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HASS WUT ZORN

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7<br />

Lena Philipp<br />

Achtsamkeit gegen<br />

den Kontrollverlust<br />

Seit Mia (Namen geändert) 13 Jahre alt ist, ist sie in Therapie. Mit<br />

18 bekam sie die Diagnose Borderline-Persönlichkeit. Ein Leben<br />

mit diesem Störungsbild bedeutet ein Leben zwischen Extremen.<br />

Im Interview gibt sie Einblicke in ihre schwierige Gefühlswelt.<br />

Erzähl mir etwas über Wut. Wie fühlt sich die Wut an?<br />

Es ist ein innerliches Zerreißen. Ich habe die Symptomatik,<br />

dass ich wahnsinnige Bauchschmerzen bekomme. Ich bin so<br />

angespannt, dass ich das Gefühl habe, ich platze gleich. Ich muss<br />

das irgendwie rauslassen. Bevor ich im DBT gelernt habe damit<br />

umzugehen, habe ich angefangen mich selbst zu verletzen, meine<br />

Eltern und Freunde anzuschreien oder Leute zu schlagen. Ich weiß<br />

nicht, ob es geholfen hat. Wenn ich Leute angeschrieen habe, hat<br />

mich das erst einmal noch wütender gemacht und schließlich hat<br />

das zu Selbstverletzungen geführt. Bei mir hat eigentlich immer<br />

alles in Selbstverletzungen geendet, erst dann habe ich mich<br />

beruhigt.<br />

Was ist DBT?<br />

DBT steht für Dialektisch-Behaviorale Therapie und wurde<br />

speziell für Menschen mit Borderline entwickelt. Es geht dabei um<br />

das Erlernen von Gefühlsregulation und Achtsamkeit.<br />

Wo liegt das Problem bei der Gefühlsregulation?<br />

Das Problem bei Borderline-Erkrankungen ist, dass die<br />

Betroffenen Schwierigkeiten damit haben, ihre Emotionen<br />

angemessen zu regulieren. Alle Emotionen sind wesentlich stärker<br />

als bei anderen Leuten. Zum Beispiel wird Freude ganz, ganz<br />

stark empfunden, sodass du dann sehr schnell überreagierst und<br />

richtig manisch wirst – du denkst, du könntest alles schaffen.<br />

Das passiert auch bei Angst, sodass du sehr schnell Panikattacken<br />

bekommst. Bei Trauer fällst du erst einmal in ein riesengroßes<br />

schwarzes Loch – du denkst, alles sei vorbei. Oder eben auch<br />

Wut – du wirst sehr schnell aggressiv, es könnte passieren, dass<br />

du um dich schlägst und Leute verletzt. Betroffene sind wesentlich<br />

angespannter, eigentlich immer. Das ist unglaublich anstrengend.<br />

Viele haben stark mit Depressionen und Aggressionen zu<br />

kämpfen – eben wegen der Probleme mit der Gefühlsregulation.<br />

Wenn du deine Wut mit der Wut von anderen vergleichst, wo<br />

siehst du den Unterschied?<br />

Wut ist ja an sich etwas Normales. Andere Leute brauchen halt<br />

etwas länger, bis sie wütend werden, aber bei Borderline ist das<br />

so, dass du sehr schnell in den Emotionen drin bist und dann<br />

länger brauchst, um wieder runterzukommen. Die Auslöser greifen<br />

schneller – schon Kleinigkeiten können zu Überreaktionen führen.<br />

Warum?<br />

Andere differenzieren mehr. Mit Borderline hörst du auf zu<br />

differenzieren. Etwas ist entweder gut oder schlecht. Das<br />

mSchwarz-Weiß-Denken ist sehr stark ausgeprägt. Oft wird<br />

plötzlich alles schlecht. Das hat viel mit Hass zu tun. Man fängt<br />

schnell an Leute zu hassen, einfach weil man eine Kleinigkeit<br />

bemerkt, die einem nicht gefällt und plötzlich ist alles schlecht.<br />

Das führt auch zu Wutreaktionen.<br />

Ab welchem Punkt ist die Wut nicht mehr umzukehren?<br />

Ab 70 Prozent. Es gibt eine Spannungskurve. Die ist auf<br />

Anspannung, Aggressionen und Wut ausgerichtet. Es gibt eine<br />

30-Prozent-Linie, da kannst du noch überlegen ›Was stört mich,<br />

was kann ich ändern?‹ Dann geht<br />

es immer höher. Da muss man<br />

anfangen mit Skills zu arbeiten,<br />

zum Beispiel Sport machen, Musik<br />

hören, weggehen, malen. Bei 70<br />

Prozent ist die Anspannung quasi<br />

nicht mehr umkehrbar. Bei 70<br />

Prozent bist du quasi drüber.<br />

Dann passiert ein großer Knall,<br />

der Kontrollverlust. Schreien,<br />

Schlagen … sowas.<br />

Warum schaffst du es manchmal<br />

nicht, aus der Situation früh<br />

genug herauszukommen?<br />

Weil ich es nicht früh genug<br />

gemerkt habe, all die kleinen<br />

Warnzeichen, die mir zeigen,<br />

dass ich immer wütender werde.<br />

Man muss bei sich bleiben und<br />

manchmal ist man das eben<br />

nicht. Zum Beispiel bei Stress<br />

– du bist bei 100 Sachen, aber<br />

nicht mehr bei dir selbst.<br />

Man reguliert sich ja eigentlich<br />

unbewusst. Jeder muss sich<br />

regulieren, aber manche<br />

müssen das bewusst tun.<br />

Welchem Gefühl steht Wut<br />

am nächsten?<br />

Angst. Wut hat immer was<br />

mit Angst zu tun. Angst, dass<br />

einem etwas weggenommen<br />

wird. Angst, dass man alleine<br />

gelassen wird. Angst, dass<br />

etwas nicht so passiert, wie<br />

man es möchte. Ich werde<br />

ganz schnell unsicher, wenn<br />

sich etwas ändert. Ich weiß nicht, was kommt. Dann werde ich<br />

unsicher, nervös und angespannt.<br />

Wie schaffst du es, die Therapie in dein Leben zu integrieren?<br />

Es ist schwierig. Ich werde wohl auch nochmal zu einer<br />

Auffrischung gehen. Aber ich war schon immer ein Mensch, der<br />

sich gut selbst reflektieren kann und ich habe das auch sehr früh<br />

selbst gemerkt, dass da was nicht stimmt. Manche Borderliner<br />

nehmen sich selbst nicht mehr richtig wahr, fühlen sich sicher in<br />

ihrer Diagnose und hinterfragen nicht mehr. ›Ich kann das eh nicht<br />

ändern. Ich darf scheiße sein, ich darf dich blöd anmachen. Ich<br />

bin Borderliner, ich kann nicht anders.‹<br />

Menschen können sich aber ändern und Borderline ist<br />

therapierbar. Wahrnehmung ist das A und O dabei.<br />

Foto: MARINA LILIENTHAL

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