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zds#42

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26 | Portrait<br />

Portrait | 27<br />

Text: Eva Przybyla<br />

Foto: Hartmuth Bendig<br />

Die Rekordbrecherin<br />

Einst durfte sie nicht zu den Olympischen Spielen.<br />

Jetzt wurde Kerstin Pieper-Köhler Weltmeisterin.<br />

Die Geschichte einer Rückkehr<br />

Nachdem ihre Karriere jäh endete, schwamm Kerstin Pieper-Köhler viele Jahre lang keine einzige Bahn mehr.<br />

Leise zieht sie ihre Bahnen, und schnell. Genau<br />

4,675 Kilometer schwimmen stehen heute auf<br />

Kerstin Pieper-Köhlers Trainingsplan. Das ist<br />

auch der Plan des Bremer Jugendkaders, den Trainer<br />

Uwe Hilbrands auf ein weißes Board des kleinen<br />

Sportbads schreibt. Die jüngste Schwimmerin<br />

der aufgeschossenen, dünnbeinigen Mädchen im<br />

Kader ist gerade mal 12. Über 40 Jahre jünger als<br />

Kerstin Pieper-Köhler. Auch sie ist einst im deutschen<br />

Jugendkader geschwommen. Und hatte eine<br />

glänzende Schwimmkarriere vor sich – bis die Politik<br />

ihre Pläne durchkreuzte.<br />

Kerstin Pieper-Köhler schwimmt seit über 25<br />

Jahren für den Blumenthaler TV. Im vergangenen<br />

Jahr holte sie bei der Weltmeisterschaft im<br />

russischen Kazan zweimal Gold in der Klasse der<br />

55- bis 59-Jährigen. Beide Medaillen erhielt sie für<br />

ihre Rückenlage – „ihre beste Lage“, sagt der Trainer.<br />

Sicher und grazil teilen die seitlich abgespreizten<br />

Hände über ihrem Kopf das Wasser. „Sie hat<br />

Disziplin. Davon könnten sich die Jungen ruhig<br />

eine Scheibe abschneiden“, sagt Hilbrands.<br />

Schon mit fünf Jahren fängt Kerstin<br />

Pieper-Köhler an, als sie ihrer großen Schwester<br />

in den Schwimmverein folgt – nur um nichts zu<br />

verpassen. Sie bleibt, verbessert sich rasch. Mit<br />

elf schwimmt sie ihren ersten Länderkampf. „Das<br />

gibt es heute in der Form gar nicht mehr“, sagt sie.<br />

Drei Jahre später geht sie nach Saarbrücken<br />

auf ein naturwissenschaftliches Jungengymnasium,<br />

um dort nebenher auf der Schule des Deutschen<br />

Schwimmverbandes zu trainieren. Fünfmal<br />

die Woche schwimmt sie unter der Leitung des<br />

deutschen Jugendnationaltrainers. Mit 16 bereitet<br />

sie sich schon seit drei Jahren auf die Olympischen<br />

Spiele in Moskau vor. Für dieses Ziel im Jahre 1980<br />

wird sie weitere drei Jahre nahezu täglich schwimmen<br />

und ihre Ausbildung zur Sport- und Gymnastiklehrerin<br />

in Oldenburg quasi nebenher beenden.<br />

Dann platzt der Traum: Auf Druck der USA<br />

boykottiert die Bundesrepublik Deutschland die<br />

Olympischen Spiele in der sowjetischen Hauptstadt.<br />

So soll die Sowjetunion zum Rückzug ihrer<br />

Truppen aus Afghanistan gezwungen werden. Am<br />

Ende hat der Boykott keinerlei politischen Konsequenzen.<br />

Enttäuscht bricht Kerstin Pieper-Köhler noch<br />

1980 ihre Schwimmkarriere ab, mit nur 20 Jahren.<br />

„Für mich war klar: Ich gehe nicht mehr ins<br />

Wasser.“ Die nächsten Spiele, 1984 in Los Angeles,<br />

kommen für sie nicht mehr infrage: „Damals hat<br />

mit 24 keines der Mädchen mehr geschwommen.“<br />

Es folgt eine lange Pause, über 20 Jahre, in denen<br />

sie nicht eine einzige Bahn schwimmt. Kerstin<br />

Pieper-Köhler arbeitet als Lehrerin, heiratet,<br />

bekommt zwei Söhne, lässt sich scheiden. Ihre<br />

Söhne wollen nicht schwimmen, sie spielen lieber<br />

Handball. Kerstin Pieper-Köhler fährt sie mit dem<br />

Auto zum Training und wegen zahlloser Sportverletzungen<br />

zum Arzt.<br />

Als 2009 auch der Jüngere seinen Führerschein<br />

schafft, hat sie plötzlich Zeit. „Ich hab mich<br />

damals gefragt: Was kannst du für dich tun?“ Sie<br />

joggt, spielt Tennis. Doch das befriedigt sie nicht.<br />

Dann steigt sie wieder ins Schwimmbecken. „Es<br />

war anstrengend“, sagt Kerstin Pieper-Köhler. Sie<br />

schwört sich zu Hause, nie wieder schwimmen zu<br />

gehen. Dann macht sie doch weiter. Schon bald<br />

schwimmt sie wieder um Auszeichnungen, nur<br />

In Blumenthal kämpfte sie<br />

sich wieder zurück<br />

dieses Mal in der SeniorInnen-Liga. Sie will wieder<br />

nach Russland: Zur WM nach Kazan. Fünfbis<br />

sechsmal die Woche trainiert sie nach den Plänen,<br />

die ihr Trainer Uwe Hilbrands für sie erstellt,<br />

trotz schwieriger Trainingsbedingungen. Heute<br />

schwärmt sie von Kazan, besonders von der Siegerehrung:<br />

Mädchen laufen vor ihr her, geleiten<br />

sie zum Podest. „Es hat nur die Nationalhymne<br />

gefehlt!“ Bezahlt wird den AthletInnen aber nicht<br />

einmal das Hotel.<br />

Ihr nächstes Ziel: die Freiwasser-Europameisterschaft<br />

im kroatischen Rijeka. Kerstin<br />

Pieper-Köhler nennt das „einen Ausgleich“. Doch<br />

ihr Trainer vermutet ehrgeizige Ziele. Sie wolle<br />

vermutlich Altersrekorde brechen, sagt Hilbrands.<br />

Ab und zu bekommt er eine SMS von ihr: „Das war<br />

ein Rekord!“ In Kazan hat sie davon gleich drei aufgestellt.<br />

Mit einer Zeit von 2:51,05 Minuten über<br />

200 Meter Rücken ist sie in die Geschichte der<br />

WM eingegangen.<br />

Sie hat es erst hinterher im Protokoll gelesen,<br />

sagt sie.<br />

Eva Przybyla studiert Komplexes Entscheiden<br />

an der Universität Bremen und kann zwei Züge<br />

kraulen.<br />

Hartmuth Bendig war Sozialarbeiter und<br />

widmet sich inzwischen vermehrt der<br />

Fotografie. In den 1960er-Jahren schwamm<br />

er mal bei Landesmeisterschaften mit.

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