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Magazin für Stadtkultur Schlachthof / Lagerhaus HASS WUT ZORN
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HASS WUT ZORN
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11<br />
Das Seelenheil<br />
braucht<br />
laut und leise<br />
Tanja Jahnz<br />
PortrÄt<br />
<br />
Die Bronchitis, mit der sie letzte Woche noch im Bett gelegen<br />
hat, merkt man ihr noch ein wenig an, aber Lutschpastillen<br />
schaffen Abhilfe, wenn der Husten sich meldet.<br />
Für Tanja Jahnz (42) gilt, was für viele Freiberufler gilt –<br />
krank sein muss man sich leisten können. Wobei es bei ihr<br />
nicht nur um das Geld geht, was sie in der Zeit nicht<br />
verdient, sondern auch um die Menschen, die abends in<br />
der Swing-Kantine den Lindy-Hop von ihr lernen wollen.<br />
Ist sie nicht da, müssen Vertretungen organisiert werden<br />
oder Kurse fallen aus, je nachdem.<br />
Es war ihr nicht in die Wiege gelegt, Tanzlehrerin zu<br />
werden, denn früher hatte sie Angst vor Gruppen zu<br />
sprechen, heute gibt sie die Rampensau, wie sie selber<br />
sagt. Früher, das war, als sie noch Informatik studierte,<br />
kurz vor der Jahrtausendwende, wo die Idee, dass jeder<br />
Haushalt einen eigenen Computer haben wird, noch als<br />
Utopie galt. Sie unterstützte als Studentin die Informatiker-<br />
Feminale und gab Qualifizierungskurse für Lehrerinnen am<br />
Landesinstitut für Schule. Das ging nicht ohne Reden, also<br />
redete sie. ›Ich mach einfach, ich muddel mich da rein‹,<br />
sagt Jahnz.<br />
Und wenn sie etwas macht, denkt sie sehr schnell<br />
darüber nach, wie man das Ganze optimieren könnte. Ihr<br />
Gemuddel bei den Computerkursen war so gut, dass sie<br />
sich 2005 als Angestellte des Senators für Bildung wiederfand.<br />
Dort arbeitete sie am Konzept der Web-Punkte mit<br />
und bildete Schülerinnen und Schüler als Betreuer aus.<br />
Die Idee der Web-Punkte war, dass die Schulcomputer<br />
nachmittags von Menschen aus der Nachbarschaft genutzt<br />
werden können, um <strong>Mai</strong>ls zu verschicken oder ›mal zu<br />
gucken, was das Internet eigentlich ist‹.<br />
Tanja Jahnz hat sich bereits im 3. Semester mit ihrem<br />
IT-Service selbständig gemacht und neben verschiedenen<br />
Kursen immer mehr kleine Firmen und Einzelpersonen<br />
betreut. Studiert hat sie zwar weiterhin, auch alle Scheine<br />
gemacht, aber die Diplomarbeit letztendlich sausen lassen.<br />
Sie hatte bereits genug Arbeit und ihre Freizeit teilte sie<br />
zu dem Zeitpunkt bereits zwischen Tanzen und Kampfsport<br />
auf.<br />
Kamen die Impulse für ihre Interessen aus der Familie?<br />
›Nein, ich war die erste in meiner Familie mit Abitur, mein<br />
Vater war Maschinenführer und meine Mutter Stationsversorgerin<br />
im Krankenhaus.‹ Kampfsport haben beide<br />
nicht betrieben, das kam über den Bruder einer Schulfreundin<br />
in ihr Leben – und blieb. Mit zehn Jahren fing sie mit<br />
Judo an, mit 14 Jahren unterrichtete sie bereits und war<br />
auch im Landeskader. Jiu Jitsu kam parallel dazu, später<br />
noch Shinson Hapkido, eine koreanische Kampfkunst, zu<br />
der auch Meditation, Stockkampf und asiatische Heilkunst<br />
gehören. Jahnz hat die Bremer Gruppe<br />
mit aufgebaut. Doch mit 32 Jahren ist<br />
Schluss mit dem Kampfsport, der Körper<br />
muckt und dann gibt es da ja noch die<br />
andere Leidenschaft, das Tanzen.<br />
Sie gründet 2006 die Swing-Kantine.<br />
›Die ersten fünf Jahre habe ich fast<br />
alleine unterrichtet, denn die Leute, die<br />
ich ausgebildet habe, sind immer wieder<br />
abgesprungen‹, erzählt sie. Zwar organisiert<br />
sie heute noch das komplette<br />
Kurs- und Workshopangebot, aber das<br />
Team ist mittlerweile gewachsen und sie<br />
unterrichtet nicht mehr alleine. Angefangen<br />
hat sie übrigens ganz klassisch mit<br />
Standard- und Lateintänzen, aber ›das<br />
mache ich schon lange nicht mehr, völlig<br />
unergonomisch.‹ Auf Nachfrage erklärt<br />
sie: ›Beim Standardtanz sind das sehr<br />
hochstilisierte Bewegungen, die sind<br />
nicht gesund. Mir ist es wichtig einen<br />
ergonomischen und gleichberechtigten<br />
Tanzstil zu unterrichten.‹<br />
Das hört man nicht in jeder Tanzschule, aber Jahnz und<br />
ihren KollegInnen ist es wichtig, dass beide Tanzpartner so<br />
tanzen, wie es zu ihnen passt. Auch die Frage, wer führt und<br />
wer folgt, wird für jedes Paar individuell geregelt. Ihr ist<br />
wichtig, dass die Paare das ganz frei ausprobieren und<br />
manche wechseln die Rollen sogar je nach Tanz. Und da sie<br />
in den Kursen die Tanzpartner auch rotieren lässt, kommt es<br />
vor, dass dann Männer mit Männern tanzen, womit sicher<br />
die wenigsten gerechnet haben, aber es ist kein Problem.<br />
Tanja Jahnz ist relativ klein und sehr durchtrainiert, wenn<br />
sie erzählt steht sie immer wieder auf, um Bewegungen<br />
vorzumachen oder um zu zeigen, wie ein Tanzpartner<br />
Zeichen geben und wie der andere darauf reagieren kann.<br />
Auch das Bouncen vom Lindy-Hop zeigt sie: ›Es ist als wenn<br />
man ein Baby auf dem Arm hat, das man beruhigen möchte.<br />
Da weiß eigentlich jeder sofort, wie die Bewegung geht. Und<br />
das Tolle ist, spätestens nach fünf Minuten sind alle im Kurs<br />
am Lächeln. Durch das Bouncen verschwindet der Stress,<br />
die Leute entspannen und es macht einfach Spaß.‹<br />
Ihre Wochenenden sind selten frei, meist gibt es einen<br />
Workshop zu leiten oder zwecks Fortbildung selbst zu<br />
besuchen, dann organisiert sie gerade ein Tanzfestival in<br />
Kroatien und sie hat schon den nächsten Tanz parat, auf<br />
den die Bremer Szene gewartet hat: Balboa. Und da den<br />
dann wieder fast keiner kennt, unterrichtet sie erst mal<br />
alleine, bis sie wieder Leute ausgebildet hat …<br />
GUDRUN GOLDMANN<br />
Foto: MARINA LILIENTHAL