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De:Bug 161

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Gewitter und Snare-Salven unkenntlich gemacht. An anderen<br />

Stellen gibt es sogar richtige Four-to-the-Floor-Momente<br />

oder gänzlich unbehandelte Dream-House-Schnipselchen,<br />

die minutenlang über die Platte gniedeln. Und wenn man<br />

denkt, es geht kaum noch schlimmer, ballert da ein Gabber-<br />

Sample rein, das kurz darauf von Dutch-House-Irrsinn abgelöst<br />

wird. "Electronic Dream" von AraabMuzik hat wirklich<br />

ganz besondere Momente: Ballaton-Bombast, Großraum-<br />

Rave, Trockeneisromantik, noch mal 15 sein, der Soundtrack<br />

eines SNES-Spiels gepaart mit Plastik-Drums - all so was<br />

geht einem beim Hören zwangsläufig durch den Kopf.<br />

Macht man sich wirklich den Spaß und sucht nach den<br />

Originalquellen der Tracks, liest sich das dann auch tatsächlich<br />

wie das Who Is Who der letzten Trance-<strong>De</strong>kaden:<br />

OceanLab, Kaskade, Jam & Spoon, Starchaser, Ronski<br />

Speed und Future Breeze.<br />

AraabMuzik,<br />

Electronic Dream,<br />

ist auf Duke Productions<br />

erschienen.<br />

www.araabmuzikmvp.com<br />

Fleischgewordene MPC-Drumsticks<br />

Wie schon eingangs erwähnt haben Musiker aus den<br />

USA, Rapper im Speziellen, nicht sonderlich viel Ahnung<br />

von elektronischer Musik, was am aktuellen HipHop- und<br />

R’n’B-Tagesgeschehen in den Charts zu erkennen ist. Jede<br />

Hochglanz-HipHop-Produktion hat derzeit einen Synthie-<br />

Anstrich und Anleihen zwischen Techno, Elektronika und<br />

House vorzuweisen. Während im Rest der Welt guten<br />

Gewissens behauptet werden kann, dass zwischen guter<br />

und schlechter, authentischer und unrealer elektronischer<br />

Musik unterschieden werden kann, ist das von Leuten wie<br />

AraabMuzik nicht unbedingt zu erwarten. Nichtsdestotrotz<br />

schafft er es aber, seine skurrilen Sample-Vorlieben wieder<br />

wettzumachen. Und zwar mit schier unglaublichen<br />

Fähigkeiten an der MPC.<br />

Besonders deutlich werden diese in den schwindelerregenden<br />

Videos seiner Live-Performances. Klar gab es auch<br />

schon zuvor Typen, die gut mit der MPC umgehen konnten<br />

– man denke nur an Pete Rock oder J Dilla – aber wie<br />

AraabMuzik dort in Höchstgeschwindigkeit die Pads bearbeitet,<br />

ist wirklich beeindruckend. Mitunter klöppelt er -<br />

Araab spielt Schlagzeug seit seinem dritten Lebensjahr -<br />

mit seinen fleischgewordenen Drumsticks so fest auf den<br />

Knöpfen rum, dass er sich vor den Auftritten die Finger tapen<br />

muss.<br />

Clams Casino,<br />

Instrumental Mixtape,<br />

ist auf Type erschienen, das Album<br />

"Rain Forest" auf Tri Angle.<br />

www.soundcloud.com/clammyclams<br />

MAN KÖNNTE SAGEN,<br />

"ELECTRONIC DREAM" HÖRT<br />

SICH AN, ALS HABE MAN DIE<br />

LETZTE "FUTURE TRANCE"-<br />

COMPILATION DURCH FRUITY<br />

LOOPS GEJAGT.<br />

Ganz normaler Weirdo-Wahnsinn<br />

<strong>De</strong>r zweite große Beatconductor des letzten Jahres war<br />

Clams Casino. Während AraabMuzik die Pitchfork-People<br />

zwar auch für einen Moment wuschig machen konnte, hatte<br />

Clammy Clams dagegen auf so ziemlich jeder wichtigen<br />

Rap-Platte und jedem noch so wichtigen Mixtape des letzten<br />

Jahres ein paar Produktionen am Start. Lil B, A$AP<br />

Rocky oder Mac Miller und Schlafzimmercharmeur The<br />

Weeknd – um nur ein paar zu nennen. Man könnte es dabei<br />

belassen und sagen, dass die Beats des 23-jährigen New-<br />

Jersey-Normalos auch als schlichtes Beiwerk für aufregende<br />

Tickertales, dumpfe Drogengeschichtchen und all den<br />

anderen Weirdo-Wahnsinn, der im letzten Jahr von Jungs<br />

wie Soulja Boy oder Lil B mit schlaffer Zunge und benebeltem<br />

Geist ausformuliert wurde, funktionieren. Man kann die<br />

Instrumentals aber auch wunderbar für sich sprechen lassen.<br />

Das fand auch das Cutting-Edge-Label Tri Angle und brachte<br />

im letzten Jahr Clams Casinos "Rainforest EP" raus.<br />

Die Samples auf den Beats von Mike Volpe kommen von<br />

Bands und Künstlern wie Björk, Adele oder Imogen Heap. Sie<br />

werden derart in der Geschwindigkeit herunter gedrosselt<br />

und so lange auseinander geschnitten, bis nur noch Atmer,<br />

Wortfetzen oder obskure Botschaften übrig bleiben. Es ist<br />

mit all diesen Samples zwischen dunklem Pop und New Age,<br />

wenn man so will, die astreine HipHop-Herangehensweise<br />

an den Hypnagogic Pop der letzten Jahre: dunkel, verzerrt,<br />

rätselhaft, vollkommen uneindeutig in Struktur, Verständnis<br />

und Rezeption. Gleichzeitig gibt es auch hell scheinende<br />

Momente, die an den seichteren Chillwave, nur eben mit<br />

etwas mehr Wumms und Kopfnickerambitionen erinnern.<br />

Geradezu erholsam ist dabei Clams Casinos Verzicht auf<br />

Geister- oder Vergangenheitsforschung.<br />

Charmant unprofessionell<br />

<strong>De</strong>r Beweis dafür, dass das nicht bloß die Lesart verkopfter<br />

Musikjournalisten ist, zeigt die Beliebtheit der Instrumentals,<br />

die Clams Casino in regelmäßigen Abständen ins Netz lädt.<br />

Manche sind dabei nicht einmal komplett ausproduziert,<br />

das Attribut "abgemischt" trifft so gut wie nicht zu – hin und<br />

wieder übersteuern die Kicks und die Samples sind einen<br />

Tick zu laut. Aber es ist genau diese Unprofessionalität, diese<br />

Nachsicht im Sound, der saloppe Ansatz, die Clams Casinos<br />

Beats diesen charmanten Anstrich geben. Komplizierte<br />

Hardware-Setups braucht Mike nicht, er upgradete lediglich<br />

von Fruity Loops auf Acid Pro. Spannend ist auch, dass<br />

er Musik nicht zum Broterwerb nutzt, sondern angehender<br />

Physiotherapeut ist und die Musik nie das einzige Ziel, eher<br />

ein Hobby war.<br />

Schon hier unterscheiden sich Clams Casino und<br />

AraabMuzik eindeutig von der letzten Beatmaker-Schule<br />

um FlyLo und die gesamte Brainfeeder-Clique. Es ist alles<br />

nicht ganz so verkopft, nicht ganz so artifiziell – gleichzeitig<br />

aber auch lange nicht hochglanzpoliert wie derzeitige<br />

Chart-Produktionen. Mit dieser Einstellung blasen beide,<br />

Clams Casino und AraabMuzik, in genau jenes Horn,<br />

das Rap und R’n’B im letzten Jahr schon seinen originären<br />

Charakter wiedergegeben hat. Die Rotzigkeit, das zugedrückte<br />

Auge, das Schulterzucken vor dem Sampler – alles<br />

Dinge, die sich im Sound widerspiegeln und damit auch die<br />

letzten Genregrenzen sprengen.<br />

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