Neue Szene Augsburg 2016-08
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36Cinerama<br />
SEEFEUER<br />
Regie: Gianfranco Rosi<br />
mit: Samuele Pucillo, Mattias<br />
Cucina, Samuele Caruana, Pietro<br />
Bartolo, Maria Signorello u.a.<br />
Was für ein schöner Titel, was für ein<br />
barmherziger Film. Gianfranco Rosi<br />
wollte ursprünglich einen knappen<br />
Kurzfilm über das Leben auf jener<br />
Insel drehen, deren Name verknüpft<br />
ist mit dem Flüchtlingsdrama unserer<br />
Zeit: Lampedusa. Jede Woche stranden<br />
und landen dort Menschen auf<br />
der Flucht, die Meldungen über Ertrunkene<br />
gehören dort zur traurigen<br />
Alltäglichkeit, seit Jahren schon. Aus<br />
der Spurensuche wurde eine Langzeitbeobachtung<br />
und ein Langfilm. Im<br />
Mittelpunkt steht der kleine Samuele,<br />
ein Junge, der eine Augenklappe<br />
tragen muss, um eine Sehschwäche<br />
ausgleichen zu können. Für Rosi ist<br />
diese Augenklappe eine Metapher auf<br />
einseitige Betrachtungen, aber auch<br />
ein Bild der Hoffnung auf Erlernbarkeit<br />
des Sehens. „Fuoccoammare“<br />
wurde als bester Film der 66. Berlinale<br />
<strong>2016</strong> mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet.<br />
Ein bewegendes Lehrstück.<br />
(fs) (Filmstart: 28.07.)<br />
HHHHHI<br />
JULIETA<br />
Regier: Pedro Almodóvar<br />
mit: Adriana Ugarte, Emma Suárez,<br />
Rossy de Palma, Inma Cuesta u.a.<br />
Almodóvar will einen Almodóvar drehen.<br />
Mit einer Versessenheit, die das Publikum<br />
entzweit: Von der Selbstreferenz<br />
seiner Filme sind manche schon lange<br />
genervt, andere wiederum würdigen<br />
eine fortwährende Sensibilisierung für<br />
die selben Themen als Evolution am<br />
Werk. Man muss aber schon sagen: Es<br />
ist vor allem eine Perfektionierung im<br />
Dekor und im Gebrauch der Farben, die<br />
hier ausgemacht werden kann. Was ja<br />
auch wirklich wunderschön anzusehen<br />
ist, aber was nützt die aufgeräumte Ordnung<br />
der Bilder, wenn der Geschichte<br />
die emanzipatorische Kraft der früheren<br />
Werke fehlt? Es ist, als würde Almodóvar<br />
nach seiner völlig flachen Flugzeugkomödie<br />
all seine Geheimwaffen<br />
herauskramen, ohne zu bemerken, dass<br />
sie nicht mehr ihre Wirkung entfalten,<br />
da auch ein Repetitionsgewehr irgendwann<br />
alt aussehen kann. Moment! Dieser<br />
Film ist wie die besten Almodóvars:<br />
Ein perfekt tickendes Uhrwerk, auf das<br />
man immer wieder einen Blick werfen<br />
muss, um zu erfahren: Wie spät ist es?<br />
(fs) (Filmstart: 04.<strong>08</strong>.)<br />
HHHHII<br />
ALLES WAS KOMMT<br />
Regie: Mia Hansen-Løve<br />
mit: Isabelle Huppert, Roman Kolinka,<br />
Edith Scob, André Marcon,<br />
Sarah Lepicard u.a.<br />
Eigentlich klingt alles, was an Handlung<br />
aus diesem sehr französischen<br />
Film kommt, und sich zu einer Inhaltsangabe<br />
herunterbrechen lässt, nach<br />
einer Schmonzette der grausamsten<br />
Sorte: Im Leben der Philosophielehrerin<br />
Nathalie ist Knall auf Fall alles<br />
anders; der sicher geglaubte Mann<br />
hat eine andere, ihr Verleger kündigt<br />
ihr den Vertrag auf, die Mutter stirbt.<br />
Aber es ist ja kein deutscher Film,<br />
sondern wie gesagt ein französischer,<br />
und in diesem Fall ist damit eine<br />
glückselig machende Absichtslosigkeit<br />
gemeint, mit der dieser Film über<br />
die Leinwand treibt wie ein Handtuch<br />
im Fluss. Ein Stoff im Wasser, zum<br />
Abtrocknen ungeeignet, aber zum<br />
Verschwimmen ganz wunderbar. Wie<br />
in einem Songtitel von Wire: „French<br />
Film Blurred“. Eine Lässigkeit, die sogar<br />
von der Berlinale registriert wurde,<br />
wo es für die Regie den Silbernen<br />
Bären gab. Denn, ja, auch dieser Film<br />
„blurrt“. (fs) (Filmstart: 18.<strong>08</strong>.)<br />
HHHHII<br />
CHASING NIAGARA<br />
Regie: Rush Sturges<br />
mit: Rafa Ortiz, Aniol Serrasolses,<br />
Blake Mahoney, Tyler Bradt, Rush<br />
Sturges u.a.<br />
Lebensfrohe Rutschpartie, oder lebensmüder<br />
Sturz in die Tiefe? Eine Sportdoku<br />
wie eine Achterbahnfahrt, dicht<br />
auf den Fersen des Kajakfahrers Rafa<br />
Ortiz und seiner waghalsigen Ambition:<br />
Die 150 Meter hohen Niagarafälle zu<br />
bezwingen. Vor ihm hatten das schon<br />
andere Paddler versucht – keiner hatte<br />
es überlebt. Allein der Anblick der majestätischen<br />
Naturgewalt lässt einen<br />
schlucken. Apropos Schluck: Treibende<br />
Kraft hinter der Unternehmung ist ein<br />
Tycoon namens... Red Bull. Das gibt<br />
natürlich zu denken. Wo soll das denn<br />
noch hinführen, das Credo „höher,<br />
schneller, weiter“ dieser rasanten<br />
Marke? In den Kinosaal, vielleicht. Aber<br />
was, wenn die Kamera, montiert auf<br />
dem Kopf eines Ortiz oder Sturzbach,<br />
filmt, wie der Knallkopf in den Fluten<br />
zerschellt, und dessen sprichwörtliche<br />
Himmelfahrt dokumentiert? Bekommen<br />
wir dann von Red Bull einen Snuff-Film<br />
zu sehen? Ein Fall für Sportextremisten.<br />
(fs) (Filmstart: 25.<strong>08</strong>.)<br />
HHHIII<br />
FILM DES MONATS<br />
1001 NACHT: VOLUME 1–3<br />
Regie: Miguel Gomes<br />
mit: Crista Alfaiate, Rogério Samora, Adriano Luz, Carloto Cotta, Américo Silva u.a.<br />
Oh Scheherazade! Wer anderes könnte uns aus der Krise der Geschichte<br />
führen, als du, Scheherazade! Das dachte sich auch Miguel Gomes, der uns<br />
schon in seinem letzten Werk „Tabu“ – einem Stummfilm, in dem sämtliche<br />
Geräusche zu hören sind, außer das Sprechen der Menschen – mit Einfallsreichtum,<br />
bösem Humor und fatalistischer Poesie begeistert hatte. Damals<br />
war die portugiesische Kolonialgeschichte der treibende Stoff gewesen. Hier<br />
nun ist die Wirtschaftskrise und die Misere der Arbeiter und Arbeitslosen in<br />
den Vorstädten Portugals Ausgangspunkt für einen unglaublich phantasievollen<br />
Reigen, für ein Fresko an Ideen. Dazwischen 1001 Geschichten. Wie<br />
jene von dem Jungen, der sämtliche Wälder im Umkreis seiner Wohnstadt<br />
in Brand steckte, weil seine Freundin ihn wegen eines Feuerwehrmannes<br />
verlassen hatte. Oder jene, die davon erzählt, dass es in der alten Barackensiedlung<br />
von Lissabon eine Gemeinschaft von Männern gebe, die es<br />
sich zur Aufgabe machte, mit Passion und Hingabe den Vögeln das Singen<br />
beizubringen. Was für ein Film! Ein Dreiteiler, ganz wie ein barockes Triptychon.<br />
(fs) (Filmstart: 28.07. / 11.<strong>08</strong>. / 25.<strong>08</strong>) HHHHHH<br />
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