, dunkelblond, blaue Augen,<br />

steht rechts neben der Arbeitsplatte. Eine<br />

lebenspralle, etwa 1,50 Meter hohe<br />

Frauenskulptur mit aufgemaltem roten<br />

Kostüm, weißer Bluse mit blauen Blumen.<br />

Sie stand schon in seinem Baseler<br />

Intendantenbüro und durfte mit nach<br />

Hamburg. Weil sie ihm hilft, sagt er, die<br />

Dinge vor seiner Nase aus größerer Distanz<br />

zu betrachten.<br />

Oben im achten Stock residiert Delnon,<br />

Schweizer wie Rolf Liebermann,<br />

der während seiner beiden Hamburger<br />

Intendanzen die Oper zu vielen Momenten<br />

von Weltgeltung führte. Auf die<br />

Frage, ob man ihn hier oben am häufigsten<br />

findet, schüttelt Delnon amüsiert<br />

den Kopf und verrät seinen Traum: Am<br />

liebsten hätte er es wie Peter Gelb, der<br />

legendäre General Manager der Metropolitan<br />

Opera in New York. „Immer bei<br />

den Proben, ein Brett im Zuschauerraum,<br />

in der Nähe des Regiepults – da<br />

könnte ich auch alles erledigen. Und ich<br />

wäre dicht an dem, was sich hier tut.“<br />

Die furiose Eröffnung im September<br />

ist gestemmt, ein Dreiklang aus Anne<br />

Sofie von Otters und Christoph<br />

Marthalers melancholischem Liederabend<br />

„Isoldes Abendbrot“, Berlioz’<br />

großer Oper „Les Troyens“ und in der<br />

opera stabile der Uraufführung von<br />

„Weine nicht, singe“ von Dea Loher<br />

(Text) und Michael Wertmüller (Musik),<br />

inszeniert von Jette Steckel. Der chamäleonhafte<br />

Lichtvorhang vor der Opernfassade,<br />

ein Projekt der Künstlerin Rosalie,<br />

ist wieder abmontiert. Gerade<br />

probt man „Le nozze di Figaro“, Musik:<br />

Mozart, Regie: Stefan Herheim.<br />

Seit knapp drei Jahren ist Delnon<br />

oft hier gewesen, um seine erste Spielzeit<br />

zu planen. Hat fast alles gesehen,<br />

49<br />

was auf dem Spielplan stand. Ist trotzdem<br />

noch ein bisschen der Neue. Auf<br />

dem Weg hinunter zur Hinterbühne für<br />

die Fotoaufnahmen erzählt er, dass man<br />

in Basel ständig die Mitarbeiter treffe.<br />

Und in Hamburg auf den Gängen –<br />

niemanden. „Wo doch Hunderte hier<br />

arbeiten.“ Für den Opernchef mit seiner<br />

Kommunikationslust anfangs befremdlich,<br />

diese Ruhe und Arbeit hinter<br />

geschlossenen Türen.<br />

Ankommen in Hamburg. Eine<br />

Wohnung hat er. In der Neustadt, „da<br />

bin ich in neun Minuten zu Fuß an der<br />

Oper – zu Fuß gehen ist immer noch die<br />

sicherste Fortbewegungsart, oder?“. In<br />

seinem Refugium nimmt er sich Zeit<br />

zum Lesen. Versucht, Arbeit und Freizeit<br />

wenigstens in seinem Energiehaushalt<br />

zu trennen.<br />

Alles weitere Private hält er am<br />

liebsten privat. Nur das noch: Ja, er<br />

kocht sehr gern. Kennt auch die korrekte<br />

Antwort auf die Fangfrage der Hamburger<br />

Fußball-Fans: „Ich habe viele<br />

Sympathien für den HSV und eine<br />

Dauerkarte bei St. Pauli.“ Sport, selbst<br />

gemacht? „Schach!“<br />

Ankommen in der Hamburger Kultur.<br />

Der runde Tisch der Kulturleute zu


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>274</strong>/ DEZEMBER <strong>2015</strong><br />

Kunst ist das, was das Leben interessanter als Kunst macht – das ist das Motto<br />

des neuen Hamburger Opernintendanten Georges Delnon. Für seine<br />

Muse FRAU GONZALEZ (links) gilt das allemal. Die Skulptur begleitete<br />

ihn von Basel nach Hamburg und steht auch hier wieder in seinem Büro.<br />

Olympia 2024 hat ihm geholfen, sich<br />

rasch zu vernetzen. „Ich höre gut zu,<br />

was Joachim Lux, Dirk Luckow oder<br />

Amelie Deuflhard (Das sind die Intendanten<br />

des Thalia Theaters, der<br />

Deichtorhallen und von Kampnagel;<br />

Anm. der Red.) erzählen über Hamburg<br />

und sein Publikum, das ist für mich sehr<br />

wertvoll.“ Dann die Suche nach einem<br />

neuen Platz für eine Institution wie die<br />

Staatsoper. Mit Respekt vor ihren Traditionen<br />

– er betont den Plural. „Es gibt<br />

eine konservative Tradition, und es gibt<br />

eine progressive Tradition. Hinter die<br />

darf man nicht zurückfallen. Wir sind ja<br />

eigentlich die Zeit danach.“ Experimentierfreude<br />

und aufregend Neues, die<br />

Oper soll Nachdenken anstoßen.<br />

Sein Weg, der ihn hierher führte?<br />

Die Mutter war Opern- und Konzertsängerin,<br />

der Sohn, 1958 geboren in<br />

Zürich und aufgewachsen in Bern, ist<br />

überall von Musik und Musikern umgeben.<br />

Seine erste Oper? „Wahrscheinlich<br />

Verdis ‚Otello‘.“ Klingt nicht eben nach<br />

Erweckung. Dann eine normale musikalische<br />

Reise: Beatles, Rolling Stones,<br />

Pink Floyd. Bis ihn der Jazz infiziert. Er<br />

will nicht bloß reproduzieren, sondern<br />

selber machen. Endlose Jam-Sessions,<br />

„eine sehr experimentelle Zeit“. Er<br />

„Wir brauchen<br />

Werke zu<br />

den Themen<br />

von heute.“<br />

spielt Klavier, Gitarre, Saxofon. Keith<br />

Jarrett und Chick Corea sind seine Götter,<br />

„natürlich wollte ich Jazzpianist werden“.<br />

Er hört vom Mitternachtskonzert,<br />

das Keith Jarrett im Oktober 1982 in<br />

der Hamburger Staatsoper gab. „Ob<br />

man so was wohl noch mal …?“<br />

50<br />

Aber schon mit 18, 19 ändert sich sein<br />

Ziel. Musik bleibt gesetzt und Jazz die<br />

Leidenschaft Nummer 1. Delnon studiert<br />

Komposition in Bern und Fribourg<br />

– „nicht um Komponist zu werden, ich<br />

wollte Musik einfach besser verstehen“.<br />

Arbeiten will er lieber als Regisseur. Will<br />

wissen, wie man Werke auf die Bühne<br />

bringt, wie man Menschen organisiert,<br />

eine Botschaft aus einem Stück destilliert.<br />

Wie man mit dem Publikum in den<br />

Dialog tritt. 1996 wird er Intendant in<br />

Koblenz, dann in Mainz, schließlich in<br />

Basel.<br />

Und nun Hamburg. Mit dem Amerikaner<br />

Kent Nagano als Generalmusikdirektor.<br />

„Sicher, wir haben unterschiedliche<br />

Temperamente und Charaktere.<br />

Aber wir sind uns einig, welche<br />

Rolle Qualität, Innovation und Tradition<br />

spielen. Kent ist ein internationaler<br />

Star, der uns große Aufmerksamkeit<br />

bringt. Und das zählt viel.“<br />

Delnon sorgt für alles andere. Für<br />

die Aufwertung der opera stabile zur


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

ständigen zweiten Spielstätte, an der es<br />

spannende Experimente geben soll. Er<br />

ist bekennender Freund des oft geschmähten<br />

Regietheaters: „Diese jungen<br />

Regisseure, die wissen oft sehr viel mehr<br />

über das Stück als viele Regisseure der<br />

alten Schule, sie setzen sich enorm mit<br />

der Historie, Herkunft und Tradition,<br />

mit der Psychologie und der politischen<br />

Dimension auseinander. Das hat nicht<br />

nachgelassen – das ist ein Klischee, dem<br />

ich entschieden widerspreche.“<br />

Im ersten Saisonbuch steht als Motto<br />

der Satz von Heiner Müller: „Das<br />

Fremde ist eigentlich das Schöne“, er<br />

unterstreicht das: „Ich glaube schon,<br />

dass man immer da neue Türen aufmachen<br />

kann, wo man sie nicht unbedingt<br />

vermutet hat.“<br />

Georges Delnon tut das leise und,<br />

wie man mit Blick auf seinen Werdegang<br />

vermuten darf, beharrlich. Zum<br />

Beispiel neue Werke in Auftrag geben.<br />

So wie Ende Januar 2016 die Fukushima-Oper<br />

„Stilles Meer“ des Japaners<br />

Toshio Hosokawa. Der nächste Kompositionsauftrag<br />

ist bereits vergeben. Einen<br />

pro Spielzeit für die große Bühne, zwei<br />

für die opera stabile, ein ambitioniertes<br />

Ziel. Damit könnte er an Liebermann<br />

herankommen, unter dem in Hamburg<br />

22 Opern uraufgeführt wurden.<br />

„Wir brauchen Werke, die jetzt geschrieben<br />

werden, zu Themen von heute.<br />

Das ist ein Auftrag wie der, das tradierte<br />

kulturelle Erbe zu pflegen.“<br />

„Stilles Meer“ hat Delnon vor drei Jahren<br />

in Tokio mit Hosokawa verabredet,<br />

er ist gespannt auf den japanischen<br />

Blick auf die Atomdebatte. „Wir wollen<br />

etwas über Menschen erzählen.“ In diesem<br />

Fall über eine Familie, die in Fukushima<br />

lebt und dort nicht weg will, trotz<br />

der Katastrophe. „Ich glaube nicht, dass<br />

man Schauspiel und Oper so trennen<br />

kann: Die einen machen inhaltliche politische<br />

Arbeit, die anderen sind zuständig<br />

für Kulinarik und schöne Musik.<br />

Wenn man die Genesis vieler älterer<br />

Opern anschaut, waren die Komponisten<br />

oft sehr gesellschaftlich denkende<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

51<br />

Menschen, die damit in ihrer Zeit viel<br />

verändert haben.“<br />

Herzensprojekte? Das sind alle, die<br />

er anpackt, „sonst werden sie nichts“.<br />

Die Oper in die Stadt tragen zum Beispiel.<br />

Oder „Refugees welcome“. Das ist<br />

der Plan, Paten zu finden für Flüchtlinge.<br />

Paten, die mit ihnen in die Oper<br />

kommen, ins Ballett und in Konzerte.<br />

„Begegnungskultur“ wünscht sich Delnon.<br />

Keine Aktion, die wie ein PR-Gag<br />

durch die Stadt geblasen würde. Ein leiser<br />

Anfang. Angestoßen durch das<br />

Flüchtlingsdrama, aber nicht beschränkt<br />

auf Flüchtlinge. „Die Aktion<br />

steht offen für andere, die sich einen<br />

Opernbesuch nicht leisten können.“<br />

Wenn also jemand mit „seinem“<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer anfragt? „Werden<br />

wir nicht Nein sagen.“ Der Pate bezahlt<br />

einen reduzierten Preis, seine Begleitung<br />

zahlt nichts. Im Anschluss an<br />

die acht dafür ausgewählten Vorstellungen<br />

und Konzerte besteht die Möglichkeit<br />

zum besseren Kennenlernen (Anmeldung<br />

bei christoph.boehmke@<br />

staatsoper-hamburg.de).<br />

Man könnte solche Aktionen vorab<br />

totdiskutieren. Man kann sie aber auch<br />

starten und schauen, was daraus wächst.<br />

Georges Delnon steht eindeutig für den<br />

zweiten Weg. Er denkt langfristig. Ist immer<br />

gut für Überraschungen. Und erst<br />

zufrieden, wenn seine lang gehegten<br />

Pläne aufgehen.<br />

Er sitzt so oft wie möglich in der<br />

Vorstellung – Parkett, Reihe 1, Platz 3<br />

rechts. Das war auch Liebermanns<br />

Stammplatz, um sein Publikum besser<br />

kennenzulernen. Wenn er dann spürt,<br />

dass ein kühnes Konzept greift, wenn in<br />

besonderen Momenten das pure Glück<br />

geradezu körperlich den Rücken herunterläuft,<br />

wenn aus der Vielzahl von Individualitäten<br />

im Publikum ein Kollektiv<br />

wird und an den Lippen des Sängers<br />

hängt, „dann“, sagt er, „bin ich stolz,<br />

Chef eines solchen Hauses zu sein“. •<br />

Das Programm der Staatsoper findet sich<br />

unter www.staatsoper-hamburg.de<br />

<br />

EL VY<br />

<br />

<br />

<br />

THE KILKENNYS<br />

<br />

REFUSED<br />

<br />

SIDO<br />

<br />

CHRISTMAS SOUL<br />

BARBARA DENNERLEIN<br />

<br />

<br />

<br />

TOWER OF POWER<br />

<br />

LISSIE<br />

<br />

<br />

MAX GIESINGER & BAND<br />

<br />

ONE OK ROCK<br />

<br />

JOSÉ GONZÁLEZ<br />

<br />

TORFROCK<br />

<br />

<br />

WLADIMIR KAMINER<br />

<br />

<br />

BAABA MAAL<br />

<br />

MAX RAABE & PALAST ORCHESTER<br />

<br />

<br />

KLAUS HOFFMANN<br />

<br />

<br />

WLADIMIR KAMINER<br />

<br />

<br />

ANDREAS BOURANI<br />

<br />

HENRY ROLLINS<br />

<br />

DER KLEINE PRINZ<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

STAATLICHES RUSSISCHES BALLETT<br />

MOSKAU - SCHWANENSEE<br />

<br />

CELTIC WOMAN<br />

<br />

TICKETS:<br />

KARSTEN JAHNKE<br />

<br />

GMBH<br />

<br />

KJ.DE


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>274</strong>/ DEZEMBER <strong>2015</strong><br />

Tipps ( 1)<br />

1. bis 15. <strong>Dezember</strong> <strong>2015</strong><br />

MUSIK<br />

Weihnachtsklassiker a-cappella<br />

Die vier Jungs von „Maybebop“ sind<br />

nicht nur hervorragende Sänger, sondern<br />

auch begnadete Entertainer. Dafür<br />

wurden sie mit mehreren A-cappella-<br />

Preisen ausgezeichnet. Die virtuosen<br />

Sänger mischen Eigenkompositionen<br />

mit originellen Arrangements von<br />

Weihnachtsklassikern – von George<br />

Michael bis Chris Rea. Und mit ihrem<br />

Charme animieren die vier Künstler<br />

auch das Publikum zum Singen.<br />

„Schenken – Achtung Weihnachtslieder!“<br />

heißt ihr aktuelles Programm. •<br />

Laeiszhalle, Johannes-Brahms-Platz,<br />

Sa, 12.12., 20 Uhr, 41,40/19,50 Euro<br />

VORTRAG<br />

Heimat finden!<br />

Lesung mit Dörte Hansen<br />

Mit ihrem Debütroman „Altes Land“<br />

hat es Dörte Hansen auf Anhieb in die<br />

Bestsellerliste geschafft. Die Geschichte<br />

spielt in einer Elbkate, wo sich über Generationen<br />

hinweg Flüchtlingsschicksale<br />

kreuzten: Die ostpreußische Adlige<br />

Hildegard von Kamcke strandet hier<br />

nach ihrer Flucht im Zweiten Weltkrieg,<br />

Tochter Vera verkriecht sich auf dem<br />

Hof vor den Nachbarn. Veras Nichte<br />

Anne flieht später vor der hektischen<br />

Großstadt aufs Land. Nach der Lesung<br />

diskutiert die Autorin mit Gabriele<br />

Woidelko von der Körber-Stiftung. •<br />

Körber Forum, Kehrwieder 12, „Heimat<br />

finden“. Eine Veranstaltung der Reihe<br />

„Erinnerung schafft Zukunft“, Do, 3.12.,<br />

19 Uhr, Eintritt frei, Anmeldung erforderlich<br />

unter www.koerberforum.de<br />

AUSSTELLUNG<br />

Auch Rasierpinsel haben<br />

eine Geschichte: NO NAME<br />

DESIGN klärt auf.<br />

Liebeserklärung ans<br />

Alltagsdesign<br />

Der Schweizer Produktgestalter Franco<br />

Clivio sammelt Gebrauchsgegenstände.<br />

Seine rund 1000 Rasierpinsel, Untersetzer,<br />

Taschenmesser, Bälle und Schuhspanner<br />

umfassende Kollektion ist jetzt<br />

in der Ausstellung „No Name Design“<br />

zu sehen. Die Schau würdigt die vielen<br />

unbekannten Designer, die mit ihren<br />

raffinierten und funktionalen Dingen<br />

unseren Alltag prägen. Fotograf Hans<br />

Hansen hat die Objekte in 30 Vitrinen<br />

liebevoll geordnet. Er erzählt auch die<br />

Geschichte ihrer Entstehung. •<br />

Museum für Kunst und Gewerbe,<br />

Steintorplatz, Fr, 11.12.–3.4.2016,<br />

Di–So, 10–18 Uhr, Do bis 21 Uhr,<br />

Heiligabend und Silvester geschlossen,<br />

1.+2. Weihnachtsfeiertag 12–18 Uhr,<br />

10/7 Euro, bis 17 Jahre frei<br />

LESUNG<br />

Regina Scheer macht<br />

deutsche Geschichte lebendig<br />

Machandel ist ein fiktives Dorf in<br />

Mecklenburg-Vorpommern und bildet<br />

den Rahmen für Regina Scheers gleichnamigen<br />

Roman. Im Mittelpunkt steht<br />

Clara. Die junge Berlinerin reist 1985<br />

mit ihrem Bruder Jan nach Machandel.<br />

Jan will aus der DDR ausreisen und<br />

vorher noch einmal den Ort seiner<br />

Kindheit besuchen. Bei dieser Reise<br />

entdeckt Clara ein altes Sommerhaus.<br />

Sie mietet es, arbeitet dort an ihrer Dissertation,<br />

taucht ein in die eigene Familiengeschichte.<br />

Währenddessen bilden<br />

sich in Ostdeutschland erste Oppositionsgruppen.<br />

Zwischen Engagement in<br />

den Bürgerbewegungen und der Auseinandersetzung<br />

mit der eigenen Vergangenheit<br />

erlebt Clara den Untergang<br />

der DDR. Der Roman hat noch mehr<br />

interessante Charaktere zu bieten. Zum<br />

Beispiel Natalja, die im Zweiten Weltkrieg<br />

als sogenannte Ostarbeiterin in<br />

den kleinen Ort kam und blieb. Oder<br />

Hans, der damals aus dem KZ Sachsenhausen<br />

nach Machandel fliehen<br />

konnte und schließlich Parteifunktionär<br />

in Berlin wurde. Regina Scheer liest als<br />

Gast der Reihe „Literatur und Geschichte“<br />

aus ihrem beeindruckenden<br />

Wenderoman. Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Redakteur<br />

Frank Keil moderiert den Abend. •<br />

Galerie Morgenland, Sillemstraße 79,<br />

Mi, 2.12., 19.30 Uhr, 3 Euro<br />

52


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

FOTOS: HANS HANSEN, SVEN SINDT; COLLAGEN: GRAFIKDEERNS<br />

MUSIK<br />

Rock statt Rente: Eveline Hall<br />

stellt Debütalbum vor<br />

Eveline Hall war Solotänzerin an der<br />

Hamburger Staatsoper und Showgirl in<br />

Las Vegas. Seit ein paar Jahren macht<br />

die nun 70-Jährige auch als Model<br />

Karriere. Jetzt startet die eindrucksvolle<br />

Künstlerin als Musikerin durch: Im<br />

Sommer veröffentlichte Eveline Hall<br />

ihr erstes Album. „Just a Name“ enthält<br />

eigene Stücke, aber auch einige Coverversionen.<br />

Leise Töne sind ihre Sache<br />

nicht: Mit kraftvoller Stimme singt sie<br />

überwiegend Rock-Songs, düstere<br />

Balladen und groovende Tanznummern.<br />

An den Ruhestand denkt Eveline Hall<br />

noch lange nicht: „Ich agiere wie eine<br />

30-Jährige. Außer meiner Krankenkasse<br />

interessiert mein Alter niemanden.“ •<br />

Stage Club, Stresemannstraße 163,<br />

Mo, 7.12., 20 Uhr, 23,70 Euro<br />

KINDER<br />

Nachts im Museum<br />

Wenn die Museumsbesucher weg sind,<br />

geht die Taschenlampenführung los.<br />

Kinder ab acht Jahren können mit der<br />

Ethnologin Claudia Chávez im Dunkeln<br />

auf Entdeckung gehen. Bitte eine<br />

eigene Taschenlampe mitbringen! •<br />

Museum für Völkerkunde, Rothen baumchaussee<br />

64, Fr, 4.12., 20.30 Uhr,<br />

10/7/4 Euro (8–17 Jahre)<br />

AUSSTELLUNG<br />

Der Handel auf den Meeren<br />

und wie ihn Künstler sehen<br />

16 Künstler haben sich für die Ausstellung<br />

„Streamlines“ mit Seehandel,<br />

Warenströmen, Hafen und Flucht auseinanderzusetzen<br />

– darunter documenta-<br />

Teilnehmer wie Ulrike Ottinger<br />

und Alfredo Jaar. Entstanden sind<br />

spannende Videoarbeiten, Skulpturen<br />

und Multimedia-Installationen. •<br />

Deichtorhallen, Deichtorstraße 1, 4.12.–<br />

13.3.2016, Di–So, 11–18 Uhr, erster<br />

Donnerstag im Monat bis 21 Uhr, Heiligabend<br />

und Silvester geschlossen, 1.+2.<br />

Weihnachtsfeiertag 11–18 Uhr, Neujahr<br />

13–18 Uhr, 10/6 Euro, bis 17 Jahre frei<br />

KINO<br />

Wasser auf Chiles Mühlen<br />

Es gibt Filme, die bewegen sich so langsam,<br />

dass man das Gefühl hat, man<br />

schwebe in einer Blase aus Langeweile<br />

rückwärts durch die Zeit. Gedehnte<br />

Kamerafahrten über schöne Landschaften,<br />

dazu Musik, als hätte man<br />

versehentlich eine Single auf Langspielplattentempo<br />

abgespielt. Auch wenn<br />

diesen Vergleich möglicherweise nur<br />

noch die Hälfte der Leser verstehen<br />

mag – ich denke, das Bild ist klar:<br />

Anspruchsvoller Doku-Kram von<br />

ambitionierten Filmemachern. Ohne<br />

kommerzielle Hintergedanken. Für ein<br />

paar Tausend Zuschauer. Mit klarer<br />

Botschaft. Solchen Filmen gehen die<br />

meisten Menschen aus dem Weg. Ich<br />

auch. Nur in der Vorweihnachtszeit<br />

nicht. Denn der tut Entschleunigung<br />

mal ganz gut. Und dazu geht es in<br />

ein Programmkino meiner Wahl.<br />

Und los geht’s mit dem Film „Der Perlmuttknopf“,<br />

einem poetischen Filmessay<br />

über die Ozeane als Spiegel der<br />

Weltgeschichte, gar der gesamten<br />

Geschichte des Universums. Das ist<br />

zunächst harter Tobak, am Ende jedoch<br />

alles andere als schwere Kost. Denn der<br />

chilenische Regisseur Patricio Guzmán<br />

beschreibt die Geheimnisse des Wassers<br />

derart bildverliebt und leicht verschroben,<br />

dass man sich nicht sattsehen mag.<br />

Und dabei erfährt der Zuschauer fast<br />

nebenbei die unterschiedlichen Philosophien<br />

über das Wasser als Lebenslieferant<br />

und Speichermedium der<br />

Geschichte. So findet man an der Küste<br />

Chiles, dem größten Archipel der Erde,<br />

zahlreiche Perlmuttknöpfe aus den<br />

letzten Jahrhunderten – englische Seeleute<br />

trugen diese an ihren Hemden.<br />

Ureinwohner von Patagonien, politische<br />

Gefangene – Guzmán haucht ihren<br />

längst verschollenen Geheimnissen<br />

und damit auch der brutalen Historie<br />

Chiles neues Leben ein. Dafür gab es<br />

auf der Berlinale <strong>2015</strong> den Silbernen<br />

Bären für das beste Drehbuch. Schön.<br />

Langsam. Und so tief wie der Meeresgrund<br />

zwischen den Kontinenten.<br />

Etwas Spannendes kann ich schließlich<br />

immer noch zwischen den Feiertagen<br />

schauen. ASCHMI<br />

•<br />

Neu im Kino ab Do, 10.12.<br />

BÜHNE<br />

„Raumstation Sehnsucht“ von<br />

Comic-Zeichner Ralf König<br />

Comic-Zeichner Ralf König schickt mit<br />

„Raumstation Sehnsucht“ endlich<br />

wieder das legendäre schwule Paar<br />

Konrad & Paul los. Paul schreibt einen<br />

Zukunftsroman, in dem alle Männer<br />

Erektionsprobleme haben, also wird<br />

Testosteron auf dem Mars abgebaut. Als<br />

Paul seine schwangere Schwester besucht,<br />

gibt’s auch noch Familienstress. •<br />

Schmidt Theater, Spielbudenplatz 24,<br />

Mo, 7.12., 20 Uhr, 18,50/27,30 Euro<br />

FILM<br />

Bei ihrer Musik haben die<br />

Jungs von MAYBEBOP<br />

einen besseren Geschmack<br />

als bei ihren Hosen.<br />

Respekt beim inklusiven<br />

Kurzfilmfestival „Klappe auf“<br />

Dokumentar-, Animations- und Spielfilmen,<br />

sowie Musikvideos – alles<br />

läuft beim inklusiven Kurzfilmfestival<br />

„Klappe auf“. Zu sehen sind die Geschichten<br />

eines ehemaligen Hooligans,<br />

einer Entwicklungshelferin in Afghanistan<br />

sowie ein Trickfilm über die<br />

Pubertät und ein Mockumentary über<br />

den Irakkrieg. Ausgerichtet wurde das<br />

Festival von behinderten und nichtbehinderten<br />

Menschen gemeinsam. •<br />

Klappe auf, 4.–6.12., Programm unter<br />

www.klappe-auf.com<br />

53


<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>274</strong>/ DEZEMBER <strong>2015</strong><br />

Tipps ( 2)<br />

(2)<br />

VORTRAG<br />

Thomas Kraupe erzählt die Geschichte<br />

des Weihnachtsst erns<br />

16. bis 31. <strong>Dezember</strong> <strong>2015</strong><br />

Da das Planetarium noch bis Ende<br />

2016 umgebaut wird, ist Direktor<br />

Thomas W. Kraupe quasi heimatlos.<br />

Astronomiefans müssen dennoch nicht<br />

auf Vorträge verzichten, denn der<br />

Wissenschaftler geht einfach an anderen<br />

Orten auf kosmische Spurensuche.<br />

„Das Sternenrätsel von Bethlehem“<br />

ergründet Kraupe in St. Jacobi. Gab<br />

es zur Zeit der Geburt Christi wirklich<br />

eine Himmelserscheinung, der die<br />

Weisen aus dem Morgenland folgten?<br />

Der Physiker nimmt sein Publikum mit<br />

auf eine ungewöhnliche Reise in die<br />

Vergangenheit. •<br />

Hauptkirche St. Jacobi, Jakobikirchhof 22,<br />

Fr, 18.12., 17 Uhr, Eintritt frei,<br />

Spenden erbeten<br />

LESUNG<br />

Lobgesang auf Udo Jürgens<br />

Viele Menschen trauerten, als im<br />

<strong>Dezember</strong> letzten Jahres Udo Jürgens<br />

starb. Autor Andreas Maier nahm seine<br />

eigenen Gefühle zum Anlass, um ein<br />

Jahr lang alle zwei Wochen regelmäßig<br />

die Kolumne „Mein Jahr ohne Udo<br />

Jürgens“ zu schreiben. Seine Auseinandersetzung<br />

mit dem Musiker erscheint<br />

nun als Buch. Andreas Maier liest<br />

ausgewählte Stellen und spricht mit<br />

Literaturhaus-Chef Rainer Moritz<br />

über den Künstler. Außerdem spielen<br />

die beiden Jürgens-Fans bekannte und<br />

weniger bekannte Songs. •<br />

Literaturhaus, Schwanenwik 38,<br />

„Der große Udo-Jürgens-Abend“,<br />

Mi, 16.12., 19.30 Uhr, 10/6 Euro<br />

BÜHNE<br />

Angela W. Röders<br />

spielt die Holocaust-<br />

Überlebende<br />

„ROSE“: Für die der<br />

Schrecken nicht endet.<br />

Stand-up Comedy mit Jens Ohle<br />

Jens Ohle liebt den Kontakt zum Publikum.<br />

Kein Abend, ohne dass der<br />

Artistik- und Comedykünstler mit dem<br />

Publikum plaudert oder Gäste auf<br />

die Bühne bittet. In seinem aktuellen<br />

Programm „Junge Frau zum Mitreisen<br />

gesucht“ sucht er logischerweise eine<br />

Assistentin. Aber auch die Männer im<br />

Publikum verwickelt er in witzige<br />

Aktionen. Dem Publikum gefällt Ohles<br />

freche Art, aber auch seine Artistik mit<br />

Leiter, Einrad und Motorsäge kommt<br />

stets gut an. •<br />

Ella Kulturhaus, Käkenflur 30,<br />

Do, 17.12., 20 Uhr, 5 Euro<br />

54<br />

BÜHNE<br />

„Dinner vor One“ – Geheimnisse<br />

um Miss Sophie und James<br />

Warum ist der Silvester-Klassiker<br />

„Dinner for one“ eigentlich so ein<br />

Erfolg? Wie sind die vier abwesenden<br />

Herren im Sketch eigentlich ums<br />

Leben gekommen? Und wer tötete<br />

den Tiger? Kuriose Fragen wie diese<br />

beschäftigen Michael Friederici schon<br />

lange. Als Gastgeber der „Schwarzen<br />

Hafen-Nächte“ in der Speicherstadt<br />

lädt er in jedem Jahr kurz vor der unvermeidlichen<br />

Fernsehausstrahlung am<br />

Silvesterabend Gäste aus Kultur und<br />

Wissenschaft ein, um unterhaltsam den<br />

„Dinner-for-One“-Kult zu erforschen<br />

– so ähnlich wie die Donaldisten sich<br />

in Entenhausen umsehen. In diesem<br />

Jahr geht er mit Unterstützung des<br />

Schauspielers Wilfried Dziallas einer<br />

besonders kniffeligen Frage nach:<br />

Wie haben sich Miss Sophie und ihr<br />

Butler James eigentlich kennengelernt?<br />

Selbstverständlich sind die beiden<br />

„Forscher“ dem Anlass entsprechend<br />

gekleidet – und freuen sich über ein<br />

ebenso festlich gestyltes Publikum. •<br />

Speicherstadt-Kaffeerösterei,<br />

Kehrwieder 5, „Miss Sophie oder:<br />

Wer hat den Tiger umgebracht?“,<br />

Di, 29.12., 20 Uhr, 7 Euro<br />

FOTOS: MARIANNE HAUTTMANN, DOMINIK BECKMANN, PRESSEFOTO; COLLAGEN: GRAFIKDEERNS


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />

BÜHNE<br />

Bewegende Erinnerungen<br />

im Theaterstück „Rose“<br />

Rose ist einzige Überlebende in ihrer<br />

Familie. Sie hat den Krieg überlebt,<br />

das Warschauer Ghetto, den Tod ihres<br />

ersten Kindes und die Flucht nach<br />

Palästina und in die USA. Sie heiratet<br />

einen Matrosen; hofft, Ruhe finden zu<br />

können. Doch nun beginnt ihr Kampf<br />

mit einer Welt, in der selbst ihre Familie<br />

kein Verständnis für die Erfahrungen<br />

hat, die Rose bedrücken. Angela W. Röders<br />

glänzt in dem bewegenden Solo-<br />

Stück „Rose“ von Martin Sherman.<br />

•<br />

Monsun Theater, Friedensallee 20,<br />

16.–19.12., 20 Uhr, 15,90/13,40 Euro<br />

MUSIK<br />

Das barockt: Pop mit Laing<br />

Bekannt wurden „Laing“ 2012 durch<br />

eine Elektro-Version des alten Trude-<br />

Herr-Schlagers „Morgens bin ich immer<br />

müde“. Seitdem hat das Berliner<br />

Frauen-Quartett um Nicola Rost durch<br />

ihren frischen Pop viele Fans gewonnen.<br />

Die Musikerinnen überzeugen durch<br />

Witz, Schnoddrigkeit und Poesie.<br />

Das Motto ihrer Weihnachtsbühnenfeier:<br />

Barock. Die Damen werden mit<br />

weißen Lockenperücken und langen<br />

Kleidern erscheinen. Wenn sich auch<br />

das Publikum aufbrezelt – umso besser.<br />

Nach dem Konzert hängen „Laing“<br />

noch ein Dj-Set dran. •<br />

Knust, Neuer Kamp 30, So, 20.12.,<br />

20 Uhr, 22 Euro<br />

LAING: Elektroklänge<br />

plus<br />

Barockperücken.<br />

MUSIK<br />

Konzertabend zwischen<br />

Kästner und Karibik<br />

Die Puerto Ricanerin Judith Tellado<br />

kam vor acht Jahren der Liebe wegen<br />

nach Hamburg. Seitdem hat sie sich<br />

der Musik und der Malerei verschrieben<br />

und schon mehrere Alben veröffentlicht.<br />

Auf Deutsch, Englisch,<br />

Spanisch oder Portugiesisch besingt die<br />

Künstlerin das Großstadt-Leben vor<br />

ihrer Haustür in St. Pauli. Musikalisch<br />

bewegt sich die Sängerin zwischen<br />

Jazz, Salsa, Blues, Country und Soul.<br />

Als zweite Band steht „Vertiko“<br />

auf der Bühne. Das Jazz-Trio hat<br />

Erich-Kästner-Gedichte vertont. •<br />

Nochtspeicher, Bernhard-Nocht-Straße 69,<br />

Mi, 16.12., 20 Uhr, 17 Euro<br />

BÜHNE<br />

Kämpfen gegen das Vergessen<br />

Der ehemalige Antarktisforscher Werner<br />

lebt allein. Seine Ehe ist gescheitert,<br />

er ist geistig und körperlich verfallen.<br />

Tochter Ina pflegt ihn, stößt dabei aber<br />

an ihre Grenzen. Ina hat eigene Probleme:<br />

Sie nimmt an dem Onlineprojekt<br />

„Daytrack“ teil, das alle ihre Aktivitäten<br />

sammelt, kommentiert und optimiert.<br />

Ihr Onlinefreund Jens ist durch den<br />

Dokumentationswahn des Programms<br />

zu einer rein sinnlichen Lebenserfahrung<br />

bereits nicht mehr fähig.<br />

„Antarktis“ ist ein Drama über<br />

Demenz, die Angst vor der Auflösung<br />

des eigenen Ich und die Archivierung<br />

von Erinnerungen. Das Stück ist eine<br />

Eigenproduktion in der Reihe „Wortgefechte“<br />

des Sprechwerks.<br />

„Wir wollen uns<br />

mit gesellschaftspolitisch<br />

relevanten Standpunkten<br />

beschäftigen<br />

und dialogstarke<br />

Stücke auf die Bühne<br />

bringen“, so Konstanze<br />

Ullmer, die Leiterin<br />

des engagierten<br />

Theaters. •<br />

Sprechwerk, Klaus-Groth-<br />

Straße 23,<br />

Fr, 18.12., 20 Uhr,<br />

19/12,50 Euro<br />

55<br />

BÜHNE<br />

Neo-Soul made in Germany<br />

mit Rhonda<br />

Freunde richtig guten Retro-Souls sind<br />

bei „Rhonda“ richtig. Das norddeutsche<br />

Quintett erweckt Amy Winehouse,<br />

Booker T. & The M.G.’s und den<br />

Motown-Sound der 60er- und 70er-<br />

Jahre gekonnt zum Leben. Im Mittelpunkt<br />

steht die facettenreiche Stimme<br />

von Sängerin Milo Milone, die perfekt<br />

zu den mal fröhlichen, mal melancholischen<br />

Songs der Band passt. •<br />

Mojo Club, Reeperbahn 1,<br />

Sa, 19.12., 20 Uhr, 20,50 Euro<br />

MUSIK<br />

„Vielen Dank für die<br />

Blumen“: Im Literaturhaus<br />

wird UDO JÜRGENS<br />

heftig gefeiert.<br />

Schubert in der Mittagspause<br />

Die 1823 erfundene „Arpeggione“<br />

wurde seinerzeit auch „Bogen-Gitarre“,<br />

„Guitarre-Violoncell“ oder „Guitarre<br />

d’amour“ genannt. Wahrscheinlich wäre<br />

die ungewöhnliche Mischung aus Cello<br />

und Gitarre längst vergessen, hätte nicht<br />

Franz Schubert eine Sonate für sie komponiert.<br />

Die Arpeggione hat nicht überlebt,<br />

aber Cellisten freuen sich bis heute,<br />

dass Schuberts Stück ihr Repertoire<br />

bereichert. Johannes Krebs (Violoncello)<br />

und Franck-Thomas Link spielen das<br />

Stück bei den kostenlosen Lunch<br />

konzerten des Kammerkunstvereins. •<br />

Handelskammer Hamburg, Adolphsplatz 1,<br />

Do, 17.12., 12.30 Uhr, Eintritt frei


JÜRGEN JOBSEN<br />

Kochen hat Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />

Vertriebsmitarbeiter<br />

Jürgen Jobsen schon früh<br />

zu Hause gelernt. Einer<br />

seiner ersten Versuche:<br />

„Kartoffelsalat wie bei<br />

meiner Mutter!“ Heute mag<br />

er es lieber mediterran mit<br />

viel Gemüse: „Paprika und<br />

Buschbohnen sind toll.“<br />

Seine Spezialität sind<br />

Pilze, selbst gesammelt:<br />

„Ich bin gern in der Natur.“<br />

Bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> wird<br />

übrigens regelmäßig<br />

gekocht, jeden Monat,<br />

wenn das neue Heft<br />

erscheint, und immer von<br />

anderen Hinz&Künztlern.<br />

Vichyssoise<br />

a la Jürgen<br />

50 g Butter<br />

2 Stangen Lauch<br />

650 g Kartoffeln<br />

1 getrocknete Chilischote<br />

2 Zehen Knoblauch<br />

300 ml Sahne<br />

750 ml<br />

..<br />

kraftige Fleischbrühe<br />

Saft von einer<br />

halben Zitrone<br />

Salz, Pfeffer<br />

Ein Klassiker<br />

heizt ein<br />

Jürgen liebt das feine französische Kartoffel-Lauch-Süppchen<br />

heiß aus dem Topf und feurig gewürzt.<br />

TEXT: JONAS FÜLLNER; FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

SO WIRD ES FÜR VIER PERSONEN GEKOCHT:<br />

1. Kartoffeln schälen und würfeln. Lauch putzen und in halbe Ringe schneiden.<br />

Im Original wird nur das Weiße des Lauchs verwendet, damit die Suppe schön<br />

weiß bleibt. Jürgen verwendet die ganze Stange, denn ihm ist die Farbe nicht so<br />

wichtig, und im Grün steckt viel Geschmack.<br />

2. Butter in einem Topf zerlassen. Lauchringe darin weich dünsten, aber nicht<br />

braun werden lassen. Knoblauch und Chili fein hacken und eine Minute mitdünsten.<br />

3. Mit der Brühe ablöschen und Kartoffelwürfel hinzugeben. Kurz aufkochen und<br />

dann bei geringer Hitze 30 Minuten köcheln lassen.<br />

4. Mit einem Pürierstab durchmixen. Im Original wird die Suppe sogar passiert,<br />

Jürgen mag es, wenn sie nicht zu fein ist.<br />

5. Sahne hinzugeben. Mit Zitronensaft, Salz und Pfeffer abschmecken und noch<br />

einmal kurz aufkochen. Zum Servieren mit Röllchen vom Lauch bestreuen.<br />

Getestet von MAMPF: www.mampf-hh.de<br />

56


WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />

Rätsel<br />

ILLUSTRATION (BLEISTIFT): BERND MÖLCK-TASSEL<br />

Rache,<br />

Revanche<br />

englischer<br />

Graf<br />

Redekünstler<br />

Schreibweise<br />

durchsichtiges<br />

Gewebe<br />

Inbesitznahme<br />

österreichisch:<br />

Februar<br />

Tierpfote,<br />

Pranke<br />

Fenstervorhang<br />

griechische<br />

Vorsilbe:<br />

neu...<br />

ostasiatischer<br />

Zierbaum<br />

amerik.<br />

Wort der<br />

Zustimmung<br />

gewissermaßen,<br />

sozusagen<br />

Ritter<br />

der<br />

Artusrunde<br />

Gymnasialklasse<br />

(veraltet)<br />

Spion<br />

5<br />

8<br />

1<br />

englisch:<br />

Verabredung<br />

lateinisch:<br />

Wasser<br />

7<br />

1<br />

2<br />

2<br />

2<br />

4<br />

2<br />

7<br />

Kapitän Empfangsbüro<br />

im<br />

bei „Moby<br />

Hotelfoyer<br />

Dick“<br />

3<br />

1<br />

7<br />

6<br />

4<br />

4<br />

5<br />

8<br />

2<br />

7<br />

4<br />

1<br />

Untier,<br />

Unmensch<br />

eine der<br />

Chariten<br />

Sitzpolster<br />

2<br />

3<br />

1<br />

kurbeln<br />

5<br />

3<br />

7<br />

6<br />

4<br />

Hülsenfrucht<br />

Elternteil<br />

(Statistik)<br />

besond.<br />

Ereignis<br />

(engl.)<br />

sehr<br />

leichte<br />

Holzart<br />

dünne<br />

Schicht,<br />

die etwas<br />

überzieht<br />

Hochsprunggerät<br />

Viehhüter<br />

6<br />

4<br />

3<br />

9<br />

einfarbig<br />

lateinisch:<br />

ich<br />

Füllen Sie das Gitter so<br />

aus, dass die Zahlen von<br />

1 bis 9 nur je einmal in jeder<br />

Reihe, in jeder Spalte und<br />

in jedem Neun-Kästchen-Block<br />

vorkommen.<br />

Als Lösung schicken Sie<br />

uns bitte die unterste, farbig<br />

gerahmte Zahlenreihe.<br />

Lösungen an: Hinz&<strong>Kunzt</strong>, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />

per Fax an 040 30 39 96 38 oder per E-Mail an info@hinzundkunzt.de.<br />

Einsendeschluss: 29. <strong>Dezember</strong> <strong>2015</strong>. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.<br />

Wer die korrekte Lösung für eines der beiden Rätsel einsendet, kann<br />

zwei Karten für die Hamburger Kunsthalle oder eines von drei Büchern<br />

„Kommt der Mindestlohn überall an?“ von Stefan Körzell/Claudia Falk<br />

(VSA Verlag) gewinnen. Das Lösungswort beim Kreuzworträtsel war:<br />

Windmuehle. Die Sudoku-Zahlenreihe war: 968 357 241<br />

9<br />

9<br />

6<br />

7<br />

auf dem<br />

Wege<br />

über<br />

(latein.)<br />

Altweltechse<br />

8<br />

5<br />

4<br />

Krankentransportgerät<br />

Aufsehen,<br />

Knall,<br />

Skandal<br />

englisch:<br />

Osten<br />

Cocktail<br />

aus Cassis<br />

und<br />

Weißwein<br />

9<br />

8<br />

Ort auf<br />

der Insel<br />

Ameland<br />

Inschrift<br />

am<br />

Kreuze<br />

Jesu<br />

Hauptstadt<br />

von<br />

Niederbayern<br />

6<br />

10<br />

10<br />

linker<br />

Nebenfluss<br />

der Donau<br />

(Bayern)<br />

asiatischer<br />

Grunzochse<br />

AR1115-0215_5<br />

57<br />

Impressum<br />

Redaktion und Verlag<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH<br />

Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg<br />

Tel. 040 32 10 83 11, Fax 040 30 39 96 38<br />

Anzeigenleitung Tel. 040 32 10 84 01<br />

E-Mail info@hinzundkunzt.de<br />

www.hinzundkunzt.de<br />

Herausgeber<br />

Landespastor Dirk Ahrens,<br />

Diakonisches Werk Hamburg<br />

Externer Beirat<br />

Prof. Dr. Harald Ansen (Armutsexperte HAW-Hamburg),<br />

Mathias Bach (Kaufmann), Rüdiger Knott (ehem. NDR 90,3-Programmchef),<br />

Olaf Köhnke (Ringdrei Media Network),<br />

Thomas Magold (BMW-Niederlassungsleiter i.R.),<br />

Beate Behn (Lawaetz-Service GmbH), Karin Schmalriede (Lawaetz-Stiftung),<br />

Dr. Bernd-Georg Spies (Russell Reynolds),<br />

Alexander Unverzagt (Medienanwalt), Oliver Wurm (Medienberater)<br />

Geschäftsführung Dr. Jens Ade<br />

Redaktion Birgit Müller (v.i.S.d.P.),<br />

Frank Keil (CvD, Stellv.), Annette Woywode<br />

Mitarbeit Sybille Arendt, Jonas Füllner,<br />

Ulrich Jonas, Misha Leuschen, Uta Sternsdorff, Kerstin Weber,<br />

Kim Bösch (Grafik-Mitarbeiterin)<br />

Redaktionsassistenz Sonja Conrad,<br />

Dina Fedossova<br />

Online-Redaktion Simone Deckner, Jonas Füllner<br />

Artdirektion grafikdeerns.de<br />

Öffentlichkeitsarbeit Isabel Schwartau, Friederike Steiffert<br />

Anzeigenleitung Isabel Schwartau<br />

Anzeigenvertretung Christoph Wahring,<br />

Wahring & Company, Tel. 040 284 09 40, info@wahring.de<br />

Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 20 vom 1. Januar <strong>2015</strong><br />

Vertrieb Marcus Chomse, Jonas Göbel, Christian Hagen (Leitung),<br />

Sigi Pachan, Jürgen Jobsen, Meike Lehmann, Sergej Machov, Frank Nawatzki,<br />

Sven Schadofske, Cristina Stanculescu, Marcel Stein,<br />

Cornelia Tanase, Silvia Zahn<br />

Rechnungswesen/Systemadministration Frank Belchhaus<br />

Spendenmarketing Gabriele Koch<br />

Spendenverwaltung Susanne Wehde<br />

Sozialarbeit Ana-Maria Ilisiu, Stephan Karrenbauer, Isabel Kohler<br />

Litho PX2@ Medien GmbH & Co. KG<br />

Produktion Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />

Druck A. Beig Druckerei und Verlag GmbH & Co.KG<br />

Umschlag-Druck Neef+Stumme premium printing GmbH & Co. KG<br />

Verarbeitung Delle und Söhne, Buchbinderei<br />

und Papierverarbeitungsgesellschaft mbH<br />

Spendenkonto Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

IBAN: DE56 200505501280167873<br />

BIC: HASPDEHHXXX<br />

Die Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH mit Sitz in Hamburg ist durch den aktuellen<br />

Freistellungsbescheid des Finanzamts Hamburg-Nord, Steuernummer<br />

17/414/00797, vom 15.11.2013 nach §5 Abs.1 Nr. 9<br />

des Körperschaftssteuergesetzes von der Körperschaftssteuer und nach<br />

§3 Nr. 6 des Gewerbesteuergesetzes von der Gewerbesteuer befreit.<br />

Geldspenden sind steuerlich nach §10 EStG abzugsfähig. Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist als<br />

gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH im Handelsregister<br />

beim Amtsgericht Hamburg HRB 59669 eingetragen. Wir bestätigen,<br />

dass wir Spenden nur für die Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong> einsetzen.<br />

Adressen werden nur intern verwendet und nicht an Dritte weitergegeben.<br />

Beachten Sie unsere Datenschutzerklärung, abrufbar auf www.hinzundkunzt.de.<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist ein unabhängiges soziales Projekt, das obdachlosen und<br />

ehemals obdachlosen Menschen Hilfe zur Selbsthilfe bietet.<br />

Das Magazin wird von Journalisten geschrieben, Wohnungslose und<br />

ehemals Wohnungslose verkaufen es auf der Straße. Sozialarbeiter<br />

unterstützen die Verkäufer.<br />

Das Projekt versteht sich als Lobby für Arme.<br />

Gesellschafter<br />

Durchschnittliche monatliche<br />

Druckauflage 4. Quartal <strong>2015</strong>:<br />

93.000 Exemplare


Momentaufnahme<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>274</strong>/ DEZEMBER <strong>2015</strong><br />

Anke muss den<br />

Winter nicht mehr<br />

fürchten. Sie hat<br />

einen Platz im<br />

CONTAINER<br />

ergattert.<br />

Die Kämpferin<br />

Anke, 46, verkauft Hinz&<strong>Kunzt</strong> in der Innenstadt.<br />

TEXT: ULRICH JONAS<br />

FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />

Das Winternotprogramm ist Ankes Rettung.<br />

Seit Kurzem hat sie endlich wieder<br />

ein Dach über dem Kopf. Ein kleines<br />

zwar, aber immerhin. Die 46-Jährige<br />

und ihr Freund haben einen der begehrten<br />

Container ergattert, die Kirchengemeinden<br />

im Winter auf ihr Gelände<br />

stellen, um Obdachlose vor dem Erfrieren<br />

zu schützen. Anke ist glücklich. Sie<br />

sagt: „Endlich können wir mal ungestört<br />

schlafen. Und duschen!“<br />

Die Wochen zuvor hat Anke mit ihrem<br />

Freund in einem Park im Zelt geschlafen.<br />

Kalt war es da und nass. So et-<br />

was ist schon für gesunde Menschen<br />

schlimm, für die Hinz&Künztlerin aber<br />

war es die Hölle. Denn Anke ist krank.<br />

Vor einem Jahr musste sie sich eine<br />

Spenderniere einsetzen lassen. „Ich hatte<br />

eine Schrumpfniere, eines Tages sagte<br />

der Arzt: ,So geht es nicht weiter!‘“<br />

Die Operation verlief gut, ihr Körper<br />

hat das fremde Organ angenommen.<br />

Doch Anke muss aufpassen. Im<br />

Oktober bekommt sie eine Nierenbeckenentzündung,<br />

vermutlich Folge des<br />

Lebens auf der Straße. Die Mobile Hilfe<br />

für Obdachlose gibt ihr ein Antibiotikum<br />

und starke Schmerzmittel. „Ohne<br />

die würde ich die Decke hochgehen“,<br />

sagt Anke. Doch auf Dauer ist das keine<br />

Lösung. „Ich muss ins Warme“, weiß<br />

die Hinz&Künztlerin – und kann nun<br />

erst mal durchatmen.<br />

„Ich bin eine Kämpferin. Ich bin<br />

schon so oft wieder aufgestanden“, sagt<br />

Anke. Die gebürtige Mainzerin verliert<br />

früh ihre Eltern. Die Mutter stirbt, als<br />

sie drei ist. Der Vater will sich nicht<br />

kümmern. Anke wächst bei den Großeltern<br />

auf. Es ist eine gute Zeit, trotz allem:<br />

„Ich war Omas Liebling.“ Als sie<br />

16 ist, stirbt die Großmutter, ein Jahr<br />

später auch der Großvater. Anke landet<br />

das erste Mal auf der Straße. „Dann habe<br />

ich mir aber bald einen Arschtritt gegeben“,<br />

erzählt sie.<br />

Anke bringt es bis zur Goldschmiedemeisterin.<br />

Sie eröffnet ein kleines Geschäft<br />

– und steht bald vor einem Schuldenberg.<br />

„Ich war zu gutmütig“, sagt<br />

Anke rückblickend. Immer wieder habe<br />

sie für Freundinnen und Bekannte<br />

Schmuckstücke gefertigt, sich dafür aber<br />

viel zu schlecht bezahlen lassen.<br />

„Und dann war da noch der liebe<br />

Alkohol“, sagt Anke. 21 ist sie da. Es<br />

fängt harmlos an, „abends mal ein Bierchen<br />

vorm Partymachen“. Bald merkt<br />

sie, dass sie das Bier schon morgens<br />

braucht. In ihren schlechtesten Zeiten<br />

trinkt sie drei Flaschen Korn pro Tag.<br />

Vieles geht in der Folge schief. Anke<br />

bekommt ein Kind, doch die Beziehung<br />

zum Vater zerbricht schnell und die<br />

Tochter lebt heute in einer Pflegefamilie.<br />

Immer wieder verliert Anke ihre<br />

Wohnung. Und nachdem sie einen<br />

Mann krankenhausreif schlägt, muss sie<br />

dreieinhalb Jahre ins Gefängnis.<br />

Eine Bauchspeicheldrüsenentzündung<br />

bringt die Wende. Sechs Wochen<br />

liegt sie im Krankenhaus, „mit Entgiftung“.<br />

Um Schnaps macht sie seitdem<br />

einen Bogen. Und auf die zwei bis drei<br />

Dosen Bier, die sie täglich trinkt, will sie<br />

bald verzichten: „Das kriege ich noch<br />

hin. So kann es nicht weitergehen.“ •<br />

A. Beig<br />

Druckerei und Verlag<br />

GmbH & Co. KG<br />

Damm 9-19, 25421 Pinneberg<br />

Tel. 0 41 01/5 35-0<br />

Wir sorgen für den nötigen Druck!<br />

In unserer modernen und leistungsstarken Druckerei in Pinneberg<br />

produzieren wir neben unseren eigenen Publikationen auch zahlreiche<br />

Fremdaufträge. Wir stellen jährlich so ca. 90 Mio. Zeitungen her<br />

und verarbeiten über 350 Mio. Beilagen.<br />

www.a-beig.de


KUNZT-<br />

KOLLEKTION<br />

BESTELLEN SIE DIESE UND WEITERE PRODUKTE BEI: Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH,<br />

www.hinzundkunzt.de/shop, shop@hinzundkunzt.de, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />

Tel. 32 10 83 11. Preise zzgl. Versandkostenpauschale von 2,50 Euro bis 4 Euro,<br />

Ausland auf Anfrage. Versand ab 100 Euro Warenwert kostenlos.<br />

4.<br />

1.<br />

1. Bio-Schwarztee-Mischung<br />

Aromatisiert mit Kakao und Vanillegeschmack.<br />

Zutaten: Schwarzer Tee*, Kakaoschalen*, Zimt*,<br />

Orangenschalen*, *aus kontrolliert biologischem<br />

Anbau (k. b. A.). 100 g, Nachfülldose,<br />

Preis: 7,50 Euro<br />

Bio-Rotbuschtee<br />

Mit Kakao-Orange aromatisiert. Zutaten:<br />

Rotbuschtee*, Kakaoschalen*, Zimt*,<br />

Orangenschalen*, *k. b. A., 75 g,<br />

Nachfülldose, Preis: 7,50 Euro<br />

Beide Sorten: In Kooperation mit dem<br />

Chocoladenmuseum Chocoversum.<br />

Hersteller: Dethlefsen&Balk<br />

1.<br />

2. 3.<br />

5.<br />

2.<br />

3.<br />

2. Weihnachtspostkarten „Danya“<br />

5 Klappkarten mit Umschlag,<br />

Innenseiten blanko, Preis: 6 Euro<br />

3. „Gegens Abstempeln“<br />

10 selbstklebende 62-Cent-Briefmarken<br />

mit Porträts von Hinz&Künztlern im A5-Heftchen.<br />

Konzeption: Agentur Lukas Lindemann Rosinski,<br />

Preis: 11 Euro<br />

4. „Hamburg Hommage“ Klappkarten<br />

5 verschiedene Motive mit Umschlag,<br />

DIN A6, Fotograf Mauricio Bustamante<br />

Preis: 8 Euro<br />

5. „Hamburg Hommage“ Print<br />

Format 40 x 40 x 2,5 cm, fotokaschiert auf<br />

MDF-Platte, mit Bienenwachs versiegelt, einzeln<br />

angefertigter Rahmen aus Palettenholz<br />

5 verschiedene Motive:<br />

1. #118 / 2. #058 / 3. #153 / 4. #095 / 5. #117<br />

Preis: 99 Euro<br />

6. „Hamburg zeigt Herz“-Becher<br />

Porzellanbecher mit Silikondeckel, in<br />

Deutschland gefertigt. Idee und Design von einer<br />

Auszubildendengruppe der Firma OTTO.<br />

Preis: 8,50 Euro<br />

7. „Ein mittelschönes Leben“<br />

Eine Geschichte für Kinder über Obdachlosigkeit<br />

von<br />

Kirsten Boie, illustriert von Jutta Bauer.<br />

Preis: 4,80 Euro<br />

4. 5.<br />

7.<br />

6.


Eine der wichtigsten<br />

Wärmequellen für Hamburg<br />

Am Guten soll man festhalten. So halten wir es auch mit unserem<br />

Einsatz für Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Seit April 2000 unterstützt E.ON Hanse das<br />

Hamburger Straßenmagazin. Und daran wird sich nichts ändern.<br />

Auch als HanseWerk werden wir unser Engagement fortsetzen. Mehr<br />

menschliche Wärme – eine der wichtigsten Energien für den Norden.<br />

Energielösungen für den Norden

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