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allerchinesischsten Namen, er verkörpert das China von heute, erfolgreich auf der Basis<br />
traditioneller Werte, intelligent, tüchtig, arbeitsam – und allzu sehr auf Harmonie<br />
bedacht. Seine Tragödie ist es, die Luke zum Verstummen bringt und einen Reifeprozess in<br />
ihm auslöst. Dabei unterstützt ihn der Krankenpfleger Jiang (Gao Qilun). Auch ihn könnte<br />
Luke aus der Bahn werfen, menschlich wie beruflich. Aber Jiang erweist sich bei weniger<br />
glänzenden Voraussetzungen im Vergleich zu Han als die viel stabilere Persönlichkeit. So<br />
endet der Film nach vorangegangener Katastrophe mit einer freundlichen Perspektive.<br />
Eine zusätzliche Komplikation in der Thematik des Films besteht darin, dass Ning und<br />
Han aktive Mitglieder einer protestantischen christlichen Gemeinde sind und der<br />
öffentliche Skandal während eines Gottesdienstes seinen Lauf nimmt. Der Film bringt so,<br />
wie andere asiatische vor ihm schon (z.B. „The Love of Siam“), die Theorie des Imports<br />
rigider Sexualmoral aus dem Westen ins Spiel. Damit stellt er ein Gleichgewicht her:<br />
China kann in der Auseinandersetzung mit fremden kulturellen Einflüssen gewinnen und<br />
verlieren, Selbstbestimmung wie Fremdbestimmung. Und der Westler, wie entwickelt er<br />
sich unter östlichem Einfluss? Jiang bezeichnet Luke einmal scherzhaft als „Buddhisten“ -<br />
Luke hat gerade die von Jiangs Onkel gefangenen Fische mitleidig ins Wasser<br />
zurückgeworfen. Jiang zu ihm: Sie sterben trotzdem … Und Luke macht insoweit später<br />
in Meizhou einen für Han tödlichen Lernprozess durch und sagt schließlich zu Ning: „Let<br />
him go!“ Er sagt es nicht auf Mandarin, sondern auf Englisch. Wie fein akzentuiert an<br />
diesem klugen Film fast alles ist …<br />
Schließen wir mit einem Detail, das den westöstlichen Zusammenhang auf etwas<br />
putzige Weise aufzeigt. Jiang fällt in der Dorfschule ein altes Lese-Übungslied ein, das sie<br />
damals im Chor gesungen haben. Als er es anstimmt, hören Luke und der abendländische<br />
Filmzuschauer, dass es nach der Weise von Frère Jacques geht … Wikipedia zählt einige<br />
Sprachen auf, in denen das alte französische Kinderlied heute gesungen wird: Afrikaans,<br />
Spanisch-Argentinisch, Berberisch, Chinesisch, Haitianisch-Kreolisch, Tamil, Hebräisch,<br />
Vietnamesisch, Türkisch, Thailändisch, Swahili, Latein, Japanisch, Indonesisch, Esperanto<br />
und noch viele mehr. Weltkultur heute: in allen Zungen singen – und filmen auch.