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zett Magazin April / Mai

Magazin für Stadtkultur Schlachthof / Lagerhaus HASS WUT ZORN

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HASS WUT ZORN

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THE<br />

MA<br />

6<br />

Joschka Schmitt<br />

Wo ist die Wut im Pop?<br />

Wut galt einmal als das antreibende Popkultur-Motiv schlechthin, ein wichtiger<br />

Motor populärer Genres wie Punk oder HipHop. Musik wurde zum Kompensator<br />

blinder Wut und Aggression in tristen, perspektivlosen Zeiten, zum Träger und<br />

Kanal gezielter Wut auf gesellschaftliche und politische Missstände. Den Lieblingsthemen<br />

der Popmusik, Liebe, Sex und Partnerschaft, standen spätestens mit<br />

Punk eine oft diffuse Unzufriedenheit gegenüber. Doch wie wütend ist die Popmusik<br />

heute, in Zeiten der politisch passiven Generation Y und des Wohlstands bei gleichzeitiger<br />

enormer sozialer Schieflage?-<br />

I<br />

n den Siebziger Jahren schwappte dieser Geist aus den USA<br />

nach England und wurde dort zur breiten Bewegung, zunächst<br />

getrieben von einem eher unpolitischem Zorn gegenüber<br />

Institutionen sowie dem Frust über die Klassengesellschaft<br />

und Perspektivlosigkeit. Bald kam die Bewegung auch<br />

hierzulande an und etablierte sich durch Bands wie Die Toten<br />

Hosen und Die Ärzte im <strong>Mai</strong>nstream. Politisierte Wut war oft<br />

die treibende Kraft: Probleme benennen und Bewusstsein<br />

schaffen, das ist im Pop immer wieder gelungen. Jedoch sind<br />

die wilden Jahre des Aufruhrs mit dem Ende des Kalten<br />

Krieges, der Studentenrevolte und den späteren Hochzeiten<br />

rebellischer Jugendkulturen längst passé. Kämpfe gegen das<br />

Establishment scheinen ausgefochten und die Verhältnisse<br />

einigermaßen zurechtgerückt, die wütenden Energien sind<br />

verflogen.<br />

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts dominieren in den Charts<br />

weichgespülte Coversongs ohne Haltung, Ecken und Kanten.<br />

Dabei sind es keine problemlosen Zeiten. Im Gegenteil.<br />

Missstände herrschen nah und fern, Terror und Krieg lösen<br />

Flüchtlingswanderungen aus, täglich grüßt das Elend in den<br />

Nachrichten. Düstere deutsche Geschichte wiederholt sich<br />

im Kleinen in der Nachbarschaft: hetzende Politiker, aufmarschierende<br />

Nazis, pöbelnde Mobs, Anschläge auf Flüchtlingsheime<br />

und hohe Wahlergebnisse rechter Parteien.<br />

In der Ecke der Popmusik ist es diesbezüglich ziemlich still.<br />

Ob abgestumpft, in Schockstarre oder aus Scheu, unbequem<br />

zu werden – Wut findet sich im <strong>Mai</strong>nstream kaum noch.<br />

Berufswüteriche wie Die Ärzte oder Die Toten Hosen halten<br />

die Füße still. Große Teile des HipHop loten lieber Geschmacksuntiefen<br />

und die Grenzen des Zumutbaren aus,<br />

haben dabei jedoch oft wenig zu sagen.<br />

Allerdings hat gerade HipHop vereinzelt doch noch<br />

massive Wut im basslastigen Bauch. Derzeit fallen besonders<br />

K.I.Z. und Deichkind mit sozialkritischen Nummer-1-Alben<br />

auf. Auch die Antilopen Gang und Zugezogen Maskulin<br />

gehören zu den angesagten Sprachakrobaten, die ihre Wut in<br />

politischen Texten artikulieren. K.I.Z. positionieren sich klar,<br />

makaber und provokant. Im Chart-Hit ›Boom, Boom, Boom‹<br />

rappen sie: ›Ihr Partypatrioten seid nur weniger konsequent<br />

als diese Hakenkreuz-Idioten, die gehen halt noch selber ein<br />

paar Ausländer töten, anstatt jemand zu bezahlen, um sie<br />

vom Schlauchboot zu treten‹, und fragen: ›Denkt ihr die<br />

Flüchtlinge sind in Partyboote gestiegen, mit dem großen<br />

Traum im Park mit Drogen zu dealen?‹ Die frühere Ironie der<br />

Band ist einer neuen Radikalität gewichen. K.I.Z. sind wütend,<br />

wollen den politisch verschlafenen Mittelstand wachrütteln.<br />

Deichkind wiederum bringt Slogans wie ›Refugees Welcome‹,<br />

›Fight Racism‹ und ›Fight Sexism‹ in ausverkaufte Hallen und<br />

ins Bewusstsein vermeintlich gleichgültiger Jugendlicher.<br />

Ohnehin scheint die Statement-Bereitschaft bei Live-<br />

Auftritten größer zu sein als auf Tonträgern – gerade wenn<br />

sie im vergleichsweise freundlichen Gestus daherkommt.<br />

So setzten Gloria, Madsen, Revolverheld, Ferris MC und die<br />

Donots beim Bundesvision Song Contest 2015 vor einem<br />

Millionenpublikum Zeichen gegen Rechte und die Ablehnung<br />

von Flüchtlingen.<br />

Vielleicht sollte sich die Popkultur konsequenter aus ihrer<br />

Komfortzone wagen und der zweifellos vorhandenen Wut Luft<br />

machen, Themen in Lautsprecher und auf die Bildschirme<br />

bringen, auch auf Festivals und auf die Straße. Popmusik hat<br />

sich in ihrer Historie auch eine gesellschaftliche Verantwortung<br />

erspielt und ganze Generationen immer wieder dazu<br />

angetrieben, Dinge zu ändern, die sie wütend machten.<br />

Foto: MARINA LILIENTHAL

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