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De:Bug 161

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Mondschein zum Kaffee<br />

Auf der anderen Seite, eine "strenge, fürsorgliche" politische<br />

Hand, die den Alkoholkonsum auf offener Straße verbietet.<br />

Horrende Tabak- und Bierpreise, strikte Sperrstunde<br />

um drei Uhr morgens, auch am Wochenende. Gibt man einer<br />

flüchtigen Bekanntschaft ein Pils aus (10 Euro), kommt<br />

das einem Heiratsantrag gleich, so wertvoll ist das nasse<br />

Rauschmittel. Geht man um zwei in einen Techno-Club,<br />

fällt es dem Ausdauernachtsportler schwer zu glauben,<br />

dass bereits in einer Stunde die Lichter angehen, wo nach<br />

unserer Zeitrechnung noch immer Warm-Up wäre. Kein<br />

Wunder, dass es viel mehr Bands als DJs gibt. Eine Kultur<br />

wird auch immer durch ihre Orte und Möglichkeiten definiert.<br />

Einen Grund, wachhaltende Drogen zu nehmen,<br />

hat man nicht. "Dafür ist das sogenannte 'Vorspiel', das<br />

Trinken vor dem Ausgehen wichtig", erklärt Miranda Moen<br />

von Norway Music Export, "morgens um Drei kann man maximal<br />

in Privatwohnungen gehen und mit dem 'Nachspiel'<br />

weitermachen. Hier existiert so gut wie keine Drogenkultur.<br />

Es ist konservativer als in Schweden oder Dänemark. Das<br />

einzig Illegale, was hier konsumiert wird, ist Moonshine."<br />

<strong>De</strong>r Mondschein ist ein über 90-prozentiger, in Kellern gebrannter<br />

Schnaps. Man trinkt ihn gerne zum Kaffee. Anders<br />

sei er auch kaum zu ertragen. Letztes Jahr hatte man den<br />

blind machenden Fusel den Konferenzteilnehmern unter<br />

der Hand ausgeschenkt, was der britischen <strong>De</strong>legation,<br />

laut Berichten, so gar nicht gut bekam. <strong>De</strong>r Shot ging bei<br />

den Engländern sprichwörtlich nach hinten los. Daraufhin<br />

wurde Moonshine von der Programmliste gestrichen.<br />

Bedauerlich.<br />

Black Metal für verpeilte Teenies<br />

Auch Anders Odden erzählt von Mondschein-Festen während<br />

seiner Jugend. Odden zeigt auf die hölzerne Kirche,<br />

die im Blickdialog mit der markanten Skisprungschanze<br />

in Holmenkollen steht. Die Kirche stand in den frühen<br />

90ern im Mittelpunkt der medialen Aufmerksamkeit, als<br />

sie von vermeintlichen Black-Metal-Anhängern niedergebrannt<br />

wurde. Vor einigen Jahren wurde sie wiedererrichtet.<br />

Es brannten einige Kirchen während dieser Zeit,<br />

und Norwegen war für viele plötzlich das Moloch düsterer<br />

Satanisten. Anders war selber Gitarrist in zahlreichen<br />

Black-Metal-Kapellen wie Satyricon und Celtic Frost.<br />

Teufelsanbeter oder Antichristen wären in der damaligen<br />

Szene aber die wenigsten gewesen. "Es waren hauptsächlich<br />

verpeilte Teenager aus dem Umland, die weder der<br />

eigentlichen Black-Metal-Szene zugehörig waren, noch<br />

wirklich Okkultisten gewesen sind. Man kann sich in dem<br />

Alter doch gar nicht ernsthaft mit so einem Thema auseinandersetzen.<br />

Das hat eher was mit Verweigerung und jugendlicher<br />

Zerstörungswut zu tun." Die damalige Osloer Szene<br />

drehte sich hauptsächlich um Øystein Aarseth. Er spielte<br />

bei der Band Mayhem Gitarre, führte den Plattenladen<br />

Helvete (Hölle) und war Gallionsfigur und Sprachrohr. 1993<br />

wurde er von seinem Weggefährten Varg Vikernes umgebracht.<br />

"Für mich ist Black Metal zu dem Zeitpunkt gestorben,<br />

für die Medien fing es da erst an", erklärt Anders, der<br />

Teil der von Snuff, Gesellschaftsverweigerung und brachialem<br />

Sound geprägten Kellerszene gewesen ist. Heute<br />

schaffen es amerikanische Black-Metal-Bands wie Liturgy<br />

mittlerweile in Kunstgalerien. Damals musste man einen<br />

Bogen mit 20 Fragen ausfüllen, um sich für den Kauf einer<br />

Mayhem-Platte zu bewerben. Die Band gibt es immer<br />

noch. Als sie am letzten Abend des Festivals ein Konzert<br />

spielen, wird klar, dass es die radikale Umkehrung von allem<br />

ist, was diese Gesellschaft widerspiegelt. Schön wird<br />

hässlich, normal wird abnormal, es ist nicht nur eine musikalische<br />

sondern auch ästhetische Grundverweigerung.<br />

Ein vor Zeichenumkehrungen strotzendes semiotisches<br />

Feuerwerk.<br />

Als am letzten Abend des<br />

Festivals Mayhem ein Konzert<br />

spielen, wird klar, dass es die<br />

radikale Umkehrung von allem<br />

ist, was diese Gesellschaft<br />

widerspiegelt. Schön wird<br />

hässlich, normal wird<br />

abnormal, es ist nicht nur<br />

eine musikalische sondern<br />

auch ästhetische Grundverweigerung.<br />

So eine Radikalität kann nur dann entstehen, wenn die Welt<br />

um einen rum perfekt ist, geht einem dabei durch den Kopf.<br />

<strong>De</strong>nn es scheint hier in Skandinavien mal wieder alles wie<br />

am Schnürchen zu laufen. Man schaut demütig und ehrfürchtig<br />

auf diese Gesellschaft und vielleicht ist es genau<br />

das, was den Erfolg der nordischen Musik ausmacht.<br />

Irgendwie, zumindest stückchenweise, hätten wir alle gerne<br />

etwas mehr von dieser Welt.<br />

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