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Heimat-Rundblick 118 - Herbst 2016

Magazin für Geschichte - Kultur - Geschichte in der Region Hamme, Wuemme Weser

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Geburtshaus von Joachim Ringelnatz in Wurzen © Wikipedia CC-By-Sa 3.0 Joeb 07/Wikimedia Commons<br />

durchaus gefährlicher Einsatz. Unter großer<br />

Anstrengung schaffte Joachim Ringelnatz<br />

den Aufstieg zum Reserveoffizier, 1917 war<br />

er als Leutnant zur See Kommandant eines<br />

Minensuchbootes in Seeheim bei Cuxhaven.<br />

In seiner Freizeit interessierte er sich für<br />

das Leben von Schlangen und Eidechsen in<br />

einem Terrarium. Es gibt Hinweise, dass sein<br />

Nachname auf die Ringelnatter hinweist,<br />

weil sie sich zu Lande und im Wasser wohlfühlt.<br />

Der Vorname Joachim wird mit Ringelnatz’<br />

lebenslanger Gläubigkeit in Verbindung<br />

gebracht. Der Name bedeutet „Gott<br />

richtet auf“.<br />

Ringelnatz erlebte in den Nachkriegsjahren<br />

erneut entbehrungsreiche Jahre voller<br />

Kälte und Hunger.<br />

1920 heiratet er die fünfzehn Jahre jüngere<br />

Lehrerin Leonharda Pieper, die ihm<br />

eine unentbehrliche Hilfe bei all seinen<br />

schriftstellerischen Tätigkeiten war. Die<br />

beiden wohnten als Schwarzmieter in<br />

einer Münchener Wohnung, bis sie dann<br />

nach Berlin umzogen.<br />

Wie wenig sich die Lebensverhältnisse<br />

gebessert hatten, zeigt das folgende<br />

Gedicht:<br />

Unterstützung. Es ist doch erstaunlich,<br />

dass der Vater, der doch hätte wissen können,<br />

dass sein Sohn meistens am Rande<br />

des Existenzminimums lebte, kaum bereit<br />

war, ihm zu helfen. Joachim hatte zu<br />

schreiben und zu malen begonnen und<br />

dabei hatte der Vater vermittelt, dass er in<br />

AUERBACHS DEUTSCHEM KINDERKALEN-<br />

DER seine Werke veröffentlichen konnte.<br />

Doch das war keine ständige Unterhaltssicherung.<br />

Darüber hinaus entstanden seine<br />

ersten Ölbilder.<br />

Zur gleichen Zeit versuchte Joachim Ringelnatz<br />

als Lehrling in einer Hamburger<br />

Dachpappenfabrik eine Anstellung zu finden<br />

und danach als kaufmännischer Angestellter<br />

in Leipzig und Frankfurt/M. zu<br />

arbeiten. Und wieder war es die geregelte<br />

Arbeitszeit, die ihm nicht behagte. Jetzt<br />

begann er als fahrender Sänger und als<br />

Gelegenheitsarbeiter sein Geld zu verdienen.<br />

Vor Hunger entkräftet, vegetierte er in<br />

einer Bodenkammer und er schlief in einer<br />

Holzkiste. In Amsterdam hielt der deutsche<br />

Pfarrer ihn für einen Betrüger, zeigte ihn an<br />

und er wurde für kurze Zeit ins Gefängnis<br />

gesteckt.<br />

Danach nahm Ringelnatz eine Stellung<br />

als Buchhalter in einem Münchener Reisebüro<br />

an. Er gab bei der Einstellung an, fünf<br />

Fremdsprachen zu beherrschen, doch das<br />

konnte nicht gut gehen.<br />

Ab 1909 begann seine Laufbahn als<br />

Kabarettist mit Auftritten in der Münchener<br />

Künstlerkneipe SIMPLIZISSIMUS,<br />

jedoch sein Engagement wurde schlecht<br />

bezahlt und somit war auch das schnell<br />

wieder vorbei. Nun veröffentlichte er<br />

Gedichte und den autobiografischen Essay<br />

VIELLIEBER FREUND und das Märchen<br />

DER EHRLICHE SEEMANN.<br />

RUNDBLICK <strong>Herbst</strong> <strong>2016</strong><br />

Bildungslücken sollten<br />

geschlossen werden<br />

Joachim Ringelnatz spürte, dass in gehobener<br />

Gesellschaft seine Bildung Lücken<br />

hatte und so ließ er sich privat von Baron<br />

Thilo von Seebach in Literaturgeschichte<br />

und anderen Fächern unterrichten. Doch<br />

seine Einkommensverhältnisse verbesserten<br />

sich durch die folgenden Aufträge keineswegs.<br />

So bemühte er sich zum Beispiel,<br />

als verkleidete Wahrsagerin in einem Bordell<br />

den Prostituierten die Zukunft vorauszusagen.<br />

Im Jahre 1912 fand er eine Anstellung als<br />

Privatbibliothekar bei einem Grafen und<br />

danach arbeitete er mit der gleichen Aufgabe<br />

bei dem Freiherrn von Münchhausen<br />

in Hannover und schließlich war Ringelnatz<br />

Fremdenführer auf der Burg Lauenstein.<br />

Danach absolvierte er einen Kursus als<br />

Schaufensterdekorateur. Er dekorierte<br />

jedoch nur ein Schaufenster, doch sein<br />

Können reichte nicht für eine weitere<br />

Beschäftigung.<br />

Es erschien seine Gedichtsammlung DIE<br />

SCHNUPFTABAKDOSE, die einige seiner<br />

bekanntesten Verse enthält. Für ein weiteres<br />

Werk bekam er ein einmaliges Honorar<br />

von 200 Mark. Weder als Schriftsteller<br />

noch als Schauspieler verdiente er ein<br />

zufriedenstellendes Honorar, ganz im<br />

Gegenteil, Hunger und Armut begleiteten<br />

sein Leben.<br />

Mit Kriegsbeginn 1914 hoffte er als Freiwilliger<br />

bei der Marine eine gesicherte<br />

Zukunft in Aussicht zu haben. Gerne hätte<br />

er an Schlachten teilgenommen, doch er<br />

wurde einem Minenlegeschiff zugeteilt, ein<br />

Angstgebet in Wohnungsnot<br />

Ach, lieber Gott, dass sie nicht<br />

Uns aus der Wohnung jagen.<br />

Was soll ich ihr denn noch sagen -<br />

Meiner Frau - in ihr verheultes Gesicht?<br />

Ich ringe meine Hände<br />

Weil ich keinen Ausweg fände,<br />

Wenns eines Tages so wirklich wär;<br />

Bett, Kleider, Bücher, mein Sekretär, -<br />

Dass das auf der Straße stände.<br />

Sollt ichs versetzen, verkaufen?<br />

Ist all doch nötiges Gerät<br />

Wir würden, einmal, die Not versaufen,<br />

und dann; wer weiß, was ich tät.<br />

Ich hänge so an dem Bilde,<br />

das noch von meiner Großmama stammt,<br />

Gott, gieße doch etwas Milde<br />

Über das steinerne Wohnungsamt.<br />

Wie meine Frau die Nacht durchweint,<br />

das barmt durch all meine Träume.<br />

Gott, lass uns die lieben zwei Räume<br />

Mit der Sonne, die vormittags hinein scheint.<br />

Ab <strong>Herbst</strong> 1920 hatte Joachim Ringelnatz<br />

erste erfolgreiche Aufträge im Berliner<br />

Kabarett SCHALL UND RAUCH. Danach<br />

verbrachte er mehrere Monate im Jahr auf<br />

Bühnen im gesamten deutschsprachigen<br />

Raum. Er trat stets im Matrosenanzug auf<br />

und war nun gut beschäftigt. 1927<br />

erschienen seine beiden erfolgreichsten<br />

Gedichtsammlungen, Kuddeldaddeldu<br />

und Turngedichte. Für drei Wochen reiste<br />

er nach Paris und 1928 führte ihn sein Weg<br />

nach London, von wo er enttäuscht<br />

zurückkam.<br />

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