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Zwischen „Postdramatik“ und „Neuem Realismus"

Das deutschsprachige Drama entdeckt die poetischen Zwischentöne des Alltags (Ein kurzer Einblick in die zeitgenössische deutschsprachige Dramatik) Ein Vortrag von Christiane Neudeck anlässlich der Tage der deutschen Dramatik in Petrozavodsk 2010

Das deutschsprachige Drama entdeckt die poetischen Zwischentöne des Alltags
(Ein kurzer Einblick in die zeitgenössische deutschsprachige Dramatik)
Ein Vortrag von Christiane Neudeck anlässlich der Tage der deutschen Dramatik in Petrozavodsk 2010

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Christiane Neudeck – Vortrag in Petrozavodsk 2010<br />

<strong>und</strong>, wehren sie meine reaktion ab, du musst stottern zulassen,<br />

inhaltliches stottern, formales stottern. aber vor allem dürfen die fehler,<br />

die leerstellen <strong>und</strong> das stottern nicht zu einer neuen idylle des angeblich<br />

menschlichen führen, sozusagen des eskapismus ins menschliche knie,<br />

zum fehlerkitsch, sondern verbindung halten, gespannt bleiben, sie müssen<br />

ein system ergeben, das zwingend ist <strong>und</strong> eine verbindung nach draußen<br />

erhält. <strong>und</strong> es dürfen nicht allein menschliche fehler, nicht nur<br />

menschliches stottern <strong>und</strong> menschliche leerstellen sein, verstehst du?“<br />

Herausragend bei der Einbindung von originär nicht fürs Theater<br />

geschriebenen Texten ist die Arbeit <strong>und</strong> literarische Produktion von<br />

René Pollesch. Anfänglich als Hausregisseur unter Frank Castorf am<br />

Prater der Berliner Volksbühne, entwickelt <strong>und</strong> inszeniert René Pollesch<br />

seine Stücke mittlerweile im gesamtdeutschsprachigen Raum.<br />

Zusammen mit seinen Schauspielern fertigt er zu einem bestimmten<br />

Thema Textcollagen aus Exzerpten soziologischer <strong>und</strong> anderer<br />

Fachbücher, Romanausschnitten <strong>und</strong> Filmdialogen. Die dabei<br />

entstehenden Theatertexte sind zwar als Bücher erhältlich, sind aber<br />

nicht zum Nachspielen gedacht. Denn einzigartig ist dabei die<br />

Präsentation, die Polleschs Doppelfunktion als Autor <strong>und</strong> Regisseur<br />

möglich macht: In Art eines Schlagabtauschs bei einem<br />

Schnellsprechwettbewerb hauen sich die Darsteller diese oft witzigen <strong>und</strong><br />

hintergründigen Texte um die Ohren, hadern mit ihrer Identität <strong>und</strong><br />

ihrem Auftrag. Durchbrochen werden diese Anfälle aus intellektuell<br />

forderndem <strong>und</strong> sinnlich beeindruckendem Textgewitter von<br />

auflockernden Sequenzen voller Spielfreude <strong>und</strong> lauter Musik, quasi als<br />

Blitzableiter. Der Einsatz von Live-Kameras, Bildschirmen <strong>und</strong><br />

Versatzstücken von Kostüm <strong>und</strong> Maske verstärkt in den jeweils<br />

kongenialen Bühnenräumen von Bert Neumann den Eindruck einer in<br />

Verzweiflung entfremdeten Gruppe von Zeitgenossen mit Wut im<br />

Bauch, Spaß im Herzen <strong>und</strong> einer unendlichen Menge an einzigartigen<br />

Eindrücken im Hirn. Mittlerweile arbeitet Pollesch vermehrt mit<br />

Versatzstücken von Handlung, die Darsteller nehmen mehr oder weniger<br />

durchgängige Rollen ein. Den Rhythmus der zweistufigen Schrittfolge<br />

von Text <strong>und</strong> Aktion hält er dabei bei.<br />

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