Bilder sehen, die gar nicht da sind - Pony
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Michael Wildenhain Roman<br />
Träumer des<br />
Absoluten<br />
Klett-Cotta 2008 | 334 Seiten | 19,90 EUR<br />
Kerstin Cornils<br />
»Wir <strong>sind</strong> besser als <strong>die</strong> 68er,« wird Tariq irgendwann<br />
Anfang der 80er behaupten. In Westberlin ist <strong>die</strong> Zeit<br />
des militanten Häuserkampfs angebrochen; in vielen<br />
besetzten Wohnungen werden mehr Wurfgeschosse<br />
im Keller als Lebensmittel im Kühlschrank gehortet.<br />
Texte der RAF und <strong>da</strong>s Konzept der Stadtguerilla geben<br />
sich auf Spanplattenregalen ein Stelldichein. Auf<br />
Transparenten ist man »Feuer und Flamme für den<br />
Staat«, hält Leben für »eine prima Alternative«. Manche<br />
glauben, eine neue Zeitrechnung sei angebrochen.<br />
Es spricht für <strong>da</strong>s dialektische Denkvermögen des Autors<br />
Michael Wildenhain, <strong>da</strong>ss ihn <strong>die</strong> These vom revolutionären<br />
Zeitumschwung genauso fasziniert wie der<br />
Ver<strong>da</strong>cht, <strong>da</strong>s <strong>da</strong>malige Berlin West könne »bloß eine<br />
letzte schillernde Blüte« gewesen sein: eine dem Untergang<br />
geweihte Stadt voller Zivis.<br />
Schon vor dem Häuserkampf <strong>sind</strong> Jochen und<br />
der aus dem Libanon gebürtige Tariq beste Freunde.<br />
Seit der Schulzeit verbindet sie <strong>die</strong> Liebe zur<br />
Mathematik – und zu Judith. Während Tariq vor<br />
Alpha-Genen strotzt, hält Jochen sich im Hintergrund<br />
auf. Geht Tariq mit Judith, schweigt Jochen<br />
<strong>da</strong>zu, zerstört vor lauter Verzweiflung höchstens <strong>die</strong><br />
väterliche Modelleisenbahn. Wenn Tariq fern ist, ist<br />
Jochen nah; <strong>da</strong>nn musiziert er mit dem jüdischstämmigen<br />
Mädchen, berührt es. Erst später, als Jochen<br />
mit Judith Kinder hat, dämmert ihm, was Liebe vielleicht<br />
sein könnte. Tariq wird <strong>die</strong>se Erkenntnis <strong>nicht</strong><br />
<strong>da</strong>von abhalten, ihm Judith streitig zu machen.<br />
Die Ménage à trois ist in Wildenhains Roman nur<br />
der Subtext. Im Zentrum der “Träumer des Absoluten”<br />
stehen moralische und politische Fragen:<br />
Wie ist <strong>die</strong> “vergiftete Niederlage” zu ertragen,<br />
nachdem man sich vom Häuserkampf abgewandt<br />
und einem bürgerlichen Dasein als Mathematikprofessor<br />
zugewandt hat? Wie groß ist der Verrat<br />
des Kronzeugen, der gegen <strong>die</strong> ehemaligen Genossen<br />
aussagt? Wildenhains mit<strong>nicht</strong>en perfekter Roman<br />
gehört zu den seltenen Texten, in denen <strong>da</strong>s<br />
Geheimnisvolle wächst, je mehr sich <strong>da</strong>s Netz des<br />
Analytischen zuzieht.<br />
28 Bücher<br />
Rainald Goetz Programmschrift<br />
Klage<br />
Suhrkamp 2008 | 428 Seiten | 22,80 EUR<br />
Ulrich Kriest<br />
Anruf von der Literaturre<strong>da</strong>kteurin einer größeren<br />
süddeutschen Tageszeitung: Nein, den neuen Goetz<br />
möchte sie nun doch lieber <strong>nicht</strong> rezensiert haben.<br />
Dieses wilde Rumgemotze gegen jeden und alles sei ja<br />
wohl so was von, <strong>da</strong>s wolle sie <strong>nicht</strong> auch noch unterstützen,<br />
indem sie »Klage« Platz im Blatt einräume. Andere<br />
Leute sagten, <strong>da</strong>ss sie »Klage« <strong>nicht</strong> interessiere,<br />
weil der Text ja schon online verfügbar gewesen sei.<br />
Aber Goetz lesen macht trotzdem noch immer<br />
viel Spaß – weil er boshafte Apercus gegen <strong>die</strong> Kollegen<br />
Joachim Lottmann und Maxim Biller feuert, sich<br />
über <strong>da</strong>s »energisch gnomhafte Bonapartetum«<br />
eine Stefan Aust amüsiert, Daniel Richter nachrühmt,<br />
er sei wohl immer schon ein »banaler, mitläuferischer,<br />
plattitüdenhafter Typ« gewesen, und<br />
weil er Matthias Mattusek und Daniel Kehlmann<br />
brutal disst. Goetz, nach eigener Aussage »verkrallt<br />
in den Ernst«, ist ein engagierter Me<strong>die</strong>n- und Szene-Beobachter,<br />
der von Club zu Galerie, von Galerie<br />
zum Szenetreffpunkt, vom Kino ins Theater, vom<br />
Bundestag in den Gerichtssaal, von Tageszeitung zu<br />
Magazin zu Blog und vor den Fernseher eilt.<br />
Wer selbst den Tag mit dem Perlentaucher beginnt,<br />
ein paar Stunden täglich im Netz verbringt<br />
und ein paar Magazine mehr abonniert hat, weiß,<br />
<strong>da</strong>ss Goetz richtig liegt, wenn er feststellt: »Das kollektive<br />
Gemurmel bewegt <strong>die</strong> Rezeption auf <strong>die</strong> Art<br />
ins Konsensuelle.« Daneben finden sich pointierte<br />
Ge<strong>da</strong>nken und Notizen zu Petzolds »Yella«, zu Luhmann,<br />
Momentaufnahmen aus der Politik, wenn<br />
Münteferings Körpersprache Merkel signalisiert:<br />
»<strong>da</strong>ss du mich ansprechen <strong>da</strong>rfst, hast du dir <strong>nicht</strong><br />
ver<strong>die</strong>nt in letzter Zeit«. Goetz schreibt: »Die Drohung<br />
mit Beobachtung heißt im Kern: man wird Dinge<br />
über den Beobachteten denken, <strong>die</strong> stimmen.« So<br />
mischt sich der Furor des angewiderten Beschreibens<br />
immer wieder mit hellsichtigen Zuspitzungen,<br />
<strong>die</strong> wirklich gut beobachtet <strong>sind</strong>. Und <strong>da</strong>zu gibt es<br />
reichlich tolle Klatschgeschichten aus der Kulturszene<br />
von »Hate City«, wie Goetz Berlin nennt. Und<br />
schließlich auch noch Prologomena zu einer Ethik<br />
des Schimpfens.<br />
Peter Carey Roman<br />
Liebe. Eine<br />
Diebesgeschichte<br />
S. Fischer 2008 | 336 Seiten | 19,90 EUR<br />
Michael Saager<br />
Der 1943 in Australien geborene und zweimal mit<br />
dem Booker Prize ausgezeichnete New Yorker Schriftsteller<br />
Peter Carey hat sich in seinen zahlreichen Romanen<br />
als höchst interessanter Geschichtenerzähler<br />
hervorgetan – als Autor mit überreicher Phantasie<br />
und versierter Kenner australischer Befindlichkeiten,<br />
<strong>die</strong> er gern in einer Sprache präsentiert, <strong>die</strong> so schroff<br />
ist wie elegant. Careys jüngster Roman »Liebe. Eine<br />
Diebesgeschichte« ist vieles zugleich: <strong>die</strong> Geschichte<br />
einer heftigen Liebe zu einer undurchsichtigen Frau<br />
und <strong>die</strong> zweier ungleicher Brüder; eine so boshafte<br />
wie sachkundige Satire über den Kunstbetrieb, seine<br />
unfassbaren Preismechanismen und <strong>die</strong> attraktiven<br />
kriminellen Möglichkeiten, <strong>die</strong> <strong>da</strong>mit einhergehen.<br />
Außerdem erzählt Carey vom typisch australischen<br />
Minderwertigkeitsgefühl gegenüber dem Rest der<br />
Welt. Eine Art Selbsthass, von der sein Protagonist,<br />
der Maler Michael »Butcher« Bone, mehr als genug<br />
in sich trägt, auch aus anderen Gründen.<br />
Man kann den Mann gut verstehen: Die Kunstwelt<br />
erinnert seinen einst berühmten Namen kaum noch,<br />
der Marktwert seiner <strong>Bilder</strong> ist in den letzten Jahren<br />
ins Bodenlose gefallen. Nach einer nervenaufreibenden<br />
Scheidung, <strong>die</strong> ihm zugleich einen Gefängnisaufenthalt<br />
einbrachte, ist er finanziell und auch sonst<br />
am Ende. Nein, <strong>nicht</strong> ganz: Bone, den Carey sehr<br />
plastisch als hysterisch rauen Charakter gezeichnet<br />
hat, will <strong>nicht</strong> klein beigeben. Er malt hartnäckig weiter,<br />
unterstützt von einem Mäzen, genervt von den<br />
täglichen Schicksalsfällen und seinem geistig behinderten<br />
Bruder Hugh, mit dem ihn eine Hassliebe verbindet.<br />
Als Marlene, eine mandeläugige Schönheit, in<br />
sein Leben tritt, ändert sich beinahe alles.<br />
Wie der Autor uns durch <strong>die</strong> Gemütszustände<br />
seinen Protagonisten jagt und alsbald von Australien<br />
über Tokio nach New York, immer Bones Obsessionen<br />
und dem Verbrechen nach, <strong>da</strong>s ist schon<br />
äußerst furios. Treffsichere Sätze stehen auch in<br />
<strong>die</strong>sem Buch, etwa <strong>die</strong>ser hier: »Was sagt man,<br />
wenn man fünf Millionen Dollar für einen Jeff Koons<br />
zahlt und ihn heimbringt. Was denkt man <strong>da</strong>nn?«<br />
Melvin Burgess<br />
Doing it (UA)<br />
3./5./12./29. Dezember 2008,<br />
20 Uhr | Studio<br />
weitere Termine im Januar<br />
Was ihr schon immer über Sex<br />
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