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Sachsen Macher

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<strong>Macher</strong><br />

brand eins Wissen im Auftrag des Freistaats<br />

<strong>Sachsen</strong>


<strong>Sachsen</strong> // <strong>Macher</strong><br />

Inhalt<br />

Da schau hin!<br />

Manchmal könnte man meinen, <strong>Sachsen</strong> habe nur noch<br />

Negatives zu bieten. Gestern Pannen, heute ein Skandal, morgen<br />

eine Hiobsbotschaft. Die schlechten Nachrichten formen sich seit<br />

Monaten zu einem diffusen, aber einprägsamen Bild. Es ist ziemlich<br />

düster – und falsch.<br />

Denn so wahr einzelne Schlagzeilen auch sind: Der unschöne<br />

Schein trügt. <strong>Sachsen</strong> ist mehr, als die jüngsten Botschaften suggerieren.<br />

Wir sind auf unseren Reisen nach Rochlitz, Chemnitz,<br />

Radebeul, Zittau, Dresden oder Schneeberg jedenfalls zahllosen<br />

neugierigen und aufgeschlossenen Menschen begegnet. Menschen<br />

unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Herkunft, hier geboren<br />

oder einfach heimisch, angestellt oder selbstständig, Student<br />

oder Unternehmer, Forscher oder Praktiker. Es sind Menschen mit<br />

Lust auf Zukunft, die ihre Träume wahr machen wollen, ihren Weg<br />

suchen und sich einlassen – auf neue Ideen und Projekte, auf Veränderungen<br />

und Rückschläge, auf Sackgassen und schwierige Zeiten.<br />

Wir haben diese Menschen nicht suchen müssen. Man trifft sie<br />

überall im Land. Auf jedem Hof und jeder Bühne, im Dorf und in<br />

der Stadt, in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Und ja, es gibt<br />

auch jene, die für Negativschlagzeilen sorgen. Wir wollten unseren<br />

Blick aber lieber von jener lauten Minderheit auf die Vertreter der<br />

leisen Mehrheit richten. Sie, diese Menschen, die sich jeden Tag<br />

neu aufmachen und engagieren, sind der Grund für unser Heft.<br />

Vielleicht können ihre Geschichten dazu beitragen, unser <strong>Sachsen</strong>-<br />

Bild zu korrigieren. Verdient hätten sie es.<br />

Noch mehr<br />

<strong>Macher</strong> in <strong>Sachsen</strong><br />

finden Sie auf:<br />

www.brandeinswissen.de<br />

4 Der globale Blick // Carsten Meyer hat fast eine Million<br />

Euro bekommen, um den Artenschutz global zu betrachten.<br />

6 Ich seh’ den Sternenhimmel // Mike Behnke wollte das<br />

Schneeberger Planetarium retten – und wurde zum Erfinder.<br />

8 Zurück in die Zukunft // Margitta Faßl ehrt Computer-<br />

Pionier Konrad Zuse – und gibt ihrer Stadt eine Perspektive.<br />

10 Unruh und Hemmung // Theodor Prenzel und Lutz<br />

Reichel haben der Uhrenindustrie eine Sensation beschert.<br />

18 Viel zu tun // Hussein Jinah hat einen Job, zehn Ehrenämter<br />

und ein großes Ziel: das weltoffene Dresden zu fördern.<br />

20 Läuft // Sebastian Wolter und Leif Greinus haben aus<br />

ihrem Freiheitsdrang einen florierenden Verlag gemacht.<br />

22 Hinter den Spiegeln // Kristina Musholt erforscht das<br />

Wesen des Menschen und ändert den Wissenschaftsbetrieb.<br />

24 Rappen in Zahlen // Johann Beurich rappt seine Songs<br />

auf Youtube und hat damit schon vielen das Abitur gerettet.<br />

Susanne Risch, Chefredakteurin<br />

susanne_risch@brandeinswissen.de<br />

12 Kraut und Rüben // Daniel Hausmann ist Visionär und<br />

Realist – und <strong>Sachsen</strong>s erster veganer Landwirt.<br />

26 Lernen, lachen, leben // Elf berühmte <strong>Sachsen</strong> aus<br />

vier Jahrhunderten erklären kurz, wie es so ist, das Leben.<br />

Impressum<br />

Herausgeber: Freistaat <strong>Sachsen</strong> Chefredaktion: Susanne Risch Artdirection: Britta Max Chefin vom Dienst: Michaela Streimelweger<br />

Grafik: Deborah Tyllack Redaktion: Renate Hensel, Sibylle Kumm, Peter Lau, Kathrin Lilienthal, Uwe Rasche Text: Johannes Böhme,<br />

Anika Kreller, Brigitta Palass, Klaus Rathje, Andreas Wenderoth Foto: Michael Hudler, Oliver Helbig, Sigrid Reinichs, Anne Schönharting<br />

Illustration: Kia Sue Illustration Gesamtkoordination: Ketchum Pleon GmbH Konzept: brand eins Wissen © brand eins Wissen, Hamburg,<br />

2016 www.brandeinswissen.de<br />

14 Bewegend // Chayeon Lee ist erst 17, aber schon auf<br />

dem besten Weg, ein neuer Ballett-Star zu werden.<br />

16 Sonnige Zeiten // Christian von Olshausen beantwortet<br />

eine Zukunftsfrage: Wie speichert man erneuerbare Energien?<br />

28 Sauber gemacht! // Wolfgang Groß hat „fit“ in eine<br />

Erfolgsfirma mit mehr als 100 Marken verwandelt.<br />

30 Friede, Freude, Blinzes // Uwe und Lars Ariel<br />

Dziuballa betreiben <strong>Sachsen</strong>s einziges jüdisches Restaurant.<br />

2 3


Er sieht nicht aus wie der<br />

klassische Wissenschaftler,<br />

aber das heißt wenig:<br />

Carsten Meyer forscht am<br />

iDiv und hat sich gerade für<br />

ein Stipendium in<br />

Millionenhöhe qualifiziert.<br />

Der globale Blick<br />

<strong>Sachsen</strong> // leidenschaftlich<br />

Kann eine geschützte Art in Deutschland zehn nicht geschützte Arten in Südamerika<br />

vernichten? Der Biologe Carsten Meyer vom iDiv in Leipzig will genau das herausfinden.<br />

Text: Brigitta palass<br />

Foto: Michael Hudler<br />

Carsten Meyer ist Biologe und seit Kurzem Millionär – zumindest<br />

auf dem Papier. Denn jüngst erhielt der 32-Jährige, der am<br />

Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv)<br />

und an der Universität Leipzig tätig ist, ein Freigeist-Stipendium<br />

der VolkswagenStiftung. Budget: knapp eine Million Euro. Damit<br />

will der junge Wissenschaftler in den kommenden fünf Jahren die<br />

gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Ursachen des<br />

weltweiten Artenschwundes untersuchen.<br />

Meyers Ansatz könnte eine große Lücke schließen. Rund<br />

400 000 Arten an Pflanzen und Landwirbeltieren sind derzeit weltweit<br />

wissenschaftlich erfasst. Doch Qualität und Quantität der über<br />

sie verfügbaren Daten sind höchst uneinheitlich, und so ist es fraglich,<br />

ob die tatsächliche Vielfalt der Flora und Fauna wie auch ihr<br />

Schwund realistisch abgebildet werden.<br />

Schon für seine Dissertation hatte Carsten Meyer Millionen an<br />

Datensätzen über die Verbreitung aller bekannten Arten von Säugetieren,<br />

Vögeln und Amphibien untersucht. Dabei stellte er fest,<br />

dass die relativ überschaubare Tier- und Pflanzenwelt in den Industrieländern<br />

fast vollständig erfasst, die Datenlage in den tropischen<br />

Zonen Südamerikas, Asiens und Afrikas dagegen ziemlich dünn<br />

ist. Gerade dort aber ist die Artenvielfalt am größten. Doch auch<br />

in Kanada, auf dem Balkan und in einigen ehemaligen Sowjetrepubliken<br />

klaffen Lücken. „Am allermeisten erstaunt haben uns<br />

die großen Defizite in relativ wohlhabenden Schwellenländern“,<br />

erzählt der Biologe.<br />

Meyer – T-Shirt, Jeans, Bart und leicht verstrubbelte Haare –<br />

hatte sich nur geringe Chancen seiner Bewerbung für das Stipendium<br />

ausgerechnet. Sein Doktor vater in Göttingen hatte ihn darauf<br />

aufmerksam gemacht. Doch bis dahin hatte Meyer kaum<br />

wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht. „Und die sind nun mal<br />

die Währung in der akademischen Welt“, sagt er. Zudem kann<br />

man sich nur einmal um diese spezielle Studienförderung bewerben:<br />

Sie ist ausdrücklich für junge Wissenschaftler gedacht, die mit<br />

ihrer Arbeit gewohnte Wege verlassen, um einen neuen Blick auf<br />

Probleme zu werfen und nach innovativen Lösungen zu suchen.<br />

Ein anderer wichtiger Schritt ist dem Forscher bereits gelungen:<br />

„Ich wollte nach meiner Promotion in Göttingen unbedingt<br />

an das iDiv.“ Das Institut, eine gemeinsame Einrichtung der Universitäten<br />

Leipzig, Halle und Jena sowie des Helmholtz-Zentrums<br />

für Umweltforschung, zieht Experten aus aller Welt an und hat<br />

Leipzig ins Zentrum internationaler Spitzenforschung in Sachen<br />

Biodiversität gerückt – und es bringt auch Meyer voran: „Wenn ich<br />

bei einem wissenschaftlichen Problem nicht vorankomme, ist die<br />

Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass ich ein paar Türen weiter jemanden<br />

finde, der mir helfen kann“, sagt er.<br />

Sein Ziel ist ehrgeizig. Der Biologe will all jene komplexen<br />

globalen Zusammenhänge erforschen, über die lokale wirtschaftliche<br />

und politische Entscheidungen die globale Artenvielfalt beeinflussen.<br />

„Der Verlust des natürlichen Lebensraums ist der wichtigste<br />

Grund für das Aussterben einer Art“, erklärt Meyer. Land- und<br />

Forstwirtschaft oder Straßen- und Bergbau können ursächlich dafür<br />

sein. Der Zusammenhang scheint auf den ersten Blick klar,<br />

doch global gesehen ist es komplizierter. „Angenommen, ein relativ<br />

artenarmes Land in Nordeuropa schränkt seine Forstwirtschaft<br />

gesetzlich stark ein, um Tiere und Pflanzen des Waldes besser zu<br />

schützen. Das Holz, das vor Ort gebraucht wird, wird künftig also<br />

importiert – und verursacht möglicherweise Kahlschläge in anderen,<br />

arten reicheren Ländern, deren Naturschutzstandards geringer<br />

sind. Ein deutlich höherer Artenschwund wäre die Folge; so könnte<br />

die lokal nützliche Gesetzesänderung global schädlich sein.“<br />

Für diesen globalen Blick müssen enorme Datenmengen verarbeitet<br />

werden – Big Data trifft Biologie. Das ermöglicht ganz<br />

neue Einsichten, birgt aber das Risiko des unbekannten Terrains.<br />

Doch damit kann Carsten Meyer leben. Schließlich gehe es der<br />

VolkswagenStiftung doch genau darum: dem freien Geist Raum zu<br />

schaffen, dass er sich ins Unbekannte entfalten möge.<br />

4<br />

5


<strong>Sachsen</strong> // Findig<br />

Ich seh’ den Sternenhimmel<br />

Das Planetarium von Schneeberg stand vor der Schließung – kein Geld für neue Technik. Hobbyastronom<br />

Mike Behnke entwickelte zur Rettung eine digitale Lösung, die Fachleute begeistert.<br />

Text: Brigitta palass<br />

Foto: sigrid reinichs<br />

Natürlich arbeitet<br />

Mike Behnke auch mit<br />

Klassikern wie diesem<br />

Zeiss-Teleskop. Seine<br />

Erfindung aber ist<br />

funk tionsfähig, viel<br />

günstiger als die<br />

herkömmlichen<br />

Systeme – und hat<br />

das Planetarium in<br />

Schneeberg gerettet.<br />

Jahrelang war ihm dieses Geräusch vertraut: das leise Klacken,<br />

wenn einer der 32 Projektoren unter der Kuppel des Zeiss-Planetariums<br />

in Schneeberg das nächste Dia vor das Objektiv schob – mit<br />

einer weiteren Ansicht der nächtlichen Gestirne. Es ist verstummt –<br />

für immer. Und Mike Behnke aus dem gut 30 Kilometer entfernten<br />

Gelenau ist darüber nicht traurig. Eines nach dem anderen hatten<br />

die alten Geräte den Dienst quittiert. Ersatz war kaum aufzutreiben,<br />

weil der Hersteller, der einstige Weltkonzern Kodak, längst deren<br />

Produktion eingestellt hatte. Und wirkten die Projektoren nicht<br />

ohnehin hoffnungslos altmodisch mit ihrer statischen Darstellung<br />

des Sternenhimmels in unserer bewegten, bildverliebten Welt?<br />

Zeitgemäßer Ersatz musste also her, und genau da begann das<br />

Problem. Projektionssysteme selbst für kleine und mittlere Planetarien<br />

wie das in Schneeberg kosten rund eine Viertelmillion Euro<br />

– zu viel für den „kul(T)our-Betrieb des Erzgebirgskreises“ als öffentlichem<br />

Träger. 2014 drohte die Schließung des Planetariums<br />

und der dazugehörenden mehr als 60 Jahre alten Sternwarte. Doch<br />

das kam für Mike Behnke nicht infrage.<br />

Ihn hatte der Blick zu den Sternen schon immer fasziniert. „Alles,<br />

was mit dem Universum, mit Raumfahrt, mit unserem Sonnensystem<br />

und fernen Galaxien zu tun hatte, begeisterte mich“, sagt er. Er<br />

war acht, als er sich nach einer Anleitung aus einem Handbuch für<br />

junge Astronomen sein erstes eigenes Teleskop bastelte. Doch die<br />

Astronomie blieb nur ein intensiv gepflegtes Hobby. Behnke wurde<br />

Kfz-Mechaniker und arbeitete später als Gerüstbauer. Erst 2006<br />

bot sich ihm die Gelegenheit, seine Leidenschaft zum Beruf zu<br />

machen. Der Landkreis suchte freie Mitarbeiter zur Betreuung des<br />

Planetariums. Da traf es sich gut, dass Behnke kurz zuvor einen<br />

Onlinehandel mit optischem Zubehör für Sterngucker und Naturfreunde<br />

gegründet hatte. Weil er den Internetauftritt möglichst professionell<br />

gestalten wollte, hatte er zudem eine Ausbildung zum Mediendesigner<br />

absolviert. Das sollte sich als sehr nützlich erweisen.<br />

Denn mit dem Hinscheiden der alten, analogen Diaprojektoren<br />

begriff Behnke, dass der künftige Blick in die Unendlichkeit digital<br />

sein würde. „Ich musste eine Lösung für eine Projektion auf gekrümmte<br />

Flächen und einen 360-Grad-Rundumblick finden. Anders<br />

geht es bei einer Planetariumskuppel nicht.“ Die Hardware – Computer<br />

und moderne HD-Beamer – war das geringste Problem. Aufwendiger<br />

gestaltete sich die Suche nach der passenden Software.<br />

Behnke wurde bei Flugsimulationsprogrammen fündig, aber das<br />

war nur der Anfang. Danach galt es, die zunächst sechs, heute nur<br />

noch vier Beamer so zu programmieren, dass keine Ruckler, Unschärfen<br />

und Nahtstellen bei der Projektion in der Kuppel auftreten.<br />

Ein halbes Jahr lang tüftelte Behnke bis tief in die Nacht an seinem<br />

System, er trug zunächst alle Kosten selbst. Dann führte er das<br />

Ergebnis den kommunalen Kulturverantwortlichen vor – und stieß<br />

auf Begeisterung. Auch weil seine Lösung mit rund 20 000 Euro<br />

nicht einmal ein Zehntel dessen kosten sollte, was für die Systeme<br />

etablierter Hersteller veranschlagt wird.<br />

In nur zwei Monaten und mit viel Eigenleistung wurde das<br />

Planetarium umgerüstet. Weil es inzwischen eine ganze Reihe von<br />

Animationen in Fulldome-Technik gibt, kann man in den nachtblauen<br />

Samtsesseln unter der Schneeberger Kuppel heute virtuell<br />

nicht nur durch die Weiten des Universums reisen, auf dem Mond<br />

landen oder die Ringe des Saturns kreuzen, sondern auch durch<br />

eine Blumenwiese fliegen oder mit Walen tauchen. Besonders die<br />

jungen Besucher sind fasziniert von den bewegten und bewegenden<br />

Bildern unseres wunderbaren blauen Planeten im All. Sie kommen<br />

oft mit ihren Eltern oder Großeltern wieder.<br />

Das freut Behnke besonders, schließlich wird die Astronomie<br />

als offizielles Lehrthema seiner Ansicht nach viel zu stiefmütterlich<br />

behandelt. Dabei hat sein System bereits Schule gemacht, im Wortsinn:<br />

Das Schulplanetarium in Chemnitz setzt seit einiger Zeit<br />

nämlich auch auf die Spezialtechnik aus dem Erzgebirge.<br />

6 7


<strong>Sachsen</strong> // Visionär<br />

Zurück in die Zukunft<br />

In der Vergangenheit war die Leiterin der Wohnungsgesellschaft<br />

Hoyerswerda vor allem mit Abriss<br />

beschäftigt. Jetzt baut Margitta Faßl neu auf: Museen,<br />

Gärten, Ideen – und Perspektiven für ihre Stadt.<br />

Über Jahrzehnte war Hoyerswerda ein höchst moderner Ort.<br />

Mit einem Museum will die Stadt nun an diese Zeit anschließen.<br />

Text: Peter Lau<br />

Foto: Anne Schönharting<br />

Städte leben von Visionären, die sie voranbringen, getrieben<br />

von Heimatliebe und einer Vision. Menschen wie Margitta Faßl.<br />

Die 65-Jährige könnte in den Ruhestand gehen, stattdessen arbeitet<br />

sie an einer neuen Perspektive für Hoyerswerda. Dazu beitragen<br />

soll das ZCOM (Zuse-Computer-Museum), ein Museum, das<br />

dem Erfinder, Unternehmer und weltbekannten Computerpionier<br />

Konrad Zuse gewidmet ist, der hier lebte und 1928 sein Abitur in<br />

der Stadt gemacht hat.<br />

Das Projekt ist ihre Idee, und für sie lag es nahe: „Es gab seit<br />

1995 eine Sammlung von Rechenmaschinen, die anlässlich eines<br />

Besuchs von Zuse in Hoyerswerda gestartet wurde“, erzählt Faßl.<br />

„Die Apparate waren am Rande der Stadt untergebracht, und viele<br />

Stücke befanden sich im Lager. Nun bringen wir die gesamte<br />

Sammlung auf 1300 Quadratmetern in der Neustadt unter, ganz<br />

zentral in den Ladenflächen eines Elfgeschossers.“<br />

Als Standort für ein Museum ist das ziemlich modern, aber<br />

Hoyerswerda war immer ein Ort, an dem die Zukunft stattfand:<br />

Hier entstand der erste Plattenbau der Welt, als die Stadt in den<br />

Fünfzigern zum Zentrum der „Energieregion“ der DDR ausgebaut<br />

wurde. Und hier wurde Konrad Zuse zur wohl wichtigsten Erfindung<br />

des 20. Jahrhunderts inspiriert, dem ersten funktionsfähigen<br />

Digitalrechner. Jahrzehnte später schrieb der Bauingenieur über die<br />

Atmosphäre, die seine Jugend prägte: „In Hoyerswerda gab es endlich<br />

auch eine technische, eine technisierte Umwelt. Nicht weit von<br />

der Stadt lagen modern eingerichtete Braunkohlegruben … Die<br />

großen Abraumförderbrücken gaben mir eine erste Vorstellung von<br />

einem automatisierten, technischen Zeitalter.“<br />

Margitta Faßl will auch nach vorn denken. Sie weiß aus ihrer Arbeit,<br />

wie nötig ihre Stadt eine Perspektive hat: Seit 1993 leitet die<br />

Diplom-Ingenieurin die Wohnungsgesellschaft Hoyerswerda, der<br />

eine Vielzahl von Häusern im Plattenbauviertel Neustadt gehört. In<br />

den vergangenen Jahren war sie in ihrer Position vor allem mit<br />

der Stadtschrumpfung beschäftigt – also mit Abriss. Das sei nicht<br />

immer einfach gewesen, sagt sie: „Ein Großteil der Älteren, vor<br />

allem die Bergbaurentner, hadern sehr mit dem Thema Rückbau.“<br />

Faßl kann das verstehen – beirren lässt sie sich davon nicht.<br />

Denn bei allem Sinn fürs Bewahren: Manchmal müssen die Relikte<br />

der Vergangenheit weg, um Platz für Neues zu schaffen. Auch das<br />

Museum soll mehr sein als ein Ort der Erinnerung. „Das ZCOM<br />

wird die alten Rechenmaschinen, die wir besitzen, in einem sinnvollen<br />

Rahmen zeigen, außerdem wollen wir damit einen besonderen<br />

Ort der Bildung schaffen.“ Langfristig hat die Ingenieurin aber<br />

noch eine andere Vision: Die Geschichte soll wieder aufleben –<br />

und im Idealfall Unternehmen aus der Computerbranche oder den<br />

neuen Medien an den traditionsreichen Ort ziehen.<br />

Margitta Faßl verfolgt derweil schon die nächste Idee. Sie hat<br />

einen Film über Gärten in der Stadt gesehen, die in Gebäuden angelegt<br />

werden, erzählt sie. An einigen dieser Projekte ist die Hochschule<br />

für Technik und Wirtschaft in Dresden beteiligt, zu der sie<br />

deshalb gerade Kontakt aufnehme. „Vielleicht ist es möglich, einen<br />

Plattenbau, der nicht mehr gebraucht wird, für so ein Projekt zu<br />

nutzen?“ Die Rente kann warten. Margitta Faßl hat noch zu tun.<br />

Und lächelt wie eine, die weiß: Die Zukunft kommt nicht einfach<br />

– sie wird gemacht.<br />

8 9


Unruh und<br />

Hemmung<br />

<strong>Sachsen</strong> // Präzise<br />

Es ist nicht einfach, ein Monopol zu knacken.<br />

Theodor Prenzel und Lutz Reichel haben mit<br />

dafür gesorgt, dass es der Uhrenmanufaktur<br />

Nomos Glashütte gelungen ist.<br />

Text: Brigitta palass<br />

Foto: Michael Hudler<br />

Sie lieben Uhren, Teamarbeit, Technik und<br />

Wettbewerb – und haben Nomos Glashütte<br />

zu einer Sensation verholfen:<br />

Konstruktionsleiter Lutz Reichel (links)<br />

und Laborleiter Theodor Prenzel.<br />

Es war die Sensation der Baselworld 2014, der bedeutendsten<br />

Uhrenmesse der Welt. Die Manufaktur Nomos Glashütte stellte ihr<br />

selbst entwickeltes Swing-System vor. Dieses Herz einer jeden<br />

mechanischen Uhr, auch Assortiment, Reglage oder Hemmung<br />

genannt, besteht aus Unruh, Spirale, Ankerrad und Anker sowie<br />

weiteren winzigen Teilen. Von ihrem komplizierten und zugleich<br />

perfekten Zusammenspiel hängt ab, wie genau, robust und langlebig<br />

ein Uhrwerk ist. Das Monopol auf diese entscheidende Baugruppe<br />

hatten jahrelang die Swatch-Töchter ETA und Nivarox in<br />

der Schweiz. Und deren Spezialisten hüteten ihre Geheimnisse gut.<br />

Seit dem Aufkommen der Quarzuhren in den Sieb zigerjahren gab<br />

es keine Grundlagenforschung in der Königs dis ziplin der Uhrmacherei<br />

mehr. Es existierte kaum Literatur, und es gab schon gar<br />

keine mathematischen Berechnungen für die Reglage. Wer mechanische<br />

Uhren bauen wollte, musste bei den Schweizern kaufen.<br />

Oder bei null anfangen.<br />

Die Uhrmacher aus <strong>Sachsen</strong> wählten den zweiten Weg und<br />

investierten sieben Jahre und elf Millionen Euro in ihre Unabhängigkeitserklärung.<br />

In einem gemeinsamen Projekt mit der Technischen<br />

Universität Dresden simulierten und berechneten sie mit<br />

dem Computer das feine Zusammenspiel all der kleinen Teile eines<br />

Assortiments und brachten es zur Serienreife. Das Fraunhofer-<br />

Institut für Werkstoff- und Strahltechnik in Dresden unterstützte<br />

sie bei der Suche nach modernen Materialien. In entscheiden ­<br />

der Funktion dabei: Theodor Prenzel, 32, Leiter der Konstruktion<br />

bei Nomos Glashütte und stellvertretender Chef der Abteilung<br />

Forschung und Entwicklung, sowie Lutz Reichel, 31, Entwicklungsingenieur<br />

und Laborleiter der Manufaktur.<br />

Beide stammen aus Uhrmacherfamilien, und für beide war früh<br />

klar, dass sie diese Tradition fortsetzen wollten. Sie sind fasziniert<br />

von der perfekten Symphonie der winzigen, komplexen Mechanik.<br />

Prenzel hat in Jena Feinwerktechnik studiert. Seine Abschlussarbeit<br />

schrieb er bei Nomos – er wurde prompt übernommen. Auch für<br />

Lutz Reichel war klar, dass er sich in seinem Maschinenbaustudium<br />

an der TU Dresden mit der Konstruktion von Uhren beschäftigte.<br />

„Es war eine besondere Erfahrung, dass ich während eines<br />

Praxissemesters bei Nomos Uhren von Grund auf selbst montieren<br />

durfte“, erzählt er. „Das war für die spätere Konstruktions- und<br />

Berechnungsarbeit sehr hilfreich.“ Das Thema seiner Diplomarbeit:<br />

„Die dynamische Simulation des NOMOS-Swing-Systems.“<br />

Nach einem Jahr als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Uni<br />

wechselte Reichel 2011 in die Praxis nach Glashütte und betreute<br />

das Projekt auf Firmenseite weiter. Er hielt Kontakt zu den Forschungsinstituten<br />

und war verantwortlich für den Prototypenbau.<br />

Theodor Prenzel leitete die konstruktiven Arbeiten und verantwortete<br />

die komplette Zeichnungserstellung. Die Schnittstelle zwischen<br />

Konstruktion und Prototypenbau ist ein sensibler Punkt:<br />

„Nur wenn hier die Kommunikation klappt, können wir Probleme<br />

bereits in einer sehr frühen Phase erkennen“, erklärt Prenzel. Dank<br />

persönlicher Sympathie, flacher Hierarchien, der wöchentlichen<br />

Abstimmung von Ergebnissen und Zielen und der kurzen Wege im<br />

alten Bahnhof in Glashütte, in dem Nomos residiert, war das kein<br />

Problem. Oft half in dieser Phase neben all der Wissenschaft auch<br />

die praktische Erfahrung der Uhrmacher im Hause weiter. Der entscheidende<br />

Sprung vom Prototyp zur Serienfertigung gelang, 2014<br />

stellte die Manufaktur die ersten Handaufzugswerke mit „Swing“<br />

vor. Später wurde das System zum Herzstück des neuen Automatikwerks<br />

DUW 3001, das nach völlig neuen Konstruktionsprinzipien<br />

arbeitet, wie Prenzel erklärt.<br />

So ein Durchbruch wie die Entwicklung des Swing-Systems ist<br />

ein bisschen wie ein Olympiasieg. „Es ist ein gutes Gefühl, wenn<br />

die theoretischen Berechnungen und Konstruktionen sich auch in<br />

der Praxis als funktional erweisen und schlicht besser sind als das,<br />

was die meisten anderen machen“, sagt Prenzel. Schön sei auch, in<br />

den Geschäften ‚sein‘ Uhrwerk im fertigen Produkt zu sehen. Am<br />

meisten aber freuen sich Prenzel und Reichel auf neue Projekte und<br />

Aufgaben – auf den nächsten Wettkampf. Genug Ideen dafür, das<br />

bekräftigen beide, haben sie.<br />

10 11


<strong>Sachsen</strong> - Machen<br />

Kraut und Rüben<br />

<strong>Sachsen</strong> // unbeirrbar<br />

Daniel Hausmann aus Rochlitz ist <strong>Sachsen</strong>s einziger Bauer, der nicht nur biologisch,<br />

sondern auch streng vegan wirtschaftet. Einfach ist das nicht. Aber er zeigt, dass es geht.<br />

Text: Brigitta palass<br />

Foto: sigrid reinichs<br />

Bio-veganer Anbau<br />

bedeutet geringe Erträge,<br />

harte körperliche Arbeit<br />

und eine aufwendige<br />

Vermarktung. Doch<br />

Daniel Hausmann bereut<br />

seine Entscheidung<br />

nicht: Zur klassischen<br />

Landwirtschaft wollte<br />

der 25-jährige Biobauer<br />

nicht zurück.<br />

Das mit den Mairübchen war so nicht geplant. Die Pflanzen, die<br />

eigentlich als zartes Gemüse geerntet werden sollten, wuchsen wie<br />

verrückt, entwickelten lange Pfahlwurzeln und waren kaum noch<br />

aus der Erde zu bekommen. Nun dürfen sie mit dem Klee, der sie<br />

langsam überwuchert, um Nährstoffe und Platz kämpfen. Auch sonst<br />

herrscht in Daniel Hausmanns Gemüsebeeten ein Tohuwabohu:<br />

schmale Reihen, ungeeignet für Maschinen. Und reichlich Grünzeug<br />

und Getier, das gemeinhin als Unkraut und Ungeziefer gilt.<br />

„Für mich ist das einfach Natur“, sagt Hausmann, 25 Jahre alt<br />

und <strong>Sachsen</strong>s erster und bisher einziger Landwirt, der nicht nur<br />

biologisch, sondern auch vegan wirtschaftet. Über massenweise<br />

Nacktschnecken im Gemüsebeet kann sich natürlich auch Hausmann<br />

nicht freuen. Doch er setzt lieber auf natürliche Feinde statt<br />

auf Chemie und auf abwechslungsreiche Fruchtfolgen, die dem<br />

Boden nicht einseitig Nährstoffe entziehen. Auch das scheinbare<br />

Durcheinander im Beet hat seinen Sinn, denn manche Pflanzenarten<br />

halten sich gegenseitig die Fressfeinde vom Stängel. Hausmanns<br />

Schlüsselerlebnis war ein Gang über ein konventionell bestelltes<br />

Gerstenfeld, das zur Landwirtschaft seiner Eltern gehörte. „Das einzige<br />

Getier dort waren zwei kränklich wirkende Nacktschnecken.<br />

In unserem Kartoffel- und Gemüsegarten dagegen gab es ein buntes<br />

Gewimmel von Spinnen, Käfern, Fliegen und anderen Insekten.<br />

Von da an wusste ich, welchen Weg ich einschlagen würde.“<br />

Als Hausmann 2012 den elterlichen 20-Hektar-Hof übernahm,<br />

weil sein Vater schwer erkrankt war und schließlich starb, stellte er<br />

sukzessive auf Bio um. Er schloss sich dem ökologischen Landbauverband<br />

Gäa an, setzte mit dem Bekenntnis zur veganen Ackerwirtschaft<br />

noch eins drauf: Er verzichtet nicht nur auf Gentechnik,<br />

Kunstdünger und Pestizide, sondern auch auf jedwede Haltung<br />

von Nutztieren und den Einsatz ihrer Hinterlassenschaften. Keine<br />

geringe Herausforderung, denn mit jeder geernteten Pflanze verschwinden<br />

auch Nährstoffe vom Acker.<br />

Im herkömmlichen Ökolandbau sorgen Mist aus dem Viehstall,<br />

aber auch Hornmehl und -späne sowie Federn und Borsten von<br />

Schlachttieren dafür, dass die Depots wieder aufgefüllt werden.<br />

Beim veganen Anbau müssen die Pflanzen selbst für Nachschub<br />

sorgen: entweder weil sie nicht geerntet, sondern in den Boden<br />

eingearbeitet werden – oder weil sie selbst Dünger produzieren.<br />

Hülsenfrüchtler etwa können mittels eines komplizierten Verfahrens<br />

Stickstoff aus der Luft im Boden binden. Auf dem Hausmann-<br />

Hof übernimmt Kleegras, frisch oder kompostiert, diese Aufgabe.<br />

Daniel Hausmann ist Idealist, aber kein Träumer. Er hat Ökolandbau<br />

und Vermarktung an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung<br />

Eberswalde studiert und sich in seiner Bachelor-Arbeit<br />

mit unterschiedlichen Nutzungsverfahren von Pflanzen als Stickstofflieferanten<br />

beschäftigt. Als er auf dem Hof die Verantwortung<br />

übernahm, standen noch Kühe und Schweine in den Ställen, grasten<br />

Schafe auf der Wiese, scharrten Hühner auf dem Hof. Mit dem<br />

Wissen um die geplante Bioproduktion im Betrieb wuchsen jedoch<br />

auch Hausmanns Bedenken gegen das Töten und Essen von Tieren,<br />

gegen tierische Produkte insgesamt. Der Bauer wurde erst<br />

zum Vegetarier, dann zum Veganer. „Und mit meinem Betrieb<br />

wollte und will ich nur noch erzeugen, was ich selber esse.“<br />

Das sagt sich leicht, ist in der Praxis aber kompliziert. Ein<br />

funktionierendes Netzwerk an Gleichgesinnten in der Umgebung<br />

gibt es noch nicht, zertifiziertes Saatgut und Jungpflanzen sind<br />

schwer zu bekommen, der Aufbau eines Kundenstamms ist mühsam.<br />

Inzwischen baut Hausmann Getreide wie Dinkel, Hafer und<br />

Weizen an, auf einer Streuobstwiese wachsen Äpfel, Birnen, Pflaumen,<br />

Süß- und Sauerkirschen. Ein halber Hektar wird für Gemüse<br />

genutzt. Das ist nicht viel, macht aber viel Arbeit – von Hand.<br />

Obst und Gemüse vermarktet der junge Bauer deshalb ausschließlich<br />

direkt, teils im eigenen Hofladen, teils durch Lieferungen nach<br />

Leipzig und Chemnitz. Etwa 20 bis 25 bio-vegane Gemüsekisten<br />

in unterschiedlichen Größen bringt er jede Woche auf Online-Vorbestellung<br />

in Privathaushalte, auch ein Restaurant gehört mittlerweile<br />

zu seinen Kunden. Große Sprünge sind noch nicht drin, aber<br />

inzwischen kann der Jungbauer von seinem Hof leben.<br />

Kürzlich war Daniel Hausmann in Berlin. Dort hat er mit anderen<br />

Landwirten einen bio-veganen Anbauverband gegründet.<br />

13


Chayeon Lee, 17, ist<br />

eines von rund 200<br />

Talenten, die derzeit an<br />

Palucca studieren. Die<br />

Koreanerin kam mit<br />

15 nach Dresden – und<br />

will für immer bleiben.<br />

Ihr Traum ist eine<br />

Karriere beim<br />

Semper oper-Ballett.<br />

Bewegend<br />

<strong>Sachsen</strong> // anmutig<br />

Tanzen lernen kann man vielerorts. Aber nur in <strong>Sachsen</strong> gibt es dafür eine eigene Universität.<br />

Die Palucca Hochschule in Dresden bereitet schon junge Eleven auf eine Ballettkarriere vor.<br />

Text: Klaus Rathje<br />

Foto: michael Hudler<br />

Er könnte auch das Atelier eines Malers sein, dieser lichtdurchflutete<br />

Trainingsraum an der Palucca Hochschule für Tanz<br />

Dresden, kurz Palucca. Die sechs Studentinnen verziehen keine<br />

Miene bei ihren Übungen, während ein Piano den Takt vorgibt und<br />

der Dozent Anweisungen erteilt: das Bein höher. Die Drehung<br />

langsamer. Und jetzt bitte noch mal zusammen. Erst als die Übung<br />

vorbei ist, keuchen die jungen Damen, allesamt Teenager. Was wie<br />

ein Kinderspiel aussieht, ist Disziplin, Anstrengung, harte Arbeit.<br />

In mehrfacher Hinsicht ganz vorn bewegt sich Chayeon Lee,<br />

Bachelor-Studentin im zweiten Studienjahr. „Man kommt schon<br />

sehr ins Schwitzen“, sagt die 17-Jährige, die ihren Wohnsitz mit<br />

15 von Seoul nach Dresden verlegte. Sie wollte ihre Ausbildung unbedingt<br />

außerhalb ihrer Heimat machen. „Die Koreaner trennen<br />

beim Tanz strikt zwischen klassisch und zeitgenössisch“, erzählt<br />

die junge Frau. „Ich hätte mich also im Studium für eine Seite<br />

entscheiden müssen – und das wollte ich nicht.“<br />

An Palucca gefällt ihr die Mischung aus Tradition und Moderne.<br />

Und außerdem etwas, das auch an westlichen Tanzakademien nicht<br />

selbstverständlich ist, hier aber zum Konzept gehört: Improvisation.<br />

„In Korea gibt es das nicht als Fach. Ich kannte es gar nicht<br />

im professionellen Tanz. Und jetzt liebe ich es zu improvisieren.“<br />

Das hätte der namensgebenden Gründerin gefallen. Improvisation<br />

war ein Schwerpunkt der berühmten, 1993 im Alter von 91<br />

Jahren verstorbenen Ausdruckstänzerin Gret Palucca; nicht zuletzt<br />

deshalb gilt sie als eine der Begründerinnen des modernen Tanzes.<br />

1925 hatte sie in Dresden ihre eigene Schule eröffnet, sie unterrichtete<br />

zunächst in ihrer Wohnung. 1936 kam das Verbot durch die<br />

Nazis – freier Tanz war nicht mehr erwünscht. Nach Kriegsende<br />

konnte Palucca weitermachen, mit Gründung der DDR wurde ihre<br />

Schule verstaatlicht und zu einer veritablen Größe im Sozialismus.<br />

Heute ist Palucca die einzige eigenständige staatliche Tanz-<br />

Universität in Deutschland. Rund 200 Studenten aus der ganzen<br />

Welt lernen hier Tanz, Tanzpädagogik oder Choreografie. Auf jeden<br />

Platz im Bachelor-Studiengang Tanz kommen rund 20 Bewer­<br />

ber. Selbst Zehnjährige trifft man auf dem Campus – Eltern können<br />

ihre Kinder bereits zur fünften Klasse bei Palucca einschulen,<br />

sofern sie gut Deutsch sprechen. Statt Sportunterricht steht dann<br />

Tanz auf dem Stundenplan, daneben wird nach dem normalen<br />

sächsischen Lehrplan unterrichtet. Und das Angebot gilt nicht nur<br />

für Einheimische: Der Schule ist ein Internat angeschlossen.<br />

Chayeon (gesprochen: Schajon), die als großes Talent gilt, hat<br />

nach zweieinhalb Jahren gerade ihre erste eigene Wohnung bezogen.<br />

Sie will tanzen, seit sie zwölf ist. Damals hat sie eine Aufführung<br />

des Stuttgarter Balletts mit einer koreanischen Tänzerin gesehen,<br />

erzählt sie – und war begeistert. „Ich konnte den starken<br />

Ausdruck ihres Tanzes wirklich spüren und verstehen. Das hat<br />

mich so berührt, dass ich weinen musste.“ Genau das wollte sie<br />

auch, denn sie hat damals den Unterschied gespürt: „Sich selbst zu<br />

Musik zu bewegen ist das eine. Aber andere Menschen durch Tanz<br />

zu bewegen, dazu gehört viel mehr.“<br />

Seit 2006 wird Palucca von Jason Beechey geleitet, einem renommierten<br />

Solisten und Choreografen. Der gebürtige Kanadier<br />

hat viele Projekte angestoßen und die Schule internationalisiert, etwa<br />

über den Aufbau eines Netzwerks mit Partnerschulen. „Wir suchen<br />

aktiv nach Talenten wie Chayeon, zum Beispiel mit Workshops in<br />

Spanien, Italien und auch Südkorea“, sagt er. Der Ruf der Palucca-<br />

Hochschule ist zwar ausgezeichnet und das Konzept, zu dem die<br />

Entwicklung und Implementierung neuer Lehrformen gehören, ein<br />

Alleinstellungsmerkmal. Doch allein in Deutschland buhlen rund<br />

ein Dutzend weiterer renommierter Tanzausbildungen um die<br />

Gunst der künftigen Bühnenstars. Eine bessere Werbung als einen<br />

neuen Publikumsliebling kann sich da kein Haus wünschen.<br />

Chayeon könnte bald einer sein. Die begeisterte Dresdnerin<br />

möchte nicht nach Seoul zurück, sondern nach ihrem Abschluss in<br />

zwei Jahren hier ihre Tanzkarriere fortsetzen. Ihr Traumjob mag für<br />

eine Palucca-Studentin nicht überraschen, für eine Koreanerin hingegen<br />

schon: „Ich möchte zum Semperoper-Ballett. Ich weiß, dass<br />

es schwer ist, aber ich hoffe, dass ich es schaffen werde.“<br />

14 15


<strong>Sachsen</strong> // Nachhaltig<br />

Sonnige Zeiten<br />

<strong>Sachsen</strong> - Machen<br />

Erneuerbaren Energien gehört die Zukunft, heißt<br />

es. Doch wie speichert man Wind, Sonne oder<br />

Wasserkraft? Sunfire hat eine Lösung gefunden.<br />

Text: Anika Kreller<br />

Foto: Oliver Helbig<br />

Christian von Olshausen schwenkt ein<br />

Fläschchen mit einer glasklaren Flüssigkeit.<br />

Unspektakulär auf den ersten Blick. Doch<br />

was wie Wasser aussieht, ist eine Sensation:<br />

ein Kraftstoff, der ohne einen Tropfen Erdöl<br />

entstanden ist.<br />

Produziert hat ihn das Dresdner Unternehmen<br />

Sunfire, das von Olshausen 2010 mit<br />

zwei Mitstreitern gegründet hat. Der Firma<br />

ist es gelungen, aus Wasser, Ökostrom<br />

und Kohlendioxid (CO 2<br />

) einen künstlichen<br />

Dieselkraftstoff herzustellen. Im April 2015<br />

kippte Bundesforschungsministerin Johanna<br />

Wanka die ersten fünf Liter aus der Testanlage<br />

in ihren Dienstwagen. Das war der<br />

medienwirksame Beweis: Es funktioniert.<br />

Sunfire hat damit Schlagzeilen gemacht.<br />

Denn das Unternehmen, für das inzwischen<br />

mehr als 90 Mitarbeiter arbeiten, kann<br />

nicht nur Erdöl ersetzen – das dafür benötigte<br />

CO 2<br />

zieht es außerdem aus der Luft,<br />

wo es ohnehin zu viel davon gibt. Bisher<br />

wird das komplizierte Verfahren allerdings<br />

kaum angewendet. „Es ist noch zu teuer“,<br />

sagt von Olshausen. Besonders betrübt<br />

klingt er aber nicht. Für ihn ist seine Vision<br />

nicht gescheitert – der hohe Preis bedeutet<br />

nur eine weitere Etappe bis zum großen Ziel:<br />

erneuerbare Energien immer und überall<br />

verfügbar zu machen.<br />

Einen Weg zu finden, Strom aus Sonnen-,<br />

Wasser- oder Windkraft in einer Form<br />

zu speichern, die jederzeit einsetzbar ist, gehört<br />

zu den großen Herausforderungen der<br />

Energiewende. In der Fachwelt werden die<br />

potenziellen Technolo gien dafür als Powerto-X<br />

bezeichnet. Doch egal ob Power-to-<br />

Liquid, Power-to-Gas oder Power-to-Heat:<br />

Noch befindet sich das gesamte Feld in der<br />

Entwicklung. Das ist nicht weiter schlimm,<br />

denn wirklich relevant werden die Technologien<br />

ohnehin erst dann, wenn erneuerbare<br />

Quellen einen höheren Anteil an der<br />

Strom erzeugung haben und es darum gehen<br />

wird, überschüssige Energie zu nutzen.<br />

Noch ist umstritten, welcher Weg am effizientesten<br />

ist – viel hängt von der weiteren<br />

technischen Entwicklung ab. Dass es um<br />

eine essenzielle Zukunftstechnologie geht,<br />

bestreitet allerdings niemand.<br />

„Mich hat es gereizt, an einer Sache konzeptionell<br />

beteiligt zu sein, an der welt weit<br />

gearbeitet wird“, sagt Christian von Olshausen.<br />

Der 36-jährige Wirtschaftsingenieur<br />

hat 2008 einen guten Job bei einem<br />

großen Unternehmen aufgegeben, um sich<br />

ihr zu widmen. Es war ein Schritt in eine<br />

ungewisse Zukunft, denn damals stand die<br />

Diskussion noch am Anfang.<br />

Ganz ins Blaue spazierten er und seine<br />

Mitgründer Carl Berninghausen und Nils<br />

Aldag allerdings nicht. Sie gaben eine Machbarkeitsstudie<br />

in Auftrag, um zu sehen, ob<br />

ihre Idee überhaupt funktionieren könnte –<br />

und ob sich ihre geplanten Produkte wirtschaftlich<br />

herstellen ließen. Danach war klar:<br />

Wir probieren es. Sie suchten Partner mit<br />

dem nötigen Know-how und übernahmen<br />

2011 die Dresdner Firma Staxera.<br />

Staxera war auf Brennstoffzellen-Stacks,<br />

also gekoppelte Brennstoffzellen, spezialisiert.<br />

Deren Weiterentwicklung bildet noch<br />

heute das Herz des Unternehmens. Die<br />

Sunfire-Zellen funktionieren jedoch, anders<br />

als konventionelle Zellen, in zwei Richtungen:<br />

Sie können nicht nur aus Wasserstoff<br />

Strom erzeugen, sondern auch umgekehrt<br />

– beides in einer einzigen Anlage.<br />

Energie für die chemische Industrie<br />

Reversible Elektrolyse heißt der Prozess. Daran<br />

forschen auch andere, doch keiner sei<br />

so weit wie Sunfire, sagt von Olshausen. Im<br />

vergangenen Herbst wurde an Boeing eine<br />

erste Anlage ausgeliefert, die aus überschüssiger<br />

Solarenergie Wasserstoff herstellt und<br />

speichert. Bei einem Stromengpass, etwa<br />

nachts oder wenn die Sonne nicht scheint,<br />

kann die Anlage aus dem Wasserstoff wieder<br />

Strom erzeugen.<br />

Von Olshausen sieht seine Technologie<br />

aber gar nicht vorrangig als Energiespeicher<br />

– er will den erzeugten Wasserstoff als Rohstoff<br />

in der chemischen Industrie nutzen.<br />

Denn in der Regel wird der aus Erdgas gewonnen,<br />

Sunfire dagegen braucht für seine<br />

Herstellung nur Wasserdampf, CO 2<br />

und<br />

Ökostrom. „Wir wollen helfen, dass erneuerbare<br />

Energien nicht nur im Stromsektor,<br />

sondern auch in der chemischen Industrie<br />

zum Einsatz kommen“, sagt er. „Dort werden<br />

mehr als drei Millionen Endprodukte<br />

hergestellt – die können wir nicht alle durch<br />

nachhaltige Alternativen auffangen. Aber<br />

wir können versuchen, fossiles Erdgas und<br />

Erdöl, das für viele dieser Produkte benötigt<br />

wird, durch nachhaltig erzeugte Rohstoffe<br />

zu ersetzen.“<br />

Allerdings wird auch mit der richtigen<br />

Technologie noch nicht automatisch Geld<br />

verdient. Trotz ihres Umsatzes im hohen<br />

einstelligen Millionenbereich arbeiten die<br />

Dresdner noch nicht kostendeckend, sagt<br />

von Olshausen. Sein erstes Ziel sei es deshalb,<br />

die Firma in den kommenden Jahren<br />

profitabel zu machen.<br />

Als Partner für die Weiterentwicklung<br />

wurden bereits gute Namen gewonnen:<br />

Bilfinger hat investiert, mit Audi steht man<br />

im Austausch, ein Brennstoffzellenheizgerät<br />

wird in Kooperation mit Vaillant angeboten.<br />

Der nächste Schritt wird sein, die Stückzahlen<br />

zu erhöhen, um die Produkte günstiger<br />

anbieten zu können. Außerdem arbeiten sie<br />

am Wirkungsgrad der Anlagen und an der<br />

Lebensdauer der Brennstoffzellen.<br />

Ob Sunfire bald im großen Stil nachhaltige<br />

Rohstoffe produzieren wird, ist allerdings<br />

nicht nur eine Frage der Technologie.<br />

Denn ein Problem können die Dresdner<br />

nicht allein lösen: Solange fossile Rohstoffe<br />

noch in großen Mengen verfügbar sind,<br />

werden sie immer billiger sein als nachhaltig<br />

hergestellte. „Am Ende ist es eine gesellschaftliche<br />

Entscheidung, einen Markt für<br />

erneuerbare Kraftstoffe und Chemikalien zu<br />

schaffen“, sagt von Olshausen.<br />

Wenn er heute einen Vortrag über Sunfire<br />

halte, gehe es deshalb nur in den ersten<br />

drei, vier Folien um das Unternehmen. Den<br />

Rest der Zeit spreche er über Rahmenbedingungen,<br />

die die Politik schaffen muss.<br />

Erdölfreier Kraftstoff wird derzeit genauso<br />

besteuert wie normaler Diesel – absurd!<br />

Und die chemische Industrie wird ohne<br />

eine Quotenregelung oder ähnliche Anreize<br />

auch nicht auf grünen Wasserstoff umsteigen.<br />

Kurz: Die Technologie ist da – jetzt<br />

braucht es den Willen, sie zu nutzen.<br />

Christian von Olshausen wollte an einer Sache beteiligt sein,<br />

an der weltweit gearbeitet wird. Jetzt mischt er mit seinem<br />

Unternehmen Sunfire mit und will Autofahren und die chemische<br />

Industrie nachhaltiger machen.<br />

16 17


<strong>Sachsen</strong> // Umtriebig<br />

Viel zu tun<br />

Der Sozialarbeiter Hussein Jinah kämpft in<br />

Dresden gegen Fremdenfeindlichkeit.<br />

Ehrenamtlich, unermüdlich – und sanft.<br />

Text: Andreas Wenderoth<br />

Foto: Michael Hudler<br />

Gegen 5.30 Uhr steht er meist auf, rührt sich einen löslichen<br />

Billigkaffee an und schaut auf n-tv, ob die Welt seit gestern noch<br />

schrecklicher geworden ist. Dann setzt er sich in die Straßenbahn<br />

und kauft am Hauptbahnhof ein Brötchen, das er erst im Büro essen<br />

wird. Hussein Jinah arbeitet jeden Tag acht Stunden als Sozialarbeiter<br />

im Sozialamt und einmal in der Woche im Personalrat der<br />

Stadtverwaltung. Aber er hat noch etwa zehn andere Jobs, für die<br />

er kein Geld bekommt. Weil sie gemacht werden müssen. Weil die<br />

Schwachen eine Stimme brauchen. Und weil er Debatten provozieren<br />

will. Darüber, ob Dresden eine weltoffene Stadt sein kann oder<br />

nur ein Symbol deutscher Fremdenfeindlichkeit.<br />

Als Treffpunkt hatte der 58-Jährige das „Maharadscha“ vorgeschlagen,<br />

das älteste indische Restaurant der Stadt. Dort sitzt er<br />

nun auf seinem Stammplatz in der blau getünchten Ecke vor einem<br />

prächtigen roten Wandteppich, schaut durch seine leicht getönte<br />

Brille, bestellt Linsen, extrascharf, und erzählt mit sanfter Stimme<br />

sein Leben. 1985 war er im Rahmen eines Austauschprogramms<br />

zwischen der DDR und Indien nach Dresden gekommen, zusammen<br />

mit einigen Landsleuten. Die meisten, mit denen er damals zu<br />

tun hat, wissen nicht, wo Indien liegt. Manche denken, er sei ein<br />

Indianer. Heute, sagt er, lebten etwa 1500 Inder in der Stadt.<br />

Jinah promoviert als Ingenieur der Elektrotechnik. Er schreibt<br />

mehr als 100 Bewerbungen und wird zu keinem einzigen Vorstellungsgespräch<br />

geladen. Mal heißt es, er sei überqualifiziert, dann ist<br />

von Umstrukturierungen die Rede. Irgendwann hat er die Nase voll<br />

und will zurück nach Indien, aber da hat er sich gerade in seine<br />

künftige Frau verliebt. Also bleibt er und sattelt um: Hussein Jinah<br />

wird Sozialarbeiter. Berufsbegleitend studiert er Sozialpädagogik<br />

an der TU. Und entdeckt für sich das Feld der Ehrenamtlichkeit.<br />

Heute ist er Vorstandsvorsitzender des Sächsischen Flüchtlingsrats,<br />

sitzt im Bundesmigrationsausschuss von Verdi und im<br />

Landesmigrationssauschuss, ist Vorsitzender des Integrationsund<br />

Ausländerbeirats der Stadt Dresden. Als Gemeindedolmetscher<br />

arbeitet er auch noch. Ist immer da, wenn ihn jemand<br />

braucht, der fremd ist. Weil er selbst Fremdheit erlebt hat. Argwöhnische<br />

Blicke schon zu DDR-Zeiten, aber nach der Wende eben<br />

noch mehr. Weil der neuen Freiheit, wie Jinah sagt, offenbar ein<br />

Missverständnis zugrunde liegt. Sie war doch nicht erkämpft worden,<br />

damit man anschließend Minderheiten drangsalieren konnte.<br />

An einem Juli-Abend wird er von einer Gruppe Skinheads auf<br />

der Straße provoziert: „Türken sind Schweine“, rufen sie, weil sie<br />

ihn für einen Türken halten. Einer knallt ihn gegen die Wand und<br />

schlägt zu. Keiner der Umstehenden hilft. Keiner greift zum Telefon.<br />

Das ist es, was Jinah bis heute traurig macht. Wenn Menschen<br />

wegschauen. Als er zur Wache geht, sagt ihm der Diensthabende:<br />

„Na ja, das könnte auch eine ausländerfeindliche Einbildung sein.“<br />

Und dass er ohne ärztliches Attest den Fall leider nicht aufnehmen<br />

könne. Wenn er aber am nächsten Tag wiederkommen wolle …<br />

Jinah fühlt sich gedemütigt. Es bleibt nicht das einzige Mal.<br />

Einmal wird er Zeuge, als Jugendliche in der Straßenbahn Ausländer<br />

als Schmarotzer bezeichnen. Er meldet sich zu Wort und sagt,<br />

dass er sehr wohl Steuern zahle und auch Sozialversicherungsbeiträge.<br />

„Halt’s Maul!“, sagt einer der Jugendlichen und zieht ein<br />

Messer. Da entschuldigt sich Jinah und sagt, er nehme alles zurück.<br />

Als am 20. Oktober 2014 rund 350 Menschen die Pegida-<br />

Montagsdemonstration ins Leben rufen, ist er der einzige Gegendemonstrant.<br />

Wenig später sind es schon Tausende. Bis heute ist<br />

er bei jeder Gegendemonstration dabei, hält Reden, zeigt sein<br />

Gesicht. Jinah sagt, er kämpfe bis zuletzt. Nicht für sich, sondern<br />

für künftige Generationen. Für ein Dresden, wie es sein könnte.<br />

Und wie es in vielen Stadtteilen auch ist. Dass die Leute das nicht<br />

verstehen: „Glück ist nicht materieller Wohlstand, sondern die<br />

innere Einstellung gegenüber Mitmenschen und Umwelt.“<br />

Er versucht, sich nicht zu ärgern, weil das Gift für den Körper<br />

sei. Stattdessen nimmt er die Dinge, wie sie sind, und meditiert<br />

gegen den Hass. In seiner Zeit als Streetworker bedachten ihn die<br />

ausländerfeindlichen Jugendlichen mit bösen Sprüchen, er blieb immer<br />

sanft und freundlich. Ließ ihre negative Kraft ins Leere gleiten.<br />

Aber wenn er mal frei hatte, haben sie sich nach ihm erkundigt, ob<br />

er krank sei – was, wenn man so will, schon ein gewisses Zeichen<br />

von Sympathie ist. „Tu etwas im Leben und halte dich fern von<br />

Aggressionen“, hat er ihnen beizubringen versucht. Und jetzt, viele<br />

Jahre später, sieht er sie manchmal mit Frau und Kind auf der Straße,<br />

und sie sagen immer noch „Alter“ zu ihm und fragen, was „abgeht“.<br />

„Viel zu tun“, antwortet er meistens.<br />

Ingenieur, Sozialarbeiter, Lokalpolitiker, Flüchtlingsberater,<br />

Dolmetscher, Demonstrant, ehrenamtlicher Helfer und seit mehr als<br />

30 Jahren Dresdner: Hussein Jinah.<br />

18 19


<strong>Sachsen</strong> // unangepasst<br />

Läuft<br />

<strong>Sachsen</strong> <strong>Sachsen</strong> - Machen // <strong>Macher</strong><br />

Ein eigener Verlag? Das<br />

geht. Mit Fleiß, Autoren<br />

wie Ahne, die schreiben<br />

und vorlesen können –<br />

und Gottes Hilfe.<br />

Text: Andreas Wenderoth<br />

Foto: Michael Hudler<br />

Ahne, 48, hat die DDR nicht geliebt.<br />

Aber sie ihn auch nicht. Zweimal hat er<br />

versucht, sein Abitur nachzumachen, beide<br />

Male ist er durchgefallen. Also wurde er<br />

Drucker und irgendwann arbeitslos. Bei<br />

einem kurzen Ausflug in die Lokalpolitik<br />

war er als Bezirksverordneter in Berlin-Lichtenberg<br />

als Sicherheitsbeauftragter<br />

unter anderem für Hausbesetzer<br />

zu ständig, was Ahne bis heute<br />

wahnsinnig komisch findet, weil er damals<br />

selbst einer war. Irgendwann jedenfalls<br />

nahm ihn sein Freund Falko Hennig mit in<br />

die Reformbühne Heim & Welt: weil er<br />

doch sowieso ab und zu mal was schreiben<br />

würde. Und es dort vortragen könne.<br />

Da ihm das gut gefiel, ist er dann jede<br />

Woche gekommen und brachte jedes Mal<br />

zwei neue Texte mit: „Die Atmosphäre war<br />

ein bisschen wie beim Punkrockkonzert:<br />

Wir gehen auf die Bühne und rotzen einfach<br />

was runter.“ Manchmal hatte er erst<br />

kurz vorher in der U-Bahn etwas auf seinen<br />

Block gekritzelt, und als er einmal gar nichts<br />

hatte, machte er einfach Liegestütze auf der<br />

Bühne. Im Grunde war ihm egal, wie die<br />

Leute reagierten. Als sie lachten, war es na­<br />

türlich schön. Wie hätte er auch ahnen können,<br />

dass er in nicht allzu ferner Zukunft<br />

sein Geld mit Büchern verdienen würde?<br />

Sebastian Wolter und Leif Greinus hatten<br />

in Leipzig Buchhandel und Verlagswirtschaft<br />

studiert und wussten früh, dass sie<br />

keine Lust hatten, die programmatische<br />

Linie eines vorgesetzten Verlegers abzuarbeiten.<br />

Weil sie unabhängig bleiben wollten,<br />

beschlossen sie 2004, der uralten sächsischen<br />

Buchtradition zu folgen und selbst<br />

einen Verlag zu gründen, erzählt Greinus.<br />

Der Name – Voland & Quist – war<br />

ihnen auf der Autobahnfahrt nach Düsseldorf<br />

eingefallen: Voland, der mephistophelische<br />

Teufel aus Greinus’ Lieblingsroman,<br />

„Meister und Margarita“ von Michail Bulgakow,<br />

steht dem friedensstiftenden Quinten<br />

Quist aus Harry Mulischs „Die Entdeckung<br />

des Himmels“ gegenüber. Beide<br />

zusammen sind eigentlich unschlagbar.<br />

Die Sache war nicht ohne Risiko:<br />

15 000 Euro hatten sie kurzerhand von<br />

Freunden und Verwandten geliehen. Greinus<br />

hatte einige Tage zuvor im Fern sehen<br />

eine Podiumsdiskussion gesehen, wo eine<br />

Branchenexpertin von zwei Millionen Euro<br />

sprach, die man brauchte, um einen Verlag<br />

anzuschieben. „Braucht man aber<br />

nicht“, sagt er. Dagegen unbedingt<br />

erforderlich: Leidenschaft,<br />

Fleiß und Ideen. Den meisten<br />

ihrer Bücher ist etwa eine CD<br />

beigelegt, was vor ihnen kein<br />

anderer Verlag machte. Aber sie verlegen<br />

ja auch Autoren, die gute Vorleser und<br />

Vortragende sind – und die soll man natürlich<br />

auch hören. Inzwischen prägen sie ein<br />

eigenes Genre: Spoken-Word-Lyrik, Live-<br />

Literatur. Außerdem haben sie sich auf<br />

fünfeinhalb Stellen vergrößert: 2014 lag die<br />

Bilanzsumme bei immerhin 390 000 Euro.<br />

„Natürlich müssen wir als unabhängiger<br />

Verlag kämpfen, aber wir sind jetzt alle<br />

über Mindestlohn“, sagt Leif Greinus und<br />

lacht, weil er seinen Idealismus nicht als<br />

Opfer begreift, sondern als Lebensqualität.<br />

Schließlich kann er seine Arbeitszeit mit<br />

Menschen verbringen, mit denen er auch<br />

privat gern zu tun hätte.<br />

86 Autoren sind es inzwischen, viele aus Osteuropa.<br />

Nicht wenige mit Lesebühnenoder<br />

Poetry-Slam-Tradition. Weil sie ein<br />

junges studentisches Publikum am ehesten<br />

ansprechen würden. Ahne zum Beispiel<br />

hatte damals gerade zwei Bücher mit Kurzgeschichten<br />

für Kiepenheuer & Witsch geschrieben.<br />

Die Idee zu seinem neuen Buch<br />

aber fand dort keinen Anklang. Dialoge in<br />

breitem Berlinerisch versprachen eine eher<br />

begrenzte Kundschaft. Greinus sah das anders<br />

und griff dankend zu. So kamen sie zu<br />

ihrem ersten Bestseller: 18 000-mal verkauften<br />

sich Ahnes „Zwiegespräche mit Gott“.<br />

Eigentlich, sagt Ahne, befände er sich<br />

sowieso ständig im inneren Dialog mit sich<br />

selbst. Warum den anderen also nicht Gott<br />

nennen, „der für viele ja eine große Rolle<br />

spielt“. Gott, sagt Ahne, fände es schon<br />

gut, wenn er ihn ernster nehmen, als Autorität<br />

betrachten würde. Aber für Ahne, der<br />

lieber weiß als glaubt, ist Gott eher ein<br />

Kumpel, mit dem er sich unterhalten kann.<br />

Zum Beispiel an diesem Abend in der<br />

„Jägerklause“ in Berlin-Friedrichshain. Ahne<br />

hat zur Lesebühne einen riesigen Bovist<br />

mitgebracht, den er im Wald gefunden hat<br />

und später verschenken wird. Jetzt sitzt er<br />

mit fünf anderen Autoren unter der holzgetäfelten<br />

Decke auf einem Kunstledersofa<br />

und wartet auf seinen Einsatz.<br />

Ahne in kariertem Hemd und Fred-<br />

Perry-Jacke. Mit den längsten Koteletten<br />

der Welt. Von der Wand starren Geweihe,<br />

als er erzählt, dass Gott nicht selbst kommen<br />

konnte und er deshalb beide Parts<br />

übernehmen müsse (was er schon ziemlich<br />

oft erzählt hat, aber das nimmt der Geschichte<br />

nicht ihren Witz). Und dann legt er<br />

los, mit einer Stimme, die einige seiner<br />

Freunde als „zu druckvoll“ kritisieren. Ahne<br />

sagt, er neige dazu, etwas forciert zu reden,<br />

wenn er sich nicht sicher ist, ob er das Publikum<br />

auch bekommt.<br />

Aber heute ist Heimspiel. Ahne also<br />

steht da und sagt: „Na, Gott.“ – „Na …“<br />

Und dann unterhalten sie sich. Über Gott<br />

und die Welt und … Aber das kann man ja<br />

in seinen Büchern nachlesen. Acht sind es<br />

inzwischen bei Voland & Quist.<br />

Andere hätten ihren Verlag<br />

vielleicht Greinus & Wolter<br />

genannt. Aber die würden auch<br />

alles andere anders machen als<br />

Leif Greinus (links) und<br />

Sebastian Wolter. Deshalb heißt<br />

ihr Verlag Voland & Quist<br />

und verlegt ziemlich<br />

ungewöhnliche Autoren.<br />

20 21


Hinter den Spiegeln<br />

<strong>Sachsen</strong> <strong>Sachsen</strong> // Neugierig - Machen<br />

Philosophie – ein Fach für abgehobene Denker im einsamen Studierstübchen?<br />

Nicht wenn es nach der Leipziger Professorin Kristina Musholt geht.<br />

Text: Brigitta palass<br />

Foto: Anne schönharting<br />

Was ist der Mensch, was eint und was<br />

unterscheidet ihn von anderen Arten?<br />

Kristina Musholt geht diesen Fragen als<br />

Professorin für Kognitive Anthropologie der<br />

Universität Leipzig auf den Grund.<br />

Es ist ein berühmtes Experiment der<br />

Verhaltens- und Kognitionsforschung: der<br />

Spiegeltest. Dazu wird der Proband unbemerkt<br />

markiert, etwa mit einem roten<br />

Punkt auf der Stirn. Beim Blick in einen<br />

Spiegel zeigt sich dann, ob Mensch oder<br />

Tier sich erkennt und versucht, den Punkt<br />

abzuwischen. Der Test gilt als Beweis für<br />

die Fähigkeit eines Individuums, sich seiner<br />

selbst bewusst zu sein. Kinder bestehen ihn<br />

mit etwa zwei Jahren, aber auch Schimpansen<br />

und Orang-Utans, Delfine oder Elstern<br />

merken, dass sie selbst es sind, die sich da<br />

aus dem Spiegel anblicken.<br />

Aber ist das schon Selbstbewusstsein?<br />

Braucht es neben der Existenz einer solchen<br />

Ichperspektive nicht auch das Wissen<br />

darum, dass es diese Perspektive gibt? Wie<br />

funktioniert Denken überhaupt, wie entwickelt<br />

es sich? Kristina Musholt hat sich<br />

schon als Schülerin für komplexe Fragen<br />

wie diese interessiert. Und die Suche nach<br />

klugen Antworten darauf ist heute ihr Beruf:<br />

Die 36-Jährige ist seit 2015 Professorin<br />

für Kognitive Anthropologie am Institut für<br />

Philosophie der Universität Leipzig.<br />

Wer in dem kleinen, dunklen Büro an<br />

der Leipziger Beethovenstraße eine zurückgezogene,<br />

in die eigene Gedankenwelt versponnene<br />

Wissenschaftlerin erwartet, wird<br />

allerdings enttäuscht. Kristina Musholt,<br />

schmal, ernsthaft und immer ein wenig<br />

atemlos, ist meist unterwegs, engagiert sich<br />

vielfältig – auch außerhalb ihrer Disziplin.<br />

Ihr besonderer Ansatz: Sie bezieht in ihre<br />

Forschungen die Entwicklungspsychologie<br />

ebenso ein wie die Neurowissenschaften.<br />

Aufbauend auf Erkenntnissen dieser empirischen<br />

Wissenschaften, will sie ein Stufenmodell<br />

der Entwicklung von Selbstbewusstsein<br />

und sozialer Kognition entwerfen.<br />

Das ist neu und ungewöhnlich.<br />

Zurzeit beschäftigt sich Musholt vor<br />

allem mit der Entwicklung von Erklärungsmodellen<br />

zu menschlichen Fähigkeiten der<br />

sozialen Kognition. „Das heißt, dass wir<br />

uns in andere hineinversetzen und unsere<br />

Blickwinkel vergleichen können“, erklärt<br />

sie. „Denn nur so ist unser Wissen um uns<br />

selbst möglich. Und erst wenn wir diese<br />

Zusammenhänge besser verstehen, können<br />

wir Fragen nach der Entwicklung spezifisch<br />

menschlicher Fähigkeiten oder nach den<br />

Unterschieden und Gemeinsamkeiten von<br />

menschlichen und tierischen Fähigkeiten<br />

beantworten.“<br />

Antworten auf die Kernfragen nach<br />

dem Wesen des Menschen sucht die Wissenschaftlerin<br />

schon lange – in ganz unterschiedlichen<br />

Disziplinen. Deshalb hat sie<br />

selbst nicht nur Philosophie, sondern auch<br />

Humanbiologie und Neurowissenschaften<br />

studiert und ist viel im Ausland gewesen,<br />

unter anderem am renommierten MIT in<br />

Boston und an der London School of Economics.<br />

Unser Verständnis menschlicher Fähigkeiten<br />

könne von einer interdisziplinären Perspektive<br />

nur profitieren, findet Musholt. Die<br />

Philosophie hinterfrage zwar alltägliche<br />

Phänomene, kreise dabei aber zu oft noch<br />

um sich selbst. Wenn es nach Musholt<br />

geht, wird sich das ändern: Raus mit der<br />

Disziplin aus dem Elfenbeinturm, die Wissenschaft<br />

gehört in die Gesellschaft.<br />

Daran arbeitet sie auch als Mitglied der<br />

Jungen Akademie, zu der Kristina Musholt<br />

2014 berufen wurde. Der Zusammenschluss<br />

von 50 hervorragenden jungen Wissenschaftlern<br />

unterschiedlichster Fächer ist ein<br />

Projekt der Berlin-Brandenburgischen Akademie<br />

der Wissenschaften und der Deutschen<br />

Akademie der Naturforscher Leopoldina<br />

und wurde 2000 ins Leben gerufen. In<br />

dieser weltweit ersten Akademie des wissenschaftlichen<br />

Nachwuchses beschäftigen<br />

sich die jungen Forscher in interdisziplinären<br />

Arbeitsgemeinschaften mit aktuellen<br />

Themen an der Schnittstelle von Wissenschaft<br />

und Gesellschaft.<br />

Musholts neuestes fachübergreifendes<br />

Projekt ist erst wenige Monate alt – in<br />

mehrfacher Hinsicht. Gemeinsam mit anderen<br />

Wissenschaftlern untersucht sie an<br />

einem 2016 neu gegründeten Zentrum der<br />

Uni Leipzig die frühkindliche Entwicklung.<br />

Und hat dabei eine kleine Probandin gleich<br />

im Haus. Seit 2015 ist Kristina Musholt<br />

auch Mutter einer Tochter.<br />

23


<strong>Sachsen</strong> // pfiffig<br />

Rappen in Zahlen<br />

Der Student Johann Beurich aus Radebeul<br />

bringt Schülern auf Youtube Mathe bei,<br />

indem er Formeln in Ohrwürmer verwandelt.<br />

Das gefällt auch vielen Lehrern.<br />

Text: Johannes Böhme<br />

Foto: Oliver Helbig<br />

Er hat ein gutes Gespür für Zahlen und für<br />

Musik. Also begann er, mathematische<br />

Formeln zu singen. Damit wurde Johann<br />

Beurich zum Internet-Star.<br />

Für einen Youtube-Star ist Johann Beurich<br />

Coolness erstaunlich egal: kurze Hose,<br />

graues T-Shirt, pragmatischer Kurzhaarschnitt.<br />

Beurich ist 22 Jahre alt, wohnt<br />

noch bei seinen Eltern, geht gern in die Kirche<br />

und besitzt einen IQ von 137 – den hat<br />

er beim Hochbegabtenclub Mensa messen<br />

lassen. Schon in der Pubertät trank er keinen<br />

Alkohol, heute bleibt es meistens bei<br />

einem Radler. Discos mag er nicht besonders,<br />

dafür aber Mathe. Sehr sogar. Und<br />

dann ist Johann Beurich, Mathematikstudent<br />

aus Radebeul bei Dresden, eben auch<br />

noch Rapper – und so etwas wie ein kleiner<br />

Internet-Star.<br />

Bekannt geworden ist er unter seinem<br />

Pseudonym DorFuchs (Der Fuchs, gesächselt)<br />

als Deutschlands größter (und mutmaßlich<br />

einziger) Mathe-Rapper. Er rappt über<br />

die pq-Formel, binomische Formeln, die<br />

Eulersche Zahl – alles große Hits, die meisten<br />

Hunderttausende Male angeklickt, alles<br />

mathematisch sauber, mit Herleitung der<br />

Regeln und der Formel als Refrain.<br />

Millionen haben seine Videos auf Youtube<br />

inzwischen gesehen. Mädchen fragen<br />

ihn in der Kommentarspalte, ob sie nicht<br />

mal etwas mit ihm trinken gehen können,<br />

weil sie ihn „so süß“ finden. Er saß bei Stefan<br />

Raab auf der „TV total-“Couch und wurde<br />

an seinem ersten Tag als Student an der<br />

TU Dresden von einem Kamerateam des<br />

ZDF begleitet. Das alles scheint ihn selbst<br />

immer noch zu überraschen – all diese Aufmerksamkeit<br />

wegen ein paar Mathe-Songs.<br />

„Wieso die Leute sich meine Videos angucken,<br />

kann ich eigentlich gar nicht so richtig<br />

beantworten“, sagt er. „Die meisten<br />

wollen wohl tatsächlich etwas lernen. Und<br />

einige finden es natürlich auch witzig.“<br />

In der sechsten Klasse, erzählt Beurich,<br />

sollte er in der Schule ein Selbstporträt malen<br />

– mit Dingen im Hintergrund, die er<br />

mochte. Er malte sich vor einem Hintergrund<br />

voller Zahlen. „Die Erfolgserlebnisse<br />

in Mathematik waren für mich fast wie eine<br />

Droge.“ Ihm fällt die Mathematik leicht,<br />

er hat einen einfachen, intuitiven Zugang<br />

zu ihr. In seinen Videos fällt sofort auf, dass<br />

da jemand eine unglaubliche Freude hat –<br />

am Lösen von Formeln, an der Eleganz der<br />

Herleitungen und an der Klarheit der Ergebnisse.<br />

Und weil er außerdem gern Musik<br />

macht (Beurich spielt Klavier, Gitarre,<br />

Schlagzeug, Bass und Akkordeon), verwandelte<br />

er als 16-Jähriger die pq-Formel zum<br />

Lösen quadratischer Gleichungen in einen<br />

Song. Als er fertig war, nahm er das Ganze<br />

mit der Kamera seiner Schwester auf, spielte<br />

Klavier dazu und stellte es bei Youtube<br />

ein – für seine kleine Gruppe von Abonnenten.<br />

„Das waren so wenige, viel passieren<br />

konnte da nicht.“<br />

In den folgenden Wochen stellte er verwundert<br />

fest, dass sein Video innerhalb eines<br />

Monats fast 2000-mal angeschaut worden<br />

war. Also machte er schnell noch eines.<br />

Diesmal über die binomischen Formeln –<br />

noch so eine Sache, an der kein deutscher<br />

Schüler im Mathe-Unterricht vorbeikommt.<br />

Und wieder waren da deutlich mehr Leute<br />

als sonst auf seinem Kanal. Das ist jetzt fünf<br />

Jahre her, und seitdem hat er nicht mehr<br />

aufgehört, Videos zu produzieren.<br />

Beurich hat zwischendurch das Abitur<br />

gemacht, sein Studium begonnen, seinen<br />

Bachelor absolviert, einen Master angefangen.<br />

Er hat sich eine teurere Kamera gekauft,<br />

professionelles Licht und einen Greenscreen.<br />

Aber seine Songs haben sich im Prinzip<br />

kaum verändert. Es geht um Formeln und<br />

ihre Herleitung, immer in Reimform, immer<br />

tadellos vorgerechnet.<br />

Zwar gab es bislang nie den großen<br />

Durchbruch, seine Videos sind nicht „viral<br />

gegangen“, sie haben sich also nicht explosionsartig<br />

verbreitet. Die Klickzahlen verliefen<br />

stattdessen wie eine klassische lineare<br />

Funktion mit positiver Steigung: kontinuierlich<br />

nach oben.<br />

Tatsächlich ist der Grund für Beurichs<br />

Erfolg so einfach wie offensichtlich: Seine<br />

Videos und Songs eignen sich einfach gut<br />

zum Lernen – gerade für Teenager mit kurzer<br />

Aufmerksamkeitsspanne und geringer<br />

Frustrationstoleranz. Diverse Untersuchungen<br />

zeigen, dass es Menschen sehr viel leichter<br />

fällt, Dinge zu behalten, wenn sie mit<br />

einer Melodie verbunden werden. Auch<br />

deshalb können wir die Texte unserer Lieblingslieder<br />

nach vielen Jahren noch auswendig.<br />

„Eine Lehrerin hat mal gesagt: Deine<br />

Clips sind wie ein Ohrwurmspickzettel“,<br />

erzählt Beurich.<br />

Er selbst schätzt, dass seine Songs bereits<br />

mehrere Tausend Mal von Pädagogen<br />

in deutschen Klassenzimmern vorgespielt<br />

wurden. Ab und zu schreiben ihm Lehrer,<br />

die kein Internet in der Schule haben oder<br />

bei denen Youtube auf dem Schulrechner<br />

gesperrt ist, ob sie sich das Video runterladen<br />

können. „Das erlaube ich dann natürlich.“<br />

Hinzu kommen all die positiven<br />

Kommentare auf seiner Youtube-Seite. Da<br />

steht dann zum Beispiel: „Du hast mir heute<br />

echt den Hintern gerettet“, „Da versteht<br />

man ja endlich, warum diese Regeln gelten“,<br />

oder auch einfach: „Alter, wie gut bist<br />

du eigentlich?!?!“<br />

Spott für seine Videos gibt es allerdings<br />

auch. Dann wird Johann Beurich in Kommentaren<br />

beispielsweise als „Opfer“ tituliert,<br />

man zieht über seinen Glauben her,<br />

oder irgendwer nennt die Videos einfach<br />

nur „Schrott“. Der Comedian Oliver Kalkofe<br />

hat sich mal in Kalkofes Mattscheibe<br />

über ihn lustig gemacht, ihn als „kleinen<br />

Streber“ bezeichnet und gemeint: „Das gibt<br />

Prügel auf dem Schulhof bis zum Abitur.“<br />

Beurich fand das nicht witzig, aber seine<br />

Freunde haben sich schlappgelacht über<br />

die Vorstellung, dass er auf dem Schulhof<br />

verprügelt würde. Wurde er natürlich nicht.<br />

Coolness ist eben auch auf dem Schulhof<br />

nicht alles.<br />

24 25


<strong>Sachsen</strong> // Weise<br />

Lernen, lachen, leben<br />

<strong>Sachsen</strong> sind bekanntlich eher <strong>Macher</strong> als Sprücheklopfer. Außer sie haben wirklich etwas zu<br />

sagen. Das war nie anders, wie diese Denker aus den vergangenen Jahrhunderten belegen.<br />

„Die Handlungen<br />

der<br />

Menschen<br />

leben fort<br />

in den<br />

Wirkungen.“<br />

Gottfried Wilhelm Leibniz<br />

(1646–1716), geboren in Leipzig,<br />

Philosoph, Mathematiker, Diplomat<br />

und Historiker<br />

„Es ist des<br />

Lernens<br />

kein<br />

Ende.“<br />

Robert Schumann (1810–1856),<br />

geboren in Zwickau, Komponist,<br />

Musikkritiker und Dirigent<br />

„Die drei elementarsten Fragen<br />

des Menschen sind: Wer sind wir?<br />

Woher kommen wir? Wohin<br />

gehen wir? Sie zu beantworten ist<br />

Aufgabe der Wissenschaft.“<br />

Jesco von Puttkamer (1933–2012), geboren in Leipzig, Raumfahrtingenieur<br />

und Autor<br />

„Die Kunst ist die höchste<br />

Form von Hoffnung.“<br />

Gerhard Richter, geboren 1932 in Dresden, Maler, Bildhauer und Fotograf<br />

„Über sehr ernste Gegenstände sehr<br />

ernst sprechen wollen, führt zu<br />

Schweigen. Sehr ernste Gegenstände<br />

oder Weltzustände lassen sich nur<br />

mit Humor bereden.“<br />

Irmtraud Morgner (1933–1990), geboren in Chemnitz, Schriftstellerin<br />

„Wer neben den Wissenschaften<br />

noch andere<br />

Ergötzungen sucht, muss<br />

die wahren Süßigkeiten<br />

derselben noch nicht<br />

geschmeckt haben.“<br />

Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781), geboren in<br />

Kamenz, Dichter<br />

„Der Blick<br />

über die Welt<br />

hinaus ist der<br />

einzige, der die<br />

Welt versteht.“<br />

Richard Wagner (1813–1883), geboren in Leipzig,<br />

Komponist<br />

„,Wird’s besser? Wird’s schlimmer?‘, fragt man<br />

alljährlich. Seien wir ehrlich:<br />

Leben ist immer lebensgefährlich!“<br />

Erich Kästner (1899–1974), geboren in Dresden, Schriftsteller und Drehbuchautor<br />

„Die Idee ist noch nicht Seele<br />

und die Seele noch nicht Geist,<br />

aber der Geist ist nur innerhalb<br />

der Seele und die Seele nur innerhalb<br />

der Idee, und diese drei<br />

sind nur eins bei aller Verschiedenheit,<br />

und nur als in einem<br />

Einigen seiend, können sie verstanden<br />

werden vom Geiste.“<br />

Carl Gustav Carus (1789–1869), geboren in Leipzig, Arzt,<br />

Maler und Naturphilosoph<br />

„Die Furcht ist der<br />

schlechteste Ratgeber.“<br />

Karl Liebknecht (1871–1919), geboren in Leipzig, Politiker<br />

„Freiheit, auch in den Regungen des<br />

äußerlichen Lebens, ist der Boden, in<br />

welchem die höhere Bildung keimt.“<br />

Johann Gottlieb Fichte (1762–1814), geboren in<br />

Rammenau, Erzieher und Philosoph<br />

26 27


<strong>Sachsen</strong> // beständig<br />

Sauber gemacht!<br />

Früher kam aus der Oberlausitz nur „fit“, das Spülmittel der DDR. Heute werden<br />

in Zittau auch Sanso, Rei, Sunil, Gard und andere Westmarken produziert.<br />

Text: Brigitta palass<br />

Foto: Michael Hudler<br />

Es hatte geschneit an jenem Karfreitag<br />

1992. Zum Glück. Der frische Schnee verhüllte<br />

gnädig den maroden Außenbereich<br />

jenes Betriebsteils der Leuna-Werke, für den<br />

er sich interessierte. „Sonst wäre ich vielleicht<br />

gleich wieder umgekehrt“, sinniert<br />

Wolfgang Groß heute. So besichtigte er die<br />

Produktionsanlagen, in denen das Spülmittel<br />

fit hergestellt wurde – und erkannte auf<br />

den ersten Blick die hochintelligente, effiziente<br />

Fertigung. Das Spülmittel wurde in<br />

selbst produzierte Plastikflaschen abgefüllt,<br />

die aus nur einem Stück bestanden, und die<br />

Produktionsreste wurden sofort recycelt.<br />

Groß war schon viel herumgekommen,<br />

aber das sei die preiswerteste Herstellung<br />

gewesen, die er je gesehen habe. „Die Leute<br />

hatten aus dem allgegenwärtigen Mangel<br />

etwas ganz Wichtiges geschaffen.“ Damals<br />

wurde ihm augenblicklich klar, dass er gefunden<br />

hatte, wonach er schon lange suchte:<br />

sein Unternehmen.<br />

Wolfgang Groß, promovierter Chemiker,<br />

war bis dahin Manager bei Konzernen<br />

wie Procter & Gamble gewesen, hatte eine<br />

Forschungsabteilung geleitet und das Marketing<br />

verantwortet. Eine ordentliche Karriere<br />

für einen Enddreißiger, aber nicht das,<br />

was er sich wirklich wünschte. Ihn störten<br />

die Zwänge der Großorganisation, er träumte<br />

von Selbstständigkeit. Die Wiederver einigung<br />

verlieh seinem Traum Flügel. „Es<br />

war der Moment, in dem alles stimmte. Ich<br />

war alt genug für die nötige Erfahrung und<br />

jung genug für einen Neustart. Und es standen<br />

Tausende ehemalige DDR-Betriebe zum<br />

Verkauf.“ Groß sah sich viele an – fit passte.<br />

In der DDR kannte nahezu jeder Haushalt<br />

die viereckige Flasche. Mit fit wurden Teller<br />

und Töpfe gespült, Autos gewaschen und<br />

Blattläuse bekämpft. 1955 hatte der VEB<br />

Fettchemie Karl-Marx-Stadt das Spülmittel<br />

auf den Markt gebracht, 1967 entstand das<br />

Werk in Hirschfelde bei Zittau, wo bis heute<br />

produziert wird. Nach der Wende hatten<br />

sich viele Konzerne für die Markenrechte<br />

interessiert, die Fabrik mit 450 Arbeitern<br />

wollte keiner. Außer Groß. „Natürlich waren<br />

es zu viele Leute“, sagt er heute. „Aber<br />

den von der Treuhand geforderten Erhalt<br />

von 60 Arbeitsplätzen konnte ich garantieren.“<br />

Am 1.1.1993 gründete er die fit GmbH.<br />

Der Anfang war bitter. Viel Arbeit,<br />

wenig Schlaf, der neue Chef kampierte auf<br />

einer Luftmatratze im Verwaltungsge bäude,<br />

was sich nur graduell geändert hat: Heute<br />

bewohnt er eine Wohnung im Obergeschoss.<br />

Groß hat nicht nur eine Firma gekauft, er<br />

hat sie sich zu eigen gemacht. Stand auf der<br />

Leiter und rupfte die Bäumchen aus, die sich<br />

auf dem Dach der alten Hallen ausgebreitet<br />

hatten. Streifte wieder den Laborkittel über<br />

und entwickelte mit seinen Leuten Rezepturen<br />

für neue Produkte. Und erkannte, als das<br />

Geschäft im Osten langsam wieder anlief,<br />

dass er die alten Bundesländer brauchte –<br />

und Marken, die man dort kannte.<br />

Die ersten kaufte Wolfgang Groß im<br />

Jahr 2000 seinem alten Arbeitgeber ab: Rei,<br />

Rei in der Tube, Sanso. Später folgten Sunil<br />

und Kuschelweich von Unilever, inzwischen<br />

ist das Sortiment auf 100 Produkte gewachsen.<br />

Und das Werk gehört europaweit zu<br />

den modernsten der Branche.<br />

Ein Vierteljahrhundert ist es<br />

her, seit Wolfgang Groß in Zittau<br />

fand, wonach er lange suchte.<br />

Unter seiner Leitung hat das<br />

Unternehmen die Wende geschafft:<br />

Heute erwirtschaften<br />

mehr als 200 Mitarbeiter rund<br />

160 Millionen Euro Umsatz.<br />

28 29


<strong>Sachsen</strong> // verbindlich<br />

Friede, Freude, Blinzes<br />

Hätten sie keinen besseren Ort finden können als ausgerechnet Chemnitz? Eigentlich nicht,<br />

finden die Brüder Dziuballa, die Betreiber des einzigen jüdischen Restaurants in <strong>Sachsen</strong>.<br />

Sie hätten auch in ihren erlernten Berufen arbeiten können,<br />

als Maschinen- und Anlagenbauer oder als Broker. Lars Ariel (links)<br />

und Uwe Dziuballa haben sich stattdessen lieber der Kultur vermittlung<br />

verschrieben. Und weil das beim Essen in entspannter Atmosphäre<br />

besonders gut gelingt, betreiben sie das „Schalom“.<br />

Text: Brigitta palass<br />

Foto: Anne schönharting<br />

New York wäre vielleicht eine Alternative<br />

gewesen. Aber am Ende lief es doch<br />

auf Chemnitz hinaus – die Stadt, die 1965,<br />

als Uwe Dziuballa dort geboren wurde, noch<br />

nach Karl Marx benannt war. Dort lebte<br />

Dziuballas Mutter und wollte nach dem Tod<br />

ihres Mannes auch nicht mehr fort. Deshalb<br />

haben die Brüder Uwe und Lars Ariel hier<br />

ihr Lokal eröffnet. Das „Schalom“ ist das<br />

erste und bisher einzige öffentliche jüdische<br />

Restaurant in <strong>Sachsen</strong>.<br />

Großstadtflair verbreite es, schwärmte<br />

kürzlich ein Gastro-Kritiker. Viel Holz, klare<br />

Linien, warme Farben – das Schalom ist<br />

auf eine sehr moderne Art gemütlich. Und<br />

für seine gute Küche bekannt: Am Herd<br />

steht ein Profi, der nach strengen jüdischen<br />

Speisevorschriften koscher kocht. „Wir haben<br />

alte Rezepte durchstöbert“, erzählt Uwe<br />

Dziuballa. Das Ergebnis ist eine Speisekarte<br />

mit ost-, mitteleuropäischen und nahöstlichen<br />

Einflüssen. Blinzes gehören dazu –<br />

jiddische Pfannkuchen mit allerlei Füllungen<br />

–, die osteuropäische Rote-Bete-Suppe<br />

Borschtsch und natürlich auch der legendäre<br />

jüdische Küchenklassiker Gefilte Fisch.<br />

Knapp 40 Plätze hat das Restaurant, und<br />

über schlechte Auslastung können die Wirte<br />

nicht klagen. Amüsiert, aber auch etwas genervt<br />

beobachtet Dziuballa, wie verdruckst<br />

der anfängliche Umgang vieler Gäste mit jüdischer<br />

(Ess-)Kultur ist, wie bemüht sie sind,<br />

bloß nichts Falsches zu sagen oder zu tun.<br />

Darf man äußern, dass man Gefilte Fisch<br />

optisch und geschmacklich scheußlich findet?<br />

Darf man fragen, warum es neben der<br />

eleganten Bar ein Handwaschbecken gibt?<br />

Man darf, und man soll! Denn die Dziuballas<br />

sind eher zufällig Gastronomen geworden.<br />

Ihre eigentliche Mission ist, deutschjüdisches<br />

Leben wieder zu einem Teil der<br />

Alltagskultur werden zu lassen. Speis und<br />

Trank, haben sie festgestellt, eignen sich dabei<br />

ganz vorzüglich als Transportmedium.<br />

Uwe Dziuballa hat in der DDR Elektrotechnik<br />

studiert und nach der Wende außerdem<br />

bei der Deutschen Bank gelernt, Lars<br />

Ariel, der einige Jahre Jüngere, ist Maschinen-<br />

und Anlagenbauer. Für beide spielten<br />

jüdischer Glaube und Kultur in ihrer DDR-<br />

Jugend keine große Rolle.<br />

Wie selbstverständlich Judentum praktiziert<br />

und akzeptiert werden kann, erlebte<br />

Uwe Dziuballa erst, als er 1993 für ein knappes<br />

Jahr als Broker nach New York und Miami<br />

ging. „Den ungezwungenen Umgang<br />

der verschiedenen Ethnien untereinander<br />

fand ich sehr erfrischend“, sagt er. Es war<br />

der prägendste Eindruck, den er aus den<br />

USA mit zurücknahm. Inzwischen war auch<br />

die vormals winzige jüdische Gemeinde in<br />

Chemnitz durch den Zuzug von Immigranten<br />

aus der zerfallenden Sowjetunion rasant<br />

gewachsen. 1998 gründete Uwe Dziuballa<br />

mit sechs Freunden den Verein Schalom e. V.<br />

– als Kulturvermittler und als Hilfsorga ­<br />

ni sation für die Neuankömmlinge aus dem<br />

Osten. Das Restaurant ist das wichtigste<br />

Forum des Vereins – für Konzerte, Vorträge,<br />

Ausstellungen und Lesungen.<br />

Es wäre wohl verlogen, Dziuballa nur<br />

nach jüdischer Kochkunst und nicht nach<br />

Antisemitismus in der Stadt zu fragen. Auch<br />

Chemnitz hat eine Neonazi-Szene, und in<br />

der Tat haben die Dziuballas seit Bestehen<br />

des Schalom mehr als 40 000 Euro ausgegeben,<br />

um Schäden zu beheben – zerstochene<br />

Autoreifen, kaputte Scheiben, Schmierereien.<br />

Nach dem Umzug vor vier Jahren in<br />

eine belebtere Wohngegend sei es aber besser<br />

geworden, sagt Dziuballa. Früher seien<br />

Hooligans auf dem Weg zum Bahnhof fast<br />

automatisch am Schalom vorbeigekommen.<br />

Entmutigen lassen sich die Brüder von<br />

solchen Attacken nicht. Da trinkt Uwe Dziuballa<br />

lieber noch ein Glas „Freude“. Simcha<br />

– Freude – heißt das zertifizierte koschere<br />

Pils, das sie im nahen Hartmannsdorf brauen<br />

lassen. Es ist die einzige koschere Biermarke<br />

Deutschlands. Mit den importierten<br />

Lagerbieren aus Israel gab es öfter Lieferprobleme.<br />

Aber eine deutsche Gaststätte<br />

ohne Bier? Kaum auszudenken.<br />

30 31


<strong>Sachsen</strong> - Machen<br />

WIR ERFINDEN NICHT STÄNDIG<br />

DAS RAD NEU. ABER DAS LICHT.<br />

ERFINDERGEIST HAT IN SACHSEN TRADITION. Wir investieren<br />

in Innovationen. Zum Beispiel in die Entwicklung energieeffizienter<br />

organischer Leuchtdioden, die deutlich weniger Wärme entwickeln<br />

als klassische LEDs. Mit fast 40 Unternehmen und 20 Forschungseinrichtungen<br />

ist <strong>Sachsen</strong> heute das größte europäische Cluster der<br />

organischen Elektronik.<br />

32<br />

Mehr dazu unter www.so-geht-sächsisch.de

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