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Schutzmantelmadonnen der spätmittelalterlichen religiösen Kunst stehen bereits in ihr<br />
und beziehen sich auf ein schon damals altes Rechtsinstitut, den Mantelschutz. Unter<br />
dem Mantel Hochgestellter fanden Verfolgte Schutz und Asyl. Das bis in unsere Tage<br />
praktizierte Kirchenasyl hängt damit zusammen. Mit Gerald von Mayo (um 642 - 732),<br />
übrigens auch Schutzpatron gegen die Pest, hat die katholische Kirche neben Martin von<br />
Tours (um 316 – 397) einen zweiten Mantelheiligen. Der Mantelträger scheint einen<br />
Archetypus darzustellen, den auch fremde Kulturen kennen. So sehen wir z. B. in der<br />
buddhistischen Kunst Thailands, wie Buddha der Barmherzigkeit die Robe öffnet.<br />
Es gibt den Sternenmantel – und im Film, nahe angesiedelt am beglückenden<br />
Jackenerlebnis, eine Entsprechung an der Lost Coast: den Blick hinauf zu einem sehr<br />
hohen Baumwipfeldach. Schutz bietet auch das Zelt, gewissermaßen ein erweiterter<br />
Mantel, in dem die drei Freunde in der Natur übernachten. Aber am Morgen sehen wir<br />
Jasper draußen allein, missmutig hört er mit an, wie sich drinnen Mark und Lily gut<br />
verstehen. Ist es die Ur-Trennung für ihn? Jetzt ist Jasper wieder da und Mark lädt ihn<br />
ein, seinem Ankleiden beizuwohnen. Mark, mit einem Kopf, wie von Caravaggio gemalt,<br />
und einem spätrömisch-hellenistischen Körper, nicht üppig, doch von überfließender<br />
Kraft, konfrontiert ihn mit den verheißungsvollen nackten Partien von Brust und Bauch,<br />
rät vom Heiraten ab und zieht wieder den langen Mantel an.<br />
Mark hat sich verändert. Er fürchtet sich vor dem Älterwerden, er weiß, dass Lily<br />
enttäuscht ist, und er kann den tumben Caleb nicht achten. Parallel dazu hat sich die<br />
Funktion des Mantels verändert. Mark nutzt ihn für alles Mögliche – Selbstzitat,<br />
Selbstpersiflage, Provokation. Er trägt zu Halloween außer einem schmalen Slip nichts<br />
unter dem Mantel und aus dem Slip ragt ein Riesendildo. Auf der Castro Street schlägt<br />
Mark den Mantel immer wieder exhibitionistisch auseinander, ein Jux ohne Hintergrund,<br />
für Touristinnen wie für schwule Männer. Das Quartett landet fehlgeleitet auf einer<br />
fremden Party. Mark verführt sogleich den Gastgeber, doch unter dem erneut<br />
vorgeführten Kunstpenis ist wenig. Unfähig zur Erektion verlässt Mark beschämt die<br />
Wohnung. Das passiere ihm manchmal, räumt er ein.<br />
Jasper hat als Schüler bei Mark Schutz und Geborgenheit gesucht. An Halloween ist er<br />
erst reserviert und gerät dann bald ins alte Fahrwasser. Es gibt wieder die Spiele von<br />
früher: Er stellt sich auf der Straße blind, lässt sich von Mark führen. Dann die<br />
„Vertrauensfallübung“ – er lässt sich nach hinten fallen und wird von Mark aufgefangen.<br />
Erst Calebs Sticheleien erinnern ihn daran, dass er eine heterosexuelle Identität hat.<br />
Gegen Morgen wird er Mark dadurch, dass er ihm noch einmal körperlich nahe kommt,<br />
zeigen, dass die Vergangenheit nicht zurückgeholt werden kann, nicht darf. Die Lost Coast<br />
– das ist die Jugendzeit, in der noch alles möglich war. Von dieser Küste sind sie<br />
aufgebrochen und haben sich von ihr entfernt hinaus auf die schwierige offene See. Selbst<br />
nach dieser Nacht wird Jasper seiner Verlobten über Mark schreiben: Manchmal kann er<br />
großartig sein …<br />
Wendy soll die Rolle von Mark übernehmen, sie ist nun das Objekt der Anlehnung und<br />
Adoration. Jasper ist der Typ des Mannes, der bei beiden Geschlechtern vor allem<br />
Harmonie sucht, Ruhe und Frieden. Wie belastbar ist diese kontemplative Brücke der<br />
Bisexualität? Vielleicht wird Wendy im weiteren Verlauf das, was Lily schon ist, eine Fag<br />
Hag, Schutzmantelmadonna für Schwule. Aber jetzt bitte keine Fanfiction …