HEINZ Magazin Oberhausen 08-2016
HEINZ Magazin August 2016, Ausgabe für Duisburg, Oberhausen, Mülheim
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Budisten, vereinigt Euch!<br />
Kultur- und Cola-Kracher. <strong>2016</strong> steht im Zeichen eines ganz bestimmten Mythos’: Es ist das Jahr der Trinkhalle.<br />
Kioske in ganz Deutschland erfahren somit die Aufmerksamkeit, die sie sich durch das nicht immer einfache<br />
24/7-Geschäft hart erarbeitet haben. Im Ruhrgebiet nimmt die „Bude umme Ecke“ darüber hinaus eine ganz<br />
besondere Stellung ein. Schon immer war sie ein Ort, wo Biografien und Mentalitäten aufeinandertreffen.<br />
V<br />
ielleicht ist es die nicht geringe Ansammlung vertrauter Eindrücke,<br />
die diesen Ort zu einem magischen machen: Beginnend<br />
beim Kundschaft ankündigenden Ladentür-Bimmeln über den<br />
Duft von frischgedruckter Tagespresse bis hin zum kurzen Schnack während<br />
der Wechselgeldausgabe. Ob nun „Bude“, „Trinkhalle“ oder „Kiosk“<br />
– gerade im Revier bilden diese manchmal erfrischend aus der Zeit gepurzelten<br />
Orte so viel mehr als lediglich die Möglichkeit, sich abseits von<br />
Supermarkt-Öffnungszeiten mit dem Nötigsten zu versorgen. Denn neben<br />
Zeitung, Tabak und Wegbier war und ist die Bude im Ruhrgebiet doch<br />
immer auch Treffpunkt für all jene, die das politische Tagesgeschehen,<br />
den Abstiegskampf in der Bundesliga oder einfach nur das eigene Herzeleid<br />
bequatschen möchten. Was heute also ein echtes Stück regionale<br />
Identität bedeutet, hatte ursprünglich einen ganz anderen Hintergrund:<br />
Mitte des 19. Jahrhunderts errichteten Mineralwasseranbieter die ersten<br />
Trinkhallen in Industriestätten, um die Arbeiter mit gesundem Sprudel zu<br />
versorgen. Leitungswasser war damals nicht zu genießen und das durchaus<br />
obligatorische Bierchen während der Maloche war so ganz und gar<br />
nicht bürgerlich. Damit die „Seltersbude“ auch äußerlich einen heilenden<br />
Anschein verströmte, verpassten die Erbauer den kleinen Pavillons<br />
eine schmucke Verzierung à la Gropius. Zumindest die Grundidee dieser<br />
Bauweise ist bis heute bei freistehenden Buden weiterhin zu finden; das<br />
Angebot hat sich allerdings und glücklicherweise ziemlich gewandelt.<br />
Neben Presse, Alkohol, Zigaretten und Süßigkeiten bieten die kleinen<br />
Oasen gerade an Sonn- und Feiertagen so ziemlich alles, was das (Panik-)<br />
Käuferherz begehrt.<br />
Die Liberalisierung des Ladenschlussgesetzes stellte vor ziemlich genau<br />
20 Jahren ohne Frage einen Einschnitt dar. Dennoch ziehen bis heute<br />
rund 8.000 Budenbetreiber im Revier frühmorgens emsig ihre Rollläden<br />
hoch, um neben dem Versorgungsaspekt eben auch weiterhin ein Ort<br />
fürs unmittelbare Klönen zu sein. Das weiß auch der 1. Kioskclub 06 zu<br />
schätzen, der sich einst in Dortmund gegründet und nun das offizielle<br />
Jahr der Trinkhalle ausgerufen hat. Dieses vereint jede Menge Büdchen,<br />
die sich wie eine Lakritzschnecke quer durchs Revier schlängeln und mit<br />
ausgefallenen Events bespielt werden. Im Rahmen einer Trinkhallen-<br />
Tour-Ruhr gibt’s etwa Jazz auf die Ohren, bei der 1. Budentour rollen<br />
Old- und Youngtimer durch den Pott und machen an 50 ausgewählten<br />
Verkaufsstellen Halt. Die LWL-Industriemuseen Zeche Hannover in Bochum<br />
und Henrichshütte in Hattingen laden zu Sonderausstellungen<br />
ein, und im Rahmen einer Kioskwallfahrt lernen die Teilnehmer den<br />
Zusammenhang zwischen Bude und dem dazugehörigen Stadtteil kennen,<br />
indem ihnen der Bochumer Schauspieler und Künstler Giampiero<br />
Piria den ganz exklusiven Blick aus der Kioskluke heraus gewährt. Und<br />
dann wäre da noch der 20. August: Die Ruhr Tourismus GmbH packt<br />
mit dem 1. Tag der Trinkhallen eine pralle bunte Tüte, randvoll mit Konzerten,<br />
Lesungen, Poetry Slam, Kabarett, Theaterstücken und Tanz. An<br />
insgesamt 50 Buden wird dann genau das zu erleben sein, was sie auch<br />
an den anderen 364 Tagen im Jahr so einzigartig macht: ein kultureller<br />
Mikrokosmos, der voller Leben und Herzlichkeit steckt. Damit dies auch<br />
in Zukunft so bleibt, sollte der „Budismus“ nicht nur im Revier weiterhin<br />
sorgfältig gehegt und gepflegt werden.<br />
Robert Targan<br />
20 | <strong>HEINZ</strong> | <strong>08</strong>.<strong>2016</strong>