Druckdatei 2015
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UNSER<br />
MUSLIMISCHES<br />
ERBE<br />
Unterrichtsmaterialien zum muslimisch geprägten<br />
Beitrag zu unserer Sprache, Bildung und Wissenschaft
IMPRESSUM<br />
heraUsgeber<br />
RAA Berlin<br />
Boyenstr. 41<br />
10115 Berlin<br />
telefon<br />
fax<br />
+49 30 240 45 – 100 +49 30 240 45 – 509<br />
web<br />
info@raa-berlin.de I www.raa-berlin.de<br />
V.i.s.d.P<br />
Kofi Ohene-Dokyi I RAA Berlin<br />
redaktion Und inhalt<br />
Das Unterrichtsmaterial wurde von Evelin Lubig-Fohsel in Kooperation mit der Gruppe „ID-entity“- des Projekts<br />
JUMA- jung, muslimisch, aktiv entwickelt. (Infos zum Projekt www.juma-projekt.de) erarbeitet. Betül Ulusoy leitete<br />
die Gruppe „ID-entity“. Zeyneb Aktürk, Tayfun Deniz, Ufuk Erdoğan, Serpil Kılıç, Arman Kuru, Şule Koyuncu, Şeyma<br />
Savaş und Yasmin Yassinat aus der „ID-entity“ haben das Material maßgeblich mitgestaltet.<br />
gestaltUng<br />
1. Auflage: Styleislam I 2. Auflage: Überarbeitung Amine Taşdan<br />
bildnachweise<br />
Shutterstock S. 6,12,13-16,18, 24-26,28-33, 41, 43, 45, 47, 49, 52, 54, 57, Fluter S. 9<br />
coPYrights<br />
Die RAA Berlin behält sich sämtliche Rechte auch an der Gestaltung und Struktur der Broschüre vor. Nachdruck<br />
und Vervielfältigungen sind nur mit Angabe der Quelle und vorheriger Freigabe durch die RAA Berlin gestattet.<br />
Alle Urheberrechte liegen bei der RAA Berlin, sofern nicht anderes angegeben ist.<br />
© Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) e.V.<br />
Diese Broschüre ist im Rahmen des Projekts JUMA-jung, muslimisch, aktiv entstanden. Träger des Projekts ist die<br />
RAA Berlin. Gefördert wird das JUMA-Projekt von der Robert Bosch Stiftung.<br />
2
INHALTSVERZEICHNIS<br />
Vorwort<br />
das Projekt JUMA- jung, muslimisch, aktiv<br />
Einleitung<br />
4<br />
5<br />
6<br />
Eingewanderte Wörter – Arabisch und Türkisch in der deutschen Sprache<br />
Vorschläge für die Gestaltung des Unterrichts<br />
Arbeitsbögen<br />
A1/A2 - Zoobesuch<br />
A3/A4 - Wörter mit Migrationshintergrund<br />
A5 -A10 - Von Algebra bis Zucker<br />
A11 - Neue Wörter wandern ein<br />
8<br />
12<br />
14<br />
16<br />
18<br />
24<br />
Vorschlag für die Gestaltung des Unterrichts:<br />
Arbeiten mit der Methode „Expertenrunde“<br />
Arbeitsbögen<br />
A12 - A17 - Die Giraffe, Der Kaffee, Die Tulpe, Der Joghurt, Die Gitarre, Die Tasse<br />
A18 - A23 - Partnerquiz<br />
A24/ A25 -„Safran, öffne dich!“ von Bastian Sick<br />
25<br />
28<br />
34<br />
40<br />
Das Goldene Zeitalter - Die Blütezeit islamisch-arabischer wissenschaften<br />
Der Islam – Streben nach Bildung und Wissen<br />
Technische Herausforderungen – Suche nach Lösungen<br />
Weiterführende Literatur und Ziele<br />
Vorschläge für die Gestaltung des Unterrichts<br />
Arbeitsbögen<br />
A1 - Das Haus der Weisheit<br />
A2 - Das Streben nach Wissen – Bibliotheken<br />
A3 -„Ein Volk geht zur Schule“ – Schulen und Universitäten<br />
A4 - Ein Leben für die Wissenschaft – al-Fihri - al-Kindi - Ibn Rushd<br />
42<br />
44<br />
46<br />
48<br />
49<br />
50<br />
52<br />
54<br />
56<br />
3
Vorwort<br />
In der Schule wird zu häufig das Bild einer homogenen christlich-abendländischen Kultur vermittelt, der unsere<br />
Sprache, unsere Wissenschaften, unser Gedankengut entspringen. Schüler_innen mit pluralen kulturellen Einflüssen<br />
mangelt es so oft an einem persönlichen Bezug. Die Identifikation mit unserer Gesellschaft kann hierunter<br />
leiden. Politische und mediale Diskussionen, wie beispielsweise die Debatte, ob der Islam zu Deutschland gehöre,<br />
verstärken dies noch.<br />
Dabei verdanken wir beispielsweise der chinesischen, indischen und arabischen Welt vieles von dem, was wir heute<br />
in unserer Kunst, Kultur und Wissenschaft schätzen.<br />
Warum können wir dann nicht auch im Mathematikunterricht behandeln, wem wir das erleichterte Rechnen mit<br />
unseren „arabischen Zahlen“ zu verdanken haben?<br />
Wir glauben, dass es in einer Stadt mit so vielfältigen kulturellen Einflüssen und weltanschaulichen Überzeugungen<br />
wie Berlin von besonderer Bedeutung ist, Schüler_innen die Vielfalt unserer Geschichte und Kultur auch im Unterricht<br />
nahe zu bringen. Nur durch das Zusammenwirken verschiedenster Einflüsse und Errungenschaften haben wir<br />
heute in Deutschland eine so vielfältige und reiche Geschichte und Kultur. Kulturen sind nichts statisches und sie<br />
entwickeln sich nicht in einem Vakuum, sondern entstehen im Zusammenspiel unterschiedlichster Einflüsse, die<br />
zu ständigem Wandel führen. Wer versteht, dass wir alle vielfältige kulturelle Prägungen und Einflüsse mitbringen,<br />
wird zu einem offeneren Bürger.<br />
Aufgrund der medialen Debatten, die über „den Islam“ und „die Muslime“ in Deutschland geführt werden, fühlen<br />
sich insbesondere muslimische Schüler_innen nicht selten stigmatisiert. Als deutsche Muslim_innen haben wir<br />
deshalb den Fokus bewusst auf Errungenschaften aus dem muslimisch geprägten Kulturraum gelegt. Das Wissen,<br />
dass auch Muslim_innen zum Entstehen unserer Geschichte und Kultur beigetragen haben, soll das Zugehörigkeitsgefühl<br />
und das Selbstvertrauen der muslimischen Schüler_innen stärken. Es soll sie motivieren, größeren Wert<br />
auf ihre Ausbildung zu legen und sich für unsere Gesellschaft zu engagieren.<br />
Den Anstoß für unsere Bildungsinitiative gaben die zum Teil negativen Erfahrungen in der eigenen Schulzeit. Wir<br />
möchten mit dieser Initiative daher auch als Vorbilder für mehr Offenheit werben und zeigen, wie wichtig gegenseitige<br />
Wertschätzung und Zusammenarbeit sind.<br />
Unsere muslimischen Leser_innen möchten wir darauf hinweisen, dass es zwar unter Muslim_innen üblich und<br />
religiös geboten ist, nach der Nennung des Prophetennamens einen Segenswunsch hinzuzufügen. Da sich die<br />
Unterrichtsmaterialien an Lehrer_innen und Schüler_innen aller Religionen und Weltanschauungen richten, haben<br />
wir auf diesen Segenswunsch verzichtet. Wir überlassen es den muslimischen Leser_innen, den Segenswunsch im<br />
Stillen für sich zu sprechen.<br />
Wir möchten uns an dieser Stelle ausdrücklich bei Evelin Lubig-Fohsel und Andreas Unger und bei allen anderen<br />
bedanken, die uns bei der Erstellung dieses Materials unterstützt haben.<br />
Betül Ulusoy<br />
Leiterin der ID-entity<br />
4
Das Projekt JUMA-jung, muslimisch, aktiv<br />
„Jetzt seid ihr an der Reihe! Das Projekt JUMA sorgt dafür, dass Eure Stimme gehört wird. Als Teilnehmer<br />
könnt Ihr zeigen, wer Ihr seid, was Ihr denkt und wie Ihr Euch in die Gesellschaft einbringt.“<br />
Mit dieser Aussage spricht das Projekt seit seinem Start im Jahre 2010 junge Musliminnen und Muslime in Berlin<br />
an. Das Projekt unterstützt sie dabei, ihre Stimme hörbar zu machen. Zu selten erhalten sie die Möglichkeit, ihre<br />
Sicht der Dinge darzulegen und offen über ihre Erfahrungen zu sprechen. Im Projekt sollen ihr Interesse und ihre<br />
Fähigkeiten, sich in verschiedene Bereiche des gesellschaftlichen Lebens einzubringen, gestärkt und gefördert werden.<br />
JUMA ist ein Projekt der RAA Berlin. Seit 1991 trägt und unterstützt die RAA Berlin Partizipationsprojekte in Schule und<br />
Schulumfeld und in der Kommune. Seit 1991 begleitet sie Schulentwicklungsprozesse und kommunale Entwicklungen<br />
im Sinne der diversitätsorientierten Organisationsentwicklung, berät Kita- und Schulpersonal sowie Eltern, Community-<br />
Organisationen und Ämter, erstellt Materialien und führt Fortbildungen durch. Die Programme der RAA Berlin fördern<br />
die gleichberechtigte Teilhabe von sozial benachteiligten Gruppen am Bildungswesen.<br />
Die Bildungsinitiative der Gruppe ID-entity<br />
Die hier vorliegende Broschüre ist das Ergebnis der mehr als zweijährigen Arbeit der Jugendlichen und jungen<br />
Erwachsenen der Themengruppe „ID-entity“. Ein Anlass für die Bildungsinitiative war die Erfahrung im eigenen<br />
schulischen Sozialisationsprozess gewesen, dass die islamisch-arabisch-osmanische Geschichte und Kulturen<br />
sowie ihre Bedeutung für die europäische Kulturentwicklung im Unterricht entweder überhaupt nicht, nur marginal<br />
oder einseitig und verzerrt dargestellt worden waren. Die fehlende Berücksichtigung des eigenen religiösen und soziokulturellen<br />
Hintergrundes wurde als Ausdruck mangelnder Akzeptanz und Wertschätzung und damit wenig förderlich<br />
für die Identitätsentwicklung wahrgenommen. Vor diesem Hintergrund entstand die Idee, mit ihrer Bildungsinitiative zur<br />
Identitätsfindung junger Muslim_innen beizutragen und ihr Bewusstsein der Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft<br />
zu stärken. Die Vermittlung von Akzeptanz und Wertschätzung ist entscheidend für die Verankerung einer schulischen<br />
Willkommenskultur, die eine Grundvoraussetzung für die Entwicklung von Motivation und Anstrengungsbereitschaft<br />
ist und damit auch zum schulischen Erfolg der Schüler_innen beiträgt.<br />
Die Broschüre bietet zahlreiche Materialien und Anregungen, sich nachhaltig mit Themen der islamisch-arabischosmanischen<br />
Geschichte und ihren vielfältigen Einflüssen auf Deutschland auseinanderzusetzen. „Eingewanderte<br />
Wörter - Arabisch und Türkisch in der deutschen Sprache“ und „Das „Goldene Zeitalter - Die Blütezeit islamisch-arabischer<br />
Wissenschaften“ bilden die Schwerpunkte der Broschüre, die für eine Einbettung in einen fächerübergreifenden/<br />
fächerverbindenden Unterricht in der Sek I (ab Kl. 9) und Sek. II aufbereitet sind.<br />
Das Material ist geeignet, Klischees aufzubrechen und den Blick für einseitige und ideologische Bewertungen historischer<br />
Prozesse zu schärfen. Pädagog_innen werden mit dem Materialangebot unterstützt, der soziokulturellen und<br />
religiösen Heterogenität der Schülerschaft auch mit entsprechenden thematischen Angeboten gerecht zu werden.<br />
Wir wünschen allen, die mit dieser Broschüre, dem Plakat oder Workshop arbeiten werden, viele neue Erkenntnisse<br />
und natürlich viel Spaß.<br />
Kofi Ohene-Dokyi I RAA Berlin<br />
5
einleitung<br />
„Verständigung beruht auf Verständnis“ 1<br />
Im Rahmen eines Festaktes des 2011 neu gegründeten Forschungszentrums<br />
der Freien Universität Berlin zur Geistesgeschichte der islamischen<br />
Welt erklärte der Präsident der Freien Universität Berlin, Peter-André Alt:<br />
„Verständigung beruht auf Verständnis“ und Verständnis wiederum entstehe<br />
durch das Wissen, das aus der Kenntnis der Geschichte erwachse. Die damals<br />
amtierende Bundesministerin für Bildung und Forschung, Annette Schawan,<br />
ergänzte: „Wir brauchen ein umfassendes Bild der Geistesgeschichte<br />
des Islam vom Mittelalter bis zur Neuzeit für sein Selbstverständnis, seine<br />
Wahrnehmung in der westlichen Welt, um das Miteinander besser gestalten<br />
zu können.“ Die Wissenschaftler_innen betonten, dass der Respekt<br />
für andere Glaubensrichtungen und interreligiöser Austausch nicht allein<br />
Errungenschaften der Aufklärung und der Moderne seien. Sie wollten untersuchen,<br />
in welcher Form Muslime, Christen und Juden in der islamischen<br />
Welt schon seit dem Mittelalter in regem intellektuellen Austausch standen<br />
und Pluralität zur Grundlage von Gesellschaftsmodellen wurde. 2<br />
Im Unterschied zu diesen Stimmen aus Wissenschaft, Forschung und<br />
Politik wird in der Öffentlichkeit das Thema „Islam“ vor allem aus einer Problemperspektive<br />
betrachtet. Muslimisches Leben ist in den letzten Jahren<br />
zunehmend sichtbarer geworden und hat zu kontroversen Reaktionen<br />
geführt. Die öffentlichen Diskussionen um Moscheebauten, Kopftücher<br />
oder schulische Gebetsräume wurden mit einem großen medialen Interesse<br />
ausgetragen. Dadurch wurde deutlich, dass das Sichtbarwerden des Islam<br />
nicht nur als Selbstverständlichkeit und Normalität wahrgenommen wird,<br />
sondern auch Irritationen und Ängste auslöst, die zu Abwehrreaktionen und<br />
Konflikten führen. „Der Islam gehört zu Deutschland!“ Diese Einschätzung des<br />
ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff hatte bereits 2010 heftige<br />
Debatten zur Folge, die sowohl Konsequenzen für das Selbstverständnis<br />
junger Muslim_innen als auch nichtmuslimischer Jugendlicher und junger<br />
Erwachsener im Hinblick auf die zunehmende kulturelle und religiöse Vielfalt<br />
in Deutschland haben. Ein Unterricht, in dem der Auseinandersetzung mit<br />
der islamisch-arabischen Geschichte und Kultur sowie ihrer Bedeutung für<br />
das westeuropäisch-christliche Abendland Raum gegeben wird, wendet sich<br />
an alle Schüler_innen und kann ein wirkungsvolles Medium sein, um Ängste<br />
und Vorbehalte der multireligiösen Gesellschaft gegenüber abzubauen und<br />
die Voraussetzungen für ein friedliches und respektvolles Miteinander zu<br />
1<br />
Peter-André Alt, Präsident der Freien Universität Berlin<br />
2<br />
Juliane Bartsch, „Verständigung beruht auf Verständnis“, Forschungszentrum zur Geistesgeschichte<br />
der islamischen Welt an der Freien Universität eröffnet. In: Der Tagesspiegel<br />
vom 15.10.2011<br />
6
schaffen. Muslimische Schüler_innen erfahren in diesem Zusammenhang,<br />
dass sie ernst genommen und ihnen Unterstützung, Wertschätzung sowie<br />
Solidarität entgegengebracht werden.<br />
Durch die Bildungsinitiative der Gruppe ID-entity werden auch nichtmuslimische<br />
Jugendliche und junge Erwachsene angesprochen. Die Auseinandersetzung<br />
mit anderen Weltsichten und der Gewinn eines anderen<br />
Verständnisses von sich und der Welt können anregend und hilfreich<br />
sein bei der Suche nach Antworten auf Sinnfragen und tragen zur Identitätsentwicklung<br />
bei. In einem wechselseitigen Kommunikations- und<br />
Verstehensprozess geht es darum, sich besser kennenzulernen und mehr<br />
voneinander zu erfahren. Das sind wesentliche Voraussetzungen, um sich<br />
mit Respekt und gegenseitiger Wertschätzung austauschen, gemeinsame<br />
Werte und Orientierungen ermitteln, Unterschiede und ihre Konsequenzen<br />
für das Zusammenleben benennen sowie konsensorientiert agieren und<br />
mögliche Konflikte gewaltfrei lösen zu können.<br />
Die Bedingungen einer zunehmend soziokulturell diversifizierten Gesellschaft<br />
zur Grundlage von Bildungsangeboten zu machen und die darin liegenden<br />
Lernchancen und Entwicklungsmöglichkeiten für alle Schüler_innen<br />
zu nutzen, ohne mögliche Probleme und Konflikte auszublenden und zu<br />
verharmlosen, stellt eine Herausforderung für das pädagogische Handeln<br />
dar. Die Stärkung und Entwicklung sozialer und personaler Kompetenzen<br />
wie Achtsamkeit, Selbstverantwortung, Selbstvertrauen, Offenheit und<br />
gewaltfreies Konfliktlösungsverhalten stehen im Fokus einer Pädagogik, die<br />
eine positive Identitätsentwicklung der Jugendlichen und jungen Erwachsenen<br />
mit und ohne Migrationshintergrund unterstützt. Das vorliegende<br />
Material möchte anhand von zwei Beispielen zeigen, wie der soziokulturellen<br />
und religiösen Heterogenität der Schülerschaft auch mit entsprechenden<br />
thematischen Angeboten im Unterricht Rechnung getragen werden kann.<br />
Wenn sich die Schüler_innen einerseits im Unterricht mit der deutschen<br />
Geschichte und ihren religionshistorischen Implikationen auseinandersetzen,<br />
muss es andererseits zum Curriculum einer Schule in der Migrationsgesellschaft<br />
gehören, auch historische Dimensionen der Herkunftsländer<br />
und religionsspezifische Hintergründe der eingewanderten Familien und<br />
ihrer Kinder in den Blick zu rücken, als Angebot für alle Schüler_innen, um<br />
daraus für die gemeinsame Gestaltung der Zukunft zu lernen.<br />
Evelin Lubig-Fohsel<br />
Schulbuchautorin<br />
7
Eingewanderte Wörter<br />
Arabisch und Türkisch in der deutschen Sprache<br />
Sachhintergrund<br />
„Manchmal reisen sie alleine, oft aber<br />
haben sie halbe Verwandtschaften im<br />
Schlepptau. Einige von ihnen bleiben auf<br />
Dauer fremd, die meisten aber richten<br />
sich im Deutschen häuslich ein und sind<br />
bald nicht mehr von ihren einheimischen<br />
Mitspielern zu unterscheiden.“<br />
Mathias Wermke 1<br />
1<br />
Mathias Wermke (Dudenredaktion), „Eingewanderte<br />
Wörter“, in: Jutta Limbach, „Eingewanderte Wörter“, Hueber<br />
Verlag, München, 2008.<br />
W<br />
örter können eine lange und spannende Entstehungsgeschichte<br />
haben. Die Geschichte<br />
arabischer und türkischer Wörter in der deutschen<br />
Sprache zeigt, wie die Begegnung von Menschen<br />
mit unterschiedlichem sprachlich-kulturellen Hintergrund<br />
zu einer Bereicherung und Erfolgsgeschichte führen<br />
kann. Viele der „Wanderwörter“ sind gar nicht mehr<br />
als arabische oder türkische Wörter zu identifizieren.<br />
Sie sind während ihres mitunter jahrhundertelangen<br />
Gebrauchs so verändert worden, dass ihre Stammform<br />
nur noch schwer zu erkennen ist. Ähnlich verhält es sich<br />
mit Lehnwörtern aus anderen Sprachen der islamischen<br />
Welt, wie der persischen Sprache. Teilweise hatte schon<br />
das Arabische die Wörter aus Sprachen wie dem Persischen<br />
oder Griechischen entlehnt, sodass sich an der<br />
Wandergeschichte der Wörter auch eine spannende<br />
Kulturgeschichte ablesen lässt.<br />
Es waren die Araber, die den in Westeuropa weitgehend<br />
niederliegenden Handel zwischen dem Byzantinischen<br />
Reich und dem Fernen Osten im 8. Jahrhundert allmählich<br />
wieder in Gang brachten. Nach der Eroberung Spaniens<br />
durch die muslimischen Heere wurden die Kontakte<br />
zwischen den christlichen Europäern und den muslimischen<br />
Arabern intensiviert. Auch über die Kreuzzüge und<br />
Pilgerfahrten zu den christlichen Heiligtümern kamen<br />
die Europäer mit den Arabern, ihrer Sprache und ihren<br />
Errungenschaften, in Berührung. Nicht nur die Sprachen<br />
Europas, auch die Lebensumstände, Sitten und<br />
Gebräuche erfuhren durch die Begegnungen mit der<br />
arabisch-muslimischen Welt wesentliche neue Impulse.<br />
8
Vieles, was für uns heute selbstverständlich ist, kannten<br />
die Menschen in Westeuropa vor mehreren hundert<br />
Jahren noch nicht. Waren, Wissenschaften und Worte<br />
sind im Laufe der Zeit eingewandert und erscheinen<br />
uns heutzutage nicht mehr als „fremd“.<br />
Über die ausgedehnten Handelsbeziehungen der Araber<br />
wurden Produkte und Errungenschaften aus China (z.B.<br />
Satin), Indien (z.B. Zucker) und Afrika (z.B. Kaffee) zunächst<br />
in den arabischen Gebieten bekannt, bevor sie nach<br />
Europa gelangten. Mit den neuen Gütern wurden aber<br />
auch deren Namen an das Arabische angepasst. Das<br />
erklärt, warum viele arabische Wörter wiederum Wurzeln<br />
in anderen Sprachen haben. Über die Handelswege und<br />
neuen Beziehungen kamen auch neue wissenschaftliche<br />
Erkenntnisse, Arznei-, Lebens- und Genussmittel nach<br />
Westeuropa. Viele Gewürze, Gemüse- und Obstsorten<br />
haben die europäischen Speisekarten erweitert und<br />
verfeinert und Pflanzen wie z.B. Jasmin zieren die europäischen<br />
Gärten. Wie bereits in der arabischen Welt<br />
Jahrhunderte zuvor haben die Europäer die Erkenntnisse<br />
übernommen und weiterentwickelt. Dass aus der tašta<br />
(arabisch) eine Tasse und aus dem koschk (persisch) ein<br />
Kiosk im heutigen Verständnis wurde, ist ein Beispiel für<br />
diese Weiterentwicklung.<br />
Da der deutsche Sprachraum nie an den arabischen und<br />
osmanischen Sprachraum grenzte und Mitteleuropa<br />
nicht direkt am Mittelmeerhandel beteiligt war, sind die<br />
meisten Wörter mit einer großen zeitlichen Verzögerung<br />
über mehrere europäische Sprachen im Deutschen angekommen.<br />
Wenn z.B. aus Frankreich oder Italien neue<br />
Moden oder neue Produkte übernommen wurden, die<br />
aus dem arabischen oder osmanischen Raum stammten,<br />
wurden auch deren arabische bzw. osmanische<br />
Bezeichnungen entlehnt.<br />
Neue, in jüngster Zeit in die deutsche Sprache aufgenommene<br />
Wörter wie z.B. Dönerkebab aus dem Türkischen<br />
zeigen, dass der Prozess nicht abgeschlossen ist, sondern<br />
die aktuellen weltweiten Migrationsbewegungen auch<br />
kulturell und sprachlich ihre Spuren hinterlassen.<br />
9
wEITERfüHRENDE LITERATUR<br />
Andreas Unger, „Von Algebra bis Zucker - Arabische Wörter im Deutschen“, Stuttgart:<br />
Reclam, 2006.<br />
Nabil Osman (Hg.), „Kleines Lexikon deutscher Wörter arabischer Herkunft“, München:<br />
Beck, 1992.<br />
Jutta Limbach (Hg), „Eingewanderte Wörter“, München: Hueber Verlag, 2008.<br />
Bassam Sabbagh, „Ein Arsenal an Lehnwörtern und Ziffern: So viel Arabisch<br />
steckt im Deutschen“, http:// www. papyrus-magazin.de/archiv/.../9_10_arabischin_deutsch.<br />
html“ www.papyrus-magazin.de/archiv/.../9_10_arabisch_in_<br />
deutsch.html (4.4.2013)<br />
10
TRANSkRIPTIoN<br />
arabische laute (nach andreas Unger a.a.o.)<br />
ā, ī, ū lange Vokale<br />
ğ wie in engl. job<br />
š wie in Schimmel<br />
ţ wie in engl. three<br />
ḫ wie in Buch<br />
ḥ stark gehauchter h-Laut<br />
türkische laute<br />
ç wie in rutschen<br />
ş wie in Schimmel<br />
ZIELE<br />
die schüler_innen<br />
• können anhand ausgewählter Beispiele die ursprüngliche Bedeutung und den<br />
Weg arabischer und türkischer Wörter ins Deutsche erklären;<br />
• ordnen die Wörter arabischen und türkischen Ursprungs Bereichen (z.B. Medizin,<br />
Handel, Lebens- und Genussmittel,) zu, in denen sie besonders oft vorkommen;<br />
• erkennen in deutschen Wörtern die arabische und türkische Stammform;<br />
• können deutsche Wörter mit arabischen und türkischen Wurzeln im alltäglichen<br />
Gebrauch erkennen und ihre Wanderungsgeschichte erklären;<br />
• entnehmen einem literarischen Text Informationen über den Weg arabischer Wörter<br />
in die deutsche Sprache;<br />
• verfolgen den Weg der Wörter anhand von Kartenmaterial.<br />
11
VoRSCHLÄgE füR DIE<br />
gESTALTUNg DES UNTERRICHTS<br />
Für die Auseinandersetzung mit dem Thema „Eingewanderte<br />
Wörter – Arabisch und Türkisch in<br />
der deutschen Sprache“ sind verschiedene materialgestützte<br />
Zugänge möglich. Die im Folgenden<br />
vorgestellten Arbeitsmaterialien legen keine Reihenfolge<br />
der Bearbeitung fest, sondern können orientiert an den<br />
Voraussetzungen und Interessen der Schüler_innen<br />
sowie orientiert an den Rahmenlehrplänen, z.B. dem<br />
für Geschichte Sekundarstufe 1 „Welt des Islam und die<br />
Kreuzzüge“, situationsorientiert eingesetzt werden. Die<br />
aus verschiedenen Lebensbereichen und Wissenschaftsdisziplinen<br />
stammenden Wörter legen eine fächerübergreifende/fächerverbindende<br />
Bearbeitung nahe.<br />
Die Texte zu den einzelnen Wörtern reichen von den<br />
Kurzmonografien (Von Algebra bis Zucker) bis zu den differenzierter<br />
gestalteten Arbeitskarten der Expertenrunde<br />
und haben einen unterschiedlichen Schwierigkeitsgrad,<br />
sodass um Überforderung oder Unterforderung zu<br />
vermeiden, die Texte binnendifferenzierend eingesetzt<br />
werden sollten.<br />
1 I Der Text Zoobesuch ist geeignet, um die Bedeutung<br />
der Wörter mit arabischen und türkischen Wurzeln<br />
in einem alltagssprachlichen Kontext kennenzulernen.<br />
Der Text kann zu Beginn der Beschäftigung mit dem<br />
Thema eingesetzt werden, um die Schüler_innen auf<br />
das Thema einzustimmen. Anhand der Wörterliste kann<br />
das Ergebnis der Suche nach den im Text „versteckten“<br />
Wörtern sofort überprüft werden. Der Text kann aber<br />
auch benutzt werden, um nach einer intensiveren<br />
Auseinandersetzung mit dem vorliegenden Material<br />
und nach eigener Recherchetätigkeit (z.B. im Internet)<br />
das Ergebnis zu überprüfen.<br />
2 I Mit dem Arbeitsbogen wörter mit Migrationshintergrund<br />
(Jutta Limbach) erhalten die Schüler_innen<br />
einen Überblick über eine Auswahl deutscher Wörter<br />
arabischen und türkischen Ursprungs. Sie ordnen die<br />
Wörter in Einzel- oder Partnerarbeit verschiedenen<br />
Bereichen zu und erfahren, in welchen Lebensbereichen<br />
die mit den Wörtern zusammenhängenden<br />
Neuerungen und Errungenschaften besonders häufig<br />
vorkommen.<br />
3 I Von algebra bis Zucker (Andreas Unger): Anhand<br />
ausgewählter „Kurzmonografien“ stellen die<br />
Schüler_innen die ursprüngliche Bedeutung sowie<br />
den möglichen Bedeutungswandel der Wörter fest<br />
und beschreiben ihren Weg in die deutsche Sprache.<br />
12
4 I neue wörter wandern ein: Mit „Dönerkebab“<br />
wird ein Wort vorgestellt, das durch die türkischen<br />
Arbeitsmigranten nach Deutschland eingewandert<br />
ist und Essensgeschichte geschrieben hat. Das Wort<br />
zeigt, dass die Einwanderung von Wörtern aus anderen<br />
Sprachen ins Deutsche nicht abgeschlossen<br />
ist. Es liefert einen Beweis für die Lebendigkeit und<br />
Vitalität von Sprache.<br />
5 I die arbeit mit der Methode expertenrunde<br />
ermöglicht eine intensivere Auseinandersetzung mit<br />
dem Thema. Die mit Abbildungen versehenen Texte<br />
vermitteln im Unterschied zu den „Kurzmonografien“<br />
differenziertere Informationen über den Ursprung,<br />
die Bedeutung und dem Weg einzelner Wörter. In<br />
laminierter Form sind die Texte als Arbeitskarten auch<br />
wiederholt zu verwenden.<br />
Die Wanderungs- sowie Bedeutungsgeschichte weist<br />
über die etymologische Dimension hinausgehend<br />
auch auf die konkreten und aktuellen Verwendungs-,<br />
Handlungs- und Erfahrungszusammenhänge hin, die<br />
die Wortformen repräsentieren. Diese anzusprechen<br />
eröffnet Möglichkeiten, das Thema in komplexere<br />
übergreifende Fach- und Sachzusammenhänge einzubinden.<br />
So kann z.B. die Beschäftigung mit dem Wort<br />
Joghurt auch im Kontext mit dem Thema „gesunde<br />
Ernährung“ erfolgen. Die Beschäftigung mit der Gitarre<br />
im Musikunterricht kann in das Musikinstrumentenmuseum<br />
führen, um weitere, aus dem arabischen Kontext<br />
stammende Musikinstrumente kennenzulernen und<br />
mehr über die Entwicklung der Gitarre und verwandter<br />
Instrumente, z.B. der Laute, zu erfahren. Das Beispiel<br />
der Tulpe bietet sich an, im Botanischen Garten der<br />
Entwicklung von der Wildform zu verschiedenen<br />
Zuchtformen nachzugehen (Rahmenlehrplan Biologie<br />
„Tier- und Pflanzenzüchtung früher und heute“).<br />
Wenn im Zusammenhang mit der Wortform Kaffee<br />
auf die Bedeutung des Kaffeeimports in Preußen und<br />
das Lied „Ce-A-eF-eF-E-E trink nicht so viel Caffee …“<br />
eingegangen wird, kann nach Möglichkeiten gesucht<br />
werden, den diskriminierenden Text positiv zu wenden<br />
und ein positives Textbeispiel (z.B. als Gedicht, Lied,<br />
Rap) zu entwickeln.<br />
6 I Quiz: Auf spielerische Weise werden die zentralen<br />
Aspekte der Themen der Expertenrunde zusammengefasst,<br />
wiederholt und abgefragt.<br />
7 I Der Autor Bastian Sick verarbeitet die Geschichte<br />
deutscher Wörter mit arabischen Wurzeln in seinem<br />
Beitrag. „safran, öffne dich!“ 1 . Er stellt aktuelle Bezüge<br />
her und setzt sich humorvoll mit dem Thema<br />
auseinander. Die Schüler_innen erhalten durch die<br />
Lektüre einen literarischen Zugang zum Thema.<br />
1<br />
Spiegel Online, Kultur vom 17.6.2009<br />
13
A1<br />
ZooBESUCH<br />
Meryem Die Papageien haben mir am besten gefallen,<br />
aber lass uns noch zu den Giraffen gehen. Schau mal da<br />
rechts die Gazellen, wie weit sie springen.<br />
anna Ich bekomme aber langsam Durst und Hunger. Ich<br />
lade dich ein, komm lass uns ein ruhiges Plätzchen suchen.<br />
Meryem Da neben dem Beet mit den lila Tulpen ist ein<br />
Kiosk. Da können wir uns etwas kaufen.<br />
anna Ich möchte mich lieber in das Restaurant setzen.<br />
Da ist es gemütlicher. Ich habe Appetit auf Kaffee und ein<br />
großes Stück Kuchen. Super, hier gibt es Marzipantorte<br />
und Aprikosenkuchen. Schau mal, hier können wir auch<br />
Schach spielen.<br />
Meryem Zuerst möchte ich etwas essen. Lass uns dort<br />
in die Ecke auf das karminrote Sofa setzen an den Tisch<br />
mit dem Jasminstrauß. Wie die Blüten duften. Ich esse ein<br />
Dönerkebab und dazu Auberginen mit Joghurt. Möchtest<br />
du Milch und Zucker für deinen Kaffee? Ich trinke lieber<br />
eine Limonade.<br />
anna Hör mal, da spielt eine kleine Band: Gitarre und<br />
Tamburin. Aber was ist denn das neben der Gitarre für<br />
ein Instrument mit dem langen Hals?<br />
Meryem Na, da spiele ich mal den Dolmetscher. Auf<br />
Türkisch nennt man das Instrument saz. Das ist eine<br />
Langhalslaute.<br />
anna So, jetzt lass uns noch eine Runde Schach spielen.<br />
Pass auf, beinahe hättest du meine Tasse umgestoßen.<br />
Meryem Das Schach spielen müssen wir verschieben,<br />
ich muss mit meinem Auto noch zur Tankstelle, mein<br />
Benzin ist alle.<br />
anna O.k., ich werde jetzt mit meiner Scheckkarte zahlen.<br />
AUfgABEN<br />
1 I In dem Text findest du 25 Wörter mit arabischen und türkischen Wurzeln. Unterstreiche sie. Du kannst anschließend<br />
dein Ergebnis mit der Wörterliste „Zoobesuch – Wörter aus dem Arabischen und Türkischen“ vergleichen.<br />
2 I Auf welchem Weg sind die Wörter in die deutsche Sprache gekommen? Lies dazu die Texte der eingewanderten<br />
Wörter “Von Algebra bis Zucker“ und recherchiere im Internet.
A2<br />
wöRTER AUS DEM ARABISCHEN<br />
UND TüRkISCHEN<br />
1 I Papagei 14 I Dönerkebab<br />
2 I Giraffe 15 I Aubergine<br />
3 I Gazelle 16 I Joghurt<br />
4 I lila 17 I Zucker<br />
5 I Tulpe 18 I Limonade<br />
6 I Kiosk 19 I Gitarre<br />
7 I Kaffee 20 I Tamburin<br />
8 I Marzipan 21 I Dolmetscher<br />
9 I Aprikose 22 I Laute<br />
10 I Schach 23 I Tasse<br />
11 I karmin 24 I Benzin<br />
12 I Sofa 25 I Scheck<br />
13 I Jasmin<br />
Die grün markierten Wörter sind arabischen, die türkis markierten Wörter türkischen Ursprungs.
A3<br />
Soda<br />
Gazelle<br />
Orange<br />
Algebra<br />
Schach<br />
Natron<br />
Limonade<br />
Marzipan<br />
„Wörter mit<br />
Migrationshintergrund“ 1<br />
Viele deutsche Wörter arabischen und türkischen Ursprungs haben eine lange und abenteuerliche Geschichte<br />
hinter sich. Sie stammen von weither, gelangten durch die Jahrhunderte von einem Land ins andere, hinterließen<br />
ihre Spuren und nahmen eine andere Gestalt an - sie wurden sozusagen „sesshaft“.<br />
Der Einfluss der arabischen und türkischen Kultur in der deutschen Sprache wird z.B. in folgenden Wörtern deutlich:<br />
Artischocke, Balsam, Dönerkebab, Diwan, Natron, Laute, Mumie, Limette, Matratze, Marzipan, Ziffer,<br />
Basar, Mokka, Aprikose, Papagei, Zucker, Magazin, Karaffe, Sirup, Kiosk, Rhabarber, Limonade, Joghurt,<br />
Schach, Orange, Kampfer, Algebra, Falafel, Gazelle, Baldachin, Spinat, Sofa, Aubergine, Alkohol, Scheck,<br />
Kandis, Pflaster, Arsenal, Sorbet, Berberitze, Alchemie, Tamburin, Teppich, Tulpe, Elixier, Tarif, Sultanine,<br />
Marabu, Soda, Kaffee, Giraffe, Gitarre, Tasse, Dolmetscher, Jasmin, Algorithmus<br />
Aufgaben<br />
1 I Schlage die Wörter, die du nicht kennst, im Lexikon nach und erkläre, was sie bedeuten.<br />
2 I Stelle fest, welchen Bereichen des Lebens diese Wörter entstammen und ordne sie in die<br />
entsprechende Spalte der Tabelle ein.<br />
3 I In welchen Bereichen finden sich besonders viele Wörter aus dem Arabischen und Türkischen?<br />
1 Zitat - Jutta Limbach, Präsidentin des Goethe-Instituts
Medizin,<br />
Chemie<br />
Lebens- und<br />
Genussmittel,<br />
Speisen<br />
Obst,<br />
Gemüse<br />
Mathematik<br />
Zoologie,<br />
Botanik<br />
Handel, Wirtschaft,<br />
Politik<br />
Kunst,<br />
Spiel<br />
Einrichtungs-und<br />
Gebrauchsgegenstände
A5<br />
„Von Algebra bis Zucker“ 1<br />
Algebra - Aprikose - Benzin - Dolmetscher - Gazelle<br />
Kaviar - Kiosk - Laute - Limonade - Magazin - Matratze<br />
Mumie - Schach - Sofa - Spinat - Zucker<br />
Suche aus der folgenden Liste vier Wörter aus, lies die Texte dazu und berichte!<br />
1 I Woher stammen die Wörter und wie lautet ihre ursprüngliche Form?<br />
2 I Was haben die Wörter früher einmal bedeutet?<br />
3 I Haben sie ihre Bedeutung im Lauf der Zeit verändert? Was bedeuten sie heute?<br />
4 I Auf welchem Weg sind die Wörter in die deutsche Sprache gekommen?<br />
5 I Suche die Länder, die in den Texten genannt werden, im Kartenmaterial und zeige den Weg,<br />
den die Wörter genommen haben.<br />
1 So nennt Andreas Unger sein Buch über die arabischen Wörter im Deutschen.<br />
18
A6 I Von Algebra bis Zucker<br />
Algebra<br />
Algebra ist ein Teilgebiet der Mathematik, das u.a. die Lehre von den mathematischen Gleichungen behandelt. Das deutsche<br />
Wort Algebra ist arabischen Ursprungs: Al-ğabr bedeutete in der medizinischen Fachsprache so viel wie „Brüche<br />
heilen“ oder „Knochen wieder einrenken“. Der persisch-arabische Mathematiker al-Khwarizmi übertrug im 9. Jahrhundert<br />
in seinem Buch Al-Kitāb al-muḫtaṣar fī ḥisāb al-ğabr wa-ʾl-muqābala (Abriss der mathematischen Operationen<br />
„Einrenken“ und „Gegenüberstellen“) die Bedeutung von der medizinischen auf die mathematische Praxis. Aus „al-ǧabr“<br />
wurde Algebra. Im 12. Jahrhundert wurden in Spanien arabische wissenschaftliche Schriften ins Lateinische übersetzt,<br />
darunter war auch das Werk von al-Chwarizmi. 1202 wird die „Gleichheitslehre“ über das praktische Rechnen mit den<br />
indisch-arabischen Zahlen von dem Italiener Leonardo von Pisa elgebre et elmuchable genannt. Sein Landsmann, der<br />
Mathematiker Raffaelo Canacci, bezeichnete den Teilbereich der Mathematik dann im 14. Jahrhundert als algebra. Diese<br />
Bezeichnung setzte sich auch im deutschsprachigen Raum durch.<br />
Aprikose<br />
Die Aprikose stammt ursprünglich aus China und verbreitete sich bis an das östliche Mittelmeer. Nach der Eroberung<br />
dieses Gebiets durch die Römer wurde die Aprikose im Römischen Reich eingeführt und nach ihrem vermeintlichen<br />
Herkunftsland Armenien „armenischer Apfel“ Malum Armeniacum genannt. Von Italien führte der Weg der Aprikose<br />
wieder zurück in Richtung Osten, wo sie als barquqaya in Syrien auftauchte. Als die Araber im 7. Jahrhundert dieses Gebiet<br />
eroberten, lernten sie die Aprikose kennen und kultivierten sie. In Marokko soll es um 1400 sechzehn verschiedene Sorten<br />
gegeben haben. Aus Kochbüchern sind diverse Verwendungen der Aprikose überliefert, z.B. als Zutat zu Fleischgerichten,<br />
in Süßspeisen oder als Grundlage für Erfrischungsgetränke. Von der spanischen Halbinsel gelangte die Aprikose nach<br />
Frankreich, wo sich die Bezeichnung abricot durchsetzte. 1644 wurde die Aprikose im Norden Deutschlands eingeführt,<br />
wo die Früchte Apricosen bzw. Apricos genannt wurden. Unter der Bezeichnung Aprikose wurden die Früchte bald im<br />
gesamten deutschen Sprachraum angebaut.<br />
Benzin<br />
Benzin stammt von dem arabischen Wort lubān Ğāwī (Weihrauch aus Java) ab. Im Altertum wurde Weihrauch im<br />
Rahmen religiöser Rituale verbrannt und war seit Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. ein begehrtes Handelsobjekt. Entlang<br />
der sogenannten Weihrauchstraße wurde Weihrauch mit Kamelkarawanen bis ans Mittelmeer gebracht. So gelangte<br />
Weihrauch auch nach Westeuropa. Im Katalanischen wird im 15. Jahrhundert das Wort benjuí für Weihrauch benutzt. Es<br />
ist wahrscheinlich entstanden, weil man in der ersten Silbe des arabischen lubān Ğāwī den Artikel zu sehen glaubte und<br />
ihn abtrennte. Über die Handelswege gelangte das Wort nach Frankreich und Italien, wo es ab Ende des 15. Jahrhunderts<br />
in Formen wie benjui, belgoini oder belzoino auftaucht. Aus einer dieser Wortformen wurden die wissenschaftlichen<br />
Bezeichnungen Benzoe, Benzoin abgeleitet. Als im 19. Jahrhundert der Chemiker Eilhard Mitscherlich aus dem Benzoeharz<br />
(Weihrauch) einen Stoff gewann, nannte er ihn Benzin. Später wurde er in Benzol umbenannt. Die Bezeichnung<br />
Benzin wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf eine Substanz übertragen, die aus Erdöl gewonnen und u.a.<br />
als Treibstoff für Kraftfahrzeuge gebraucht wird.<br />
19
A7 I Von Algebra bis Zucker<br />
Dolmetscher<br />
Seinen Ursprung hat das Wort wahrscheinlich im 2. Jahrtausend v. Chr. in der kleinasiatischen Mitanni-Sprache: talami<br />
heißt Übersetzer/Dolmetscher. Von dort ist das Wort in das Türkische übernommen worden. Tilmaç (til=Zunge/Sprache)<br />
bezeichnete einen „Mittelsmann“, der die Verständigung zweier Parteien ermöglicht, die verschiedene Sprachen sprechen.<br />
In der Zeit der Kreuzzüge (zwischen 1095 und dem 13. Jahrhundert) und der Kriege zwischen dem Osmanischen Reich<br />
und dem christlich geprägten Europa (nach 1453) erhielten Dolmetscher in den Verhandlungen zwischen den Parteien<br />
eine wachsende Bedeutung. Aber auch Händler und christliche Pilger brauchten Dolmetscher und Vermittler auf ihrem<br />
Weg in eine für sie nicht nur sprachlich fremde Welt. Tilmaç wurde in leicht veränderter Form in das Ungarische und in<br />
slawische Sprachen wie das Serbische, Kroatische, Bosnische, Polnische und Russische übernommen. Über das Ungarische<br />
tolmács gelangte das Wort im 13. Jahrhundert in das Mittelhochdeutsche als tolmetsche, tumetsche und veränderte<br />
sich schließlich zu Dolmetscher.<br />
Gazelle<br />
Gazelle geht auf das arabische Wort gazāla zurück. Die Gazelle wurde als Wildtier in arabischen Ländern Vorderasiens<br />
gejagt und ihr Fleisch verzehrt. Die Gazellenjagd zu Pferde mit Hunden, abgerichteten Geparden und Raubvögeln war<br />
ein beliebter Zeitvertreib der Reichen in vorislamischer Zeit. In Westeuropa wurde die Gazelle durch die Kreuzfahrer und<br />
die Pilger nach Jerusalem bekannt. Anfang des 12. Jahrhunderts wird in einem Bericht über einen Kreuzzug von einem<br />
„Pferd“ geschrieben, das die Araber gazela nennen. In der auf den Kreuzzügen bevorzugten altfranzösischen Sprache wird<br />
von der gacele und gazel berichtet. Aus den italienischen Formen gacello (Ende des 14. Jahrhunderts) und gazzella<br />
(Ende des 15. Jahrhunderts) abgeleitet, taucht Ende des 15. Jahrhunderts im Deutschen die Bezeichnung gazella auf.<br />
In einem Lexikon von 1735 wird die Gazella als ägyptische wilde Ziege mit Haaren und einem Schwanz wie das Kamel,<br />
beschrieben. Wahrscheinlich kannte der Autor die Gazelle nur aus den Reiseberichten. Ab Ende des 18. Jahrhunderts<br />
setzt sich in Deutschland die heutige Wortform Gazelle durch.<br />
Kaviar<br />
Als Kaviar werden die gesäuberten und gesalzenen Rogen (Fischeier) verschiedener Störarten bezeichnet. Störe sind Meeresfische,<br />
deren Weibchen den berühmten Kaviar, eine Delikatesse, liefern. Für die Herkunft des Wortes gibt es Vermutungen:<br />
• Eine iranische Volksgruppe, die am Kaspischen Meer lebte, bezeichnete die Störeier als Cahv-Jar. Übersetzt bedeutet<br />
das so viel wie „Kuchen des Vergnügens“.<br />
• Kaviar hat sich aus dem persischen Wort Khag-viar entwickelt und bedeutet übersetzt „schwarzes kleines Fischei“.<br />
Über Italien, wo der Fischrogen während der Fastenzeit häufig gegessen wurde, kam die italienische Bezeichnung caviale<br />
leicht verändert in viele europäische Sprachen, z.B. caviar (engl.), caviare (franz.). Die Italiener wiederum hatten die<br />
Bezeichnung aus dem Türkischen hâwyâr für den Fischrogen übernommen. Sie bezogen die Delikatesse ungefähr seit<br />
dem 11., 12. Jahrhundert über den Mittelmeerhandel aus dem Kaspischen Meer und dem Schwarzen Meer. Die Deutschen<br />
übernahmen das Wort Mitte des 15. Jahrhunderts mit dem „C“, haben es aber seit dem 19. Jahrhundert mit „K“ in ihren<br />
Wortschatz integriert.<br />
20
A8 I Von Algebra bis Zucker<br />
Kiosk<br />
Das Wort Kiosk stammt ursprünglich aus dem Persischen (koschk) und wurde ins Türkische als köşk übernommen.<br />
Köşk bedeutete ursprünglich Ecke oder Winkel, bezeichnete aber auch einen nach mehreren Seiten geöffneten Pavillon<br />
in Park- und Palastanlagen. Im Türkischen blieben beide Bedeutungen erhalten, weshalb auch z.B. die Erker an Palästen<br />
als köşk bezeichnet werden. Die Pavillons waren wichtige Elemente der osmanischen Gartenarchitektur. Im westlichen<br />
Europa entwickelten die Herrscher im 18. Jahrhundert eine große Vorliebe für die asiatische und orientalische Architektur.<br />
Der Pavillon bekam eine wachsende Bedeutung als Teil der Parkanlage von Schlössern - meist frei auf Säulen stehend und<br />
seitlich mit Gitterwerk verschlossen. Anfang des 18. Jahrhunderts wurde das Wort köşk ins Französische übertragen und<br />
zu kiosque. Von dort wurde es in andere europäische Sprachen und auch ins Deutsche übernommen. Im allgemeinen<br />
Sprachgebrauch ist der Kiosk im Deutschen seit dem 19. Jahrhundert ein kleiner Verkaufsstand, an dem Tabakwaren,<br />
Süßigkeiten, Getränke, Zeitungen usw. verkauft werden.<br />
Laute<br />
Die Laute ist eines der ältesten Musikinstrumente. Vermutlich wurden die Vorläuferinstrumente bereits vor viertausend<br />
Jahren von verschiedenen asiatischen Völkern gespielt. Es ist überliefert, dass die Laute am Hofe des Kalifen der Abbasiden<br />
Harun al-Raschid, (Regierungszeit 786-809 n.Chr.) gespielt wurde. Die Bezeichnung für das Instrument al-‘ūd (ūd=Holz) ist<br />
seit dem 10. Jahrhundert nachgewiesen. Typisch waren für das Instrument die vier Saiten und der abgeknickte kurze Hals.<br />
Später wird die Zahl der Saiten erhöht. Im Jahr 822 gelangte ein Musiker aus Bagdad an den Hof des Emirs von Cordoba<br />
in Spanien und führte dort die Laute ein. Um 1330 wird in einem Buch geschildert, wie die Menschen mit verschiedenen<br />
Instrumenten, darunter eine laud, den Frühling begrüßten. Das „l“ des arabischen Artikels und‘ūd waren zusammengezogen<br />
worden und der Name laud war entstanden. Ende des 13. Jahrhunderts tauchte dann das Instrument mit dem Namen<br />
laut im nördlichen Frankreich und in Italien auf. Die Laute wurde zum beliebtesten Instrument der adligen Gesellschaft<br />
und als Königin der Musikinstrumente bezeichnet. Ab dem 15. Jahrhundert wird die Laute im deutschsprachigen Raum<br />
als lute, luthe, lawt häufig erwähnt.<br />
Limonade<br />
Ab dem 7. Jahrhundert drangen die muslimischen Araber bis nach Persien vor und lernten die Zitrone unter der Bezeichnung<br />
līmūn, laimūn kennen. Zusammen mit anderen Früchten führten sie die Zitrone in die von ihnen eroberten Gebiete,<br />
z.B. auch in Spanien, ein. Die Europäer lernten die Zitrone über die Kreuzzüge und Pilgerfahrten als Beilage zum Essen und<br />
den Zitronensaft als Getränk schätzen. Der Zitronenbaum als Träger der erfrischenden Frucht wurde in Südeuropa zunehmend<br />
beliebt. Aus dem arabischen Namen līmūn entstand im 14. Jahrhundert im Französischen und Deutschen limon.<br />
Diese Form wurde aber im Lauf der Zeit durch das französische Wort citron bzw. das deutsche Wort Zitrone verdrängt.<br />
Vermutlich nach dem Vorbild der Araber stellten die Europäer auch ein Getränk aus Zitronenwasser und Zucker her. Im<br />
Arabischen hieß es mā´al-limūn (Zitronenwasser), im Italienischen wurde es limonata, im Spanischen limonada und in<br />
Frankreich limonade genannt. Ende des 17. Jahrhunderts war die Limonade in Frankreich als Erfrischungsgetränk groß<br />
in Mode. In Deutschland übernahm man die Limonade und ihre Bezeichnung aus dem Französischen.<br />
21
A9 I Von Algebra bis Zucker<br />
Magazin<br />
Magazin geht auf das arabische Wort maḫzan zurück. Die Araber benutzten das Wort, um einen Ort zu beschreiben, wo<br />
etwas gespeichert, angehäuft und bewahrt wird. Als Verkaufsraum, Lagerraum wurde maḫzan dann zum Bestanteil des<br />
Marktes im arabischen Raum. Vermutlich durch den Mittelmeerhandel gelangte das Wort nach Europa, wo magazinus<br />
1214 zum ersten Mal schriftlich erwähnt wurde. Aus dem Italienischen übernommen, tauchte das Wort 1558 auch im<br />
Deutschen auf und erhielt in den folgenden Jahren eine vielfältige Bedeutung:<br />
• Ab Mitte des 17. Jahrhunderts benutzte man das Magazin im militärischen Bereich u.a. für die Unterbringung von<br />
Proviant, Waffen und militärischen Ausrüstungsgegenständen.<br />
• Aus dem Französischen magasin wurde Ende des 18. Jahrhunderts die Bedeutung von Magazin als Laden zum<br />
Verkauf entlehnt.<br />
• Aus dem Englischen dagegen stammt die Bedeutung für Magazin als Sammelstelle für Texte und später, Mitte des<br />
20. Jahrhunderts, von Beiträgen für den Rundfunk und das Fernsehen.<br />
• Nach französischem Vorbild wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts das Lager für die Kugeln eines Gewehrs als<br />
Magazin bezeichnet.<br />
Matratze<br />
Das Wort, das wir für unsere Schlafunterlagen verwenden, stammt aus dem Arabischen. Maṭraḥ nannte man den Ort,<br />
wohin etwas geworfen wird. In den Beduinenzelten, aber auch in den Stadtwohnungen, bestand die Wohnungseinrichtung<br />
der arabischen Bevölkerung vor allem aus Teppichen, Kissen und Polstern, die dorthin „geworfen“ wurden, wohin<br />
man sich setzen oder legen wollte. Im islamischen Spanien des 8.-15. Jahrhunderts lernten die Europäer die arabische<br />
Wohnkultur schätzen und übernahmen auch Bezeichnungen für Einrichtungsgegenstände; aus maṭraḥ wurde almatrazt.<br />
Matratzen waren im 12. Und 13. Jahrhundert über den Warenaustausch auch zum Hof von Friedrich II. in Sizilien gelangt<br />
und verbreiteten sich als Luxusgüter weiter über Europa. Im Italienischen hatte sich u.a. das Wort materazo eingebürgert,<br />
woraus mit großer Wahrscheinlichkeit dann die deutsche Form Matratze entstanden ist.<br />
Mumie<br />
Mumie geht auf das arabische Wort mūmiyā zurück, das eine zähe schwärzliche Masse oder Flüssigkeit bezeichnet. Über<br />
mūmiyā, das in der arabisch-islamischen Medizin ein geschätztes und teures Heilmittel war, insbesondere bei Knochenbrüchen<br />
und Quetschungen, berichtete schon im 9. Jahrhundert der persische Mediziner at-Tabarī. Bei dem Stoff handelte<br />
es sich offenbar um eine Art Asphalt bzw. Bitumen, das aus der Erde, vergleichbar einer Ölquelle, austrat und gewonnen<br />
wurde. In Europa tauchte mumia erstmals Anfang des 14. Jahrhunderts im Umkreis der Medizinschule von Salerno in<br />
Italien auf, wo das medizinische Wissen der Araber gelehrt wurde. Hier wurde für mumia eine neue Definition verwendet<br />
und eine Substanz bezeichnet, die man auf der Suche nach Schätzen in den ägyptischen Gräbern, in den konservierten<br />
Leichen, gefunden hatte. Diese Substanz ähnelte der zähen schwärzlichen Masse mūmiyā und wurde als „Gräbermumie“<br />
oder „Mumienharz“ bezeichnet. Man schrieb ihr ähnliche medizinische Wirkungen zu. Es wird angenommen, dass es sich<br />
dabei um eine Substanz handelte, die sich aus den Konservierungsstoffen (Harze und Öle) entwickelt hatte, mit denen<br />
man die Leichen vor dem Verfall bewahren wollte. In seiner modernen Bedeutung „eingetrocknete Leiche“ wird das Wort<br />
seit dem 14. Jahrhundert in Europa verwendet.<br />
22
A10 I Von Algebra bis Zucker<br />
Schach<br />
Der Ursprung des Schachspiels wird in Indien vermutet. Um das Jahr 600 n. Chr. wurde das Spiel mit dem altindischen Wort<br />
für Herrscher von den Persern übernommen und mit dem persischen Namen für Herrscher šāh übersetzt. Vor diesem<br />
Hintergrund spricht man auch von dem königlichen Spiel. Als die Araber Mitte des 7. Jahrhunderts Persien eroberten,<br />
übernahmen sie das Spiel unter der Bezeichnung šaţranğ. Es zu beherrschen war ein Zeichen der feinen höfischen Lebensart.<br />
Aus den islamischen Gebieten gelangte das Spiel über das muslimische Spanien nach Westeuropa. Es wurde bald<br />
zum Bestandteil des Lebens an den Höfen der Herrschenden. Im Deutschen taucht das Wort zum ersten Mal um 1170 auf,<br />
wenn in einem Text das schachzable (Schachbrett) erwähnt wird. Das Wort Schach scheint über das Französische und<br />
Niederländische in die deutsche Sprache gelangt zu sein. Die große Bedeutung, die das Spiel für die Ritter und für das<br />
höfische Leben hatte, kann man daran ermessen, dass das Wort etwa ab 1200 häufig in der Literatur auftaucht.<br />
Sofa<br />
Ṣuffa wurde der überdachte zentrale Teil der ersten Moschee genannt, die vom Propheten Mohammed und seinen Anhängern<br />
622 in Medina gebaut worden war. In den folgenden Jahrhunderten bezeichnete das Wort auch den Sitzteil des<br />
Sattels, einen steinernen Vorsprung und eine Steinbank. Schließlich ist mit ṣuffa im 11. Jahrhundert ein Podium gemeint,<br />
auf das ein Sultan seinen Thron stellen ließ. Diese Tradition wurde von den osmanischen Herrschern übernommen. Aus<br />
Reiseberichten ist seit dem 16. Jahrhundert zu entnehmen, dass sofa (türkisch) den erhöhten und reich geschmückten<br />
Platz bezeichnete, auf dem der Sultan und andere Autoritätspersonen ihre Gäste empfingen und Amtsgeschäfte erledigten.<br />
Der osmanische Komfort beeindruckte auch die Westeuropäer. Im 17. Jahrhundert wurde das Wort für die Bezeichnung<br />
eines speziellen Möbelstücks in den europäischen Sprachgebrauch übernommen. Sopha bezeichnete im Französischen<br />
ein Möbel zum Sitzen oder Liegen. Das neue gepolsterte Möbel wurde insbesondere in Adels- und später Bürgerkreisen<br />
beliebt und zum Zentrum des Salons. Aus dem Französischen gelangte das Wort Sofa in den deutschen Wortschatz.<br />
Spinat<br />
Als die Araber im 7. Jahrhundert Persien eroberten, lernten sie die Pflanze kennen und übernahmen ihren Namen ins<br />
Arabische. Der persische Arzt al-Tabarī erwähnte Spinat isfānāğ in seinen Schriften im 9. Jahrhundert. Ende des 10.<br />
Jahrhunderts ist isfānāh bereits im islamischen Spanien bekannt und wird wegen seiner positiven Wirkungen auf den<br />
menschlichen Körper geschätzt. Im Lauf der Zeit gewinnt der Spinat als Nahrungsmittel wachsende Bedeutung und ist bis<br />
heute in islamisch geprägten Ländern ein wichtiges Gemüse. Nach Europa kam die Pflanze und ihr Name wahrscheinlich<br />
über den Mittelmeerhandel. In einem italienischen Lehrbuch aus dem 11. Jahrhundert wird von einem Mediziner über<br />
die Bekömmlichkeit von spinachia berichtet. Im Mittelhochdeutschen taucht im 13. Jahrhundert spinât und im Altfranzösischen<br />
espinace auf. In seinem „New Kreuterbuch“ schreibt der pflanzenkundige Mediziner Leonhart Fuchs 1543<br />
„Spinat oder Spenet würdt auch Bynetsch genent … Auff Arabisch Hisbanach…“ und beschreibt anschließend einige<br />
Wirkungen der Spinatpflanze. Im 20. Jahrhundert nahm der Verzehr von Spinat deutlich zu, da man ihm fälschlicherweise<br />
einen hohen Eisengehalt zugeschrieben hatte. Eisen ist für die Blutbildung wichtig.<br />
Zucker<br />
Zuckerkristalle aus Zuckerrohr wurden wahrscheinlich schon um 300 n. Chr. in Indien gewonnen und śarkarā genannt.<br />
Um 600 beherrschten auch die Perser die Technik der Zuckerherstellung. Durch sie lernten die muslimischen Araber<br />
wenige Jahrzehnte später den Zucker kennen und nannten ihn aus dem Indischen abgeleitet sukkar. Durch die Araber<br />
wurde der Anbau von Zuckerrohr in den von ihnen eroberten Gebieten rund um das Mittelmeer bereits im 8. Jahrhundert<br />
eingeführt. Die Europäer kamen mit dem Zucker im muslimischen Spanien und in Sizilien, auf den Kreuzzügen und durch<br />
den Mittelmeerhandel in Berührung. 1205 taucht zucker in der deutschsprachigen Dichtung auf, wahrscheinlich vom<br />
italienischen zucchero abgeleitet. Nach arabischem Vorbild verbreitete sich in den wohlhabenden europäischen Häusern<br />
der Gebrauch des Zuckers in der Küche und bei der Herstellung süßer Getränke. Ende des 18. Jahrhunderts begann man<br />
in der Nähe von Berlin Zuckerrüben anzubauen, aus denen der Rübenzucker gewonnen wurde. Dies führte dazu, dass<br />
der Zucker billiger wurde und auch vermehrt von den ärmeren Schichten konsumiert werden konnte.<br />
23
A11<br />
Neue Wörter wandern ein<br />
“Wie der Döner über die Deutschen kam – aufgespießt“.<br />
Mit diesem Titel geht der Schriftsteller und Journalist<br />
Eberhard Seidel in seinem 1996 veröffentlichten<br />
Buch der Frage nach, wie es kam, dass der Döner<br />
deutsches Nationalgericht und zu einer Erfolgsgeschichte<br />
wurde. Auch die Pop-Musik entdeckte Anfang der achtziger<br />
Jahre den Döner, wie es in dem Pop-Klassiker der<br />
Düsseldorfer Band Fehlfarben „Kebab-Träume in der<br />
Mauerstadt“ zum Ausdruck kam.<br />
Döner oder auch Kebab sind die Kurzformen für Dönerkebab<br />
und bezeichnen das an einem Drehspieß gebratene<br />
gewürzte Fleisch. Ursprünglich wurde Lamm- und<br />
Hammelfleisch verwendet, inzwischen wird Dönerkebab<br />
auch aus Rinder- und Geflügelfleisch hergestellt. Das Wort<br />
Dönerkebab stammt aus dem Türkischen (döner - sich<br />
drehend, kebap - Röstfleisch). Das türkische Wort kebap<br />
hat arabische Wurzeln (kabāb). Der Dönerkebab ist eine<br />
vergleichsweise junge Erfindung und tauchte vor ungefähr<br />
200-300 Jahre in der osmanischen Küche auf. Dönerkebab<br />
wurde in Deutschland von den türkischen Arbeitsmigranten<br />
eingeführt, die nach dem Anwerbeabkommen<br />
ab 1961 nach Deutschland kamen. Anfang der siebziger<br />
Jahre lebten bereits 40.000 Türken und Türkinnen in Berlin.<br />
Wann der erste Döner-Imbiss in Deutschland eröffnete,<br />
ist ungewiss. Es soll Anfang der 1970er Jahre in Berlin-<br />
Kreuzberg gewesen sein. „Den ersten Döner-Spieß in Berlin?<br />
Den gab es Ende der sechziger Jahre als Tellergericht im<br />
vornehmen Restaurant Istanbul in Charlottenburg“, behauptet<br />
dagegen Ahmet Yeter, Betreiber eines Lokals in<br />
Kreuzberg. Zunächst in Berlin, später in ganz Deutschland,<br />
wurde Dönerkebab zu einem beliebten Imbissgericht und<br />
der Name steht als neues eingewandertes Wort im Duden.<br />
Mein erster Döner<br />
„Ich weiß noch, wie plötzlich an der Ecke ein<br />
Dönerimbiss stand und der verlockende Geruch<br />
des gebratenen Fleischs in meine Nase drang. Ein<br />
kulinarisches Experiment, natürlich mit viel Soße<br />
und Knoblauch. Ich biss mit Lust hinein und die<br />
weiße Joghurtsoße schwappte auf meinen neuen<br />
schwarzen Pullover. Der Tag war gelaufen, aber<br />
meine Liebe zum Döner ist geblieben.“<br />
Marita Lange<br />
1 I Kannst du dich erinnern, wann und wo du deinen ersten Dönerkebab gegessen hast?<br />
2 I Zu welchen Gelegenheiten isst du heute Dönerkebab?<br />
3 I Frage deine Eltern und Großeltern nach ihren Erinnerungen an den Einzug des Dönerkebabs<br />
in Berlin. Was wissen sie über die ersten Döner-Imbisse?<br />
24
Vorschlag für die Gestaltung des Unterrichts:<br />
Arbeiten mit der Methode<br />
„Expertenrunde“<br />
Um die Auseinandersetzung mit dem Thema möglichst<br />
effektiv und motivierend zu gestalten, werden<br />
Methoden des selbst organisierten und kooperativen<br />
Lernens eingesetzt. Kooperatives Lernen steht für<br />
ein Lernkonzept, das darauf abzielt, in koordinierter und<br />
konstruktiver Gruppen- und Partnerarbeit gemeinsam<br />
Antworten auf eine Fragestellung zu finden.<br />
Die Methode Expertenrunde dient dem Austausch und<br />
der Vermittlung von Ergebnissen der Gruppenarbeit. Alle<br />
Schülerinnen und Schüler sind an der Weitergabe und dem<br />
Austausch von Gruppenergebnissen beteiligt und nicht nur<br />
Einzelne, wie das bei dem klassischen Vortrag der Fall ist.<br />
Wie kaum eine andere Unterrichtsmethode ist der Einsatz<br />
der Expertenrunde geeignet, das Selbstvertrauen der Lernenden<br />
zu stärken und ein Zusammengehörigkeitsgefühl<br />
in der Gruppe zu entwickeln, weil alle Teilnehmer, auch<br />
die Leistungsschwachen, einen wichtigen Beitrag zum<br />
gemeinschaftlichen Erfolg leisten können.<br />
1 I Einführung<br />
Vorab ist es sinnvoll, die Methode zu erläutern, insbesondere<br />
wenn sie das erste Mal praktiziert wird (siehe Abb.1). Dauer,<br />
Ziel, Sinn und organisatorischer Ablauf sind zu klären. Visualisierungen<br />
der Methode z.B. mithilfe von Wandtafel, Flipchart<br />
können helfen, das Vorgehen genauer zu strukturieren und<br />
die Aufgabenstellung besser zu erfassen.<br />
Die übergeordnete Fragestellung lautet: Welchen Weg<br />
haben die Wörter aus dem Arabischen und Türkischen in<br />
die deutsche Sprache genommen? Haben sie eine Bedeutungsveränderung<br />
erfahren? Auf die einzelnen Wörter<br />
„Giraffe“ - „Kaffee“ – „Tulpe“ – „Joghurt“ – „Gitarre“ – „Tasse“<br />
bezogen wird die allgemeine Fragestellung differenziert.<br />
25
1 I Organisation der Stammgruppen<br />
Die Stammgruppen (Kerngruppen), bestehen aus so vielen<br />
Personen, wie Teilthemen (Wörter) angeboten werden.<br />
Alle werden in der Stammgruppe repräsentiert.<br />
2 I Selbststudium<br />
Jede Schülerin/jeder Schüler setzt sich in Stillarbeit mit<br />
ihrem/seinem Schwerpunktthema anhand der Fragen<br />
zum Text- und Bildmaterial auseinander und macht sich<br />
Notizen. Die Inhalte werden weitgehend selbstständig<br />
erarbeitet, wobei die Lehrkraft/die Workshopleitung bei<br />
Verständnisfragen im Hintergrund zur Verfügung steht.<br />
3 I Expertengruppe<br />
Die Schüer_innen finden sich in homogenen Gruppen<br />
zusammen, d.h. alle Schüler_innen, die dasselbe Teilthema<br />
bearbeitet haben, bilden eine Expertengruppe. Die Expertengruppen<br />
arbeiten am gewählten Teilthema, indem<br />
ihre Teilnehmer_innen die im Selbststudium erworbenen<br />
Kenntnisse einbringen, auf mögliche Fragen eingehen, die<br />
Ergebnisse zusammenfassen und für die bessere Vermittlung<br />
in der Stammgruppe visualisieren (Poster/Plakat).<br />
4 I Stammgruppen<br />
Die Schülerinnen und Schüler treffen sich wieder in ihren<br />
heterogenen Stammgruppen. In jeder Gruppe ist jetzt für<br />
jedes Teilthema ein Experte vertreten. Die Expert_innen<br />
wissen, dass sie für ihr jeweiliges Teilthema verantwortlich<br />
sind und es so gut vermitteln müssen, dass alle Gruppenmitglieder<br />
die Fragen beantworten können. Die jeweiligen<br />
Experten stellen anhand ihrer Plakate den anderen Gruppenmitgliedern<br />
die Ergebnisse ihrer Arbeit vor.<br />
5 I Plenum<br />
Im Plenum werden die Erfahrungen mit der Methode<br />
angesprochen und entstandene Fragen diskutiert bzw.<br />
geklärt. Die übergeordnete Fragestellung wird beantwortet,<br />
indem die Ergebnisse der Gruppenarbeit zusammengefasst<br />
werden.<br />
6 I Partnerquiz<br />
Das erworbene Wissen wird abschließend mit einem<br />
Partnerquiz spielerisch überprüft. Jedes Team erhält ein<br />
Kuvert und ein Arbeitsblatt mit den Fragen und den Antworten.<br />
Die Abschnitte mit den Fragen/Antworten werden<br />
auseinander geschnitten und ungeordnet in das Kuvert<br />
gesteckt. In jedem Team gibt es einen Frager und einen<br />
Antworter, die sich abwechseln.<br />
26
Abb.1 I Beispiel für vier Stammgruppen mit jeweils 6 Teilnehmer_innen<br />
1 I Verteilung der Teilthemen in der Stammgruppe und Einzelarbeit<br />
Stammgruppe 1<br />
Stammgruppe 2<br />
Stammgruppe 3<br />
Stammgruppe 4<br />
A B C<br />
D E F<br />
A B C<br />
D E F<br />
A B C<br />
D E F<br />
A B C<br />
D E F<br />
2 I Arbeit in der Expertengruppe<br />
Stammgruppe 1<br />
Stammgruppe 2<br />
Stammgruppe 3<br />
Stammgruppe 4<br />
A B C<br />
D E F<br />
A B C<br />
D E F<br />
A B C<br />
D E F<br />
A B C<br />
D E F<br />
Expertengr. 1<br />
Expertengr. 2<br />
Expertengr. 3<br />
Expertengr. 4<br />
Expertengr. 5<br />
Expertengr. 6<br />
A<br />
A<br />
A<br />
A<br />
B<br />
B<br />
B<br />
B<br />
C<br />
C<br />
C<br />
C<br />
D<br />
D<br />
D<br />
D<br />
E<br />
E<br />
E<br />
E<br />
F<br />
F<br />
F<br />
F<br />
3 I Vorstellen der Ergebnisse der Experten in der Stammgruppe<br />
Expertengr. 1<br />
Expertengr. 2<br />
Expertengr. 3<br />
Expertengr. 4<br />
Expertengr. 5<br />
Expertengr. 6<br />
A<br />
A<br />
A<br />
A<br />
B<br />
B<br />
B<br />
B<br />
C<br />
C<br />
C<br />
C<br />
D<br />
D<br />
D<br />
D<br />
E<br />
E<br />
E<br />
E<br />
F<br />
F<br />
F<br />
F<br />
Stammgruppe 1<br />
Stammgruppe 2<br />
Stammgruppe 3<br />
Stammgruppe 4<br />
A B C<br />
D E F<br />
A B C<br />
D E F<br />
A B C<br />
D E F<br />
A B C<br />
D E F<br />
27
A12<br />
Die Giraffe<br />
Das Wort Giraffe ist auch im Arabischen ein Fremdwort.<br />
Orientiert an der Herkunft des Tieres, könnte<br />
das Wort aus einer äthiopischen Sprache (zarat)<br />
stammen oder seinen Ursprung im alten Ägypten haben<br />
(zarafa), wie Abbildungen und eine Hieroglyphe bezeugen.<br />
Eine Giraffe wurde auch in einem Triumphzug von Julius<br />
Cäsar, einem mächtigen Herrscher in Rom (46 v. Chr.),<br />
mitgeführt. Sie wurde nach ihrem Aussehen (der Körper/<br />
Kopf ähnelt dem Körper/Kopf eines Kamels, das gefleckte<br />
Fell ähnelt dem Fell eines Panthers) camelopardalis (Kamelpanther)<br />
genannt.<br />
Die Giraffe wurde im islamischen Raum von dem Gelehrten<br />
al-Dschahiz (gestorben 868 n. Chr.) erwähnt, der in seinem<br />
„Tierbuch“ über zarafa schreibt.<br />
Im westlichen Europa kannte man die Giraffe und die<br />
Bezeichnung zarafa vor allem aus den Berichten der<br />
Kaufleute, der Kreuzfahrer und Pilger, die in Kontakt mit<br />
der islamischen Welt kamen. Ab Mitte des 13. Jahrhunderts<br />
wurde das Wort zarafa in unterschiedlichen Formen in<br />
europäische Sprachen aufgenommen. In Italien setzte<br />
sich durch die Verbreitung des Reiseberichts von Marco<br />
Polo das Wort giraffa durch. Daraus entwickelte sich dann<br />
das deutsche Wort Giraffe.<br />
Im 15. und 16. Jahrhundert hielten sich italienische Fürsten<br />
Giraffen neben anderen exotischen Tieren in ihren<br />
„Tierparks“. Danach gab es in Europa keine Giraffen mehr<br />
zu sehen und so taucht für das Tier in einem Lexikon von<br />
1733 wieder der alte Name aus der Antike „Camelopardel“<br />
auf. Der zoologische Name für die Giraffe lautet auch heute<br />
noch auf Lateinisch Giraffa camelopardalis.<br />
Erst 1826 gelangten wieder Giraffen nach Europa, als<br />
Staatsgeschenk des osmanischen Paschas und späteren<br />
ägyptischen Vizekönigs Muhammad Ali, an die Herrscher<br />
in Paris, London und Wien. Giraffe (englisch giraffe, französisch<br />
girafe, spanisch jirafa) wurde zur allgemein üblichen<br />
Bezeichnung in Europa.<br />
Fragen zum Text<br />
1 I Woher stammt vermutlich das Wort Giraffe?<br />
2 I Die Giraffe wurde in der Antike camelopardalis genannt. Warum?<br />
3 I 868 n. Chr. wurde das Wort zarafa, das unserem heutigen Wort Giraffe ähnelt, zum ersten Mal<br />
in einem Text erwähnt. Von wem?<br />
4 I Wie kam das Wort zarafa nach Europa?<br />
5 I 1733 tauchte der Name Camelopardel in einem Lexikon auf. Wie ist das zu erklären?<br />
6 I Wieso wurde das Wort „Giraffe“ im 19. Jahrhundert zur allgemein üblichen Bezeichnung?<br />
28
A 13<br />
Der Kaffee<br />
Es wird angenommen, dass die Region Kaffa im<br />
Südwesten Äthiopiens das Ursprungsgebiet des<br />
Kaffees ist. Über Händler kam er wahrscheinlich in<br />
die arabischen Länder. Die Kaffeepflanze hat sich im 15.<br />
Jahrhundert in dem südarabischen Land Jemen verbreitet.<br />
Aus ihren Samen wurde ein anregendes Getränk, qahwa<br />
genannt, hergestellt.<br />
Die Samen wurden geröstet, grob gemahlen oder zerstampft,<br />
mit Wasser und Zucker in einem Tonkrug aufgekocht<br />
und in kleinen Schalen serviert.<br />
Aus Jemen gelangte der Kaffee über Mekka (im heutigen<br />
Saudi-Arabien), Kairo (im heutigen Ägypten) und Damaskus<br />
(im heutigen Syrien) um 1554 nach Konstantinopel,<br />
der Hauptstadt des Osmanischen Reichs. Dort wurde<br />
das Getränk qahve genannt (auf Türkisch heute kahve<br />
geschrieben).<br />
Im 17. Jahrhundert gelangte der Kaffee über Handelswege<br />
nach Venedig. In Europa entstanden die ersten Kaffeehäuser.<br />
Der Kaffee erfreute sich in England und Frankreich<br />
großer Beliebtheit. Seine anregende Wirkung wurde vor<br />
allem von den Geschäftsleuten geschätzt. In Frankreich<br />
wurde das Wort für das neue Getränk aus dem Türkischen<br />
übernommen (französisch cafeh (1651), café (1665).<br />
In Deutschland tauchte der Name des Getränks 1688 in<br />
der französischen Form café und der englischen Form<br />
coffee auf. Erst ab Mitte des 18. Jahrhunderts setzte sich<br />
die Bezeichnung Kaffee durch.<br />
Der preußische König Friedrich Wilhelm I. hatte erkannt,<br />
dass sich mit den Steuern, die auf die Einfuhr von Kaffee<br />
erhoben wurden, die Staatskasse füllen ließ und förderte<br />
den Kaffeekonsum. In Berlin wurden Kaffeehäuser eingerichtet<br />
und 1744 wurde berichtet, „dass der Kaffeekonsum<br />
fast jeden und sogar den geringsten Leuthen zur Natur<br />
geworden sei“. Als unter Friedrich II. die Steuern weiter<br />
stiegen, wurden die grünen Kaffeebohnen zunehmend<br />
eingeschmuggelt und im Geheimen geröstet. Der König<br />
setzte so genannte Kaffeeschnüffler ein, die im Land<br />
herumreisten und am Geruch des gerösteten Kaffees<br />
die Steuersünder erkannten. Es ging darum, Leute, die<br />
illegal eingeführten und gerösteten Kaffee konsumierten,<br />
ausfindig zu machen und ihnen ihre<br />
Vorräte wegzunehmen.<br />
ce – a – ef – ef – e - e<br />
„ce - a - ef - ef - e - e trink nicht zu viel caffee.<br />
nicht für kinder ist der türkentrank, schwächt<br />
die nerven, macht dich blass und krank.<br />
sei doch kein Muselmann,<br />
der das nicht lassen kann.“<br />
Das Lied „Ce - A - eF - eF - E - E“ mit seinem Text aus der<br />
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stellt den Kaffeekonsum<br />
als gefährlich dar und unterstützt Vorurteile<br />
und Klischees gegenüber Türken und Muslimen.<br />
fragen zum text<br />
1 I Wie kam der Kaffee und seine Bezeichnung in arabische Länder?<br />
2 I Aus den Samen der Kaffeepflanze wurde das Getränk hergestellt. Wie lautet das Rezept?<br />
3 I Wie verbreitete sich das Getränk im Osmanischen Reich?<br />
4 I Welche Wege nahm der Kaffee nach Europa?<br />
5 I Was unternahm der preußische König Friedrich II., um den Kaffeeschmuggel zu verhindern?<br />
6 I Wie werden Türken und Muslime im Lied „Ce - A - eF - eF - E - E“ dargestellt?<br />
29
A 14<br />
Die tulpe<br />
Der Name geht auf das türkische Wort tülbent und das<br />
persische Wort dūlband zurück und bezeichnete<br />
in diesen Sprachen ursprünglich einen Turban.<br />
Die Herkunft der ersten Silbe des Wortes lässt sich bis zum<br />
altindischen Sanskrit-Wort (tūla),, das mit „Baumwolle“<br />
übersetzt wird, zurückführen.<br />
In Mittel- und Südasien wurden die Tulpen über Jahrhunderte<br />
hinweg gezüchtet, wobei aus wahrscheinlich<br />
mehreren Wildarten die Gartentulpe entstanden ist. Unter<br />
dem Herrscher des Osmanischen Reiches Süleyman I., der<br />
besonders die Gartenkultur schätzte, wurde die Pflanze<br />
sogar als die Blume des Osmanischen Reiches berühmt.<br />
In den Gärten, die nachts hell erleuchtet wurden, feierte<br />
man Tulpenfeste und an jedem Tulpenbeet zeigte ein<br />
silberner Schriftzug den Namen der Blume an.<br />
Aus der Türkei kam die Tulpe um die Mitte des 16. Jahrhunderts<br />
nach Mittel- und Westeuropa. Die erste Beschreibung<br />
stammt von Ghislain de Busbecq, der 1554 als Botschafter<br />
des habsburgischen Kaisers Ferdinand I. am Hofe des osmanischen<br />
Herrschers Süleyman I. weilte und die Pflanze<br />
auf seinen Fahrten durch das Land entdeckt hatte. Der<br />
botanisch sehr interessierte Gesandte erhielt von Süleyman<br />
I. u.a. Tulpenzwiebeln geschenkt und nannte die Pflanze in<br />
einem Brief „tulipa turcarum - Tulpe der Türken“. Aufgrund<br />
eines sprachlichen Missverständnisses verwechselte er<br />
den eigentlichen Namen der Blume, die im Türkischen<br />
„Lale“ heißt, mit der türkischen Bezeichnung tülbent für<br />
ihre turbanähnliche Blütenform, woraus die Bezeichnung<br />
Tulpe entstand.<br />
Busbecq schickte Tulpenzwiebeln u.a. dem kaiserlichen<br />
Hofgärtner in Wien, der später als Professor an der Universität<br />
in Leiden (Niederlande) die ersten Tulpen züchtete. Im 17.<br />
Jahrhundert galt die Tulpe als die Königin unter den Blumen<br />
und in kürzester Zeit entstand in den Niederlanden eine<br />
Tulpomanie (Tulpenwahn), die dazu führte, dass die Preise<br />
für Tulpen stiegen. Kaufleute und Bürger, die sich keine<br />
eigenen Tulpen leisten konnten, ließen sich Ölgemälde<br />
von einer besonders schönen Tulpe malen.<br />
Im Laufe der Zeit entwickelte sich die Tulpe von einer Blume<br />
des Adels und der Reichen zu einer weit verbreiteten<br />
Zierpflanze, die für alle erschwinglich ist.<br />
Die Begeisterung für die Tulpe wuchs und im 18. Jahrhundert<br />
hatten die Tulpen aus den Niederlanden eine solche<br />
Berühmtheit erlangt, dass der osmanische Herrscher Ahmed<br />
III. Tausende davon importieren ließ. So kehrten die<br />
niederländischen „Nachkommen“ der türkischen Tulpen<br />
wieder an ihren Herkunftsort zurück.<br />
fragen zum text<br />
1 I Welche Bedeutung hatte die Tulpe für den osmanischen Herrscher Süleyman I.?<br />
2 I Wie erhielt die Tulpe ihren Namen?<br />
3 I Wie kam die Tulpe nach Europa?<br />
4 I In den Niederlanden entstand eine Tulpomanie. Was bedeutete das?<br />
5 I Was unternahmen diejenigen, die sich keine Tulpe leisten konnten?<br />
30
A 15<br />
Der JoGhurt<br />
Joghurt ist eine säuerliche Dickmilch, die durch das<br />
Zusetzen von Milchsäurebakterien gewonnen wird.<br />
Sauermilchprodukte gehören zu den ältesten Milchprodukten.<br />
Schon früh erkannten Viehzüchter, dass saure<br />
Milch länger haltbar ist als frische Milch. Wo genau der<br />
Ursprung des Joghurts liegt, ist nicht festzustellen. In vielen<br />
alten Überlieferungen aus verschiedenen Kulturen wird<br />
von ihm berichtet, aber wer ihn als Erstes gemacht oder<br />
gar gegessen hat, ist unbekannt. Wichtig ist allerdings,<br />
dass Joghurt im heutigen Sinne, schon seit Jahrhunderten<br />
von Menschen verzehrt wird und als bedeutendes<br />
Nahrungsmittel gilt. Sauermilchprodukte sind nicht nur<br />
bekömmlich, sondern auch leicht verdaulich und gelten<br />
als gesundheitsfördernd.<br />
Vermutlich stellten die Thraker, die Urbevölkerung der<br />
Balkanhalbinsel, bereits im 6. bis 4. Jahrhundert v. Chr.<br />
Joghurt aus Schafsmilch her. Die Thraker waren hauptsächlich<br />
Viehzüchter. Thrakische Bezeichnungen aus der<br />
Viehzucht leben in der bäuerlichen Kultur des Balkan<br />
bis heute fort. In der Sprache der Thraker bedeutete das<br />
Wort jog „schnittfest, dick“ und das Wort urt „Milch“. Daraus<br />
entstand das Wort Joghurt.<br />
Die Thraker sollen einen länglichen Sack aus Lammfell, gefüllt<br />
mit Milch, um den Körper gebunden haben. Durch die<br />
Körpertemperatur und die Mikroorganismen im Lammsack<br />
soll es zur Milchsäuregärung gekommen sein.<br />
Da Bulgarien über Jahrhunderte zum Osmanischen Reich<br />
gehörte, wurde der Begriff auch in die bulgarische und türkische<br />
Sprache übernommen. Das deutsche Wort Joghurt<br />
ist dem türkischen Wort yoğurt entlehnt, das gegorene<br />
Milch bedeutet und auf die Art der Herstellung verweist.<br />
Der Joghurt verbreitete sich erst im 16. Jahrhundert in<br />
Westeuropa: Eine Legende berichtet, dass ein türkischer<br />
Arzt die quälenden Magenprobleme des französischen<br />
Königs Franz I. (1494-1547) mit bulgarischem Joghurt<br />
geheilt haben soll. Der Joghurt wurde zu einem beliebten<br />
Heilmittel bei Verdauungsproblemen.<br />
Den Grundstein für den Erfolg des Joghurts in Westeuropa<br />
legte der bulgarische Arzt und Mikrobiologe Stamen<br />
Grigorow (1878-1945). Er entdeckte 1905 im Joghurt ein<br />
bisher unbekanntes Bakterium, das er Lactobacillus bulgaricus<br />
nannte. Dieses Wissen griff der russische Zoologe<br />
und Bakteriologe Ilja Metschnikow auf. Seine Forschungen<br />
über Nahrungsmittel, die mit Bakterien angereichert<br />
waren, dienten dem Ziel, das Altern hinauszuzögern.<br />
Metschnikow war auf das hohe Alter der bulgarischen<br />
Bauern aufmerksam geworden. Er vermutete, dass die<br />
hohe Lebenserwartung mit dem Konsum von Sauermilch<br />
und Joghurt zusammenhing.<br />
fragen zum text<br />
1 I Sauermilchprodukte gehören zu den ältesten Milchprodukten. Warum?<br />
2 I Was wird über den Ursprung des Joghurts berichtet?<br />
3 I Wo stammt das Wort Joghurt her?<br />
4 I Wie kam es zum Erfolg des Joghurts in Westeuropa?<br />
31
A 16<br />
Die Gitarre<br />
Bereits im alten Griechenland taucht das Wort kithara<br />
für ein Instrument mit fünf- bis zwölf Saiten auf. Der<br />
Hauptbestandteil war ein Schallkasten, der vorne<br />
glatt und hinten gewölbt war. Die Seiten des Klangkörpers<br />
gingen in zwei parallele Arme über, an denen der<br />
Saitenhalter befestigt war.<br />
Als eines der vornehmsten Instrumente wurde es zu feierlichen<br />
Anlässen gespielt, besonders zu Ehren des Gottes<br />
Apollon. Nach der Eroberung Griechenlands durch die<br />
Römer erfreute sich das Instrument auch im Römischen<br />
Reich großer Beliebtheit.<br />
Durch die zunehmende Bedeutung der Mehrstimmigkeit<br />
in der christlichen Musik im 9. Jahrhundert änderten sich<br />
auch die Anforderungen an das Instrument und führten<br />
zu einer Weiterentwicklung der Bauform. Die Instrumente<br />
hatten keinen bauchigen Körper mehr, sondern einen<br />
zunehmend flachen, wie wir es von den heutigen Gitarren<br />
her kennen.<br />
Muslimische Gelehrte bezeichneten im 9. Jahrhundert<br />
ein Saiteninstrument mit 12 Seiten, das sie bei den byzantinischen,<br />
christlichen Griechen gesehen hatten mit<br />
qitära. Das Instrument gelangte in das muslimische Spanien,<br />
wo seit dem Jahr 711 die Mauren herrschten. Sie<br />
kannten bereits ein ähnliches Instrument, die Laute. Von<br />
diesem Instrument übernahmen die Gitarrenbauer einige<br />
Details und entwickelten die Gitarre weiter. Der Dichter<br />
Ibn Bassam (gest. 1147) berichtet über die Vorfahrin der<br />
heutigen Gitarre und nennt sie kautar.<br />
Um 1330 schildert der spanische Dichter Juan Ruiz, wie<br />
die Menschen mit einem Spiel den Frühling begrüßen.<br />
Dabei kommen über 30 Musikinstrumente zum Einsatz.<br />
Viele von ihnen stammen aus dem arabischen Raum (z.B.<br />
Laute, Tamburin). Auch die Gitarre, guitarra, befindet sich<br />
unter ihnen.<br />
In einem deutschen Sprachbuch findet sich<br />
1621 die Übersetzung aus dem Spanischen<br />
guitarra ins Deutsche Gitarre. Die Wortform<br />
Gitarre setzte sich allerdings erst im 20. Jahrhundert<br />
durch, bis dahin schrieb man Guitarre.<br />
Die Gitarre genoss noch bis in das 19. Jahrhundert<br />
weniger Ansehen als die Laute, vermutlich,<br />
weil man auf der Gitarre schon mit wenigen<br />
Griffen Lieder begleiten konnte und sie als<br />
Instrument der kleinen Leute galt. Der Schriftsteller<br />
E.T.A. Hoffmann (1776-1822) lästerte: „Die<br />
Gitarre ist doch das miserabelste, unvollkommenste<br />
Instrument von allen Instrumenten …“<br />
Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts<br />
erlangte die Gitarre eine<br />
neue Bedeutung als Instrument<br />
der „Jugendbewegung“, die das<br />
Erleben von Landschaft und<br />
Natur zum Schwerpunkt hatte,<br />
die Volkslieder wiederbelebte<br />
und die Gitarre zu dem idealen<br />
Begleitinstrument<br />
machte. In den sechziger<br />
Jahren wird sie<br />
dann als elektrische<br />
Gitarre ein beliebtes<br />
Instrument in<br />
der Popmusik und<br />
im Jazz.<br />
Fragen zum Text<br />
1 I Welche Bedeutung hatte die Gitarre im alten Griechenland?<br />
2 I Welche Entwicklung nahm die Gitarre in Spanien?<br />
3 I Wie hat sich der Name für das Instrument im Laufe der Zeit verändert?<br />
4 I Im 19. /20. Jahrhundert erfuhr die Gitarre einen Bedeutungswandel, welchen?<br />
32
A 17<br />
Die Tasse<br />
Das Wort Tasse geht auf die altpersische Wortform<br />
tašta zurück und bezeichnete eine „Schale“. Da<br />
Porzellan aus dem alten China stammt, wird angenommen,<br />
dass das persische Wort auf den Handel mit<br />
Porzellan zurückgeht. Ins Arabische übernommen taucht<br />
das Wort ţašt bereits im 8. Jahrhundert in den Biografien<br />
des Propheten Mohammed auf und bezeichnet dort eine<br />
goldene Schale. Ţašt hießen an den Höfen der Herrscher<br />
auch goldene Becken, die zum Händewaschen vor und<br />
nach dem Essen gereicht wurden. Die arabisierte Wortform<br />
lautete ţasa. Aus dem 13. Jahrhundert ist eine reich verzierte<br />
ţasa aus Bronze und Kupfer mit einer Inschrift erhalten, die<br />
besagt, dass wer aus ihr trinkt, vor Krankheit und Unheil<br />
geschützt ist. Ende des 13. Jahrhunderts wird mit ţasa im<br />
Jemen ein Kompass bezeichnet, dessen Magnetnadel auf<br />
einer mit Wasser gefüllten Schale schwimmt.<br />
Ab Ende des 13. Jahrhunderts taucht das Wort in Spanien<br />
und im 14. Jahrhundert im übrigen Europa auf: katalanisch<br />
taça, italienisch tazza, französisch tasse. Damit werden<br />
meistens silberne oder vergoldete Trinkgefäße bezeichnet,<br />
die als Luxusartikel galten. Es wird angenommen, dass die<br />
Gefäße von der syrisch-libanesischen Küste importiert<br />
wurden. Später wurden die Gefäße dann auch in Europa<br />
produziert.<br />
ausländische Säfte zu trinken pflegt“ (Zedlers Universal-<br />
Lexicon, 1744). In dieser Zeit erhalten das Schälchen und<br />
der Becher auch einen Henkel und eine Untertasse. Damit<br />
setzte sich die Tasse, so wie wir sie heute kennen, als<br />
Trinkgefäß durch.<br />
Im 17. Jahrhundert kamen in Westeuropa die Getränke<br />
Schokolade, Tee und Kaffee in Mode. Vor allem in Adelskreisen<br />
wurden die neuen Getränke als exotischer Luxus<br />
konsumiert. Die Menschen wollten diese neuen Getränke<br />
auch aus neuartigen modernen Gefäßen trinken. Über das<br />
Osmanische Reich wurden aus China und Japan kostbare<br />
Porzellanschälchen eingeführt. Man nannte sie tazza (ital.)<br />
oder tasse (franz.). Aus dem Französischen gelangte das<br />
Wort ins Deutsche. Mit Tasse wird ein Schälchen bezeichnet,<br />
aus dem man „Thee, Coffee, Chokolade oder andere<br />
Fragen zum Text<br />
1 I Woher stammt die Tasse und ihre Bezeichnung?<br />
2 I Welche verschiedenen Funktionen hatten tašta, ţašt und ţasa?<br />
3 I Welche Personengruppe benutzte die Tasse als Erste?<br />
4 I Im 17. Jahrhundert erhielt die Tasse als Trinkgefäß wachsende Bedeutung, warum?<br />
33
A18<br />
Partnerquiz<br />
Schneidet die Streifen mit den Fragen und Antworten aus und steckt sie durcheinander in ein Kuvert.<br />
Einer stellt die Fragen, der Andere antwortet. Wechselt euch mit dem Fragen und Antworten ab.<br />
Die Giraffe<br />
Aus welcher Sprache wurde wahrscheinlich das Wort Giraffe in das Arabische übernommen?<br />
Orientiert an der Herkunft des Tieres, könnte das Wort aus einer äthiopischen Sprache stammen oder<br />
seinen Ursprung im alten Ägypten haben. Dort hieß es zarafa.<br />
Die Giraffe wurde zunächst camelopardis genannt. Warum?<br />
Ihr Körper ähnelt dem Körper eines Kamels und das gefleckte Fell dem Fell eines Panthers.<br />
Wo und von wem wurde die Giraffe im islamischen Raum erwähnt?<br />
Ein Gelehrter erwähnte die Giraffe (zarafa) in einem Tierbuch, das er geschrieben hatte.<br />
Wie wurde die Giraffe in Westeuropa bekannt?<br />
Man kannte sie aus den Berichten der Kaufleute, Kreuzfahrer und Pilger, die in Kontakt mit<br />
der islamischen Welt kamen.<br />
Wie entstand das deutsche Wort „Giraffe“?<br />
In Italien setzte sich das Wort giraffa durch die Verbreitung des Reiseberichts von Marco Polo durch.<br />
Aus giraffa entwickelte sich das deutsche Wort Giraffe.<br />
Wodurch wurde Giraffe (englisch giraffe, französisch girafe, spanisch jirafa) im 19. Jahrhundert zur<br />
allgemein üblichen Bezeichnung?<br />
Giraffen gelangten als Staatsgeschenk des osmanischen Paschas an Herrscher in Paris, London und<br />
Wien. Mit den Tieren wurde auch die Bezeichnung Giraffe übernommen.<br />
34
Der Kaffee<br />
A19<br />
Welchen Weg nahm der Kaffee in die arabischen Länder?<br />
Wahrscheinlich kam der Kaffee über Händler aus Äthiopien in die arabischen Länder.<br />
Wie wurde der Kaffee zubereitet?<br />
Die Samen wurden geröstet, grob gemahlen oder zerstampft und mit Wasser sowie<br />
Zucker in einem Tonkrug aufgekocht.<br />
Im 17. Jahrhundert entstanden in Europa erste Kaffeehäuser. Wer schätzte das Getränk besonders?<br />
Seine anregende Wirkung wurde vor allem von den Geschäftsleuten geschätzt.<br />
Wie kam die Bezeichnung Kaffee in die deutsche Sprache?<br />
Aus dem osmanischen Wort qahve entstand im Französischen café. In Deutschland tauchte der Name<br />
des Getränks zunächst in der französischen Form café und der englischen Form coffee auf.<br />
Daraus entwickelte sich das Wort Kaffee.<br />
Wer sind die Kaffeeschnüffler?<br />
Als unter dem preußischen König Friedrich II. die Kaffeesteuern stiegen, wurden die grünen Kaffeebohnen<br />
zunehmend eingeschmuggelt und im Geheimen geröstet. Der König setzte so genannte Kaffeeschnüffler<br />
ein, die im Land herumreisten und am Geruch des gerösteten Kaffees die Steuersünder ausfindig machten.<br />
„Ce - A - eF - eF - E - E“ ist ein Lied aus dem 19. Jahrhundert.<br />
Wie werden Türken und Muslime darin dargestellt?<br />
Türken und Muslime werden als nerven- und willensschwach dargestellt.<br />
35
Die Tulpe<br />
A20<br />
Worauf geht der Name Tulpe zurück?<br />
Der Name geht auf das türkische Wort tülbent und das persische Wort dülband zurück und bezeichnet in<br />
diesen Sprachen eine Kopfbedeckung, den Turban.<br />
Im Osmanischen Reich wurde die Tulpe besonders geschätzt. Wie drückte sich das aus?<br />
Die Tulpe wurde gezüchtet und in der Gartenkultur besonders geschätzt. Unter dem Herrscher<br />
Süleyman I. wurden Tulpenfeste gefeiert.<br />
Wie kam die Tulpe um die Mitte des 16. Jahrhunderts nach Mittel- und Westeuropa?<br />
Der Botschafter des habsburgischen Kaisers Ferdinand I. weilte im Osmanischen Reich am Hof von Süleyman<br />
I. und interessierte sich für die Pflanze. Er bekam von Süleyman I. Tulpenzwiebeln geschenkt, die er<br />
an den kaiserlichen Hofgärtner nach Wien schickte.<br />
Die Tulpe heißt im Türkischen lale. Wieso heißt sie im Deutschen Tulpe?<br />
Der habsburgische Gesandte aus Wien hatte angenommen, dass die Pflanze aufgrund ihrer Blütenform,<br />
die einem Turban ähnelt, tülbent heißt. Daraus entstand die Bezeichnung Tulpe.<br />
Im 17. Jahrhundert galt die Tulpe als die Königin unter den Blütenpflanzen. In den Niederlanden<br />
führte das zu einer Tulpomanie (Tulpenwahn). Was hatte das für Konsequenzen?<br />
Die Preise stiegen. Wer sich keine eigenen Tulpen leisten konnte, ließ sich Gemälde von<br />
besonders schönen Tulpen malen.<br />
Wie kamen die niederländischen Tulpen ins Osmanische Reich?<br />
Die niederländischen Tulpen hatten eine solche Berühmtheit erlangt, dass der osmanische Herrscher<br />
Ahmed III. Tausende einführen ließ.<br />
36
Der Joghurt<br />
A21<br />
Warum gilt das Sauermilchprodukt Joghurt bis heute als bedeutendes Nahrungsmittel?<br />
Sauermilchprodukte sind länger haltbar, bekömmlich, leicht verdaulich und gesundheitsfördernd.<br />
Was weiß man über die Thraker, die Urbevölkerung der Balkanhalbinsel, die bereits<br />
im 6. Jahrhundert v. Chr. Joghurt herstellten?<br />
Die Thraker waren Viehzüchter und stellten Joghurt aus Schafsmilch her. Sie sollen sich einen länglichen<br />
Sack aus Lammfell, gefüllt mit Milch, um den Körper gebunden haben. Durch die Körpertemperatur und<br />
die Mikroorganismen in dem Sack soll es zur Gärung der Milch gekommen sein.<br />
Wie erklärt man sich die Entstehung des Wortes Joghurt?<br />
In der Sprache der Thraker bedeutete das Wort jog „schnittfest, dick“ und das Wort urt „Milch“.<br />
Daraus entstand das Wort Joghurt.<br />
Wie kam das Wort Joghurt in die türkische und in die deutsche Sprache?<br />
Da Bulgarien über Jahrhunderte zum Osmanischen Reich gehörte, wurde der thrakische Begriff<br />
jogurt auch in die türkische Sprache übernommen. Das deutsche Wort Joghurt stammt<br />
vom türkischen Wort yoğurt ab.<br />
Der Joghurt wurde zu einem beliebten Heilmittel bei Verdauungsproblemen.<br />
Welche Legende hat zu dieser Entwicklung beigetragen?<br />
Es wurde berichtet, dass ein türkischer Arzt die Magenprobleme eines französischen Königs<br />
mit bulgarischem Joghurt heilte.<br />
Der Wissenschaftler Ilja Metschnikov erforschte die Wirkung von Sauermilch und Joghurt.<br />
Was vermutete er?<br />
Er vermutete, dass die hohe Lebenserwartung bulgarischer Bauern mit ihrem Konsum von<br />
Sauermilch und Joghurt zusammenhing.<br />
37
Die Gitarre<br />
A22<br />
Zu welchen Anlässen wurde die kithara (die Vorläuferin der heutigen Gitarre), ein Instrument von<br />
fünf bis zwölf Saiten, im alten Griechenland gespielt?<br />
Die kithara wurde zu feierlichen Anlässen gespielt, besonders zu Ehren des Gottes Apollon.<br />
Der muslimische Dichter Ibn Bassam beschrieb im 12. Jahrhundert die Vorfahrin der<br />
heutigen Gitarre. Wie nannte er sie?<br />
Er nannte sie kautar.<br />
Um 1330 schildert ein spanischer Dichter wie die Menschen den Frühling begrüßen. Dabei kommen<br />
viele Instrumente aus dem arabischen Raum zum Einsatz; z.B. welche?<br />
Es kommen z.B. die Laute, das Tamburin und die Guitarra (Gitarre) zum Einsatz.<br />
Die Gitarre genoss noch bis in das 19. Jahrhundert weniger Ansehen als die Laute. Warum?<br />
Die Gitarre galt als Instrument der „kleinen Leute“, weil man auf ihr schon mit wenigen<br />
Griffen Lieder begleiten konnte.<br />
Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts erhielt die Gitarre eine neue Bedeutung. Warum?<br />
Sie wurde zum Begleitinstrument für die Volkslieder der so genannten Jugendbewegung.<br />
Die Jugendbewegung hatte das Erleben von Natur und Landschaft zum Schwerpunkt.<br />
Welche Bedeutung erlangte die Gitarre in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts?<br />
Sie wurde als elektrische Gitarre zu einem beliebten Instrument in der Popmusik und im Jazz.<br />
38
Die Tasse<br />
A23<br />
Auf welche Wortform geht das Wort Tasse zurück und was wurde damit bezeichnet?<br />
Das Wort Tasse geht auf die altpersische Wortform tašta zurück und bezeichnete eine Schale.<br />
Was bezeichnete das aus dem Altpersischen ins Arabische übernommene Wort țašt,<br />
auf das die heutige Bezeichnung Tasse zurückgeht?<br />
Das Wort țašt taucht im 8. Jahrhundert in den Biografien des Propheten Mohammed auf und bezeichnet<br />
dort eine goldene Schale. An den Höfen der Herrscher hießen țašt auch goldene Becken,<br />
in denen man sich die Hände wusch.<br />
Die arabische Wortform für Tasse lautete im 13. Jahrhundert țasa. Was wurde damit bezeichnet?<br />
Es existiert aus dieser Zeit eine reich verzierte Schale țasa. Sie trägt eine Inschrift, die besagt,<br />
dass wer aus ihr trinkt, vor Unheil und Krankheit geschützt ist. Im Jemen wurde mit țasa ein Kompass<br />
bezeichnet, dessen Magnetnadel auf einer mit Wasser gefüllten Schale schwimmt.<br />
Ab Ende des 13. Jahrhunderts tauchen in Westeuropa für das Wort Tasse verschiedene<br />
Bezeichnungen auf (katalanisch taça, italieniesch tazza, französisch tasse). Wie sahen die<br />
Trinkgefäße aus und welche Bedeutung hatten sie?<br />
Die meistens silbernen oder vergoldeten Trinkgefäße galten als Luxusartikel.<br />
Im 17. Jahrhundert kamen in Westeuropa die Getränke Schokolade, Tee und Kaffee in Mode.<br />
Was hatte das für die Weiterentwicklung der Tasse für Folgen?<br />
Die Menschen wollten die neuen Getränke auch aus neuartigen Gefäßen trinken. Über das Osmanische<br />
Reich wurden aus China und Japan kostbare Porzellanschälchen eingeführt.<br />
Im 18. Jahrhundert wurde aus der Schale und dem Becher eine Tasse wie wir sie heute kennen.<br />
Was wurde ergänzt?<br />
Die Schale und der Becher erhielten einen Henkel und eine Untertasse.<br />
39
A 24<br />
„Safran, öffne dich!“<br />
Sofa, Matratze, Kaffee und Zucker - ohne das Arabische<br />
wäre die deutsche Gemütlichkeit nur halb so<br />
gemütlich. Auch im Gewürzregal sähe es ziemlich<br />
trostlos aus. Ohne das Arabische hätten wir nicht mal<br />
Alkohol! Und keine Null. Und schon gar nicht alle Tassen<br />
im Schrank!<br />
In der vergangenen Woche bin ich auf Einladung einer<br />
deutschen Schule zu einer Lesung nach Ägypten geflogen.<br />
Den amerikanischen Präsidenten Barack Obama habe<br />
ich dabei nur um wenige Tage verpasst. Er hatte sich in<br />
Kairo mit einer bewegenden Rede an die arabische Welt<br />
gewandt. "Salam Alaikum", hatte er da gesagt, "Friede sei<br />
mit euch". Zuvor war er bereits in Riad gewesen, wo er sich<br />
für den freundlichen Empfang mit "Schukran" bedankte,<br />
dem arabischen Wort für Danke. Obama hat sich auf<br />
diese Reise gut vorbereitet und sogar ein paar Brocken<br />
Arabisch gelernt.<br />
Das hätte ich vielleicht auch tun sollen. Wer Fremdsprachen<br />
kann, ist immer im Vorteil. Doch beim Arabischen<br />
hätte ich garantiert Schiffbruch erlitten. Oder Havarie. Das<br />
bedeutet letztlich das Gleiche, ist aber interessanterweise<br />
arabischen Ursprungs: Das arabische Wort awarya bedeutet<br />
"beschädigte Ware". Erstaunlich viele Wörter, die seit<br />
Jahrhunderten fester Bestandteil unserer Sprache sind,<br />
haben ihren Ursprung im Arabischen. Und dabei handelt<br />
es sich längst nicht nur um so offensichtlich orientalische<br />
Wörter wie Sultan und Harem, Kadi und Koran, Minarett<br />
und Moschee oder Arabeske und Scheich. Vielen Begriffen<br />
sieht - genauer: hört man ihre arabische Herkunft nicht an.<br />
Nehmen wir nur das Lautenspiel. Das berühmte Saiteninstrument<br />
des Mittelalters hieß nicht etwa deshalb so,<br />
weil es besondere Laute von sich gegeben hätte oder<br />
besonders laut gewesen wäre, sondern weil es aus Holz<br />
ist. Die Laute geht auf das arabische Wort für Holz, al-'ūd,<br />
zurück. Lange bevor sich die Minnesänger hierzulande auf<br />
der Laute begleiteten, erklang sie bereits am Hofe Harun<br />
al-Raschids, des sagenumwobenen Kalifen von Bagdad.<br />
Und nicht nur Dichter und Sänger ließen sich von orientalischen<br />
Künsten und Bräuchen inspirieren. Auch die<br />
Wissenschaft bediente sich kräftig aus Ali Babas Sprachschatzhöhle.<br />
Schon die Alchemie setzt sich aus arabischem<br />
Artikel (al) und dem ägyptischen Wort für schwarz (kême<br />
oder chême) zusammen.<br />
Mein ehemaliger Deutschlehrer schenkte mir zur Vorbereitung<br />
meiner Reise ein aufschlussreiches Büchlein mit<br />
dem Titel "Von Algebra bis Zucker - Arabische Wörter im<br />
Deutschen". Dass das Wort Algebra arabischen Ursprungs<br />
ist, fand ich nicht verwunderlich, schließlich gehen doch<br />
unsere Zahlen auf arabische Ziffern zurück. Wie übrigens<br />
das Wort Ziffer selbst, auch das ist arabischen Ursprungs.<br />
Das arabische Wort sifr bedeutet "Null". Erstaunlicher war<br />
für mich hingegen die Tatsache, dass etwas so Alltägliches<br />
wie Zucker über das Arabische in unseren Kulturraum<br />
gerieselt sein soll. Tatsächlich haben die Araber die Technik<br />
der Zuckergewinnung aus Zuckerrohr von den Persern<br />
übernommen, die es ihrerseits von den Indern abgeguckt<br />
hatten. So gelangte das indische Wort sakkhara über das<br />
Arabische, wo es zu sukkar wurde, nach Europa, wo es<br />
schließlich zu zucchero, sucre, sugar und Zucker verarbeitet<br />
wurde.<br />
Weitere Wörter arabischen Ursprungs sind Admiral und<br />
Arsenal, Baldachin (abgeleitet vom Namen der Stadt<br />
Bagdad, die im frühen Mittelalter bei uns noch Baldach<br />
genannt wurde), Elixier, Estragon, Giraffe, Jasmin, Magazin,<br />
Matratze, Safran, Schach und natürlich Sofa. Immer, wenn<br />
etwas besonders bequem und plüschig oder wohlriechend<br />
und schmackhaft ist, besteht eine große Chance, dass es<br />
aus dem Orient stammt.<br />
Und noch ein weiteres Genussmittel stammt aus dem<br />
Orient, und zwar ein ganz wichtiges, ohne das die Welt<br />
schon lange aufgehört hätte, sich zu drehen. Und ohne<br />
das keine meiner Kolumnen je fertig geworden wäre: der<br />
Kaffee. Die Araber kannten ihn schon lange vor den Türken<br />
und nannten ihn qahwa. Wenn man Kaffee in einer Tasse<br />
1<br />
gekürzte Fassung aus Spiegel Online, Kultur vom 17.6.2009<br />
40
A 25<br />
serviert, hat man gleich zwei arabische Wunder vor sich;<br />
denn auch das Wort Tasse haben wir aus dem Arabischen<br />
übernommen.<br />
Ich weiß nicht, ob Barack Obama bei seinem Besuch in<br />
Kairo Zeit hatte für eine Tasse guten Kaffees - vielleicht<br />
haben seine Leute auch nur kurz bei Starbucks angehalten<br />
und ihm einen Karamel Macchiato im Pappbecher "to go"<br />
besorgt. Die Frauen und Männer in meiner Reisegruppe<br />
beschäftigte indessen eine andere Frage viel mehr, und<br />
zwar wie man wohl in die Pyramiden hineingelangt. Der<br />
Eingang war für uns nämlich zunächst nicht sichtbar. Ein<br />
Fotograf aus Wuppertal hob beschwörend die Hände und<br />
rief: "Safran, öffne dich!" Sogleich wurde er von einer Frau<br />
aus Franken berichtigt: "Es heißt Sesam, nicht Safran!" - "Tatsächlich?",<br />
gab der Fotograf zurück, "dann versuchen Sie<br />
es mit Sesam. Vielleicht haben Sie ja mehr Glück!" Ehe sie<br />
etwas erwidern konnte, kam der ägyptische Reiseleiter um<br />
die Ecke und winkte uns heran: "Kommen Sie! Hier geht's<br />
zum Eingang!" Der Fotograf zuckte nur die Schultern und<br />
sagte zur Fränkin: "Na bitte, da sehen Sie's, es funktioniert<br />
auch mit Safran!"<br />
Bastian Sick<br />
41
DAS „goLDENE ZEITALTER“<br />
Die Blütezeit islamisch-arabischer Wissenschaften<br />
SACHHINTERgRUND<br />
„Wer einen neuen Weg findet,<br />
ist ein Wegbereiter; selbst wenn andere später<br />
den Pfad noch einmal finden müssen;<br />
und wer seinen Zeitgenossen vorausgeht,<br />
ist ein Vorreiter, auch wenn noch<br />
Jahrhunderte vergehen, bevor er als solcher<br />
erkannt wird.“<br />
iBn ChalDUn i 1332-1406<br />
Universalgelehrter<br />
1 Nach W. Montgomery Watt hielt die islamische Kultur ihr hohes<br />
Niveau bis mindestens zum 17. Jahrhundert. „Sie war nicht auf<br />
eine bestimmte Gegend des islamischen Reiches beschränkt;<br />
vielmehr breitete sie sich überall dort aus, wo der Islam stark war.“<br />
W.M.Watt 1998, 21.<br />
2 Jim al-Khalili 2013, 138 und Sigrid Hunke 1960, 202.<br />
Die Zeit zwischen 750- ca.1500 wird als die Blütezeit<br />
islamisch-arabischer Wissenschaften betrachtet.<br />
1 Die „Arabischen Wissenschaften“, in einem<br />
umfassenden Sinn verstanden, wurden zu einem großen<br />
Teil im heutigen Irak von Gelehrten entwickelt, die<br />
politisch unter der Herrschaft der abbasidischen Kalifen<br />
(750-1250) standen. Bagdad wurde nicht nur zu einem<br />
religiösen Zentrum, sondern auch zu einer Hochburg der<br />
Wissenschaft. Das „abbasidische Zeitalter“ kennzeichnet<br />
eine Epoche, die als Glanz- und Höhepunkt islamischer<br />
Kultur gilt. Vom Mittelmeer bis nach China reichten die<br />
Handelsbeziehungen der Abbasiden und eine glänzende<br />
Hofhaltung sowie kulturelle Blüte konnten sich auch in<br />
der städtischen Gesellschaft entfalten.<br />
Viele berühmte Wissenschaftler, wie z. B. die Universalgelehrten<br />
al-Biruni und Ibn Sina, waren Perser. Sie verfassten<br />
ihre Werke nicht auf Persisch, sondern auf Arabisch, der<br />
internationalen Sprache der Wissenschaft in dieser Zeit.<br />
Wichtige Beiträge wurden auch von Christen und Juden<br />
geliefert, die u.a. viele griechische Texte übersetzten. Aber<br />
auch sie teilten mit ihren muslimischen Herrschern eine<br />
gemeinsame Kultur, zu der Sitten, Denkweisen, Erziehung<br />
und Sprache gehörten. Wenn von arabischen Wissenschaftlern<br />
gesprochen wird, so bedeutet das nicht, dass<br />
sie in den heutigen arabischen oder arabischsprachigen<br />
Ländern geboren und aufgewachsen waren und sich<br />
selber als Araber betrachtet hätten. Das Goldene Zeitalter<br />
der arabischen Wissenschaft reichte von Usbekistan bis<br />
nach Spanien. 2 In Südspanien konnte sich die islamischarabische<br />
Kultur besonders erfolgreich entfalten und die<br />
Stadt Córdoba entwickelte sich zu ihrem Mittelpunkt.<br />
42
„Wer sich selbst und andre kennt,<br />
wird auch hier erkennen:<br />
Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen.“<br />
Johann Wolfgang von Goethe<br />
43
DER ISLAM<br />
Streben nach Bildung und Wissen<br />
Die arabische Wissenschaft war untrennbar mit der Religion<br />
verbunden. Auch wenn nicht sämtliche wissenschaftlichen<br />
Arbeiten von Muslimen durchgeführt wurden, wäre die<br />
rasante Zunahme der Kreativität ohne die Ausbreitung des Islam<br />
nicht möglich gewesen. Im Koran schließen sich Glaube und Bildung<br />
nicht aus und an zahlreichen Stellen wird der Mensch aufgefordert,<br />
seinen Verstand zu gebrauchen, zu reflektieren, die Natur zu studieren<br />
und durch Beobachten die Schöpfung kennen zu lernen. So heißt<br />
es zum Beispiel in Sure 10, Vers 100: „Er (Allah) sendet Seinen Zorn<br />
über jene, die ihre Vernunft nicht gebrauchen mögen.“ Jeder Muslim<br />
- Junge oder Mädchen, Mann oder Frau - sollte sich so intensiv wie<br />
möglich der eigenen Bildung widmen. Das Streben nach Bildung<br />
und Weisheit hatte Muhammed 3 den Muslimen als religiöse Pflicht<br />
auferlegt, denn die Wissenschaft sollte der Ehre Gottes dienen.<br />
Zahlreiche Hadithe – überlieferte Aussprüche, Handlungen, Empfehlungen<br />
Muhammeds - verdeutlichen die große Bedeutung von<br />
Bildung und Wissenserwerb. 4<br />
„Wer einen Weg beschreitet, um Wissen zu erlangen,<br />
dem wird Allah deswegen einen Weg zum Paradies<br />
leicht machen.“<br />
MUsLiM<br />
„Wer auf der Suche nach Wissen hinauszieht, der ist auf<br />
dem Wege Allahs, bis er wiederkehrt.“<br />
DariMi, tirMiDhi<br />
Auf der Grundlage von Glaubensätzen wie diesen wurde eine Politik<br />
vertreten, die Glauben und Vernunft in Einklang bringen sollte. Das<br />
führte zu einer Atmosphäre der Toleranz, in der wissenschaftliche<br />
Forschung gefördert wurde. Innerhalb kürzester Zeit kam es zu einem<br />
wahren Bildungsboom und zu einer Blütezeit der Wissenschaft.<br />
„Die Suche nach W<br />
verbringen, und<br />
„Strebe nach W<br />
3 Muhammed ist im Islam der Gesandte Allahs. Er ist der letzte Prophet und wird<br />
im Qur'an als „Siegel der Propheten“ bezeichnet.<br />
4 Jim Al- Khalili 2013, 77.<br />
5 Jim Al-Khalili 2013, 29 und Sigrid Hunke 2002, 202.<br />
Hadithsammlungen stammen u.a. von Muslim, Darimi, Tirmidhi u. Daylami.<br />
44
issen eine Stunde lang ist wertvoller als eine ganze Nacht lang im Gebet zu<br />
die Suche nach Wissen einen Tag lang ist besser, als drei Monate zu fasten.“<br />
DaYLaMi 5<br />
issen, selbst wenn du zu diesem Zweck bis nach China gehen müsstest.“<br />
MUsLiM<br />
45
TECHNISCHE<br />
HERAUSfoRDERUNgEN<br />
Suche nach Lösungen<br />
Ein weiterer Grund, der die Entwicklung der Wissenschaften<br />
vorantrieb, lag in der Notwendigkeit, für<br />
die Lösung der technischen und ökonomischen<br />
Probleme der Zeit neue Erkenntnisse zu gewinnen: Für<br />
Projekte wie z.B. den Bau von Brücken, Wasserrädern und<br />
Kanälen brauchte man Wissen auf den Gebieten der Geometrie<br />
und Physik, um zum Zweck der Zeitmessung die<br />
Mondphasen vorauszusagen, benötigte man genauere<br />
astronomische Daten und für die Buchhaltung waren<br />
Kenntnisse der Arithmetik unentbehrlich. Neue technische<br />
Verfahren waren vor allem für die Veröffentlichung<br />
sowie Verbreitung der Übersetzungen wissenschaftlicher<br />
Texte, u.a. aus dem Griechischen, Persischen und<br />
Indischen, von entscheidender Bedeutung. Nach einem<br />
Sieg der Abbasiden über die Chinesen vermittelten chinesische<br />
Kriegsgefangene Kenntnisse und Erfahrungen<br />
in der Papierherstellung und Ende des 8. Jahrhunderts<br />
nahm in Bagdad die erste Papiermühle ihren Betrieb<br />
auf. Parallel zu dieser Entwicklung erlebte die Technik<br />
der Buchherstellung einen Aufschwung. 6<br />
Die Geschichte des Goldenen Zeitalters islamisch-arabischer<br />
Wissenschaften ist gekennzeichnet durch die<br />
Einrichtung des „Hauses der Weisheit“, eines Wissenschaftszentrums<br />
in Bagdad (siehe Arbeitsmaterial A1),<br />
von Bibliotheken (siehe Arbeitsmaterial A2), die Gründung<br />
von Schulen sowie Universitäten (siehe Arbeitsmaterial<br />
A3). Die Initiativen trugen nicht nur allgemein zur Anhebung<br />
des Bildungsstandes in der Bevölkerung bei,<br />
sondern zogen die größten Gelehrten der Zeit an und<br />
trieben die Entwicklung der Wissenschaften voran. Die<br />
arabischen Wissenschaftler hatten verglichen mit vielen<br />
griechischen Philosophen viel weniger abstrakte Vorstellungen,<br />
sondern standen auf einer Grundlage, die<br />
stark der modernen naturwissenschaftlichen Methode<br />
ähnelte. Man vertraute auf handfeste empirische Befunde,<br />
Experimente und die Überprüfbarkeit von Theorien.<br />
Im Sinne des oben zitierten Ausspruchs von Ibn Chaldun<br />
waren die Wissenschaftler Wegbereiter und Vorreiter,<br />
die die Grenzen des Wissens derartig erweiterten und<br />
Neuland betraten, sodass ihre Arbeiten einen großen<br />
Beitrag zur Entwicklung der heutigen Wissenschaft, vor<br />
allem in der Medizin, Mathematik, Astronomie und den<br />
Naturwissenschaften, leisteten (siehe Arbeitsmaterial A4).<br />
6 Jim Al-Khalili 2013, 90.<br />
46
47
Weiterführende Literatur<br />
Jim Al-Khalili, „Im Haus der Weisheit. Die arabischen Wissenschaften als Fundament<br />
unserer Kultur“, Frankfurt /M.: Fischer Taschenbuch Verlag, 2013.<br />
Sigrid Hunke, „Allahs Sonne über dem Abendland. Unser arabisches Erbe, Frankfurt/M.:<br />
Fischer Taschenbuch Verlag, 2002.<br />
Gudrun Krämer, „Geschichte des Islam.“ Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für<br />
politische Bildung, München: Verlag C.H.Beck, 2005.<br />
Annemarie Schimmel, „West-östliche Annäherungen. Europa in der Begegnung<br />
mit der islamischen Welt“, Stuttgart, Berlin, Köln: Verlag W. Kohlhammer, 1995.<br />
W. Montgomery Watt, „Der Einfluss des Islam auf das europäische Mittelalter“, Berlin:<br />
Verlag Klaus Wagenbach, 1998.<br />
ZielE<br />
Die Schüler_innen<br />
• kennen historische, religiöse und soziokulturelle Hintergründe, die für die<br />
Entstehung des Goldenen Zeitalters islamisch-arabischer Wissenschaften<br />
wichtig waren;<br />
• kennzeichnen die Atmosphäre, die den Wissensdurst der Menschen und die<br />
Blütezeit der Wissenschaften beförderte;<br />
• kennen die Bedeutung der Übersetzungsbewegung für die Bewahrung und<br />
Weiterentwicklung des antiken Erbes;<br />
• übertragen verschiedene Funktionen des Hauses der Weisheit auf einen<br />
selbstgestalteten Grundriss;<br />
• beschreiben verschiedene Funktionen der Bibliotheken;<br />
• versetzen sich in die Rolle eines Gesandten, der im Auftrag des Kalifen Bücher<br />
erwerben soll, und setzten sich argumentativ mit der Bedeutung von Büchern<br />
auseinander;<br />
• interpretieren die Überschrift „Ein Volk geht zur Schule“ der Wissenschaftlerin<br />
Sigrid Hunke;<br />
• gestalten einen Stundenplan, der das Fächerangebot einer Medrese wieder gibt;<br />
• beziehen biografische Aspekte zeitgenössischer prominenter Personen (Kalifen,<br />
Universitätsgründer und Wissenschaftler) auf die von ihnen erbrachten<br />
Leistungen.<br />
48
VoRSCHLÄgE füR DIE<br />
gESTALTUNg DES UNTERRICHTS<br />
Schwerpunkt der Auseinandersetzung mit dem Thema<br />
„Das Goldene Zeitalter - Die Blütezeit islamischarabischer<br />
Wissenschaften“ ist die Entnahme von<br />
Informationen aus vier illustrierten Informationstexten<br />
(Arbeitsmaterialien A1 - A4), die mit Fragen und Aufgaben<br />
versehen sind:<br />
a1 i das goldene Zeitalter islamisch-arabischer<br />
wissenschaften - das haus der weisheit<br />
a2 i das streben nach wissen - bibliotheken<br />
a3 i ein Volk geht zur schule -<br />
schulen und Universitäten<br />
a4 i ein Zeitalter für die wissenschaft –<br />
fatima al-fihri - al-kindi - ibn rushd<br />
Schwierige Begriffe sind im Text markiert und werden in<br />
einem Glossar erklärt.<br />
Für eine individualisierende Form der Auseinandersetzung<br />
mit den vier Themenschwerpunkten bietet sich die Methode<br />
des „Stationenlernens“ an. Das Konzept des Lernens<br />
an Stationen setzt auf das Vertrauen, dass am Ende jeder<br />
Schüler/jede Schülerin so viel gelernt hat, als ihm/ihr individuell<br />
möglich war. In einem ersten Schritt werden von<br />
der Lehrkraft die in den vier Stationen zu bearbeitenden<br />
Themen und Fragestellungen vorgestellt. Zwar ist der<br />
inhaltliche Rahmen durch das Materialangebot vorgegeben,<br />
dem Schüler/der Schülerin bleiben jedoch Entscheidungsmöglichkeiten,<br />
die Sozialform (Einzel-, Partner-,<br />
Gruppenarbeit), die Reihenfolge, die Verweildauerdauer<br />
an den Stationen und möglicherweise die Wiederholung<br />
von Stationen selbst zu bestimmen. Abhängig von der<br />
zur Verfügung stehenden Zeit und den individuellen<br />
Voraussetzungen der Schüler_innen entscheiden sie auch<br />
über die Anzahl der zu bearbeitenden Stationen. Für die<br />
Vermittlung, Auswertung und Diskussion der Ergebnisse<br />
(z.B. Präsentationen mit Hilfe von selbstgestalteten Postern)<br />
sollte im Plenum ausreichend Zeit eingeplant werden. Die<br />
Ergebnisse können abschließend auch in einer Tabelle<br />
zusammengefasst werden.<br />
Die Schüler_innen tragen selbst zum Angebot bei, indem<br />
sie weitere Stationen planen, recherchieren und dafür<br />
Material organisieren. Eine an die Arbeit mit dem Material<br />
der vier Stationen anknüpfende und weiterführende<br />
Fragestellung wäre z. B., in welchem historischen Kontext<br />
das islamisch-arabische Erbe von der abendländischchristlichen<br />
Welt aufgegriffen und weiterentwickelt wurde.<br />
49
A1<br />
„Ein wahrhaft weiser Lehrer lädt dich nicht ein,<br />
das Haus seiner Weisheit zu betreten, sondern<br />
er führt dich an die Schwelle deines Geistes.“<br />
Khalil giBran i 1883-1931<br />
A1<br />
Maler, PhilosoPh UnD DiChter<br />
Das Goldene Zeitalter islamisch-arabischer Wissenschaften<br />
DAS HAUS DER wEISHEIT<br />
Bagdad, im Jahr 762 gegründet, war einst ein Zentrum<br />
der Bildung, Forschung und der Künste. Die<br />
Hauptstadt des Reiches der Abbasiden war eine<br />
sehr reiche Stadt mit über einer Million Einwohnern. Die<br />
Regierungszeit des bedeutendsten abbasidischen Kalifen<br />
al-Ma´mun (813-833) gilt als einer der Glanzpunkte<br />
islamischer Geschichte. Während dieser Zeit wurden die<br />
Wissenschaften und die Künste besonders gefördert. Al-<br />
Ma´mun gründete eine große Akademie in Bagdad, das<br />
Haus der Weisheit. Es wurde zum Ausgangspunkt für alle<br />
späteren Errungenschaften des Goldenen Zeitalters der<br />
islamisch-arabischen Wissenschaft von Usbekistan im<br />
Osten bis Spanien im Westen.<br />
Im Haus der Weisheit wurde, wie schon in der Regierungszeit<br />
von al-Ma´muns Vater Harun al-Rashid (786-809), an<br />
Übersetzungen von Texten vor allem aus dem Griechischen,<br />
Persischen und Indischen in das Arabische gearbeitet.<br />
Wenn al-Ma´mun fremde Herrscher im Kampf besiegt<br />
hatte, verlangte er von ihnen oft kein Gold oder andere<br />
Schätze, sondern Bücher aus ihren Bibliotheken.<br />
Die abbasidischen Kalifen, insbesondere al-Ma´mun, förderten<br />
und finanzierten die Übersetzungen, durch die<br />
das Wissen der Welt zusammengeführt werden sollte.<br />
Die Bewegung führte zu einer umfassenden Suche nach<br />
Wissen und wurde zu einer treibenden Kraft, welche der<br />
wissenschaftlichen Forschung zum Erfolg verhalf. Bald<br />
wuchs die Bedeutung des Hauses der Weisheit. Neben<br />
dem Übersetzungszentrum gehörte eine reichhaltige<br />
Bibliothek dazu.<br />
Durch die Sammelleidenschaft konnten viele Schriften,<br />
vor allem aus der griechischen Antike, gerettet werden,<br />
welche die Nachwelt sonst niemals kennengelernt hätte.<br />
In der Mitte des 9. Jahrhunderts war das Haus der Weisheit<br />
zur größten Büchersammlung der Welt geworden.<br />
Al-Ma´mun lud Gelehrte von weither ein, damit sie in<br />
Diskussionsveranstaltungen und Seminaren ihr Wissen<br />
ausbreiten konnten. Die arabisch-muslimischen Wissenschaftler<br />
legten Wert darauf, die Autoren, auf die sie sich in<br />
ihren eigenen Vorträgen und Veröffentlichungen bezogen,<br />
anzugeben. Sie führten den Nachweis von Quellen als<br />
zentrales wissenschaftliches Prinzip ein.<br />
Die Atmosphäre der Aufgeschlossenheit und Toleranz<br />
gegenüber anderen Religionen und Kulturen zog die<br />
allerbesten arabischen und persischen Wissenschaftler
an. Der christliche Arzt Hunayn ibn Ishaq (807-877) und<br />
der muslimische Philosoph Ya´qub ibn Ishaq al-Kindi (geb.<br />
Anfang des 9.Jahrhunderts, ca. 873) übersetzten nicht<br />
nur die großen Werke griechischer Philosophen, wie z.B.<br />
Aristoteles und Platon, sondern interpretierten sie auch<br />
neu, kommentierten und erweiterten sie. Muslime, Juden<br />
und Christen arbeiteten zusammen und legten aufgrund<br />
ihrer Fach- und Sprachkenntnisse die Grundlagen für die<br />
Entwicklung des Hauses der Weisheit. Arabisch war die<br />
internationale Sprache der Wissenschaft in dieser Zeit<br />
und schließlich lagen alle großen Werke auf Arabisch vor.<br />
Darüber hinaus ließ al-Ma´mun eine Sternwarte bauen. Er<br />
finanzierte und begleitete persönlich wissenschaftliche<br />
Forschungsprojekte, an denen Gruppen von Gelehrten<br />
gemeinsam arbeiteten. Er gab z.B. astronomische Beobachtungen<br />
in Auftrag, ließ eine neue Weltkarte zeichnen<br />
und eine neue Methode zur Messung des Erdumfangs<br />
entwickeln. Das Haus der Weisheit wurde zu einem Zentrum<br />
der Wissenschaft, an dem Entdeckungen gemacht<br />
wurden, die einen großen Beitrag für die Entwicklung<br />
unserer heutigen Wissenschaften, vor allem der Medizin,<br />
Mathematik, Astronomie und der Naturwissenschaften,<br />
leisteten. Spuren der Blütezeit islamisch-arabischer Wissenschaften<br />
sind heute noch an der arabischen Vorsilbe<br />
„al“ bei Fachbegriffen wie z.B. Algebra, Alchemie, Alkohol<br />
erkennbar.<br />
fRAgEN ZUM TExT<br />
1 I Wie verstehst du das Zitat von Khalil Gibran? Steht<br />
seine Aussage im Widerspruch zur Idee des Hauses<br />
der Weisheit?<br />
2 I Welche Bedeutung hatte der Kalif al-Ma´mun für<br />
die Entwicklung Bagdads als Forschungs- und Kulturzentrum?<br />
3 I Wie wird die Arbeitsatmosphäre im Haus der Weisheit<br />
charakterisiert?<br />
4 I Welche Aufgaben hatte das Haus der Weisheit?<br />
5 I Welche Spuren der Blütezeit arabischer Wissenschaften<br />
sind heute noch in Fachbegriffen zu erkennen?<br />
AUfgABEN<br />
1 I Suche im Atlas die angegebenen Länder und Städte.<br />
2 I Stelle dir vor: Du bist ein Herrscher/eine Herrscherin<br />
und möchtest ein Haus der Weisheit gründen. Welche<br />
Angebote sollen in dem Haus gemacht werden und<br />
an wen richten sie sich? Zeichne einen Grundriss des<br />
Hauses, aus dem seine Funktionen zum Ausdruck<br />
kommen.<br />
Nach dem Vorbild des Hauses der Weisheit in Bagdad<br />
wurden ähnliche Einrichtungen später in Kairo, Córdoba<br />
und Sevilla geschaffen.<br />
gLoSSAR<br />
Abbasiden I Der Name der Abbasiden, einer Herrscherfamilie, geht zurück auf al-Abbas ibn Abd al-Muttalib, einen Onkel<br />
Mohammeds. Die Abbasiden herrschten von 750-1250. Ihre Hauptstadt war Bagdad im heutigen Irak.<br />
Kalif I Der Kalif war mit der religiösen und politischen Führung der islamischen Gemeinschaft betraut.<br />
Akademie I Eine Forschungs-, Bildungs- und Ausbildungseinrichtung nennt man auch Akademie.<br />
Antike I Der Begriff Antike (von lateinisch antiquus ‚altertümlich, althergebracht) bezeichnet z.B. die griechische und<br />
römische Epoche des Altertums (800 v. Chr. bis ca. 600 n. Chr.).<br />
Astronomie I Astronomie ist die Wissenschaft von den Himmelskörpern.<br />
Alchemie I Die Alchemie ist der Vorläufer der Chemie. Alchemisten beschäftigten sich damit, Stoffe zu analysieren und<br />
umzuwandeln, z.B. wollten sie aus unedlen Metallen Gold herstellen.
A2<br />
„Strebe nach Wissen, selbst wenn du zu diesem Zweck<br />
bis nach China gehen musst.“<br />
HADITH<br />
Das Goldene Zeitalter islamisch-arabischer Wissenschaften<br />
DAS STREBEN NACH wISSEN<br />
Bibliotheken<br />
Bibliotheken waren für die Abbasiden (Regierungszeit<br />
von 750-1250), als Begründer der Blütezeit<br />
arabisch-islamischer Wissenschaften, nicht etwas<br />
völlig Neues. Ihre ersten Bibliotheken wurden nach dem<br />
Vorbild von Damaskus und der persischen Bibliotheken<br />
in Städten wie Isfahan und Gondeshapur aufgebaut.<br />
Im 8. Jahrhundert gab es unter der Herrschaft der Abbasiden<br />
in Bagdad, im heutigen Irak, Lagerhäuser für Bücher,<br />
in denen muslimische, aber auch christliche und jüdische<br />
Gelehrte an der Übersetzung medizinischer, astronomischer<br />
und mathematischer Texte aus dem Griechischen,<br />
Persischen und Indischen ins Arabische arbeiteten. Die<br />
Übersetzungsbewegung wurde Bestandteil einer umfassenden<br />
Suche nach Wissen und zu einem Impuls für<br />
das Goldene Zeitalter der wissenschaftlichen Forschung.<br />
Der abbasidische Kalif al-Ma´mun schickte Boten zu vielen<br />
Herrschenden, um sich Werke aus der Antike zu beschaffen,<br />
die seine Gelehrten übersetzen sollten. Aus einer Erzählung<br />
geht hervor, dass er einmal 100 Kamele brauchte, um<br />
handgeschriebene Schriften aus dem Iran nach Bagdad<br />
zu befördern.<br />
Ein Grund für die Entwicklung des Goldenen Zeitalters<br />
der Wissenschaften war die Ausbreitung des Islam. Es ist<br />
die religiöse Pflicht aller Muslime nach Wissen zu streben<br />
sowie Glauben und Vernunft in Einklang zu bringen. Die<br />
hohe Wertschätzung des Lesens liegt sicher auch darin<br />
begründet: Muslime glauben, dass das erste Wort, welches<br />
ihrem Propheten Muhammed offenbart wurde, „Iqra!“<br />
hieß, auf Deutsch „Lies!“. Viele Moscheen richteten eine<br />
Bibliothek ein. Die älteste und größte Bibliothek in einer<br />
Moschee befand sich in Aleppo, im heutigen Syrien. Sie<br />
besaß ca. 10 000 Bücher.<br />
Durch die Entwicklung einer neuen Technik zur Papierherstellung,<br />
die die Abbasiden von den Chinesen gelernt<br />
hatten, trat neues, preiswerteres Schreibmaterial an die<br />
Stelle von Papyrus sowie Pergament und ließ die Zahl<br />
der Übersetzungen stark ansteigen. Diese Entwicklung<br />
beschleunigte auch das Wachstum der Bibliotheken.<br />
Die Städte Bagdad und Damaskus zogen Schüler und<br />
Wissbegierige aus der ganzen Welt an. Schon im Jahr<br />
891 zählte ein Reisender in Bagdad über 100 öffentliche<br />
Bibliotheken. In vielen Städten der islamischen Welt wurden
Bibliotheken gebaut, in denen sich jeder Bücher ausleihen<br />
und in Lesesälen in die Bücher vertiefen konnte. In den<br />
Bibliotheken arbeiteten Übersetzer und Abschreiber und<br />
es standen Versammlungsräume für Diskussionen zur<br />
Verfügung. Bücherliebhaber fanden sich in allen Bevölkerungsschichten,<br />
nicht nur unter den Gelehrten.<br />
Als der junge persische Arzt Ibn Sina (980-1037) bei der<br />
Heilung eines kranken Herrschers helfen konnte, erhielt<br />
er als Dank die Erlaubnis, sich aus der Palastbibliothek<br />
Bücher auszuwählen, die er für sein Studium brauchte. Die<br />
Bücher waren nach Fachgebieten geordnet und in vielen<br />
verschiedenen Räumen der Bibliothek aufgestellt. „Da sah<br />
ich Bücher, von denen die meisten Leute nicht einmal den<br />
Namen kennen, Bücher, die ich niemals vorher und niemals<br />
nachher sah“ (Hunke, Sigrid (2002), Allahs Sonne über dem<br />
Abendland. Frankfurt/M. S. 214). Die Begeisterung für den<br />
Besitz von Büchern war nicht zu bremsen und so erstaunt<br />
es nicht, wenn man von einem Herrscher erfährt, der nie<br />
auf die Reise ging, ohne dreißig Kamele, vollbepackt mit<br />
Büchern, mit sich zu führen.<br />
Gelehrte unternahmen weite Reisen, um die persönliche<br />
Bekanntschaft berühmter Lehrer zu machen und wichtige<br />
Bücher fanden ihren Weg vom Osten nach Westen in das<br />
islamische Spanien. Unter dem Kalifen al-Hakim (Regierungszeit<br />
961-976) wurden in Córdoba 20 öffentliche<br />
Bibliotheken eingerichtet und alle Bewohner konnten<br />
ihr Wissen erweitern. Südspanien wurde zum Zentrum<br />
islamischer Kunst, Wissenschaft und der arabischen Sprache<br />
im Westen.<br />
fRAgEN ZUM TExT<br />
1 I Welche Funktion hatten die Lagerhäuser?<br />
2 I Der Islam spielte bei der Verbreitung von Wissen<br />
eine große Rolle. Welche? Was sagt der Hadith über<br />
die Haltung des Islam zur Wissenschaft aus?<br />
3 I Die Technik der Papierherstellung wurde verbessert.<br />
Welche Folgen hatte das für die Bibliotheken?<br />
4 I Wie wurden die Bibliotheken genutzt?<br />
5 I Welche Erfahrungen hat der junge persische Arzt<br />
Ibn Sina gesammelt?<br />
6 I Welche Bedeutung hatten Bibliotheken im islamischen<br />
Spanien?<br />
AUfgABEN<br />
1 I Suche im Atlas die angegebenen Länder und Städte.<br />
2 I Stelle dir vor: Du wirst im Jahr 830 von dem Kalifen<br />
al-Ma´mun zu dem christlichen Kaiser Theophilos nach<br />
Konstantinopel (heute Istanbul) geschickt, um Handschriften,<br />
die noch nicht übersetzt waren, zu erwerben.<br />
Wie kannst du den Kaiser überzeugen?<br />
Über die Bibliotheken wurde das Wissen der Antike erhalten<br />
und die wissenschaftlichen Ergebnisse weitergegeben.<br />
Die islamisch-arabische Welt leistete einen großen Beitrag<br />
zur Entwicklung der heutigen Wissenschaften.<br />
gLoSSAR<br />
Hadithe I Von Zeitzeugen überlieferte Aussprüche des Propheten Muhammed und Berichte über ihn und sein Handeln<br />
heißen Hadithe.<br />
Abbasiden I Der Name der Abbasiden, einer Herrscherfamilie, geht zurück auf al-Abbas ibn Abd al-Muttalib, einen Onkel<br />
des Propheten Muhammed. Die Abbasiden herrschten von 750-1250. Ihre Hauptstadt war Bagdad im heutigen Irak.<br />
Astronomie I Astronomie ist die Wissenschaft von den Himmelskörpern.<br />
Kalif I Der Kalif war mit der religiösen und politischen Führung der islamischen Gemeinschaft betraut.<br />
Antike I Der Begriff Antike (von lateinisch antiquus ‚altertümlich, althergebracht) bezeichnet u.a. die griechische und<br />
römische Epoche des Altertums (800 v. Chr. bis ca. 600 n. Chr.).<br />
Papyrus I Aus der Papyruspflanze wurde Material gewonnen, auf das man scheiben konnte.
A3<br />
Das Goldene Zeitalter islamisch-arabischer Wissenschaften<br />
„EIN VoLk gEHT ZUR SCHULE“<br />
Schulen und Universitäten<br />
„Wir sollten uns nicht schämen, Wahrheiten anzuerkennen<br />
und zu übernehmen, ganz gleich, woher sie zu uns kommen,<br />
auch wenn sie von fremden Völkern stammen.“<br />
Ya´QUB iBn ishaQ al-KinDi i geB. anfang Des 9.JahrhUnDerts, Ca. 873<br />
PhilosoPh, MatheMatiKer, PhYsiKer, MeDiZiner<br />
Unter der Überschrift „Ein Volk geht zur Schule“ fasst<br />
die Religionswissenschaftlerin Sigrid Hunke die<br />
Entwicklung des Bildungswesens im islamischen<br />
Reich zusammen. („Allahs Sonne über dem Abendland“,<br />
Frankfurt/M. 2002, 219)<br />
Die ersten Schulen im islamischen Reich, zunächst in<br />
Moscheen untergebracht, waren beides: Orte des Gebets<br />
und auch des Lernens. Im Jahre 653 gab es allein in Medina<br />
(im heutigen Saudi Arabien) neun Moscheen, in denen<br />
auch unterrichtet wurde. Das Schulsystem verbreitete<br />
sich schnell im islamischen Raum und im 9. Jahrhundert<br />
hatte bereits fast jede Moschee eine Schule für Mädchen<br />
und Jungen.<br />
Während man davon ausgeht, dass es im 9.-12. Jahrhundert<br />
im christlichen Westeuropa mindestens 95%<br />
Analphabeten gab, saßen in den muslimischen Dörfern<br />
und Schulen sechs- bis elfjährige Jungen und Mädchen<br />
auf ihren kleinen Teppichen und lernten lesen, schreiben<br />
sowie rechnen.<br />
Um 965 gab es im muslimischen Spanien, in der Stadt<br />
Córdoba, achtzig öffentliche Schulen. Sie kosteten kein<br />
Schulgeld. In Kairo wurde eine Waisenschule eingerichtet<br />
und zu den Beduinen zogen wandernde Lehrer.<br />
Der übliche Weg für diejenigen, die sich in einem bestimmten<br />
Fach weiterbilden und selber einmal lehren wollten,<br />
führte in die Moscheen. Diese waren nicht nur Stätten des<br />
Gebets und der Alphabetisierung. In ihnen wurde auch in<br />
die Wissenschaft eingeführt. In den Moscheen saßen die<br />
Schüler im Kreis um den Lehrer. Damit er sie besser hören<br />
und sehen konnte, nahm er auf einem erhöhten Stuhl, kursi<br />
genannt, Platz. Noch heute reden wir von einem Lehrstuhl.<br />
Damit wird inzwischen die Stelle eines Professors/einer<br />
Professorin an einer Universität bezeichnet.<br />
Jeder konnte an dem Unterricht teilnehmen, jeder Mann<br />
und jede Frau. In den Säulenhallen der Moscheen konnte<br />
man Gastvorlesungen namhafter Wissenschaftler aus<br />
den entferntesten Ecken der arabischen Welt hören. So<br />
wanderten neue Ideen und Erkenntnisse in alle Richtungen<br />
und stießen neue Forschungen an. Ob Mathematik,<br />
Medizin, Physik, Astronomie oder Philosophie, viele Wissenschaftsbereiche<br />
verdanken wesentliche Erkenntnisse<br />
arabischen Gelehrten.<br />
Seit dem 10. Jahrhundert wurden sogenannte Medresen<br />
(Medrese = Ort der Lehre/des Studiums) eingerichtet. Ihr<br />
Besuch war unentgeltlich und wurde vor allem durch Stiftungen<br />
(arabisch awqaf) finanziert. Eine Medrese konnte<br />
z.B. aus einer Moschee für das Gebet, einer Bibliothek sowie
Räumen für den Unterricht und die Unterbringung der<br />
Lehrer und Schüler bestehen.<br />
Im Zentrum des islamischen Unterrichts standen das<br />
Studium des Koran, der Hadithen und der arabischen<br />
Sprache. Darüber hinaus wurden auch Wissenschaften wie<br />
z.B. Philosophie, Medizin, Astronomie, Mathematik und<br />
Naturwissenschaften gelehrt. Deswegen waren Absolventen<br />
oft auf vielen Gebieten hochqualifiziert. Ein großer<br />
islamischer Philosoph, Ibn Sina (lateinisch Avicenna), war<br />
auch ein hervorragender Arzt und Ibn Rushd (lateinisch<br />
Averroës) war Philosoph, gleichzeitig als Richter tätig und<br />
schrieb außerdem Bücher über Medizin.<br />
In den Bildungseinrichtungen wurde die geistige und<br />
politische Führungsschicht herangebildet. „Ich bin in<br />
keine Stadt und in keinen Flecken gekommen“, berichtet<br />
ein Professor von seiner Reise durch eine Provinz des<br />
islamischen Reichs, „ohne darin einen meiner Schüler zu<br />
finden, der eine ausgezeichnete Stelle bekleidete.“ (Sigrid<br />
Hunke, 221)<br />
bäudekomplex bestehend aus verschiedenen Medresen,<br />
einer Bibliothek, einem astronomischen Observatorium,<br />
einem Hospital, einem Badehaus, einem Krankenhaus,<br />
einer Armenküche sowie Übernachtungsmöglichkeiten<br />
für die Lehrer, Studierenden und Besucher.<br />
Mit ihren Schulen und Universitäten haben arabische<br />
Gelehrte die Philosophie und Wissenschaft der Antike<br />
vermittelt und das Wissen weiter entwickelt. Sie haben<br />
Vorbilder für den Aufbau von Bildungseinrichtungen, die<br />
Gliederung der Wissenschaftsbereiche und Beispiele für<br />
Lehrmethoden geliefert.<br />
Bis zum Ende des 11. Jahrhunderts waren in den meisten<br />
großen Städten Universitäten entstanden und es gab einen<br />
Lehrbetrieb ohne Unterbrechung. Berühmt waren die über<br />
die gesamte islamische Welt verteilten Hochschulen, z.B. „al-<br />
Azhar“ in Kairo (Ägypten), „al-Mustansiriya“ in Bagdad (Irak),<br />
„Ulugh Bek“ in Samarkand (Usbekistan), „al- Qarawiyyin“ in<br />
Fez (Marokko) oder „al-Zaituniya“ in Tunis (Tunesien). Berühmt<br />
als Zentrum der Wissenschaft war auch die Medrese<br />
von Sankore im heutigen Timbuktu in Mali. Die Stadt, die<br />
heute in einer der ärmsten Regionen der Welt liegt, war<br />
in der Blütezeit des Islam ein Zentrum der Bildung und<br />
Wissenschaft. In Konstantinopel, dem heutigen Istanbul,<br />
ließ der Herrscher des Osmanischen Reichs Süleyman I.<br />
(Regierungszeit von 1520-66) die prächtige Moschee<br />
„Süleymaniye“ erbauen. Zu der Moschee gehörte ein GefRAgEN<br />
ZUM TExT<br />
1 I Ein Volk geht zur Schule – Was meint die Wissenschaftlerin<br />
Sigrid Hunke damit?<br />
2 I Moscheen waren nicht nur Stätten des Gebets.<br />
Was bedeutet das?<br />
3 I Wie kam es, dass neue Ideen und Erkenntnisse in<br />
alle Richtungen des islamischen Reichs wanderten?<br />
4 I Was verdanken wir der arabisch-islamischen Blütezeit<br />
der Wissenschaften?<br />
AUfgABEN<br />
1 I Suche im Atlas die angegebenen Länder und Städte.<br />
2 I Stelle dir vor: Du gehst im 10. Jahrhundert in Córdoba<br />
in eine Medrese. In welchen Fächern wirst du<br />
unterrichtet? Schreibe deinen Stundenplan auf.<br />
gLoSSAR<br />
Beduinen I Wüstenbewohner, die nicht sesshaft sind, nennt man Beduinen.<br />
Astronomie I Astronomie ist die Wissenschaft von den Himmelskörpern.<br />
Hadithe I Von Zeitzeugen gesammelte Aussprüche des Propheten Mohammed und Berichte über ihn und sein Handeln<br />
heißen Hadithe.<br />
Observatorium I Eine Sternwarte oder ein Observatorium (von lat. observare = beobachten) ist ein Ort mit wissenschaftlichen<br />
Instrumenten zur Beobachtung des Sternhimmels.<br />
Armenküche I Die Armenküche speist unentgeltlich Menschen, die über kein oder nur ein geringes Einkommen verfügen.<br />
Antike I Der Begriff Antike (von lateinisch antiquus ‚altertümlich, althergebracht) bezeichnet u.a. die griechische und<br />
römische Epoche des Altertums (800 v. Chr. bis ca. 600 n. Chr.).
A4<br />
Das Goldene Zeitalter islamisch-arabischer Wissenschaften<br />
EIN LEBEN füR DIE wISSENSCHAfT<br />
Fatima al-Fihri - al-Kindi - Ibn Rushd<br />
fatima al-fihri (um 800- 880)<br />
Fatima al Fihri wurde um 800 in Qairawan (auch Kairouan)<br />
Tunesien geboren. In jungen Jahren wanderte<br />
sie mit ihrem Vater und ihrer Schwester Mariam nach<br />
Fez, Marokko, aus. Ihr Vater war ein reicher Kaufmann, der<br />
in Fez das Familienunternehmen erfolgreich weiterführte.<br />
Die beiden Schwestern hatten geschworen, ihr gesamtes<br />
Erbe für ihre Gemeinde in Fez zu verwenden. Nach dem Tod<br />
des Vaters lösten Mariam und Fatima ihren Schwur ein. Mariam<br />
ließ die Moschee Al-Andalus errichten und Fatima die<br />
Moschee Qarawiyyin. Fatima al-Fihri ließ die Moschee mit<br />
einer Medrese, einer Schule, verbinden. Daraus entwickelte<br />
sich die Universität Qarawiyyin (auch Karaouine), benannt<br />
nach Fatima al-Fihris Heimatstadt. Als älteste Universität<br />
der Welt, die einen akademischen Abschluss ermöglichte,<br />
wurde sie zu einem Wissenschaftszentrum, das durch<br />
Wissenschaftler wie z.B. den Kartografen Mohammed<br />
al-Idriss, den Historiker und Politiker Ibn Chaldun und<br />
den jüdischen Philosophen und Theologen Maimonides<br />
(Ibn Maimun) berühmt wurde. Die Qarawiyyin -Moschee<br />
entwickelte sich zu einer der größten des Landes.<br />
Nach und nach wurde an der Universität ein breiteres<br />
Spektrum von Fächern eingeführt. Neben dem Studium<br />
des Koran und der islamischen Rechtswissenschaft wurden<br />
Arabisch, Medizin, Mathematik, Astronomie, Chemie,<br />
Geschichte, Geographie und Musik unterrichtet.<br />
Als die Muslime Anfang des 13. Jahrhunderts aus Spanien<br />
vertrieben wurden, kamen viele nach Fez an die Universität<br />
Qarawiyyin und brachten ihre in den Wissenschafts- und<br />
Kunstzentren des islamischen Spaniens erworbenen<br />
Kenntnisse ein. Im 14. Jahrhundert wurden an der Universität<br />
bis zu 8.000 Studenten unterrichtet.<br />
Ya´qub ibn ishaq al-kindi i lateinisCh alKinDUs<br />
(geB. anfang Des 9. JahrhUnDerts – Ca. 873)<br />
Al-Kindis Vorfahren stammten aus dem Jemen. Er wurde<br />
in Basra (Irak) geboren, zog aber schon in jungen Jahren<br />
nach Bagdad (Irak), wo er seine Ausbildung erhielt. Nachdem<br />
er sich als Experte für die griechische Philosophie<br />
ausgewiesen hatte, holte ihn<br />
der abbasidische Herrscher al-<br />
Ma´mun (Regierungszeit 813-833)<br />
in das „Haus der Weisheit“ nach<br />
Bagdad, wo er die großen Werke<br />
der griechischen Philosophen<br />
übersetzen ließ, sie kommentierte<br />
und interpretierte. Er machte die<br />
griechische Philosophie in der<br />
arabisch sprechenden Welt bekannt, bemühte sich darum,<br />
sie mit dem Islam in Einklang zu bringen und arbeitete an<br />
einer Verbindung von Philosophie und Theologie. Bekannt
war al-Kindi nicht nur als Philosoph. Er leistete wichtige<br />
Beiträge zur Astronomie, Physik, Medizin, Musiktheorie<br />
und Geographie. Als Mathematiker trug er z.B. dazu bei,<br />
die indischen Zahlen in die islamische Welt einzuführen<br />
und er beschäftigte sich mit Geheimschriften. Er galt als<br />
Universalgelehrter.<br />
Wer einen neuen Weg findet,<br />
ist ein Wegbereiter;<br />
selbst wenn andere später den Pfad noch einmal<br />
finden müssen; und wer seinen Zeitgenossen<br />
vorausgeht, ist ein Vorreiter, auch wenn<br />
noch Jahrhunderte vergehen,<br />
bevor er als solcher erkannt wird.<br />
iBn ChalDUn i 1332-1406<br />
Universalgelehrter<br />
abu al-walid Muhammad ibn ahmed ibn<br />
rushd I lateinisCh averroËs (1126-1198)<br />
Ibn Rushd wurde im islamischen Spanien, in Cordoba,<br />
geboren und studierte Jura, Medizin sowie Philosophie.<br />
Er zählte zu den gebildetsten Menschen seiner Zeit und<br />
wurde vor allem als Philosoph und Arzt berühmt. Ibn<br />
Rushd schrieb u.a. ein medizinisches Lexikon und setzte<br />
sich intensiv mit dem griechischen Philosophen Aristoteles<br />
(384-322 v. Chr.) auseinander. Er trug dazu bei, die griechischen<br />
Philosophen in Europa bekannt zu machen und hatte<br />
großen Einfluss auf das christliche und jüdische Denken.<br />
Er war ein kritischer und offener Mensch und beschäftigte<br />
sich wie viele muslimische Philosophen mit der Frage der<br />
Verbindung von Vernunft und Glaube. Logisches Denken<br />
war für ihn eine Möglichkeit, die Wahrheit zu erkennen und<br />
er forderte die Menschen auf, ihren Verstand zu gebrauchen.<br />
Ibn Rushd führte ein sehr abwechslungsreiches Leben:<br />
Er war Richter in Córdoba und Sevilla und wurde später<br />
Leibarzt des Kalifen in Marrakesch (Marokko). Jedoch hielt<br />
er es in dieser Stellung nur kurz aus und kehrte wieder als<br />
Richter in seine Heimatstadt zurück.<br />
AUfgABEN<br />
1 I Charakterisiere die Lebensumstände von Fatima<br />
al-Fihri, al-Kindi und Ibn Rushd.<br />
2 I Mit welchen Beiträgen unterstützten sie die Entwicklung<br />
der Wissenschaft?<br />
3 I Suche im Atlas die angegebenen Länder und Städte.<br />
gLoSSAR<br />
Kartograf I Kartograf ist eine Bezeichnung für einen Fachmann, der sich mit der Kartenherstellung (z.B. Landkarten) befasst.<br />
Astronomie I Astronomie ist die Wissenschaft von den Himmelskörpern.<br />
Philosophie I Philosophie (wörtlich „Liebe zur Weisheit“) ist ein Teilbereich der Wissenschaften, in dem versucht wird, die<br />
Welt und die menschliche Existenz zu deuten und zu verstehen.<br />
Theologie I Theologie (wörtlich „die Lehre von Gott“) beschäftigt sich mit den Inhalten und Schriften einer bestimmten<br />
Religion (z.B. islamische, christliche, jüdische Theologie).<br />
Universalgelehrte/r I Ein Mensch mit vielseitigen Kenntnissen in verschiedenen Gebieten der Wissenschaften wird<br />
Universalgelehrte/r genannt.
Diese Broschüre ist im Rahmen des Projekts JUMA-jung, muslimisch, aktiv entstanden. Träger des JUMA-Projekts ist die RAA<br />
Berlin. Seit 2014 wird das JUMA-Projekt von der Robert Bosch Stiftung gefördert.