zds#28
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DIE ZEITSCHRIFT<br />
DER STRASSE<br />
Das Bremer Straßenmagazin<br />
nr. 28 – JUNI 2015<br />
www.zeitschrift-der-strasse.de<br />
Preis: 2 Euro<br />
Davon 1 Euro für<br />
den verkäufer<br />
PLAN<br />
TAGE<br />
MEHR IST NICHT<br />
GENUG<br />
PLÖTZLICH<br />
GALERIST<br />
POSTKARTE VOM<br />
PLANTAGENHOF<br />
AUF INS<br />
PARADIES<br />
Ein Pastor, drei<br />
Gemeinden – und<br />
viel Stress<br />
Von einem, der ein<br />
Ende suchte und<br />
einen Anfang fand<br />
Auf Trophäenjagd:<br />
die Funker aus dem<br />
Rundfunkmuseum<br />
Unser Autor will weg<br />
aus der Plantage. Per<br />
Anhalter
EDITORIAL | 3<br />
Und wieder<br />
alles anders<br />
Liebe Leserinnen<br />
und Leser,<br />
es gibt Straßen in Bremen, die wirken, als hätten sie sich seit einem<br />
Jahrhundert nicht verändert. Und es gibt die Plantage in Findorff.<br />
Vor 265 Jahren als Sommersitz eines Superreichen entstanden, wurde<br />
die Plantage Ausflugslokal der gehobenen Gesellschaft, Heimat der<br />
Eisenbahner in kleinen Reihenhäusern, nüchternes Gewerbegebiet und<br />
zuletzt Zentrum der Bremer Medien- und Designszene. Die einzige Konstante<br />
in dieser Straße ist der Wandel.<br />
Von Veränderung handeln auch die Geschichten, die unsere Autoren<br />
aufgeschrieben haben: Carolin Hoffmann beschreibt am Beispiel eines<br />
Mannes, was die moderne Arbeitswelt aus dem Beruf des Pastors machen<br />
kann: Vorbei die Zeiten, in denen Pastoren ruhender Pol der Gemeinde<br />
waren, stets ansprechbar für jeden und mit Muße zur inneren<br />
Einkehr. Stattdessen Zeitdruck, Terminhatz, Zerrissenheit (S. 8).<br />
Joschka Schmitt traf einen Künstler und Studenten, der eher zufällig<br />
zum Galeristen wurde (S. 12), während Felix Müller im Rundfunkmuseum<br />
auf eine Welt stieß, die stillzustehen scheint. Doch wippen die Finger<br />
der Funker am Morsegerät, füllt sich eine Weltkarte an der Wand mit<br />
Reißzwecken: Jede markiert einen Kontakt in andere Länder (S. 20).<br />
Wiebke Plasse versuchte, Kummer und Sorgen mit Morgenyoga zu<br />
vertreiben (S. 27), und André Beinke machte die Tankstelle in der Plantage<br />
zum Ausgangspunkt einer Reise ins Paradies. Ob und wie er dort<br />
angekommen ist, lesen Sie ab Seite 22.<br />
Viel Vergnügen wünschen<br />
Tanja Krämer, Philipp Jarke<br />
und das ganze Team der Zeitschrift der Straße<br />
Die Zeitschrift der Straße<br />
Foto Titelseite: Begüm Yücelay<br />
Seite 2: André Schmoll<br />
ist das Bremer Straßenmagazin – ein gemeinsames Projekt<br />
von Studierenden, JournalistInnen, sozial Engagierten, StreetworkerInnen,<br />
HochschullehrerInnen und von Menschen, die<br />
von Wohnungslosigkeit und Armut bedroht oder betroffen<br />
sind. Die Zeitschrift der Straße wird auf der Straße verkauft, die<br />
Hälfte des Verkaufserlöses geht an die VerkäuferInnen. Jede<br />
Ausgabe widmet sich einem anderen Ort in Bremen und erzählt<br />
Geschichten von der Straße.
Inhalt<br />
08 Mehr ist nicht genug<br />
Ein Pastor, drei Gemeinden.<br />
Und der Kampf gegen den Stress<br />
12 Plötzlich Galerist<br />
Von einem, der ein Ende<br />
suchte und einen Anfang fand<br />
14 Verbindung<br />
Bildstrecke<br />
22<br />
08<br />
20<br />
Die Liga<br />
der außergewöhnlichen Drucker<br />
UWE VANDREIER DIETMAR KOLLOSCHÉ ALEXANDRA WILKE UND ANDRÉ APPEL<br />
BERLINDRUCK UND GSG BERLIN PRÄSENTIEREN IN ZUSAMMENARBEIT MIT A1/BREMER KREUZ/A27<br />
OSKAR-SCHULZE-STR. 12 EINE CO-PRODUKTION MIT 28832 ACHIM EINE BERLINDRUCK PRODUKTION<br />
EIN FILM VON REINHARD BERLIN FRANK RÜTER CASTING HEDDA BERLIN ANKE HOLSTE HERSTELLUNGSLEITER WALTER SCHWENN KOSTÜMDESIGNER BJÖRN GERLACH<br />
VOLKER KAHLERT MARCUS LATTERMANN RONALD MICHALAK ANDREAS MINDERMANN MIKE REIMERS JOCHEN RUSTEDT THOMAS VIERKE ERHARD VOSSMEYER<br />
DIRK LELLINGER IN ZUSAMMENARBEIT MIT CHRISTIAN EWERT MARIAN KACYNA MAKE-UP IRIS KAISER-BANDMANN SCHNITT JÖRG WORTMANN PRODUKTIONSDESIGNER<br />
STEPHAN HARMS MELAHAT HALTERMANN THOMAS HARTUNG RANDERS KÄRBER OLE BRÜNS ILKA KÖNIG MONIKA PLOTTKE DENNY QUEDNAU<br />
MARLIES WELLBROCK FOTOGRAFIE-DIREKTOR CARSTEN HEIDMANN AUSFÜHRENDE PRODUZENTEN DAGMAR BAUMGARTEN SONJA CORDES KATRIN HARJES<br />
MARVIN RÖNISCH PRODUKTIONSLEITUNG KATJA LINDEMANN BEST GIRLS/BOYS TESSA WARNECKE CHEVY ORLANDO FRITSCH PRODUZENTEN KIRSTEN HINRICHS<br />
ROLF MAMMEN ANNE SWIERCZYNSKI DREHBUCH HENRIKE OTT NACH EINER IDEE VON PATRICK CALANDRUCCIO PETRA GRASHOFF REGIE ECKARD CHRISTIANI<br />
www.berlindruck.de<br />
12<br />
20 Postkarte vom Plantagenhof<br />
Auf Trophäenjagd: die Funker aus<br />
dem Rundfunkmuseum<br />
22 Auf ins Paradies<br />
Unser Autor will weg aus der Plantage.<br />
Per Anhalter. Ob ihm das gelingt?<br />
27 Yoga am Morgen<br />
Vertreibt es Kummer und Sorgen?<br />
Unsere Autorin probiert es aus<br />
28 Unterstützen<br />
29 Neuigkeiten<br />
30 Eine Woche mit … Olaf<br />
31 Impressum & Vorschau<br />
Illustration:<br />
Anna-Lena Klütz ist freie Künstlerin und freut<br />
sich, wenn aus einer scheinbar nichtssagenden<br />
Straße ein Bild voller spannender Einblicke wird.
6 | zahlEN<br />
1942<br />
PLANTAGE<br />
2015<br />
Gewerbestraße in Findorff, parallel zu den<br />
Bahngleisen. Etwa 350 Meter lang<br />
Recherche & Text: Tanja Krämer, Philipp Jarke<br />
Foto (2015): Begüm Yücelay<br />
Bau des Sommersitzes durch den Bremer Kaufmann<br />
Eberhard von Hoorn: 1750<br />
Öffnung als Ausflugslokal für die gehobene Gesellschaft:<br />
1802<br />
Bau der ersten Wohnhäuser: 1863<br />
Künstler und Kreative in der Ateliergemeinschaft<br />
Plantage 9: 30<br />
Musiker und Kreative in der Ateliergemeinschaft<br />
Plantage 13: 13<br />
Gründung des Bremer Concert-Orchesters, später<br />
Bremer Philharmoniker: 1820<br />
Musiker im Orchester: 80<br />
Zahl der Orchesterwarte: 2<br />
Mitarbeiter im Büro: 10<br />
Gewicht der Notenblätter im Archiv der Bremer<br />
Philharmoniker: 3,5 t<br />
Gummibärchenverbrauch im Orchesterbüro pro<br />
Saison: 20 kg<br />
Proben im Probensaal, pro Jahr: 80<br />
Veranstaltungen in der Musikwerkstatt auf der<br />
Plantage, pro Jahr: 300<br />
Preis für eine Tasse Kaffee an der Tankstelle in<br />
der Plantage: 1,40 Euro<br />
Preis für eine Tasse Kaffee bei Starbucks am<br />
Hauptbahnhof: 1,95 Euro<br />
Preis für das Niedersachsenticket der Bahn von<br />
Bremen nach Cuxhaven: 23 Euro<br />
Kosten für eine Mitfahrgelegenheit von Bremen<br />
nach Cuxhaven: 4 Euro<br />
Zahl der Güterzüge auf der Bahnstrecke südlich<br />
der Plantage, 2014 pro Tag: 183<br />
Lärmbelastung in der Plantage: 60 bis >75 dB(A)<br />
Lautstärke eines Rasenmähers: 70 dB(A)<br />
Hundekotbehälter in der Plantage: 0<br />
Hundehaufen: 0<br />
Es war das Jahr 1750, als sich der Bremer Leinenhändler<br />
Eberhard von Hoorn einen Traum erfüllte.<br />
Vor den Toren der Stadt schuf er einen exzentrischen<br />
Sommersitz: Er ließ Wasserläufe und Alleen<br />
anlegen, Fischteiche ausheben und exotische Gewächse<br />
pflanzen. Er selbst hofierte in einem achteckigen<br />
Landhaus und blickte über eine üppige<br />
Parklandschaft, die auch in diesen vorkolonialen<br />
Zeiten nur einen Namen tragen konnte: Plantage.<br />
1802 starb von Hoorn, und die Plantage wurde<br />
verkauft. Der neue Eigentümer Hinrich Marcks<br />
baute ein Nebengebäude zu einem Ausflugslokal<br />
um. Die Bremer Oberschicht sollte in den Gärten<br />
von „Marcks Plantage“ lustwandeln, ihren Kaffee<br />
im Schatten der Bäume trinken und einem Prager<br />
Orchester lauschen. Es kamen aber zu wenig reiche<br />
Gäste, und Marcks musste auch einfacherer Leute<br />
einlassen. Sechs Groten kostete der Eintritt, den<br />
man mit Speisen und Getränken verrechnen durfte.<br />
Mitte des 19. Jahrhunderts mussten die Gärten<br />
der wachsenden Stadt weichen.<br />
Die Plantage wurde zur Urzelle der nördlichen<br />
Vorstadt und des späteren Stadtteils Findorff. 1863<br />
entstanden hier und in der Buschstraße schmale<br />
Wohnhäuser, in die überwiegend Eisenbahner und<br />
ihre Familien einzogen. Das Viertel rund um die<br />
Plantage nannten alle nur Eisenbahnervorstadt.<br />
In den Bombennächten ab 1942 wurde die Plantage<br />
vollständig zerstört. Die Wohnhäuser wurden<br />
nicht wieder aufgebaut, und es siedelten sich verschiedene<br />
Gewerbetreibende an, unter ihnen einige<br />
Modemacher, die die Plantage ab den 1950er-Jahren<br />
zu einem kleinen Modezentrum machten.<br />
Heutzutage ist die Plantage eine unsortierte Mischung<br />
aus Gewerbe- und Wohngebiet, in das sich<br />
eine Reihe Kulturschaffender gemischt hat. Nicht<br />
hübsch, aber mit einem gewissen Charme. Derart<br />
unverplante Ecken findet man nur noch selten in<br />
Citynähe. Stadtplaner arbeiten schon daran, die<br />
Plantage attraktiver zu machen. Fragt sich, für wen.<br />
Historisches Foto: Kulturhaus Walle Brodelpott
8 | REPORTAGE<br />
Text: Carolin Hoffmann<br />
Fotos: Begüm Yücelay<br />
Reportage | 9<br />
Mehr ist<br />
nicht genug<br />
Zwischen Burn-out und Beschleunigung –<br />
wie es ist, ein Pastor zu sein<br />
Lorethy Starck betreut als Pastor drei Gemeinden der protestantischen<br />
Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten.<br />
Mit seinem weißen BMW-Kombi rast er über die<br />
A 28. Neben dem Schaltknüppel liegt sein Headset,<br />
falls noch ein Anruf kommt. Es ist zehn nach vier,<br />
heute stehen noch drei Termine an. Vor zehn wird<br />
er heute Abend nicht zu Hause sein. Morgen und<br />
übermorgen das Gleiche. Mit seiner Frau verbringt<br />
er nur wenig Zeit; sie arbeitet meist zu entgegengesetzten<br />
Zeiten. Er ist gestresst, sagt er, aber es sind<br />
nur kurze Augenblicke, in denen er es sich anmerken<br />
lässt. Noch zwölf Kilometer bis zu seinem Ziel.<br />
Nach anderthalb Stunden zurück nach Bremen –<br />
nächster Termin.<br />
Lorethy Starck wurde 1967 in einem kleinen<br />
Dorf in Nordrumänien geboren. Sein Vater war<br />
Schreiner, er selbst wollte Medizin oder Kunst studieren.<br />
Heute ist er Pastor, hat Psychologie studiert<br />
und betreut drei adventistische Gemeinden gleichzeitig,<br />
keine Seltenheit in der heutigen Zeit. Auf<br />
jeden Pastor kommen etwa 200 bis 300 Gemeindemitglieder.<br />
Ansprüche und Aufgaben wachsen,<br />
aber die Zeit bleibt die gleiche. Effizienzsteigerung<br />
und Zeitdruck machen auch vor der Kirche nicht<br />
Halt. Oft arbeitet Starck bis spät in den Abend, so<br />
wie heute. Er ist auf dem Weg zu einem Bibelkreis<br />
in Hude. Sein Thema: Leid, im Gedenken an den<br />
Flugzeugabsturz vor einigen Tagen.<br />
Das Gemeindehaus der Siebenten-Tags-Adventisten<br />
in Hude ist ein Einfamilienhaus mit Garten.<br />
Es wurde angemietet, als die Hauskreise der ländlichen<br />
Gemeinde zu groß geworden waren. Die Miete<br />
zahlen die Mitglieder der Freikirche, die keine<br />
Kirchensteuer bezieht und sich durch Spenden<br />
Er hat die Gabe, die<br />
Lauten zum Schweigen<br />
und die Leisen zum<br />
Reden zu bringen<br />
finanziert. Ihren Gottesdienst halten sie samstags<br />
ab, damit der Sabbat am siebenten Tag gewürdigt<br />
wird. So erklärt sich auch der Name der weltweit<br />
verbreiteten Glaubensgemeinschaft. Starck kam<br />
durch seine Wurzeln zu den Adventisten.<br />
Er ist etwas zu früh beim Bibelkreis. Als er den<br />
Raum betritt, hält er einen Moment inne. Er betrachtet<br />
eine Reihe von Porträtfotos an der Wand.<br />
Sie zeigen Kinder und Jugendliche, die der Pastor<br />
in dieser Kirche gesegnet hat. Starck erzählt, dass<br />
einige bereits studieren würden, andere seien im<br />
Ausland. Er kann sich gut an jeden Einzelnen erinnern,<br />
weiß ihre Spitznamen, kennt ihre Eigenheiten.<br />
Er selbst hat keine Kinder, nur einen Kater.<br />
Der Pastor tritt ans Rednerpult, sofort ist alle<br />
Aufmerksamkeit bei ihm. Er strahlt etwas Autoritäres<br />
aus, wie er vor der Gemeinde steht und mit<br />
den Gläubigen über Leid und Zufriedenheit diskutiert.<br />
Er hat die Gabe, die Lauten zum Schweigen<br />
und die Leisen zum Reden zu bringen. Er
Reportage | 11<br />
Burn-out ist ein zentrales Thema für Starck: Er schreibt darüber eine Doktorarbeit<br />
und gibt Kurse zur Stressbewältigung.<br />
kennt sie alle, ihre Geschichten und unterschiedlichen<br />
Weltbilder. „In jeder Gemeinde herrscht eine<br />
ganz eigene Dynamik, auf die ich mich als Pastor<br />
immer wieder aufs Neue einstellen muss.“ Das gilt<br />
auch für die Gottesdienste. Pro Quartal versucht<br />
Starck in jeder Gemeinde mindestens einmal die<br />
Predigt zu halten. Nicht immer klappt das, denn<br />
auch Hochzeiten, Beerdigungen und Taufen stehen<br />
auf seiner Agenda.<br />
Lorethy Starcks Woche ist eng getaktet: Bibelund<br />
Seniorenkreise, Stressbewältigungskurse,<br />
Beratungsgespräche, Gottesdienste, Gemeindetreffen,<br />
Aufgaben im Landesverband und in der Weiterbildung,<br />
es bleiben nur wenige Momente zum<br />
Durchatmen. Hinzu kommt die Zeit, die der Pastor<br />
benötigt, um sich auf die Termine vorzubereiten.<br />
Für eine einzige Predigt können das bis zu 20 Stunden<br />
sein. Bei so vielen Aufgaben kann er selten alle<br />
Erwartungen erfüllen: „Irgendwer fühlt sich immer<br />
vernachlässigt.“ Starck würde sich gern mehr<br />
Zeit für die Mitglieder seiner Gemeinden nehmen,<br />
aber dafür müsste sein Tag eher 48 Stunden haben.<br />
Regelmäßige Hausbesuche, so wie früher, sind bei<br />
diesem Pensum jedenfalls kaum möglich.<br />
Seine drei Gemeinden könnten unterschiedlicher<br />
nicht sein. Trotz gleicher Konfession haben sie<br />
ganz verschiedene Vorstellungen und Anforderungen<br />
an ihn als Pastor. Hinzu kommt die Fahrerei.<br />
Bis vor zwei Jahren war Starck noch für Cuxhaven,<br />
Bremerhaven und Nordenham zuständig. In seiner<br />
Kirche ist es üblich, dass Pastoren alle acht bis<br />
neun Jahre die Gemeinde wechseln, in Anlehnung<br />
an die Wanderprediger von früher. Verantwortlich<br />
ist er nun für Findorff, Hude und Delmenhorst. Die<br />
ländlichen Gemeinden haben viel mit Fluktuation<br />
zu kämpfen. Gerade die jüngere Generation zieht<br />
es häufig in die größeren Städte.<br />
„Kirche ist heute ein Stück weit bedeutungslos<br />
geworden“, sagt Starck. „Sie sollte viel näher an den<br />
Menschen dran sein. Kirche hat zu sehr das Image<br />
einer Institution. Mittlerweile sind es oft ganz andere<br />
Medien, durch die die Menschen Spiritualität<br />
erfahren.“ In der Gemeinde Findorff findet demnächst<br />
eine Ausstellung zum Thema Gerechtigkeit<br />
statt. Starck findet es wichtig, solche Veranstaltungen<br />
und Rituale in der Kirche zu etablieren. Sie seien<br />
viel sinnstiftender und relevanter für das Leben<br />
der Einzelnen. Auch er selbst malt. Für die Ausstellung<br />
muss er noch sechs Bilder malen, die er den<br />
anderen aus der Künstlergruppe „Plantage“ zugesagt<br />
hat. Die Zeit ist knapp, er wird nachts daran<br />
arbeiten müssen.<br />
Hausbesuche, so<br />
wie früher, sind bei<br />
diesem Pensum<br />
kaum noch möglich<br />
Es ist Donnerstag. Eigentlich Starcks Forschungstag,<br />
an dem er von regulären kirchlichen<br />
Pflichten befreit ist. Er arbeitet an seiner Dissertation<br />
über Präventionsarbeit bei Burn-out-Patienten,<br />
zu denen mittlerweile auch viele Pastoren gehören.<br />
Heute ist er allerdings in Findorff und gibt einen<br />
Kurs zur inneren Stressbewältigung. Die Teilnehmer<br />
sind bunt gemischt, Männer und Frauen<br />
unterschiedlichen Alters. Burn-out ist keine Managerkrankheit<br />
mehr, Stress betrifft alle. Es ist bereits<br />
das achte Treffen in dieser Gruppe, Starck ist<br />
in seinem Element. Auch er musste in Zeiten der<br />
Beschleunigung lernen, sich abzugrenzen: „Dabei<br />
geht es nicht darum, Nein zu sagen, sondern sich<br />
einen klaren Fokus zu setzen und den deutlich zu<br />
kommunizieren.“<br />
Phasen, in denen der Stress die Überhand gewinnt,<br />
kennt der Pastor natürlich trotzdem. Dann<br />
klagt er, wie viele andere, über Migräne, Gewichtszunahme<br />
und Hautprobleme. An seinem „immensen<br />
Workload“, wie er es selbst nennt, ändert er<br />
trotzdem nichts. Er liebt die Abwechslung seiner<br />
Aufgaben, ständig mit anderen Menschen konfrontiert<br />
zu sein, neue Impulse zu bekommen, sich immer<br />
wieder selbst zu fordern. „Stressfreie Jobs gibt<br />
es heute außerdem kaum noch, das liegt an unserer<br />
Zeit. Ursprünglich wollte ich mal Chirurg werden,<br />
da habe ich es als Pastor deutlich besser getroffen.“<br />
Kraft findet er zu Hause und bei Freunden. Er plant<br />
Ruhepausen ein, versucht ganz bewusst wahrzunehmen<br />
und macht Entspannungsübungen. Was<br />
oft zu kurz kommt, sind kreative Projekte oder die<br />
Muße für Sport.<br />
Sich selbst zu überfordern, bezeichnet Starck<br />
als eine seiner großen Schwächen. Oft verlange<br />
er auch von anderen zu viel. Er wünscht, er wäre<br />
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manchmal weniger sprunghaft und würde sich<br />
seltener verzetteln. Auch wenn er schon an vielen<br />
Stellen zufrieden mit sich ist, ist da immer noch ein<br />
Teil von ihm übrig, der gegen die eigene Unzulänglichkeit<br />
anzukämpfen scheint. Er sagt, er hätte gern<br />
mehr Profil, wäre gern radikaler, unabhängiger<br />
vom vorgegebenen System. Im Nachhinein hätte er<br />
sich auch gern mehr Zeit für sein Studium genommen.<br />
Ein Leben lang lernen, das ist ihm wichtig. Er<br />
möchte sinnvoll leben, seine Zeit nicht für Belangloses<br />
verschwenden. Die Routine ist dabei sein größter<br />
Feind. Und sein Handy.<br />
Wo er seine Rolle als Pastor sieht? In Zeiten der<br />
Beschleunigung möchte er Menschen ein Stück<br />
weit begleiten, Einfluss auf ihr Leben nehmen,<br />
vielleicht selbst daran wachsen – eigentlich wie<br />
wir alle. Auch ein Pastor ist zwischen Gottesdienst<br />
und Bibelkreis nur ein Mensch mit Träumen, Wünschen,<br />
Ängsten und Stresspickeln.<br />
Carolin Hoffmann studiert Internationale<br />
Journalistik und war überrascht, dass auch<br />
Pastoren Steuererklärungen machen müssen.<br />
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12 | PORTRAIT<br />
portrait | 13<br />
Plötzlich Galerist<br />
Gilbert Ofosu liebt die Kunst. Aber der Verstand sagt<br />
ihm, er solle etwas Vernünftiges machen.<br />
Er sucht einen Abschluss. Und findet einen Anfang<br />
Gilbert Ofosu vor einem seiner Bilder in seinem improvisierten Atelier. Zum<br />
Malen kommt er kaum noch.<br />
„Wie sieht's aus mit dem Einlass?“ – „Schlecht“,<br />
sagt Gilbert Ofosu. „Es ist einfach zu voll.“ Mehr<br />
als zwanzig Menschen stehen an diesem Abend<br />
im April vor einer improvisierten Galerie in der<br />
Friedrich-Rauers-Straße, unweit der Plantage. Sie<br />
alle wollen zu einer Vernissage mit Tanz. So viel<br />
Andrang überrascht Ofosu. Im November erst hat<br />
er das heutige „Rauer 20“ ins Leben gerufen. Dass<br />
er einmal Galerist werden würde, wenn auch nur<br />
kurz, hätte er nie gedacht. Eigentlich wollte er aufhören<br />
mit der Kunst, einen Schlussstrich ziehen.<br />
Nun wuselt der schlaksige junge Mann durch die<br />
Menschenmenge in der 450 Quadratmeter großen<br />
Halle seiner Galerie, vorbei an großflächigen Comicgesichtern<br />
und einem schwebenden weißen<br />
Quader. Bespricht etwas mit dem DJ, bringt Leergut<br />
zur Bar, schnackt mit den Gästen. Ganz Herr<br />
der Lage.<br />
Sich mit Gilbert Ofosu zum Gespräch zu verabreden,<br />
ist nicht einfach. Irgendwas ist immer.<br />
Aber er nimmt sich die Zeit. „Rauer 20“, ein Name<br />
mit Symbolcharakter, rau und ungeschliffen wie<br />
die Galerie. Karger Betonboden, Wände mit Wasserschaden.<br />
Industriecharme. Draußen lärmen<br />
Bahngleise und Verkehr. Drinnen gerät das in<br />
Vergessenheit. Im Eingangsbereich stehen Sessel<br />
und eine Couch, in der man versinkt. Kein Möbelstück<br />
passt zum anderen. Ein Tresen ragt in den<br />
lichtdurchfluteten Raum, zusammengezimmert<br />
aus Holz. Do-it-yourself-Ästhetik für einen Doit-yourself-Künstler.<br />
Auf dem Couchtisch stehen<br />
Club-Mate-Flaschen. Aus dem MacBook dringt<br />
Elektro. Plakative Inbegriffe subkultureller Kreativität.<br />
Gilbert Ofosu dreht sich eine Zigarette.<br />
Wer ist dieser Typ, der all das hochzog? Eine<br />
Kursfahrt mit der Waldorfschule wird zur Initialzündung.<br />
Museen, Skulpturen, Gemälde. Ofosu<br />
entdeckt die Kunst für sich. Er will malen, auf<br />
die Hochschule für Künste gehen. Doch dann beschleicht<br />
ihn ein mulmiges Gefühl. Ist Kunst nicht<br />
brotlos? Wird er je Geld damit verdienen können?<br />
Er jobbt im Park Hotel, malt nur nebenbei. Erst<br />
auf dem Dachboden, dann in einem Atelier in der<br />
Überseestadt. Ofosu tauscht Papier gegen Leinwand,<br />
wird abstrakt. Ein Jahr lang, 30 Arbeiten<br />
entstehen. Studieren aber will er etwas „Vernünftiges“:<br />
Systems Engineering. Um mit der Kunst abzuschließen,<br />
produziert er einen Katalog. Doch das<br />
reicht ihm nicht. Eine Ausstellung muss her.<br />
Für Leute wie ihn aber gibt es kaum Ausstellungsmöglichkeiten.<br />
Warum also nicht selbst etwas<br />
schaffen? Ofosu entdeckt eine leerstehende<br />
Billardhalle. 20 E-Mails später ist er sich mit der<br />
Text: Joschka Schmitt<br />
Foto: Begüm Yücelay<br />
Hausverwaltung einig über einen kurzfristigen<br />
Mietvertrag. „Ich war erstaunt über die Offenheit<br />
für mein Projekt“, sagt er, noch immer verwundert.<br />
Er stellt seine Bilder aus. Und wird gefragt, ob<br />
nicht auch andere mal etwas einbringen könnten.<br />
Gilbert Ofosu ist angetan. Sein Studium rückt<br />
plötzlich in die Ferne. Er habe sich wirklich reingehängt,<br />
erzählt er. Aber irgendwie zog ihn die<br />
neue Aufgabe stärker an. Er wirkt neugierig, längst<br />
nicht satt. Vielleicht ist da ein bisschen Respekt vor<br />
der Größe, die alles angenommen hat. Er spricht es<br />
nicht aus, aber etwas Ehrfurcht vor dem Apparat,<br />
den er geschaffen hat, liegt in manchen Gesten. Er<br />
verhandelt wieder mit der Hausverwaltung, über<br />
eine Verlängerung. Wieder ein Okay, diesmal bis<br />
April. Dann ist endgültig Schluss. So gelassen er<br />
sonst auch ist, in dieser Phase habe er unsicher gewirkt,<br />
sagen Freunde.<br />
Die Galerie<br />
entwickelt überregionale<br />
Strahlkraft<br />
Die Vernissage-Wochenenden sind laut und<br />
wild. Oft kommen 150 Leute. Wöchentlich wechseln<br />
Gemälde, Installationen, es gibt auch Improtheater<br />
und Konzerte. Die Galerie entwickelt<br />
überregionale Strahlkraft. Das kleine Plus aus Getränke-<br />
und Spendeneinnahmen fließt wieder ins<br />
Projekt. An der Bar unterstützen ihn Bekannte.<br />
Doch die Verantwortung bleibt stets bei Ofosu.<br />
Der dreht sich noch eine Zigarette. Ihn wurmt<br />
etwas. „Wir bereichern die Kulturlandschaft hier“,<br />
sagt er, „bewegen uns aber mit Bauchschmerzen in<br />
einer Grauzone der Legalität.“ Dabei will er nur denen<br />
eine Bühne bieten, die sonst keine finden. So<br />
wie er selbst noch vor Kurzem.<br />
Und die eigene Kunst? Beim Rundgang zeigt er<br />
sein kleines Atelier und eins seiner Gemälde – ein<br />
lebensgroßer, abstrakter Frauenkörper. Lebhaft<br />
vorstellbar, wie er hier wirbelt. Aber dafür fehlt<br />
ihm die Zeit. Sein Kunstwerk ist das „Rauer 20“.<br />
Künstlertraum und Dilemma gleichermaßen.<br />
Joschka Schmitt ist freier Journalist. Er hofft,<br />
dass subkulturelle Projekte künftig weniger<br />
Bauchschmerzen verursachen.
14 | Fotostrecke<br />
Verbindung
18 | Fotostrecke<br />
Verbindung<br />
Verbindung ist ein elementarer Bestandteil der Plantage. Sinnbild<br />
hierfür ist die Bahn, die schon seit 1863 zum Plantagenleben<br />
gehört. Heute ist die Plantage in der Hand von Kreativen<br />
und Unternehmern. Die Oberleitungen der Bahn erinnern an<br />
die Verbindungen dieser Menschen untereinander und in die<br />
ganze Welt.<br />
Fotos: André Schmoll<br />
André Schmolls Arbeiten sind geprägt von Klarheit und<br />
Ausdrucksstärke. Dabei versucht er stets, die Disziplinen<br />
Design und Kunst zu vereinen.
Postkarte vom<br />
Plantagenhof<br />
Text: Felix Müller<br />
Foto: Begüm Yücelay<br />
reportage | 21<br />
Jeden Mittwoch treffen sich im Rundfunkmuseum auf dem<br />
Plantagenhof eingeschworene Amateurfunker.<br />
Sie morsen um die ganze Welt – und zeigen so, dass sie da sind<br />
Manfred Gerken vor einem Morsegerät. Amateurfunk ist seine Leidenschaft,<br />
seit über 40 Jahren.<br />
BÜÜPBÜP. BÜPBÜPBÜÜP BÜÜP tönt es ausdauernd<br />
und unrhythmisch. „Hier funkt gerade einer<br />
aus Deutschland.“ Manfred Gerken sitzt vor dem<br />
Lautsprecher, aufrecht, eine Hand am Stift, eine<br />
am Morsegerät, das wirkt wie ein alter Kassettenrekorder<br />
ohne Einlegefach. Aufmerksam hört er zu<br />
und notiert sich etwas auf einem Blatt. „Er sendet<br />
durchgehend seine Kennung, um zu sehen, ob ihn<br />
jemand hört.“ Gerken fängt an, auf einem kleinen<br />
Wippschalter herumzutippen, es piept. „Jetzt habe<br />
ich ihm meine Kennung geschickt und gesagt, dass<br />
ich ihn höre.“<br />
Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten.<br />
BÜÜPBÜP. BÜÜP. Gerken notiert: „Gt lbr op vln<br />
dk fr call ur rst 599 name karl qth schoeneck 73“.<br />
Für Laien wirkt die Auflösung wie Zauberei: „Das<br />
heißt: ‚Guten Tag lieber Operator. Vielen Dank für<br />
die Antwort. Deine Signalstärke ist 599. Mein Name<br />
ist Karl, ich komme aus Schöneck‘, das müsste im<br />
Schwarzwald liegen. 73 ist dann einfach das Kürzel<br />
für ‚Schöne Grüße‘.“<br />
Gerken, 70 Jahre alt, ist eine ruhige und fröhliche<br />
Seele. Funken ist seine Leidenschaft, er macht<br />
das schon seit über 40 Jahren. Jeden Mittwoch trifft<br />
er sich mit einigen Gleichgesinnten im Bremer<br />
Rundfunkmuseum. Auf über 300 Quadratmetern<br />
Ausstellungsfläche stapeln sich hier mehr als 700<br />
Exponate aus 60 Jahren TV-Geschichte und 90<br />
Jahren öffentlichem Rundfunk. Der Duft von Holz<br />
liegt in der Luft und mischt sich mit dem von Elektronik,<br />
diesem Geruch, der alten Röhrenbildfernsehern<br />
entströmt, wenn sie lange angeschaltet waren.<br />
Säuberlich geordnet stehen die Geräte in Regalen,<br />
Glasvitrinen oder Möbeln, deren Alter dem der<br />
Ausstellungsstücke ebenbürtig scheint. Aus den<br />
eingeschalteten Geräten schallt das poppige Musikprogramm<br />
von Bremen Vier. Auch ein Wohnzimmer<br />
im Stil der 1950er-Jahre findet sich hier, und<br />
ein komplettes Studio von Radio Bremen, das die<br />
Museumsbetreiber damals aus dem Schrott gerettet<br />
haben. Für Gerken und seine Mitstreiter aber liegt<br />
das Paradies in einem kleinen, eher unscheinbaren<br />
Raum: dem Amateurfunkstudio.<br />
Etwa 2,5 Millionen Amateurfunker gibt es weltweit,<br />
ungefähr 60.000 in Deutschland. Fast alle sind<br />
Männer. Sie haben einen Schein gemacht, der sie<br />
zum Funken berechtigt. Vier von ihnen sitzen an<br />
diesem Tag mit Manfred Gerken zusammen. Bei<br />
Keksen und Kaffee funken und fachsimpeln die<br />
Männer fortgeschrittenen Alters, stundenlang. Sie<br />
kennen sich lange. Selten bekommen sie Besuch.<br />
Und so möchte jeder etwas zu seinem Lieblingshobby<br />
erzählen. Der Antrieb zum Funken, berichten<br />
sie, hat verschiedene Ursprünge. Den meisten geht<br />
es um den Umgang mit der Technik, darum, sich in<br />
etwas hineinzufuchsen, zu dem nicht jeder Zugang<br />
hat und das etwas ganz Besonderes ist. „Einige kommen<br />
aus der Seefahrt und haben deshalb früher viel<br />
gefunkt. Als sie mit dieser Arbeit aufhörten, fehlte<br />
ihnen das Gefühl, sie machten eine Amateurfunkprüfung<br />
und mit dem Funken als Hobby weiter“,<br />
sagt Manfred.<br />
Die Postkarten über<br />
dem Schreibtisch sind<br />
ihre Jagdtrophäen<br />
Obwohl sich die alten Freunde regelmäßig zum<br />
Funken treffen, sind sie nicht auf der Suche nach<br />
einem guten Gespräch oder relevantem Informationsaustausch.<br />
„Es geht um die Verbindung, die<br />
hergestellt wird, das ist der Witz daran, besonders<br />
beim Morsen. Manchmal redet man noch kurz über<br />
das Wetter oder über den Verkehr, wenn jemand<br />
aus dem Auto funkt, aber mehr Inhalte haben die<br />
Gespräche nicht“, so Manfred.<br />
Es geht um das Sammeln von Verbindungen<br />
rund um die Welt. Kontakt knüpfen, einfach der Sache<br />
wegen. Über dem Schreibtisch hängen zig Postkarten<br />
mit Bildern von Funkstationen, sogenannte<br />
QSO-Karten. Diese schicken sich die Funker gegenseitig<br />
zu, wenn sie einmal eine Verbindung zueinander<br />
hergestellt haben. Es sind ihre Jagdtrophäen.<br />
Demnächst kommt eine aus Schöneck dazu.<br />
Felix Müller studiert Journalistik an der<br />
Hochschule Bremen. Lange hat er in Walle<br />
neben dem Funkturm gewohnt, aber nie etwas<br />
Interessantes zu hören bekommen.
22 | Reportage<br />
Wer Trampen will, braucht Geduld. Und guten Kaffee. André Beinke<br />
hatte zum Glück beides.<br />
reportage | 23<br />
Auf ins<br />
Paradies<br />
Ein Schild, ein Handy. Unser Autor will<br />
endlich mal wieder raus. Per Anhalter, irgendwohin.<br />
Ob es ihm gelingt?<br />
Text: André Beinke<br />
Fotos: Begüm Yücelay & André Beinke<br />
Das Handy zeigt 11 Uhr. Es wird nicht der letzte<br />
Blick auf mein Smartphone sein an diesem denkwürdigen<br />
Tag. Sonnenfinsternis und Frühlingsanfang<br />
zur selben Zeit – wäre ich der Gründer des<br />
Mayakalenders, hätte ich den Weltuntergang nicht<br />
für Silvester 2013 geplant, sondern genau für diesen<br />
Moment. Aus dem verdunkelten Himmel peitscht<br />
ein apokalyptischer Wind in mein Gesicht, als ich<br />
an dem Ort ankomme, der mich heute für mehrere<br />
Stunden gefangen halten wird: die Tankstelle in<br />
der Plantage.<br />
Schwer bepackt betrete ich den Laden und genieße<br />
für einige Sekunden die schwache Wärme,<br />
die mir entgegenströmt. Doch die eisigen Blicke<br />
des in die Jahre gekommenen Mannes, der hinter<br />
der Kasse steht, lassen die netten Worte, die ich<br />
mir zurechtgelegt habe, gefrieren. Er schaut auf<br />
meinen blauen Reiserucksack und weiß genau,<br />
was ich vorhabe.<br />
„Ist es okay, wenn ich heute von Ihrer Tankstelle<br />
aus trampe?“<br />
„Nein.“<br />
Ich schlucke. So habe ich mir das nicht vorgestellt.<br />
Ich versuche, den grimmigen Verkäufer zu bearbeiten.<br />
Aber er bleibt hart. Ein Mann, ein Wort.<br />
Mist. Auch den Namen der Tankstelle dürfe ich in<br />
meiner Reportage nicht erwähnen.<br />
Ich gehe aus Du-weißt-schon-wo wieder heraus<br />
und stelle mich vor die Ausfahrt. Von diesem<br />
öffentlichen Grund kann mich niemand verscheuchen.<br />
Es kann losgehen.<br />
Also Daumen raus: Auf, auf ins Paradies. So<br />
steht es zumindest auf meinem Pappschild. Anfangs<br />
noch hoch motiviert, blicke ich den aus der<br />
Tankstelle herausfahrenden Autos hinterher. Der<br />
Ort ist besser besucht, als ich es für so eine ruhige<br />
Straße gedacht hätte. Vielleicht liegt das an den<br />
niedrigen Kaffeepreisen. Für 1,40 Euro bekommt<br />
man richtig viel und leckeren Kaffee eingeschenkt.<br />
Nach den ersten zwei Stunden des Wartens ist der<br />
auch bitter nötig.<br />
Nach einer weiteren Stunde komme ich mir<br />
mit meinem Paradies-Pappschild dumm vor. Naiv.<br />
Idealistisch. Werde ich hier heute wirklich irgendwann<br />
noch wegkommen? Ein Gedanke macht sich<br />
breit: für 4,90 Euro all die Zweifel in der Waschanlage<br />
abzuwaschen. Doch dann habe ich eine bessere<br />
Idee: Trampen 2.0! Das ist es.<br />
Ich nehme mein Handy aus der Tasche und<br />
strapazierte mein Datenvolumen, das für diesen<br />
Monat schon fast ausgereizt ist. Eine App nach der<br />
anderen saust von irgendwo da oben über Satellit<br />
und Sendemast auf mein Smartphone: Couchsurfing,<br />
BlaBlaCar, Navigator und Hitchwiki Maps.<br />
Ich fühle mich mächtig. Mit dieser geballten Handy-Power<br />
wird sich doch irgendwo eine Mitfahrgelegenheit<br />
finden lassen.<br />
Ich entscheide mich für BlaBlaCar. Eine Software,<br />
mit der man überall in Europa Mitfahrgelegenheiten<br />
finden kann. Ohne Anmeldung.<br />
Kostenlos. Praktisch. Die ersten Antworten auf<br />
meine Anfrage kommen rasch. Mein Handy hört<br />
gar nicht mehr auf zu piepen. Nach Hannover,<br />
nach Hamburg, nach Göttingen – überall hin wollen<br />
mich Leute mitnehmen. Ich entscheide mich<br />
für Lucy. Lucy und ihr Freund Julian schreiben,<br />
dass sie für ein paar Tage entspannen wollen. Einfach<br />
mal abschalten. Ihr Trip geht von Köln nach<br />
Cuxhaven, innerhalb der nächsten Stunde sind sie<br />
da. Für nur 4 Euro. Paradies, ich komme!<br />
Entspannt lehne ich mich an meinen Rucksack.<br />
Da hält plötzlich ein beiger Passat neben mir<br />
an. Werner, nettes Gesicht, kurz vor der Rente,<br />
steigt mit seiner Frau aus und geht auf mich zu.<br />
„Wenn Sie wollen, kann ich Sie ein Stück weit ins<br />
Paradies mitnehmen.“<br />
Mit großen Augen blicke ich Werner an. Er lächelt.<br />
„Sie wollen doch ins Paradies, oder?“, fragt<br />
er und deutet auf mein Schild. Werner erzählt,<br />
dass er selbst früher in Schweden und Frankreich<br />
getrampt ist. Mein Reporterherz schlägt schneller.<br />
In meinem Kopf entwickle ich schon eine Geschichte<br />
über Werner und seine Abenteuer. Aber<br />
ich kann Lucy und ihrem Freund jetzt doch nicht<br />
mehr absagen! Sie sind nur noch 15 Kilometer von<br />
Bremen entfernt. Werner fährt ohne mich weiter.<br />
Eine halbe Stunde warte ich noch. Dann erblicke<br />
ich zwischen den vorbeifahrenden VWs,<br />
Renaults und Twingos den Toyota, der mich von<br />
diesem tristen Ort wegschaffen soll. Endlich. Lucy<br />
hält mir mit breitem Lächeln die hintere Tür auf.<br />
Ich quetsche mich mit meinem Rucksack hinein.<br />
Cuxhaven, meine Perle<br />
Drinnen ist alles dicht bepackt. Rechts von<br />
mir sitzt Michaela, die heute in Findorff ihre beste<br />
Freundin besucht hat und nun wieder nach Hause<br />
will. Sie ist regelmäßig in Bremen, erzählt sie, um<br />
dort ihr Rheuma behandeln zu lassen. „In Bremen<br />
sind einfach die besseren Ärzte“, sagt sie. „Die findest<br />
du in Cuxhaven nicht. Da findest du nichts,<br />
außer Touristen. Und wenn nicht gerade Sommer<br />
ist, findest du in Cuxhaven gar nichts.“
Mein Reporterherz meldet sich wieder. Diesmal<br />
mit leichten Herzrhythmusstörungen. Eine<br />
Touri-Stadt, in der nichts los ist? Keine alten Hafenkneipen<br />
mit urigen Typen, die mit mir einen<br />
Schnack halten? Kein Kapitän, der mir Seemannsgarn<br />
auftischt? Stattdessen überteuerte Kaschemmen<br />
und ein Erotikgeschäft, was sich auf SM spezialisiert<br />
hat. Das aber hat am Freitag geschlossen.<br />
Das Paradies ist da,<br />
wo es Strand und<br />
Meer gibt<br />
Stattdessen erzählt Michaela von „viel Gewalt<br />
und vielen Dorfkindern“. Tatsächlich wurden<br />
im vergangenen Jahr um die 12.000 Straftaten in<br />
der kleinen Hafenstadt registriert. Das sind zwar<br />
2.000 Straftaten weniger als in Bremen, dafür hat<br />
Bremen aber auch 500.000 mehr Einwohner. Liebes<br />
Cuxhaven, lass mich bitte unbeschädigt wieder<br />
frei, wenn ich genug von dir habe.<br />
Schmackhaft macht Michaela mir Cuxhaven<br />
erst wieder, als sie von Sandstränden spricht – mit<br />
Blick aufs weite Meer! Julian reißt mich aus meinen<br />
Gedanken: „So ein Haus am Meer – nervt da<br />
das Meeresrauschen nicht auf die Dauer?“ Darauf<br />
Manuela: „Ich hab mal Urlaub am Meer gemacht<br />
und das Rauschen war so laut, dass ich dachte, ich<br />
muss bald in die Klappse.“<br />
Nach einer Dreiviertelstunde Autofahrt lässt<br />
mich Lucy im Hafenviertel von Cuxhaven raus.<br />
Für mich ist klar: Paradies ist da, wo es Strand und<br />
Meer gibt. Der Bus zum Strand aber ist grade weg.<br />
Also mache ich mich bei 5 Grad zu Fuß auf den<br />
Weg. Über Stock und Deich geht es, mich friert.<br />
Irgendwann sehe ich dann endlich mein Paradies<br />
am Horizont. Doch je näher ich dem Sandstrand<br />
komme, um so mehr Ernüchterung stellt sich bei<br />
mir ein. Nur knapp 250 Fußschritte breit, 80 Fußschritte<br />
lang ist der Strand, Steine umsäumen ihn.<br />
Der Blick in die Ferne allerdings lässt die Enttäuschung<br />
in den Hintergrund rücken. Ich lasse<br />
mich samt Rucksack in den Sand fallen und mache<br />
erst mal ein Selfie für meine Facebook-Seite.<br />
Die werden alle ganz schön neidisch sein! Und<br />
irgendwie habe ich das Gefühl, dass der Tankstellen-Verkäufer<br />
von heute morgen auch ganz glasige<br />
Augen bekommen würde, sähe er gerade dieses<br />
wunderschöne Stück Natur vor sich.<br />
André Beinke liebt es, bei Recherchen neue<br />
Dinge auszuprobieren. Für die nächste Ausgabe<br />
der Zeitschrift der Straße geht er Couchsurfen.<br />
Dank Smartphone und Facebook sind auch die Freunde live dabei: beim Warten,<br />
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Studieren? Ja! Aber was und wo?<br />
Viele Fragen schwirrten mir vor meinem Studium im Kopf herum.<br />
Ich habe mir jemanden gewünscht, der schon<br />
studiert und mir alles darüber erzählen kann.<br />
Ehrlich und offen.<br />
Dieser Jemand bin ich heute selber. Als einer von 14 Studienpaten,<br />
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Als am Freitagmorgen um vier Uhr der Wecker<br />
klingelt, frage ich mich, warum ich mir das eigentlich<br />
antue. Am Bahnhof volltrunkene Menschen,<br />
die sich auf dem Heimweg vom Club noch einen<br />
Burger gönnen. Ich muss grinsen, schäme mich<br />
ein bisschen. Letzte Woche war ich selbst noch<br />
hier. Und heute bin ich auf dem Weg zum Sadhana-Yoga,<br />
das noch vor Sonnenaufgang abgehalten<br />
wird. In einer Zeit, in der die Welt noch ruht, die<br />
Gedanken noch nicht auf der Arbeit und bei all den<br />
To-dos des Tages sind – so zumindest die Idee hinter<br />
der Zeremonie. Im YogaGarten in der Plantage<br />
13 ist das Licht gedimmt. Eine Kerze brennt, die<br />
großen Pflanzen werfen flackernde Schatten. Eine<br />
Buddhafigur lächelt milde. Die weiche Yogamatte<br />
im mollig-warmen Raum ist gefährlich bequem.<br />
Neben mir sitzen drei weitere Frühaufsteher. Wir<br />
beginnen mit dem Lesen des „Jap Ji Sahib“, einer<br />
Art Hymne auf den Guru Nanak Dev. Es soll uns<br />
auf die Yoga-Einheit vorbereiten. Die Übersetzung<br />
steht am Rand, es geht um Gott, an den ich nicht<br />
im weitesten Sinne glaube. Doch der Text fordert<br />
meine volle Konzentration:<br />
„Hukmee hovan aakaar,<br />
hukam na kahi-aa jaa-ee.“<br />
Dreißig Minuten lesen wir mehr schlecht als<br />
recht, synchron ist es jedenfalls nicht. Dann beginnt<br />
Yogalehrer Rüdiger mit den Übungen. Sonnengruß,<br />
Krieger, Baum – wir folgen festgelegten<br />
Bewegungsabläufen. Nun die Froschfigur: 26 Mal<br />
stehend die Hände aus voller Streckung bis an die<br />
Zehenspitzen bewegen und dabei gleichmäßig einund<br />
ausatmen. Ich zähle 15, da entspannen sich<br />
die anderen schon wieder. Sie haben ihre Augen<br />
geschlossen und sind hoch konzentriert. Ich bin<br />
immer noch müde. Todmüde. Ich höre Rüdiger:<br />
„Schließt die Augen, schaut auf euer drittes, das<br />
innere Auge.“ Ich will es verstehen. Gefühlte zehn<br />
Minuten dauert jede Übung. Nach und nach merke<br />
ich, wie mein Körper aufwacht. Nur der Kopf ist<br />
nicht bereit. Meine Gedanken drehen sich. Wie soll<br />
man da entspannen? Dann ist der anstrengende<br />
Teil geschafft. Zum Abschluss folgt das meditative<br />
Singen, siebzig Minuten lang.<br />
„Ek Ong Kar Sat Nam Siri Wa-He Guru. Ek<br />
Ong Kar Sat Nam Siri Wa-He Guru.“<br />
Ich kann das nicht, für Gott singen. Aber ich genieße<br />
es, zuzuhören.<br />
Draußen ist es mittlerweile hell. Ich bin entspannt<br />
wie lange nicht mehr. Den ganzen Tag hält<br />
meine positive Stimmung an. Am nächsten Morgen<br />
habe ich Muskelkater. Dass mich etwas derart<br />
Spirituelles mitreißen konnte, beeindruckt mich.<br />
Wie werden meine Freunde reagieren, wenn ich<br />
ihnen sage, dass ich jetzt regelmäßig zum Sadhana-Yoga<br />
gehe?
28 | UNTERSTÜTZEN<br />
Damit Sie<br />
Rot sehen<br />
Die Verkäufer der Zeitschrift der Straße<br />
erhalten ein neues Outfit<br />
Sehen ist der Ausgangspunkt vieler Beiträge in der<br />
Zeitschrift der Straße, denn es sind Beobachtungen<br />
auf der Straße, die die Autorinnen und Autoren<br />
zu ihren Texten inspirieren. Für unsere Verkäuferinnen<br />
und Verkäufer dagegen ist Gesehenwerden<br />
wichtig. Es ist die Voraussetzung für Kundenkontakte,<br />
Erfolgserlebnisse und ihren Verdienst.<br />
Damit die Verkäuferinnen und Verkäufer künftig<br />
noch besser zu erkennen sind, erhalten sie demnächst<br />
ein neues Outfit. Mit einer roten Schirmmütze<br />
wird jeder ausgestattet, der die Zeitschrift der<br />
Straße verkauft. Eine rote Weste und eine schwarze<br />
Umhängetasche gibt es für diejenigen, die schon<br />
länger dabei sind, regelmäßig verkaufen und gezeigt<br />
haben, dass sie es ernst meinen.<br />
Liebe Leserin, lieber Leser, trotz der vielen beteiligten<br />
Studierenden und freiwillig Engagierten<br />
Zeitschrift der Straße<br />
Format: Ssp 150x101mm, 4c<br />
DU: 30.01.15<br />
ET: 2.03.15<br />
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kosten Herstellung und Vertrieb der Zeitschrift der<br />
Straße viel Geld. Wir erhalten keine öffentlichen<br />
Mittel und haben keine großen Sponsoren im Rücken.<br />
Um Menschen in Not zu helfen, sich selbst zu<br />
helfen, brauchen wir Ihre Unterstützung.<br />
Sie können dazu beitragen, dass unsere Verkäuferinnen<br />
und Verkäufer noch besser gesehen werden.<br />
Spenden Sie 5 Euro für eine Mütze, 20 Euro<br />
für eine Tasche, 25 Euro für eine Weste oder 50<br />
Euro für eine komplette Verkäuferausstattung.<br />
Verein für Innere Mission,<br />
IBAN DE22 2905 0101 0001 0777 00<br />
Konto-Nr. 1 077 700<br />
Sparkasse Bremen, BLZ 290 501 01<br />
Verwendungszweck: Zeitschrift der Straße<br />
Spenden sind steuerlich absetzbar.<br />
Fotos: B. Yücelay (oben), A. Schmoll (unten)<br />
Mitarbeiterin des Monats<br />
Mit der Seefahrt haben es die<br />
Bayern nicht so, also zog Lisa<br />
Hummel aus ihrer Heimat nach<br />
Bremerhaven, wo sie an der Fachhochschule<br />
Kreuzfahrttourismus<br />
studiert. Seit einem halben Jahr<br />
arbeitet sie mit zwei Kommilitoninnen<br />
im Marketingteam der<br />
Zeitschrift der Straße.<br />
Sie wirbt um neue Verkäufer,<br />
betreut die Facebook-Seite<br />
und organisiert Veranstaltungen<br />
wie ein kostenloses Frühstück<br />
für von Armut betroffene<br />
Menschen in Bremen.<br />
In ihrem Alltag war Lisa Hummel<br />
vorher kaum in Kontakt mit<br />
Fotografin<br />
Begüm Yücelay, 25, studiert im<br />
7. Semester Kommunikationsdesign<br />
an der Kunstschule Wandsbek<br />
in Bremen. Nebenher arbeitet<br />
sie freiberuflich als Fotografin<br />
und Designerin.<br />
An der Zeitschrift der Straße begeistert<br />
sie besonders die Vielfalt<br />
der Arbeit. Die Begegnung mit<br />
unterschiedlichen Menschen<br />
und die Herausforderung der<br />
Reportagefotografie waren sehr<br />
lehrreich. Ab Herbst wird Yücelay<br />
in England Digital and Visual<br />
Communication studieren.<br />
sozial benachteiligten Menschen<br />
gekommen. Durch die Zeitschrift<br />
der Straße hat sich das geändert.<br />
In Gesprächen mit Verkäufern<br />
hat sie erfahren, wie schnell man<br />
auf die schiefe Bahn geraten und<br />
sozial abgehängt werden kann.<br />
„Es ist schön zu sehen,“ sagt<br />
Hummel, „dass sich Menschen<br />
trotz schwerer Schicksale nicht<br />
unterkriegen lassen und hart daran<br />
arbeiten, wieder zurück in ein<br />
selbstständiges Leben zu finden.“<br />
Sie freut sich, dass sie mit ihrer<br />
Arbeit für die ZdS einen Teil<br />
dazu beitragen kann.<br />
Lisa Hummel, 22 Jahre<br />
DIE ZEITSCHRIFT<br />
DER STRASSE<br />
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wir suchen ambitionierte<br />
Fotografinnen und Fotografen<br />
mit journalistischem Interesse<br />
zur verstärkung unserer<br />
ehrenamtlichen Redaktion.<br />
Mehr unter<br />
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Kontakt: Philipp Jarke, 0170 167 91 98<br />
redaktion@zeitschrift-der-strasse.de
30 | Protokoll<br />
Protokoll: Philipp Jarke<br />
Foto: Begüm Yücelay<br />
Eine Woche<br />
mit Olaf<br />
Seit vier Jahren gehört er<br />
zum Stadtbild Vegesacks wie<br />
Markt und Hafen<br />
Dienstag: Ohne Fernsehen wäre Olaf nie Straßenverkäufer<br />
geworden. „Ich hatte gerade einen Bericht<br />
über die Gründung der Zeitschrift der Straße<br />
gesehen“, erzählt Olaf, „als mich die Streetworkerin<br />
Gimmy Wesemann fragte, ob ich das mal ausprobieren<br />
möchte: Straßenverkäufer.“ Auf seine<br />
erste Zeitschrift hat ihm Bürgermeister Böhrnsen<br />
ein Autogramm gegeben. „Das Heft habe ich wenig<br />
später für zwölf Euro verkauft. Es ging gleich gut<br />
los, und so bin ich seit der ersten Ausgabe dabei.“<br />
Donnerstag: Olaf steht vor der Postfiliale in der<br />
Gerhard-Rohlfs-Straße, einen Steinwurf vom Sedanplatz<br />
entfernt. Sein Stammplatz. Hier verkauft<br />
er montags bis samstags die Zeitschrift der Straße, jeweils<br />
von 11 bis 17 Uhr. Olaf steht auf der einen Seite<br />
der belebten Einkaufsstraße, seine Verlobte Elisabeth<br />
auf der anderen. Acht bis zehn Hefte verkaufen<br />
sie jeweils an normalen Tagen. Seit zwei Jahren<br />
sind die beiden ein Paar, kennengelernt haben sie<br />
sich während einer Drogentherapie, der sich beide<br />
unterziehen mussten. Was er damals genommen<br />
hat? „Polytox“, sagt Olaf nur, alles durcheinander.<br />
Aber das ist nun Geschichte.<br />
Olaf Pfeiff ist ZdS-Verkäufer der ersten Stunde und<br />
Ur-Vegesacker: 1967 wurde er im Hartmannstift<br />
nahe dem Sedanplatz geboren. Abgesehen von fünf<br />
Jahren in Hessen hat Olaf sein ganzes Leben in<br />
Vegesack verbracht.<br />
Freitag: Der Winter schleudert verspätete Schneeund<br />
Hagelschauer auf Vegesack, Olaf und Lissi, wie<br />
er seine Verlobte nennt, suchen Schutz in einer Ladenpassage.<br />
Mit rot gefrorenen Händen dreht Olaf<br />
zwei Zigaretten, eine für Lissi und eine für sich. „Zigaretten<br />
drehen, das kann ich immer noch nicht“,<br />
sagt Lissi und lächelt hinüber zu Olaf. Muss sie<br />
auch nicht, sie sind schließlich ein Team. Am liebsten<br />
würden Olaf und Elisabeth zusammenziehen.<br />
„Meine Wohnung ist ja eher eine Abstellkammer“,<br />
sagt Olaf. Aber wenn er zu Elisabeth in die Grohner<br />
Düne zöge, würden ihre Sozialleistungen stark gekürzt<br />
und die beiden stünden mit weniger Geld da<br />
als zuvor, sagt Olaf. Also bleibt erst mal alles, wie<br />
es ist.<br />
Samstag: „Di-Do-Sa“, wie Olaf sagt, ist Markt auf<br />
dem Sedanplatz. Er kennt hier jeden Händler, bei<br />
einigen kann sich Olaf nützlich machen. Dem Bäcker<br />
hilft er gelegentlich beim Auf- und Abbau, als<br />
Dank darf er sich Brote und Brötchen einpacken.<br />
Und wenn eine neue Ausgabe der Zeitschrift der<br />
Straße erscheint, führt Olafs Weg direkt zum Fischhändler,<br />
einem seiner Stammkunden. Der zahlt<br />
meist nicht in bar, sondern mit einem großen, frischen<br />
Fisch.<br />
Montag: „Den Sonntag haben wir zu Hause verbracht“,<br />
sagt Olaf. „Es gibt Leute, die sind praktisch<br />
jeden Tag in der Vegesacker Fußgängerzone unterwegs,<br />
und die brauchen auch mal ’ne Pause von<br />
uns. Wir wollen ja niemanden nerven. Deshalb machen<br />
wir sonn- und feiertags frei.“<br />
Philipp Jarke ist freier Journalist und leitet die<br />
Redaktion der Zeitschrift der Straße. Olaf hat ihn<br />
vor allem mit seiner Disziplin beeindruckt.<br />
Impressum<br />
Herausgeber Verein für Innere Mission in Bremen,<br />
Blumenthalstraße 10, 28209 Bremen<br />
Partner<br />
Hochschule Bremerhaven<br />
Büro<br />
Auf der Brake 10–12, 28195 Bremen,<br />
Mo–Fr 10–13 Uhr sowie Mo + Di 16–18 Uhr,<br />
Tel. 0421/175 216 27<br />
Kontakt post@zeitschrift-der-strasse.de<br />
Internet www.zeitschrift-der-strasse.de<br />
Anzeigen Preisliste 05, gültig seit 1.12.2014<br />
Kontakt: Michael Vogel,<br />
anzeigen@zeitschrift-der-strasse.de<br />
Abo<br />
nur für Firmen, Institutionen und<br />
Nicht-BremerInnen (40 € / 10 Ausgaben):<br />
abo@zeitschrift-der-strasse.de<br />
Spendenkonto Verein für Innere Mission,<br />
IBAN DE22 2905 0101 0001 0777 00,<br />
Konto-Nr. 1 077 700,<br />
Sparkasse Bremen, BLZ 290 501 01,<br />
Verwendungszweck (wichtig!): Zeitschrift der Straße<br />
Spenden sind steuerlich absetzbar.<br />
Redaktion<br />
Fotografie<br />
Marketing<br />
Vertrieb<br />
Gesamtleitung<br />
André Beinke, Carolin Hoffmann, Felix Müller,<br />
Andreas Kuhlmann, Wiebke Plasse, Joschka<br />
Schmitt<br />
Leitung: Philipp Jarke (pj), Tanja Krämer (tak),<br />
redaktion@zeitschrift-der-strasse.de<br />
André Schmoll, Begüm Yücelay,<br />
Kunstschule Wandsbek, Bremen<br />
Katharina Brasch, Lisa Hummel, Marissa Käßhöfer<br />
Leitung: Prof. Dr. Wolfgang Lukas<br />
marketing@zeitschrift-der-strasse.de<br />
Lisa Bäuml, Angelika Biet, Conny Eybe,<br />
Tabbo Hankel, Eike Kowalewski, Georg Kruppa,<br />
Paweł Mehring, Jonas Pot d’Or, Eva Schade,<br />
Eva Schönberger, Thorsten Sander,<br />
Gimmy Wesemann, Lenert Loch<br />
sowie viele engagierte VerkäuferInnen<br />
Leitung: Rüdiger Mantei, Reinhard „Cäsar“ Spöring<br />
vertrieb@zeitschrift-der-strasse.de<br />
Bertold Reetz, Prof. Dr. Dr. Michael Vogel<br />
Gestaltung Paula Fülleborn (Werbeagentur Brandfisher),<br />
Janina Freistedt, Ottavo Oblimar, Glen Swart<br />
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Lektorat Textgärtnerei, Am Dobben 51, 28203 Bremen<br />
V. i. S. d. P. Tanja Krämer / Anzeigen: Michael Vogel<br />
Druck<br />
BerlinDruck GmbH + Co KG, Achim<br />
Papier<br />
Circleoffset White, hergestellt von Arjowiggins,<br />
vertrieben durch Hansa-Papier GmbH & Co. KG,<br />
Bremen, ausgezeichnet mit dem Blauen Umweltengel<br />
und dem EU-Ecolabel<br />
Erscheint zehnmal jährlich<br />
Auflage 5.000<br />
Gerichtsstand<br />
& Erfüllungsort Bremen<br />
ISSN 2192-7324<br />
Mitglied im International Network of Street Papers (INSP).<br />
Gefördert durch den Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft.<br />
Die Redaktion übernimmt keine Haftung für unverlangt eingesandte<br />
Manuskripte, Fotos und Illustrationen. Die Zeitschrift der Straße und<br />
alle in ihr enthaltenen Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Mit<br />
Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne<br />
Einwilligung des Verlages strafbar. Alle Anbieter von Beiträgen, Fotos<br />
und Illustrationen stimmen der Nutzung in den Ausgaben der<br />
Zeitschrift der Straße im Internet, auf DVD sowie in Datenbanken zu.<br />
GROHNER DÜNE<br />
Ein Riese mit<br />
schlechtem Ruf.<br />
Wir haken nach.<br />
Und schauen hin.<br />
Ab 06. Juli beim<br />
Straßenverkäufer<br />
Ihres Vertrauens.
„ICH ENGAGIERE MICH, WEIL<br />
BREMENS STRASSENMAGAZIN<br />
WIRKEN MIT LERNEN<br />
VERBINDET.“<br />
MICHAEL VOGEL, 47 JAHRE,<br />
IST WIRTSCHAFTSPROFESSOR IN BREMERHAVEN,<br />
WILL DIE WELT VERBESSERN UND HAT DESHALB 2009<br />
DIE ZEITSCHRIFT DER STRASSE INITIIERT.<br />
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