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Zwischen „Postdramatik“ und „Neuem Realismus"

Das deutschsprachige Drama entdeckt die poetischen Zwischentöne des Alltags (Ein kurzer Einblick in die zeitgenössische deutschsprachige Dramatik) Ein Vortrag von Christiane Neudeck anlässlich der Tage der deutschen Dramatik in Petrozavodsk 2010

Das deutschsprachige Drama entdeckt die poetischen Zwischentöne des Alltags
(Ein kurzer Einblick in die zeitgenössische deutschsprachige Dramatik)
Ein Vortrag von Christiane Neudeck anlässlich der Tage der deutschen Dramatik in Petrozavodsk 2010

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Christiane Neudeck – Vortrag in Petrozavodsk 2010<br />

Im Endeffekt knüpfen all diese innovativen Textgestaltungen auf die<br />

unterschiedlichsten Modelle der Dramengeschichte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

an <strong>und</strong> führen diese in komplexen Transformationen kreativ weiter <strong>und</strong><br />

kombinieren sie untereinander. Eine kreative Rückkehr zum Repertoire<br />

bekannter <strong>und</strong> annerkannter dramatisch-theatraler Gattungsformen, die<br />

Anwendung wiedererkennbarer Zitate aus Konventionen <strong>und</strong> Stilen führt<br />

zu einer Art „Recycling“-Ästhetik, die die Willkürlichkeit solcher<br />

Formate offenlegt <strong>und</strong> den Adressaten des Bühnengeschehens – den<br />

Zuschauer – im positiven Sinne verunsichern kann. Neue ausgefeilte<br />

Verfahren des Zitierens <strong>und</strong> der Anspielung, das Spiel mit Erzählerfiguren<br />

<strong>und</strong> die Einbindung narrativer Elemente <strong>und</strong> von Methoden<br />

forcierter Fiktionalisierung, der Einsatz von Rollenbrechungen durch<br />

einen kommentierenden <strong>und</strong> ironisierenden Gestus, mit Chorpartien <strong>und</strong><br />

musikalisch komponierten Stimmen zeigen, dass eine strenge<br />

Zweiteilung in dramatische – also der Dialog in einem fiktionalen<br />

Zusammenhang handelnder Figuren – <strong>und</strong> postdramatische –<br />

formalisierte Zeichenräume voller diskursiv agierender Stimmen –<br />

Theatertexte keinerlei klassifizierenden Nutzen mehr hat <strong>und</strong> somit für<br />

die Theaterpraxis obsolet geworden ist: Aus Felicia Zellers Textflächen<br />

erscheinen lebendige Charaktere, springen einen förmlich an – prall <strong>und</strong><br />

voller Leben, <strong>und</strong> in scheinbare „Well-Made-Plays“ mischen sich<br />

zeitgenössische <strong>und</strong> historische Diskurse wie ein unaufdringliches aber<br />

nicht zu überhörendes Raunen im Hintergr<strong>und</strong>. Durch die wohlüberlegte<br />

<strong>und</strong> zielgerichtete Nutzung von Sprachgestus <strong>und</strong> poetischer<br />

Rhythmisierung erreichen die jungen Dramatiker eine spannende,<br />

reibungsvolle Mischung aus Wahrhaftigkeit <strong>und</strong> Überhöhung. Zusätzlich<br />

unterstützt diese Reibung der „Riss der Verwandlung“ in der<br />

schauspielerischen Darbietung, da sich der Umgang der Schauspieler<br />

auch mit traditionellen Rollenentwürfen gewandelt hat, er selbstbewusst<br />

<strong>und</strong> sich selbst bewusst seine Figur mal auf Distanz hält, mal sich vom<br />

Geschehen mitreißen lässt. Die sogenannte „vierte Wand“ sollte kein<br />

Thema mehr sein.<br />

Zur Zeit beobachte ich eine immer ausgefeiltere, spannende Verbindung<br />

dieser beiden literarischen Pole – Alltäglichkeit <strong>und</strong> mythisierter<br />

Überhöhung – bei neuen Stücken:<br />

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