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Mondschein zum Kaffee<br />
Auf der anderen Seite, eine "strenge, fürsorgliche" politische<br />
Hand, die den Alkoholkonsum auf offener Straße verbietet.<br />
Horrende Tabak- und Bierpreise, strikte Sperrstunde<br />
um drei Uhr morgens, auch am Wochenende. Gibt man einer<br />
flüchtigen Bekanntschaft ein Pils aus (10 Euro), kommt<br />
das einem Heiratsantrag gleich, so wertvoll ist das nasse<br />
Rauschmittel. Geht man um zwei in einen Techno-Club,<br />
fällt es dem Ausdauernachtsportler schwer zu glauben,<br />
dass bereits in einer Stunde die Lichter angehen, wo nach<br />
unserer Zeitrechnung noch immer Warm-Up wäre. Kein<br />
Wunder, dass es viel mehr Bands als DJs gibt. Eine Kultur<br />
wird auch immer durch ihre Orte und Möglichkeiten definiert.<br />
Einen Grund, wachhaltende Drogen zu nehmen,<br />
hat man nicht. "Dafür ist das sogenannte 'Vorspiel', das<br />
Trinken vor dem Ausgehen wichtig", erklärt Miranda Moen<br />
von Norway Music Export, "morgens um Drei kann man maximal<br />
in Privatwohnungen gehen und mit dem 'Nachspiel'<br />
weitermachen. Hier existiert so gut wie keine Drogenkultur.<br />
Es ist konservativer als in Schweden oder Dänemark. Das<br />
einzig Illegale, was hier konsumiert wird, ist Moonshine."<br />
<strong>De</strong>r Mondschein ist ein über 90-prozentiger, in Kellern gebrannter<br />
Schnaps. Man trinkt ihn gerne zum Kaffee. Anders<br />
sei er auch kaum zu ertragen. Letztes Jahr hatte man den<br />
blind machenden Fusel den Konferenzteilnehmern unter<br />
der Hand ausgeschenkt, was der britischen <strong>De</strong>legation,<br />
laut Berichten, so gar nicht gut bekam. <strong>De</strong>r Shot ging bei<br />
den Engländern sprichwörtlich nach hinten los. Daraufhin<br />
wurde Moonshine von der Programmliste gestrichen.<br />
Bedauerlich.<br />
Black Metal für verpeilte Teenies<br />
Auch Anders Odden erzählt von Mondschein-Festen während<br />
seiner Jugend. Odden zeigt auf die hölzerne Kirche,<br />
die im Blickdialog mit der markanten Skisprungschanze<br />
in Holmenkollen steht. Die Kirche stand in den frühen<br />
90ern im Mittelpunkt der medialen Aufmerksamkeit, als<br />
sie von vermeintlichen Black-Metal-Anhängern niedergebrannt<br />
wurde. Vor einigen Jahren wurde sie wiedererrichtet.<br />
Es brannten einige Kirchen während dieser Zeit,<br />
und Norwegen war für viele plötzlich das Moloch düsterer<br />
Satanisten. Anders war selber Gitarrist in zahlreichen<br />
Black-Metal-Kapellen wie Satyricon und Celtic Frost.<br />
Teufelsanbeter oder Antichristen wären in der damaligen<br />
Szene aber die wenigsten gewesen. "Es waren hauptsächlich<br />
verpeilte Teenager aus dem Umland, die weder der<br />
eigentlichen Black-Metal-Szene zugehörig waren, noch<br />
wirklich Okkultisten gewesen sind. Man kann sich in dem<br />
Alter doch gar nicht ernsthaft mit so einem Thema auseinandersetzen.<br />
Das hat eher was mit Verweigerung und jugendlicher<br />
Zerstörungswut zu tun." Die damalige Osloer Szene<br />
drehte sich hauptsächlich um Øystein Aarseth. Er spielte<br />
bei der Band Mayhem Gitarre, führte den Plattenladen<br />
Helvete (Hölle) und war Gallionsfigur und Sprachrohr. 1993<br />
wurde er von seinem Weggefährten Varg Vikernes umgebracht.<br />
"Für mich ist Black Metal zu dem Zeitpunkt gestorben,<br />
für die Medien fing es da erst an", erklärt Anders, der<br />
Teil der von Snuff, Gesellschaftsverweigerung und brachialem<br />
Sound geprägten Kellerszene gewesen ist. Heute<br />
schaffen es amerikanische Black-Metal-Bands wie Liturgy<br />
mittlerweile in Kunstgalerien. Damals musste man einen<br />
Bogen mit 20 Fragen ausfüllen, um sich für den Kauf einer<br />
Mayhem-Platte zu bewerben. Die Band gibt es immer<br />
noch. Als sie am letzten Abend des Festivals ein Konzert<br />
spielen, wird klar, dass es die radikale Umkehrung von allem<br />
ist, was diese Gesellschaft widerspiegelt. Schön wird<br />
hässlich, normal wird abnormal, es ist nicht nur eine musikalische<br />
sondern auch ästhetische Grundverweigerung.<br />
Ein vor Zeichenumkehrungen strotzendes semiotisches<br />
Feuerwerk.<br />
Als am letzten Abend des<br />
Festivals Mayhem ein Konzert<br />
spielen, wird klar, dass es die<br />
radikale Umkehrung von allem<br />
ist, was diese Gesellschaft<br />
widerspiegelt. Schön wird<br />
hässlich, normal wird<br />
abnormal, es ist nicht nur<br />
eine musikalische sondern<br />
auch ästhetische Grundverweigerung.<br />
So eine Radikalität kann nur dann entstehen, wenn die Welt<br />
um einen rum perfekt ist, geht einem dabei durch den Kopf.<br />
<strong>De</strong>nn es scheint hier in Skandinavien mal wieder alles wie<br />
am Schnürchen zu laufen. Man schaut demütig und ehrfürchtig<br />
auf diese Gesellschaft und vielleicht ist es genau<br />
das, was den Erfolg der nordischen Musik ausmacht.<br />
Irgendwie, zumindest stückchenweise, hätten wir alle gerne<br />
etwas mehr von dieser Welt.<br />
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