F E S T S C H R I F T Zwanzig Jahre Literarischer Gesprächskreis ...

Helmut Dillenburger
Verdichtete Sprache
Dichter? Sind sie wirklich die ungekrönten Könige
unserer Sprache? Vielleicht sind sie’s, nur leben wir eben
in einer Demokratie. Ohne Platz für Könige, die mit
verklärtem Blick von hohen Türmen auf steilen Bergen
stehen – oder gar den Boden unserer Erde gänzlich unter
den Füßen verloren haben...
Gedichte sind der Nachtisch, den die besseren unserer
Zeitungen am Wochenende servieren, anstandshalber. So
wie der Städtische Fuhrpark, weil Kunst an öffentlichen
Gebäuden vorgeschrieben ist, ein Buntglasfenster
bekommt oder einen Fries aus lasierten Kacheln überm
Eingangstor. Im gleichen Sinne finden Gedichte als Zitat
am Anfang und am Schluss einer Rede zur Einweihung
der neuen Kanalschleuse statt.
Über solchen lästerlichen Gedanken wird gelegentlich
vergessen, was Dichtung eigentlich ist, sein will: die
verdichtete, das heißt durchdachte, geballte Wiedergabe
von Erlebtem, Gedachtem, Geträumtem. Dass man früher
Dichtung so gut wie immer in gebundener Sprache
darbot, war sicherlich mehr als eine äußerliche
Förmlichkeit. Wer seine Gedanken geordnet, gestrafft
und zur Weitergabe bereitet hat, dem war das Ergebnis
die Mühe wert, eine beherrschte Form dafür zu
schmieden. Gedichte müssen sich an den Enden ihrer
Zeilen nicht unbedingt reimen – aber wenn sie es tun, ist
es andererseits nicht falsch. Auch heute nicht...
Gedichte, wenn sie wahrhaft „gedichtet“ sind, sollte man
nicht in Bruchstücken zitieren. Was zusammengefügt
wurde, geballt wie Diamanten aus Kohlenstoff, kann man