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11. SLEEPLESS KNIGHTS, Film von Stefan Butzmühlen und Cristina Diz<br />

Wer sich vorab nicht für die Filmemacher interessiert und das Werk aus 2012 insoweit<br />

ohne Vorkenntnis ansieht, kann es leicht für ein rein spanisches Produkt halten. Doch nur<br />

die Co-Regisseurin und Co-Autorin Cristina Diz kommt ursprünglich aus Spanien, Stefan<br />

Butzmühlen und der Kameramann Stefan Neuberger sind Deutsche. Dafür ist die<br />

Besetzung im Wesentlichen rein spanisch, darunter viele Laiendarsteller aus der<br />

ländlichen Extremadura. Diese sommerlich ausgedörrte Binnenregion an der Grenze zu<br />

Portugal sowie ein größeres Dorf in ihr sind jedoch die eigentlichen Hauptfiguren des<br />

Films. Die Bühne selbst ist hier bedeutender als das Geschehen auf ihr. Wem das Narrative<br />

an einem Film das Wichtigste ist, kann von diesem Film enttäuscht werden. Wer aber<br />

Sinn für Atmosphäre hat, wer poetischen Realismus im Film liebt, wird hier voll auf seine<br />

Kosten kommen. Die Bildersprache ist von außerordentlicher Kraft und Schönheit.<br />

Wie die Filmemacher an ihre Arbeit herangingen, erläutern sie selbst im Presseheft des<br />

Verleihers und Produzenten (Salzgeber und Co. Medien GmbH) so: „In den Vorbereitungen<br />

hat unser Kameramann uns gefragt, ob wir uns die Szenen, die wir ihm per Skype<br />

beschrieben haben, wie Gemälde vorstellen. Wir dachten an Bilder, die für sich existieren.<br />

Wir wollten experimentieren: Sehen, was passiert, wenn wir sie nacheinander reihen,<br />

wenn wir beim Schreiben eher über konkrete Bilder als über eine Geschichte nachdenken<br />

und später diese Bilder montieren. Erst im Montageprozess haben wir uns mit der<br />

dramaturgischen Aufgabe jeder Szene innerhalb des Films auseinandergesetzt. Wir haben<br />

das Material beobachtet und uns langsam der Vorstellung angenähert, was unser Film<br />

eigentlich sein kann.“ Das Ergebnis dieses Verfahrens kann sich sehen lassen. Mit diesen<br />

Bildern kann man sich eins fühlen, so suggestiv und zugleich kontemplativ wirken sie auf<br />

den dafür aufgeschlossenen Zuschauer. Oft fühlte sich der Rezensent an Weerasethakuls<br />

„Tropical Malady“ erinnert.<br />

Die beiden jungen Hauptdarsteller wurden in Madrid engagiert. Raúl Godoy ist Carlos,<br />

er kommt 2011 für einen Sommermonat heim ins Dorf, scheint seine Arbeit in Madrid<br />

in<strong>folge</strong> der Wirtschaftskrise verloren zu haben. Denkt er ans Auswandern nach<br />

Deutschland? Sein dementer Vater und der ihm sehr fremde Bruder sind Schafzüchter.<br />

Carlos hilft ihnen ein wenig und arbeitet abends hinter dem Tresen einer Bar im Dorf. Dort<br />

begegnet er Juan (Jaime Pedruelo), einem Polizisten, der eben aus Madrid hierher versetzt<br />

wurde. Die beiden kommen sich rasch nahe, werden ein Paar. Das wird nur beiläufig<br />

erzählt, in scheinbar zufällig aneinandergereihten Szenen von großer Innigkeit.<br />

Die zweite, davon strikt losgelöste Handlung besteht im Nachspielen einer<br />

mittelalterlichen Legende durch ein gutes halbes Dutzend alter Männer aus dem Dorf. So<br />

sonderbare und zugleich lebensechte Rentner sah man lange nicht im Film. Wie sie<br />

zusammensitzen, Fische braten, Lieder singen, Gedichte vortragen – und wunderschöne,<br />

poetische! Dann binden sie Schafen Taschenlampen auf den Rücken und treiben die Herde<br />

in beginnender Nacht zur Ruine einer Burg hinauf …<br />

Eingebettet sind diese beiden im Film nur skizzierten Handlungen in Alltagsszenen aus<br />

dem Dorf. Das ist ein Mikrokosmos vom Rand Europas, seltsam fremd in unserer Zeit. Ist<br />

er ein Relikt der Vergangenheit? Oder sich abzeichnende Zukunft? Vielleicht ist er nur ein<br />

Fluchtort.

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