De:Bug 167
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»Mein Großer meinte mal<br />
ziemlich ernsthaft zu mir:<br />
'Papa, du musst einfach viel<br />
mehr Siriusmo hören. Vielleicht<br />
kannst du dann auch so<br />
tolle Musik machen'.«<br />
eingehen müsste, fast wie die solitären, monolithischen<br />
Kickdrums, die die Tracks auf "Stones and Woods" immer<br />
wieder beherrschen und antreiben, das dramatische Gefüge<br />
aus organisch wabernden Flächen, klackernden Hölzchen,<br />
Maschinenträumen und seelenvollen Melodiebögen akzentuieren<br />
und zusammmenhalten. Obwohl "Stones and<br />
Woods" insgesamt lichter, gefühlvoller und weicher wirkt,<br />
ist es beinahe schwieriger einzuordnen als "Dispel Dances",<br />
das mit seiner Dubstep-Aufarbeitung immerhin noch anschlussfähig<br />
schien, eine Problematik, die sich erst materialisiert,<br />
wenn man aus dem sicheren Hafen der heimischen<br />
Stereoanlage heraus vor ein Publikum tritt.<br />
ANSTAM<br />
KŪNSTLER, ERKLĀRE DICH!<br />
TEXT ALEXANDRA DRÖNER<br />
Was alles schief gehen kann auf dem Weg vom<br />
Kopf des Erfinders ins Ohr des Rezipienten, erlebte<br />
Anstam nach Release seines <strong>De</strong>bütalbums "Dispel<br />
Dances" im letzten Jahr: "Ich bin oft schockiert von<br />
der Fremdwirkung meiner Musik, bei dieser Platte<br />
hatte ich z.B. nicht das Gefühl, dass sie so hart ist<br />
wie sie aufgenommen wurde."<br />
Lars Stoewe sitzt mir im Monkeytown-Büro gegenüber, ein<br />
jungenhafter, 33-jähriger Schlaks mit Berliner Schnauze,<br />
ganz wie seine Labelchefs, die Modeselektoren. Ein kleiner<br />
Stapel Promo-CDs seines aktuellen Albums "Stones and<br />
Woods" liegt auf dem weißen Tisch zwischen uns. Stoewe ist<br />
kein typischer Dance-Act, beileibe nicht, sein Hintergrund als<br />
bildender Künstler, Nicht-Ausgeher und Freund eher komplexer<br />
Musiken, solcher "die mich auch fordern", wie er sagt,<br />
lässt ganz richtig darauf schließen, dass wir es hier mit elektronischen<br />
Kompositionen zu tun haben, die Zeit einfordern<br />
und den Geist wandern lassen, wenn auch nicht unbedingt<br />
an die Orte, die Anstam für uns im Sinn hatte. Anstam ist<br />
ein Konzepter, er beschreibt seinen Ansatz als "bildhauerisches<br />
Durcharbeiten von der Makro- zur Mikro-Ebene". Die<br />
40 –<strong>167</strong><br />
grundsätzliche Struktur der Platte steht, bevor die eigentliche<br />
Arbeit an den Tracks beginnt, ein Herumdenker, der von<br />
seinen Kindern beim gemeinsamen Spielen schon mal wieder<br />
auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden muss.<br />
Papa? Papa! Die journalistenfreundliche Aufbereitung der<br />
Story zu beiden Alben ist schnell erzählt: Auf "Dispel Dances"<br />
sticht Anstam in eine unruhige, noch von dunklen Dubstep-<br />
Ungeheuern heimgesuchte See, eine Expedition mit ungewissem<br />
Ausgang, bevor er endlich ferne Gestade erreicht und<br />
nun auf "Stones and Woods" in Selbstreflexion versunken in<br />
seiner kargen Hütte liegt und den Geräuschen des Waldes<br />
um sich herum lauscht. Frei nach Joseph Conrad, dem prophetischen,<br />
seefahrenden Erzähler, der nie Schwimmen lernte<br />
und der Tragik des menschlichen Strebens nachspürte.<br />
Gewiss, die Geschichte passt, die Atmosphäre sitzt makellos<br />
und trotzdem: Fast störend schieben sich die durchformulierten<br />
Erklärungen zum Wie und Wieso vor meine eigene,<br />
streunende Wahrnehmung beim Hören des Albums, die sich<br />
unbeleckt von der verbrieften Intention des Künstlers noch<br />
genauso frei entfalten konnte, wie es Anstam sich selbst im<br />
Studio zugesteht. Dort nämlich hat das Konzepten dann<br />
doch ein Ende, geimpft mit seiner Grundidee kann er den<br />
oft unvorhersehbaren kreativen Prozessen freien Lauf lassen,<br />
mit allen Stärken und Schwächen. Er betrachtet seine<br />
Produktionen als Werkreihe, als Dokumentation seiner<br />
temporären Befindlichkeiten, auf die er später einmal weise<br />
nickend zurückblicken kann. Er beschreibt sich als musikalischen<br />
Einzelgänger, der froh ist, allein auf Tour gehen<br />
zu können, ohne Bandmitglieder, auf die man womöglich<br />
Education Sets<br />
Wo gehört diese Musik hin? Für Anstam ganz klar in die<br />
Clubs, auch wenn die Promoter seiner bisherigen Gigs<br />
nicht immer ganz treffsicher waren, wenn es um Lineup-<br />
Kombinationen und Slots ging. Als Reaktion auf die nicht<br />
immer kompatiblen Strukturen des Live Acts spielt Anstam<br />
jetzt auch DJ-Sets, ohne seine missionarischen Triebe zu<br />
vernachlässigen, denn: "Ich weigere mich in dieser Clublogik<br />
zu leben, diese Formel, dass du in einem DJ-Set nur 1%<br />
Education und 9% Entertainment unterzubringen hast, das<br />
will ich einfach nicht wahrhaben, und wenn ich mit wehenden<br />
Fahnen untergehe, ist mir das auch egal." Was ihm bestimmt<br />
nicht passieren wird: selbst als Party-Warm-Up vor<br />
zehn Leuten oder ganz geschickt nach einem Italo-House-<br />
DJ platziert, findet er Zugang zu den Kids, leergespielt wird<br />
nicht, denn bei aller Experimentierfreudigkeit stammen seine<br />
musikalischen Codes aus dem gleichen großen, dampfenden<br />
Topf Tanzmusik, in dem auch Modeselektor oder der<br />
befreundete Siriusmo rühren. Und, was sagen die eigenen<br />
Kinder zu Vatis Musik? "Ja, die sind hart konditioniert, die<br />
mussten schon früh eher die schrägeren Sachen hören. Bei<br />
uns läuft sehr wenig Kindermusik, das geht bei meiner Frau<br />
und mir einfach nicht. Interessant ist, dass sie meine Musik<br />
erkennen, die wissen dann schon, das ist von Papa, aber<br />
es gibt natürlich andere Sachen, die besser gehen", lacht<br />
Stoewe. "Mein Großer meinte mal ziemlich ernsthaft zu mir:<br />
'Papa, weißt du was du machen musst? Du musst einfach<br />
viel mehr ganz oft Siriusmo hören und vielleicht kannst du<br />
dann auch so tolle Musik machen'."<br />
Kindermund tut Wahrheit kund? In diesem Fall sicher<br />
nicht. Von Anstam, dem Seefahrer, erhoffen wir uns noch<br />
viele Expeditionen in unwegsame elektronische Gefilde. Ein<br />
bisschen unbequem und spröde, aber mit der Mission, der<br />
Allianz von Mensch und Maschine immer neue Seiten abzugewinnen.<br />
Einer muss den Job ja machen.<br />
Anstam, Stones and Woods,<br />
ist auf 50 Weapons/Rough Trade erschienen.<br />
www.50weapons.com