zds#42
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6 | zahlEN<br />
WOLL<br />
KÄMMEREI<br />
Städtisches Gewerbegebiet in Blumenthal<br />
zwischen Bahrsplate, Wätjens Park und der Weser<br />
ca. 1950<br />
2016<br />
Recherche & Text: Philipp Jarke<br />
Fotos: Staatsarchiv Bremen (circa 1950); Jan Zier (2016)<br />
Zahl der Beschäftigten der Bremer Wollkämmerei<br />
(BWK), im Jahr 1884: 180<br />
Zahl der Beschäftigten, im Jahr 1898: 2.321<br />
Zahl der Beschäftigten, im Jahr 1945: 138<br />
Zahl der Beschäftigten, im Jahr 1957: 5.950<br />
Zahl der Beschäftigten, im Jahr 2008: 210<br />
Anteil polnischer Arbeiter an der Belegschaft der<br />
BWK im Jahr 1897, in Prozent: circa 50<br />
Anteil der Zwangsarbeiter an der Belegschaft<br />
zwischen 1942 und 1945, in Prozent: circa 45<br />
Investition im Jahr 1916: Erwerb der westlichen<br />
Hälfe des Landsitzes des Reeders Wätjen mitsamt<br />
dem Schweizer Haus<br />
Grund: Residenz des BWK-Direktors, der bis<br />
dahin eine Villa auf dem Werksgelände bewohnte<br />
Einführung der elektrischen Stromversorgung in<br />
Blumenthal: 1897<br />
Stromversorger Blumenthals 1897 bis 1904: BWK<br />
Bau eines kommunalen Elektrizitätswerks in<br />
Blumenthal: 1904<br />
Länge der alten Pieranlage der BWK, in Metern:<br />
640<br />
Zahl der BWK-Werkswohnungen in Blumenthal,<br />
im Jahr 1938: 126<br />
Zahl der Unternehmen, die 2009 aus der geschlossenen<br />
BWK hervorgegangen sind und noch heute<br />
bestehen: 2<br />
Arten der Verunreinigung unbehandelter Schurwolle:<br />
Fett, Schweiß, Futter, Samen, Kletten, Erde,<br />
Urin und Kot<br />
Gewichtsanteil der Verunreinigungen, in Prozent:<br />
50 bis 70<br />
Verwertung der Abwässer der BWK-Wollwäscherei:<br />
Pottasche, Wollfett, Seife, Düngemittel<br />
Mindestlänge der Fasern eines Wollkammzugs,<br />
in Millimetern: 58<br />
Bezeichnung der zu kurzen Wollfasern:<br />
Kämmlinge<br />
Verwendung der Kämmlinge: Streichgarn,<br />
Flanell, Filz<br />
Rohwolle ist ein Durcheinander von Haaren, die<br />
gewaschen und gekämmt werden müssen. Die<br />
kurzen Haare werden aussortiert, die längeren zu<br />
einem Kammzug gebündelt und in Spinnereien<br />
weiterverarbeitet. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
erledigten das Kämmen meist Frauen in Heimarbeit,<br />
ehe industrielle Kämmereien entstanden,<br />
unter anderem in Leipzig, Döhren oder Blumenthal.<br />
Warum Blumenthal? Im Gegensatz zu<br />
Bremen war es damals schon Mitglied des Deutschen<br />
Zollvereins. Außerdem bot es die Aussicht<br />
auf eine werkeigene Eisenbahnanbindung, und die<br />
Weser war hier tief genug: Wolldampfer aus Übersee<br />
konnten direkt am Werk entladen werden.<br />
Nach insgesamt 14 Monaten Bauzeit startete am<br />
11. September 1884 die Produktion der Bremer<br />
Wollkämmerei (BWK): 60 Männer und 120 Frauen<br />
stellten täglich zwei Tonnen Kammzug her. Die<br />
BWK wuchs schnell, zur Jahrhundertwende beschäftigte<br />
sie schon über 2.300 Menschen.<br />
Doch die Arbeit war hart, schon wegen der<br />
Staubbelastung. Um die Produktion wie geplant<br />
ausweiten zu können, warb die Wollkämmerei<br />
Hunderte Arbeiter aus Polen und Schlesien an.<br />
Das ländliche Blumenthal wurde eine industrielle<br />
Kleinstadt mit Arbeiterwohnungen und Schulen.<br />
Auch die Straßenbeleuchtung und das Krankenhaus<br />
verdankt der Ort der BWK.<br />
Während des Zweiten Weltkriegs schufteten<br />
in der Wollkämmerei Tausende Zwangsarbeiter,<br />
überwiegend Gefangene aus Polen und der Sowjetunion,<br />
ehe die Produktion in der Endphase<br />
des Krieges nahezu zum Erliegen kam. Erst 1947,<br />
als wieder Wollimporte ins Land kamen, wurde<br />
die Produktion ausgeweitet. 1957 erreichte die<br />
Belegschaft der BWK dann mit 5.950 Beschäftigten<br />
ihre Rekordgröße. Danach geriet die Firma<br />
durch steigende Lohnkosten und internationale<br />
Konkurrenz zunehmend unter Druck. Das Unternehmen<br />
erweiterte seine Produktpalette um synthetische<br />
und Wollmischfasern, weil die Nachfrage<br />
nach reinen Wollprodukten zurückging. Doch<br />
2000 mussten Unternehmensanteile an einen australischen<br />
Investor verkauft werden, der bald die<br />
Mehrheit übernahm. 2004 konnte er die Insolvenz<br />
noch verhindern, 2009 machte er die BWK dicht.