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Magazin für Stadtkultur Schlachthof / Lagerhaus HASS WUT ZORN
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Schlachthof / Lagerhaus
HASS WUT ZORN
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THE<br />
MA<br />
6<br />
Joschka Schmitt<br />
Wo ist die Wut im Pop?<br />
Wut galt einmal als das antreibende Popkultur-Motiv schlechthin, ein wichtiger<br />
Motor populärer Genres wie Punk oder HipHop. Musik wurde zum Kompensator<br />
blinder Wut und Aggression in tristen, perspektivlosen Zeiten, zum Träger und<br />
Kanal gezielter Wut auf gesellschaftliche und politische Missstände. Den Lieblingsthemen<br />
der Popmusik, Liebe, Sex und Partnerschaft, standen spätestens mit<br />
Punk eine oft diffuse Unzufriedenheit gegenüber. Doch wie wütend ist die Popmusik<br />
heute, in Zeiten der politisch passiven Generation Y und des Wohlstands bei gleichzeitiger<br />
enormer sozialer Schieflage?-<br />
I<br />
n den Siebziger Jahren schwappte dieser Geist aus den USA<br />
nach England und wurde dort zur breiten Bewegung, zunächst<br />
getrieben von einem eher unpolitischem Zorn gegenüber<br />
Institutionen sowie dem Frust über die Klassengesellschaft<br />
und Perspektivlosigkeit. Bald kam die Bewegung auch<br />
hierzulande an und etablierte sich durch Bands wie Die Toten<br />
Hosen und Die Ärzte im <strong>Mai</strong>nstream. Politisierte Wut war oft<br />
die treibende Kraft: Probleme benennen und Bewusstsein<br />
schaffen, das ist im Pop immer wieder gelungen. Jedoch sind<br />
die wilden Jahre des Aufruhrs mit dem Ende des Kalten<br />
Krieges, der Studentenrevolte und den späteren Hochzeiten<br />
rebellischer Jugendkulturen längst passé. Kämpfe gegen das<br />
Establishment scheinen ausgefochten und die Verhältnisse<br />
einigermaßen zurechtgerückt, die wütenden Energien sind<br />
verflogen.<br />
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts dominieren in den Charts<br />
weichgespülte Coversongs ohne Haltung, Ecken und Kanten.<br />
Dabei sind es keine problemlosen Zeiten. Im Gegenteil.<br />
Missstände herrschen nah und fern, Terror und Krieg lösen<br />
Flüchtlingswanderungen aus, täglich grüßt das Elend in den<br />
Nachrichten. Düstere deutsche Geschichte wiederholt sich<br />
im Kleinen in der Nachbarschaft: hetzende Politiker, aufmarschierende<br />
Nazis, pöbelnde Mobs, Anschläge auf Flüchtlingsheime<br />
und hohe Wahlergebnisse rechter Parteien.<br />
In der Ecke der Popmusik ist es diesbezüglich ziemlich still.<br />
Ob abgestumpft, in Schockstarre oder aus Scheu, unbequem<br />
zu werden – Wut findet sich im <strong>Mai</strong>nstream kaum noch.<br />
Berufswüteriche wie Die Ärzte oder Die Toten Hosen halten<br />
die Füße still. Große Teile des HipHop loten lieber Geschmacksuntiefen<br />
und die Grenzen des Zumutbaren aus,<br />
haben dabei jedoch oft wenig zu sagen.<br />
Allerdings hat gerade HipHop vereinzelt doch noch<br />
massive Wut im basslastigen Bauch. Derzeit fallen besonders<br />
K.I.Z. und Deichkind mit sozialkritischen Nummer-1-Alben<br />
auf. Auch die Antilopen Gang und Zugezogen Maskulin<br />
gehören zu den angesagten Sprachakrobaten, die ihre Wut in<br />
politischen Texten artikulieren. K.I.Z. positionieren sich klar,<br />
makaber und provokant. Im Chart-Hit ›Boom, Boom, Boom‹<br />
rappen sie: ›Ihr Partypatrioten seid nur weniger konsequent<br />
als diese Hakenkreuz-Idioten, die gehen halt noch selber ein<br />
paar Ausländer töten, anstatt jemand zu bezahlen, um sie<br />
vom Schlauchboot zu treten‹, und fragen: ›Denkt ihr die<br />
Flüchtlinge sind in Partyboote gestiegen, mit dem großen<br />
Traum im Park mit Drogen zu dealen?‹ Die frühere Ironie der<br />
Band ist einer neuen Radikalität gewichen. K.I.Z. sind wütend,<br />
wollen den politisch verschlafenen Mittelstand wachrütteln.<br />
Deichkind wiederum bringt Slogans wie ›Refugees Welcome‹,<br />
›Fight Racism‹ und ›Fight Sexism‹ in ausverkaufte Hallen und<br />
ins Bewusstsein vermeintlich gleichgültiger Jugendlicher.<br />
Ohnehin scheint die Statement-Bereitschaft bei Live-<br />
Auftritten größer zu sein als auf Tonträgern – gerade wenn<br />
sie im vergleichsweise freundlichen Gestus daherkommt.<br />
So setzten Gloria, Madsen, Revolverheld, Ferris MC und die<br />
Donots beim Bundesvision Song Contest 2015 vor einem<br />
Millionenpublikum Zeichen gegen Rechte und die Ablehnung<br />
von Flüchtlingen.<br />
Vielleicht sollte sich die Popkultur konsequenter aus ihrer<br />
Komfortzone wagen und der zweifellos vorhandenen Wut Luft<br />
machen, Themen in Lautsprecher und auf die Bildschirme<br />
bringen, auch auf Festivals und auf die Straße. Popmusik hat<br />
sich in ihrer Historie auch eine gesellschaftliche Verantwortung<br />
erspielt und ganze Generationen immer wieder dazu<br />
angetrieben, Dinge zu ändern, die sie wütend machten.<br />
Foto: MARINA LILIENTHAL