März 2017 | Bürgerspiegel
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Seite 54<br />
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Aktuell<br />
Bootsunglück in Barßel: Wird es überhaupt zu einem Prozess kommen?<br />
Anwalt des Beschuldigten erkennt Vorwurf<br />
der fahrlässigen Tötung nicht an<br />
Barßel - Es ist eines der<br />
schlimmsten Unglücke in der<br />
jüngeren Geschichte des Seemannsortes:<br />
das Bootsunglück<br />
in Barßel am 27. August 2016<br />
gegen 1.45 Uhr, bei dem eine<br />
24-Jährige und ein 27-Jähriger<br />
ums Leben kamen.<br />
Jetzt, ein halbes Jahr danach,<br />
sind die Ermittlungen immer<br />
noch nicht abgeschlossen. Auf<br />
Anfrage bei der Staatsanwaltschaft<br />
Oldenburg erhielt der<br />
BÜRGERSPIEGEL am 21. Februar<br />
folgende Antwort vom<br />
Ersten Staatsanwalt Martin<br />
Rüppell: „Die Ermittlungen zu<br />
diesem schrecklichen Unfall werden<br />
so schnell wie möglich - aber<br />
natürlich auch mit größtmöglicher<br />
Sorgfalt - geführt, um die<br />
genauen Umstände der Geschehnisse<br />
so exakt wie möglich aufzuklären.<br />
Es wurde u.a. bereits die<br />
Stellungnahme eines Sachverständigen<br />
eingeholt, die voraussichtlich<br />
noch zu ergänzen sein<br />
wird. Bitte haben Sie Verständnis<br />
dafür, dass ich zu diesem Zeitpunkt<br />
der Ermittlungen noch<br />
keine weiteren Details mitteilen<br />
kann. Über den Abschluss des<br />
Verfahrens werden wir selbstverständlich<br />
berichten.“<br />
Warum sich die Ermittlungen<br />
so in die Länge ziehen, hat<br />
wohl folgenden Grund: Das<br />
Gutachten, das der Staatsanwaltschaft<br />
vorliegt, ist offenbar<br />
nicht überzeugend. Nach<br />
Informationen des BÜRGER-<br />
SPIEGEL wurde das offizielle<br />
Gutachten zum Unfallhergang<br />
von Prof. Dr. H. (Name der Redaktion<br />
bekannt) erstellt, einem<br />
Sachverständigen für bauliche<br />
Anlagen der Sportschifffahrt<br />
und internationalem Bootsexperten.<br />
Doch dessen Gutachten<br />
zum Unfallhergang wird<br />
vom Anwalt des beschuldigten<br />
Bootsfahrers, einem 26-jährigen<br />
Elektroniker aus Barßel,<br />
massiv angezweifelt.<br />
Von dem renommierten<br />
Rechtsanwalt liegt nun bereits<br />
seit Mitte November eine<br />
mehr als 50 Seiten lange<br />
Stellungnahme bei der Staatsanwaltschaft,<br />
in der er detailliert<br />
erklärt, was für ihn in dem<br />
Gutachten nicht nachvollziehbar<br />
ist. So sollen seiner Ansicht<br />
nach in dem Gutachten<br />
unumstößliche physikalische<br />
Grundsätze nicht beachtet<br />
worden sein. Wenn dem so<br />
ist, wäre das Gutachten nicht<br />
stichhaltig.<br />
Es scheint so, dass das „Gegengutachten“<br />
des Anwalts doch<br />
einige Zweifel an dem Unfallhergang<br />
des offiziellen Gutachtens<br />
gesät hat. Gegenüber<br />
der NWZ erklärte die Staatsanwaltschaft<br />
einige Tage nach<br />
unserer Anfrage, die zuständige<br />
Dezernentin habe noch einige<br />
Fragen, so dass der Gutachter<br />
(Prof. Dr. H. - die Red.)<br />
weitere Untersuchungen anstellen<br />
werde. Es sei noch nicht<br />
entschieden, ob das Verfahren<br />
eingestellt oder Anklage erhoben<br />
werde.<br />
Tatsächlich wird gegen den<br />
Beschuldigten im Augenblick<br />
wegen fahrlässiger Tötung in<br />
zwei Fällen ermittelt. Dafür<br />
sieht der § 222 des StGB eine<br />
Geldstrafe oder eine Freiheitstrafe<br />
bis zu fünf Jahren vor.<br />
Käme es zu einer Verurteilung,<br />
könnten noch weitere<br />
Klagen gegen den Bootsführer<br />
mit immensen Schadensforderungen<br />
folgen. Ein schwerverletztes<br />
Opfer des Bootsunfalls<br />
soll irreparable Schäden davon<br />
getragen haben. Es kann also<br />
nicht ausgeschlossen werden,<br />
dass bei einem Schuldspruch<br />
der Angeklagte sein Leben<br />
lang bezahlen müsste.<br />
Wie der BÜRGERSPIEGEL<br />
weiter erfuhr, hat mindestens<br />
einer der Überlebenden in seiner<br />
Vernehmung erklärt, dass<br />
alle acht Personen wohl angetrunken,<br />
aber nicht betrunken<br />
gewesen seien. Wieviele Promille<br />
bei den Beteiligten gemessen<br />
wurden, darüber gibt<br />
es von offizieller Seite keine<br />
Aussage. Genau das aber wird<br />
- sollte es zu einem Prozess<br />
kommen - auch eine ganz entscheidende<br />
Rolle spielen.<br />
Auch die Frage, an welchem<br />
der beiden Boote die Beleuchtung<br />
ein- oder ausgeschaltet<br />
war, ist von enormer Bedeutung.<br />
Bei dem Boot des Beschuldigten<br />
handelt es sich um<br />
ein Motorboot des Typs Marathon<br />
V-70 mit Beleuchtung. Bei<br />
dem des getöteten Bootsführers<br />
um ein Sportboot des Typs<br />
Piranha Bagheera, bei dem - so<br />
ist von Kennern der Barßeler<br />
Bootsszene zu hören (Namen<br />
der Redaktion bekannt) - keine<br />
Beleuchtung vorhanden gewesen<br />
sein soll. Sollte es zu einer<br />
Anklage kommen, wird dies<br />
ein spannender Prozess, der<br />
sich lange hinziehen könnte.<br />
Dafür muss aber ein einwandfrei<br />
nachvollziehbares Gutachten<br />
vorliegen. So geht es hier<br />
auch um das Renommee eines<br />
angesehenen Gutachters.<br />
Umso verständlicher ist es,<br />
wenn die Staatsanwaltschaft,<br />
aufgrund der offenbar präzise<br />
ausgearbeiteten anwaltlichen<br />
Stellungnahme, auf Nummer<br />
sicher gehen möchte und deshalb<br />
noch einige Fragen an den<br />
Gutachter hat.<br />
Wir berichten weiter über den<br />
Fall!