06.01.2017 Aufrufe

Zwischen „Postdramatik“ und „Neuem Realismus"

Das deutschsprachige Drama entdeckt die poetischen Zwischentöne des Alltags (Ein kurzer Einblick in die zeitgenössische deutschsprachige Dramatik) Ein Vortrag von Christiane Neudeck anlässlich der Tage der deutschen Dramatik in Petrozavodsk 2010

Das deutschsprachige Drama entdeckt die poetischen Zwischentöne des Alltags
(Ein kurzer Einblick in die zeitgenössische deutschsprachige Dramatik)
Ein Vortrag von Christiane Neudeck anlässlich der Tage der deutschen Dramatik in Petrozavodsk 2010

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Christiane Neudeck – Vortrag in Petrozavodsk 2010<br />

die vielen intratextuellen Bezüge von selbst wieder aushebelt. Diese<br />

schnelle Aneinanderreihung der oberflächlich zusammenhangslos<br />

erscheinenden Szenen <strong>und</strong> divergierenden Formen verspricht einen<br />

hohen Unterhaltungswert. Die Theaterwissenschaftlerin Kerstin Hausbei<br />

spricht in diesen Zusammenhang von einem „Revival der Revueform“ 7 .<br />

Dagegen spricht, dass den einzelnen Szenen meist die eindeutige Pointe<br />

oder der Clou, ein coup de théâtre abgeht, wie es die einzelnen<br />

Nummern einer Revue erfordern würden. Statt dessen erreichen die<br />

Sequenzen vor allem durch die farblichen Schattierungen, die sie durch<br />

die Aneinanderreihung auf sich gegenseitig werfen – durch Kontrast <strong>und</strong><br />

Analogie – eine schwer zu beschreibende Tiefe, die ihnen für sich allein<br />

stehend abgehen würde. Und sie wirken zusammen als ein polyphones<br />

Gesellschaftspanorama. Es ist dies die Komplexität mit der neue<br />

Theaterschriftsteller punkten können <strong>und</strong> die das Theater vor immer<br />

neue Herausforderungen bezüglich der Möglichkeiten von Darstellungs<strong>und</strong><br />

Erzählweisen stellt.<br />

Es bildete sich mittlerweile eine vielfältige, heterogene Fülle an<br />

unterschiedlichen Textformen: Die Erfindung dialektaler Kunstsprachen<br />

bei Thomas Jonigk oder Oliver Bukowski steht in der Tradition Werner<br />

Schwabs, eine Lyrisierung des Nebentextes wie bei Katharina Schlender<br />

spricht für die Bewertung des gesamten Theatertextes als Literatur,<br />

forciertes Beiseitesprechen bis zu einer herausgestellten epischen<br />

Kommentarebene wie bei Ulrike Syha stellt die fiktionale Realität auf<br />

den Kopf <strong>und</strong> der programmatische Einsatz offensiver, oft gewalttätiger<br />

Körperlichkeit bei Marius von Mayenburg stellt eine Aufführung in die<br />

Nähe der Live-Performance.<br />

Die „Performance Art“ des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts hat noch weiter reichende<br />

Einflüsse auf das deutsche Theater: In Inszenierungen von Volker Lösch<br />

oder den Projekten der Gruppe „Rimini Protokoll“ kommen Bühnen-<br />

Laien mit ihrer eigenen, authentischen Geschichte zu Wort. In der<br />

literarischen Textproduktion finden solche Theatererfahrungen<br />

Niederschlag im Verwenden von Dokumentarmaterial, Interviews oder<br />

7 Kerstin Hausbei, Roland Schimmelpfennigs Vorher/Nachher: Zapping als<br />

Revival der Revueform? In: Stefan Tigges (Hg.), Dramatische<br />

Transformationen, S. 43ff.<br />

9

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!