Neue Szene Augsburg 2016-08
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!<br />
6Tag&Nacht<br />
Kolumne<br />
Am Morgen nach der Axtattacke<br />
ineinemRegionalzugbeiWürzburg<br />
kam ein Kollege mit dem Satz ins<br />
Büro: »Jetzt hab ich doch ein komischesGefühl,hierdieTreppenhochzugehen.«<br />
Dazu muss man wissen,<br />
dass die <strong>Neue</strong> <strong>Szene</strong> seit ein paar<br />
MonatenneueNachbarnhatimBürogebäude<br />
in der Stadtjägerstraße:<br />
das Bundesamt für Migration und<br />
Flüchtlinge(BAMF).Seitdemstehen<br />
beiunsSecuritysinderToreinfahrt<br />
undimTreppenhaustrifftmannaturgemäß<br />
permanent auf Geflüchtete.<br />
Die Begegnungen sind auch<br />
sehr, nun ja, flüchtig, es bleibt also<br />
der eigenen Phantasie überlassen,<br />
woher die Menschen kommen und<br />
wassiedurchgemachthabenkönnten.BisderTagdesAxtanschlagsdie<br />
VorstellungskraftineineganzandereRichtunglenkte.WiebeimKollegenmitdemungutenGefühl:»Man<br />
weißjanie...«<br />
Am selben Abend radelte ich auf<br />
demHeimweganeinemMannvorbei,<br />
der eine seltsame Weste trug,<br />
irgendwie gepolstert und olivgrün.<br />
HeiligeScheiße,dachteich,jetztgehendieLeuteschonmitschutzsicheren<br />
Westen vor die Türe! Erst beim<br />
Überholenkonnteicherkennen,was<br />
derSpaziergängervorderBrusttrug:<br />
einBaby.Die»seltsameWeste«war<br />
nichtsanderesalseinmodernesTragetuch,<br />
ein umgedrehter Rucksack.<br />
Und so geht es weiter. Kurz darauf<br />
am Rathausplatz: Zwei Männer gehen<br />
hintereinander, der eine hat<br />
dieArmehintermKopfverschränkt.<br />
Mich erinnert die <strong>Szene</strong>, nicht zuletzt<br />
dank Erdogan, sofort an eine<br />
Verhaftung.<br />
Dass der Terror keinen Bogen um<br />
Deutschland macht, dürfte niemanden<br />
überraschen, aber was er<br />
in unseren Köpfen anrichten kann,<br />
darauf waren wir vermutlich nicht<br />
vorbereitet.Aufsoetwaskannman<br />
sich auch nur bedingt vorbereiten.<br />
Umso wichtiger, jetzt damit professionell<br />
umzugehen. Professionell?<br />
Genau.Dasistschließlicheinerder<br />
vielen Vorteile, die wir hier genießen:Eshabensichauchmitdiesem<br />
Thema schon etliche schlaue Leute<br />
beschäftigt.<br />
Nurleiderwirdesmiteinpaar(oder<br />
hundert)Bibliotheksbesuchennicht<br />
getan sein. Der italienische Philosoph<br />
und Medienwissen-<br />
schaftlerFrancoBerar-<br />
digabwenigeTage<br />
nach<br />
Würzburg<br />
der SZ ein Interview,<br />
in dem er<br />
im Prinzip gar<br />
nichtmehrunterscheidet<br />
zwischen<br />
Einheimischen und<br />
unsere Mitmenschen verlernt, weil<br />
wirunsnurnochalsKonkurrenten<br />
imKampfumsÜberlebensehen.«<br />
EinSatz,sobanalwiewahr.Werzum<br />
Flüchtlingen:»WirhabendieAufmerksamkeitfür<br />
BeispieldenvorderSchließungstehenden<br />
Obi-Baumarkt an der Berliner<br />
Allee zum Zeitpunkt der Mitarbeiterproteste<br />
besucht hat, weiß,<br />
wasichmeine:»Schonblöd,dasmit<br />
den Arbeitsplätzen, aber alles kein<br />
Grund,sichdieSchnäppchenentgehen<br />
zu lassen!«, schien die verbreitete<br />
Meinung zu sein. Oder, um es<br />
mit George Harrison zu sagen: »All<br />
throughtheday:I,me,mine«.<br />
Der Erfolg von Politikern, die für<br />
dieseMaximestehen(inersterLinie<br />
beim eigenen Geldbeutel und dem<br />
derFamilie),istdanurlogisch.Und<br />
Die<br />
Axtim<br />
Kopf<br />
hinterlässt eine weitere Erschütterung:<br />
Wie kann man Trump, Erdogan,<br />
Hofer, Petry, Le Pen, Farage,<br />
Orban-diesevermaledeiteListe,die<br />
Tag für Tag länger wird - wählen?<br />
Undwiereagiertmandarauf?Auch<br />
hiertrifft’sdas»Establishement«einigermaßenunvorbereitet:Wiesoll<br />
mansichdennauchaufdieseUnver-<br />
nunft(umesverharmlosendauszu-<br />
drücken) vernünftig vorbereiten?<br />
Noch dazu, da das Treiben immer<br />
groteskereZügeannimmt?<br />
DerPhilosophFrancoBerardidrückt<br />
es so aus: »Das Böse zu verstehen<br />
ist der einzige Weg aus der Hölle.«<br />
Wobei der religiöse Aspekt seiner<br />
Meinung nach eher<br />
eine<br />
untergeordnete<br />
Rolle spielt: »Das hat<br />
wenigermitReligion<br />
zu tun als mit den<br />
Folgen des globalen<br />
Kapitalismus«, lautet<br />
seine Analyse vieler<br />
Attentäter, von denen<br />
die meisten einfach nur<br />
maleinHeldseinwollten.<br />
Ein siebzehnjähriger »Held« mit<br />
Axt und Messer im Regionalzug!<br />
Manahntes:Wirwerdennochviele<br />
Tage mit ungutem Gefühl ertragen<br />
müssen.<br />
Dann kam München. Reutlingen.<br />
Ansbach.